Beschreibung meiner Reise in den Departementern vom Donnersberge, vom Rhein und von der Mosel

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
Autor: Johann Nikolaus Becker
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Beschreibung meiner Reise in den Departementern vom Donnersberge, vom Rhein und von der Mosel im sechsten Jahr der Französischen Republik, in Briefen an einen Freund in Paris
Untertitel:
aus: Vorlage:none
Herausgeber:
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1799
Verlag: Christian Gottfried Schöne
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Berlin
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Google = Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
Bearbeitungsstand
korrigiert
Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal Korrektur gelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite


[I]
BESCHREIBUNG
MEINER REISE
IN DEN
DEPARTEMENTERN
VOM
DONNERSBERGE, VOM RHEIN
UND VON
DER MOSEL
IM SECHSTEN JAHR
DER
FRANZÖSISCHEN REPUBLIK.

IN BRIEFEN
AN EINEN FREUND IN PARIS.


VOM
BÜRGER J. N. BECKER.

BERLIN, 1799.
bei Christian Gottfried Schöne’n.


[II]

[III]
VORREDE.

Der Verfasser dieser Briefe ist in dem Lande gebohren, durch welches diese Reise geht. Er bekennt sich schon seit der Zeit, da er selbstständig denken gelernt hat, zu der Parthei, deren Sache er in diesen Briefen führt. Mit dem Ablaufe dieses Jahrhunderts hat sein Vaterland eine Revolution erlitten, die jetzt schon alle geistliche und weltliche Despotie verschlingt, und künftig Dinge erwarten lässt, die der kühnste Geist noch vor 9 Jahren nicht ein Mahl ahnen konnte. Der Katolizismus und seine Diener sind dahin, Ungeheuer, die seit Jahrhunderte an dem Mark der wackern Menschen nagten, die die [IV] Ufer des Rheins bewohnen, – Beförderer des Betrugs, des Aberglaubens, der Falschheit, des Meuchelmords und der Giftmischerei, – Feinde des gesunden Menschenverstandes, die sich gegen Alles verschworen, was nicht zu ihren Taschenspielerkünsten passte. Drei Ober-Mönche liegen im Staube, und ihnen stürzt das ganze Gebäude nach, die – Bastille der Hölle, die biss zur letzten gewagtesten Spitze schwindelnder Höhe hinauf geführt war.

Auf ihren Trümmern erhebt sich das Gelächter des Volks über die Wunder, die man ihm vorgespielt hat: wie hier die unbefleckte Jungfrau einem Mönche den Hosenknopf lös’t; dort CHRISTUS mit einer Nonne Karten spielt und die Brautnacht feiert; hier sich Pfaffen unter dem Unterroke MARIE’NS versammeln; dort ST. ANTON durch eine Messe erweicht, gestohlne Sachen zurückbringt, hier ST. DOMINIK MAGDALENE’N die Strümpfe flickt; dort ALOIS, [V] der Päderast, eine Katze bemannt; XAVIER seine durchnässte Kutte von Teufeln trocknen lässt; FRANZ der Serafiker, Schweinen predigt und Koth frisst; IGNATIUS mit dem bekannten Verse[1] VIRGIL’S den Teufel austreibt, und ein unschuldiges Kindlein von dem betlemitischen Kindermorde von einem Sperling an einem seidenen Faden über das mittelländische Meer nach Rom getragen wird u. s. w.

Vielleicht, wird Mancher die Freimüthigkeit, die überall in diesem Buche herrscht, mit strenger Kritik tadeln, denn es giebt Leute, die überall weder durch Spott aufgeräumt, noch die Pudenda der Sünder während ihres Lebens in puris naturalibus dargestellt wissen wollen. Alles das soll man den kommenden Zeiten überlassen, oder [VI] doch wenigstens der Schwachen wegen, den Sündern ein Mäntelchen um die Lenden hängen. Dieser Meinung hat der Verfasser nie sein können, und er hat daher auch seinen Glauben in keinem dieser Briefe verläugnet, wovon sich der Leser auch bei der flüchtigsten Durchblätterung überzeugen wird. Ein Mahl hält er es für Pflicht der Zeitgenossen, ihren Nachkommen wenigstens Data zu liefern, aus denen sie den Zustand und den Geist der jetzigen Zeit kennen lernen können. Wie soll die Geschichte ohne diese Data nach Jahrzehenden und Jahrhunderten über gewisse Dinge urtheilen? Es kommt hier nicht darauf an, ob die Nachrichten, die wir unsern Enkeln überliefern, ärgerlich und ohne Ehre, oder ob sie ruhmvoll für die jetzige Generation sind. Wahrheit! Wahrheit! ist das grosse Ziel, dem wir entgegen streben müssen, und nach ihr hat auch der Verfasser gerungen. Er steht jedem kompetenten [VII] Richter, der das Recht ihn zu fragen hat, über jede Silbe, selbst über jeden Buchstaben zur Rede, und nimmt gern und willig von Jedem Belehrung an, der ihn eines Andern zu überzeugen vermag, denn er ist überall in diesen Briefen, so oft er etwas Neues niedergeschrieben hat, des Glaubens gewesen, dass er sich wahrscheinlich irre. Aber mit Vorbedacht, mit Bewusstsein hat er nie eine Unwahrheit niedergeschrieben, und so hofft er, dass sich nichts in diesem Buche befinde, was er nicht vor dem ehrwürdigsten Richter verantworten könne.

Dann glaubt er auch, dass viele der Sanskulotten, wenn sie öffentlich mit ihren Namen genannt werden, sich besinnen, und während dieses Besinnens wenigstens einige Augenblicke auf dem Wege stille stehen, auf dem sie das ihnen anvertraute Volk so rasch in’s Verderben führen. Die Meisten, die Sanskulotten im eigentlichen Verstande [VIII] des Wortes sind, das heisst, Leute, denen durchaus kein Gesetz heilig ist, werden freilich durch öffentliche Rüge nicht gebessert werden, das hat der Verfasser schon längst empfunden, und bei andern Gelegenheiten erfahren. Konnte doch SCHLÖZER, der Mann ohne Gleichen, diese Leute nicht bessern, wie sollten es diese Blätter, denen überall so viele Mängel ankleben, und deren Verfasser weder Celebrität, noch Ansehen hat?

Bei allen dem tröstet er sich mit dem Gedanken, dass seine Bemühungen wenigstens Tropfen sind, die, wenn sie wiederhohlt herabfallen, endlich doch noch Felsen aushöhlen können. Der Verfasser weiss es übrigens recht gut, was man an ihn für Forderungen machen könnte, und er gesteht, dass sein ganzes Buch für den Statistiker keinen Dreier werth ist. Für diese war aber auch diess Mahl die Arbeit nicht berechnet, und konnte es auch nicht sein. Der Statistiker [IX] will Zahlen, die sich in terris incognitis nicht finden lassen. Jetzt, da sie endlich ein Mahl cognitae werden, ist es noch zu früh, Jagd auf Zahlen zu machen. Es muss sich da noch so manches entwickeln, ehe wir mit Ernste auf brauchbare Materialien zu dem grossen statistischen Gebäude denken können. Anstalten hat der Verfasser indessen jetzt schon der Probe wegen zu einigen kleinen Sammlungen gemacht, die ihm wenig Mühe gekostet haben, denn jetzt giebt es in seinem Vaterlande keine Bonzen und keine Bassen mehr, die den Publizitäts-Jüngern das Haupt vom Rumpfe hauen; oder Staatsverbrechen! schreien, wenn man ihnen in die Rechnungen ihrer Verwaltungen sieht.

Endlich glaubt der Verfasser, so viel an ihm war, in der ruhigsten Stimmung des Geistes geschrieben zu haben, welche sich weder eine Ungereimtheit zu Schulden kommen lässt, noch sich herablässt zu schmeicheln. [X] Er hat wenigstens zu keinem von beiden Veranlassung gehabt, und schrieb, wie es seinen Einsichten und seinen Herzen jederzeit gemäss war. Rücksichten hat er auch nicht, denn er fühlt keine Mächtigern über sich, der über seine Aeusserungen die Miene verziehen könnte; er hat sich des Rechtes des freien Mannes, seine Meinung ungescheut zu sagen, in vollem Maasse bedient, und keine Rücksicht darauf genommen, was Exjesuiten, Franziskaner, Kapuziner, Dominikaner, Quäsoln, und ihre Anhänger von ihm denken mögen, oder wie sich der Aberglaube seiner Grossmutter oder seiner Schwester dabei gebehrden mag. Alles das rührt ihn nicht, denn er geht seinen eigenen Weg, ohne andern Leuten zuzumuthen, den nämlichen zu brauchen, und so darf er auch mit Recht fordern, dass man ihn auf dem seinigen ungestört wandeln lasse, der breit genug ist.

Jacta est alea, ich hab’s gewagt. Das [XI] was der Spruch eines der grössten Deutschen, als er gegen Kurtisane und Pfaffen zu Felde zog. Jacta est alea, sagt auch der Verfasser (obgleich kein HUTTEN), indem diese Briefe aus seinen Händen in’s Publikum gehen. Er weiss es, dass sie bei all ihrer Unbedeutenheit Bauchgrimmen erregen werden, und er sieht schon im Geiste die Obscuranten, die Gassenjungen der ehemaligen Höfe, die Despotenknechte und die Feinde der jetzigen Verfassung gegen sich zum Kampfe heranrücken; er sieht, wie sie ihre Waffen schärfen, um den Ketzer, oder wie die Titel sonst heissen, die ihnen ihre leeren Köpfe eingeben mögen, von der Erde zu tilgen. Doch er ist ohne Furcht! Wer an der Auszehrung krank liegt, und den Tod, wie man zu sagen pflegt, auf der Zunge hat, ist für einen gesunden jungen Mann ein unbedeutender Gegner.

Man hat den Verfasser an diesem und jenem [XII] Orte oft gefragt, wenn in Gesellschaften die Rede auf das Land kam, von dem hier die Rede ist: ob denn gar nichts zu loben da wäre? Ausser der schönen herrlichen Natur, unter den vorigen Regierungen nichts, gar nichts. Die Menschen sind hier gut und brav, aber damahls verdienten sie kein Lob, vielleicht nicht ein Mahl Bedauern. Wer sich das Joch freiwillig auflegen lässt, und es gern trägt, der verdient unser Mitleid nicht. Seine Sklaverei drücke ihn zu Boden! – Ihre jetzige Freiheit haben sie von ungefähr gefunden. Übrigens hat der Verfasser unter den Männern ohne Vorurtheil daselbst so viel Vergnügen genossen, dass er ungerecht sein müsste, wenn er es hier verhehlen wollte. Genannt hat er keinen; dadurch würde er ihrer Bescheidenheit zu nahe getreten sein, und dieser oder jener seiner Leser hätte das für Partheilichkeit nehmen können, die er so gern in jedem Stücke [XIII] vermeidet. Eben so wenig hat er die Geisel über die Rücken derjenigen geschwungen, und sie mit Namen genannt, die in Koblenz seinen Geist von seiner frühesten Jugend an in Fesseln hielten, und ihm Alles aus den Händen wanden, was ihn hätte belehren können, dass die meisten Priester Buben, und ALOISIUS kein Heiliger sei. Er hat ihnen längst ihren Wahnsinn verziehen, damahls schon, als er noch in ihren Klauen haftete, und sie ihn vor Fetischen niederknien hiessen, an die mancher von ihnen im Herzen wohl selbst nicht glauben mochte. Er thut ihnen hiermit die feierliche Erklärung, dass sie vor ihm sicher sein können, wenn sie nur ihr grobes Taschenspiel nicht weiter treiben wollen. Das können sie indessen sicher glauben, dass hundert junge Männer bereit sind, sie mit Schwert und Speer zu bekriegen, sobald sie sich unterstehen, ihren ALOISIUS, IGNATIUS, [XIV] FRANZISKUS, DOMINIKUS und ähnliche Kerl wieder auf die Bahne zu bringen.

     Wolauff herzu, es hat nit not.
Wir haben aller sachen fug,
     gut vrsach vnd der selben gnug.
Sie haben gottes wort verkert.
     das Christlich volk mit lügen bschwert.
Die lügen wöln wir tilgen ab,
     vff das ein liecht die wohrheit hab.
Die was verfinstert vnd verdempfft.
     gott geb im heil, der bei mir kempfft.
Das hoff ich mancher thu.
Manch burger, der in seiner stat
     der sachen auch beschwernüss hat.
Vff dass ichs nit anheb vmbsvnst.
     wollauf wir haben gottes gunst.
Wer wolt in sölchen bleiben dheim
     ich habs gewagt, das ist mein reim.
                    JACTA EST ALEA.

[XV] Noch Eins. Der Verfasser hat Ursache zu fürchten, dass das Äussere dieses Buchs sein Inneres übertreffe. Herr SCHMIDT in Berlin, der seit kurzer Zeit eine der geschmackvollsten Buchdruckereien angelegt hat, und seine Offizin täglich mehr emporzubringen sucht, hat aus Freundschaft für den Verfasser Alles zur Verschönerung dieses Buches beigetragen, und man kann die Abdrücke auf Velin- und Schweizer-Papier in der That für tipografische Schönheiten halten.

Avignon, den 10 Fructidor, im sechsten Jahre der Republik.


[XVI]

[XVII]
INHALT.


ERSTER BRIEF.
Seite
Mainz. Greuel des Kriegs bei Hochheim und Kostheim. Aussicht von der Höhe bei Hochheim. Bombardement von Mainz. Hochheimer Wein. Bericht eines Freundes über Mainz gleich nach der Belagerung. Freiheitsbaum. DIETHER’S v. Isenburg Eisenblock, und WEDEKIND’S Rede. Aussicht von dem Balkon des ehemaligen Schlosses. Republikanischer und kaiserlicher Soldat im Lazarethe. Jovialität. Hier stand die Favorite. CUSTINE; FORSTER; HOFFMANN. Klubbisten. Der Franke an den Deutschen. Zahlbach. Römische Wasserleitung. Eichelstein. Feten in Mainz nach FRANZ’ENS Krönung. 5
ZWEITER BRIEF.
Kongress zu Rastadt. Sonderbares Betragen der deutschen Stände. Schulden auf dem linken Rheinufer. Preussen, Reichsritterschaft. Rheininseln. Lieblings-Aue. Der Dom. Sinekuristen. Kollegiat-Stifter, Pfarren und Klöster. Der Mainzer. Sonderbarer Empfang des Kurfürsten nach der  

[XVIII]

    Seite
Wiedereinnahme. Rückkehr wandernder Handwerker. Freie Rheinschiffahrt. Handel. Querzug durch die Stadt. Moden. Rheinbrücke. Thiermarkt. Letzte Versuche der adeligen Gassenjungen. Tafeln. Schaden durch die Belagerung. Wissenschaften. Deutsche Literatur wird von den Franken befördert. Der Rhein, zugleich die Grenze der Meinungen. Tagsschriften und Pamphlets. Mönche. Maitressen, und ein Preiss auf die beste Vertheidigung des Cölibats. 34
DRITTER BRIEF.
Abfahrt von Mainz. Verproviantirung unseres Schiffes. Rheinfahrt, Walluf. Republikanisches Fest. Trierikon, dem BACHUS zu Ehren. Eltvill. Öde des linken Ufers. Reste des Pallastes KARL’S des Grossen zu Nieder-Ingelheim. Weidenbuschdach. Erbach. Abtei Eberbach. Eine Abtei besser als ein adeliger Hof. Johannisberg. Köstliche Rebenhügel. CUSTINE. Mönche und Adel. Aussicht von Johannisberg. Rüdesheim. Geisenheim. Anlagen des Grafen OSTEIN und ihre Geschmacklosigkeit. Bingen. Gasthof zum Riesen. HOHENFELD, der Sanskulotte, als Statthalter. 64
VIERTER BRIEF.
Drusus-Brücke zu Bingen. Noh-Wein. Hunsrück. Wahrscheinlicher Ursprung dieses Namens. Aussicht von dem Berge bei Bingen. Die Pfalz auf dem Hunsrücken ist kein Paradies. Abenteuer auf einem Bauerhofe. Kreutznach. Fabriken. Bordelle. Schändliche öffentliche Verwaltung. SCHMERZ’ENS Garten, und seine alberne Überschrift.

[XIX]

    Seite
Schloss Ebernburg. Die Heldenmenschen FRANZ VON SICKINGEN und ULRICH VON HUTTEN. Simmern. Schöner Menschen-Schlag.

Despotische Verfassung der Pfalz. Diensthandel, Zölle und Lotto. Landschreibereien. Elende militärische Verfassung. Kastellaun, einem Bauerdorfe ähnlich, obschon die Hauptstadt der hintern Grafschaft Sponheim. Der Herzog von Zweibrücken, als Eulenspiegel dieses Jahrhunderts. Sein Nachfolger MAX. Fez und Marokko. Anbau des Landes. Auffallender Unterschied des Berg- und Thalbewohners. Spekulirende Wucherer, Armuth des Weinbauers. Thätigkeit des Hunsrückers, und Trägheit des Mosellaners und Rheinländers. Schöner Flachs in Sosberg, Blankerad und Strömich, Schlechte Kultur dieses trefflichen Products. Verderblicher Grundsatz des Grafen von METTERNICH-WINNEBURG. Theilung des Landes in kleine Herrschaften. Zank und Hader der Nachbarn, Zu Macken wird durch die metternichischen Beamten ein Menschenrecht geschändet. Proklamation der Franzosen an die Armee und die Bewohner der Pfalz und angrenzenden Länder FORSTER pflanzt Freiheitsbäume in der Pfalz. Erziehung der Jugend. Gewissensfreiheit. Fanatismus und Aberglaube. Kapuziner zu Bingen, und Karmeliter zu Simmern, Die Kunst, Protestanten von Katoliken zu unterscheiden. Gelobt sei JESUS CHRISTUS und guten Tag. Die Bildung des gemeinen Landmanns ist auf dem Hunnsrücken besser, als bei Berlin. Revange an NIKOLAI.

82

[XX]

    Seite
FÜNFTER BRIEF.
Mäusethurm. BUONAPARTE. Die Franzosen müssen

gerecht sein gegen die Deutschen. Ob sich das morsche deutsche Staatsgebäude wohl über das Restchen dieses Jahrhunderts hinaus hält? Bürger SIEYES in Berlin.

122
SECHSTER BRIEF.
Die Ritterzeiten des Mittelalters, Leibeigenschaft und

Sklaverei. Landgraf von Hessen-Kassel und CUSTINE. PHILIPP der Grossmüthige. Bingerloch und ave Maria, Täuschung bei der Fahrt unter Bingen. Assmannshausen. Rother Wein, Kapuziner zu Noth-Gottes. Legende von dem Heiligenbilde daselbst. Beichte. Wallfahrer. Stipendien, Betteln. Nacktheit der Ufer unter Bingen. Lorrich. Die schönsten Ansichten auf der Rheinfahrt eröffnen sich hier. Bacharach. Stahleck. Kaub. Gutenfels. Die Pfalz auf dem Rhein. DE LUC’S und BERTOLA’S Meinung. Kunststrasse über den Hunsrücken an die Mosel, Die Szene ändert sich bei Oberwesel. Der Lurlei und sein Echo. Die Bank bei St. Goar. Die Festung Rheinfels, der Hauptsitz des Despotismus. Menschenhandel. Car tel est notre plaisir. Militärische Verfassung. Der Reichsspion. Worte eines Philosophen. Der vorige Bischof von Speier prahlte damit, dass er keinen Menschenhandel trieb. Trefflicher Lachs and Handel damit.

125
SIEBENTER BRIEF.
Bei Boppard bildet der Rhein einen See. Königsstuhl bei Rense. Bürgermeisterwahl in Koblenz.

[XXI]

    Seite
FÜNFTER BRIEF.
SCHOLL’s Bettelstolz und berüchtigtes Erkenntniss

in Sachen VEIT WERER’s ctr. die Emigranten. Reichthum der Natur von Lahnstein bis Koblenz. Ehrenbreitstein. Karthaus. Oberwerth. Kein Fünkchen von Freiheitsliebe,

151
ACHTER BRIEF.
Streifzug nach Frankfurt. Thal Ehrenbreitstein.

Haşardspiele. Wird hier gespielt? Der Westerwald. Gespräch zweier trierischen Edelleute. Der Adel betrachtet hier den Menschen wie sein Vieh. Auch der Kurfürst fordert noch Geld. Montabauer. Überfluss und Mademoiselles. Sittenverderbniss. Festungsarbeiten. Limburg. KREMER und Hasardspiele. Ungeschliffenheit der Einwohner, besonders des Wirths im goldenen Ochsen. Kollegiatstift. Die Sinekuristen darin sind Sanskulotten. Das Nassauische Gebiet. Weilburg. Taxische Posten. DÖTSCH der grobe Postknecht. Kunststrasse bei Weilburg. Braunfels, Einer der Fürsten baut das Feld, ist dabei kein NUMA. Wetzlar. HINKEL, der trefflichste Gastwirth. Das Kammergericht. General HOCHE und sein Schatten. Inschriften bei seinem Grabe. Garbenheim. GÖTHE’S Beschreibung davon. Unangenehme Lage des schönen Geschlechts in Wetzlar. Ein Abenteuer and Dem. w..f BALDINOBA. Burschenleben. Friedberg und die Wetterau. Hässlichkeit der Weiber. Mazulipatamer. Schlechte Wege. Bassenheim. Frankfurt. Der Reichsfiskal und der Buchhandel. Nachdrucker. Lesekabinet. Bornheim und Bordele. Ton der Einwohner von Frankfurt.

157

[XXII]

    Seite
NEUNTER BRIEF.
Einrichtung der Schulen auf dem linken Rheinufer.

Beschluss des Bürgers RUDLER.

186
ZEHNTER BRIEF.
BOURBOTTE. Kein Mensch versteht Deutsch in Koblenz.

Jesuiten, MATHIEU bringt Licht von Göttingen her. SIMON und GERHARDS. Kampf von Licht und Finsterniss. Ein Gedicht von THÜMMEL’N. KLEMENS WENZEL will seine Unterthanen durch den Rosenkranz glücklich machen. Emigrirte und ihr eigener Gerichts-Hof. DOUMINIQUE, der Sanskulotte, LASSAULX wird arretirt. Moralität der Koblenzer. Der 3 Brumaire III. Koblenz wird von den Franken besetzt. Sie finden es hier anders als in Mainz. Wissenschaften und Schriftsteller. Die Xenien haben Recht. Buchläden. HONTHEIM and NELLER. Niemand ward durch den Freiheitsbaum aufgeregt. Wir wollen nicht frei sein.

194
EILFTER BRIEF.
Zwei Beschlüsse des Repräsentanten. Requisitionen

und Brandschatzung. RADEMACHER und CHENAL, jener der Pflegevater der Jesuiten, dieser in der Eile von der Strasse aufgelesen. Statistik eine unbekannte Wissenschaft.

220
ZWÖLFTER BRIEF.
Abtelen. Epikuräisches Leben. Keine Spur von

Wissenschaften. Kein Phönix aus der Asche eines DUFRESNE. Weltpriester. Koblenz und seine Verschönerung. Karthaus. Kühkopf. Moselbrücke. Kein Mensch denkt an die Schönheiten der Natur. Die Ansicht von Koblenz

[XXIII]

    Seite
mit der Ansicht von Passau verglichen. Die

Brücken in Prag und Dresden. Aussichten aus den ehemaligen kurfürslichen Schlössern. Öffentliche Plätze. Schöne Gebäude. Heiligthümer. APOLLONIA’S Zahn. VALENTIN’s Haupt. Unschuldiges Kindlein. H. RITZA. Vorhaut des JESUS-Kindleins. Der ungenähte Rock CHRISTI. Handel. Ranchtoback. Bier. Gesesellschaften. Menschen, ein Kartenspiel. Die Koblenzer sind ein starker und gesunder Schlag Leute, aber die vorige Regierung hat sie verdorben. Minister DOUMINIQUE.

238
DREIZEHNTER BRIEF.
Neu-Wied. Der Fürst. Sein Prozess am Reichs-Kammergerichte,

sein Rekurs an den Reichstag, und seine Restitution. Seine jetzige erträgliche Aufführung.

259
VIERZEHNTER BRIEF.
Toleranz in Neu-Wied. Kolonie der Herrnhuter.

Literatur. TONDER, der Reichs-KASPERLE und seine Gespräche im Reiche der Todten. Buchhändler OEHRA, ein Vor- und Nachdrucker. Das rothe Blatt. Pressfreiheit in Deutschland.

304
FUNFZEHNTER BRIEF.
Andernach. Veränderung der Sprache. Abneigung der

Rheinländer, fremde Länder zu besuchen, ein Haupthinderniss der Sprachkultur. Der schrohe Kanzelleistil sollte nach dem eisernen Willen der vorigen Regierung an seinen alten Formen nicht leiden. Lutherisches Deutsch. Steinbrüche bei Mennich. Ehemahlige Feuer-Revolutionen in

[XXIV]

    Seite
diesen Gegenden. FORSTER’s Meinung davon.

Die Natur hat das Land, um Pollich trefflich gesegnet, aber die Menschen gefallen weniger Strafe der gefallenen Mädchen. Münster auf dem Meienfelde. Sinekuristen, als ächte Sanskulotten. Gastfreiheit in dem Nonnenkloster Engelport und Erfahrungen des Verfassers davon. Bassenheim und der dortige Garten. Der Graf und seine Aufführung. Kellerei Saffig. Der Graf von der Leien bringt das Landjunkerleben wieder in Aufnahme. Abtei zum Laach (ad Lacum), und der dabei liegende See. Das Städtchen Meien, das Thor zur Eifel.

312
SECHSZEHNTER BRIEF.
Dorf Kellberg und Pfarre. Äusserste Verdorbenheit

der Pfaffen. Ihr ganzes Kor ist mit geringer Ausnahme die Geissel dieses Landes. Hochkellberg. Veränderung des Klimas. Wölfe. Der Graf von Manderscheid-Blankenheim und seine NIMROD’S Rolle. Sein Schloss zu Blankenheim . Abreise von Kellberg. Art zu leben. Wege. Verirren. HANNES. Der Mann im bleiernen Rocke. Bongard. Frühmessenmacher HELTEN, und seine Bibliothek. Oberehe. Hohenfels. Hillesheim. Ülmen. Büchel. Fait. Kleidung und Putz der Eifeler.

329
SIEBENZEHNTER BRIEF.
Ufer der Mosel. Abermahls Leute von ganz anderer

Art. Der Moslerwein, der Liebling des schönen Geschlechts. Seine Eigenschaften und seine Preise. Der Bewohner der Ufer der Mosel ist noch ärmer, als der Weinbauer am Rhein. Beilstein,

[XXV]

    Seite
keine Stadt. Priedern. Ketert. Ruinen des alten

Schlosses. Die Gräfin METTERNICH und Mosje SPIESS. Der Graf und seine Menschheitsgefühle, aber auf der andern Seite ohne es zu wollen, ein Tirann. Seine Restitution. Karmeliten. Jugend-Erziehung.

353
ACHTZEHNTER BRIEF.
Reise auf der Mosel. Kochem und seine romantische

Lage. Pater MARTIN. Karfreitagsprozessionen. Karden und die dortigen Sinekuristen. Winningen. Ankunft in Koblenz.

366
Rückblick. 379
Controversen. 383
ANHANG.
Idiotikon aus dem Moseldepartement 386

[XXVI]

DRUCKFEHLER.
Seite.
Zeile.
Statt.
Liess.
126 12 sehszehnten sechszehnten
154 01 herüchtigte berüchtigte
181 01 höchsens höchstens
186 09 Depatemens Departemens
196 04 Katolik Nichtkatolik
199 08 uud und
216 10 albern alberner
13 voll von
256 26 darauf deleatur
293 23 aher aber
295 24 mir mit
360 04 Orten Orden
24 ihn ihm
361 16 Hergensgüte Herzensgüte
362 02 Groses Grosses
401 24 Längst Längs

Die hier und dort bemerkbare Verschiedenheit der Schreibart wird der Leser bei der bekannten grossen Sankulotterie der deutschen Sprache gern verzeihen.

[1]
REISE
IN DEN
DEPARTEMENTERN
VOM DONNERSBERGE, VOM RHEIN
UND
VON DER MOSEL.

[2]

[3]
I.
Mainz 21. Floreal. VI.     

Die Apostel des Despotismus, sagt man hier, seien vor einigen Tagen über den Rhein gekommen, mit der Nachricht, dass eine plötzliche Veränderung in den Verhältnissen der Republik gegen das deutsche Reich, und gewisse andere geheime Plane die Zurückgabe der Stadt und Festung Mainz an den Kurfürsten zur Folge haben würden. Wie wenig man auch hier an dergleichen Mährchen glaubt, so sieht man doch, wie das Corps der Obscuranten dem jungen Republikaner seine aufblühende Freiheit missgönnt. Aber Dank sei es der fränkischen Republik, die ihre Grossthaten mit der Wiedergeburt des herrlichsten Landesstriches krönt! So ist denn auch Deinem Reisenden erlaubt, hier, wo sein Herz zum ersten Mahl für die Freiheit entglühte, seine Gefühle laut zu offenbaren.

Nie werde ich des gestrigen Tages vergessen. Von ungefähr führte mich das Glück mit einigen [4] alten Bekannten in Frankfurt zusammen, mit denen ich schon zu CUSTINE’NS Zeiten in die Schwärmereien der damahligen Freiheit eingeweiht worden war. „Es daure die Republik und unser Name mag vergehen!“ daran erkannte ich meine alten Freunde wieder. Wir wurden einig, den folgenden Tag, der war gestern, zusammen nach Mainz zu gehen, und dann nach einem Aufenthalte von wenigen Wochen die Szenen unserer Jünglingsjahre noch ein Mahl auf der göttlichen Rheinfahrt zu erneuen, die uns nun nach der gänzlichen Umformung der alten Verfassung doppelt interessant werden muss.

Wir machten uns früh auf den Weg. In Höchst, wo wir französische Besatzung antrafen, waren wir Mittags. Meine Freunde hatten hier einige Geschäfte, und weil sie vor Abend nicht wohl damit fertig werden konnten, und ich doch noch die herrliche Ansicht des republikanischen Mainz von der Hochheimer Höhe haben wollte, so setzte ich meinen Stab weiter, nachdem ich meinen Reisegefährten, sie in Hochheim zu erwarten, versprochen hatte.

Mit meinem Tubus in der Hand, und einer Flasche Rheinwein in der Tasche gelangte ich nach vier angenehmen Stunden auf den Hügel. Dem [5] Gotte des goldenen Weins widmete ich eine Schale, die ich auf seinem heiligen Hügel über die Reben Hochheim’s ausleerte; ihm, dem Geber des feurigsten Weins, ihm, dem Löwenbändiger.

Aber dir, Göttinn der sanften Wehmuth, trockne ich diese Thräne aus dem Auge, eine Thräne, geweint über die Ruinen dieser Berge. Siehst du, dort kommen sie herauf, die Hochheim geplündert und mein freundliches Kostheim verbrannt haben. Die Thränen verwais’ter Mädchen hängen noch an ihren Waffen, und BELLONA mit Feuer sprühenden Augen spornt sie zur Erneuerung ihrer Mordszenen an.

Ehemahls, wie ganz anders auf diesen Hügeln. Wie oft sass ich da auf der Steinbank am Wege nach dem Dorfe in der angenehmen Frühlingsluft. Weinbeladene Wagen fuhren daher, und junge Winzerinnen, ein Bündel Weiden unter dem Arm, gingen an mir vorüber und nickten freundlich.

Seitdem hat sich an dieser Stätte die Kraft der Franken mit der vereinigten Macht von Preussen und Östreich, und den deutschen Fürsten gemessen, und unverwelkliche Lorbeeren erkämpft. Wenn ich da unter den Ruinen der Weinberge und unter modernden Leichnamen erschlagener Krieger weine, so beruhigt mich wieder der grosse Gedanke, [6] dass endlich doch die berechnetsten Plane der Fürstengewalt an den wieder auflebenden Rechten der Menschheit zu Schanden werden müssen. Die Höhen von Hochheim und das Dorf Kostheim waren vor und nach der Belagerung von Mainz der Zankapfel der streitenden Partheien. Die Gegend ist dadurch auf ein Menschenalter zur Wüste gemacht. Die Aussicht von dem Berge bei Hochheim ist entzückend schön. Sobald man von hieraus über die Rheinbrücke gelangt ist und hinter Kastel die sanft anstrebende Höhe erreicht hat, die sich bei Hochheim tiefer landeinwärts erstreckt, findet man oben ein Plätzchen, von dem man das eingeengte Rheinthal überschaut. Vor sich das goldene Mainz mit seinen stolzen Thürmen, und hundert Schiffsmasten, die aus dem Flusse zu wachsen scheinen; der Rhein selbst im majestätischen Laufe mit seinen eigensinnigen Krümmungen und herrlichen Geländen und seiner schwimmenden Brücke; links das Paradies von Oppenheim und Worms; rechts die mit Weinreben bekränzten Gebirge des Rheingaues, und hinter sich die Aussicht nach der Gegend von Frankfurt; Alles das macht die Seele zu voll, als dass sich etwas darüber sagen liesse. Die Kathedralkirche macht einen herrlichen Prospekt, und der friedliche Main, [7] der links den Umarmungen des Rheins entgegen eilt, verdoppelt die Reize dieser herrlichen Landschaft.

Leute, die von diesen Hügeln das Bombardement gesehen haben, sind noch jetzt von dem herrlichen Anblicke in jenen Nächten entzückt. Niemand soll mir mit dem abgedroschenen Einwurf kommen, dass eine solche Freude die Menschheit schände. Können die Leute es denn nicht über sich gewinnen, das Gute vom Bösen zu scheiden? Oder soll es mir nicht erlaubt sein, in dem Bösen, wenn es nun ein Mahl da ist und nicht mehr zu ändern steht, das Gute zu suchen? Ich habe immer über die Thoren gelächelt, die die Miene verziehen, wenn Jemand hingerissen von einem grossen nächtlichen Brande herrlich ausruft. Oder ist das Gewühl einer Schlacht, in deren herrlicher Beschreibung HOMER’S Genius sich erschöpft, weniger menschenfeindlich, als ein solches Bombardement? So gestehe ich Dir denn, dass ich wohl jene grossen Szenen des nächtlichen Brandes dieser Stadt gesehen haben möchte! Feierlich stille, sagen die Augenzeugen, war es rund umher in der Nacht, als die ersten Kugeln über den Rhein her in die Stadt geworfen wurden. Man hörte nur bissweilen das Anrufen der vordersten Wachen der belagernden [8] Heere. Ein dicker Nebel lag über Mainz, kein Sternchen erhellte den Himmel. Da ward durch einen Kanonenschuss von Wissbaden her das erste Signal zum Bombardiren gegeben. Nur einzelne Schüsse folgten dann anfangs, dann wurden sie anhaltender und heftiger. Die feurigen Kugeln durchstreiften Schlag auf Schlag die Luft, und erhellten das dunkle Thal. Die Thürme von Mainz erschienen immer heller und heller durch die Nacht, und erschienen brennend in den Fluten des Rheins. Rund um erbebte die Gegend, und ein dumpfer Donner tief aus den Bergen her liess sich drei und vier Mahl hören, biss sich das Echo in der Ferne verlor, und von neuem geweckt ward. Die flammende Lohe der brennenden Häuser wirbelte durch die Wolken des Rauchs, und die schallenden Kriegslieder der Belagerer erhöhten die Grösse des Schauspiels noch mehr. Gewiss dachte keiner der Zuschauer in diesen Augenblicken an das Geschütz, von dem RAMLER sagt:

Wer zur Verheerung blühender Geschlechter,
Dich an das Sonnenlicht gebracht,
Hat ohne Reue seine Mutter, seine Töchter
Frohlockend umgebracht.

Gegen Abend ging ich nach Hochheim. Meine Freunde waren schon da. Dieser Ort würde in [9] andern Ländern eine Stadt heissen. Hier nennt man ihn einen Flecken, das heisst, einen Ort, der etwas mehr als ein Dorf ist. Die Häuser sind alle wohl gebaut, und reinlich wie ihre Bewohner.

Wir forderten eine Flasche Nektars, Hochheimer Gewächses. Unser Wirth brachte uns einen gewöhnlichen Rheinwein, den man vor dem Kriege in Mainz mit 30 Xr. bezahlte. Er war höchst mittelmässig, wiewohl auf diesen Hügeln gereift, und auf Hochheim’s Keltern gepresst.

Die Lage des Berges bestimmt die Güte des Weines. In einer Entfernung von einigen hundert Schritten findet man das beste und schlechteste Gewächs. Jenes gehört grösstentheils dem Domkapitel, und findet sich nur in seinen Kellern und an den Höfen fremder Fürsten unverfälscht. Wer von den Einwohnern von diesem Nektar erntet, hat mehr Vortheil, wenn er ihn im Ganzen verkauft, als im Orte selbst an seine Gäste ausschenkt.

Eine Gesellschaft neufränkischer Musikanten mit einigen Offiziers, die sich zu uns gesellten, verherrlichten das Fest des Rebengottes, das wir hier feierten. Das göttliche Marseiller Lied gab unsern Herzen den Schwung, der uns zu dem Eintritte in die Republik würdig machte. Ein kleiner Ball von den Mädchen des Dorfs, die in der That verdienten [10] Republikanerinnen zu sein, aufgeführt, begann noch spät in der Nacht, und erst als die Sonne in den östlichen Gebirgen sich zu zeigen begann, schwärmten wir wie Bachanten von der Höhe in das Thal, wo sich der Main mit dem Rheine vermählt und sangen die herrliche Strofe nach der Melodie des Rheinwein-Lieds:

Am Rhein, am Rhein, da rufen edle Brüder:
:: Die Freiheit lebet noch. ::
Herab den Flor, und füllt den Becher wieder,
:: Sie lebe lang und hoch! ::

An den Barrieren von Kastel legitimirten wir uns als Republikaner; schüttelten den Staub von unsern Schuhen, und zogen voll Erwartung in das neugeschaffene Mainz ein, das ich vor 5 Jahren in dem schlimmsten Zustande verlassen hatte.

Mainz schlief, als wir durch die engen Strassen an der Südseite wanderten. Niemand begegnete uns, ausser einigen Soldaten, die sich auf den Posten ablös’ten. Selbst in dem Wirthshause, wo wir einkehrten, konnten wir erst nach einem halbstündigen Pochen die Köchinn erwecken, und ich hatte, bis der Koffe gebracht wurde, Musse genug, die Abschrift eines Briefes über Mainz vor der letzten Besitznahme durch die französischen Truppen, [11] den mir ein Freund in Frankfurt mitgetheilt hatte, zu lesen.

„QUIS CLADEM ILLIUS NOCTIS, QUIS FUNERA FANDO EXPLICET AUT POSSIT LACRIMIS AEQUARE, LABORES! URBS ANTIQUA RUIT, MULTOS DOMINATA PER ANNOS: PLURIMA PERQUE VIAS STERNUNTUR INERTIA PASSIM CORPORA PERQUE DOMUS, ET RELIGIOSA DEORUM LIMINA.“

Es war. Dieser Gedanke begleitet alle meine Schritte. Wo ich hinkomme, nichts als militärische Zeichen, und traurige Spuren der Belagerung. Biss zur tiefen Indolenz ist der ehemahls jovialische Mainzer herab gesunken. Eine todte Stille herrscht in dem goldenen Mainz, die nur zuweilen durch das Geräusch der Waffen unterbrochen wird. Überall ungewohnte Gesichter, ausgestorbene Gassen, alle Häuser beschmutzt, das Theater geschlossen, alle Musik eingestellt, die schönsten Kirchen in Spitäler und Magazine verwandelt, die Denkmäler des Alterthums umgestürzt, die ganze Stadt wie eine Landschaft, die die Pest hinter sich gelassen hat.“

„Der ehemahlige Gassenlärm ist nicht mehr. Alles sitzt hinter den Riegeln seines Hauses. Bekannte kennen ihre Bekannte nicht mehr, und Freunde sind verdächtig geworden. Ich ging in einige [12] Häuser, wo ich vor mehrerern Jahren gern gesehen war. Aber Misstrauen und Furcht hat die Freundschaft vertrieben. Bei jedem Geräusche fährt man auf, als pochte ein östreichischer oder preussischer Soldat an dem Thore; als käme ein Spion, um in dem Heiligtum der Freundschaft einen Klubbisten zu suchen. Es ist das alte herrliche Mainz nicht mehr.“

„In den Wirths- und Koffe-Häusern finden wir nichts, als Militär. Niemand getraut sich mehr, wie ehemahls, bei einer Flasche von den Rechten der Menschheit zu sprechen, oder aus einer Zeitung die Triumfe der Franken laut zu verkündigen. Höchstens raunen sich nur Busenfreunde einander in’s Ohr: die fränkische Armee steht vor den Thoren. Nichts regt sich mehr gegen ein Ungeheuer, das seine Grösse auf Unterdrückung und Zerstörung baut.“

„Ich ruhte in der Dämmerung auf dem Thiermarkt aus. Zwölf Kanonen standen da aufgepflanzt. Ein Augustiner-Mönch von frischem Ansehen ging in dem Schatten, und sah einem Schmetterlinge nach, der unter dem Baumdache flatterte. Ein preussischer Soldat, der da Wache hielt, liess sich mit ihm in ein Gespräch ein. Der Mönch fühlte die ganze Last seines Standes, aber nach der Wiedereroberung [13] von Mainz war alle Hoffnung der Erlösung verschwunden.“

„Der schöne Platz vor dem Dom weckte die Geschichte der Vergangenheit in meiner Seele und die einbrechende Nacht stimmte sehr gut zu meinen Empfindungen. In der Ferne tönte die dumpfe Metten-Glocke von den Augustinern her.“

„Auf diesem Platze war es, wo die Klubbisten vor zwei Jahren ihren Freiheits-Baum errichteten, und eine Säule mit der Inschrift:

VORÜBERGEHENDER,
DIESE STADT IST FREI.

Hier war es, wo die Zeichen der geistlichen Regierung verbrannt, und die Kokarden der Freiheit zuerst aufgesteckt wurden. Der Eisenblock DIETHER’S VON ISENBURG liegt von seinen Pfeilern gestürzt auf der Erde. Der Bürger WEDEKIND hielt davon folgende Rede.

„An dem Tage, als die Herren Franken mit ihrer siegreichen Armee in Mainz einzogen, waren es 300 Jahre, als der Erzbischof DITHER VON ISENBURG mit Hilfe der Franzosen die Mainzer aller ihrer Freiheiten beraubte. Die Bürger baten damahls um die Wiederherstellung derselben. Aber der Kurfürst liess ein Eisen, 7 Schuh lang und 3 Schuh

[14]

dick auf drei Pfeilern errichten, und sprach im ächten Despoten-Ton: Seht da einen Butterwecken! wenn den die Sonne wird zerschmolzen haben, will ich euch euere Freiheiten zurückgeben. Nach 300 Jahren rücken die Herren Franken in Mainz, und die Sonne der Wahrheit hat den Butterwecken geschmolzen.“
„Wie wär’s, meine Herren, wenn wir morgen früh zu unserm grossen Beschützer und Wohlthäter, dem General CUSTINE gingen und ihm den Zweck dieser Motion vorstellten? Ich bin überzeugt, er denkt zu gross und menschenfreundlich, als dass er uns etwas versagen könnte, Dann ziehen wir um 3 Uhr in feierlicher Prozession, von der Musik begleitet, die den Marseiller Marsch spielt, vor das Stadtgerichts-Haus, zertrümmern das Eisen und lassen aus seinen Ruinen Denkmünzen prägen, die diesen grossen Tag bezeichnen. Dann, meine Herren, errichten wir einen Freiheitsbaum, und tanzen um ihn!“

„Die Spuren des Angriffs während der Belagerung sind auf diesem Platze vorzüglich sichtbar. Besonders ward die Kuppel des Doms sehr stark dadurch beschädigt. Ein Offizier zeigte mir mit vielem Wohlgefallen diese Zeichen der gestürzten [15] Sanskülotterie, wie er sagte, und spielte mit der linken Hand an den Klunkern seines Degens. Ich liess das gut sein. Aber ein Seufzer, der mir unwillkührlich entfloh, machte, dass der Offizier sich mit verächtlichen Blicken von mir wandte. Ein Mensch, der ein Mahl ein unveräusserliches Recht unter der stärkern Gewalt von sich geben muss, lässt sich unendlich viel bieten. Und wäre es nicht Unbesonnenheit gewesen, hier nicht zu schweigen?“

Lass uns auf dem Balkon des Schlosses die süssen Träumereien der Vorzeit wieder zurückrufen! sagte ich zu einem meiner Universitätsfreunde, der mich in meinem Gasthofe aufgesucht hatte. Die ehernen Feuerschlünde, durch die wir uns auf dem herrlichen Schlossplatze gewunden haben, sind hinter uns. Wir stiegen von einem preussischen Invaliden geführt, die hohen Stufen hinan. Die prächtigen Zimmer sind mit Kranken angefüllt. Unser Fuss eilt auf der Verwesung umher. Die göttliche Aussicht vom Balkon ist für uns verloren. Der stolze Rhein, die Schiffbrücke im halben Mond über den Fluss gewunden, das Gewimmel auf den Schiffen, die Himmelanstrebenden Festungswerke bei Kastel, die Bergstrasse, der Flecken Hochheim dort auf dem Hügel, die Vermählung der Flüsse dort in der Ferne, meine freundliche [16] Lieblingsaue, die Ansicht des Schlosses von Biberich und die blühenden Dörfer des Rheingaues, wie oft haben sie mich entzückt. Aber wie könnt ihr mich jetzt für den widrigen Eindruck entschädigen, den die Zeichen des Kriegs hier auf mich machen! Verstümmelte Krieger, die in diesem Paradiese für die Wiederherstellung der Königswürde bluteten, winseln mir aus den verpesteten Sälen entgegen, und strecken ihre Hände aus, um dem Mitleid der Vorübergehenden ein Allmosen für die Linderung ihres Schmerzes abzubetteln. Mörderische Schlachten sind gefochten, die öffentlichen Häuser mit Krüppeln angefüllt, und eine ganze Generation tief in namenloses Elend gestürzt. Vor anderthalb Jahren sah ich an der nemlichen Stelle einen zum Krüppel gehauenen jungen fränkischen Soldaten. Mit aufgeheiterter Miene, und einer Stärke, der Alles weicht, erzählte er mir von dem schrecklichen Gefechte, in dem er den rechten Arm verloren hatte, und voll edlen Feuers, schloss er mit den Worten: es lebe die Republik. Eine Thräne, die ich heute über die Wangen eines östreichischen Veterans rinnen sah, erstickte die Erzählung von dem Sturme der Batterien bei Weissenau. Er sagte nicht: es lebe der Kaiser. – Gott gebe uns Frieden! betete er [17] leise, und ich verliess mit meinem Freunde diese Halle des Elends, voll von der vortrefflichen Stelle aus dem Buche:

ZUM EWIGEN FRIEDEN.
Wenn es Pflicht, wenn zugleich gegründete Hoffnung da ist, den Zustand eines öffentlichen Rechts, obgleich nur in einer in’s Unendliche fortschreitenden Annäherung wirklich zu machen, so ist der ewige Friede, der auf die bissher fälschlich sogenannte Friedensschlüsse (eigentlich Waffenstillstände) folgt, keine leere Idee, sondern eine Aufgabe, die nach und nach aufgelös’t, ihrem Ziele (weil die Zeiten, in denen gleiche Fortschritte geschehen, hoffentlich immer kürzer werden) beständig näher kommt.

„Die Vernunft dem blinden Glauben zu unterwerfen, und die Freiheit des Geistes an die Bande der Willkühr zu fesseln, erschöpfte PHILIPP von SPANIEN den reichsten Winkel der Erde, kamen spanische Soldaten in das Herz von Brabant, und erlagen in einem Kampfe, dessen glorreiches Ende sie nicht geadelt hätte. Hier werden Völker von der türkischen und russischen Grenze zusammen gezogen; eine furchtbare Macht, durch glückliche Siege begeistert, durch blutige Kriege und [18] beispiellose Mannszucht gehärtet; Völker, deren blosse Namen schon Schrecken bereiten, – und gehen im Meere der Freiheit unter.“

Indem war unser Frühstück bereitet und Mainz erwacht. Wir machten uns bald auf den Weg, die Stadt in Augenschein zu nehmen. Aber wie ganz anders fanden wir es jetzt, als es mein Briefsteller vor zwei Jahren gefunden hatte. Die dem Mainzer eigenthümliche Fröhlichkeit zeigte sich wieder in der buntesten Mischung mit Leichtsinn und Genuss. Wo ich eine alte Bekanntschaft wieder fand, sprach man mit Entzücken von der Zukunft, und suchte dadurch das Ungemach der Gegenwart zu vergessen. Jene düstere Falte, die durch den langen schrecklichen Krieg und den nicht selten bleiern drückenden Mangel auf ihren Gesichtern stand, war durch den Genuss der neuen, freilich biss jetzt noch für den diesseitigen Deutschen wenig wirksam gewesenen Freiheit, völlig verwischt. Mich freute das jovialische Volk, das sich sein Paradies so ganz mit lieblichen Farben zu malen weiss. Alle die unerschwinglichen Auflagen seit sechs Jahren, und die Verwüstung der Gefilde ringsumher wird uns schon das neuerschienene Götterkind mit Wucher vergelten, sagen sie. [19] Glücklich die Regierung, der es gelungen ist, die öffentliche Meinung für sich zu bannen!

Ich ging auf den Platz, wo ehmahls die Favorite gestanden hat. Sie lag an der westlichen Seite der Stadt, an den Ufern des Rheins. Menschenleer, wie ausgestorben fand ich jetzt die Gegend. An der Stelle der zertrümmerten Statüen stand aufgethürmtes Brennholz zum Verkauf. Was Verschwendung und Geschmack, Bequemlichkeit und Wollust, Schönes und Genussvolles erfinden können, war sonst hier für den Kenner und Liebhaber beisammen. Die Natur selbst hatte sich mit dieser Anlage verschwistert. Die Kurfürsten SCHÖNBORN und STADIAN haben sich die Favorite zum Sommeraufenthalt erbaut, nebst einem Garten, der mit der schönsten Mannichfaltigkeit sich kreuzte, und die lieblichsten Parthieen bildete. Die unaussprechliche Schönheit der Natur ringsumher machte diesen Ort zu einem der prächtigsten in Deutschland. Kaiser JOSEF missgönnte ihn dem Kurfürsten.

Hier habe ich mich auf einer umgestürzten Pappel niedergelassen. Zu meiner Rechten schwimmen auf dem majestätischen Rhein blühende Auen.

[10] Zu meiner Linken das unglückliche Mainz, aus dem mir kriegerische Schaaren entgegen ziehen und sich an den traurigen Überbleibseln aller der ehemahligen Schönheiten zu laben scheinen.

Hinter mir der Schutthaufen eines Pavillons, ehemahls der Liebe und der Musik geweiht.

Vor mir das mit Schiffen und Kanonen bedeckte Ufer des Flusses, und in der Ferne der Main, auf welchem das blosse Auge einige Fischer in ihren Kähnen mit Netzen entdeckt.

Dort das Fort von Kastel, aus dem nach so mancher Widerwärtigkeit und so manchen überstandenen Stürmen der König von Preussen endlich in das schlecht vertheidigte Mainz einzog, und den unüberwundenen Franken Gelegenheit zu neuen Triumfen gab; wo die armen Mainzer Flüchtlinge, junge Mädchen, Weiber, Kinder und Greise, vom Hunger aus der Stadt getrieben, durch ein mörderisches Kartätschenfeuer zurückgejagt wurden.

So sitze ich hier, und mein Herz schwimmt in Wehmuth über die Erinnerungen an die Vorzeit. Ich lasse in diesen öden Mauern noch ein Mahl die reizenden Bilder meines Jünglings-Alters vor meiner Seele vorübergehn, und dann fort von [21] dieser traurigen Stätte in die Stadt, wo mir schönere Gestalten begegnen.

An einem kühlen Sommerabend vor sechs Jahren, Tags darauf, als der Kurfürst hier dem Kaiser und Könige von Preussen das grosse Fest gab, ging ich mit einem Freunde der Gleichheit und nachherigen berühmten Klubbisten unter dem Schatten der nun verschwundenen Bäume spazieren. FORSTER hatte damahls schon von dem künftigen Schicksale der Bewohner dieses Ufers mit prophetischem Geiste gesprochen. In dem Gartensaale war der Kurfürst mit dem Auswurfe der Emigrirten versammelt. Die Thränen des Landes hingen an den Leckerbissen der Tafel. Wir hofften; aber wir dachten nicht an diese Ruinen, vor denen die Menschheit schaudert.

Lass mich’s wiederholen, mein Freund, was ein gefühlvolles Weib von FORSTER’S Tode sang.

Weltumsegler, Du suchtest auf pfadlosem Ocean Zonen,
Wo die Unschuld der Ruh’ böte vertraulich die Hand –
Edler Forscher, was fandest Du dort? die Kinder der Erde
All’ an Schwachheit sich gleich, alle dem Tode geweiht.
Sohn der Freiheit, Du öffnetest ihr die männliche Seele,
Ihr, die vom Himmel herab sandte der Vater zum Heil –

[22]

Ach, es wandte die Göttin sich schnell von der blutigen Erde!
FORSTER, Du schwebtest mit ihr hin, wo Dein Glaube sich lohnt.

Ewig denkwürdig wird für Mainz der grosssprecherische und feige CUSTINE bleiben, der durch seine Gehilfen zuerst am Rhein Furcht und Schrecken verbreitete und allgemeines Freudengeschrei unter den Freunden der Revolution bewirkte. Schade, dass dieser Mann es war, den die ersten Köpfe in Mainz vergötterten, und ihm einen Weihrauch streuten, der in Republiken nicht geduldet werden sollte. Seine Proklamationen (meist BÖHMER’S Werke) enthalten Alles, was man von der Art lesen kann. Wie staunt man nicht, wenn dieser fahrende Ritter, der nicht ein Mahl Muth hatte, den von der Natur selbst überwundenen Preussen ihre Magazine bei Koblenz wegzunehmen, und den unvertheidigten Ehrenbreitstein zu besetzen, sich planlos in der Wetterau herumtreibt und gegen den Landgrafen von Hessenkassel predigen lässt.

Wenn es wahr ist, dass Mainz damahls durch Verrätherei oder feige Übergabe in die Hände der Franken gekommen ist, so wird diess doch immer noch für die Despoten eine schreckliche Warnung [23] sein. Aber es gefällt mir nicht, dass die meisten Herren, die nachher in dem Klubb eine so freie Sprache geführt, vor der französischen Invasion fast alle dem Despotismus Blumen gestreut haben. Doch müssen FORSTER und HOFFMANN und noch ein paar Andere davon ausgenommen werden. Dieser sprach schon vorher mit hoher Freimüthigkeit, und streute als Lehrer bei der Universität französischen Samen in die Herzen seiner Zuhörer, der nachher auch wirklich die gehofften Früchte getragen hat. Noch klingen jene merkwürdigen Worte in meinen Ohren, die er im Winter des Jahrs 1791 öffentlich in dem Kreise junger Männer gesagt hat, als seine vortrefflichen Vorlesungen über das Naturrecht durch Hofkabalen hintertrieben worden waren:

„Es wird eine Zeit kommen, meine Herren, wo man öffentlich und laut von angebohrnen Rechten der Menschheit sprechen wird. Nach zwei Jahren denke ich in diesen Mauern die Geschichte des Kurfürsten öffentlich zu predigen.“

Es konnte nicht fehlen, dass gleich nach der französischen Besitznahme die meisten jungen Herzen der Freiheit zufielen. Der Kurfürst selbst hatte die Hand dazu geboten. Auf der hiesigen Universität [24] waren die Lehrstühle mit entschiedenen Freunden der Revolution besetzt. FORSTER, EICKEMEIER, DORSCH, HOFFMANN, BLAU und WEDEKIND lehrten öffentlich, was man sich in Mannheim und Koblenz nicht in dem Zirkel der Freundschaft zu sagen getraute.

Diese Freiheit, wodurch der Kurfürst selbst die Fortschritte der Vernunft begünstigte, ist seine schönste Regententugend, und wir wollen dafür gern rücklings den Mantel der Liebe über seine Pudenda werfen. FORSTER sagte von ihm:

„Menschen, deren Gefühl anders ahnet, im Geiste des Friedens vereinigt; die Vernunft von unwürdigen Fesseln befreit; Deutschlands Hippokrates und Deutschlands Tazitus vom Blick des Regenten erkannt und geschätzt, Volksmenge und Betriebsamkeit vermehrt; Brot dem Dürftigen und Aufheiterung dem Fleissigen gespendet; der Müssiggang den Wissenschaften zinsbar gemacht; – diese Thaten reden lauter als mein Dank.“

Die empörenden Nachrichten, welche die Bonzen des Despotismus von den Mainzer Klubbisten in Europa herumgetragen haben, waren Schwärmern ähnlich, die von muthwilligen Knaben in die Luft geblasen werden, einen Augenblick in der Finsterniss [25] funkeln und dann mit Gestank zerplatzen. Wir wissen es jetzt recht gut, dass in dieser Gesellschaft oft eine unanständige Sanskulotten-Sprache geführt wurde, dass man Dinge darin verbreitet hat, die nicht zu beweisen waren; diess ist aber nun ein Mahl der gewöhnliche Fall. Wenn der Geist seine lang getragenen Fesseln abwirft, so erhebt er sich doppelt mächtig über die Schranken der Convenienz, biss er sich an das blendende Licht gewöhnt. Auch kann nichts anders erwartet werden, so lange ein Staat nicht aus lauter vollkommen vernünftigen Menschen besteht. Indessen hat dieser Klubb doch auf dem linken Rheinufer herrlich gewirkt, und biss tief in die Mittelklasse hinab, Ideen verbreitet, welche die Bewohner dieser düstern Gegenden dem schönen Ziel näher bringen, das ihnen gegenwärtig bevorsteht. Er erweckte die Willensfreiheit wieder, wenn auch nicht durch schöne glänzende, wenigstens doch durch erlaubte Mittel. Es war ein hartnäckiger Kampf streitender Kräfte von beiden Seiten, aber die Vernunft erhielt ihre angebohrnen Rechte wieder, und riss sich von der harten Sklaverei los, die doch nicht fest genug gegründet war. Denn, wer das Aufblühen der Freiheit gänzlich hemmen, und die Willensfreiheit an ewige eiserne Gesetze binden will, muss [26] Künste und Wissenschaften vor allen Dingen unterdrücken. Und diess that man nicht, und wirkte dadurch ohne Vorsatz zu dem Flor des heimlich ausgestreuten Samens mit.

Es muss jeden braven Mann freuen, dass man die harte und unmenschliche Behandlung der gefangenen Klubbisten in den preussischen Staaten gleich nach dem zu Basel mit der Republik geschlossenen Frieden freimüthig beurtheilte. Jene Behandlung liess sich gewiss mit den weisen Reformen in dieser Monarchie (die nach ihrer Verfassung vielleicht noch etwas mehr als Monarchie ist) wodurch Friedrich II, und sein zweiter, mehr als sein unmittelbarer Nachfolger, gewaltsame Revolutionen entfernen.

LAUKHART hat in seiner Biographie sich freimüthig darüber erklärt, und mehrere Aktenstücke von der Behandlung der Klubbisten abdrucken lassen. Merkwürdig ist die Sprache in diesem Theile des Buchs, sowohl in Rücksicht des Orts, wo sie geführt werden darf, als des Mannes selbst, der sie im Munde trägt.

Es wäre keine überflüssige Arbeit, wenn ein unterrichteter Mann all die damahls gehaltenen Reden und erschienenen Pamphlets als einen Beitrag zur Geschichte sammelte. Ich kann mich nicht [27] enthalten, mit einem sehr vollendeten Gedichte, das sich in der damahligen Flut verlor, und wenig bekannt geworden ist, diesen Brief zu würzen. Man hat es fast allgemein SCHNEIDER’N zugeschrieben. Ich kann aber versichern, dass ein ganz Anderer der Verfasser ist, den ich aber aus andern Rücksichten, die nicht die meinigen sein können, nicht nennen darf. Man kann daraus ganz vorzüglich die damahls geführte Sprache kennen lernen.

DER FRANKE AN DEN DEUTSCHEN.
Hört, Thuiskons Heldensöhne,
Was das Volk der Franken spricht.
Sei es, dass die Kriegs-Trompet’ ertöne,
Und die Erd’ von unsern Schritten dröhne
Euch betrügt der Franke nicht.
     Nur dem Frevler, dem Verräther,
Dräuet unser Kriegspanier.
Eine Horde schwarzer Missethäter,
Feige Söhne hochberühmter Väter,
Suchen und zerstäuben wir.
     Lange sprachen fremde Mächte
Unserm Vaterlande Hohn;
Drum erwacht der Franke zum Gefechte,
Denn es gilt die Freiheit und die Rechte
Einer grossen Nation.

[28]

     Ha! es gilt auch eure Rechte,
Ha, es gilt der Menschheit Glück!
Unterliegt der Franke im Gefechte:
O so beugt die Kniee, werdet Knechte,
Völker kehrt zum Joch zurück.
     Nein! wir werden nicht erliegen,
Nein! wir sind und bleiben frei!
Keiner wird in’s alte Joch sich schmiegen:
Hört es, Völker, STERBEN ODER SIEGEN,
Ist der Franken Kriegsgeschrei.
     Hör’ es Kaiser der Germanen;
Uns betrüget kein Despot.
Deine Bonzen, Schmeichler und Uhlanen
Mögen’s lesen, was auf unsern Fahnen
Wehet: FREIHEIT ODER TOD.
     Fluch und Tod dem Erdensohne,
Der sich uns entgegen stemmt.
Stürzen soll der Fürst von seinem Throne,
Und zertreten werden dessen Krone,
Der das Glück der Menschheit hemmt.
     Aber Heil dem niedern Dache,
Wo der stille Landmann wohnt:
Unsre Heere dienen ihm zur Wache,
Nur dem Frevler folget unsre Rache,
Der auf Gold und Marmor thront.
     Reicht als Brüder uns die Hände,
Rächt mit uns der Menschheit Ehr’!
Sprecht: „ES KOMME DER TYRANNEN ENDE,
UND DAS SCHÖNSTE BILD DER GOTTHEIT SCHÄNDE
KEINE SKLAVEN-KETTE MEHR.“

[29] Ich will mit denen nicht hadern, die in einigen starken Ausdrücken dieses Gedichts den Ton des Sanskulotten finden wollen.

Jenseits des Berges im Osten der Stadt, wo vor dem Gauthor sich der Fuss des Wanderers in die Tiefe eines anmuthigen Thales senkt, findet man Ruinen, die über anderthalbtausend Jahre der Vergänglichkeit trotzen. Nahe bei dem Dorfe Zahlbach erblickt man von fern einen Haufen, wie von Thürmen, in einer regelmässigen Reihe hinter einander gebaut. Wir gingen wohl eine halbe Stunde zwischen denselben umher, und staunten nicht wenig, als wir sahen, dass wir uns unter den Ruinen der Wasserleitung befanden, die der römische Feldherr DRUSUS hier angelegt hat. Die Pfeiler davon waren die Kolossen, die uns in der Ferne wie Thürme erschienen. Die meisten sind 30 bis 40 Fuss hoch, auch wohl noch höher, und die Steine davon in merkwürdiger Unordnung so fest zusammen gefügt, dass wir nur mit Mühe einige Stücke davon herunter schlagen konnten. Da und dort hängt noch ein behauener grosser Quader von der äussern Bekleidung. DRUSUS hat über diese Pfeiler auf eine Stunde weit das Wasser in sein Lager geleitet.

[30] Besonders ehrwürdig war uns der Anblick dieser Fragmente des römischen Unternehmungsgeistes.

Von ihnen kamen wir auf eine Dammstrasse, unter welcher eine römische Heerstrasse fortläuft; auch ein Denkmahl römischer Grösse.

Mein Wegweiser sowohl, als unser Gefährte machten viel Aufhebens von dem sogenannten Eichelsteine, der ein Monument des DRUSUS sein soll, welches ihm seine dankbare Nation, nachdem er in diesen Gegenden vom Pferde gestürzt war, errichtet hat.

Wir gingen nun von unserer Strasse seitwärts der Stadt zu, nach Süden hin, wo alles ein trauriges und wüstes Ansehn hatte. Wir gingen über verfallene Gärten und Lusthäuser und neu angelegte Festungswerke, und kamen endlich an den Eichelstein, welcher diess Mahl das Ziel unserer Wünsche war.

Wir fanden, was wir suchten. Ein ungeheurer Steinkoloss ward uns als das Denkmahl des römischen Feldherrn gezeigt, ohne alle Ordnung und Inschrift. Hohes Unkraut wuchs rund umher, und rankender Epheu kroch aus den Spalten der Mauer. Unten gingen Ziegen, und kletterten mit den Vorderfüssen an den Steinen hinauf. Eine republikanische Schildwache hatte sich die letzten noch übrigen [31] Quadersteine von der Bekleidung zum Sitze gewählt.

Die völlige Erschöpfung der mainzischen Staatsfinanzen, die schon seit vieler Jahre nicht geheilt werden konnte, verursachten die Besuche des jetzigen Kaisers und des Königs von Preussen gleich nach der Krönung zu Frankfurt. Hier war es, wo von den deutschen Fürsten auf Inspirirung der französischen Prinzen der Plan zur Wiederherstellung des Königthums gemacht ward, und das berüchtigte Manifest sein Dasein erhielt.

Die Anstalten zur Bewirthung der allerhöchsten und hohen Gäste, die aus allen Winkeln Deutschlands zusammen strömten, waren ausserordentlich. Verschwendung, Pracht, Kunst und Geschmack wurden vereinigt und tausende verschwendet, während man sich hier in der Nähe mit dem Hafersacke schleppte.

Nichts gleicht diesen Festen, wobei man sich in eine Zauberwelt versetzt glaubte. Die Favorite war in ein Feenschloss umgeschaffen. Man denke sich in einer herrlichen Sommernacht die Beleuchtung dieses göttlichen Gartens in seiner Lage an den Ufern des Rheins, und die flammenden Berge rund um in der Fern, wo man unter einem Gedränge von Menschen, wie am hellen Tage umher [32] wandelte, in Wolken von Wohlgerüchen. Wie sich die Beleuchtung in den schwarzen Fluten des Rheins spiegelte, einige Auen mitten in dem Flusse erhellte, die Höhen von Hochheim und Platte im dunkeln Schatten zeigte, und so sich allmählig in den Wipfeln der jenseitigen Berge verlor. Wie sich dann nach und nach aus den Krümmungen des Flusses hervor in der Ferne, die mit tausend und aber tausend Lämpchen beleuchteten Schiffe zeigten, und wieder hinter den Inseln verschwanden, biss sie endlich im vollen Glanze ihrer Herrlichkeit mitten auf dem Flusse im Angesichte der Favorite ankerten. Wie mit einem magischen Stabe war auf ein Mahl eine Ruhe über die unendliche Menge von Zuschauern verbreitet, kein Athemzug ward gehört, Alles hob sich auf die Zehen, um diese Wunder anzustaunen; keiner drängte den Andern, biss der Donner der Kanonen das allgemeine Schweigen brach.

Franzosen versicherten, dass die glänzendsten Feste des wollüstigen französischen Hofes mit diesen nicht zu vergleichen gewesen wären.

Tags darauf ward Befehl gegeben, dass die Stadt beleuchtet und jeder Hauseigenthümer im Unterlassungsfalle mit harter Strafe angesehen werden sollte. Hier zeigte sich deutlich die Stimmung [33] der Bürger. Mitten unter diesen glänzenden Festen, die hier noch nie gesehen worden waren, erhob man die Stimme laut. Die Stadt wurde so schlecht erleuchtet, dass in mehrern Strassen bei der Dunkelheit der Nacht kein Wagen in dem Zuge zu erkennen war, der sich in einer ungeheuern Linie die Kreuz und Querre auf eine Stunde weit durch die Stadt schlängelte.

Wenige dachten wohl daran, dass dieser Ort der Pracht, wo die Vereinigung der deutschen Mächte gegen Frankreich ihre eigentliche Consistenz erhielt, drei Monate hernach in den Händen eben desjenigen Volkes sein würde, das man mit Feuer und Schwert zu vertilgen und seine Wohnungen der Erde gleich zu machen sich vorgenommen hatte.


[34]
II.
8. Praireal.     

Seit die Republik dem Kaiser und Reiche in der Hauptfriedensbasis die Abtretung des linken Rheinufers dictirt hat, trägt man sich von Tag zu Tag mit neuen Gerüchten über die verschiedenen Modifikationen in Rücksicht des künftigen Schicksals dieser Länder. Jene entscheidende Antwort der französischen Minister zu Rastadt; dass die Zeit der Zögerung nun vorbei sei, hat aber die Anhänger des alten Sistems und besonders die geistlichen Herrn mit Entsetzen erfüllt. Es ist nun kein Zweifel mehr übrig über die verschiedene Bedingungen, die die Gesandten des deutschen Reichs zu Rastadt noch machen wollten. Ein Volk, das nach den glorreichsten Thaten, ohne Beispiel in der Weltgeschichte, die Dictatur in allen Staatsgeschäften mit seinem Blute erkauft hat, zeigt eine unbegreifliche Mässigung, wenn es den Überwundenen noch von Bedingungen sprechen lässt. Eine so unerwartete Nachgiebigkeit, und die beispiellose Mässigung BUONAPARTE’NS, die Trophäen seiner Siege nicht auf dem Stephans-Thurm [35] in Wien aufstecken zu wollen, liess Deutschland erst wieder zu sich selbst kommen, und der Geist, der bei solchen Grossthaten zu Boden stürzt, erhob sich allmählich wieder nach dem 26. Vendemiaire 6, diesem merkwürdigen Tage, der eine Monarchie, einst das Schrecken von Europa, wieder herstellte. Nur hier blieb es uns vorbehalten, die jungen Früchte von dem Baume der Freiheit zu brechen.

Lass mich einen Augenblick bei dem sonderbaren Begehren der deutschen Stände stehen bleiben. Wenn du darauf bestehst, meine Briefe dem Publikum vorzulegen, so weiss ich gewiss, dass die Unbefangenen dort drüben mich und meine Meinungen nicht zum Scheiterhaufen verdammen werden. Ja ich weiss es, dass die dortigen Auserwählten, besonders in Berlin, wo sich der Geist ohne Fesseln regen darf, schon längst die völlig unbedingte Abtretung dieses Rheinufers gegen Entschädigungen als das nöthige Opfer für die Wiederherstellung der endlichen Ruhe in dem durch die Plagen des Kriegs so hart bedrängten Deutschland angesehen haben.

Die deutschen Fürsten glauben es von der Republik erhalten zu können, dass die auf den abgetretenen Ländern haftende Schulden nicht auf [36] die Entschädigungen übergetragen werden sollen, die man ihnen jenseits zugestehen wird. Das waren gewiss grässliche Worte für das Ohr der neuen Republikaner. Aber eben so gewiss ist es auch, dass es nichts als Worte sind. Mag der die Schulden bezahlen, der sie gemacht hat, das ist ja selbst die Regel unseres conventionellen bürgerlichen Lebens, und nicht etwa eine Ketzerei, die ich predige. Vierzig Millionen mögen es immer sein, und das ist freilich keine unbedeutende Summe für diesen kleinen Landstrich! Aber wie sind sie entstanden? In den Provinzen, wo keine Landstände sind, wie in der Pfalz, hat sie der Kurfürst nach seinem eigenen Willen gemacht. Die kleinern Reichsstände von der Grafenbank und die edle Reichsritterschaft thaten nur eine Frage an ihre Agnaten, und auch wohl nicht ein Mahl an diese. Die erhobenen Gelder wurden meist über den Rhein gebracht, und da von den kleinen Herren im Dienste grösserer Fürsten verzehrt. Es gab ja Herrschaften hier, die in einem Menschenalter nicht von ihren ehemahligen Gebietern besucht wurden. Seit die Pfalz mit Baiern vereinigt war, und der Kurfürst seine Residenz nach München verlegte, flossen jährlich ungeheure Summen von dem diesseitigen Ufer dahin. Nur eine unbedeutende [37] Kleinigkeit der Abgaben ward im Lande selbst verzehrt, und unter den Pfälzern selbst wieder in Umlauf gesetzt. So gingen die Einkünfte von dem hessischen Antheil nach Kassel, von den Niederlanden nach Wien, von dem Herzogthum Aremberg nach Brüssel, und keiner der Grafen und Herren wohnte auf seinen Gütern. Ich will nicht läugnen, dass noch ein Theil der Schulden aus dem Kriege des vorigen Jahrhunderts diesen Ländern anklebt, und dass die damahligen königlich-französischen Räuberhorden, die am Rhein ihre Schande verewigten, selbst die Veranlassung dazu gegeben haben. Aber die Schulden der neuern Zeiten sind anders entstanden. Dort baute Einer ein Schloss, das eine halbe Million Gulden kostete, weil es ihm in dem alten nicht mehr gefiel; hier will ein Anderer mit königlichem Glanze bei der Kaiserkrönung erscheinen; ein Dritter braucht das Geld, um sich ein glänzendes Hofglück zu verschaffen; ein Vierter, um eine militärische Charge zu kaufen; ein Fünfter, um der Nimrod dieses Jahrhunderts zu werden, und Armeen von – Hunden und Katzen ernähren zu können; ein Sechster, um Maitressen zu bezahlen; ein Siebenter, ein Achter und ein Neunter – wer kann es erzählen, wozu sie es gebraucht haben? Schulden, [38] von denen mit Evidenz erwiesen werden kann, dass sie zum Besten des Landes selbst gemacht worden sind, mag es darunter wohl äusserst wenige geben, und diese könnten immer (wenn nicht auch die stärkere Macht ein Opfer zu fordern berechtigt wäre) auf den neu acquirirten Ländern der Republik haften bleiben. Aber die andern müssen nothwendig auf die zur Entschädigung bestimmten Länder übertragen werden. Ich missgönne den verlierenden Fürsten ihren Stand nicht, der ihnen von neuem wieder angewiesen werden soll, aber wahrlich den wünschenswerthen Tausch, mit Schulden überhäufte Länder, die noch nach Menschenaltern an den Wunden des Kriegs bluten werden, für Schuldenfreie hingeben zu dürfen, würde ich ihnen missgönnen. Wer hätte dann wohl mehr Vortheil aus dem ungeheuern Unglücke gezogen, das seit sieben blutiger Jahre an Deutschland hängt? Vor den Schreckenbildern des gegenwärtigen Zeitpunkts dürften sie sich allein nicht entfärben, die das Feuer des Kriegs so recht mit heissem Eifer angeblasen haben, und immer noch mit neuen Kräften fortbliessen, als der König von Preussen am 5. Aprill 1795 zu Basel der Coalition entsagt hatte, und der Freund der Republik geworden war. Politiker behaupten, dass schon [39] damahls der König in die Abtretung des diesseitigen Rheinufers durch einige geheime Artikel des Friedens gewilligt habe, und bei der jetzigen Regierung hat die Republik wohl keine Ursache mehr, an der Aufrichtigkeit dieser Freundschaft zu zweifeln, vielweniger noch an den aufrichtigen Wünschen der königlichen Länder für das Wohlergehen der Republik. In Berlin mag der Gesandte seine dreifarbige Fahne ausstecken; das Publikum wird nicht dabei, wie bei einem wunderbaren Meteore zusammen laufen. O gewiss, die Freiheit des Geistes ist unschätzbar! und ein König verdient doppeltes Lob, wenn dieses Menschenrecht ihm heilig ist.

Wir sind hier ganz ruhig bei den Hoffnungen der kleinern Stände und der Reichsritterschaft. Diese Herren glauben nämlich von der Republik das Recht zu erhalten, ihre Herrschaften auf dem diesseitigen Rheinufer noch ferner, so wie ungefähr Landsassen unter der Landeshoheit, besitzen zu dürfen. Nein! grotesker ist nie ein Gedanke in einem noch nicht verbrannten Gehirne ausgeheckt worden. Haben wir doch schon ein sprechendes Beispiel in den Niederlanden, wo die Glieder der ehemahls regierenden Familie ihre Güter binnen einer bestimmten Zeit verkaufen müssen. Es ist [40] schon an sich mit dem republikanischen Geiste unverträglich, dass Jemand von Adel, im Dienste eines Fürsten, oder wohl selbst gar irgendwo Herr über Land und Leute, Bürger sein soll. Wir wären dann hier wieder dem Schicksale dienstbarer Bauern hingeworfen, und um nichts gebessert. Oder wollen sie wohl gar ihre Güter durch eingesessene Bürger verwalten lassen, und nur die Einkünfte ziehen, um sie im Auslande zu verzehren?

Was nun die Titel betrifft, die abgelegt werden sollen, so könnte ihnen die Republik diese Schelle immer noch vergönnen, wenn es nicht gewisse politische Rücksichten gäbe, über die sich kein Verhältniss hinaus setzen kann. Der König von England führte seit Jahrhunderte den Titel: KÖNIG VON FRANKREICH. Die Zeit ist gekommen, wo er ihn wird ablegen müssen. Aber es wird der Republik schwerlich einfallen, jenem Herrn in Mietau den Beinamen LUDWIG XVIII KÖNIG VON FRANKREICH abzufordern; wenn sich die geistlichen Kurfürsten von Montabauer, von Aschaffenburg und von Linz genannt haben. Freilich wird die Sache noch ein Paar Sitzungen zu Rastadt veranlassen, denn es giebt ja überall noch Leute, die sich von ihrem leeren [41] Schellengeklingel und tönenden Erz nicht abmüssigen können.

Eine herrliche Acquisition für die Republik werden die Rheininseln sein, die zusammen genommen an Flächenraum wohl ein kleines Fürstenthum aufwiegen mögen; freilich ein Fürstenthum ohne Leute. Was man aber von der anmuthigen Lage dieser Auen und von ihren übrigen Vorzügen sagt, ist keineswegs übertrieben. Sie zeichnen sich alle durch freundliche Ansichten und Fruchtbarkeit aus. Die Mönche, die zu den Zeiten des papistischen Despotismus sich immer das Beste zuzueignen wussten, haben sich auf einigen dieser Inseln schon vor Jahrhunderten festgesetzt, und durch ihre damahlige Industrie (die muss man ihnen zugestehen) den wüsten Boden kultivirt. So und durch den Aberglauben und heiligen Betrug des Mittelalters sind fruchtbare Äcker und Gebäude, Pällästen ähnlich, entstanden, die hier der Erlösung von den jetzigen Müssiggängern entgegen seufzen. Rings umher ist die Natur so schön, wie sie sich kaum schöner an dem Rhein darbietet.

Da ist gleich unter der Stadt ein Inselchen, das ich mir zum Liebling erkohren habe. Da sitze ich, meinen GESSNER in der Hand, glücklicher, als ein arkadischer Schäfer. Ich gehe an diesen [42] milden Frühlingsmorgen aus dem östlichen Thore, wohl eine Viertelstunde unter rauchenden Pappelweiden, die der Krieg von der herrlichen Allee noch übrig gelassen hat. Mein alter Schiffer wartet schon an der bezeichneten Stelle in seinem bemoos’ten Kahn, und bringt mich durch die heilige Stille mit plätschernden Ruderschlägen hinüber. Es vergeht kein Tag, dass ich nicht eine Stunde da sitze. Da kommen dann die lieblichen Kinder des Pächters mit jungen Früchten im Körbchen und duftenden Blumen, winden Kränze für mich, und ich lese ihnen dafür eine Stelle aus meinem HÖLTY vor. Wenn ich zurückkehre, fahren sie mit mir an das jenseitige Ufer, und lassen mich nicht, biss ich ihnen versprochen habe, am andern Tage wieder zu kommen.

Wenn ich wie ein Maikäfer in diesem Meere von Wollüsten herumschwärme, träumt sich mein Geist in den ewigen Sommer der Palmenländer. Wenn ich im hohen Grase liege und die Vögel um mich her in den Ästen buhlen und ihr Morgenlied singen, verliert sich mein Blick in den gekrönten Bergwipfeln des jenseitigen Ufers, und ich werfe Griffel und Papier weg, und fange am andern Morgen wieder zu zeichnen an, und komme nicht weiter. In diesem Taumel von Empfindungen, [43] Wünschen und Einbildungen lässt sich nichts zu Papier bringen.

Ich ging in den Dom. Aber ich kam nicht mit dem hohen Eindrucke zurück, den ich wohl ehemahls in diesem ungeheuern Gebäude empfangen hatte. Für mich haben die von geistlicher Habsucht zusammen geschleppten Schätze (traurige Bilder der Vormundschaft, welche die Priester seit Jahrtausenden über das unglückliche Menschengeschlecht ausgeübt haben) keine Reize. Vielleicht ist auch die Zeit nicht mehr fern, wo jeder rechtschaffene Mann es für Schande halten wird, eine Dompräbende anzunehmen; wo man für die Besoldung, die man vom Staate erhält, auch Arbeit verlangen wird. Glücklich ist man hier in Mainz, dass dieser Zeitpunkt nicht erst erwartet werden muss.

Es ist auffallend, in welchem Tone die ehemahligen Sinekuristén stets ihre reine Absichten für das Glück der Menschheit betheuerten, und dadurch sich in ihrem ruhigen Besitz und Genusse zu erhalten wussten. Wer aber Lust hätte, ihre Aufrichtigkeit in Zweifel zu ziehen, darf sich nur in der Geschichte der letzten 6 Jahre umsehen. Ich wenigstens bin Keiner von denen, die da zugeben, dass es durchaus in der Natur des Menschen liege, das allgemeine Beste zu wollen, ohne erst von [44] Privatabsichten sich leiten zu lassen. Glücklich genug ist noch ein Land, wenn da, wo Dummheit und Blödsinn auf den obersten Stufen herrschen, die Umstehenden das Unglück noch verhüten, welches ein völliger Einsturz des in schwachen Händen befindlichen Gebäudes verursachen könnte. In der Ungebundenheit des höhern Adels und in der Unmöglichkeit von Seiten der Bürger, ihren trotzigen, recht zum allgemeinen Schaden ausgesuchten Anmassungen Schranken zu setzen, lag schon lange ein Keim, der für die Zerstörung mächtig aufzuschiessen anfing.

Ich hoffe es von den nächsten Jahren der Ruhe, dass sie die arabische Monstrosität dieses Doms in einen einfachen Tempel umschaffen werden. Die zwei oder drei köstlichen Stücke der Bildhauerkunst, die sich hier befinden, verdienen erhalten zu werden, und kein Franke wird die Miene verziehen über das herrliche Denkmahl des Grafen LAMBERG, der zu Anfange dieses Jahrhunderts die französische Armee aus Mainz vertreiben half. So oft ich dieses Meisterstück des Meisels betrachte, stimmt sich mein Herz zum stillen Ernst, und zur sanften Theilnehmung an dem Manne, dem sein Vaterland die Rettung von jenen zügellosen Horden verdankte.

[45] Aber was sollen die übrigen Verzierungen, diese Auswüchse des stupiden Geistes des Mittelalters? dieser überladene Prunk? diese Steinklumpen von geharnischten Rittern, ohne Kunst und Interesse der Person? diese geheiligten Fetische? dieses unbewegliche Gitterwerk? diese prächtigen Polster, weiland für die Domherrn gemacht? dieser mit kleinlichen Zierrathen überladene Thurm, zwar erst 40 Jahre alt, aber darum nicht minder das Meisterstück des verdorbenen Geschmacks?

Wahrlich, die Verse über dem Eingange des Doms haben keinen Sinn:

HAEC QUI TEMPLA SUBIS, AD COELUM ATTOLLITO MENTEM,
SINTQUE PROCUL NUGAE, SIT SCELUS OMNE PROCUL.

Wenn du weisst, dass man hier zehn Kollegiatstifter, sieben Pfarren, fünf Mönchs- und vier Nonnenklöster findet, so kannst du jetzt schon auf die Revolutionen schliessen, die nun hier bevorstehen. EMMERICH JOSEF, der letzt verstorbene Kurfürst, der, wie RISBECK sagt, zuerst seinen geistlichen Schaafstall auszumisten anfing, hat für sein Zeitalter genug gethan. Nun sich Alles diess mit dem Geiste der Republik nicht weiter verträgt, muss das ganze Sistem niedergestürzt, und dadurch [46] der Geistlichkeit ihre unbedingte Macht über die Meinungen des Volks entrissen werden. Denn sie war es, die die Unwissenheit unter dem Volke verewigte, und Irrthum, Wahn und Betrug gegen den äonenlangen Kampf der Vernunft vertheidigte. Zwar haben die Einwohner von Mainz schon auf dem Wege zur Sittlichkeit und Kultur allen ihren katholischen Brüdern den Rang abgelaufen. Während der Aberglaube rund um sie her allmächtig sein Haupt erhob, lag diese Hider hier, wie der Papst, an der Auszehrung krank, lange vorher schon, ehe die Fahne der Freiheit von diesen Mauern wehte.

Man wird nicht leicht unter einer Anzahl von 30000 Menschen so viel leichtsinniges Vertrauen zu sich selbst finden, als unter diesen. Heiter, offen und wohlwollend gegen Jedermann, anhänglich bei der losesten Berührung, enthusiastisch für das Neue und Ungewöhnliche, aber auch eben so unbeständig, wenig energisch, und wankenden Sinnes, – so hat sich der Mainzer in diesen bedeutenden Zeiten gezeigt. Er hat wohl zuweilen gern ein wenig vernünftig handeln wollen, aber dann wünschte er auch bald wieder, dass es hübsch beim Alten bleiben möchte. Daher sein schnelles Emporjauchzen um den Freiheitsbaum; daher sein Widerstreben [47] und sein Geschrei des Unwillens, das er bei der Belagerung über die Revolution der Neufranken erhob. Es ist allso begreiflich, dass hier eigentliche Vaterlandsliebe nicht zu Hause gehören kann, die sich mit dem grossthuerischen Halbwissen gar nicht verträgt.

Im Taumel der Freude über CUSTINE’NS Einzug hatten die Mainzer wie Bachanten um den Freiheitsbaum getanzt und ausgelassen geschwärmt, aber es war nur ein Wunderglaube an die Franken, und sprudelnde Vergötterung der neuen Verfassung, ohne inneres Selbstgefühl und lauteres Bewusstsein angebohrner Menschen-Rechte, wie es die Amerikaner und Franken hatten. Kaum waren aber die neuen Besitznehmer abgezogen, und hatten den Preussen und mit diesen der alten Regierung wieder Platz gemacht, als sich ein entgegen gesetzter Schwindel aller Köpfe bemächtigte. Alle Herzen schlugen wieder dem Kurfürsten entgegen. Man spannt die Pferde von seinem Wagen, und trägt ihn unter Jauchzen und Frohlocken auf den Schultern die Treppe des Schlosses hinan; eben den Mann, gegen den man kurz vorher im Klubb die wütigsten Reden mit angehört hatte, und dem man vorwarf, dass er mit dem Gelde des Landes einen empörenden Luxus verbreitete.

[48] Mag man immerhin die Liebe zum Vaterlande eine Schwachheit nennen, die ernstesten Philosophen verzeihen sie, und wir werden den Menschen gut, die aus diesem Triebe grosse Thaten thun. Ich erinnere mich hierbei jenes armen Westfälingers bei Möser’n, der nur darum wieder aus Holland nach Hause kam, um seinen mit Silber beschlagenen Pfeiffenkopf, seine silbernen Knöpfe und sein Halstuch zeigen zu können. Mich freut es, dass seit eines Vierteljahres, nach einer Liste des Munizipalitäts-Gerichtes über 300 ausgewanderte einheimische Handwerkspursche zurückgekehrt sind, die der Republik freiwillig ihre Dienste gegen England angetragen haben. Mit einem theilnehmenden Gefühle blicken wir auf diese Leute hin, die entschiedene Vorliebe für die neue Verfassung zeigen.

Das grosse Werk der freien Rheinschifffahrt, das die Republik den deutschen Fürsten aufdringt, wird gleich nach geschlossenem allgemeinen Frieden die schönsten Früchte tragen. Die Zölle, die schon der Engländer THOM WILKES in der letzten Hälfte des dreizehnten Jahrhunderts mira insania Germanorum nannte, diese Zölle waren Schuld daran, dass die meisten Waaren, die aus der Gegend von Lüttich und Malmedi kamen, auf der [49] Achse fortgebracht wurden, dass wir hinter unsern handelnden Nachbarn weit zurück blieben, und die Waaren aus der Ferne um ein Drittheil höher bezahlen mussten.

In Deutschland denkt man gar nicht daran, den Handel gemeinschaftlich zu kultiviren, denn dergleichen Geschäfte werden auf dem Reichstage als Lappalien betrachtet. Einer jagt dem Andern durch schlechte Waaren, die er wohlfeiler geben kann, den Vortheil ab, statt, dass man nach den Grundsätzen der Franzosen, Engländer, Holländer und anderer handelnden Nationen darauf bedacht sein sollte, schönere, wohlfeilere und dauerhaftere Sachen zu produziren, und damit den Absatz in’s Ausland zu befördern. Wenn in Deutschland an eine Vereinigung zu denken wäre, so würde diese von einem unendlichen Vortheil sein.

Bissher trieb Mainz nichts als Speditions-Handel. Seine Schiffer standen meist im Solde holländischer und frankfurter Kaufleute, und führten für diese die Waaren auf und ab. Grosse und kühne Spekulateurs, wie in Hamburg oder Amsterdam fand man gar nicht, so vortrefflich diese sich auch mit den Landesprodukten hätten beschäftigen können. Der Wein, das erste Erzeugniss dieses Landes, gab nur einen kleinen Schwung in den [50] Spekulationen merkantilischer Köpfe. Der beste Theil davon gehörte den Pfaffen, die entweder selbst damit Wucher trieben, oder ihn verzehrten, oder aufsparten, um ihn in Missjahren desto theuerer absetzen zu können. Der Frachtfahrer verdiente nur sehr wenig bei diesem Handel, und der nützliche Kaufmann musste zusehen, wie ein privilegirter Stand, der, ohne die Lasten des Staats tragen zu helfen, auf allen Seiten von der Regierung begünstigt ward, ihn um seinen Verdienst betrog. Die Bürger von Mainz drangen zwar oft auf die Abschaffung solcher Missbräuche, sie konnten aber gegen den eisernen Freiheitsbrief des Adels nichts ausrichten, so lange der Fürst selbst von seinen Ständen, dem Domkapitel, abhängig blieb.

Angeerbte Adelsrechte ruinirten hier den nützlichen Bürger.

Ich habe zum letzten Mahl vor unserer Abreise, die auf morgen festgesetzt ist, einen Queerzug durch die Stadt gemacht. Die herrliche Aussicht und der noch herrlichere Spaziergang auf der Rheinbrücke ist immer neu. Ich ging während meines jetzigen Aufenthalts an den heitern Frühlingsmorgen und Abends, wenn sich die Sonne hinter den Bergen verlor, oft dahin. Aber das [51] Gewühl der Spaziergänger hat sich sehr vermindert. Die jungen Republikanerinnen in Mainz haben noch nicht Muth genug, sich unter das Kriegsgetümmel zu wagen, das hier wegen der Verbindung mit dem Fort von Kastel, und so lange ein Theil unserer Armee noch jenseits des Rheins stehen wird, die schönen und sittsamen Frauenzimmer verdrängt. Doch sah ich auch schon oft die Frauenzimmer aus dem hohen Bürgerstande am Arme republikanischer Offiziere vertraulich und heiter auf den offenen Plätzen der Stadt umher wandeln. Die Gesetzgeberinn PARIS in dem Reiche der Moden ist durch die neue Gesetzgeberinn in der Politik nichts weniger als verdrängt. Du siehst hier Damen mit goldenen Ringen in den Zehen, und nur mit einem leichten durchsichtigen Flor bedeckt, auf den öffentlichen Spazierplätzen erscheinen, in geschmackvollen Kabriolets, den Zügel und die Peitsche in der Hand, durch die engen Strassen rollen, und im Theater die republikanischen Märsche auf der Flöte begleiten.

Wenn nach dieser Zeit das Fort von Kastel sich zu dem Flor erheben wird, den es vorher gar nicht gehabt hat, ich meine, wenn sich Künstler und Manufakturisten unter dem Schutze der Freiheit etabliren, dann werden wir die Rheinbrücke [52] als einen schönern Vereinigungspunkt der beiden Festungstheile und als den Hauptsammelplatz der freien Welt betrachten können.

In der Stadt selbst haben die schönen Maientage die junge Welt auf dem Thiermarkt zusammen gelockt. Dieser herrliche mit Bäumen bepflanzte Ort, in dem prächtigsten Theile der Stadt hat seitdem unendlich gewonnen. Man findet jetzt die Gesellschaft gemischter, und wird nicht von dem eckelhaften Unterschiede der Stände gequält, den wir ehemals hier bemerkten. Der Bürgerstand hat jetzt diese Stätte, den ehemahligen Sammelplatz des rund umher wohnenden Adels, und seiner Kreaturen, erobert. Diese, die immer noch an die Wiedergeburt der alten Regierung glauben, schleichen jetzt gebeugt an den Wänden hin, so wie man mehr und mehr von dem neuen Sistem sehen lässt, das ihnen den gänzlichen Untergang droht. Diejenigen, die sich aus blosser Furcht zu der demokratischen Parthei geschlagen haben, werden aber aus den Zirkeln der ächten Volksfreunde eben so unbarmherzig ausgeschlossen, wie weiland der hiesige Adel, der die Reinheit seiner Geburt durch ein Papier mit sechzehn Ahnen beweisen musste, den Bürgerstand ausschloss. Einige Wenige aber, denen man Kenntnisse und inniges Gefühl [53] für die Rechte der Menschheit nicht absprechen kann, werden nun merklich geschätzt und geliebt, da sie in den Bürgerstand zurückgetreten sind, von dem sie ehemahls gegen ihren Willen von dem Schwalle der Schranzen und Flachköpfe entfernt gehalten wurden.

Alle alten Völker haben ihren Adel gehabt, sagen die Herren, und ihr Republikaner selbst, die ihr doch von begünstigten Volksklassen nichts hören wollt, habt euern Adel. Warum wollt ihr denn uns, die wir seit Jahrhunderten das Recht auf unsere Güter ersessen haben, aus euerer Mitte vertreiben? Vor einigen Wochen hatte sogar Einer die Kühnheit, hier öffentlich eine Schrift über die Rechte des Adels diesseits des Rheins zu verbreiten, und sie dem Regierungs-Kommissär zur Prüfung vorzulegen. Er bekam aber die lakonische Antwort: Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen. Seit der Zeit haben sie wieder ein Pamphlet in Unlauf gesetzt, worinn sie zu erweisen suchen, dass sie in der That arbeiteten. Das Ganze läuft aber zuletzt auf eine alberne Schnurre hinaus, die dem Publikum viel Spass gemacht hat. Ein Kammerherrn-Schlüssel, der kein Gemach öffnet, ist freilich eine schwere Last, und täglich eine Singstunde im Dom, die man aber allenfalls abkaufen [54] oder von einem Andern halten lassen kann, ist ein würdiger Dienst für einen Gehalt von 4000 Gulden.

Wer mit den Vorurtheilen, die man im nördlichen Deutschland von der Leckerei und den kostbaren Speisen dieser Rheingegenden hat, hierher kommt, wird sich nicht wenig getäuscht finden. Der Östreicher klagt hier immner noch über schmale Mittags-Tafeln. Indessen muss man doch gestehen, dass der Mainzer recht gut für den Körper zu sorgen weiss. Er hält, wenn ich nicht ganz irre, die Mittelstrasse zwischen östreichischer Vielesserei und brandenburgischer und sächsischer Nüchternheit. Man findet hier kein Fräulein schlafend mit einer gebratenen Gänsekeule im Munde, aber auch keine gebratenen Kartoffeln auf dem Tische des bemittelten Bürgers. Der Reichthum des Landes rund umher und der Zusammenfluss der Leckereien in dieser Hauptstadt, haben durch den Krieg nur sehr wenig gelitten, und in Mainz selbst werden bald die letzten Spuren davon verschwunden sein. Überhaupt waren die Nachrichten von dem Ruin der Stadt nach der Belagerung übertrieben. Wenn ich fünfzig Brandstellen zähle, so ist diess gewiss für eine Festung von diesem Umfange äusserst wenig. Eigentlichen Schaden hat der Bürgerstand nur sehr [55] wenig gelitten. Die meisten abgebrannten und ruinirten Gebäude sind Kirchen und Klöster, und adelige Häuser, die freilich die Stadt unendlich verschönerten. Am meisten rührten mich die Trümmer der herrlichen Domprobstei und der Karthause. Es hat gleich nach der Wiedereroberung der Stadt durch die Preussen Leute gegeben, die sich mit den Nachrichten herum trugen, als ob die Klubbisten vorsätzlich Feuer in diese Häuser geworfen hätten. Ich will nicht läugnen, dass die Spannung zwischen den Freunden der Gleichheit und der Hofparthei den höchsten Grad erreicht hatte, und jene auf alle nur mögliche Weise Gelegenheit suchten, sich an dem Adel zu rächen. So mag denn auch, nachdem ein Mahl die Übergabe der Festung an den König von Preussen beschlossen war, der Gedanke bei ihnen entstanden sein, den Aristokraten durch die Zerstörung ihrer Palläste den empfindlichsten Schlag zu versetzen. Besonders scheint mir diess bei der Domprobstei und dem Ingelheimischen Hofe wahrscheinlich, deren Besitzer stets völlig entschiedene Gegner der Volksparthei waren. Kein Unbefangener wird aber diese kleinliche Rache billigen, besonders, wenn sie an so ausgezeichneten Theilen der schönern Baukunst verübt wird, wie die Domprobstei war. Ein warmer [56] Republikaner zeigte mir vor einigen Tagen mit Wohlgefallen diese Trümmer des gestürzten geistlichen Regiments, und wunderte sich nicht wenig, dass ich mit seinen Gefühlen nicht einstimmen wollte. Ich wenigstens kann nicht glauben, dass das Dasein eines solchen Pallastes den Republikanern gefährlich ist. Selbst in Paris hat man zu einer Zeit, wo der Ruin aller öffentlichen Kunstwerke, die an das Königsthum erinnerten, an der Tagesordnung war, nicht daran gedacht, das Palais-royal zu demoliren. Man verwandelte es vielmehr in Maison d’Egalité, und kein Mensch findet etwas Arges dabei.

Die öffentlichen Vergnügungen, bei denen sonst der Hof den Ton angab, waren vor der Revolution zahlreich und prächtig genug, um Leckermäulern aller Art Nahrung zu verschaffen. Man fand hier eines der ersten Theater Deutschlands, auf dem ein KOCH, CHRIST und PORSCH die Kunst verherrlichten; ein Orchester von RIGHINI dirigirt, und Hämlinge, die für die ersten Sänger galten. Von allen dem lässt sich aber nun nichts weiter sagen, als: es war.

Es ist nicht zu läugnen, dass in wissenschaftlicher Hinsicht jetzt Alles sehr verwildert ist. Die Schrecken des Krieges vertragen sich nicht mit den [57] Musen. Die bekannten Gelehrten wurden schon gleich Anfangs von ihren Verhältnissen weggetrieben. Wir haben aber eigentlich nur an MÜLLER’N und HEINSE’N einen Verlust erlitten. Der übrige Tross von Brotstudenten, die sich auf den Kampfplätzen der Theologie und römischen Jurisprudenz herum trieben, ist leicht zu entbehren. Die schöne Aussicht in die Zukunft, wenn unsere kraftvolle Jugend, von der Freiheit genährt und erzogen, auftreten wird, muss uns für den Mangel der Gegenwart entschädigen. Es ist zu erwarten, dass nach der Wiederherstellung des Friedens diese Gegend der Sammelplatz von vielen in Deutschland privatisirenden Gelehrten wird, da man hier eine völlige Freiheit der Meinungen geniesst, und das Land überdiess durch seine Lage und Fruchtbarkeit anlockt. Dann wird die deutsche Literatur in Frankreich noch stärkern Eingang finden, als sie jetzt schon durch die Bemühungen der Bürger MILLIN, GUYTON, MORVEAU, CAMUS, MOREAU, GREGOIRE, CHENIER und FOURCROY gefunden hat. Es ist gar nicht zu erwarten, wie Einige zu voreilig geglaubt haben, dass die Regierung es darauf anlegen werde, nach und nach die diesseitigen Deutschen so mit den Franzosen zu amalgamiren, dass zwischen beiden kein Unterschied bleibt. Am allerwenigsten [58] wird man ihnen ihre Muttersprache nehmen, eine Grausamkeit, durch welche sich nur die Despoten in der Geschichte ausgezeichnet haben. Gewisse geheime Plane, die nun auch schon jenseits des Rheins in der Stille Aufsehen zu machen anfangen, vertragen sich gar nicht mit einer solchen Absicht, und ich getraute mir wohl zu wetten, dass die Idee von einer paritätischen Central-Schule hier in Mainz, bei der Regierung wirklich Eingang gefunden hat. Es kann nicht fehlen, dass durch eine Anstalt dieser Art der Same demokratischer Grundsätze auch noch auf andern Boden als republikanischen werde verbreitet werden. Ob sich aber viele jungen Leute von jenseits hierher ziehen würden, um die Vorlesungen zu hören, bezweifle ich sehr. Die deutschen Fürsten werden schon durch Befehle dafür zu sorgen wissen, dass der Rhein die Grenze der Meinungen bleibt, wenn nicht schon jetzt sich etwas von unserm Gifte hinüber geschlichen hat. Ich weiss nicht, ob es gegründet ist, dass der preussische Gesandte DOHM den Gesandten der Republik zu Rastadt erklärt habe: „Der König, sein Herr, willige in die Abtretung des linken Rheinufers, verspreche sich aber von der Republik, sie werde von aller Verbreitung demokratischer Grundsätze auf dem rechten Rheinufer [59] abstehen, als er diess sonst als eine offenbare Kriegs-Erklärung ansehen müsse.“

Jetzt, wo das Bedürfniss öffentlich zu sprechen, in den meisten Departements der Republik allgemein geworden ist, jetzt, da man von hier nach dem Geiste der Zeit täglich Pamphlets und fliegende Blätter erwarten sollte, stehen die Pressen müssiger, als vor dem Einmarsche der Franken. Man hört nur sehr selten von einem Schriftsteller des Tages, wie sie in grossen Städten, und da, wo sich merkwürdige Revolutionen ereignen, mit jeder Stunde leben und sterben. Und wenn ja auch ein Mahl einer auftritt, so sieht man seinem Produkte gewiss den Stempel des Despotismus an, dem er eben entronnen ist. Grobheit im Ausdruck, der biss zu den niedrigsten Schimpfwörtern hinunter steigt, unausgebildete Sprache, schneidende und schiefe Urtheile und ein seichter Blick, das sind ihre gewöhnlichen Auszeichnungen. Ich glaube, diese Ausbrüche der niedrigen Leidenschaft bezeichnen nicht bloss die Provinz, da man gegenwärtig in der Hauptstadt sich eben so beträgt; die Lossgebundenheit der jungen Welt, die nun gar keine Rücksicht mehr nehmen zu dürfen glaubt, trägt gewiss das meiste dazu bei. Dem englischen Stolze, und der englischen Ungeschlachtheit will ich [60] es allenfalls verzeihen, wenn nicht allein die Strassenjungen in London, sondern sogar Mitglieder des Parlaments die Helden der Republik Buben und Dummköpfe nennen, wie Herr SHERIDAN neuerlich selbst bemerkt hat. Aber solche Ausfälle halte ich durchaus unter der Würde des Republikaners. Und wenn sie auch kraft der völlig frei sein sollenden Presse geduldet werden müssen, so könnten sie doch von der Geissel anderer Schriftsteller, die bleibende Werke zu Tage zu fördern im Stande sind, bald zum Schweigen gebracht werden.

Man hat vor einigen Tagen einen fanatischen Priester und einige Bettelmönche eingezogen, die mit dem Kruzifixe in der Hand auf den Dörfern herumschlichen und das Volk zu empören suchten. Sie werden morgen dahin deportirt werden, wo man ihre heiligen Hostien, ihre Absolutionen und ihre Versprechungen nach dem Tode besser brauchen kann, als hier. Zum Glücke hat es aber mit der ganzen Sache keine grosse Gefahr, und die Mittel, deren sich die Priester noch gegen das empörte Menschengeschlecht bedienen, werden hier verlacht. Ich wenigstens sehe nicht, worauf sie noch warten wollen. Man wird dem Volke freilich erlauben, sich predigen zu lassen, aber die [61] Priester müssen ihre Lehren dem Willen des Gesetzes unterordnen, und nicht nach ihren Launen und Vortheilen das Volk am Bande des Aberglaubens leiten. Darum ist jetzt neuerlich der Befehl gegeben worden, die Kirchen biss auf einige zu schliessen und die Bildnisse der Heiligen von den öffentlichen Plätzen und Wegen zu räumen. Ich glaube gern, dass manche schwache Seele daran sich ärgern wird, aber ohne Machtsprüche der Regierung würden sich die tief eingewurzelten Vorurtheile des gemeinen Haufens nicht zerstören lassen. Es giebt auch Empfindler, die so etwas für Grausamkeit halten. Wer aber keinen bösen Willen hat, wird mir gern gestehen, dass man dem Juden seinen Bart und seinen Schabbes und dem abergläubigen Katholiken seine Legende und seinen Sonntag mit Gewalt nehmen muss, wenn man ihn bessern will. Solche Schritte werden vorzüglich in den düstern Gegenden der Departementer der Mosel und Saar nothwendig sein, denn da hat das Mönchthum vorzüglich seinen bleiernen Zepter geschwungen, und die Menschen in einer künstlichen Unwissenheit gehalten.

Aber was werden wir mit den Mönchen anfangen? Diese Frage beschäftigt schon lange das Publikum. Es sollte aber jetzt schon, bei den [62] hellen Stralen der Sonne der Wahrheit keine Frage mehr darüber sein. Man kann annehmen, dass sich in den neu erkämpften deutschen Ländern der Republik wenigstens ein Korps von 13000 Trabanten beschorner und unbeschorner Mönche befindet, die biss jetzt theils durch bestimmte Einkünfte, die wegen ihrer Grösse allen Glauben übersteigen, theils durch Bettelei den besten Theil von dem Ertrage des Landes verzehrt haben. Nach einem gemeinen Überschlag befinden sich unter diesem Korps 9000 rüstige Männer. Diesen steht ihr Schicksal schon bestimmt vor den Augen. Sie müssen dem Müssiggange entsagen und ihre arbeitsamen Hände ohne ausgesetzte Pension dem Staate leihen, nicht als Priester (denn diese Leute sind uns entbehrlich) und als verzehrende, sondern als arbeitende und producirende Klasse. Wem unter ihnen diess nicht gefällt, dem steht es frei, die Republik zu verlassen und jenseits nach wie vor den Bettelsack zu schleppen. Die Neugier des Publikums spannt sich jetzt um so mehr auf diesen Gegenstand, da die oben genannten festgenommenen Mönche ihr neue Nahrung gegeben haben. Aber es wird schwer halten, in den ersten Generationen den nachtheiligen Eindruck zu verwischen, den der Fanatismus hier [63] zurückgelassen hat. Noch erinnere ich mich mit Schaudern an die öffentliche Achtung, die ehemahls seine Diener in diesen Ländern genossen, und an die schrecklichen Mittel, die sie brauchten, das Volk im Aberglauben zu befestigen. Ja, wahrlich! sistematischer war keine Unwissenheit, dicker keine Finsterniss, schrecklicher keine Ruthe des erheuchelten und erzwungenen Glaubens, als auf dem platten Lande dieser Gegend; hier, wo man Maitressen fand, und wo Preise auf die beste Vertheidigung des Cölibats gesetzt wurden.

Doch ich muss hier abbrechen. Die Anstalten zu unserer Abreise fordern mir den Rest des Tages ab. Wir sind jetzt nur noch um eine bequeme Jacht verlegen, die uns in zwei Tagen oder zwei Wochen, wie wir unsere Bequemlichkeit finden, nach Koblenz bringen soll.


[64]
III.
Bingen.     

Wir haben in drei Tagen einen Weg von sechs Stunden zurückgelegt. Das Rheingau, durch das wir uns mit dem Flusse gewunden haben, ist grössten Theils hinter uns. Wir haben in Mainz unser Jachtschiff tagsweise bedungen, und können nun nach unserer Gemächlichkeit an’s Land treten und Ausfälle auf die Berge und Dörfer machen. Wir befinden uns jetzt, da schon der dritte Theil unseres Weges biss nach Koblenz zurückgelegt ist, sehr wohl bei dieser Art zu reisen. Wir finden Zeit genug, uns da und dort in einer lachenden Gegend einen Standpunkt zu wählen, und das Ganze vom Ufer aus oder von einem Berge herab zu überschauen. Die Mannichfaltigkeit, die wir dadurch in die Einförmigkeit der Wasserfahrt bringen, hat etwas unbeschreiblich Reizendes. Wir werden nicht müde, uns drei, vier Mahl die nämliche Ansicht zu verschaffen, um sie wieder unter den schönsten Veränderungen schwinden zu lassen.

Unsere Freunde in Mainz hatten die Gefälligkeit, unser Schiff auf mehrere Tage mit Rheinwein und geräuchertem Fleische zu verproviantiren. [65] Aber zwei Mönche, die wir für einige Rosenkränze biss Kaub mitnahmen, hatten unserm Rheinwein schon vorgestern so stark zugesprochen, dass wir uns heute in Bingen mit Noh-Wein begnügen müssen.

Unser Schiff hat ein herrliches Ansehn, und ist mit allen Bequemlichkeiten versehen, die wir uns wünschen können. Wir schlafen und haben unser Visiten-Zimmer darinn. Du musst dir darunter aber keine Plätte vorstellen, auf der wir vor zwei Jahren unsere Reise von Ulm nach Wien gemacht haben, oder ein Fahrzeug, wie sie auf der Elbe gehen. Dort ist die Schiffsbaukunst wegen des Flusses selbst, in der unbehilflichsten Kindheit; man reis’t dort selten zum Vergnügen, und wir haben ja selbst die Erfahrung gemacht, dass auf der Donau bei aller Herrlichkeit der Landschaft und allem Reichthum der Einwohner ausser den Städten kein Schiff zu miethen ist. Aber hier gehört es zur guten Erziehung, wenigstens ein Mahl in seinem Leben die köstliche Rheinreise gemacht zu haben. Es gab so gar eine Zeit, wo diese Gegend in dem Auslande sich in eine Berühmheit gesetzt hatte, die von St. Petersburg biss Neapel ging. Man fragte nicht mehr: Haben Sie die Schweiz bereis’t? – Sind Sie auf dem Rhein [66] gefahren? war der Willkommen für den Mann, der von Reisen kam. So ist denn diese Gegend von dem Weltumsegler FORSTER an biss zu PETER MEFFERT und Consorten hinab, beschrieben, wieder beschrieben, und biss in die hundert Mahl beschrieben und besungen worden. Eben jetzt versucht einer unserer Reisegefährten, ein Augustiner von Kopf, eine Beschreibung des Johannisbergs in lateinischen Hexametern.

Es war um sechs Uhr Morgens, als wir von den Wünschen unserer Freunde begleitet, zu Mainz an Bord gingen. Die Sonne, die so eben den dicken Nebel überwunden hatte, versprach uns den schönsten Maientag. Um halb sieben lichteten wir die Anker. Mit Empfindungen, welche nur Menschen von den besten Eigenschaften in uns wecken können, verliessen wir Mainz. Wir schwammen am linken Ufer, das mit hohen Weiden bepflanzt ist, an der lieblichen Insel vorüber, wovon schon oben die Rede war. Mainz lag in seiner ganzen Herrlichkeit hinter uns; wir behielten den Stefansthurm noch nach zwei Stunden im Gesicht, und wenn wir ihn verloren, so kam er mit schönerm Überraschen plötzlich wieder hinter den Bergen hervor. Die grünen Weidengehege, die der freundliche Frühling mit grauen Blüten überschüttet hat, [67] und die grünen und gelben Saaten um Mombach hatten in die dunkeln Büsche Nachtigallen-Chöre gelockt, die uns einige Stunden weit begleiteten. Der Fluss geht hier sehr breit und träge, weil er von keinen Bergen eingeengt wird, und wir hatten Musse, von dem Verdecke die reizende Flur zu überschauen, die von der Natur mit den mannichfaltigsten Reizen übergossen ist. Sanft und lieblich sind die Gefilde rund umher. Man sieht hier noch nichts von den kühnen Gängen der Natur, die uns weiter hinab mit Bewunderung erfüllen.

In Biberich stiegen wir zuerst an’s Land und gingen über eine grüne Wiese voll lebhafter und schönen Farben und balsamischer Gerüche nach dem fürstlichen Garten, der jedem Reisenden offen steht. Wir fanden hier ein Gemisch von altfranzösischem und englischem Kunstgeschmack, der uns nach dem Genusse der herrlichen Natur sehr widrig war. Der Ort selbst gehört nebst dem Schlosse dem Fürsten von NASSAU-USINGEN. CUSTINE hat ihm nach der Besetzung von Mainz sehr übel mitgespielt. Die Spuren der Plünderung und der nachherigen Einquartierungen sind noch überall sichtbar, und die Wildheit der Sanskulotten hat sich hier sogar an den schönsten Parthieen des Gartens versucht.

[68] Bei Biberich beugt sich der Fluss zur Linken, und strömt fast in gerader Linie biss Bingen hinab. Der spiegelhelle See, den er bei Walluf bildet, wird von drei schönen Inselchen an der Westseite verherrlicht. Die Fluten gehen langsam an dem Blumenrande dieser Auen vorüber. Die Ufer zu beiden Seiten sind mit jungem Laubholz und Saaten geschmückt. Ziemlich steil erhebt sich ein Berg, der sich allmählig landeinwärts zieht, und am Ende mit jener Bergkette verknüpft, die das Amphitheater des Rheingaues bildet. Das Auge wird durch schöne Dörfer überrascht, die an beiden Ufern, je eines am andern, liegen.

Walluf kündigt sich in der Ferne sehr vortheilhaft an. Aber der weisse Anstrich der Häuser missfällt in dem bunten Gemische der grünen Gebüsche rund umher. Hier ist die Thüre zum Rheingau. Wir feierten den Eintritt in das Reich des Weingottes auf unserer Jacht mit republikanischer Musik, und einem Opfer von Rheinwein aus dem Dorfe. Die Einwohner dieses Landes lieben Musik und Tanz, und es war uns leicht, gegen Abend in Gesellschaft einiger fränkischen Offiziere die Mädchen hervorzulocken, und auf einer Wiese voll saftigen Grases dieses Fest zu eröffnen. Die Sonne war prachtvoll untergegangen, und die Kühle des [69] Abends trieb uns in’s Dorf, wo wir in einem reinlichen Wirthshause recht gut aufgenommen wurden. Nach Mitternacht ward unser Fest dem Weingotte zu Ehren wirklich bachanalisch. Jeder lebte nach seiner Regung und Lust. TOURNIER hatte den Einfall, in der That ein Trierikon zu feiern. Er selbst stellte sich in der schönsten Blüthe der Mannheit zuerst als BACHUS dar, und einige beherzte Mädchen schmückten ihm die Stirn mit jungen Weinblättern und Epheu. Einer unserer Mönche war keck genug, im Gewande der Natur die Rolle SILEN’S zu übernehmen. Wir andern, Männer und Frauen theilten uns in Mänaten und Satiren. So ging der Zug bei Fackelschein und Musikchören auf die schöne Insel, dem Dorfe gegenüber, und wir gaben ihr Morgens, zum Andenken an diess heilige Fest, den Namen Naxos. Unser Evoe! erfüllte die Berge rings umher, und wir schwebten in Kreisen und Wonne, biss der einbrechende Morgen unserm Bachanal ein Ende machte. „Es war gewiss ein Götterfest, sage ich mit ARDINGHELLO’N, so viel mannichfaltige Schönheit herumwüthen und herumtaumeln zu sehen, und ich habe in meinem Leben noch kein vollkommener weiblich Schauspiel genossen.“

[70] Nachmittags fuhren wir nach Eltvill. Dieser Ort ist von einem Lustgarten von Wein, Getreide und Obst umgeben, und einer der schönsten Flecken des Rheingaues. Das Auge wird nicht satt, in diese bunte Mischung von Farben zu blicken, die hier an dem reizendsten Ufer in den klaren Spiegel des Flusses hinab gezogen werden.

Das linke Ufer ist hier viel öder und trauriger. Der dürre Flugsand erhält sich von Mainz biss an das Thor von Bingen. Doch wird man oft von lachenden Wiesen und grünen Saaten überrascht. Der Weinbau allein gedeiht hier nicht, weil die Gegend flach ist und die Sonnenstralen durch keine Berge gebrochen werden. Die Reste des grossen Pallastes, den sich KARL der Grosse zu Nieder-Ingelheim erbaute, sind kaum noch sichtbar, und sein Andenken hat sich nur noch in einigen kühnen Mährchen bei den Einwohnern erhalten. Die Aschenhügel der zusammen gesunkenen Jahre haben hier die Frucht seiner Grossthaten bedeckt, und seitdem er ohne Nachfolger gestorben war, fiel sein Volk in das harte Priesterjoch, unter dem es nun schon seit tausend Jahren geschmachtet hat. In den nächsten Jahren der Freiheit, wenn der Geist hier unter dem schönen [71] Himmel fessellos seine Flügel heben wird, wird es erst den Franken gelingen, die Spuren der Verwüstung zu verwischen, die hier dem Lande aufgedrückt sind. Und dann wird auch durch die Kultur die Öde verschwinden, die hier im Angesicht der blühenden Gehege des rechten Ufers doppelt peinigend ist.

Die schönste Ansicht dieses Theils des Rheingaues verschafft man sich unter einem Weidenbusch-Dache, am Ufer auf der Seite von Ingelheim. Alle Reisebeschreiber haben die blauen Schieferdächer der Dörfer am Ufer des Flusses gerühmt. Ich muss aber bemerken, dass mir Ziegel in diesem Gemälde weit besser gefielen, und gewiss würden diese die Ansicht aus der Ferne um Vieles verherrlichen.

Von Eltvill wanderten wir zu Fuss durch das saftigste Frühlingsgrün nach Erbach. Wir kamen an einigen reichen herrschaftlichen Höfen vorbei, aus denen uns die Mädchen mit Blumen-Sträusschen begrüssten, die auf den Wochenmarkt nach Mainz bestimmt waren. Es hatte die Nacht durch geregnet. Jetzt trocknete die Sonne die Nässe von den Auen, und die Kräuter dufteten uns lieblicher entgegen. Die Gegend ist mit Laubholz und Weinreben angefüllt, und der Hintergrund biss an [72] den Fuss des Gebirgs, das sich bei Walluf in die Ferne zurück zieht, mit Gärten bedeckt. Ein inniges Wohlbehagen hatte sich unserer bemächtigt, das aber durch die Zurückgezogenheit der Bewohner von Erbach in seinen seligsten Überströmungen gestört ward. Man findet seit einiger Jahre den geselligen freien Umgang und die zuvorkommende Höflichkeit in dieser Gegend nicht mehr. Das Militär, das sich in diesem Kriege auf mancherlei Art an diesen Arkadiern versündigt hat, hat sie gegen fremde Reisende misstrauisch gemacht. Sie halten jetzt mit den Schätzen ihrer gütigen Natur gegen jeden Unbekannten zurück, und es kostete uns in Erbach viele Mühe, ehe wir ein Glas Rheinwein bekommen konnten.

Nicht besser ging es uns in der reichen Abtei Eberbach, die eine Stunde über dem Dorfe in einem Walde versteckt liegt, und eben darum den Anfällen am meisten ausgesetzt war. Ich hatte ehemahls schon einige bachantische Tage unter den Epikuräern dieses Klosters zugebracht. Man war da, wenn man nur irgend durch einen Vorwand seinen Besuch zu beschönigen wusste, ein willkommener Gast. Jetzt waren die Mönche zerstreut und im Kloster lag fränkisches Militär. Der Pater Kellner, dessen Vertrauen wir endlich [73] durch unsern christkatholischen Glauben zu gewinnen wussten, führte uns unter Thränen in dem ruinirten Kloster umher. Wir fanden hier die prächtig meublirten Zimmer in Wachstuben verwandelt, und besonders den Keller in einem Zustande, der freilich den Mönchen keine Aussicht auf die Zukunft giebt, wenn die Klöster auf dem rechten Rheinufer nach der Wiederherstellung des Friedens wirklich noch beibehalten werden sollten. Ich muss indessen offenherzig gestehen, dass ich in einem schönen Lande lieber eine Abtei finde, als einen adeligen Hof. Der ärmere Theil des Landes hat gewiss noch einigen Vortheil von seiner Gastfreundschaft, und das Geld wird doch wenigstens noch im Lande verschwelgt. Aber der Adel trägt es nach der Hauptstadt, und giebt keine Allmosen auf seinen Schlössern. Der abteiliche Unterthan steht sich auch hier in der That besser, als der ritterschaftliche. Jener hat doch einen Hinterhalt in der Eifersucht des Landesherrn, besonders, da der Weg nach Rom abgeschnitten war. Dieser aber hängt einzig und allein von der Laune seines Tirannen ab, der oft nicht ein Mahl denkt:

Ultimus anser erat; superi vetuere necari.

Glücklich wir, die wir weder Mönche noch Adel haben!

[74] Wir brachten die Nacht in Erbach zu, und fuhren früh Morgens auf unserer Jacht nach Johannisberg, diesem in der Geschichte des deutschen Weinbaues so hoch gefeierten Orte. Die Probstei selbst liegt auf einem Hügel am Flusse, und gewährt einen höchst malerischen Anblick. Ihre weisse Farbe und die Pracht des Gebäudes selbst, wird durch die düstern Berge in der Ferne erhöht, die mit ihren waldigen Häuptern das Amphitheater des Rheingaues bilden.

Hier und in Hochheim wächst der edelste Wein auf und ab dem Rhein. Die Probstei Johannisberg gehört dem Bischof von Fuld, der sie von dem Kurfürsten von Mainz gekauft hat.

Wir stiegen hier an’s Land und zogen von diesem merkwürdigen Orte Erkundigungen ein. Der Fleck, wo die Johannisberger Blume wächst, ist nur sehr klein, aber er hat eine eigensinnige Lage, die ihn den ganzen Tag den Sonnenstralen aussetzt. Unser Führer, der Kellermeister der Probstei, entwickelte uns die Ursachen, warum der Wein hier so vortrefflich gedeiht.

Ein Mahl ist die Lage die ausgesuchteste in dem ganzen Rheingau. Besonders im Monat Messidor brechen sich die Sonnenstralen an dem Abhange [75] des Berges, wo die Blume wächst, so stark, dass die Aufseher aus ihren Hütten wandern und den entgegen gesetzten Theil des Berges beziehen müssen. Ich habe auch in Mainz schon öfters gehört, und selbst FORSTER in seinen unerreichbaren Ansichten findet es wahrscheinlich, dass unter den Hügeln von Hochheim und Johannisberg ein Kohlenflötz durchgehe, und durch seine innere Hitze den Stralen der Sonne noch nachhelfe. Ich sprach mit verschiedenen einsichtsvollen Weinbauern davon. Sie hatten aber entweder keinen Begriff von einem Kohlenflötz, oder fanden sich beleidigt, weil ich mehr wissen wollte, als sie; – und so erhielt ich wenigstens hier keine Aufklärung über diese Meinung. Nur Einer sagte mir, dass er sich noch aus seinem Jünglingsalter erinnerte, wirklich verbrannte Steine aus einem Fundamente getragen zu haben, als die Probstei von dem Bischof von Fuld modernisirt, und der Keller, der unter dem Weinberge hinläuft, ausgebessert wurde.

Es ist erstaunlich, welche Arbeit und Mühe auf diesen kleinen Strich verwendet wird. Die Arbeiter sind immer dabei beschäftigt. Wenn im Frühjahre das Beschneiden und Binden vorüber ist, so giebt der Sommer den Winzerinnen zu thun. [76] Diese müssen von Zeit zu Zeit das aufschiessende Unkraut ausjäten, damit dem Stocke nichts von seiner Nahrung benommen wird, und selbst oft die Frucht von dem wuchernden Laube entblösen, um den Stralen der Sonne Raum zu verschaffen.

Man rechnet, dass Jahr aus Jahr ein hier von der Abtei Fuld hundert Stück Wein geerntet werden. Wenn man nun das Stück nach einem mässigen Preise auf 1200 Fl. anschlägt, so beträgt diess schon eine Summe von 120000 Fl. Und diese wirft eine Strecke Landes ab, die nicht mehr als 120 Morgen begreift!

Von diesem Ertrage fliesst Alles in die Kasse des Bischofs, der hier einen Probst hält, um die Aufsicht über die Berge und Gebäude zu führen. Als Bürger CUSTINE in Mainz war, brandschatzten seine Emissäre auch hier, und einige der kostbarsten Stückfässer wurden nach Paris geführt und die übrigen verkauft. Man schätzt den Schaden, den Fuld damahls hier gelitten hat, auf 200000 Fl. Niemand bedauerte den Bischof und seine Mönche.

Ich habe wohl eher behaupten gehört, dass man den Mönchen gut sein müsste, weil sie die Kultur Deutschlands so sehr befördert, und besonders den Weinbau in diesen Gegenden in Aufnahme [77] gebracht hätten. Dass sich doch die Menschen nicht von ihren Vorurtheilen losmachen können! Sollen wir denn die Erzbischöfe von Mainz ehren, wenn sie nicht ehrwürdig sind, darum ehren, weil BONIFAZ, der erste Bischof von Mainz, den wilden Bewohnern das Pferdefleisch abgewöhnt hat? und sollen wir darüber vergessen, dass eben dieser Mann die päbstliche Hierarchie zuerst in Deutschland gegründet hat? Die Vorfahren dieser Mönche mögen immerhin, wie die Ahnherren des rheinischen Adels, wackere Leute gewesen sein. Niemand wird ihre wirklichen Verdienste bei allen ihren Fehlern schmälern. Aber darum darf es ihren entarteten Nachkommen seit Jahrhunderte her, nicht einfallen, Anspruch auf unsere Dankbarkeit zu machen. Das kann nur von persönlichem Verdienste gefordert werden. Unser Zeitalter schwingt mit Recht die Geisel über entartete fürstliche, priesterliche und adelige Sanskulotten.

Die Aussicht von dem Balkon des Schlosses auf Johannisberg ist bezaubernd. Man hat den ganzen Rheingau vor sich von Biberich biss nach Bingen hinab. Unser Führer hatte die Güte, uns auf dieser herrlichen Stelle mit kalter Küche zu bewirthen, die aus jungen Hühnern und frischem [78] Lachs bestand, und uns trefflich schmeckte. Um den Fuss dieses Hügels laufen Weingärten hin, und man bemerkt mit Vergnügen, wie die Industrie der Bewohner alles so sorgfältig aneinander gereiht, und mit der lobenswürdigsten Sparsamkeit den Raum der kleinen Mauern eingeengt hat, die zum Auffangen der Sonnenstralen unentbehrlich sind. Im Vorgrunde hatten wir den Rhein, der hier in einem trägen Laufe sich fortbewegt, und unter Bingen in den dort zusammengedrängten Gebirgen verliert. Die grünen Wälder im Hintergrunde schienen uns die Hitze des Tags zu mildern. Das Vergnügen, hier zu verweilen, ist ruhig, ungestört und ländlich. Hier wäre der Ort, wo ich mich vor dem Geräusche der Stadt hin retten würde, wenn ich in Mainz leben müsste. Der Grund, warum mir Johannisberg so sehr gefällt, liegt nicht in blendenden und grossen Anlagen der Natur und der Kunst rund umher, die wir erst weiter herab finden werden. Mich ergötzt hier die einfache Natur, und die Mannichfaltigkeit der kleinen schönen Parthieen, und die weite Aussicht, die man hier geniesst, und die von keiner Öde unterbrochen wird. Man sieht hier Dörfer und Menschen und Fluren in lieblichem Gemische, und die Inselchen, die auf dem Flusse zu schwimmen [79] scheinen, ziehen mich besonders an. Dort, am entgegengesetzten Ufer geht eine Heerde Rinder. Die Schallmei des Hirten können wir hier noch hören.

Wir erreichten noch, ehe die Sonne sich neigte, den schönen Flecken Rüdesheim, wo wir übernachteten, und heute Mittag nach Bingen überschifften.

Der Rüdesheimer Wein ist vom ersten Range, und nach dem Hocheimer und Johannisberger ohne Vergleich der beste. Aber er gehört nicht den Einwohnern des Ortes, sondern dem Adel von Mainz.

Johannisberg war der letzte Ort, wo wir die Gegend einfach und lieblich fanden. Schon zu Geisenheim zeigt sich die Natur in einem erhabenern und grössern Stil. Schon von fern sahen wir den trotzigen Berg, auf dem der Graf OSTEIN einen Garten mit einigen Terrassen angelegt hat, die prächtige Aussichten gewähren. Das Dorf selbst ist schmutzig und arm, und kontrastirt mit dem Reichthume der gräflichen Anlagen ungemein. Wir konnten uns der unangenehmen Empfindungen nicht erwehren, die sich uns hier aufdrängten. So verstimmt erstiegen wir den Berg mit Mühe. Aber wir wurden nicht belohnt, weil wir uns in [80] die künstlichen Anlagen, die alle von einem kleinen Geiste des Erfinders zeugen, bei der schauerlichen Natur dieser Gegend nicht zurecht finden konnten. Dem Herrn Grafen mag immerhin sein Werk gefallen. In uns hat es einen widrigen Eindruck hinterlassen.

Bingen ist von innen freundlich genug, von aussen sieht es aber in der Bergschlucht und unter den überhängenden schauerlichen Bergen und Ruinen trotzig aus. Wir kehrten im Riesen, dem besten Gasthofe der Stadt ein, wo wir es gut genug, aber sehr theuer fanden. Die Stadt hat ungefähr 5000 Einwohner, und gehörte weiland dem Domkapitel von Mainz, das sie durch einen Vizedom aus seiner Mitte regieren liess. Der damahls hier bestehende Rheinzoll trug dem Domkapitel allein jährlich 6000 Fl. ein, ohne das, was die Schiffer und Eigenthümer den Zöllnern und dem Vizedom in die Tasche steckten. Der Posten des Letztern war auch nach den Domprälaturen der beste, den das Kapitel zu vergeben hatte, nicht wegen des bestimmten Ertrags, sondern wegen der casuum pro amicis, die der Statthalter hier machen konnte. Einer der grössten Sanskulotten in dieser Rücksicht war der letzte Vizedom, Baron HOHENFELD, der die Stadt und ihr Gebiet recht planmässig zur [81] Restaurirung der zerrütteten Finanzen seiner Familie brauchte. Ich habe aus guten Quellen erfahren, dass dieser Mann hier in kurzer Zeit einen Schatz von 80,000 Fl. gesammelt, und bei der ersten Übergabe von Mainz über den Rhein gebracht hat. Er war der Rache der Bürger zu früh entwischt, sonst hätte es wahrscheinlich hier Auftritte gegeben, wobei es dem Herrn Baron um den Hals gegangen wäre.

Wir haben eben unsern Jachtführer hier verabschiedet, weil wir einen Ausfall in’s Land zu machen gedenken. Wir haben hier den Bürger E... von Kreuznach getroffen, der mit uns ein Paar Tage in der Pfalz herumschwärmen will. Und da ich diese Gegend, den Hauptsitz aller Abderiten-Streiche, nur sehr wenig kenne, so nehme ich das Anerbieten mit doppelter Freude an. Wir haben beschlossen, nach fahrender Ritter Art zu reisen, und die reichen Pächter und Beamten dieser Gegend, wie es braven Republikanern ziemt, tüchtig zu brandschatzen.


[82]
IV.
Bingen.     

Wir bestiegen Mittags unsere Pferde, und ritten über die Noh, die hier eine herrliche Brücke hat, von der die kühne Fabel erzählt, dass sie von DRUSUS gebaut worden sei. Die Noh schlängelt sich durch liebliche Thäler und zeigt an verschiedenen Stellen recht artige Parthieen. Die Abhänge der Berge sind mit Reben bepflanzt; aber der Wein hat kein Feuer und stirbt mit den Jahren ganz ab. Er hat einen leichten und lieblichen Geschmack, und Leute, die sich an den Rheinwein gewöhnt haben, versichern, dass er ihnen wie Wasser schmecke. Handel wird nicht damit getrieben, sondern der grösste Theil in den pfälzischen Landstädten ausgeschenkt.

So wie man Bingen im Rücken hat, und rechts lenkt, erhebt sich ein steiler Berg, der hier die Grenze des Hunsrücks macht. So nennt man den Strich Landes zwischen dem Rhein, der Mosel und Noh. Woher aber diese Benennung eigentlich ihren Ursprung hat, weiss ich nicht. Einige glauben, dass die Hunnen im vierten Jahrhundert [83] biss hierher vorgedrungen seien, aber hier endlich das Ziel ihrer Siege gefunden hätten. Daher die lateinischen Namen: tractus Hunnorum (Hunsrück), castellum Hunnorum (Kastellhunn Kastellaun). Indessen scheint es mir, dass man in jenen Jahrhunderten diese Gegend mit einem Hunde verglichen habe, wie die geographischen Pedanten am Ende des vorigen Jahrhunderts Europa als eine Jungfer dargestellt haben. Der Kopf dieses Hundes ist zwar in der Sage verloren gegangen, aber der Schweif und der Rücken haben sich biss auf den heutigen Tag erhalten. Jener ist zu Koblenz an der sogenannten deutschen Ecke, wo sich die Mosel in den Rhein ergiesst, und jedem Koblenzer unter dem Namen Hundeschwanz bekannt.

Wir erreichten in einer kleinen Stunde die Spitze des Berges, und konnten den fruchtbarsten Theil des Rheingaues wie auf einer Landkarte überschauen. In Nebel lag Bingen zu unsern Füssen; die Sonne spiegelte sich noch in den Fluten des Rheins, der in unserm Perspectiv einen See bildete, an dessen jenseitigem Gestade Rüdesheim zu schwimmen schien.

Erst jetzt entschlossen wir uns, links nach Kreuznach zu reiten, da wir anfangs unsere Reise gerade über Stromberg nach Simmern [84] bestimmt hatten. Wir können nun zum wenigsten sagen, dass wir nicht auf der gebahnten Landstrasse fortgezogen sind. Diess hatte aber auf der andern Seite den Vortheil, dass wir nun mit Recht den Nachrichten widersprechen können, die die Pfalz auf dem Hunsrück als das Paradiess dieser Gegend geschildert haben. Dergleichen Notizen vom Postwagen herab mögen wohl auf den jedesmahligen Bezirk passen, durch den Schwager seine Route nimmt. Wir haben aber in einer Strecke von sechs mühevollen Stunden nichts als unwirthbare Felsen und deutsche Wüsten gefunden. Hier und dort sahen wir indess doch ein ärmliches Hüttchen in den Thälern verloren, und zwischen den Bergschlünden und Felswänden ein Paar Ziegen hängen, die uns an Menschen erinnerten. Wir kehrten auf einem einsamen Bauerhof ein, hatten aber das Unglück (so rühmlich es auch sein mag) zu den Gesetzgebern Europa’s gerechnet zu werden! Denn bei unserm Anblicke kroch die ganze Familie auf den Heuboden, und überliess uns ein leeres armseliges Stübchen, das einzige im ganzen Hause. Erst auf unsere wiederholte Versicherung, dass wir Deutsche wären, kam der Herr des Hauses zum Vorschein. Wir baten ihn, uns Brot in Milch zu brocken. Der arme Mann, obschon er [85] noch von keinem Krieger in seiner abgelegenen Hütte heimgesucht worden war, hatte sich doch von den Soldaten der Republik eine grässliche Vorstellung gemacht, und sein Bild war ihm von Andern mit so hässlichen Farben ausgemalt worden, dass er schon zu zittern anfing, wenn man von Franken sprach. Diese Furcht kam aber, wie wir nachher erfuhren, daher, weil die Republikaner in dieser Gegend einen Müller, der sich von den Preussen als Spion hatte brauchen lassen, unter seiner eigenen Hausthüre aufgeknüpft hatten. Sonst schienen die Leute in diesen abgelegenen Gegenden, wie wir nachher oft zu bemerken Gelegenheit hatten, sich um die politischen Verhältnisses wenig zu bekümmern. Sie sind zu sehr von den Berührungspunkten entfernt, und vor militärischem Besuch durch die Natur selbst geschützt, sonst würden sie gewiss in dem gegenwärtigen Zeitpunkt, mit den öffentlichen Angelegenheiten, wie mit ihren Privatbedürfnissen, sich beschäftigen. Oder irre ich mich? Sind sie vielleicht so sehr unter dem Joche gewesen, dass keine Erschütterung sie mehr wecken kann? O des schrecklichen Köhlerglaubens an Fürsten-Tugend, und Fürsten-Regiment!

[86] Kreuznach ist ein artiges kleines Städtchen, und von der Noh durchschnitten. Seine Lage an dem Eingange zum Hunsrück setzte es in allen französischen Kriegen, und besonders in dem gegenwärtigen, den traurigsten Verwüstungen aus, und der böse Leumund sagt, die Östreicher hätten hier aus Rachgier, weil einige Bürger warm für die Sache der Freiheit gesprochen hätten, wie ihre Brüder im dreissigjährigen Kriege gewütet. Von den 5000 Einwohnern ist ein grosser Theil aus den Ruinen geflohen; die übrigen schmachten im Elend. Der härteste Schlag hat die wenigen, ehemahls hier blühenden Fabriken getroffen. Der Fleiss und die Protestanten hatten dem Städtchen einen blühenden Wohlstand geschenkt, der sich gegen die Tirannei des Aberglaubens endlich emporarbeitete. Aber jetzt stehen die Handwerksstäten leer; die Betriebsamkeit ist verschwunden, und alle Bande der gegenseitigen Festhaltung sind aufgehoben. Eine schädliche Stockung herrscht in den Geschäften der Einwohner. Die Folgen davon sind auch dem blödesten Auge sichtbar. Ohne daran zu denken, dass der Fortgang der Kultur verhindert worden ist, so hat das Sittenverderbniss, besonders in der geringern Volksklasse seit dieses Krieges, sich allgemein gemacht. In dieser kleinen [87] Stadt, wo sonst ein verführtes Mädchen eine seltene Erscheinung war, giebt es jetzt Schlupfwinkel der niedrigsten Wollust, und die Strassen wimmeln von Bettlern und Müssiggängern. Wenn sich vor vier Jahren, als Kreuznach noch die Hauptstadt der vordern Grafschaft Sponheim, pfälzischen Antheils, war, noch Rechtschaffenheit bei den Bürgern erhalten hatte, damahls, als die Beispiele der schändlichsten öffentlichen Verwaltung und des niedrigsten Betruges Jedermann vor Augen lagen, so sind sie jetzt durch den schnellen Übergang von Wohlhabenheit zu Armuth, in moralisches und phisisches Verderben gestürzt worden. Die Schwachen unter ihnen, die dieses Unglück der Freiheit zuschreiben, wünschen den alten Diensthandel zurück, weil er ihnen schönere Früchte zu bringen scheint, als der Baum der Freiheit. So tief mussten diese Menschen sinken! So mussten sie dem Fanatismus und der fürstlichen Willkühr entrinnen, um dem Hunger Preiss zu werden! Doch, ich weiss, es sind ein Paar Funken aus der Fackel der Erleuchtung in die Herzen einiger Einwohner gefallen, und durch sie wird diese Stadt einst einen höhern Wohlstand erringen, als sie jemahls hatte, einen Wohlstand, der nur in dieser Republik zu erwarten ist. Vielleicht ist aber biss [88] dahin ein Menschenalter die kürzeste Frist. So scheint es aus allen Anzeigen.

Ein Bürger, Namens SCHMERZ, soll hier einen schönen Garten angelegt haben. Man machte uns so viel Aufhebens davon, dass unsere Neugierde gereizt ward. Aber die armselige Aufschrift bei’m Eingange:

WANDERER HABE TAUSEND AUGEN,
NUR KEINE HÄNDE!

benahm uns alle Lust, das Innere zu besehen. Schade, dass der Mann nicht an der Spitze einer gräflichen Regierung steht, um sagen zu können:

WER HIER ETWAS ANRÜHRT,
KOMMT IN’S ZUCHTHAUS.

Wir retteten uns unter die Trümmer des alten Schlosses Ebernburg, das ungefähr eine kleine Meile von der Stadt liegt. Hier hat zu Anfang des sechszehnten Jahrhunderts FRANZ von SICKINGEN gewohnt, die Geisel der Tirannen seiner Zeit. Hier war es, wo ULRICH von HUTTEN, der heiligste Apostel der damahls aufblühenden und durch den westfälischen Frieden wieder unterdrückten Freiheit, einen Zufluchtsort fand, vor den Pfaffen und Kurtisanen; wo jene herrlichen Denkmäler des fessellosen, durch nichts zu erschütternden Geistes, entstanden sind. FRANZ von [89] SICKINGEN und ULRICH von HUTTEN, diese unzertrennlichen Freunde voll lebendiger Kraft, voll ächtheroischer Tugenden, können nur mit den grössten Männern der neuesten Zeit verglichen werden. Sie ziehen jetzt doppelt an, weil ihre Schicksale und ihre Thaten in so vielen Rücksichten in unsern Tagen Ähnlichkeiten haben. Wer erinnert sich nicht an Stellen, wie folgende in der Dedikation des Huttenschen Gesprächbüchleins an FRANZEN von SICKINGEN?

Dem edlen, hochberühmten, starkmüthigen und ehrenvesten FRANZEN von SICKINGEN, meinem besondern vertrauten und tröstlichen guten Freunde, meinen freundlichen Gruss und willigen Dienst. Ohne Ursache ist das Sprichwort: in Nöthen erkennt man den Freund, nicht in Gebrauch kommen. Denn wahrlich darf Niemand sagen, dass er mit einem Freund verwahret sei, er hab dann den in seinen nothdürftigen anliegenden Sachen dermassen, dass er ihn inwendig und auswendig kenne, versucht und geprüft. Wiewohl nun der glückselig zu achten, dem nie von Nöthen ward, einen Freund dieser Gestalt zu probiren. Denn als ich auf das äusserlichst an Leib, Ehren und Gut von meinen Feinden genöthigt, so [90] ungestümmlich, dass ich kaum Freund anzurufen Zeit gehabt, bist du mir nicht, als oft geschieht, mit tröstlichen Worten, sondern hilftragender That begegnet; ja mag ich, als das Sprichwort ist, sagen, vom Himmel herabgefallen. Ich habe dich funden, der nicht geachtet, was ein Jeder von meinen Sachen rede, sondern wie die an ihrer selbst Gestalt beherziget. Hast dich nicht durch Schrecken meiner Widerwärtigen von Verfechtung der Unschuld abziehen lassen, sondern aus Liebe der Wahrheit und Erbarmniss meiner Vergewaltigung für und für über mir gehalten. Und da mir in der Grösse der Fahr die Städte verschlossen gewes’t, alsbald deine Häuser (die ich aus der und anderer Ursachen willen Herbergen der Gerechtigkeit nennen mag) aufgethan, und allso die angefochtene und verjagte Wahrheit, in den Schoos deiner Hilf empfangen, und in den Armen deiner Beschirmung ganz kecklich gehalten. Daraus dann gefolgt, dass ich in meinem Fürsatz, den auch du ehrbar und redlich nennst, nicht wenig gestärkt, alle Gelehrten und Kunstliebenden deutscher Nation (denen auch nicht weniger, dann mir selbst an dieser Sache gelegen) sich in Freuden [91] und Frohlocken erhoben, und gleich als nach einem trüben Wetter von der freudenreichen Sonne erquickt worden. Dagegen die boshaften Kurtisanen und Romanisten, die mich verlassen gemeint, und derhalben nahet einen Triumph von mir geführt hatten, da sie gesehen, dass ich mich an eine feste und unerschütterliche Wand gelehnt hab’, ihrem Stolz und Übermuth gegen mich etwas nachgelassen, sich fast ingethan, und klein Lauts geworden.
Wo etwas mein Geschrift vermag,
Dein Lob muss sterben keinen Tag.
Wiewohl, ob du dich schon gegen mich dermassen, wie obberührt, nicht gehalten, hättest du dennoch ohne das mit deinen ritterlichen ehrlichen Gethaten verdient, dass wir deinen Namen aus dunkelm Vergess in das Licht der ewigen Gedächtniss setzten. Denn ohne Schmeicheleien und Liebkosen zu reden, bist du, der zu dieser Zeit, da Jedermann bedäucht, deutscher Adel hätte etwas an Strengheit der Gemüter abgenommen, dich dermaassen erzeigt und bewiesen hast, dass man sehen mag, deutsch Blut sei noch nicht versiegen, noch das adelig Gewächs deutscher Tugend [92] ganz ausgewurzelt. Und ist zu wünschen und zu bitten, dass Gott Kaiser KARL’N deiner tugendhaftigen unerschrockenen Muthsamkeit Erkenntniss ingebe, damit er dich deiner Geschicklichkeit nach in hohen trefflichen seinen Händeln, das römisch Reich, oder auch ganze Christenheit betreffend so mit Rath und That brauche. Denn alsdann würde Frucht deiner Tugend zu weiterm Nutz kommen. Fürwahr einen solchen Muth sollte man nicht ruhen lassen, noch innerhalb Bezirks kleiner Sachen gebraucht werden lassen.
Doch ich hab’ mir nicht vorgenommen, in dieser Vorrède dein Lob zu beschreiben, sondern ein Mahl meinem Herzen, das gesteckt voll guter Gedanken und freundlicher Gutwilligkeit, die ich gegen deine unwidergeltliche an mir begangene Wohlthaten, die du noch täglich je mehr und mehr überhäufest, trag, ein Luft geben. Schenk dir zu diesem neuen Jahr nachfolgend meiner Büchlein, die ich nächst verschienenen Tagen, in der Gerechtigkelt Herbergen (in Ebernburg) eilends verdeutscht hab. Und wünsch dir damit, nit als wir oft unsern Freunden pflegen, eine fröhliche sanfte Ruh, sondern grosse, ernstliche, [93] tapfere und arbeitsame Geschäft, darin du vielen Menschen zu gut dein stolzes heldisch Gemüth brauchen und üben mögest.

Und an zwei andern Stellen:

Ich werde von unserm Bundeshauptmann, FRANZEN von SICKINGEN, mit der grössten Freundschaft und Achtung behandelt. Er hat mich beständig um sich. Er schläft bei mir, und wir schwatzen zusammen, so oft wir eine freie Stunde haben. Gegen die wahre Gelehrsamkeit hegt er die innigste Ehrfurcht. Ein wahrhaftig grosser Mann, von hohem Geiste und Muthe, den weder Glück noch Unglück erschüttern können. So angenehm sein freundschaftlicher Umgang ist, so lehrreich sind seine Gespräche, wenn von ernsthaften Dingen geredet wird. Seine Art zu denken und zu handeln sind gleichedel. Dabei hasst er allen falschen Schein und eitles Gepränge. Wegen dieser Tugenden ist er dem Soldaten so lieb, dass sie es bedauern, dass er nicht ihr oberster Anführer ist.
In REUCHLIN’S Sache hat besonders FRANZISKUS seine Grösse gezeigt. Ein Mann, dergleichen Deutschland lange nicht gehabt hat, und der verdient, auch durch die Nachwelt [94] empfohlen zu werden. Ich hoffe gewiss, dass FRANZ von SICKINGEN unserer Nation grosse Ehre bringen werde. Wir bewundern nichts in den Helden des Alterthums, was er nicht nachzuahmen suchte. Er ist weise, beredt, und thätig, und Alles, was er sagt und thut, ist edel und gross. Gott segne die Unternehmungen dieses deutschen Helden.

So war der Besitzer dieses Schlosses, und so war sein Freund. Hand in Hand hatten sie sich gegen. die Unterdrücker der Freiheit verschworen, und ihre Losung war Freiheit des Geistes und Leibes. Aber Deutschland war solcher Männer nicht werth. FRANZ unterlag unter den gegen ihn verbündeten Fürsten, und ULRICH – hatte nun nichts mehr, wo er sein Haupt hinlegen konnte. Ausgestossen von seinem Vaterlande war ihm der Tod in der Blüte seiner Jahre auf einer Insel im Ufner-See willkommen.

Die Ansicht um das Schloss ist eine der wildesten, die ich in diesen Gegenden gesehen habe. Der nahe dabei liegende Rheingrafenstein war das kühnste Stück Arbeit für Menschenhände. Ein starker Wind, der über die Berge gefahren war, hatte hier einige alte Eichen entwurzelt und über den jähen Abhang in die Tiefe gestürzt. Über uns [95] schwebten Reiher, und ersahen sich in der Wildniss ein Häschen zum Raube. Die Geister der zwei grossen Menschen schienen durch das alte Gemäuer zu rauschen. Ich schrieb an den Felsen die herrlichen Verse BÜRGER’S:

Für Tugend, Menschenrecht und Menschenfreiheit sterben,
Ist höchsterhabner Muth, ist Welterlösertod:
Denn nur die edelsten der Heldenmenschen färben
Dafür den Panzerrock mit ihrem Herzblut roth.
Für blanke Majestät, und weiter nichts verbluten,
Wer das für gross und schön, und rührend hält, der irrt:
Denn das ist Hundemuth, der eingepeitscht mit Ruthen
Und eingefüttert mit des Hofes Brocken wird.

Simmern ist ein todtes Städtchen von etwa 3500 Seelen. Es liegt ganz angenehm in einem Thale, in dem ehemahligen Noh-Gau, drei Meilen von Bingen, und war die Hauptstadt des Fürstentums Simmern. Wir fanden durchaus in diesen Gegenden einen schönern Schlag Menschen, als wir in den Thälern des Rheins verlassen hatten. Alle Mannspersonen sind wohlgewachsen, und haben eine glückliche Gesichtsbildung. Die Trägheit der Rheinländer, die nur im Frühlinge und Herbst in Thätigkeit gesetzt wird, wird hier durch den Ackerbau [96] verdrängt und das feuchte Klima der Thäler von der frischen Bergluft geläutert.

Die ehemahlige Verfassung der Pfalz war im hohen Grade despotisch. Es gab hier keine Landstände, und Alles hing von dem Willen des Hofes ab. Das Elend der Pfälzer stieg zum höchsten Grade, als der Kurfürst seine Residenz von Mannheim nach München verlegte. Das Interesse der regierenden Minister vertrug sich nicht lange mit dem Wohl der Unterthanen. Man fing an von allen Seiten zu brandschatzen, und, um sich selbst die Quellen des vielfältigsten Genusses nicht zu verstopfen, verfielen die Minister auf drei Dinge, die zu dem völligen Unglücke noch fehlten: Diensthandel, Zölle und Lotto. Was nur irgend eine Stelle war, die ihren Mann ernähren konnte, wurde öffentlich ausgeboten und von den Ministern an den Meistbietenden verkauft. Es ist allgemein bekannt, dass zwei Assessorate am Reichskammergerichte auf diese Art besetzt worden sind. Dagegen lässt sich nun freilich nicht viel sagen, weil die Kandidaten in Wetzlar nach Beschaffenheit der Umstände ein scharfes Examen aushalten müssen, ehe sie wirklich eingeführt werden, desto mehr aber gegen die Verkaufung der Ämter im Lande selbst. Am meisten wurde auf die sogenannten [97] Landschreibereien in diesen Gegenden geboten, die so recht zum Brandschatzen des armen Bauern angelegt waren. Nichts weiter als Gerechtigkeit wäre es von der jetzigen fränkischen Administration, wenn sie durch einen Machtspruch alle diese Pascha’s für unfähig erklärte, der Republik zu dienen. Doch dieses Verfahrens bedarf es nicht ein Mahl, denn es ist vorauszusehen, dass die saubern Herren nach dem Frieden sammt und sonders mit ihren Maitressen und Hunden aus dem Lande fliehen werden.

Eine Hauptursache der schlechten militärischen Verfassung hier und in ganz Baiern ist gewiss auch in diesem Diensthandel zu suchen, und es ist zu bedauern, dass einem Schlag Menschen, wie diese Pfälzer, die geborne Soldaten sind, von Leuten kommandirt wird, die in Rücksicht ihres Muthes und ihrer Kenntnisse tief unter aller Kritik sind. Man darf es von dem Scharfblicke der Machthaber der Republik erwarten, dass den jenseitigen deutschen Fürsten aufgegeben wird, ihre Soldaten, die diesseits geboren sind, zu verabschieden. Dadurch würden die Pfalz, das ehemahlige Mainzische und Trierische wenigstens 6000 arbeitende Hände gewinnen, und den durch den geistlichen und weltlichen Zwang weiland verursachten grossen [98] Verlust in wenigen Jahren der Freiheit leicht wieder ersetzen.

Von Simmern reis’ten wir nach Kastellaun, ehemahls die Hauptstadt der hintern Grafschaft Sponheim, zweibrückischen Antheils. Diese Hauptstadt ist einem grossen Bauern-Dorfe nicht unähnlich, oder richtiger gesagt, wirklich ein Dorf, obschon sie sich im Mittelalter einige Stadtrechte errungen hatte. Sie liegt in einem sumpfigen Thale, und hat für den Reisenden gar nichts Anziehendes. Ungefähr 2000 Seelen machen ihre ganze Bevölkerung aus.

Die Unordnungen, welche aus dem Despotismus des Hofes entstanden, hatten hier unter dem letztverstorbenen Herzoge ihren höchsten Punkt erreicht. Wenn man nachher von MAXIMILIAN Gutes sprach, so hatte er keine Gelegenheit, es in diesen Gegenden zur Ausübung zu bringen, weil er eigentlich nie zur Regierung gekommen ist, denn damahls, als ihn der Tod seines Bruders in das Herzogthum Zweibrücken rief, war dieses von den Armeen der Republik besetzt, und er hat sich nicht ein Mahl die fürstliche Freude machen können, sich in seiner Hauptstadt huldigen zu lassen. So viel ist indessen gewiss, dass die verblendeten Menschen hier ihn lieber zum Regenten [99] haben möchten, als die Republik. Die Ursache liegt in dem Sanskulottismus des vorigen Herzogs, und in dem wenigen Glücke, das ihnen die Neufranken biss jetzt wegen des Krieges haben bereiten können.

Der letztverstorbene Herzog von Zweibrücken gehörte, wie bekannt, zu den grössten Eulenspiegeln seiner Zeit. Man sagt, dass dieser Mann der Hauptbeweggrund für den Kurfürsten von Baiern gewesen sei, zur andern Ehe zu schreiten. Ich traue diess dem guten Herzen des Kurfürsten zu, obgleich der Schein östreichischer Politik auf allen Seiten hervorleuchtet. Man sagt, der mainzische Staatskanzler ALBINI sei der Unterhändler dabei gewesen.

Es ist nicht der Rede werth, von den Abderiten-Streichen des Herzogs KARL zu sprechen. Wenn Du indessen Lust hast, dich näher davon zu unterrichten, so empfehle ich Dir einen Aufsatz in SCHLÖZER’S Staatsanzeigen, unter der Überschrift: Fetz und Marokko, der eine Schilderung des alten zweibrückischen Hofes nach dem Leben enthält. Er ist besonders auch darum interessant, weil er von einem Fürsten, dem verstorbenen Herzog von Sachsen-Meiningen herrührt.

[100] So viel wir das Land auf dieser Rheinseite von Osten nach Westen kennen gelernt haben, finden wir es sehr untermischt. Die kultivirtesten Striche sind die um Kreuznach und Simmern, und die traurigsten der Bergrücken, zwischen Bingen und Bacharach biss an die Grenze der Grafschaft Sponheim. Der Unterschied im Klima ist ausserordentlich auffallend. So wie man bei Bingen den Berg erstiegen hat, und eine Stunde landeinwärts gegangen ist, verändert sich der Boden. Obst, Wein und zarte Gemüse kommen hier nicht mehr fort. Diess geht in dem jenseitigen Theile des Hunsrücks an der Mosel so weit, dass man nur eine Viertelstunde Wegs sich aus den Thälern erheben darf, um auf ein Mahl in einer ganz neuen Welt zu sein. Die kalten Winde, die hier auf dem hohen Bergrücken herrschen, lassen die zarten Gewächse gar nicht aufkommen. Desto besser gedeihen aber die starken Feldfrüchte, Hafer, Korn, Kartoffeln und Kohl. Mit diesen Produkten versehen die Einwohner ihre Nachbarn am Rhein und an der Mosel, die ohne diese Zufuhr verhungern müssten.

Ein Vergleich zwischen dem Acker- und Wein-Bauer fällt sehr zum Nachtheil des letzten aus, besonders in diesen Gegenden, wo die frische Bergluft [101] den Ackersmann heiterer und stärker macht. Der dumpfe Qualm in den Thälern wirkt so stark auf die Bewohner der Rhein- und Mosel-Ufer, dass man den starken derben Hunsrücker auf den ersten Blick von dem schwachen zusammen geschrumpften Weinbauer unterscheiden kann. Die Natur selbst hat sich gegen diesen verschworen, und seine Lage ihn träg und blöde gemacht. Im Sommer hat er keine bestimmte Arbeit, denn er hat keinen Acker und keine Fabriken, und nichts, wodurch er sich mit seinen Nachbarn verbinden kann, als das kümmerliche Geld, das er aus dem Ertrage seiner Weinberge lös’t. Diese Ernte gedeiht im Durchschnitte alle sechs Jahre ein Mahl. In den übrigen Jahren muss er darben, oder Wucherern in die Hände fallen. Er wird genöthigt, den Wein frisch von der Kelter, oder gar am Stocke zu verkaufen, auch wohl auf mehrere Jahre sich voraus bezahlen zu lassen. Diese Noth des Weinbauers giebt den spekulirenden Wucherern am Rhein und an der Mosel ein weites Feld, und sie haben ihre Betrügereien ordentlich in ein Sistem gebracht, in dem sie sich einander nicht zu beeinträchtigen pflegen. Wer im Monat Praireal den Wein am Stocke kauft, giebt ungefähr zwei Drittheile weniger, als wenn er ihn von der Kelter hohlt, denn [102] in jenem Falle riskirt der Wucherer, dass vielleicht der Messidor, den er den Brat- und Koch-Monat nennt, nicht gut ausfällt, und der Wein schlechter geräth, als man Anfangs nach Wahrscheinlichkeiten berechnet hatte. Ich glaube nicht zu übertreiben, wenn ich behaupte, dass es vielleicht von Mainz biss Koblenz, und von Trier biss Koblenz keine zwanzig Weinbauer giebt, die ihren Wein über den Brumaire hinaus unverschuldet im Keller haben. Dadurch geht nun der eigentliche grosse Nutzen verloren, den man aus dem Weinbaue ziehen kann. Es giebt Fälle, wo der Wein, wenn er vier oder fünf Jahre alt ist, noch drei und vier Mahl so theuer verkauft werden kann, als wenn er im ersten Jahre, oder wohl gar von der Kelter losgeschlagen werden muss. Die Zeit der Veredlung geht dann für den Verkäufer verloren, und mit ihr dasjenige, was den Wein am kostbarsten macht, und die meisten Liebhaber anlockt.

Die grössten Wucherer in diesen Gegenden sind die Pfaffen und Weinschenken in den kleinen und grossen Städten. Bei jenen findet man auch die edelsten Weine. Sie häufen aus dem Ertrage ihrer fetten Pfründen im Winter so viel baares Geld auf, dass sie im Stande sind, im Herbst ihre Keller zu füllen. So bald der Sommer da ist, und [103] nur einige Aussicht zu einer gesegneten Ernte verspricht, machen sich diese Harpien auf die Beine, baares Geld in der Tasche und Honig auf der Zunge. Meist sind sie schon Gläubiger der Weinbauer. Sie drohen mit Aufkündigung des Kapitals, mit Erpressung der rückständigen Zinsen, und bringen es durch allerlei unerlaubte Mittel dahin, dass ihnen die armen bedrängten Leute die Hoffnung auf ihren Herbst verkaufen. Nicht minder schädlich sind die Weinschenken. Diese haben schon ihre bestimmten Familien, denen sie alle Jahre ihren Wein abkaufen. Braucht der Bauer Geld, wie dies fast durch das ganze Jahr der Fall ist, so geht er zu seinem Abnehmer, borgt auf den kommenden Herbst, bringt das Geborgte durch, und fängt wieder von neuem zu borgen an. Man hat mir in Mainz Beispiele dieser Art erzählt, die allen Glauben übersteigen.

Wie sehr der Weinbau selbst durch dieses Unwesen leidet, scheint die jenseitige Regierung nicht zu bekümmern. Wenn der Bauer nicht für sich selbst arbeitet, so weiss man, dass nichts con amore geht. Im Frühjahre geht er in seinen Weinberg, aber was soll er sich mit dem Beschneiden und Jäten viele Mühe machen? Die kommende Ernte lacht ihm nicht entgegen, längst hat sie der [104] Pfaff oder der Weinschenk verschlungen. Das Einzige, was den Weinbau noch von seinem gänzlichen Untergange gerettet hat, ist das Interesse der Herrschaften, die wegen ihres Zehntens eine starke Aufsicht über die Weinberge führen, und eigene Gesetze vorschreiben, nach denen sich jeder Eigenthümer oder Lehnsmann richten muss.

Die Entbindung von bestimmten Geschäften während des grössten Theils des Jahrs und der schändliche Handel selbst haben die Moralität der Weinbauer verdorben, und gänzlich das Schlichte und Redliche verwischt, wodurch uns die Hunsrücker immer mehr und mehr anziehen. Ich will nicht läugnen, dass uns jener Müssiggänger, dem man einen gewissen Grad von Munterkeit nicht absprechen kann, auf einige Stunden ganz gut unterhalten kann, und diess ist, däucht mir, ein allgemeines Phänomen. Aber bei den Kartoffeln und der Habergrütze des Hunsrückers befanden wir uns ungleich besser. Seine immerwährende Thätigkeit lässt ihn nicht auf Dinge spekuliren, die ihn nichts angehen, am wenigsten auf die Geschichte des Tages. Man findet hier keine Zeitungsleser, und nicht ein Mahl in der höhern Klasse ein gangbares politisches Blatt. Die Arbeiten dauern ununterbrochen fort, und der Winter, wie der Sommer, [105] der Herbst wie der Frühling haben ihre Beschäftigung. Der Bauer kennt den drückenden Mangel nicht, den wir in den Thälern gesehen haben. Geräth ihm der Hafer nicht, so hält er sich an seinen Roggen, an seine Kartoffeln, seinen Kohl und seine Erbsen. Ist aber Alles mit Misswachs geschlagen, so bleibt ihm seine Viehzucht noch übrig, die wirklich in einigen Theilen trefflich ist. Hinter Simmern im Norden, in den Fluren der Dörfer Sosberg, Blankerad und in der ehemahligen Vogtei Strömich gedeiht auch der Flachs so gut, dass man ihn dem schlesischen an die Seite setzt. Er wird aber nur in kleinen Quantitäten gezogen, und roh in’s Ausland verkauft. Denn das Spinnen versteht man hier nicht, und die blendende Weisse, die dem schlesischen Garn einen seiner Hauptvorzüge giebt, würde man ihm eben so wenig zu verschaffen wissen. Vielleicht dass bei den kommenden Verhältnissen dieses Landes ein Augenmerk auf diess Produkt gerichtet wird, und dass dann die Kultur des Flachses noch einen beträchtlichen Zuwachs erhält. Ich sehe den Grund nicht ein, warum bei einer gehörigen Aufmerksamkeit der Regierung, und angenommen, dass der hiesige Flachs wirklich den Ruf verdient, den er hat, dieser Zweig nicht auch beträchtlich werden [106] könnte, wie er es in Schlesien, Hennegau und Flandern geworden ist. Ehemahls war diess freilich nicht zu erwarten. Die Orte, wo der Flachs am besten gedeiht, gehörten dem Grafen von METTERNICH-WINNEBURG, bei dem es Grundsatz ist, seine Einkünfte ausser Landes zu verzehren. Und wenn es ja auch einem Beamten eingefallen wäre, seinen Herrn auf diesen Gegenstand aufmerksam zu machen, welches nie geschehen ist, so wäre doch bei dem bekannten guten Willen des Grafen wegen der zerrütteten Finanzen und einer beispiellosen Nachlässigkeit und Indolenz nichts zu erwarten gewesen.

Hätte der Hunsrücken vorher Regenten gehabt, die sich auf den Vortheil dieses Landes und seiner Bewohner verstanden, oder hätten verstehen wollen, so würde man hier wirklich ein Paradies haben stiften können, statt, dass wir jetzt hier abwechselnd in gesegneten Fluren, Wäldern, Morästen und prächtigen Wiesen herum wandern. Es traten hier mancherlei Umstände zusammen, die die Kultur dieses Bodens um zwei Menschenalter wenigstens zurückgehalten haben. Die Verschiedenheit der Herrschaften war eine der Hauptursachen. Sie machte das Land gleich nach dem siebenjährigen Kriege zur wahren Mordhöhle, und [107] gab den grössten Verbrechern Schutz und Obdach. Denke Dir ein Mahl, Pfalz, Hessen, Baden und Trier ausgenommen, ein Paar Dutzend winzige Fürstchen, Gräfchen und Reichsritter, die alle mit Macht über Hand und Hals ausgerüstet, hier auf ihren Burgen thronten, oder wohl gar die Einkünfte ihrer Güter im Auslande verschwelgten, und die Verwaltung gefühllosen Beamten überliessen. Was Einer that, bestritt der Andere; keine Einigkeit und keine wechselseitige Aufmunterung war zu finden; nichts als Hader und Zank, Missgunst und Partheigeist unter dieser Heerde von Regenten. Ich weiss Beispiele, dass hier Tausende an Prozesse über eine Jagd, die nicht zwei Gulden werth war, am Reichshofrathe und am Kammergericht verschwendet worden sind. „Es ist ein Familien-Recht“, sagte der Graf, der diesen Prozess anhängig machte; wo meine Ahnen im vierzehnten Jahrhundert Wölfe gehetzt haben, will ich auch Rebhüner schiessen, und setze lieber alle meine Herrschaften, meine Hunde und Bauern dran, ehe ich nachgebe. Die Leibeigenschaft hatte hier den höchsten Grad von Grausamkeit und Unmenschlichkeit erstiegen. Wir kamen unweit Simmern durch ein, ehemahls dem Grafen von METTERNICH [108] gehöriges Dorf, Namens Macken, wo man uns von einem Rechte erzählte, vor dem die Menschheit erbebt. Die Beamten waren kühn genug, jetzt noch die Giltigkeit dieses Rechtes zu behaupten, jetzt, da die Republik hier den Baum der Freiheit gepflanzt und der Kongress zu Rastadt über die Abtretung dieses Rheinufers bereits entschieden hat. Es bestand darin. Ein Baron BOOS hatte in diesem Dorfe, das den Grafen METTERNICH als Landesherrn erkannte, sieben leibeigene Familien. Über diese armen Schlachtopfer hatten sich seit 300 Jahre der Kurfürst von Trier, der Herzog von Zweibrücken und die Herren von Winneburg das grausame Recht ersessen, dass diese Leute sich nicht in mehrere Häuser theilen, am wenigsten aber aus diesen sieben Familien heraus heirathen durften. Als bei der 1783 erfolgten Theilung des Beltheimer Gerichts diess Dorf dem Grafen von METTERNICH mit allen Hoheitsrechten zufiel, ward ihm jenes Recht noch besonders übertragen. Wenn man nun annimmt, dass in diesen sieben Familien immer zwei heirathsfähige Jünglinge und drei Mädchen waren, so blieb immer ein Mädchen übrig, ohne die Grausamkeit, zwei Menschen zu zwingen, sich unter drei Weibern ihre Gattinnen zu wählen. – So ward hier die Menschheit – gesetzlich [109] geschändet! – BOOS brachte diese Sache an das Reichskammergericht, und ich weiss, dass der daselbst bestellte Referent, ein Mann, der mit den sanftesten Menschheitsgefühlen die gründlichsten und ausgebreitesten Kenntnisse verbindet, ganz für die armen Leibeigenen gestimmt war. Es kam aber wegen des Krieges nicht zum wirklichen Vortrage, und nun brauchen wir hier kein Kammergericht mehr, um die Rechte der Menschheit zu reklamiren. Die menschenfreundlichen Republikaner, die den Landmann aus den unerträglichsten Fesseln der Sklaverei rissen, haben gethan, was keinem Reichsgerichte wegen der bestehenden Gesetze möglich war. Man bekommt nun hier mehr Spannung, sich zu verbessern, nach Eigenthum zu streben und sich des Genusses der schönen Freiheit zu freuen. Hier eine Proklamation, die darauf Bezug hat.

An die Armee und die Bewohner der Pfalz und angrenzenden Länder.
Franken! Die Tirannen und ihre niederträchtigen Waffenknechte fliehen vor euch. Ihr erscheinet, und sie – verschwinden. Und diess waren doch jene ausserordentlichen Männer, die unser Vaterland unterjochen, und unsere [110] Republik in ihrer Wiege ersticken wollten. Sie waren es, die uns neue Fesseln anlegen, unsere Nacken unter die Botmässigkeit eines neuen Beherrschers beugen wollten.
Und welche waren die Waffen, die sie bissher gegen uns gebrauchten? Hier mordeten sie eure Repräsentanten; dort erkauften sie eure Generale; hier schändeten sie unsere Weiber, erwürgten unsre Kinder auf dem zitternden Busen ihrer Mütter. Sie legten unsere vorhin durch Schläge misshandelten Greise in Fesseln; liessen unsere Städte, und die niedrigen Hütten unserer Väter in Rauch aufgehen, plünderten und verheerten unsere mit Blut bespritzten Felder. Dort zündeten sie mitten unter uns das Feuer eines bürgerlichen Krieges an. Sie hielten die Republik stets in den qualvollsten Besorgnissen; überall trofen sie vom Blut unserer Brüder. Sie verfälschten unsere Assignaten; sie umschlossen unsere Republik zu Wasser und zu Lande, um uns auszuhungern. Nein, es ist kein Greuel mehr übrig, womit sie sich nicht gegen unser Vaterland verschworen hatten. Wir haben sie besiegt! die Republik triumphirt; unsere Grenzen sind nicht mehr durch ihre Gegenwart [111] befleckt. Glück, Ruhe, Sicherheit, Überfluss verbreiten sich über das Land, das uns geboren. Überhaupt stehen unsere Armeen auf feindlichem Boden, und die Welt erwartet erstaunt Gesetze und Freiheit von uns.
Würdige Söhne der Republik! Wir fangen nun an, die Früchte der Tugenden des fränkischen Volks, seiner Standhaftigkeit, seiner Aufopferungen und Anstrengungen einzuernten; die Früchte der Arbeit und des unerschütterlichen Eifers des mit dem öffentlichen Wohl allezeit beschäftigten National-Konvents, die Früchte des Muthes und der Kriegszucht unserer Heere, die Früchte der Einheit und des Brudersinnes der guten Bürger, die Früchte endlich des einstimmigen Vorsatzes, die Unabhängigkeit der Republik zu handhaben, und die Bösewichter, die sich unterstanden haben, an ihrem Sturze und ihrer Unterjochung zu arbeiten, zu strafen.
Noch einige Anstrengungen, und unser Ziel ist völlig erreicht, die schändliche Koalition von Grund aus zernichtet. Allein, Kameraden, diese Früchte wären bald alle für uns und für das der Welt zu gebende Beispiel verloren, wenn ihr einen Augenblick aufhörtet, [112] diejenigen zu sein, die ihr bissher waret. Wenn sich statt der strengen Kriegszucht, bissher der Schrecken unserer Feinde, eine zuchtlose Aufführung in eure Glieder einschliche; wenn ihr, statt die Hütten und friedlichen Wohnungen zu verehren, dieselben zerstören wolltet; wenn ihr, statt euch überall, wohin sich eure Schritte richten, mit den republikanischen Tugenden zu zeigen, die euch nie verlassen sollen, ihr dasjenige würdet rechtfertigen, was die Sklaven der Tirannen auf ihrer Flucht von den Franken ausgestreut haben, um euch zu erniedrigen und die Schändlichkeit ihrer Aufführung und die Laster, die ihnen so gemein sind, zu entschuldigen.
Und ihr Generale und Offiziers, gehet unsern Waffenbrüdern mit einer männlichen und untadelhaften Aufführung vor. Versäumet ihr, ihnen gute Beispiele zu geben, so seid ihr deswegen verantwortlich.
Führt sie allzeit auf dem Wege zur Ehre; die Republik macht es euch zur heiligen Pflicht. Beobachtet besonders die Beamten, die ihren Bedürfnissen zuvorzukommen bestellt sind, und macht uns alle die Übel bekannt, die unsere Waffenbrüder leiden müssen, um ihnen steuern zu können.

[113]

Die Republik macht euch zur nicht weniger dringenden Pflicht, die Grösse und den Charakter des edelmüthigen Volks, dessen Kinder ihr anführt, nach Würden zu handhaben. Habet in allen euern Handlungen die Republik und die Grundsätze, die sie gründen und leiten; vor Augen. Gerechtigkeit für Alle, scharfe Kriegszucht in den Lägern, vollkommene Brüderliebe, Friede den Hütten, Schutz den Patrioten, den Freunden der Republik, und den Unterdrückten. Achtung gegen Schwächere und Unglückliche. Unumschränkte Freiheit in allen eroberten Ländern für die Ausübung des Gottesdienstes. Krieg auf Tod den Tirannen und Krieg ihren schändlichen Krieges-Knechten.
Lasst uns den Bewohnern des eroberten Landesstriches so wenig zur Last sein, als es die Bedürfnisse des Vaterlandes erlauben. Warum wollte der Einwohner uns nicht die harte Nothwendigkeit ersparen, zu den ausserordentlichen Maassregeln zu schreiten, zu welchen sie uns zwingen könnten.
Verschafft überall den Assignaten ihren Werth, dieser Münze des Französischen Volks, die auf den Reichthum des Landes, noch mehr [114] aber auf die republikanische Treue und die Siege unserer Armeen versichert ist. Macht die Übertreibung der Preise, die Bosheit und Egoismus schon ausgedacht haben, aufhören. Sucht und entdeckt die Lebensmittel und Gegenstände, die zu unserm Gebrauch nöthig sind, und die der Verbrecher verheelt. Der ist ein Feind der Republik, und verdient als solcher behandelt zu werden, der unsere Bedürfnisse ohne Theilnahme ansieht.
Und ihr Bewohner der Pfalz und der angrenden Länder, eure Aufführung wird den Republikanern zum Maassstab der ihrigen dienen, die immer gross und gerecht sein wird. Fahrt fort Lebensmittel auf eure Märkte zu bringen, und eure Waarenlager wie vorhin zu versehen. Lasst das Zutrauen wieder unter euch Platz finden; gebt euerm Handel den nämlichen Betrieb in dem ganzen Umfang des eroberten Landes.
Tretet furchtlos aus euern Häusern, die bissher gleichsam eure Gefängnisse waren, und bevölkert, wie vor unserer Ankunft, eure Strassen und Plätze. Bauet eure Felder und setzt eure Werkstätten in Thätigkeit; alles unter der Gewährleistung des fränkischen Volks. Ihr [115] werdet an uns wahre und aufrichtige Freunde finden, wenn wir bei euch diese brüderliche Herzlichkeit, die uns so werth ist, antreffen. Ersparet uns besonders den Schmerz, euch als Feinde behandeln zu müssen, da wir so gern an euch nichts als Brüder finden möchten.
Es möge bald die Übereinstimmung eurer Tugenden mit den unsrigen die Bande noch fester knüpfen, die schon die beiden Völker zu Einer Familie machen, deren Glück auf Freiheit, Gleichheit und Zernichtung der Tirannen und Tirannen-Knechte gegründet, uns beiderseitig Ruhm und Unabhängigkeit sichert.
Die Stellvertreter des französischen Volks erklären den Bewohnern der Pfalz und der angrenzenden Länder, dass sie immer bereit sein werden, ihre Vorstellungen und ihr Begehren anzuhören und ihnen im Namen der französischen Republik diejenige Gerechtigkeit wiederfahren zu lassen, die alle Menschen von ihren Grundsätzen zu erwarten das Recht haben.
FERAUD. NEVEU.

Auf eine oder die andere Art muss diesem Lande wieder aufgeholfen werden. Unter den vorigen Regierungen war diess keineswegs zu erwarten, [116] denn der westfälische Friede, von dem ich es nicht oft genug sagen kann, dass er Deutschland in Fesseln gelegt hat, wie sehr auch der berühmte PÜTTER das Gegentheil behaupten mag, war dagegen. Wenn wir auch jetzt noch die Bewohner in ihrem gewohnten Gleise sehen, so ist doch von der Menschenliebe der Franken zu erwarten, dass sie bald schönere und bequemere Wege bahnen werden. Ein Heldenstück wird diess freilich werden. Der edle G. FORSTER, als er unter CUSTINE’NS Autorität in der Pfalz Freiheitsbäume pflanzte, fing schon an zu verzweifeln. Aber es wird nun doch endlich der Vernunft gelingen, hier ihre Segnungen auszustreuen, wo sie seit Jahrhunderte unter einem bleiernen Zepter geschmachtet hat.

Die grösste Reform bedarf unstreitig die Erziehung der Jugend, die biss jetzt den unheiligsten Händen anvertraut war. In der Ungebundenheit der Pfaffen und Mönche, und des Adels, in der Despotie der Beamten, denen man weiland in ihren Anmassungen und ihrer Macht keine Schranken zu setzen vermochte, lag der erste Zerstörungskeim der heranwachsenden Bürger. Jene waren dabei interessirt, die Finsterniss recht sistematisch zu verbreiten. Sie, die ihre Ämter, ihren Rang und ihre Rechte entweder gekauft, oder geerbt hatten, mussten [117] scheel zum Glücke ihrer Mitbürger sehen, denn so wollte es ihr Eigennutz und ihre künftige Sicherheit. Der freie Gebrauch der Kräfte der Vernunft musste dem Landmanne geschmälert werden, wenn er nicht gegen seine Tirannen auftreten sollte. So blieb denn Alles vernachlässigt, was ihm die Augen hätte öffnen können. Der albernste Katechismus, voll vom abgeschmacktesten Gewäsch, wurde den jungen Leuten eingeprügelt, und weiter nichts. Monstri causa möchte ich dir wohl ein Bild davon entwerfen. Aber ich werde unten am Zusammenflusse des Rheins und der Mosel, wieder Gelegenheit finden, auf diesen Punkt zu kommen.

Eines der unschätzbarsten Geschenke der Franken ist die Gewissensfreiheit, und die Toleranz. Die grausamen, ungerechten und unpolitischen Bedrückungen, die man hier ehemahls erdulden musste, haben Gelegenheit zu dickbeleibten Büchern gegeben, und sind bekannt genug. Traurig ist es aber, dass ein Wahn, der durch ein Alter von 1000 Jahren geheiligt ist, nicht auf Ein Mahl besiegt werden kann. Dazu werden Menschenalter erfordert. Jener Machtspruch, der sogar die Stätten der unsaubern katholischen Heiligen vertilgt hat, hat den erbitterten Gemütern neue Nahrung gegeben. [118] Der Fanatismus und Aberglaube musste sich freilich hinter vier Wände verkriechen, aber hier wütet er noch immer fort, und schiesst aus dem Hinterhalte seine Bolzen. Hier opfert die schwangere Frau der unbefleckten Jungfrauschaft der sogenannten Jungfrau MARIA ihr Kerzchen heimlich; hier wird APOLLONIA’S Zahn geküsst; AGNESE’NS Schleier auf die Geburtstheile gelegt; der Hund mit HUBERT’S Schlüssel gebrannt; u. s. w. Und wie will man jetzt schon bei der gänzlichen Sittenlosigkeit der Priester das Gift entfernen, das dem schönen Geschlechte in der Ohrenbeichte gereicht wird. Man erzählte uns hier die schrecklichsten Beispiele, wie unschuldige Mädchen und züchtige Hausfrauen in dem geheiligten Beichtstuhl von geilen Pfaffen und Mönchen zur Wollust verführt werden. Unter diesen Buben behaupten die Kapuziner in Bingen und die Karmeliter in Simmern den ersten Rang, ohne der sogenannten Abteiherren zu gedenken, die ihre schändlichen Künste feiner treiben. Wenn die Beschornen und Bekutteten nun auch hier ihre Rollen ausgespielt haben, und über den Rhein gejagt werden, wie sich das von selbst versteht, so werden ihnen die Abergläubigen auch dahin nachziehen, und das Gift wird doch wenigstens mittelbar wirken. [119] Die sogenannten Weltpriester werden zwar in 30 Jahren aussterben, und die Republik wird für bessere Pastoren sorgen. Aber 30 Jahre noch in den Händen wüster Pfaffen!!

Hier, wo in einigen Dörfern und kleinen Städten Protestanten und Katholiken beisammen wohnen, ist der Unterschied nicht auffallend. Wo sie aber abgesondert sind, da kann man beide auf den ersten Blick unterscheiden. Ich erinnere mich noch aus meinem Knabenalter, dass die Katholiken meines Dorfes in dieser Kunst äusserst geschickt waren. Wenn sich ein Protestant irgendwo blicken liess, ohne dass man ihn vorher schon gesehen und gekannt hatte, so schrie Alles: ein lutherischer Kalbskopf! ein lutherischer Kalbskopf! und ich weiss mich wenigstens nicht zu entsinnen, dass man geirrt hätte.

Der Protestant hat ein viel freiereres Gesicht, edlere Mienen, einen feinen Zug von Schwärmerei (der bei dem Katholiken äusserst grob ist). Er trägt das Haar gewöhnlich länger und hinten von einem Kamme zusammen gehalten. Sein Gruss ist: guten Tag, und nicht ein mechanisches: gelobt sei Jesus Christus. Mir klingt nichts hässlicher, als dieses: gelobt sei Jesus Christus, das Einem in den katholischen Städten und Dörfern [120] bei jedem Schritte entgegen gekrächzt und gepipt wird.

Noch Eins, zum Schlusse. Ich befinde mich hier in einer der düstersten Gegenden Deutschlands. Aber ich muss gestehen, dass ich die Bildung des gemeinen Landmanns hier viel besser gefunden habe, als in der Nähe von Deutschlands aufgeklärtester Stadt, in der Nähe von – Berlin. Es ist ein höchstseltener Fall, hier auf einen Bauer zu treffen, der nicht schreiben und lesen kann. Dort, damit ich nicht übertreibe, giebt es unter sechs kaum Einen, der sich auf diese Künste versteht. Und selbst in Berlin hat es unter der Mittelklasse mit der gerühmten Aufklärung ein Ende. Man könnte dem Herrn NIKOLAI in seiner eigenen Vaterstadt die erbärmlichsten Seitenstücke zu den von ihm angeführten Beispielen des Aberglaubens in Baiern und Östreich sammeln. Wenn doch die Herren bedächten, dass die höhern Klassen allein noch kein Volk ausmachen.


[121]
V.
Bingen.     
Die Kette fällt; des Elends Riesenthurm,
O Freiheit, stürzt von deiner Donnerstimme.

Wir kommen eben vom Mäusethurm, der gleich unter der Stadt auf einem dürren Felsen im Rhein liegt. Dir ist das berüchtigte Mährchen von HATTO bekannt, den hier die Mäuse aufgefressen haben sollen. Meine Freunde hatten eine kleine Lustpartie dahin veranstaltet. Aber sie mögen es mir verzeihen, wenn ich kalt für diese Herrlichkeiten war. Ich habe, während sie sich in die gepriesenen Ritterzeiten träumten, BUONAPARTE’NS Feldzüge gelesen. Das Gefühl der Freiheit regt sich doppelt an Orten, die der Sitz des Despotismus waren. Die alten Rauschebärte und die gefühllosen Fürsten neuerer Zeit, die hier mit der Menschheit umsprangen, sind an den Thaten eines Jünglings zu Schanden geworden. BUONAPARTE hat diesen Ländern jenseits der Alpen die Freiheit erkämpft. Das Mittelalter hat seinen Reiz verloren. [122] Wir werden im Strome der ungeheuern Thaten in unsern Tagen mit fortgerissen. Wir achten nicht mehr darauf, wenn da der Stolz eines Kaisers gedemüthigt und dort ein Pabst von seinem ewigen Throne gestürzt wird. Für unser Zeitalter sind diese Begebenheiten viel zu klein. Wie könnte uns ein elender Bischof, der hier das Ziel seiner Schandthaten gefunden hat, interessiren?

Franzosen, ihr wart uns die Freiheit schuldig! Und seht, wir nehmen mit Dank dieses Geschenk aus euern Händen an, das wir durch Gerechtigkeit verdienten. In keinem Winkel der Erde habt ihr wärmere Freunde gefunden, als in Deutschland. Den Krieg, den ihr so eben glorreich geendigt habt, war nicht unser, war das Werk unserer Fürsten, die auf ihren morschen Thronen vor der Fackel erbebten, aus der schon einige Funken in ihre Palläste gefallen waren. Die Nation war immer euer Freund. In Wien und in Berlin, in Dresden und München, in Braunschweig und in Kassel habt ihr die wärmsten Vertheidiger. Euere Helden gelten hier für Götter, eure Werke für Werke APOLLO’S. In Wien hat man vor zwei Jahren das Bildniss eures BUONAPARTE’NS mit Lebensgefahr gekauft. Wo findet ihr unter dem zahllosen Heere der deutschen Schriftsteller [123] einen bedeutenden Mann, der euch zuwider wäre? Ihr habt auch in Deutschland die öffentliche Meinung für euch, und wer da nicht euer Freund ist, wird von seinen eigenen Landsleuten verlacht und verhöhnt. Dass den Emigrirten kaum da und dort noch ein Schutz angedeiht, den die Menschheit heischt, verdankt ihr freilich der Allmacht eurer Waffen! Aber seid gerecht! das Volk hat sie nie geschützt. Eure Titelkönige hatte man (ich rede nicht von den Fürsten) längst ausgespieen, ehe ihr sie selbst jenseits aus ihren Schlupfwinkeln verscheuchtet.

Die deutschen Fürsten sollten endlich überzeugt sein, dass in strengen Maassregeln bei dem gegenwärtigen Umlaufe neuer Ideen kein Heil zu suchen ist, dass weises Nachgeben, und von ihnen selbst veranstaltete Reformen, das deutsche Staatsgebäude über das kleine Restchen dieses Jahrhunderts hinaus nur noch retten können. Die in dem deutschen Staatskörper liegenden Kräfte sind ungeheuer, und wenn sie sich ein Mahl entwickeln, so is es um die Despotie geschehen. Ich will nicht läugnen, dass eine Revolution in Deutschland unmöglich ist, so lange die Verfassung unangetastet bleibt. Aber ist sie das wirklich? Keineswegs. Der Verband ist aufgelös’t, durch den die verschiedenen [124] Staaten zusammen hingen, und so kann Deutschland nicht fern mehr von der Revolution sein, die wir im Reiche der Natur täglich bemerken, wenn sie aus den aufgelös’ten Bestandtheilen eines Wesens, andere ungleichartige bildet. Es wird der Dazwischenkunft der Franken wahrscheinlich nicht ein Mahl bedürfen, um das morsche Gebäude niederzustürzen, wiewohl es allerdings in dem Plane der Machthaber des französischen Volks liegen mag, Deutschland eine andere Verfassung zu geben, die der neue nach Berlin bestimmte Ambassadeur, Bürger SIEYES, in seinem Portefeuille führen soll.


[125]
VI.
Boppard.     

Mir sind die Ritterzeiten des Mittelalters zuwider. All’ die hochberühmten Männer der damahligen Zeit, was waren sie anders, als Unterdrücker der Freiheit eines braven Volks, und wie können uns die Riesen-Menschen, ULRICH von HUTTEN und der edle FRANZ von SICKINGEN für die Greuel entschädigen, die ihre unwürdigen Brüder in diesem herrlichen Lande verübt haben? Ich habe die Fahrt von Bingen biss hierher mit traurigen Erinnerungen gemacht. Die zahlreichen Burgen und Trümmer des Rittertums hatten mich ganz verstimmt. Leibeigenschaft und Sklaverei, in denen der friedliche Hüttenbewohner hier seit Jahrhunderte seufzt, haben den Einwohnern ein Siegel angedrückt, das die neue Freiheit so bald noch nicht verlöschen kann. Die Maximen der Fürsten und Edelleute, womit sie ihre Unterthanen als wohlerworbenes Eigenthum ansahen, haben sogar den Wunsch zur Freiheit erdrückt. Wir haben in [126] unsern Tagen Beispiele davon gesehen, die allen Glauben übersteigen. Mag immerhin der Teufel unsern L.... hohlen, aber CUSTINE soll ihn nicht kriegen, sagten die verwelkten Sklaven dort drüben, als die Freiheit ihnen angeboten ward. Der unvermuthete Umsturz der despotischen Verfassung war ihnen zu neu, die Sklaverei hatte sie aller Gefühle beraubt. Sie waren seit Jahrhunderte Knechte, musste sie nicht die plötzlich hereinbrechende Freiheit erschrecken? Ja wahrlich, ihnen war die berüchtigte Rede des Landgrafen PHILIPP von Hessen im sehszehnten Jahrhundert noch in frischem Andenken, dieses Mannes, den man mit Unrecht den Grossmüthigen genannt hat. Seine Rede ist so voll von fürstlichem Sanskulottismus neuerer Zeiten, dass ich mich unmöglich enthalten kann, Dir hier eine Stelle daraus zum Besten zu geben:

Wir müssen dieser elenden Rotte (den Bauern, die die Rechte der Menschheit reklamirt hatten) begegnen, diess legt uns ihre beispiellose Verwegenheit zur Pflicht auf. Einen angebotenen Vergleich haben sie verworfen. Sie führen über die Fürsten Klage. Gott hat aber befohlen, die Obrigkeit zu ehren und zu fürchten; er werde, diess ist seine Verheissung,

[127]

Empörer nicht ungestraft lassen. PAULUS sagt: wer sich der Obrigkeit widersetzt, der muss Strafe leiden, das ist des Herrn Wille. Er hat die Obrigkeit so unter seinen Schutz genommen, dass Niemand sie abschaffen kann. So wie es ein ewiges Gesetz ist, dass Tag und Nacht sich wechselweise folgen, wie kein Mensch die Sonne vom Himmel vertreiben, und Tag und Nacht vertilgen kann, so wird auch weder der Teufel, noch dieser Apostel in ihrem Unternehmen glücklich sein. Wohl ist es mir bewusst, dass wir öfters Tadel verdienen, und fehlen, da wir fast Menschen sind; daraus aber entsteht dem Volke doch kein Recht, sich zu empören. Fehlet die Obrigkeit, handelt sie schlecht und niederträchtig, so muss man diess geduldig tragen, gleichwie SEM NOA’S Schaam bedeckte, auf dass man ruhig leben möge.

Hier, wo ich mich zwischen den morschen Trümmern der alten Ritterburgen durchwinde, verfolgt mich der Gedanke an die Geiseln des Volks, die ehemahls aus diesen Nestern den armen Leuten über das Land fuhren. Nicht das gepriesene schauerlich-romantische Thal bei Bingen, wo der Rhein eine freundliche Nimphe, die Noh, empfängt, [128] oder die biss in die gefährlichsten Felsenklippen sichtbare Hand des fleissigen Weinbauers, entschädigten mich für diese Eindrücke. Verstimmt schwamm ich mit meinen Reisegefährten über den Fluss an das jenseitige Ufer. Erst die Stentorstimme eines Kapuziners die unter uns war, weckte mich aus meinen Träumen.

Ave Maria!

gebot er, und ich ward erinnert, dass wir der Charibdis des Rheins nahe wären. Unser Schiffer drückte ehrerbietig seine Mütze zwischen die Finger, und fing laut zu beten an. Wir andern mussten seinem Beispiele folgen, und ich muss Dir nur gestehen, dass ich da seit der sechs Jahre meiner Geistesfreiheit es zum ersten Mahle ohne Lachen anhören konnte, diess Gebet, voll Unsinns und Aberglaubens. Die Inbrunst der Betenden, die sich wirklich an dem Schlunde des Acherons zu befinden glaubten, erfüllte mich mit Rührung, und ich musste unwillkührlich mitbeten zu der MARIA, die im Süden die grössten Meisterstücke des Pinsels geschaffen hat.

Das sogenannte Binger-Loch ist weiter nichts, als eine Öffnung zwischen dem Felsen, der ehemahls hier über den Rhein hinlief, oder richtiger gesagt, in der Urzeit die Grenze jenes [129] grossen Sees bildeten, der sich biss nach Oppenheim und Darmstadt erstreckte. Man kann zu beiden Seiten des Flusses noch die Spuren erkennen, wo die Felsen mit den Bergen am Ufer zusammen hingen. Wenn das Wasser niedrig geht, so sieht man auch queer über den Rhein die schroffen Felsen noch. Der Schiffer hat zur Durchfahrt keinen andern Raum, als am linken Ufer, wo sich der Fluss wohl zuerst mit Macht durchgerissen haben mag. Gefährlich ist diese Durchfahrt keineswegs, und Alles, was leichtgläubige Reisende davon erzählen, sind Ammenmährchen. Kein Mensch in Bingen weiss sich zu erinnern, dass hier ein Schiff verunglückt wäre, und ich habe auch nie, so oft ich diese Reise gemacht habe, etwas von dem Falle des Wassers empfunden, von dem der Verfasser der Reise auf dem Rhein erzählt. Ein starkes Fluten ist allerdings hier, wie überall, wo sich eine solche Masse Wassers zwischen einer Kluft durchdrängt. Die berüchtigten Strudel und Wirbel in der Donau sind viel gefährlicher, denn da scheitert wenigstens alle zwei Jahre ein Schiff, selbst nach THERESEN’S und JOSEF’S Bemühungen, die Fahrt zu sichern. Sonst hat die Gegend hier und dort manche Ähnlichkeiten, die sich mir dennoch aufdrangen, obgleich ich die Donaufahrt nur Ein [130] Mahl sehr flüchtig gemacht habe, wie man auf der Donau überhaupt wegen der Unbequemlichkeit der Schiffe zu reisen gezwungen ist.

Was den meisten Reiz für mich hatte, war die Täuschung, mit der ich meine erste Rheinfahrt von Bingen aus gemacht habe. Ein Reisender, der nicht wüsste, dass der Lauf des Rheins unter Bingen noch fortgeht, müsste doppelt überrascht werden. Wir fahren in ein breites Thal hinab, dessen Fläche ganz von dem Rhein bedeckt ist. Zu beiden Seiten hängen Berge und Felsen, wie senkrecht abgehauene Wände, und so weit unser Gesichtskreis reicht, scheint eine Bergkette queer über den Fluss, seinen Lauf zu hemmen. Wir befinden uns mitten auf einem See, und wundern uns, dass der Strom hier noch zieht, und uns mit sich fortreisst. Mit gierigen Blicken suchen unsere Augen den Ausgang aus diesem Zauber. Ariadne’ns Faden ist für uns verloren. Die Macht des Stroms lässt uns nicht rückwärts; und vor- und seitwärts sind wir überall von unübersteiglichen Bergen, Felsen und schwarzen Wäldern eingemauert. Oder öffnet sich dort unten eine unterirrdische Kluft, um uns zu verschlingen? Die Lage wird mit jedem Augenblicke bedenklicher. Kein Laut rund umher; die Sonne ist schon aus [131] unsern Augen verschwunden, eine dicke Nacht deckt den Vorgrund, und hinter uns steht nur noch der romantische Mäusethurm im röthlichen Abendschimmer von unzähligen Krähen und Dolen umflogen; die Ruderschläge unserer Schiffer hallen in den Wipfeln der Berge wieder. Auf ein Mahl öffnen sich vor uns die Wände der Berge, und unser Zauber ist gelös’t. Unsere betroffenen Augen ruhen wieder mit Wohlgefallen auf dem Spiegel des Flusses, vor uns ist die Aussicht geöffnet, hinter uns die grausige Höle verschwunden. Der Zauber der schönsten Beleuchtung ergötzt uns wieder, und wir wärmen uns an den glühenden Farben des Sommers.

Zur Rechten liegt das Dorf Assmannshausen, ein kleiner und schmutziger Ort, der aber wegen des herrlichen rothen Weines berühmt ist, den er hervorbringt. Armseliger haben wir lange keine Hütten gesehen, als diese. Unglücklicher ist kein Bauer als dieser. Das köstlichste Produkt seines Bodens, das ihm ein bequemeres Leben verschaffen könnte, ist in den Händen des faulen Adels und der unnützen Geistlichkeit. Er selbst ist nur Tagelöhner.

Einige ziehen den Assmannshäuser Wein dem Burgunder weit vor. Die grosse Celebrität des [132] letzten rührt von der grössern Quantität her, die in’s Ausland verschickt wird. Assmannshausen hat nur auf der Südseite einen kleinen Strich in dem Abhange eines Berges, der seinen Nectar hervorbringt. Alles übrige ist unfruchtbares Land.

Bei allen dem sehen sich die Bewohner dieses kleinen Dorfs, so wie überhaupt die Winzer im Rheingau als bessere Menschen an. Sie sehen auf ihre Landsleute, die von den Bergen herkommen, mit einem Stolze herab, der wirklich lächerlich ist, als ob sie sagen wollten: seht, wir sind die Leute, die den berühmten Rheinwein bauen. Man könnte einen Rheingauer nicht mehr beleidigen, als wenn man ihn Bauer nennte. Diese Benennung hat bei ihm etwas Schimpfliches. Er will als Herr betrachtet und behandelt sein, und fühlt bei seinem Bettelstolze das harte Joch nicht, das Priester und Adel auf seinen Nacken gelegt haben.

In diesem Land erblickt der Wandrer nur,
Von Resten alter Herrlichkeit umgeben,
Der Tirannei tief eingedrückte Spur,
So reizend sich auch Fluss und Land verweben.

Hinter dem Dorfe führt ein schattiger Weg durch Gebüsch und Weinberge zu dem Kapuziner-Kloster Noth-Gottes, wo ein Wunderbild sein [133] Wesen treibt. Unser Kapuziner erzählte uns die Legende. Vor langer langer Zeit liess sich im Walde ein Wimmern und ein klägliches Geschrei hören, und eine Stimme: Gottes Noth, Gottes Noth. Ein frommer Schäfer hört’s, und weil er von oben herab inspirirt ist, so merkt er gleich, dass irgendwo ein Christus-Bild in einem Baume versteckt liegen müsse. Er betet drei Ave, beichtet und empfängt das h. Sakrament. Dann geht er in den Wald, rettet den hölzernen Christus aus dem alten Baume und bringt ihn den h. Vätern. Dieser fängt an, Wunder zu thun, die noch biss heute unaufhörlich fortgesetzt werden. Der Zulauf von frommen Sündern an diesem Orte ist sehr gross, und die Kapuziner wissen ihn zu erhalten. Unfruchtbare Weiber zu heilen, hat diess Bild eine besondere Kraft. Qui negat, anathema sit, sagte unser geistlicher Sanskulotte. Ich habe keine Ursache, an der eben genannten Wunderkraft nur im geringsten zu zweifeln. Ein rüstiger Kapuziner hat wohl eher die Familie eines Bauers vermehrt, und einem schönen blühenden Mädchen trotz seines Bartes die Unschuld gestohlen.

Weil es eben Sonntag war, so beredete uns unser Kapuziner leicht, mit ihm in das Kloster zu gehen. Wir fanden die Kirche schon vollgestopft [134] von Leuten, meistens vom Hunsrücken. Da es auf dem rechten Ufer wieder erlaubt ist, feierliche Prozessionen nach wunderthätigen Bildern anzustellen, so wimmeln jetzt diese Orte wieder von Müssiggängern. Besonders ist es jetzt gewöhnlich, für den Frieden hier zu beten. Das Innere der Kirche hat ein abgeschmacktes Ansehen. Die Wände sind mit Krücken, Beinen, Schedeln, Knieen, Zähnen, Füssen und Händen von Holz und von Wachs überhängt, die alle von denen als Vermächtniss zurückgelassen worden sind, die hier durch Wunderkraft ihr Heil wiedergefunden haben. Zwei Kapuziner sassen zur Beichte. Ich beobachtete einen davon, einen jungen beleibten Mann, und merkte es jedes Mahl an seiner faunischen Miene und an einer sonderbaren Unruhe des Unterleibs, wenn ihm das Mädchen etwas gegen das sechste Gebot beichtete. Er that dann gewöhnlich nur kurze Fragen, auf die eine lange Antwort, wahrscheinlich die ausführliche Geschichtserzählung folgte. Ermahnungen ertheilte er gar nicht, sondern absolvirte ohne weiteres a peccatis mortalibus.

Die Beichte eines achtzehnjährigen blühenden Mädchens, das ich am Abend vorher über einem Fleischtopfe mit einem meiner Reisegefährten ertappt hatte, war mir noch interessanter. Ich liess [135] mir von meinem Freunde den ganzen Hergang erzählen, und wusste allso so ziemlich, was das reuige Kind zu beichten hatte. Der Kapuziner bewegte die Zunge wollüstig zwischen den Lippen, strich mit der rechten Hand sanft seine Schenkel, und heftete die Augen starr auf ein gegenüber stehendes halbnacktes Marienbild.

In der Fastenzeit dieses Jahrs waren in Noth-Gottes 14356 Wallfahrer zum Abendmahl, wie mir ein Kapuziner sagte, der es aus der Anzahl der ausgetheilten Hostien sehr gut wissen konnte. Wenn man nun die Kinder dazu rechnet, so beträgt die die ganze Anzahl zuverlässig 16000 Seelen. Wenn nun Jeder 1 Kr. geopfert hat, so beträgt die Einnahme in dieser Zeit über dritthalbhundert Gulden. Stipendien[2] wurden für 1236 Messen gemacht und drei Gichtbrüchige schöpften ihre Genesung aus dem wunderthätigen See.

[136] Tag für Tag durchziehen die Paviane dieses Klosters mit dem Bettelsacke auf dem Rücken das Land, und plündern die Vorrathskammern der Bauern. Fleisch, Speck, Butter, Brot, gedörrtes Obst, Korn, Wein und sogar Samen für ihre Vögel betteln sie auf die niederträchtigste Art zusammen, und schenken dem verblendeten Volke Rosenkränze und Agnus Dei dafür. LA ROCHE, der Verfasser des ersten Bandes der Briefe über das Mönchswesen hat seine Originale aus den rheinischen, RISBECK aber, der Fortsetzer, die seinigen grösstentheils aus bairischen Klöstern genommen. Wenn Du Dir allso ein anschauliches Bild von der Möncherei in diesen Ländern machen willst, so verweise ich Dich auf die genannten Bücher. Zu dem kleinsten Gemälde darin hat irgend ein Mönch aus diesen Klöstern gesessen, und Du darfst nicht glauben, dass etwas dabei übertrieben sei. Ich glaube im Gegentheile noch, dass die Verfasser (die noch Rücksichten hatten, als sie diese Briefe schrieben) die Geissel nicht mächtig genug über das Mönchthum geschwungen haben. Die Epoche ist jetzt schon grössten Theils vorüber, in welcher dergleichen Schriften in dem katholischen Deutschland mit Wut verschlungen wurden; theils weil man an einigen Orten den Schaden geheilt glaubt, theils [137] weil die Klagen an andern keinen Eingang fanden. Es muss ein zweiter KATO aufstehen, der so lange ruft: praeterea censeo, Carthaginem esse delendam, biss alle Mönche ohne allen Unterschied von der Erde getilgt sind, denn biss dahin kann es nicht Ruhe werden.

Gleich unter Bingen werden die Ufer nackt und dürre. Kaum erblickt man da und dort in den Felsen ein grünendes Kraut, dessen Samen Vögel dahin gestreut haben. Da, wo die Mittagssonne ihre sengenden Stralen hinwirft, haben kühne Winzer Weinstöcke gepflanzt, deren Regelmässigkeit in dieser wilden Natur dem Auge wehe thut.

Zu Lorrich schliesst sich der Rheingau. Aber weiter hinauf, bei der Enge von Bingen ist schon die Grenze des Reichs des feurigen Rebengottes. Der Lauf, den der Fluss hier von Mittag gegen Mitternacht nimmt, entzieht den Weinbergen die Hitze der mittäglichen Sonne. Aber die schönsten Ansichten auf den Rheinfahrten eröffnen sich hier. Je weiter wir vorwärts schreiten, desto mannichfaltiger werden die Schönheiten der Natur. Wir stiegen unter Bingen einige Mahl am linken Ufer aus, das sich trotzig dem zürnenden Flusse entgegen stemmt, und ihn zwingt, seinen Lauf nach Norden zu nehmen. Auf jähen Wegen, und [138] über unwegsame Steine kletterten wir die Hügel und Berge hinan. Wir wanden uns beständig in Schlangenlinien durch die Felsenwände mit nicht geringer Gefahr, bei einem Fehltritte in den Abgrund zu stürzen. Kühn sind überall auf den Gipfeln der Berge Burgen erbaut, und da und dort hängt ein Kapellchen friedlich und sittsam in den Klüften. An dem Fusse dieser Gebirge fehlt es zu beiden Seiten nicht an kleinen fruchtbaren Ebenen, die mit grossem Fleisse angebaut sind. Aber man fühlt es früh Morgens an den kühlen Winden, die durch das Thal streichen, dass sich der Norden hier aufthut. Viele Fruchtbäume stehen in Reihen am Abhange der Berge. Das Obst und Gemüse sind nächst dem Weine die Hauptprodukte dieses Landes.

Bei Bacharach verengt sich zur Linken das Thal, und die Berge hängen schauerlich über die schwarze düstere Stadt. Es ist ein grosser Anblick, wenn man diese Berge vor sich sieht. Ein Fusssteig führt auf die steilen Höhen des Schlosses Stahleck. Zu beiden Seiten sind Reben gepflanzt, und wo der Winzer die jähen Abhänge nicht erklettern kann, klimmt der Epheu üppig hinan.

Gegen Bacharach über, ein wenig abwärts, liegt das pfälzische Städtchen Kaub, freundlich und [139] angenehm für das Auge. Das Thal ist dort breiter. Ein sanfter Wiesenplan läuft an dem Ufer hin. Die Häuser sind weiss angestrichen und kontrastiren mit dem schwarzen Bacharach ungemein schön. Das frische Grün von Kaub ist den Augen wohlthätig und erfreut doppelt das Herz. Abends und Morgens sind die Berge mit Wolken umgürtet, und besonders liegt im Herbst immer noch ein dicker Nebel über diesen Thälern, wenn der Hunsrück sich schon seit mehrerer Stunden der Sonne erfreut. Wir gingen mit einem fränkischen Offizier in die wilden Büsche über Bacharach auf die Jagd. Erst früh am andern Morgen kamen wir zurück. Oben auf den Bergen stand schon die Sonne in voller Majestät. Eine dicke Dampfwolke hing über dem Rheinthal. Der Fluss und die Städte waren verhüllt. Es schien, als könnten wir über die Wolke an das jenseitige Ufer gelangen, auf dem wir die Spitze des von der Sonne beleuchteten Schlosses Gutenfels deutlich erkennen konnten. In der angenehmsten Täuschung gingen wir fürder. Aber mit jedem Schritte verwickelten wir uns tiefer und tiefer in das Dunkel des Thales, biss uns endlich die Sonne und die Wipfel der Berge aus dem Gesichte schwanden. Unten dämmerte uns die Stadt entgegen; der [140] Rhein und der Nebel lagen wie in einander verschwommen.

Das mitten auf dem Rhein liegende Schloss Pfalz trägt nicht wenig zu der Schönheit dieser Gegend bei, und ich möchte sagen, dass es das glücklichste Werk von Menschenhänden war, auf diese Art die Natur zu verschönern. Die Ansicht dieses kleinen Schlosses, wenn man den Fluss hinab kommt, ist malerisch schön. Ich weiss nicht, ob es Andern auch so scheint, oder ob ich mich durch DE LUC’S und BERTOLA’S Bemerkung verleiten liess, es scheint mir wie ein Schiff, das in einen Kanal segelt.

Die kühne Fabel erzählt, dass hier die Pfalzgräfinnen in den vorigen Jahrhunderten hätten entbunden werden müssen. Nach der Zeit biss auf unsere Tage diente das Schloss einigen invaliden Soldaten zur Wohnung, die über den Zoll wachte, der zu Bacharach und zu Kaub entrichtet werden musste. So oft sich ein Schiff in der Nähe zeigte, zog man auf der Warte eine Glocke an, und gab dadurch den Zollbedienten das Zeichen zur Brandschatzung. Der Kurfürst von der Pfalz verliert durch die Abschaffung dieser beiden Zölle wenigstens eine jährliche Einnahme von 10000 rheinischen Gulden. Die Zollbedienungen hielt [141] man für die fettesten im ganzen Lande. Es bewarben sich sogar Damen darum, und verpachteten sie dann wieder an andere. Diese Herren wirthschafteten nun wie ächte Bassen, und verschlangen wenigstens ein Drittheil von den Zolleinkünften nebenher. Kein Schiffer wagte es, ohne ein beträchtliches Geschenk abzufahren, sonst ward er gewiss das nächste Mahl dreifach gebrandschatzt. Je beträchtlicher die Geschenke waren, desto geringer taxirten die Zöllner die Fracht, denn diess hing ganz allein von ihrer Willkühr und Rechtschaffenheit ab.

Bacharach ist eine schmutzige Stadt, mit finstern Strassen, und alten, den Einsturz drohenden Häusern. An der Stadtmauer läuft eine dunkle bedeckte Gallerie hin, die immer mit Bettlern vollgestopft ist. Noch mehr wurden wir aber in der Stadt selbst von diesen Leuten überlaufen, und man sollte glauben, dass man in eine eigene Bettlerstadt gekommen wäre. In dem Wirthshause, wo wir übernachteten, waren wir schlechter aufgehoben, als ich es jemahls auf allen meinen Kreuzzügen erfahren habe. Wahrlich schlechter wird man nicht in den schmutzigsten brandenburgischen Dörfern bewirthet! Alte Eier und sauerer Wein, der erst bei den Kapuzinern geborgt werden [142] musste – siehe da ein Mittagsmahl für 2 Fl. 40 Kreuzer.

Das einzige Verdienst, dass sich KARL THEODOR um diese Gegend erworben hat, ist die Anlegung einer vortrefflichen Kunststrasse, die sich von Bacharach aus über den Hunsrücken biss Bernkastel an die Mosel erstreckt. Überhaupt hat die Pfalz wegen ihrer vortrefflichen Wege einen grossen Vorzug vor vielen andern Ländern. Man reis’t mit doppeltem Vergnügen durch dieses schöne Land, wo man nichts von den Unbequemlichkeiten empfindet, die Einem alle Freude in Sachsen, im Brandenburgischen, in der Wetterau und in Böhmen diesseits Prag vergällen.

Besser als in Bacharach wurden wir in dem freundlichen Kaub bewirthet. Wir blieben Mittags da, und wärmten unsere Phantasie an den herrlichen Bildern der Natur, die wir am linken Ufer vor uns hatten. Der beste Rath, den man einem Reisenden in diesem romantischen Lande mitgeben kann, ist, dass er sich die Ansichten, so viel als möglich zu vervielfältigen suchen muss. Die Einförmigkeit, die MEINERS und nach ihm der berühmte G. FORSTER, diesen Gegenden vorgeworfen haben, verschwindet, wenn man wie BERTOLA an’s Land steigt, so oft Gelegenheit da ist, die Berge, Anhöhen und Schlösser [143] selbst besucht, und vor allen Dingen den Rückblick über den Fluss und seine herrlichen Ufer nicht vergisst. Wir haben diese Art zu reisen, so viel es sich in dieser Zeit nur immer thun liess, befolgt, und so können wir sagen, dass uns die vierzehn Tage, die wir von Mainz biss Boppart zugebracht haben, wie liebliche Traumbilder verflogen sind.

Gegen 1 Uhr Nachmittags schifften wir uns von Kaub nach Ober-Wesel ein, in Gesellschaft munterer Freunde und geschickter Musikanten. Wir sangen nach NAUMANN’S herrlicher Musik das schöne Lied von SALIS.

Wir ruhen vom Wasser gewiegt,
Im Kreise vertraulich und enge;
Durch Eintracht wie Blumengehänge
Verknüpft und in Reihen gefügt:
Uns sondert von lästiger Menge
Die Flut, die den Nachen umschmiegt.
So gleiten, im Raume vereint,
Wir auf der Vergänglichkeit Wellen,
Wo Freunde sich innig gesellen
Zum Freunde, der redlich es meint!
Getrost, weil die dunkelsten Wellen
Ein Glanz aus der Höhe bescheint.

[144]

Ach! trüg’ uns die fährliche Flut
Des Lebens so friedlich und leise!
O drohte nie Trennung dem Kreise,
Der sorglos um Zukunft hier ruht!
O nähm’ uns am Ziele der Reise
Elisiums Busen in Hut.
Verhallen mag unser Gesang,
Wie Flötenhauch schwinden das Leben:
Mit Jubel und Seufzen verschweben
Des Daseins zerfliessender Klang!
Der Geist wird verklärt sich erheben,
Wenn Lethe sein Fahrzeug verschlang.

Sobald man das unbedeutende Städtchen Ober-Wesel im Rücken hat, ändert sich mit einem Mahle die Szene. Alles wird wilder und unfruchtbarer, als bissher. Die Berge ziehen sich an beiden Seiten zusammen, und bilden abgehauene Felsenwände, unter denen man an den Ufern des Flusses mit Schaudern wandelt. Hoch am rechten Ufer hängt der trotzige Lurlei, den die Schiffer bei ihrer Vorüberfahrt mit einem schallenden Hollah begrüssen, und ihren Ruf sechs und sieben Mahl durch das Echo zurück erhalten. Die Sonne sank eben hinter den Berg, als wir dieser wilden Natur uns näherten. Unsere Schiffer fingen schon [145] von weitem an, den ehrwürdigen Lurlei zu necken. Wir liessen uns an das linke Ufer fahren, und stiegen an’s Land, um unter freiem Himmel unsere Abendmahlzeit zu halten. Unterdessen stimmten sich unsere Gefährten zur Musik. Diess war die angenehmste Stunde, die ich während der ganzen Reise gehabt habe. Der Ruf der schmetternden Trompete und des ernsten Waldhorns war unbeschreiblich angenehm und überraschend in der Stille des Abende. Wild und trotzig antwortete das Echo zuerst, und schien seine Schwestern in den hintern Gebirgen aufzufordern, die immer leiser und leiser, je weiter sie entfernt waren, antworteten. Zuletzt liess sich noch ganz nahe eine vorlaute Stimme hören, die das Conzert beschloss. Der Zwischenraum vor der ersten Antwort des Echo’s ist gross genug, um drei biss vier regelmässig auf einander folgende Töne aufzunehmen, und deutlich zurück zu geben.

Spät hatten wir noch ein Abenteuer zu bestehen, das gefährlich genug war, um die Furchtsamen unter uns in Angst und Schrecken zu setzen. Diess war nach dem Bingerloch noch eine Charibdis, die Bank bei St. Goar genannt. Die Schiffer halten diesen Pass wirklich für gefährlich; kaum wissen aber die ältesten Leute von einem [146] Unglücke, das hier geschehen wäre. Wenn das Wasser hoch geht, so sieht man nichts von den zürnenden Wogen, die sich sonst hier wütend an den Klippen brechen. Unser Schiffer wagte ohne alle Besorgniss bei schimmerndem Mondlicht die Durchfahrt, und wir haben in unserm Schiffe kaum das schnellere Fortgleiten über die strömenden Fluten bemerkt.

Bei St. Goar stiegen wir an’s Land. Ich betrat diese Stadt jetzt zum ersten Mahle mit Freude und mit Dankbarkeit gegen die Republik. Glorreich liegt der Despotismus zu Boden gestürzt, der oben in Rheinfels einen Hauptsitz hatte. Wenigstens können nun von dieser Seite keine Menschen mehr verhandelt werden. Dieses abscheuliche Recht ist ein Ausfluss des westfälischen Friedens, womit Frankreich die deutsche Kraft unterdrückt hat. Kein Unterthan darf sich an den Reichsgerichten beklagen, wenn ihn auch sein Fürst über den Tigris schicken wollte. Denn der Fürst hat nach dem westfälischen Frieden das Recht, Krieg zu führen, Frieden und Allianzen zu schliessen, Truppen marschieren zu lassen, u. d. gl. Man erzählte uns viel von einem projectirten Fürstenbunde, der die Absicht gehabt haben soll, die Länder der fürstlichen Seelenverkäufer zu kordonieren, [147] und keinen Truppen, die in fremde Welttheile gehen, den Durchzug zu gestatten. Da nun keiner der Mäkler an offenbaren Meeren wohnt, so muss er die Leute im Lande behalten, oder in Luftballons transportiren. Ich glaube aber, dass dieses Projekt nur in dem Kopfe irgend eines Menschenfreundes ausgeheckt worden, und nie in einem Kabinette zur Sprache gekommen ist.

Es ist schwer zu begreifen, wie der Landgraf eine volle Börse einem bevölkerten Lande vorziehen kann. Er scheint nicht berechnet zu haben, dass er mit jedem Manne ein Kapital aus dem Lande schickt; dass er auf jeden Kopf wenigstens 4 Rthlr. jährlicher Einkünfte verliert, ohne den ungeheuern Verlust, wenn ein Mann todtgeschossen wird, oder sonst zu Grunde geht. Die Engelländer kennen den Werth der Menschen im ökonomischen Verstande besser, sonst würden sie nicht so thöricht sein, so ungeheure Summen für fremde Miethlinge ausser Landes zu schicken. Es wäre in der That ein äusserst merkwürdiges Datum, wenn man erfahren könnte, wie es mit der Volksmenge in Hessen vor und nach dem amerikanischen Kriege gestanden hat. Einige wollen eine fast unglaubliche Verminderung herausgebracht haben. Andere behaupten dagegen, dass man den Abgang [148] junger Mannschaft noch kaum spüre. Wenn man aber auf dem platten Lande den Pflug von Weibern treiben sieht, so kann man den traurigsten Gedanken nicht widerstehen. Der Landgraf, der in diesem Kriege sich so gern den Kurhut erkämpft hätte, hat den Ertrag seines Landes gar nicht in Betracht gezogen, sondern rekrutirt, so lange es gehen mochte. Wenn sein Car tel est nôtre plaisir über das Land fährt, so verstummt männiglich.

Die militärische Verfassung in den hessischen Ländern mag für den Landgrafen ihre grossen Vortheile haben, aber der Industrie und der Moralität des Volks ist sie äusserst nachtheilig. Sie war es auch nicht, die den Landgrafen bei CUSTINE’NS Aufforderungen gerettet hat. Die Ursachen dieser sonderbaren Liebe der braven Hessen zu ihrem Fürsten sind anderswo zu suchen, als in dem deutschen Reichsspion [3] und Büchern dieses Gelichters.

Wir wollen uns noch einige hierher gehörige Züge von einem Philosophen deuten lassen.

[149] „Habt ihr nie gesehen, dass in verschiedenen Strichen des deutschen Reichs die gedrückten und ausgesogenen Ländereien grösserer und kleinerer Despoten sich durch die gesegneten Fluren milder und menschenfreundlicher Fürsten hindurchwinden; und dass dennoch der verwelkende Sklav neben dem starken Landmanne ruhig ackert? Seid ihr nie aus dem Gebiete einer gewissen Reichsstadt, auf welchem der genährte, gebildete und geehrte Landmann es nicht neu findet, dass er eures Gleichen sei, dass er ein Mensch sei, über Grenzen getreten, welche, statt des Wappens, überall durch das Bild der Hand unter dem Beile und des an die Karre Gefesselten bezeichnet werden, auf welchen euch ausgetrocknete Mumien in Lumpen begegneten, die vor eurem ganzen Rocke den Rest ihrer Kopfbedeckung abzogen, ehe sie noch in euern Gesichtskreis kamen? Die Letztern leben ruhig neben und unter den Erstern, und verbluten ihren letzten Tropfen Bluts für den, der ihre vorherigen verkaufte [4]“.

[150] Sonderbar ist es, dass der letztverstorbene Fürstbischof von Speier (wie bekannt, auch einer der fürstlichen Sanskulotten dieses Jahrhunderts) in einer Druckschrift an den Reichstag geäussert hat, dass er zwar aus menschlicher Schwachheit da und dort einen kleinen Fehler begangen, aber doch nie, um seine Kasse zu füllen, einen schändlichen Menschenhandel hätte treiben wollen.

Bei St. Goar wird trefflicher Lachs gefangen, der sich nirgends in diesen Gegenden so gut findet, als hier. Die Einwohner treiben damit einen einträglichen Handel. Sie schicken ihn, geräuchert und in Stroh eingepackt, meist nach Frankfurt und Kölln, wo er durch Kaufleute weiter speditirt wird. In St. Goar selbst ist er nichts weniger als wohlfeil. Wir mussten in unserm Wirthshause zum grünen Wald das Pfund mit 24 Kreuzern bezahlen.


[151]
VII.
Koblenz.     

Der Rhein, der von St. Goar her zwischen Felsen eingeengt ist, und zürnend sich durch seine beschränkte Laufbahn drängt, bildet bei Boppard einen See, der rund von Bergen umschlossen ist, und scheint in einer wollüstigen Ruhe zu liegen. Mir hat die Fahrt auf diesem See vorzüglich gefallen, denn die Gegend ist eine der malerischsten, die man von Mainz biss hierher sieht. BERTOLA ist dieser Meinung nicht. Er findet sie stumm, unbedeutend, abgeschmackt und einförmig.

Es ist eine köstliche Empfindung auf diesem See zu weilen, und die mannichfaltigen Schönheiten rundum zu geniessen. Nach der grossen, wilden und hehren Natur, die einem fast ununterbrochen von Bingen zur Seite gewesen ist; überrascht die Milde, und die sanfte Wölbung der Berge hier doppelt.

[152] Gleich unter Boppard macht der Rhein einen scharfen Winkel nach Osten, bald neigt er sich aber wieder gegen Norden, und beginnt in die köstlichste Landschaft zu treten, die er während seines ganzen Laufes von Basel her gesehen hat.

Bei Rense stieg ich unserm C... zu Liebe an’s Land, um den Königsstuhl zu besteigen, der sich hier seit Jahrhunderte erhalten hat. Die unbedeutende Wichtigkeit dieses Denkmahls, dem der berühmte KÖHLER eine eigene Abhandlung geschenkt hat, reizte mich nicht. Wenn ein türkischer Basse sich empört, so muss der Menschenfreund trauern. Solche Revolutionen haben nicht das Glück der Menschheit zum Zweck, oder auch nur andere reine Absichten. Die Herrschsucht facht sie an, und die Raublust des ungebildeten Haufen unterhält sie. Statt aus den Ketten befreit zu werden, fällt der Mensch in eine noch schändlichere Knechtschaft, als die war, der er so eben entronnen ist. Die Kurfürsten haben hier einen Kaiser entthront und einen Bund geschlossen. Geschichtschreiber, derer Namen weit und breit umher rauschen, haben daraus auf die deutsche Freiheit einen Schluss machen wollen. Aber, ich bitte, schweigt mir von euerer problematischen Freiheit, auf die Aristokraten und ihre Höflinge wohl, aber kein [153] Bürger stolz sein kann. Eifersucht, Herrschgier und Raubsucht, Geldfischerei und Privathass waren die Ursachen, die WENZEL’N (diesen mit herrlichen, aber von den Kurfürsten übel geleiteten Eigenschaften ausgestatteten Mann) den Thron kosteten, und dem Fürstenverein das Dasein gaben. Überall werden wir dabei die Verachtung der Menschheit gewahr. Ein Thron stürzt freilich zu unsern Füssen nieder, aber dagegen erhebt sich eine andere weit schrecklichere Macht, die unbedingte Macht der Kurfürsten, die seit jenes ersten kühnen Schrittes immer in ihren Anmassungen weiter gingen, und biss zum westfälischen Frieden, in dem Deutschland die Beute noch mehrerer Tirannen ward, mit dem Reichsapfel spielten.

Nach der Zeit waren die Koblenzer stolz genug, ihren jedesmahligen neuen Bürgermeister am Pfingstmontage auf dem Königsstuhl auszurufen. Ich war ein Mahl in Wetzlar von dem dünne thuenden Bettelstolze eines solchen Burgermeisterleins, Namens SCHOLL, Zeuge. „Der Kammerrichter, sagte das Männchen, ist nur ein Diener des Kaisers, ich habe aber in Koblenz gleiche Rechte mit Sr. Majestät, denn ich bin auf dem Königsstuhle vorgestellt.“ Diess is der nämliche SCHOLL, der in Sachen VEIT WEBER’S contra die [154] Emigrirten das berüchtigte Urthell fällte, wovon im Nachtbothen nähere Kunde zu finden.

Nicht auf diesem Königsstuhle allso träumte ich mich in glückliche Zeiten, wo Zorn, Neid und gewaltsamer Stolz, wo Eigenmacht und Willkühr uneigennützige Gegner fanden.

Der Reichthum der Natur von Lahnstein biss Koblenz ist ohne gleichen. Der liebliche Morgen hatte sich eben auf die Erde herab gelassen, als wir von Boppard abfuhren. Je weiter wir auf dem spiegelhellen Becken des Flusses hinab gleiteten, desto mehr gewann die Landschaft an Pracht und Licht. Endlich senkten wir uns in die reine Schönheit der Natur, in ein Meer von süssen Frühlingsgerüchen, die allenthalben von den Ufern des Flusses und seinen blumigen Auen, und von den Hügeln und aus den Wäldern empor dufteten. Hier entzückte uns die schönste Mannichfaltigkeit mit einer Einfalt gepaart, blühend und fröhlich. Selbst die leblosen Dinge schienen von diesem unendlichen Reize beseelt. Hohe Eichenwälder, und trotzige Burgen, die auf das liebliche Grün sehr schön abstachen; Hügel mit Reben und Rasen bekränzt; ein angenehmes Thal, von der Lahn durchwunden, die, eine bräutliche Nimphe, sich der Kraft des Rheins hingiebt; kühle Büsche und blumige [155] Triften, und liebliche Dörfer hinter Bäumen versteckt; eine anmuthige Vermischung der Natur und Kunst, fielen uns auf ein Mahl in die Augen. Es entstand ein neues Licht, und umleuchtete die ganze Gegend um Koblenz. Die Spitzen des Ehrenbreitsteins zeigten sich zuerst zur Rechten, dann zur Linken die Karthaus und das Oberwerth mit seinem in Bäume verhüllten Kloster. Dann traten die Thürme von Koblenz selbst und das ehemahlige kurfürstliche Schloss mit seinem angenehmen weissen Anstrich hervor. Erstaunt über diesen Anblick hoben wir die Augen empor, und riefen der Landschaft frohlockend entgegen.

Wir stiegen am südlichen Ende der Stadt an’s Land, und suchten sogleich unsere Freunde auf, die wir nun nach vier Jahren wieder zum ersten Mahle begrüssten.

Nachdem wir ein paar Stunden ausgeruht hatten, machten wir uns auf den Weg, die Stadt in Augenschein zu nehmen, die nun nach der Vertreibung der geistlichen Regierung ein ganz anderes Ansehen gewommen hat. Doch haben wir kein Fünkchen von Freiheitsliebe unter dem Haufen aufspüren können. Indessen treten Pfaffen und Mönche nicht mehr so bettelstolz einher, wie vordem. [156] Sie schleichen sich still und gebückt an den Häusern her, und sind so schüchtern, als wenn sie bei jedem Schritte den Donnerschlag vermuteten, der über ihren Häuptern schwebt. Der Abstich dieser erbärmlichen Rotten von Müssiggängern zu den Republikanern setzte uns gleich Anfangs in Erstaunen, noch mehr aber die Bemerkung, die wir jetzt alle Tage ein paar Mahl zu machen Gelegenheit haben, dass der Bürger noch mit ganzer Seele an diesen Abgöttern hängt. Doch kann das auch nur erzogener Hang der Koblenzer sein, die, wie andere Leute, gern das Langgewohnte und Alte für nothwendig und gut halten, und in diesem Falle lässt sich hoffen, dass sie sich eben so an ihren neuen Stand gewöhnen werden, wenn sie sich ein Mahl in dem Getümmel um sich her zurecht gefunden haben.


[157]
VIII.
Koblenz.     

Ich habe seit meines letzten Briefes mit unserm R..., der bei den jenseits stehenden Armeen Geschäfte hatte, einen Streifzug biss nach Frankfurt gemacht, von dem ich Dir jetzt Rechenschaft zu geben gedenke, ob das gleich gegen unsere Abrede ist. Du weisst es ja aber, dass ich gern auf Abschweifungen gerathe, und meine Briefe sehr desultorisch einzurichten pflege. Zur Sache.

Wir liessen uns gegen Abend über den Rhein setzen, um im Thale Ehrenbreitstein zu übernachten, und am andern Morgen ganz früh unsere Reise landeinwärts fortzusetzen.

Im weissen Rosse, wo wir uns einquartierten, wimmelte es von Soldaten und Civilpersonen aller Art, die sich mit Hasardspielen unterhielten. Farao und Häufeln ward an zwei Tischen mit der grössten Hitze gespielt. Ganze Haufen Kronen gingen abwechselnd aus einer Hand in die andere, biss [158] am Ende die Bank den grössten Theil verschlungen hatte, und das Spiel geendigt war. Leute, die ich vorhin in den armseligsten Umständen gekannt habe, spielten mit Gold, und haben sich Pferde und Wagen erspielt. Gegen 10 Uhr kam die Patrouille. Ein Offizier von der Spielgesellschaft deckte bei ihrem Eintritte den Hut über die Karten. Wird hier gespielt? fragte der kommandirende Offizier. Nein! war die Antwort, und jener ging ohne weiteres davon.

Die Hasardspiele sind eigentlich bei der fränkischen Armee verboten. Aber die Generale sehen leicht durch die Finger, weil sie die Offiziers im Felde durch das Spiel wach zu erhalten suchen. Diess wird auch sehr gut erreicht, denn ich glaube nicht, dass irgend etwas so leicht den Schlaf vergessen machen kann, als Hasardspiele.

Das Thal ist, seit kein Kurfürst mehr da wohnt, ein elender Ort, der jetzt nur durch das Militär lebhaft geworden ist. Er macht aber mit der darüber hängenden Festung Ehrenbreitstein diese Gegend zur schönsten auf und ab dem Rhein. Herrlicher giebt es keine Aussicht, als diese Festung beherrscht. Man kann Tage lang da stehen und sehen, und wieder sehen, und des Sehens nicht satt werden. Sie ist jetzt von trierischen Truppen [159] besetzt, die unter dem Kommando ihres FABER’S auf diesem Felsen keinen Muth nöthig haben.

Wenn der Ehrenbreitstein wirklich demolirt wird, wie es alles Ansehen hat, so verliert die umliegende Gegend eine ihrer schönsten Zierden. Doch wer wird diese Zierde nicht gern für eine schönere Hoffnung hingeben, die nach einigen Jahren gewiss nicht mehr Hoffnung sein wird? Du verstehst mich.

Von Ehrenbreitstein kommt man über eine ganz gute Kunststrasse nach Montabauer und Limburg, zwei trierische Städtchen, ohne Bedeutung.

Dieser Strich Landes macht einen Theil des sogenannten Westerwaldes aus. Die Gegend ist gebirgig, voller Wälder und Haiden. Das Klima muss allso auch nothwendig schon merklich verschieden sein. In einigen Theilen geht der Schnee vor Ende des Floreals nicht ab. Koblenz bezog von hier vor dem Kriege hauptsächlich Butter, Vieh und Wildpret, und die angrenzenden Länder Vieh und Holz. Jetzt ist das Land durch den leidigen Krieg grössten Theils zu Grunde gerichtet. Die Butter, welche die Bewohner sonst in Koblenz absetzten und dafür baares Geld nach Hause brachten, essen die Armeen auf, und die armen [160] Leute bekommen Stockschillinge dafür. Dieser Theil von Deutschland ist in unsern Tagen der unglücklichste gewesen. Was der Hunger der vereinigten deutschen Armeen übrig gelassen hatte, raubte die Jourdanische Armee vollends aus, und dem Einwohner blieb nichts übrig, als der Habersack und Selterser Wasser. Die Republikaner haben sich hier nicht republikanisch betragen. Man sah freilich keine brennenden Dörfer, aber geplünderte und zerfleischte Menschen, entehrte Weiber und Mädchen, und wütenden Hunger auf allen Seiten.

Ich stand an jenem denkwürdigen Tage des dritten Jahrs der fränkischen Republik, an dem die siegreichen Franken die Stadt besetzten, in der ein kurzsichtiger Fürst den ruchlosen Emigrirten Aufenthalt und Schutz gegeben hatte, auf den Höhen von Ehrenbreitstein, und hörte dem Gespräche von zwei trierischen Edelleuten zu, die auf die jenseitigen Rheinbewohner schimpften, weil sie nicht die Waffen ergriffen und dem Feinde entgegen gingen. Die Franzosen sollten nur herüber kommen, meinten sie, sie wollten sie besser begrüssen. Als im nächsten Jahr dieser Fall nun wirklich eintrat, versammelten die Herrn ihre Bauern, wurden aber ausgelacht, und wenn sie nicht heimlich davon gegangen wären, so würden [161] sie wahrscheinlich das Opfer der gerechten Wut eines gedrückten Standes geworden sein.

Der Edelmann betrachtet in dieser Gegend die Bauern nicht besser als sein Vieh, das nur zur Bequemlichkeit der Menschen da ist, und weiter nichts braucht als vier Elemente und Hafer. Selbst der Kurfürst begreift es nicht, dass seine sogenannten Unterthanen jetzt nicht im Stande sind, ihm Abgaben zu entrichten. Er begnügt sich darum nicht mit demjenigen, was ihm Augsburg und Ellwangen abwerfen, sondern lässt sich auch noch vom Rhein Geld kommen. Er würde aber auch gewiss eben so leicht den Ämtern, die noch diesseits von dem Kurfürstentume übrig geblieben sind, alle Abgaben erlassen, wenn ihm Jemand begreiflich machte, dass sie bei den gegenwärtigen Umständen nichts zu geben im Stande sind. Ein schlechter Minister eines schwachen Fürsten ist ein doppelter Würgengel im Lande.

Wenn die Landbewohner in dieser Gegend an den Bettelstab gekommen sind, so hat gerade das Gegentheil bei den Städtebewohnern statt gefunden. Montabauer, ein artiges kleines Städtchen, war vor dem Kriege ein ziemlich armer Ort. Man fand vielleicht nicht Eine reiche Familie darin. Jetzt ist der Überfluss auffallend. Man findet keine [162] Schenker und Krüger mehr da, sondern Hotels. Man begnügt sich nicht mehr mit einem frugalen Mittagsmahle, sondern es werden Mittags und Abends-Tafeln gegeben, an denen ganz nach Frankfurter Art geschmausst wird. Man trinkt keinen Mosler mehr, sondern Rüdesheimer, Hochheimer und Champagner. Leute, die sonst nur von Kupferkreuzern sprachen, und allenfalls um ein Flimmerchen Mensch spielten, führen jetzt nichts als Dukaten im Munde und spielen mit Kronen. Die Mädchen werden nicht mehr Jungfern, sondern Mademoiselles und Fräulein genannt.

Aber auch auf die Sitten hat diese Häufung des Geldes Einfluss gehabt. Man findet hier jetzt schon nicht mehr den alten rohen, aber ehrlichen Westerwälder Bürger, sondern den stolzen und pralenden Bewohner grosser Städte. Die gemeinen Mädchen legen Roth auf, und gehen trotz ihrer Schwestern in Koblenz Abends auf Eroberungen aus. Jetzt, da ihre Tugend eben auf dem Punkt steht, vollends zu scheitern, und ihr Umgang noch auf den Grenzen zwischen einfältiger Zurückhaltung und städtischer Nachgiebigkeit schwebt, mögen sie vielleicht sehr liebenswürdig sein. Man wird sie aber bald nicht mehr so finden.

[163] Das Amt Montabauer besteht aus beinahe hundert Dörfern, die unter einem Amtmanne stehen, der in dem Städtchen seinen Sitz hat. Die Bauern wurden vor drei Jahren von den Östreichern recht auf ungerische Art geprügelt, wenn sie bei den Schanzarbeiten etwas versahen. Man forderte sie fast täglich in grossen Haufen nach Neu-Wied und Ehrenbreitstein, und, um ihnen ja recht viele Beschäftigungen zu machen, wurden oft die eben errichteten Schanzen wieder geschleift, und an ihrer Stelle neue errichtet, die eben wie die alten beschaffen waren.

In Limburg logirten wir in den heil. drei Königen, ehemahls eine Schenke, jetzt ein stattliches Hotel. Der Herr Stadtschreiber KREMER ist ein eben so gefälliger Wirth als angenehmer Gesellschafter. Die Hasardspiele werden in dieser Stadt noch stärker getrieben, als in Ehrenbreitstein. In allen Wirthshäusern findet man Banken errichtet, an die das Geld auf eine leichtsinnige Art vertrödelt wird.

Die Einwohner dieser Stadt sind ausserordentlich derb und ungeschliffen, und besonders ist der Wirth im rothen Ochsen (von dem doch BALDINGER’S Schwiegersohn so viel zu rühmen weiss) von dieser Art.

[164] Es giebt hier auch ein Kollegiatstift. Die Sinekuren sind aber nicht sehr fett, und die Pfaffen wahre Epikuräer und morgenländische Derwische. Man findet sie noch spät in der Nacht in den Wirthshäusern sitzen, und unter den Busentüchern und Schürzen feiler Mädchen wühlen. Diese Herren gleichen Jagdhunden, die ruhig bleiben, so lange sie gefesselt sind, und der Jäger wachsam ist. Sobald aber dieser schläft, zerreissen sie die Bande, und streifen die Kreuz und die Querre nach Wild und Atzung umher.

Zwischen Limburg und Weilburg fängt sich das Nassauische Gebiet an. Es ist unter mehrern Linien dieses Hauses getheilt, wovon eine in Weilburg ihren Sitz hat. Dieses Städtchen ist sehr einsam, und selbst durch das jetzt in diesen Gegenden herrschende Getümmel nicht lebhaft geworden.

Wir empfanden hier zum ersten Mahle den Unfug, den die taxischen Posthalter treiben, und wovon ich schon eher viel gehört hatte. Wir bestiegen in Ehrenbreitstein die ordinäre Post biss nach Wetzlar, und sollten diesen Weg von acht Meilen nach der Postordnung in Tag und Nacht zurücklegen. Wir haben aber über sieben Tage darauf zugebracht, weil es dem ungeschliffenen [165] Postmeister in Weilburg nicht gefällig war, Pferde zu schaffen. Von dergleichen Nachlässigkeiten nimmt das Oberpostamt in Frankfurt gar keine Notiz, so viele Klagen auch darüber einlaufen. Doch diess ist es noch nicht allein, was die taxischen Posten Abschreckendes haben. Sie wissen noch dazu jetzt mit dem Postgelde nicht Maass und Ziel zu halten. Jeder Posthalter setzt es so hoch an, als er die Börse des Reisenden taxirt, und so sind dann die Beispiele nicht selten, dass man für einen Wagen mit zwei Pferden auf zwei Meilen 8 Reichsgulden und drüber bezahlen muss. Ich begreife es nicht, wie mehrere deutsche Reichsstände dergleichen Brandschatzungen noch dulden, und warum sie einen Vortheil, den sie ihren eigenen Ländern zuwenden könnten, einer Familie gönnen, die kein anderes Verdienst um Deutschland hat, als dass ihre Ahnen ein Mahl die Post in diesem Reiche in Gang gebracht haben. Der Reisende muss von den Posthaltern die ärgsten Grobheiten ertragen; weil gegen sie ausser den Hauptstädten keine Justiz administrirt werden kann. Wenn die Fürsten auch nicht mehr thun wollten, so sollten sie doch wenigstens die taxischen Posthalter vor ihre eigenen Gerichte ziehen und keine fremde Gerichtsbarkeit in ihren Ländern dulden. [166] Für die Briefposten wäre diess besonders von grossem Vortheil, denn diese befinden sich in der That in einem erbärmlichen Zustande. Niemand kann von einem Briefe versichert sein, wenn er nicht besonders empfohlen und eine eigene Brandschatzung dafür bezahlt worden ist. Wenn Du ein Mahl in die Rheingegenden kommst, liebster EDUARD, so hüte Dich vor dem Posthalter in Weilburg und vor dem gröbsten aller groben Postknechte, dem Kammerrath DÖTSCH in Ehrenbreitstein. Du erinnerst Dich, dass SCHLÖZER in dem letzten Hefte seiner Staatsanzeigen einen Versuch an dem Postmeister DIEZE zu Nordheim gemacht hat, grobe Leute dieser Art zu bessern. Wenn man auf diese Art mit den taxischen Posthaltern verfahren wollte, so könnte man dicke Bände von Staatsanzeigen füllen. Ich weiss keine bessere Einwendung gegen den alten eisernen Freiheitsbrief dieser Herren, als öffentliche Prangerstellung.

Eine Meile von Weilburg fängt sich eine Kunststrasse an, die einzig in ihrer Art ist. Sie ward bei der Gelegenheit erbaut, als der Fürst seine Braut heimführte, und soll in ihrer Kürze über 30,000 Fl. gekostet haben. So viel verwendet ein Sedez-Fürstlein darauf, damit sein Weib ein halbe [167] Meile bequem fahren kann, und seine Bauern sind – verwelkte Sklaven.

Braunfels, der Sitz des Fürsten von Solms-Braunfels, ist ein kleines Städtchen von 3000 Seelen. Diess Ländchen wird gemeinschaftlich von vier Fürsten regiert, wovon einer in einem Bauerhause eine halbe Stunde von Wetzlar wohnt, und den Pflug treibt. Wer erinnert sich hier nicht an die Römer, die sich einen König vom Pflug holten? Schade nur, dass die Braunfelser keine Römer, und ihre Fürsten keine NUMA’S sind!

Es war Abends spät, als wir in Wetzlar einzogen. Ein alter hessischer Soldat, an dessen Arm wir in der dicksten Finsterniss die Strassen durchkrochen und vier morsche Treppen erkletterten, brachte uns endlich noch mit heilen Knochen in den römischen Kaiser, den besten Gasthof dieser Stadt, wo wir uns bei Herrn HINKEL einquartirten. Dieser Herr HINKEL ist der vortrefflichste Wirth, den wir auf unsern Reisen von Wien biss Koblenz und von Hamburg biss Inspruck gefunden haben. Auf seinen Rath liessen wir uns gleich am andern Morgen dem sämtlichen Kameral-Personale durch Visitenkarten bekannt machen, und waren dadurch wenigstens in einen Theil der Gesellschaften eingeführt. Wir machten mit vielen [168] Mitgliedern des Kammergerichts Bekanntschaft, und liessen uns von verschiedenen Seiten mit ihnen ein, um uns durch Erfahrung von der allgemeinen Stimmung zu überzeugen. Es bedurfte nicht viel, um dazu zu gelangen. Die Herren waren sämtlich biss zum Überströmen von ihrer Wichtigkeit voll, und schienen sich in dem gegenwärtigen kritischen Zeitpunkte, wo Alles um sie her eine mächtige Gährung erleidet, sicherer als je. Sie halten sich durchaus für die Geiseln der Fürsten, und glauben darum bei einem allenfallsigen Ausbruche die öffentliche Meinung für sich zu haben. Ich hätte aber sehr grosse Lust daran zu zweifeln. Wenn auch auf der einen Seite ein enthusiastischer Panegirist das Kammergericht biss in die Wolken erhebt, so ist doch der grösste Theil der deutschen Staatsbürger (vielleicht aus Vorurtheil und unzulänglicher Bekanntschaft) unzufrieden mit ihm. Weises Nachgeben von beiden Seiten dürfte vielleicht am gerathensten sein.

Noch zittert der Magistrat von Wetzlar vor dem Schatten des Generals HOCHE, der in dem Hause des Kammergerichts-Assessors NEURATH als Löwe spuken soll. Dieser General starb hier am 25. Fructidor V. an einer mit einem Bluthusten verbundenen Lungenentzündung (nicht an Gift, [169] wie man in einigen Zeitungen ausgesprengt hatte) bedauert von Allen, die ihn kannten, und selbst von seinen Feinden, deren hier nicht wenige waren, beweint. Biss zum 18. Fructidor lebte er in beständiger Unruhe und mit den Intriguen kämpfend, die ihm in Paris bereitet wurden. An jenem merkwürdigen Tage sah er sich an seinen Feinden gerächt, und seitdem wäre er des Lebens froh geworden. Aber der Tod raffte ihn bald nach der zu Wetzlar eingelaufenen Nachricht[5] von dem Siege der Republikaner im dreissigsten Jahre hinweg. Sein Leichnam ward von Wetzlar nach Koblenz gebracht und neben MARCEAU’S beerdigt. LEFEVRE, GRENIER und CHAMPIONNET wollten an seinem Grabe sprechen. Schmerz und Thränen [170] machten sie stumm. Ein Soldat trat aus dem Gliede und warf einen Lorbeerkranz mit den Worten auf das Grab: Bürger, im Namen der Republik gebe ich dir diesen Kranz. In Paris errichtete man bei seiner Todtenfeier neben dem Altar des Vaterlands eine Säule mit der Inschrift:


HOCHE
WAR IM BEGRIFF
DER
BUONΑΡΑRΤΕ
DES
RHEINS
ZU WERDEN.


Schmeichelhafter für den grossen Helden Italiens und zugleich für HOCHE’N, der sich seit jener verunglückten See-Expedition BUONAPARTE’N in der That zum Vorbilde genommen hatte, lässt sich nichts sagen.

In Koblenz ist sein Grab mit Zipressen bepflanzt, ohne äussern Prunk, der sich bei dem Grabe des Helden nicht ziemt. Sechs Fähnchen stehen dabei, mit folgenden Inschriften:


[171]
I.
GENERAL EN CHEF A XXIV. ANS.
AN II. DE LA REPUBLIQUE.
II.
IL DEBLOQUA LANDAU.
AN II. DE LA REPUBLIQUE.
III.
IL PACIFIA LA VENDEE.
AN III. ET IV. DE LA REPUBLIQUE.
IV.
IL VAINQUIT A NEUWIED.
AN V. DE LA REPUBLIQUE.
V.
IL CHASSA LES FRIPONS
DE L’ARMEE.
AN V. DE LA REPUBLIQUE.
VI.
IL DEIOUA
LES CONSPIRATEURS.
AN V. DE LA REPUBLIQUE.


[172] Wetzlar hat herrliche Ansichten. Wenn man aus dem östlichen Thore geht, so kommt man in einer kleinen halben Stunde nach Garbenheim, den bei GÖTHE’N unter dem Namen Waldheim so berühmten Ort. Hier muss man Werther’n, dieses Meisterstück des deutschen Genies lesen. Ich habe mir all die schönen Gegenden und besonders den lieblichen Brunnen vor der Stadt zu eigen gemacht, und bin drei Mahl nach Waldheim gewallfahrtet, meinen Werther in der Tasche.

Du kennst von Alters her meine Art, mich anzubauen, mir irgend an einem vertraulichen Ort ein Hüttchen aufzuschlagen, und da mit aller Einschränkung zu herbergen. Auch habe ich wieder ein Plätzchen angetroffen, das mich angezogen hat.
Ungefähr eine Stunde von der Stadt liegt ein Ort, den sie Waldheim nennen. Die Lage an einem Hügel ist sehr interessant, und wenn man oben auf dem Fusspfade zum Dorfe hinaus geht, übersieht man auf ein Mahl das ganze Thal. Eine gute Wirthin, die gefällig und munter in ihrem Alter ist, schenkt Wein, Bier, Koffe, und was über Alles geht, sind zwei Linden, die mit ihren ausgebreiteten Ästen den kleinen Platz vor der Kirche bedecken, der

[173]

ringsum mit Bauerhöfen, Scheuern und Höfen eingeschlossen ist. So vertraulich, so heimlich hab’ ich nicht leicht ein Plätzchen gefunden, und dahin lass ich mein Tischchen aus dem Wirthshause bringen und meinen Stuhl, trinke meinen Koffe da, und lese meinen Homer. Das erste Mahl, als ich durch einen Zufall, an einem schönen Nachmittage unter die Linden kam, fand ich das Plätzchen so einsam. Es war Alles im Felde, nur ein Knabe von ungefähr vier Jahren sass an der Erde, und hielt ein anderes, etwa halbjähriges, vor ihm zwischen seinen Füssen sitzendes Kind mit beiden Armen wider seine Brust, so, dass er ihm zu einer Art von Sessel diente, und ungeachtet der Munterkeit, womit er aus seinen schwarzen Augen herum schaute, ganz ruhig sass. Mich vergnügte der Anblick: ich setzte mich auf einen Pflug, der gegenüber stand, und zeichnete die brüderliche Stellung mit vielem Ergötzen. Ich fügte den nächsten Zaun, ein Scheunenthor und einige zerbrochene Wagenräder bei, alles, wie es hintereinander stand, und fand nach Verlauf einer Stunde, dass ich eine wohlgeordnete, sehr interessante Zeichnung verfertigt hatte, ohne

[174]

das mindeste von dem meinen hinzu zu thun. Diess bestärkte mich in dem Vorsatze, mich künftig allein an die Natur zu halten, u. s. w.

Das schöne Geschlecht befindet sich in Wetzlar in einer sehr unangenehmen Lage. Die jungen Mädchen gedeihen hier wie die Schwämme, und da die Anzahl der rüstigen Männer äusserst gering ist, so bleibt nicht selten der herrlichste Boden unbebaut. Herr HINKEL hatte die Gefälligkeit, uns in ein Konzert zu führen, das wöchentlich in seinem Hause aufgeführt wird. Ich machte da die Bekanntschaft einer aufblühenden Rose, die ringsum von losen Schmetterlingen umbuhlt ward. Ich weiss nicht, wie es kam, aber sie drückte mir rücklings einen Schlüssel in die Hand, und beschrieb mir sehr naiv das Gartenthor am Ende der Stadt, an einem blassroth angestrichenen Hause. Du weisst, ich mag dergleichen Abenteuer wohl leiden, und da das Mädchen noch dazu jung und blühend war, so ging ich hin, verwahrte mich aber doch auf alle Fälle gegen Nebenbuhler. Ich kam glücklich in den Garten. Es war eine herrliche Nacht und noch dazu Mondschein. Ich konnte nicht über Sprödigkeit klagen, und hatte ein paar recht vergnügte Stunden.

[175] Die Mädchen putzen sich kostbar, aber ohne Geschmack. Diess mag auch die Ursache sein, warum wir hier die berühmte Schönheit nicht finden konnten, von der man uns so viel vorgeschwatzt hatte. Ich sah wohl Mädchen, die fein gebaut und fleischig anzufühlen waren, aber für eigentliche Schönheiten konnte ich sie nicht halten. Vielleicht habe ich auch ihren Geist und ihre Ausbildung nicht genug von dem Körperlichen zu unterscheiden gewusst, denn ich kann mich nicht daran gewöhnen, ein Mädchen für schön zu halten, dessen Sprache mir schon Angst und Schrecken einjagt. Alle diese Mädchen sind willig und gefällig, aber ohne Vergleich abgeschmackt in ihren Gunstbezeugungen. Wenn man nichts weiter zu thun hat, als den Schleier aufzuheben (und auch der springt sehr oft freiwillig), so verliert das ganze Geschäft den besten Theil seines Reizes.

Wir hatten in Wetzlar Gelegenheit, den berühmten BALDINGER kennen zu lernen, der von Marburg zum Besuche herüber gekommen war. Stelle Dir ein Mahl einen alten schmächtigen Mann von ziemlicher Grösse vor. Ein faunisches Lächeln um seinen Mund; Augen, in denen das Jugendfeuer noch nicht ganz verloschen ist; eine ziemliche Nase; ein langer, ganz dünner Haarzopf, der [176] biss über die Mitte des Rückens herabhängt, mit einem schmalen Bande durchflochten; ein grauer Rock, an dem die hintern Knöpfe in beiden Seiten sitzen; eine rothe manschesterne Weste, die biss in die Hälfte der Schenkel herabhängt; schwarze lederne Beinkleider, ganz weit um die untern Theile geschlagen; blaue Strümpfe, über den Knieen aufgerollt; Glanzstiefel mit Sporen von Kupfer; eine lange Spiessgerte unter dem Arm; Handschuhe mit Stülpen, die fast biss an die Elnbogen reichen; ein kleiner Huth, nach der Mode des vorigen Jahrhunderts aufgeschlagen, auf dem Wirbel des Kopfes, – so sieht BALDINGER aus, und so erscheint er gewöhnlich in Gesellschaften. Er hat den siebenjährigen Krieg als preussischer Feldchirurgus mitgemacht, und ist seit der Zeit ganz militärisch geblieben. Es soll eine wahre Freude gewesen sein, den lieben Mann vor ein paar Jahren zu sehen, als einige preussische Regimenter, bei denen er noch Bekannte hatte, durch Marburg marschirten. Er ritt ihnen mit einer Kompagnie militärisch exerzirter Studenten entgegen, und empfing sie nach militärischer Weise. Selbst in seinen Amtsverrichtungen als Professor ist er ganz militärisch, und seine zahlreiche Bibliothek steht militärisch geordnet. Die besten Werke führen den [177] Reihen als Feldmarschälle und Generale. Ihnen folgen die Obristen, Majors, Hauptleute und übrigen Offiziers, und endlich der Tross. Seinem Bedienten, wenn dieser ihm ein Buch bringen soll, ruft er nur zu: den General der Leibkompagnie! den Adjutanten der –schen Kompagnie! den Gemeinen! den Packknecht! u. s. w., und dann weiss dieser schon Bescheid. In Gesellschaften und bei Besuchen kommandirt er seinen Gästen militärisch. Achtung! (die Gläser werden gefüllt und geordnet.) Macht Euch fertig! (sie werden angefasst.) Hoch schlagt an! (sie werden an den Mund gebracht. Feuer!! (und auf einen Zug geleert.) BALDINGER wird von den Studenten sehr geehrt und geliebt. Diese Liebe weis er sich auch in einem hohen Grade zu erhalten, denn er behandelt Jeden, wie seines Gleichen, und trägt kein Bedenken, mit dem ersten besten Studenten Schmollis zu trinken.

Das Urtheil, welches Einige über das sogenannte Burschenleben gefällt haben, ist nicht selten schief und schneidend ausgefallen. Es scheint mir durch lange Erfahrung erwiesen zu sein, dass es auf das zukünftige Leben gar keinen, oder doch nur einen höchst kleinen Einfluss hat. Welchem jungen Manne, der seit eines halben Jahres die Akademie verlassen hat, und sich um einen Dienst [178] in seinem Vaterlande bewirbt, sieht man wohl noch den Burschen an? Nachspiele zum akademischen Leben giebt es nicht, es müsste dann bei Einigen der Aufenthalt in Wetzlar sein. Ich kenne Leute, die auf der Akademie die rohesten Studenten waren, und sich gleich darauf auf den Kanzeln als die gesittesten Priester zeigten. Man möchte sogar sagen, dass dergleichen Jugendverhältnisse einen vortheilhaften Einklang auf das zukünftige Leben gäben, und den Menschen für Freundschaft und Offenheit empfänglicher machten. Solche Situationen von Jugendliebe lassen sich selten vergessen.

Von Wetzlar kamen wir durch die Wetterau über die Reichsstadt Friedberg nach Frankfurt. Die Weiber in der Wetterau sind hässliche Geschöpfe. Sie gehen fasst durchaus schwarz. Die Röcke reichen ihnen nur biss an die Kniee, und schlagen im Gehen die rauhen Schenkel. Ihre abscheuliche Sitte aus ganz kurzen Pfeiffenstückchen Toback zu rauchen, macht sie noch hässlicher. Da sitzen sie als wie die Hottentottinnen vor den Thüren ihrer Kraale, säugen ihre Kinder, und schmauchen mit sichtbarer Wollust eine Art von Stangentoback, Kneller genannt, den sie mit Eichblättern, und auch wohl mit den Exkrementen ihrer Ziegen mischen.

[179] Einige kleine Fürstlein, die in dieser Gegend über ihre Bauern zu Thron sitzen, sind wahre Mazulipatamer. Einer von ihnen liess vor einigen Jahren einen armen Kerl an der Landstrasse aufhenken, weil sonst der Blutbann für ihn verloren gewesen sein würde, wenn er gerade damahls keinen gehenkt hätte. Das vertrocknete Gerippe hängt noch da, und sagt jedem Reisenden, dass der Fürst das Recht hat, ein Todesurtheil zu unterzeichnen.

Während in diesem Lande das Schwert des Würgengels so fürchterlich geschwungen wird, befindet sich der Strassenbau in dem erbärmlichsten Zustande. Wir sahen einen Wagen von vier Reisenden besetzt, der mit sechs Pferden und vier Ochsen durch den Morast gezogen werden musste. Als die Beschwerlichkeiten überstanden waren, kam ein Zollbedienter und forderte Weggeld. Wir fragten nach dem Namen des Fürsten, der sich für die Erlaubniss, durch sein Land reisen zu dürfen, bezahlen läset, und hörten zum ersten Mahle, dass ein Mann dieses Namens in Deutschland existirte. Sein Gebiet, dass wir zu passiren hatten, betrug hier eine Viertelstunde in der Breite.

Die freie Reichsstadt Friedberg ist die dreizehnte auf der rheinischen Bank. Sie befindet sich, [180] wie die meisten kleinen Reichsstädte, in einem armseligen Zustande, und ist nicht im Stande, ihr Reichskriegskontingent zu unterhalten.

Auf der zu der rheinischen Ritterschaft gehörigen Burg haus’te weiland der berüchtigte Burggraf BASSENHEIM, der in den Zeiten der GÖTZE von Berlichingen und ULRICHE von Wirtemberg keine unwichtige Rolle gespielt haben würde. Seit die Franken seine Güter jenseits des Rheins in Beschlag genommen haben, ist seine Periode vorüber. Die chronique scandaleuse der unmittelbaren rheinischen Ritter erzählt die schauderhaftesten Geschichten von ihm. Er konnte seine Bubenstücke desto ungestörter verüben, weil er zu einer für die Menschheit eben nicht tröstlichen Zeit Präsident am Reichskammergerichte war.

Wenn man Frankfurt vor dem gegenwärtigen Kriege mit seinem jetzigen Zustande vergleicht, so stösst man auf einen auffallenden Unterschied in Rücksicht des Reichthums durch alle Bürgerklassen. Die Anhäufung des baaren Geldes hat eine ungeheuere Revolution hervorgebracht, und eine Theuerung der Lebensmittel veranlasst, die ausserordentlich ist. Man kann zuverlässig eine Summe von zwanzig Millionen Gulden berechnen, die Frankfurt rein und baar gewonnen hat. Wenn [181] nun davon biss jetzt höchstens sechs Millionen für Kontributionen und Brandschatzungen, für Verpflegungen der Armeen und an freiwilligen Geschenken wieder aus der Stadt gegangen sind, so bleibt immer noch eine Summe von vierzehn Millionen übrig. Frankfurt, dem Freund und Feind wenig Land aussaugen konnten, kann sich allso rühmen, in allen Theilen (die Messe ausgenommen) durch die Zeitumstände blühender geworden zu sein.

Es giebt keine Stadt in Deutschland, die prächtigere Gasthöfe hat, als Frankfurt. Da bleibst Du erstaunt vor grossen Pallästen stehen, und weisst nicht, welchen Du wählen sollst. Ich logire hier im rothen Hause in einem ganz kleinen Stübchen, wofür ich täglich 1 Gulden 12 Kreuzer bezalen muss. Ich hätte auch die Ehre haben können, in einem königlich oder fürstlich meublirten Zimmer, auf Nro. 1. oder 2. zu wohnen, wenn ich täglich 2 Karolinen dafür hätte bezahlen wollen, dass ich mich auf reichgestickten Faulbetten wälzen darf und in Silber bedient werde. Die Tafeln in diesen Wirthshäusern werden ohne Wein von der Person mit einem Gulden bezahlt, und dafür ungefähr 16 biss 20 Schüsseln aufgesetzt, unter denen aber kaum zwei von der Art sind, dass [182] sie für alle Gäste hinreichen. Wer sich nicht mit einer kleinen Dosis Unverschämtheit zu Tische setzt, steht gewiss hungrig wieder auf, denn es ist hier Sitte, dass man sich eine ganze Tracht Rebhüner, Schnepfen u. dgl. zu Teller nimmt, und ohne weiteres verzehrt, was auch der Nachbar sagen oder denken mag.

Die Magisträte in den deutschen Reichsstädten sind nach der Verfassung keineswegs Landesherrn, sondern nur Verwalter der Hoheitsrechte des ganzen Bürgerkorps nach gewissen errichteten Verträgen. Ich habe da eine Schrift vor mir, wo ein Reichshofrathskonklusum vom 17. Nov. 1739 vorkommt, in dent es ausdrücklich von Frankfurt heisst:

Auch an dem nicht ist, dass magistratus vor sich einen statum imperii ausmache, sondern da ihm die administratio jurium superiotitatis territorialis et regalium von kaiserl. Majestät anvertraut ist.
Dem Stadtmagistrat zu Frankfurt hierdurch scharf verwiesen wird, dass er die der ganzen Stadt Frankfurt ex J. P. W. unstreitig zukommende superioritatem territorialem privative auf sich allein ziehen, und der jurium statuum sich anmassen will, da er doch

[183]

mehr nicht, als die Administration derselben hat, und dahero der Bürgerschaft und des bürgerlichen Ausschusses wohlgemeinte und geziemende Erinnerung allerdings in Betrachtung ziehen muss, und hierdurch nochmahls darauf angewiesen wird.

Ich habe beide Stellen darum hierher gesetzt, weil Du daraus ungefähr die Verhältnisse des Magistrats und der Bürgerschaft gegeneinander kennen lernen kannst. Wenn die Reichsgerichte in andern Fällen so gewissenhaft wären, auch die Fürsten darauf aufmerksam zu machen, dass sie nur Verwalter sind, wenn es sich auch nicht aus dem westfälischen Frieden erweisen liesse, so würde es in manchem Lande besser aussehen.

Der Reichsfiskal, der zu jeder Messe hierher kommt, um die Bücher zu durchsuchen, hat den Buchhandel nach Leipzig gescheucht. Jetzt ist er aber für die gelehrte Welt der fürchterliche Mann nicht mehr, der er ehemahls war. Die Bücher werden von ihm nur dann konfiscirt, wenn sie Angriffe auf kaiserliche Majestät enthalten. Sonst ist die Presse hier wieder völlig frei, und die Winkelpressen treiben des Unfugs schrecklich viel. Eigentliche grosse Buchhandlungen giebt es nicht. Die VARRENTRAPP-WENNERISCHE ist unbedeutend. [184] Desto mehr Nachdrucker finden sich hier. Die Herren HERRMANN und KLIMET mögen sich vor dem bekannten Bengel in Acht nehmen, der ihnen in der Unterwelt winkt.

Ein gewisser FLEISCHER unternahm es vor einigen Jahren, eine Kunsthandlung und ein Lesekabinet nach Art des BEYGANGSCHEN in Leipzig zu errichten. Allein der Mann flog mit Flügeln von Wachs, und fiel in eine Steingrube. Frankfurt könnte zwar in Rücksicht auf Frankreich und die Schweiz viel für den deutschen Buchhandel thun, aber im Verlag wird es nicht stark werden, so lange die sächsischen Buchhändler besser bezahlen, als die rheinischen.

Die galanten Sünden sind hier so häufig, als in irgend einer Stadt dieser Gegend. Man findet hier, wie in Berlin, privilegirte Bordele, die aber nichts weiter als Schlupfwinkel der niedrigsten Wollust sein sollen. Das Dorf Bornheim, das eine halbe Stunde vor dem Thore liegt, und zum Frankfurter Gebiete gehört, ist in dieser Rücksicht jetzt weit und breit berühmt. Da findest Du eine ganze Strasse Wirthshäuser, die alle mit feilen Mädchen besetzt sind, und von Gästen aller Art wimmeln, die hier der Göttinn von Paphos opfern. Man könnte von diesem Orte im Kleinen [185] sagen, was ein lustiger Cascogner bei RISBECK von Baiern im Grossen sagt: Baiern hat nur Ein Bordel. Da ist zu Augsburg der Eingang und zu Passau die Hinterthüre.

Der Ton der Bewohner von Frankfurt ist nicht so steif und ledern, als der Ton der meisten Reichsstädtebewohner. Man findet recht artige Gesellschaften, die den besten sächsischen nichts nachgeben, und ihnen darin noch vorzuziehen sind, dass sich Körper und Geist gleich wohl befinden.


[186]
IX.
Koblenz.     

Folgender Beschluss des Bürgers RUDLER vom 9. Floreal VI. ist mir erst heute zu Gesicht gekommen. Er ist zu merkwürdig, und widerspricht einigen meiner Äusserungen [6] zu sehr, als dass ich Dir ihn nicht sogleich mittheilen sollte. Hier ist er diplomatisch richtig.

Le citoyen RUDLER, Commissaire du Gouvernement dans les 4 nouveaux Depatemens vû l’exposé qui lui a été fait par le Citoyen BEST, Recteur de l’Université de Cologne, les demandes qui lui ont été prêsentées tant par les ci-devant Magistrats de cette Commune, que par les membres des autres Univérsités des païs conquis rélativement à l’etat actuel où se trouve l’instruction publique et à l’amélioration qu’elle pourrois éprouver dés à présent; – Considérant que rien n’est [187] plus important pour la propagation des lumieres, la prosperité des états et le bonheur des individus que l’éducation de la jeunesse, qu’il est urgent qu’elle puisse provisoirement à l’organisation définitive de l’instruction publiqué dans ces contrées, et sans être interrompue, prendre le caractére qui lui convient dans les circonstances, et disposer la génération qui s’élève à profiter du bienfait de la liberté, dont l’aurore vient d’éclairer son berceau; – Arrête ce qui suit.

ARTICLE I.

L’enseignement public dans l’université de Cologne, dans celle de Mayence, dans celle de Bonne, et dans celle de Trèves, se divisera et sera faite dans des écoles primaires, une école centrale, et écoles spéciales.

ECOLES PRIMAIRES.
ARTICLE II.

Il y aura des écoles primaires pour les garçons et écoles primaires pour les filles.

[188]
ARTICLE III.

Les écoles primaires pour les garçons se subdiviseront en deux classes: dans la premiére on apprendra à lire et êcrire les langues française et allemande, les regles usuelles de l’arithmetique et les premiers principes de calcul décimal, ainsi que les élémens d’une morale civique et républicaine [7].

Dans la seconde classe on developpera les regles de la langue française ainsi que les prémiers élémens de la langue latine, de la géographie, et de l’histoire tant des peuples que de la nature, et l’on y enseignera les rapports entre les poids et mésures de la république française et les poids et mésures du païs.

[189]
ARTICLE IV.

Les écoles destinées aux filles se diviseront de même. Dans la prémiere classe on leur apprendra à lire et à écrire les langues française et allemande, les regles usuelles de l’arithmetique; et les premieres principes du calcul décimal, ainsi qu’une morale civique et républicaine. Dans la seconde elles recevront de plus grands developpemens des mêmes connaissances, et on y joindra les notions essentielles et comparées des poids et mésures de la republique française et du païs. Elles seront formées en outre à des travaux annuels de differentes espéces utiles et communes.

ARTICLE V.

La premiere classe des écoles primaires sera établie non seulement dans les communes où il-y-a dés universités, mais dans toutes les communes de chacun des quartre departemens, partout, où il se trouve des écoles paroissiales, ou écoles des chapitres.

[190]
ECOLE CENTRALE.
ARTICLE VI.

L’école centrale sera divisée en trois sections. Il y aura dans la première section 1) un Professeur de dessin, 2) un Professeur d’histoire naturelle, 3) un Professeur des langues anciennes grecque et latine, 4) un Professeur de la langue française. – Il y aura dans la seconde section 1) un Professeur de morale, 2) un Professeur des élémens mathématiques, 3) un Professeur de Physique et de chemie expérimentale. – Il y aura dans la troisieme section 1) un Professeur des belles lettres, 2) un Professeur d’histoire, 3) un Professeur de législation.

Près de l’école centrale sera une bibliothéque qui aura son bibliothécaire.

ECOLES SPECIALES.
ARTICLE VII.

La faculté de droit formera une école de jurisprudence, et il y aura 1) un Professeur de [191] droit de nature, 2) un Professeur des sciences politiques et du droit général d’état, 3) un Professeur des loix françaises.

ARTICLE VIII.

La faculté de médécine formera une école spéciale de médécine, et il aura 1) un Professeur d’anatomie et de physiologie, 2) un Professeur de chimie théorique et pratique et de matiere médicale, 3) un Professeur de pathologie et de thérapeutique générale, 4) un Professeur de thérapeutique speciale de clinique, 5) un Professeur de chirurgie et d’accouchement, 6) un Professeur de l’art vetérinaire.

ARTICLE IX.

Il y aura en outre un Professeur d’astronomie et un Professeur d’économie morale.

ARTICLE X.

Le local de ce differentes écoles, le salaire des Professeurs et leurs nominations seront fixés par une arrêté subséquent.

[192]
ARTICLE XI.

Pour parvenir à les fixer, chacun des universités sera tenue de donner le détail des batimens qu’elle occupe et qui lui appartiennent, de ses revenus, de leur nature et du lieu où ils se perçoivent, et de la manière dont ils ont été administrés jusqu’à ce jour; et à cet effet tous les supérieurs des maisons d’éducation ou colléges faisant parties de ces universités, tous receveurs et payeurs des dites universités, rendront les comptes des dites revenus, lesquels comptes seront soumis aux municipalités respectives de Cologne, Mayence, Bonne et Trèves, qui les certifieront véritables. – Les universités fourniront en outre les noms des Professeurs actuels, indiqueront leurs fonctions et le montant de leurs honoraires et le mode suivant lequel ils étaient payés. – Elles feront en outre un tableau des personnes qui parmi les anciens Professeurs et les anciens maîtres d’école pourront être, conservés dans leurs fonctions, et de celles qui pourraient être [193] mises à leurs places ou en remplir qui n’existaient pas comme celles d’institutions. – Ces divers tableaux seront soumis d’abord aux municipalités qui donneront leurs avis et ensuite aux départemens qui les feront passer les plus promptement possible avec leurs réflections au Commissaire du Gouvernement pour qu’il puisse organiser ces écoles provisoires.

ARTICLE XII.

Le présent arrêté sera envoyé aux administrations départementales et aux municipalités des 4 Communes de Cologne, Bonne, Mayence et Trèves, ainsi qu’aux recteurs ou chefs des 4 universités, avec invitation d’en presser l’exécution.


[194]
X.
Koblenz.     

BOURROTTE hat hier während seiner Mission verschiedene Proklamationen erlassen, denen man es ansieht, dass er, da er selbst der deutschen Sprache nicht mächtig ist, von Leuten umgeben war, die sie eben so wenig verstanden, und seine Gedanken nicht ein Mahl in erträglichem Deutsch zu Papier bringen konnten.

Es herrschte in dieser Rücksicht hier weiland eine unverzeihliche Nachlässigkeit, und vielleicht findet man in diesem ganzen Strich Landes biss nach Mainz hinauf nicht Einen deutschen Mann, der seine Sprache gründlich studirt hat. Die ehemahlige Regierung fand diesen Gegenstand, wie so manches Andere, ihrer Aufmerksamkeit unwürdig. Die Jesuiten, die immer hier ihren bleiernen Zepter zu führen wussten, vernachlässigten sehr weise und ihren schändlichen Planen getreu diesen Theil der Erziehung, trieben aber auch eben so [195] schlechtes Latein auf den Schulen. Zwar brachte MATHIEU im vorigen Jahrzehend von Göttingen Licht in diese Finsterniss, aber es erlosch bald wieder von dem Hauche der Mönche und Obscuranten, die den Hof umlagerten. Auf den Gimnasien wurden die Schüler mit lateinischen Versen und Chrieen gegängelt, zum Lobe der sogenannten unbefleckten Empfängniss Mariä. Lebende Sprachen, Geschichte und Geographie gehörten unter die unbekannten Dinge. Doch gelang es noch zwei wackern Männern, SIMON und GERHARDS durch Mathematik und kritische Philosophie einen Funken in den Busen ihrer Schüler zu werfen, der jetzt erst Früchte zu tragen anfängt.

Es war ein seltsamer Kampf von Licht und Finsterniss an diesem Hofe. Auf Kosten der Regierung wurden Leute nach Göttingen geschickt, um unter MICHAELIS, EICHHORN, PLANK, SCHLÖZER und SPITTLER zu studieren, und darauf hier als Lehrer angestellt. Jesuiten und andere Mönche wurden besoldet, um auf offener Kanzel gegen das Licht zu schimpfen. Wunderthätigen Nonnen wurden ihre Betrügereien eingestellt, und Pferdeknochen, Appollonia-Zähne, und Kindergerippe von dem bethlemitischen Morde öffentlich zur Verehrung ausgestellt. Der Kurfürst nahm [196] Theil an dem Kongresse zu Ems, und warf sich in der Kirche zu Augsburg vor den Augen des Publikums dem Pabste zu Füssen. Man liess von der Kanzel predigen, dass der Katholik ewig in den Schwefelflammen der Hölle braten würde, und dass eine Gemeinschaft mit Protestanten von der Sünde sei, und der Hof empfängt den König von Preussen, der doch bekanntlich an der Spitze der ketzerischen Rotten steht, mit ausgezeichneter Gastfreundschaft. Man hält das katholische Gotteshaus für entheiligt, wenn es ein Protestant betritt, und in der Jesuitenkirche lehrt ein preussischer Prediger mit Bewilligung des Vikariats. Wer sich der Liebe ergiebt, muss Kirchen-Buse thun, und Graf ARTOIS hält unter den Augen der Kirche fünf Mätressen. Man zog ein Nonnenkloster ein, und unterhielt durch Prozessionen und Wallfahrten den Aberglauben, den Müssiggang und die Immoralität des Volks. Da stellte man Männer zusammen, wie HÜGEL und DOUMINIQUE; MATHIEU und KOBE; GERHARDS und KILLINGER, und die FRANKE, WEISSLINGER und MERZE wiederhohlten sich hier in den Exjesuiten NINK, WAGENER und WEFFERS, und in der ganzen langen mönchischen Bettlerzunft.

THÜMMEL sagt wahr und schön:

[197]

     Als hätte die Natur im Bilden,
Mit Liebe länger hier verweilt,
So ganz hat diesen Lustgefilden
Sich ihre Schönheit mitgetheilt:
Doch Mönche kamen und zertraten
Den Plan der fröhlichen Natur,
Und auf dem Umkreis ihrer Saaten
Herrscht Gleisnerei und Armuth nur.
     . . . . . . . .
. . . . . . . . .
. . . . . . . . .
. . . . . . . . .
Ihr Fluren, die ihr freundlich blütet,
Als Jupiter noch auf euch sah,
Wie traurig liegt ihr – abgehütet
Vom päbstlichen Gesindel da.
     O Land, das nur den faulen Bäuchen
Der Mönche zu Gebote steht,
Und mit abgöttischen Gebräuchen
Belastet, – schwankt und untergeht!
Ach, warum hat, ruft meine Stimme,
Gott seinen Blick von dir gewandt?
O du, der Himnwuth und dem Grimme
Der Heiligen verrathnes Land.

[198]

     Wenn Priesterstolz und Aberglaube
Wie Mehlthau eine Gegend trifft,
Verdorrt die Saat – verwelkt die Traube,
Und aus dem Ölbaum rieselt Gift.
Besangen wohl des Landmanns Lieder
Sein Glück an einem Erntetag
In Argos Thälern, eh’ die Hider
Dem Arm des Rächers unterlag?
     Hier heisst die Tugend eine Bürde;
Der Weisheit selbst wird hier geflucht,
Die nicht in Klöstern Menschenwürde,
Nicht Trost am Tisch des Gauklers sucht;
Bei ihm – der Felsen abzuründen
Verspricht, der Berg’ und Thäler gleicht,
Und deinem Mund Erlass der Sünden
Und deinem Gaum Vergebung reicht.
     Wie stürzt nicht der bethörte Haufe
Ihm zu! begafft und überschlägt
Die Waare, die zu gutem Kaufe
Er ihren Sinnen vorgelegt!
Der Mörder packt dann wie der Zecher,
Ein Sortiment zum andern auf,
Und jener Schutzgott der Verbrecher
Spricht Segen über ihren Kauf.

[199]

     Und dieser Tross von Himmelserben
Durchwallfahrt dies verarmte Land –
Spielt seinen Überrest von Scherben
Dem Hohenpriester in die Hand;
Vertauscht für unbegriffne Worte
Das Bettelbrot, so er erwirbt,
Und mit dem Schlüssel zu der Pforte
Des Himmels – gähnt er hier und stirbt.
     Ihr Räuber dieses Landes, höret
Der Wahrheit Ruf, die aus mir spricht:
Euch droht, die ihr das Volk bethöret,
Des Volkes blutiges Gericht;
Ich seh’ im Kreis von euern Bürgern
Des Aufruhrs schwarze Fahne wehn,
Und eure Schafe – zu den Würgern,
Furcht – zur Verzweiflung übergehn.
     Und seh’ erstaunt, wie jede Puppe
Der Andacht in ein Nichts versinkt;
Wie nicht mehr die geweihte Schuppe
Der ew’gen Lampe sie umstinkt –
Kein Kuttenträger mehr die Zofe
Der heiligen Maria macht,
Und kein an eines Priesters Hofe
Gebildeter diess Land bewacht,

[200]

     Seh’ eure Heiligen zerstückeln –
Seh’ die Legenden in dem Wind
Zu edlern Stoffen sich entwickeln,
Die eines Gottes würdig sind;
Und seh’ entfernt, wie aus dem Staube
Die Tugend ihre Stimm’ erhebt,
Und meine Hoffnung – neuer Glaube
Und neues Glück diess Land belebt.
     Und dann erst, möge Gott es wollen!
Wird Ordnung und Natur gedeihn;
Die Wüsten werden Früchte zollen,
Die öden Berge – guten Wein;
Gesundes Volk wird, ungesegnet,
Im Schatten seiner Lauben ruhn,
Und, ohne dass ihm Gott begegnet,
Doch redlich seine Arbeit thun.
     Dann erst entsteigt den Finsternissen
Des Glaubens die versteckte Flur;
Man wird von keinem Wunder wissen,
Als von den Wundern der Natur;
Der Pilger wird sie nur im Reize
Der Unschuld seines Mädchens sehn,
Und manch Kapellchen ohne Kreuze,
Wird seiner Andacht offen stehn.

[201] Es fehlte KLEMENS WENZEL’N nicht an Menschheitsgefühlen, aber an Rathgebern, wodurch er sie geltend machen konnte. „Wenn sich ein Volk, sagt irgendwo ein Schriftsteller, durch Beten und Fasten und Messen glücklich machen liesse, KLEMENS WENZEL’s Unterthanen wären die glücklichsten Menschen unter der Sonne geworden.“ Aber die groben Taschenspielerkünste der Mönche und Mönchshelfer wollten es anders, und die schönen Sorgen des Menschenfreundes konnten sich bei diesem Fürsten nicht entwickeln, der verdient hätte, als Privatmann unter einer glücklichen Familie zu leben. Jetzt noch verehrt man hier allgemein seinen guten Willen bei den drückendsten Vourtheilen der Jugend und des Katholizismus.

Sein grösstes Unglück war, dass er sich durch übelverstandene Gastfreundschaft, Bande der Verwandtschaft und vorgespiegelten Nutzen für sein Land hinreissen liess, den französischen Emigranten-Schwarm, diesen Auswurf einer grossen und edlen Nation, aufzunehmen. Es ist unglaublich, wie weit es diese Menschen hier und im Lande trieben. Ihre Insolenz ging gar so weit, dass sie hier einen eigenen Gerichtshof etablirten, vor den sie Alles zogen, was ihrem Stolze und ihrem Hasse gegen die Volksfreunde keine Opfer bringen wollte. [202] WÄCHTER’S, des beliebten deutschen Schriftstellers Geschichte ist bekannt genug, als dass ich sie hier wiederholen dürfte.

Man kann nicht läugnen, dass durch diese Aufnahme ungeheure Geldsummen in Umlauf gesetzt wurden. Aber was ist dieser Gewinn gegen den ungeheuern Verlust, den das Land dadurch erlitten hat? Die Stände selbst mussten zuletzt auf die Folgen aufmerksam werden. Sie baten den Kurfürsten zu verschiedenen Mahlen dringend, die Emigranten zu entlassen, oder ihnen doch wenigstens keine Bewaffnung zu gestatten. Aber DOUMINIQUE, der Sanskulotte, wollte anders, und die Landstände mussten schweigen, biss sie bald darauf, da das Unglück schon herein stürmte, eine von ihrem Sindikus LASSAULX abgefasste Darstellung ihres Betragens dem General CUSTINE nach Mainz entgegen schickten. Weil aber CUSTINE zu feig war, nach Koblenz zu kommen, das ihm damahls bei der elenden Lage der preussischen Armee offen stand, so fiel die Wirkung dieser Schrift bei den Aristokraten auf ihren Verfasser zurück, und LASSAULX ward – eingekerkert. Ein Mandat von Wetzlar hat ihn nachher wieder frei gemacht.

[203] Die Moralität der Koblenzer hat durch die Emigranten einen Stoss erlitten, der noch nach Menschenaltern gefühlt werden wird. Besonders hat das schöne Geschlecht seit der Zeit eine Art des Betragens angenommen, die zurückschrecken muss. Diess Gemisch von niedriger Andächtelei und geschmackloser Wollust ist einzig und allein. Kein Wort hier aus der Ärger-Chronik des Tags, die damahls in Koblenz Anekdoten lieferte, die allen Glauben übersteigen.

Der 3. Brumaire III. war für die republikanische Armee einer der grössten Festtage während des Kriegs, und für den Menschenfreund um so mehr ein Festtag, weil er keinen Tropfen Bluts gekostet hat. An diesem Tage war es, wo Koblenz (der Aufenthalt der Emigranten) überging. Der Zufall fügte es, dass ich gerade einige Tage vorher mit meinem Freunde F... von Göttingen kam. Und so ward ich Augenzeuge dieser merkwürdigen Übergabe, die den koalisirten Mächten das ganze diesseitige Rheinufer (Rheinfels ausgenommen, das später fiel) entriss.

Man war schon vorher von Seiten der Deutschen darüber einig, diesen Ort so lange zu behaupten, biss die koalisirten Armeen mit ihrem Tross über den Rhein gegangen sein würden. Und [204] doch hielten die Einwohner von Koblenz eine Übergabe für ganz unmöglich, und waren selbst an dem entscheidenden Tage noch voll der besten Zuversicht, indess Kurfürst, Adel und Pfaffen ihre Habseligkeiten schon längst über den Rhein gerettet hatten [8]. Die Östreicher selbst waren so unbekümmert, dass ich mit meinen Freunden bei der höchsten Gefahr alle Werke jenseits der Mosel in Augenschein nehmen durfte, ohne von einem Menschen gestört zu werden. Es ward selbst so wenige Vorsicht aufgewendet, dass stündlich Reisende durch die östreichischen Vorposten nach Andernach gingen, wo der Vortrab der republikanischen Armee schon auf Befehle wartete, weiter vorzurücken. Der Oberbefehlshaber hatte einige Tage vorher an den Kommandanten von Koblenz den Befehl geschickt, diese Stadt nur so lange zu halten, biss die auf dem Hunsrücken stehenden östreichischen [205] Truppen über den Rhein gegangen sein würden.

In Koblenz versah man sich indessen selbst von den Östreichern nichts Gutes. Diess hatte KOBURG’S Proklamation vom 30. Julius bewirkt. Es lief ein Gerücht umher, als ob die Stadt vor dem Abzuge der Östreicher geplündert werden sollte, und man sprach sogar einige Mahl so laut davon, dass die Bürger Laden und Thüren verschlossen und ein ängstliches Geschrei in den Strassen erhoben. Der Kommandant liess darauf auf allen öffentlichen Plätzen Pfähle mit der Überschrift errichten: Für Plünderer und Verbreiter übeler Nachrichten. Diess stellte auf einige Stunden die Ruhe wieder her. Die Mönche waren unterdessen auch nicht müssig, und stellten einen geschaffenen Gott in einer Hostie über den Altar, von dem die Bürger die Abwendung des Unglücks erbeten sollten. Die Versammlungen waren nun häufig in den Kirchen, und ich darf sagen, dass ich zwölftausend Menschen auf den Knieen gesehen habe. Doch das Schicksal und die Tapferkeit der republikanischen Armeen, vor denen die koalisirten Truppen in Verzweiflung flohen, wollten es dies Mahl anders.

[206] Kurz vor eilf Uhr verkündigte ein Kanonenschuss von Ehrenbreitstein die Erscheinung der Franken vor den Batterien jenseits der Mosel. Nun fing es unter den Einwohnern erst recht zu stürmen an. Sie versprachen sich, als die ersten Freunde der Emigrirten, nichts Gutes, und waren voller Verzweiflung. Hätten sie aber gewusst, dass sie in die Hände einer edelmüthigen Nation kommen würden, wie hätten sie wohl über ihr künftiges Schicksal noch unruhig sein können? Die Hoffnung, die Stadt zu behaupten, schwand nun selbst in den Herzen der entschiedensten Aristokraten, und der Kommandant erklärte deutlich genug, dass er ohne weiteres abziehen würde.

Ich war gleich nach dem Allarm-Schusse auf einen erhabenen Ort in dem Hause des Grafen von METTERNICH geeilt, wo ich aus einem Fenster die ganze Fläche jenseits der Mosel überschauen konnte. Der General der Franken, der zu früh gefallene MARCEAU, machte bald Anstalten zu einem ernstlichen Angriffe, und liess die Stadt beschiessen.

Aber die Östreicher warteten den Erfolg nicht ab, und zogen ihre Truppen, die noch über der Karthaus standen, in möglichster Eile zurück. Während man nun hierzu am Rhein die ausserordentlichsten [207] Anstalten machte, warf man von Ehrenbreitstein und aus den Batterien bei Maller einige Kugeln über die Mosel, die aber gar keine Wirkung thaten. Es herrschte unter den deutschen Truppen eine Muthlosigkeit, die von dem Plane des Oberbefehlshabers trefflich unterstützt ward. Eine Schwadron Husaren warf sich zwar den Franken auf der Fläche entgegen, es war aber nur elendes Geplänkel ohne allen Erfolg. Ich wenigstens sah keinen Mann auf dem Felde oder in den Batterien stürzen.

Das Feuer der Franken war ernstlicher. Ich sah vor mir eine Kanonenkugel durch eine zwei Schuh dicke Mauer und einen Holzstoss schlagen, und sie verlor nur erst in nasser Wäsche, die in der Nähe aufgehenkt war, ihre Wirkung. Doch litt die Stadt nicht den geringsten Schaden. Nur in dem Rheingässchen wurden einige Fenster an der Ostseite der Häuser zertrümmert.

Nach ein Uhr hatte das Bombardement ein Ende. Der östreichische General MELAS trat mit MARCEAU in Unterhandlung, und es ward beschlossen, dass die Franken Abends um 8 Uhr einrücken sollten. Die östreichischen und trierischen Truppen räumten sogleich die Aussenwerke. Nur an dem Thore der Brücke, die über die Mosel [208] führt, blieb ein Piket zurück, das aus trierschen Jägern bestand.

Die Einwohner zeigten während allen dem weder Muth noch Thätigkeit. Alles war in eine tiefe Fühllosigkeit hinabgesunken, die ein grosses Unglück begleitet. So wenig hier indessen von Unglück die Rede sein konnte, so hatte meines Erachtens die Nachlässigkeit der Regierung an dem Schrecken der Bürger Schuld. Der Kurfürst war mit Hinterlassung einer Schuldenlast von beinahe anderthalb Millionen Gulden (eine grosse Summe für ein so kleines Land) über den Rhein gegangen; die meisten Glieder der Regierung nebst dem Minister waren emigrirt, und der Magistrat war so betäubt, dass er nicht ein Mahl Anstalten zum Löschen des Feuers machen, und erst während des Bombardements Wasser herbeiführen liess.

Abends rückten die Franzosen in die Stadt, und die Östreicher trugen Nachts ihre Rheinbrücke ab, nachdem mit dem General MELAS der letzte Mann hinüber gegangen war.

Die Franken fanden es hier ganz anders, als sie es zwei Jahre vorher in Mainz gefunden hatten. Dort war die schnelle, plötzliche Umstimmung der Gemüther nicht Werk des Zufalls, sondern lange von fernher vorbereitet. Hier in [209] Koblenz hatte das Phlegma der Andächtler den grossen Ereignissen der Zeit schweigend zugesehen, ohne im geringsten belebt zu werden. Man wäre Gefahr gelaufen, gesteinigt zu werden, wenn man behauptet hätte, die Freiheit bestünde noch in irgend etwas anderm, als ungestört Prozessionen und Wallfahrten zu halten, oder es gäbe noch eine bessere Regierung, als die kurfürstliche. Nie habe ich Menschen gesehen von so viel Leere und Characterlosigkeit, als hier. Ihr ganzes politisches Gespräch dreht sich um den Kaiser und den Kurfürsten; was Rechte der Menschheit sind, wusste man nicht. Es war eine meiner Hauptbeschäftigungen während meines letzten Aufenthalts Abends die Kirchen zu besuchen, um da den Koblenzer in seinen Gesichtszügen zu studieren. Aber da würde selbst LAVATER verzweifelt sein. Von den Männern sage ich nichts, aber auch nicht ein Mahl ein Weibergesicht war da zu finden, auf dem mein Auge mit Wohlgefallen geruht hätte. Die Züge der niedrigsten Andächtelei, die hier in jeder Miene zu lesen sind, verscheuchen jeden Gedanken an die Grazien und den Liebesgott.

Die Wissenschaften sind im Ganzen biss auf die letzte Spur verschwunden, oder richtiger, es war hier niemahls eine Spur von ihnen zu finden. Was [210] einzelne Männer im Stillen vorgearbeitet haben, kann dem Staate nicht nachgerühmt werden, der es so recht mit Sistem darauf anlegte, alle Geistes-Kultur zu unterdrücken. Es war im ganzen Erzbistum kein Schriftsteller zu finden, und selbst die jetzige Freiheit hat seit 4 Jahre noch kein selbstgedachtes Werk hervorbringen können. Du wirst freilich bei MEUSEL’N einige Namen von Koblenzern finden. Der Eine davon hat eine Dissertation, der Andere ein Gebetbuch, der Dritte zwei Bogen Dramaturgie, der Vierte ein Gelegenheitsgedicht geschrieben, und der Fünfte ein französisches Schauspiel übersetzt. Wahrlich, in den Xenien heisst es sehr richtig:

Rhein und Mosel
Schon so lang umarm’ ich die lotharingische Jungfrau,
Aber noch hat kein Sohn unsre Umarmung erfreut.

Doch die Zukunft lässt uns ein allgemeines Licht erwarten, wenn nach dem Frieden die Künste und Wissenschaften eine Freistätte werden gefunden haben.

Eine Hauptursache der vernachlässigten Bildung des Geistes war wohl (nach dem Sistem der Regierung selbst) der Buchhandel, der hier noch in unbehilflicher Kindheit lag. Die beiden hiesigen Buchläden [211] waren mit Legenden und Ablassbüchern vollgestopft und mit Nachdrücken einzelner Dichter. Niemand wusste, was die Leipziger Messe war, und noch viel weniger kannte man den jährlichen Messkatalog, dieses einzige Phänomen in der Literatur Europa’s. Das ganze Kurfürstentum war von der Literatur des jenseitigen Deutschlands abgeschnitten, und wenn ja Einer durch Zufall oder Briefwechsel das Dasein eines Werks erfuhr, nach dem er durstete, so musste er es selbst von Frankfurt oder Leipzig verschreiben.

Was HONTHEIM im vorigen Menschen-Alter für das kanonische Recht mit NELLE’RN gethan hat, wird bald vergessen sein. Zwar wird die Geschichte den Namen des katolischen LUTHER’S immer mit Ehrfurcht nennen: er hat die Katoliken dem grossen Ziele, das die Protestanten längst erreicht hatten, näher gebracht, und die Macht des römischen Bischoffs gegen den Willen seines Erzbischoffs in Schranken gewiesen. Aber in unsern Tagen, wo sich die gänzliche Niederstürzung der päbstlichen Hierarchie in einem Meere von Grossthaten verliert, kann HONTHEIM’S Name gar nicht mehr im Munde des Publikums sein. Für unsere Zeiten ist er zu klein.

Und was hat er denn auch zuletzt für die Säuberung [212] des geistlichen Schaafstalls gethan? Den Pabst befehdet? Das mag ihm die vorige Generation und die Geschichte Dank wissen. Aber wenn er den alten Sauerteig der Dogmatik ausgefegt, und seine bigotten Landsleute durch Bekämpfung des Aberglaubens weiser gemacht hätte, dann wäre er uuseres Dankes werth. Aber HONTHEIM und seine Freunde liessen keinen Buchstaben von der alten katolischen Dogmatik abgehen. Sie waren hartnäckige Vertheidiger des katolischen Wahns, und stritten für Mönche und Priester, indem sie die Rechte des drei Kronen tragenden Obermönchs befehdeten. So kühn und so wohl ersonnen HONTHEIM’S Krieg gegen den Pabst auch immer sein mag, so wenig kann ich einem Manne, der so tief in die Heiligtümer der kritischen Geschichte eingeweiht war, seine sieben Sakramente verzeihen, und die Zeichen der dogmatischen Sklaverei, die seiner Stirne anklebten, als er schon längst der Herrschaft des Pabstes entronnen war. Das ganze Verdienst seiner Reform scheiterte an der Klippe des Aberglaubens.

Es ist nicht zu läugnen, dass sich bald nach HONTHEIM’S Tode in Trier und Koblenz Männer befanden, die stark genug waren, der Dogmatik Trotz zu bieten; aber der Geist der Regierung und [213] des Volks hielt ihre Bekenntnisse zurück, und sie waren nichts als zahme Sklaven, denen man den Maassstab entrissen hatte, nach dem sie ihre Rechte öffentlich hätten abmessen können. Sie machten das conventionelle Gaukelspiel mit, und halfen sogar unwillkührlich die Anlagen der Natur zerstören, die hier die Menschen in ihrer Kindheit umgaukelten.

Nur sehr wenige junge Herzen waren nach den Früchten der Freiheit lüstern, die ihnen von den Franken dargeboten wurden. Der Freiheits-Baum, der sich hier in Koblenz im Brumaire III. erhob, machte keine Sensation, und kaum rufte ein Einwohner mit den Franken: es lebe die Republik und als der Volksrepräsentant einzog, verschloss man hier die Fenster, und brachte den Nachmittag abermahls bei Mönchen und Pfaffen zu.

Ist es nicht erlaubt, bei diesem Betragen zu lächeln? Du weisst, wie ungerne ich über das tiefe Knechtsgefühl dieser Menschen von jeher gespottet habe, aber der seichte Blick in die Zukunft verdient doch etwas mehr, als Mitleid. Das Betragen der Bürgerschaft, das einige Klüglinge weise genannt haben, ist meines Erachtens tief unter der Kritik. Die Koblenzer wurden vor einiger Zeit aufgefordert, ihre Stimmen über die neue Organisation [214] zu geben, zu einer Zeit, wo über die Abtretung des diesseitigen Rheinufers keine Frage mehr sein konnte, (dann dass diese erst von dem Bürger TREILHARD zu Rastadt auf die Bahn gebracht worden sein soll, wie neulich Jemand im deutschen Merkur behauptet hat, mag ein Anderer glauben). Und wie fiel die Erklärung der Bürger aus? Unser sehnlichster Wunsch ist, sagten sie, in unsere alte glückliche Verfassung zurück zu treten. Muss aber der Friede durch ein Opfer erkauft werden, so können wir eben so brave Republikaner sein, als wir vorher gehorsame Unterthanen des Kurfürsten gewesen sind. Und so verdient dieses Volk den gerechten Vorwurf, lau gewesen zu sein bei dem grossen Anliegen der Freiheit, wenn anders nicht die Aristokraten allein die Schuld dieser Erklärung tragen. Die Häupter dieser Parthei liessen seit drei Jahre nichts unversucht, dem dritten Stande Revolutionen dieser Art gehässig zu machen und bei diesem Volke kostete es nur kleine Mühe. Sie stiegen selbst von ihren Thronen herab, und mischten sich vertraulich in den bürgerlichen Kreis. Sie gaben einen Theil ihrer unnatürlichen Forderungen auf, und was ihr Meisterstreich war: sie wussten die Priester, diese tausendjährigen Götzen, für sich zu gewinnen. Während sich diese durch alberne [215] Mummereien und Rosenkränze in den Herzen der Weiber festsetzten, versprachen die Aristokraten den Bürgern, denen ihre junge Freiheit bei den starken Kontributionen nicht sehr gefiel, die schönste Zukunft.

Es giebt aber auch sonst noch einige nicht versteckt liegende Ursachen, die den Koblenzern den Rücktritt in ihre alte Verfassung so wünschenswerth machen, dass sie von der beispiellosen Energie der Franken, von den Blitzen des ächten und grössten republikanischen Geistes und den unbegreiflichen Grossthaten der Helden und Staatsmänner nicht gerüht werden. Ich suche diese Lauigkeit in der Trägheit dieser Deutschen, und in der Bigotterie, die sich in allen ihren Zügen ausdrückt. Ich finde es sehr natürlich, dass ein eifriger Katolik, der nichts weiter als Katolik ist, einen Antichrist in jedem Republikaner sieht. Wäre man hier auf dem Wege zur Kultur so weit fortgerückt, wie in einigen andern deutschen Ländern, man würde sich nicht so tollkühn gegen die Annahme einer Konstitution sträuben, deren ganzes Gebäude auf Menschenglück beruht. Ich habe noch neuerlich einen wackern Juden behaupten gehört, man müsste die Reformen seiner Nation nicht a mandato anfangen, sondern die Ausbildung nach und nach [216] bewirken, ohne einen Machtspruch zu thun, an dem die Schwachen Ärgerniss nehmen könnten. Ich will nicht untersuchen, ob die Amalgamirung der Juden mit den Christen anders als durch einen Machtspruch zu erreichen steht, aber es ist sehr zu zweifeln, dass der Jude sich bei völlig gleichen Rechten mit den Christen ohne höhern Eingriff seiner albernen Liturgie begeben würde. Um nichts besser steht es mit den Katoliken, deren Gebräuche in der That noch albern sind, als die der Juden. Es giebt indessen einzelne Katoliken genug, so wie es Juden genug giebt, die sich voll all dem Wuste losgesagt haben. Aber wo ist ein katolisches Land, wo eine katolische Stadt, und was noch mehr ist, wo ist eine katolische Familie zu finden, die sich bei den sanftesten Reformen der Regierung und bei den schönen Beispielen um sie her (wem fällt hier nicht Berlin ein?) aus dem alten Wahn herausgewunden hätte? Die Machthaber des französischen Volks sahen diess sehr gut ein, und thaten daher einen Machtspruch, der fürs erste zum wenigsten der Hider Einen Kopf abgeschlagen hat. Das Murren, so hier darüber entstand, liess sich eben so gut voraussehen. Hier erstarrte man bei dem Befehle, der den Mönchen ihre Mummereien verbot, Prozessionen [217] und Brüderschaften untersagte, Kirchen schloss, und die Statuen der Heiligen auf öffentlichen Wegen niederzustürzen, und sogar ihre Stätte zu vertilgen gebot. Man hat mir sogar gesagt, dass Mönche und Nonnen mit der Kokarde der Freiheit hätten erscheinen müssen, dass kein Priester ohne dieses Zeichen zum Altar gehen dürfe u. s. w. Indessen kann ich diess nicht verbürgen, denn mir ist noch kein Mönch und keine Nonne mit diesem Zeichen geschmückt, zu Gesicht gekommen, vielweniger besuche ich eine Messe, ob es gleich der Mühe werth wäre, einen Priester mit der Kokarde an dem Altare zu sehen; diese Bonzen, denen VOSS’ENS Epigramm gilt.

Lächelnd wog in der Hand ein römischer Pfaff die Oblaten,
Welchen, sprach er, von euch, Dingelchen, mach’ ich zum Gott?

Eine andere Ursache der Unempfänglichkeit der Einwohner dieser Stadt für das neue Sistem ist ohne Zweifel der Kurfürst, der mit ihnen so recht in jedem Stücke harmonirte, und ihnen besonders seit der Verlegung seiner Residenz von Ehrenbreitstein in diese Stadt ein gar lieber Herr war.

Dann hatten ja auch diese Menschen nichts von den ungeheuern Lasten zu tragen, die der [218] Krummstab in den Provinzialstädten und auf dem platten Lande forderte. Sie durften nicht Boten laufen, keine Spann- und Hand-Dienste thun, ihre Kinder nicht zu Soldaten herausputzen lassen. Ja man traf sogar noch einen Anstrich von Demokratie in der Verfassung, die sich noch aus dem Mittelalter erhalten hatte.

Wir wollen nicht frei sein, antwortet mir Jeder, den ich zur Rede stelle. Nun dann, möcht’ ich mit FORSTER’N sagen, ihr könnt auch nicht frei sein. Ihr seid geborne Knechte! Ihr seid Sklaven eures Eigensinnes, und mitten in der grössten Republik, die je war und sein wird, lasst ihr euch von Meinungen tirannisiren, und wer kann von diesen Fesseln befreien! Ihr Geklirr ist Wollaut euern Ohren, und losgerissen kehrt ihr wieder in den alten Kerker zurück.

Von der aufblühenden Generation lässt sich indessen das Beste hoffen. Sie kann nicht an alten Formen hängen, weil sie ihr unbekannt sind; sie empfängt keinen nachtheiligen Eindruck bei der öffentlichen Erziehung, und wird von den wenigen braven Jünglingen, die hier Muth genug hatten, sich gleich Anfangs für die Sache der Freiheit zu erklären, zur Liebe für die Rechte der Menschheit angefeuert.

[219] Doch für heute, liebster EDUARD, muss ich abbrechen. Mein Licht ist biss zum Verlöschen herabgebrannt. Vom Marien-Thurme ruft der Wächter 2 an, und mein Körper fordert Ruhe nach den Beschwerlichkeiten des Tages.


[220]
XI.
Koblenz.     

Ich eröffne die Fortsetzung meines Tagebuchs mit 2 Beschlüssen des Repräsentanten.

A.
FREIHEIT. GLEICHHEIT.
FRANZÖSISCHE REPUBLIK EINIG UND UNZERTHEILBAR.

Requisition zur Vollziehung verschiedener Verordnungen von den Repräsentanten des Volks vom 27. Thermidor, 22. Fructidor und 8. Vendemiaire letzthin.


Die Hauptagentie über Waffen, Pulver, und Ausbeuten der Bergwerke, von der französischen Republik im Central-Bureau zu Brüssel aufgerichtet, setzt folgende Gegenstände in Requisition. Nämlich:

[221] Die Kanonen von aller Gattung, Schäfte, Mörser, Bomben, Haubitzen, Granaten und Kugeln; die Waffen und Theile der Waffen von aller Gattung, aufgespannt, oder nicht aufgespannt, wie Flinten, Pistolen, Säbel, Dolche, Hellebarden, u. s. w.; Eisen von aller Gattung, gearbeitet oder nicht gearbeitet; Stücke von geschmiedetem und abgelauffenem Eisen; Eisendräthe, Meisseleisen, Nägel und Stahl von aller Gattung; Feilen von aller Gattung, und überhaupt alle Werkzeuge, welche zur Fabrikation der Waffen, zum Dienste der Schmiede, zur grossen Artillerie, zur Schiffahrt, und zu Belagerungsrüstungen nothwendig sind, als: Ambose, Blasebälge, Hämmer, Zangen, Werktische, Beile, Schüppen, Hacken, Piken, Ketten von jeder Grösse und Dicke, Hanf, Strickwerk, Anker, rothes Kupfer, gelbes Kupfer, Kupfer in kleinen Stücken, kupferne Platten, Galmei, Drath von Messing, Zinn, Blei, Blech, Eisenblech, Schiesspulver, Salpeter, Potasche, Schwefel, Kohlen, Steinkohlen, Torf, und Bauholz von aller Gattung.

[222]
ERSTER ARTIKEL.

Von der Requisition sind die Mobilien ausgenommen, oder sie müssten unbrauchbar sein.

ZWEITER ARTIKEL.

Alle hier oben bemerkte Gegenstände sind von jetzt an in Requisition gesetzt für Rechnung der Republik; folglich werden die Fabrikanten, Manufakturisten und Handelsleute und Besitzer keineswegs (unter welchem Vorwande es auch sei) etwas wegschaffen.

DRITTER ARTIKEL.

Es soll den Arbeitern und Manufakturisten zugestanden werden, alles, was für nöthig gefunden wird, den Handel und die Arbeiten zu unterhalten, und die Werkstätten in Thätigkeit zu bringen. Indessen kann der gewöhnliche Verkäufer, der von dem Produkte seines täglichen Verkaufes lebt, denselben fortsetzen, und kann ihm der Kaufmann in kleiner Quantität die Waare verschaffen, die er brauchen wird, mit dem [223] Vorbehalt, dem Vorgesetzten der Agentie davon Nachricht zu geben.

VIERTER ARTIKEL.

Wird allen Kaufleuten, Fabrikanten und Besitzern obenbesagter Gegenstände und Materien aufgegeben, ihre Erklärungen in Zeit von vier Tagen zu thun, von der Ausrufung an zu datiren. Sie werden sich in diesem Betreff bei ihrer Munizipalität melden, die solches annehmen, und dem Vorgesetzten der Agentie der Waffen remittiren soll.

FÜNFTER ARTIKEL.

Die Erklärungs-Listen werden in französischer Sprache nach der Ordnung der Materien gemacht werden, von den Erklärern unterzeichnet, mit der Anweisung der Strasse, wo sie wohnen, der Nummer des Hauses und ihrer Magazine.

SECHSTER ARTIKEL.

Der Vorgesetzte von der Agentie der Waffen, oder die Agenten selbst, werden beweisen [224] lassen, ob die Erklärungen genau sind.

SIEBENTER ARTIKEL.

Diejenigen, so falsche Erklärungen machen, sowohl, als die, so Waaren verstecken, um sie der Requisition; oder den Erklärungen zu entziehen, werden als Feinde der französischen Nation betrachtet und gestraft werden, gemäss der Verordnung der Repräsentanten des Volks unterm 22. Fructidor.

ACHTER ARTIKEL.

Sohald die Lieferung von den in Requisition gesetzten Gegenständen gemacht sein wird, werden den Eigenthümern die Empfangslisten gegeben werden, nach welchen sie von dem Payeur-General der Armee bezahlt werden sollen.

Bürger! was die Tirannen von euch mit dem Schwert in der Hand gefordert hätten, diess fordert die französische Republik von euch, und bezahlt es. Indem sie für die Freiheit streitet, streitet sie für alle Völker. [225] Ihr müsst allso für euern eigenen Nutzen euch bemühen, ihr alle Hilfsmittel anzuzeigen, um ihren guten Erfolg zu behaupten. Koblenz im dritten Jahr der einen und unzertheilbaren Republik.

Die Vorgesetzten der Agentie,
DERO. DUFOUR.


B.
MOSEL-ARMEE.
FREIHEIT, GLEICHHEIT ODER TOD.
IM
NAMEN DES FRANZÖSISCHEN VOLKS.
Koblenz, den 15. Brumaire im dritten Jahr der einen und unzertheilbaren Republik.
Der Volksrepräsentant bei der Rhein- und Mosel-Armee und den davon abhängenden Bezirken.

In Erwägung, dass die französische Republik, da sie allen Einwohnern der von ihren [226] Armeen eroberten Landen Schutz und Sicherheit gewährt, rechtmässig befugt sei [9], von ihnen den Tribut der billigen Erkenntlichkeit zu fordern, den sie dem grossmüthigen Verfahren einer Nation schuldig sind, die weit entfernt, über die Völker alle die grausamen Rechte auszuüben, die der Krieg dem Überwinder anheim lässt; im Gegentheil ihre Macht nur gebrauchen will, um die drückende Tirannen, diese Geiseln der Welt, auszurotten, vor denen die Nachwelt einst erstaunen wird, dass die Völker so lange ihre Nacken unter ihre Herrschaft haben beugen können.

In weiterer Erwägung, dass, wenn auch die französische Republik auf alle Vortheile verzichtet, die sie von ihren Siegen ziehen könnte, dennoch der kostspielige Unterhalt [227] der zahlreichen Armeen, welche die Verbindung der europäischen Tirannen sie nöthigt, auf den Beinen zu halten, um ihre Verwegenheit abzuweisen, wenigstens eine Entschädigung für die Kosten und Auflagen erfordere, die ihr dieser ungerechte Krieg, den sie dem ungeachtet auszuhalten wissen wird, verursachet; und dass diese Entschädigung nur von denen geleistet werden könne, die ein grösseres Vermögen besitzen, weil sie in ausgedehnterem Maass den Allen und Jeden zugesicherten Schutz des Eigenthums geniessen; und dass übrigens sie demjenigen nicht zur Last fallen soll, der nichts weiter hat, als was die dringende Nothdurft erfordert.

In Erwägung endlich, dass unerachtet die vom französischen Volk verbürgten Assignaten wenigstens gleichen Werth mit geprägtem Metall haben müssen, es nichts desto weniger nothwendig sei, das französische baare Geld, welches die Emigranten zusammengewuchert, und in feindliche Länder, vorzüglich nach Koblenz, als ihren Hauptaufenthalt [228] gebracht haben, in den Schatz der Nation zurückfliessen zu lassen, weil dessen durch verdeckte Wege auf das rechte Rheinufer allenfalls bewirkte Ausführung nur dienen könnte, um den ohne Zweifel erschöpften Kassen der Verbündeten, die den nämlichen Gebrauch von den Assignaten nicht machen können, aufzuhelfen;

Und in der festen Überzeugung, dass die Einwohner der eroberten Lande in dem Ansatz einer militärischen Brandschatzung nur eine Gelegenheit finden werden, der französischen Republik ihre Ergebenheit durch das Bestreben, sie bald zu bezahlen, an dem Tag zu legen [10], fort die Stadt Koblenz, sich befleissigen werde, dieselbe sich zu Nutze zu machen, und sich von den öffentlichen Flecken zu befreien, den sie sich in den Augen von Europa durch die gastfreie Aufnahme jener Menschen zugezogen hat, die nirgends [229] auf der Erde eine Freistätte hätten finden sollen, weil sie gegen die Glückseligkeit der Nationen sich verschworen haben;

Verordnet:

ARTIKEL I.

Allen Einwohnern der Städte, Flecken und Dörfer, die in dem Umfange des Kurfürstentums Trier diesseits des Rheins gelegen, und von der französischen Republik noch nicht gebrandschatzt worden sind, wird eine Brandschatzung von vier Millionen französischen Geldes angesetzt.

ARTIKEL II.

Diese Brandschatzung soll nur unter den Reichen, Leuten ohne Handwerk, Welt- und Kloster-Geistlichen, und überhaupt allen bemittelten Einwohnern, ausgenommen die, so Werkstätte, Fabriken und Manufakturen halten, vertheilt werden.

ARTIKEL III.

Diese Auflage soll verhältnissmässig sein für alle Beitragende, das heisst: Jeder soll [230] nach Verhältniss seines Vermögens und seiner Einkünfte beitragen.

ARTIKEL IV.

Die Vertheilung davon soll so gemacht werden, dass auf die Stadt Koblenz, und die davon abhängenden Bezirke, die jedoch nur auf eine stündige Entlegenheit zu erstrecken sind [11], weniger nicht als funfzehn Mahl hunderttausend Livres kommen sollen; das übrige soll auf die andern Gemeinheiten nach Massgabe ihrer Bevölkerung [12] und ihres Vermögens gelegt werden.

[231]
ARTIKEL V.

Die Munizipalität zu Koblenz wird beauftragt, selbst allen Gemeinden durch eigens zu zusendende Befehle an die Obrigkeiten jener Ämter, in deren Umfang sie gelegen sind, den Antheil zu erkennen, den sie glaubt, dass er von diesen Gemeinden und ihren Zugehörigen an dem Betrag dieser Auflage bestritten werden möge. Diese Munizipalität hat sich mit der zu Trier zu benehmen, und von dieser die Namen jener Gemeinden zu erhalten, die, weil sie schon zu der Brandschatzung nach der Verordnung des Volksrepräsentanten vom 15. Fructidor gezogen worden sind, in die Vertheilung der heute oben angeforderten nicht mehr begriffen werden können.

ARTIKEL VI.

Sobald die Beamten, Bürgermeister, oder andere bürgerliche Obrigkeiten einer Gemeine, die nach dem ersten Artikel beizutragen hat, von der Munizipalität zu Koblenz die Weisung [232] erhalten werden, wie viel sie zu bezahlen haben, sollen sie sogleich die Vertheilung auf alle Einwohner machen, die nach dem zweiten Artikel zur Klasse der Beitragenden gerechnet werden können.

ARTIKEL VII.

Die Vertheilungslisten müssen binnen vier und zwanzig Stunden nach Empfang der Weisung gefertiget, und zum Vollzug gebracht werden, unter Strafe, dass die zu diesem Geschäfte bestimmten Personen für alle Nachlässigkeit persönlich haften sollen.

ARTIKEL VIII.

Gleichfalls wird der Munizipalität zu Koblenz unter ihrer Verantwortlichkeit aufgegeben, binnen vier und zwanzig Stunden nach der Bekanntmachung der gegenwärtigen Verordnung die Weisungen, wovon im sechsten Artikel die Rede ist, durch eigene Boten abzuschicken.

ARTIKEL IX.

Jede Gemeine, die zur Brandschatzung [233] gezogen wird, soll gehalten sein, den Betrag ihres Antheils binnen zwei Mahl vier und zwanzig Stunden nach vollbrachter Vertheilungsliste zu erlegen, unter Strafe militärischer Vollstreckung für den Weigerungs- oder Kontraventions-Fall der beitragspflichtigen Personen.

ARTIKEL X.

Die Erhebung der auferlegten Summen geschieht durch jene Magistratspersonen, die die Listen verfertigt haben, oder durch andere, die jene dazu ausersehen werden. Der Betrag wird sogleich, und ohne Verschub in die Kasse des General-Zahlmeisters der Armee, die zu Koblenz errichtet ist, abgeliefert, an welche auch eine doppelte Liste abgegeben werden soll.

ARTIKEL XI.

Die Munizipal-Beamten oder alle andere Magistratsglieder, die nach dem siebenten Artikel beauftragt sind, die Listen zu verfertigen, und nach dem zehnten Artikel, dieselbe [234] zu erheben, sind jeder insbesondere, in so weit es sie betrifft, mit ihren beweglichen und unbeweglichen Gütern für Alles das, was von dieser Brandschatzung in dem für die ganze Zahlung bestimmten Termin nicht erlegt sein wird, der französischen Republik verhaftet.

ARTIKEL XII.

Jede Gemeine, die sich zu stark belegt findet, hat das Recht, eine Verminderung zu begehren; sie soll aber damit nicht gehört werden, als nach bescheinigter gänzlichen Auszahlung ihres Antheils, wovon ihr dann so viel zurück gegeben werden soll, als sie zu hoch in Anschlag genommen zu sein beweisen wird [13].

ARTIKEL XIII.

Die Magistrate, Beamten, Munizipalitäts-Glieder, [235] Bürgermeister, und alle andere obrigkeitliche Personen in jeder zu der oben benannten Brandschatzung begriffenen Gemeine sind persönlich, und jeder für sich mit dem Kopfe für die vollkommene gänzliche Vollstreckung der gegenwärtigen Verordnung verantwortlich, die in beiden Sprachen gedruckt mit 2000 Exemplarien bekannt gemacht, und in allen von dem Erzstift Trier abhängenden, und unter der Gewalt der französischen Republik befindlichen Örter angeschlagen werden soll.

ARTIKEL XIV.

Die hier oben bestimmte Brandschatzung kann nur in baarem Gelde, oder in Gold und silbernen Effekten erlegt werden, welche letztere nach dem aus dem Gewichte sich ergebenden Werthe, und nach dem in Frankreich gewöhnlichen innern Gehalt angenommen werden sollen; indem die Assignaten aus denen in dem Eingange entwickelten Gründen von der Hand gewiesen werden müssen.

BOURBOTTE.     

[236] Ungeheuer war allerdings diese Auflage. Der Repräsentant gestand diess selbst und gab den Bürgern einen Wink, ihr Heil durch Deputirte in Paris zu suchen. Aber die Wahl dieser Deputirten fiel sehr unglücklich aus, und man hat es nur dem guten Willen der Regierung zuzuschreiben, wenn ihre Mission nicht ohne Gedeihen geblieben ist. RADEMACHER, der Pflegevater der Jesuiten, hat nicht die geringsten statistischen Kenntnisse vom Lande, denn Jesuiten und Jesuiten-Schülern ist Statistik ein Ärgerniss und eine Thorheit. CHENAL war in der Eile von der Strasse aufgelesen, und konnte als Ausländer noch weniger wissen, als sein Kollege. Freilich hatte RADEMACHER eine Zeit lang in Göttingen gewohnt, und SCHLÖZER’N ein Mahl gesehen, musste er nicht das Schosskind der Statistik seyn? Doch auch diese Kenntnisse bei Seite gesetzt, so waren diese Deputirten die gemeinsten Unterhändler. Ohne Gefühl für Freiheit, anhänglich an das alte Sistem, erhitzt durch Partheigeist und unter dem Einflusse grober Vorurtheile, so reis’ten sie nach Paris, um da die Sache einer Stadt zu führen, die aus keinen andern Ursachen, als aus Liebe zum Gelde die Emigrirten, aufgenommen hatte.

Man hat den Franzosen oft vorgeworfen, dass [237] sie ohne allen Rückblick auf die Verhältnisse und den Ertrag eines Landes Brandschatzungen ausschreiben. Aber ich bitte, wie soll es einem fremden Volke möglich sein, ein Land kennen zu lernen, das man im Lande selbst nicht ein Mahl kennt? Alles, alles war im statistischen Sinne hier terra incognita. Weder auf dem Gimnasium in Koblenz, noch auf den hohen Schulen zu Trier existirte Statistik auch nur dem Namen nach, vielweniger in dem Kabinette eines Ministers, der keine Studierstube hatte, und eines Fürsten, der den Rosenkranz betete, und bei einer Zählung der Bewohner des Landes DAVID’S Schicksal befürchtete. Die Lieblingsideen des Kurfürsten, seine Unterthanen jenseits des Grabes zur ewigen Glückseligkeit zu führen; DOUMINIQUE’NS dreister Bettelstolz, unersättliche Geldgier, und Furcht vor Entdeckungen, und das Bemühen der Mönche, das Volk dumm zu erhalten, liessen eine Wissenschaft nicht aufkommen, deren praktischen Nutzen uns FRIEDRICH von Preussen in dem schönsten Lichte gezeigt hat; eine Wissenschaft, die dazu gemacht ist, die Sultanismen einer Regierung aufzudecken, und die Verspottungen der Natur an den Fürsten zu rächen die uns zu Sklaven, und da wir das schon waren, zu Thieren herabwürdigen wollen.

[238] Selbst diejenigen, so anderwärts Gelegenheit hatten, sich mit einer Wissenschaft bekannt zu machen, wodurch sie sich das grösste Verdienst um ihr Vaterland hätten erwerben können, versäumten sie. „Warum studirt ihr nicht Geschichte und Statistik?“ fragte ich oft meine Landsleute in Göttingen. So was brauchen wir nicht, war ihre Antwort; aber kanonisches und Lehns-Recht kann uns zu Männern machen.


[239]
XII.
Koblenz.     

Ich habe mir das Vergnügen nicht versagen können, einige fette Abteien, die mir auf meinen Streifereien eben in den Weg kamen, ein wenig nach Republikaner Art zu brandschatzen. Man kann ihnen einen grossen Grad von Gastfreiheit nicht absprechen. Ueberall war ich willkommen, und auf einige Tage besser, als in dem ersten Gasthofe der vornehmsten Stadt bewirthet. Diese Mönche wissen nichts von Kasteiungen und Busstagen, sondern sind ächte Bonvivants. Ein eigener Gastmeister, wozu gewöhnlich der galanteste Mönch gewählt wird, ist bestellt, die Fremden zu unterhalten, mit ihnen zu speisen, und ihnen auf jede Art Vergnügen zu verschaffen. Den Morgen fingen wir mit einem stattlichen Frühstücke an und endigten ihn bei’m Billard oder auf einer Jagdparthie. Darauf folgte das Mittagsmahl in einem besondern [240] Speisesaal, wozu aber nur wenige Mönche geladen wurden. Sobald die Braten aufgesetzt waren, beehrte uns gewöhnlich der Herr Abt mit seiner Gegenwart, die dann mit kostbaren Weinen und Speisen gefeiert ward. Nachmittags ging’s in der Kloster-Equipage auf die abteilichen Meierhöfe, wo die epikuräischen Mönche unter den muntern willigen Mädchen Stoff zur Beichte einsammelten. Die alten grämlichen Herrn, die für den Genuss abgestorben waren, winkten freilich mit den Fingern und keiften ein wenig, wenn eine rothwangige Dirne in den Umarmungen eines jungen Mönchs kreischte; das war aber gewöhnlich nur das Signal zu neuen Unternehmungen. So ging es weiland täglich in den Abteien zu, denn täglich fanden sich Fremde ein, die Gelegenheit dazu gaben und bewirthet werden mussten. Diess Leben lockte die wackersten Bauerbursche, die die Welt blos aus dem Trierischen und aus den Abteien kannten, dahin. Ein Student auf dem Gimnasium zu Koblenz hatte keinen Wunsch, als ein Mahl in einer Abtei unterzukommen, und die reichsten Pächter und Bauern glaubten sich einen sanften Sitz im Himmel zu bereiten, wenn sie einen Abteiherrn, oder wohl gan einen Prior und Abt in ihrer Familia zählten.

[241] Die Mönche in den Abteien bekümmern sich nur sehr wenig oder gar nicht um die Wissenschaften. Noch nie erhob sich hier ein Phönix aus der Asche eines DUFRESNE, so schöne Musse und Gelegenheit die Herrn auch gehabt hätten, in der Geschichte ihres Vaterlandes mit Erfolg aufzuräumen. Die oft prächtigen Bibliotheken befinden sich in dem elendesten Zustande. EULOG SCHNEIDER wusste diess sehr gut, als er dem Küchenmeister den weisen Rath gab, seine Speisen zur Sicherheit vor den Leckermäulern auf die Bibliothek zu stellen. Die kostbarsten Manuskripte und seltensten Werke modern da für die Motten. Nur die Archive fand man noch bissweilen in einem erträglichen Zustande, weil die Abteien daraus ihre Gerechtsame beweisen und ihre Existenz von mancher Seite erhalten mussten. Wenn mehrere Kenner, wie GERKEN war, Reisen zum Behuf der Geschichte und Diplomatik anstellten, und von Männern von Einfluss in den Abteien unterstützt würden, so liess sich noch manches Gute für die deutsche Geschichte erwarten. So aber bekümmern sich die wenigsten Reisenden um Bibliotheken und Archive, und die meisten Abteien machen grosse Schwierigkeiten mit dem Vorzeigen ihrer Schätze wenn sie Publizität wittern. Selbst nicht ein Mahl [242] um die schöne Literatur bekümmern sich diese Mönche, wie es wohl noch da und dort die östreichischen thun. Pater BONIFAZ, der Freund FAUSTIN’S, hat nur in dem Kopfe des Dichters existirt, der da zeigen wollte, wie man einem Manne mitspielen würde, der es wagte, über die Schranken der Möncherei zu steigen. BLUMAUER’S trapestirte Äneis war das einzige Buch, das ich bei einem epikuräischen Mönche fand.

Es ist zu erwarten, dass bei der bevorstehenden grossen Ausmistung der Klöster alle literärischen Schätze gesammelt, und dem Liebhaber geöffnet werden.

Die Weltpriester sind aus weiland französischen Abbees und köllnischen Blaffertarien zusammengesetzt, Epikuräer wie jene, Dummköpfe wie diese. Fast jeder Pfarrer hat seine eigene Mätresse, die er gelegenheitlich selbst von den Sünden gegen das sechste Gebot absolvirt. Überall findet man diese Herren als geistliche Freunde, Rathgeber und Nothhelfer, von denen es wie bei BÜRGER’N heissen möchte:

Der Pastor loci kam zuerst in unser Haus,
Und auch am öftersten. Drum musste wohl vor allen
Mein kleiner Sohn auf seine Rechnung fallen,
Er machte nach der Zeit ein schmuckes Chorkind draus.

[243] Koblenz ist eine artige Stadt mit schönen, aber nicht sonderlich breiten Strassen, die alle äusserst stille sind, und nur von einer starken Besatzung belebt werden können. Wenn man auch nicht wüsste, dass man in einer katolischen Stadt wäre, so würde man es schon an dem äussern Ansehen der Häuser erkennen, die sich zu dem Phlegma ihrer trägen bigotten Bewohner recht gut passen. Lebhafter sieht es in dem neuangelegten Theile der Stadt aus. Hier sind die meisten Häuser im neuesten Geschmacke erbaut, und ich möchte sagen, die Bewohner auch schon anders, denn sie haben meist ihre Bauten auf Spekulation unternommen, und waren allso darum schon von dem Stumpfsinne und der Faulheit ihrer Mitbürger ferne.

Das einzige, was Koblenz KLEMENS WENZEL’N zu verdanken hat, ist seine Verschönerung; aber dafür hätte sich freilich weit etwas besseres thun lassen. Palläste bauen ohne Geld, und Vorstädte anlegen, ohne sie zu bevölkern, bleibt immer ein schlechtes Stück Arbeit. Hätte man dafür Fabriken angelegt, den Künsten und den Handwerkern aufgeholfen, den Weinbau verbessert, die Wissenschaften unterstützt und den Aberglauben verbannt, so würden auch jetzt noch die Republikaner den Namen des Kurfürsten mit Dankbarkeit [244] nennen, statt dass er nun höchstens nur in der Geschichte des Anbaues der Stadt leben bleiben wird.

Koblenz liegt am Rhein und an der Mosel sehr anmuthig, aber es nimmt sich von keiner Seite majestätisch aus. Es liegt wie in einer schönen Landschaft, verloren, um eine Nebenparthie auszufüllen. Desto mehr hat aber, wie schon oben bemerkt worden, die Natur gethan. Die Hügel und Berge rund umher sind reich an Gebäuden, Holz und Äckern, und gewähren die entzückendsten Ansichten. Den Ehrenbreitstein konnte ich diess Mahl nicht besteigen. Der Krieg verdarb mir die Freude. Aber desto öfter habe ich mich auf die andern Hügel gelagert, die kein Militär besetzt hat.

Empfangt mich, heilige Schatten! ihr hohen belaubten Gewölbe
Der ernsten Betrachtung geweiht, empfangt mich, und haucht mir ein Lied ein
Zum Ruhm der verjüngten Natur! – Und ihr, lachende Wiesen,
Voll labirinthischer Bache! bethaute blumige Thäler!
Mit euerm Wohlgeruch will ich Zufriedenheit athmen. Euch will ich
Besteigen, ihr duftigen Hügel!

[245] So rief ich jedes Mahl mit KLEIST, wenn ich die Karthaus bestieg. Nichts ist köstlicher, als an einem heitern Frühlingsmorgen sich in diesem reizenden Wäldchen zu befinden, und Leben zu saugen aus der schönen Natur rings umher.

Wir haben gestern von diesem Wäldchen aus einen Streifzug tiefer in’s Gebirge gemacht, auf den sogenannten Kühkopf, von dem man die ganze Landschaft wie auf einer Karte übersehen kann. Der Weg geht anfangs über angebaute Roggenfelder, und erhebt sich bei dem Eintritte in den Koblenzer Wald bergan. Dieser Wald deckt das Thal und die Ebenen am Abhange gegen die Winde, die im Frühjahr und Herbst aus dieser Region streichen. Stolz liegt der Gipfel dieses Berges über unzählige andere Berge, die gegen ihn wie Hügel erscheinen. Es war mir, als bestieg ich den Brocken, als er auf ein Mahl an dem eigentlichen Fusse dieses Berges stark bergan ging. Doch lässt sich die Aussicht von der Spitze des Brockens mit dieser nicht vergleichen. Jene ist kühn, erhaben, gross und schauerlich schön. Hier hatten wir sanfte Natur vor uns. Wir konnten jenseits der Mosel eine unzählige Menge Dörfer zählen, die in einer der reizendsten Flächen theils heiter und offen, theils in Büschen versteckt da lagen. Rückwärts [246] übersieht man die rauhen und waldigen Berge, die sich über den Hunsrück ziehen, auf dem in der Entfernung der Himmel zu ruhen scheint. Der stolze Ehrenbreitstein lag nicht fern von uns vor unsern Füssen, und wir konnten mit einem kleinen Rohre von Ramsden die Schildwache auf dem vordern Platze umher gehen sehen. Der Rhein schien uns in dem weiten Thale diesseits Andernach wie ein grauer Streif in der von der Sonne erleuchteten Landschaft, und in der Mosel, die näher zu unsrer Linken hinzog, sahen wir die Schatten einiger lieblichen Dörfchen schwimmen, die das Ufer an beiden Seiten schmücken. Die kühnen Berge zu beiden Seiten des Rheins, mit zwei alten Burgen gekrönt, lagen unter uns.

Die kühne Brücke über die Mosel könnte den Einwohnern einen unvergleichlichen Spaziergang gewähren, wenn sie für den Genuss der schönen Natur geschaffen wären [14]. Diese Leute bestätigen meine Behauptung, dass sich die Menschen um so stärker vernachlässigen, je mehr die Natur für sie gethan hat. Sie wachsen in diesem Paradiese auf, [247] ohne ihren Reichthum zu kennen, und wenn ja ein Mahl ein Fremder sie aufmerksam darauf macht, so begreifen sie es nicht, wie man sich um dergleichen Dinge interessiren mag. Kann es aber auch anders kommen? Die ganze Erziehung ist biss auf diese Zeiten so recht planmässig darauf berechnet gewesen, alles Gefühl zu unterdrücken. Wenn es ein Schüler wagt, vor das Thor zu gehen, so wird er von seinem gefühllosen Lehrer geprügelt, und wenn er statt lateinischer Knittelverse in der Muttersprache dichtet, so erhebt sich die Hohnlache und die Erzgeneralfelddummheit gegen ihn. Glaube nicht, lieber EDUARD, dass ich übertreibe. Ich habe ja selbst das Unglück gehabt, dieses hässliche Gemälde vor vielen andern kennen zu lernen.

Ich habe auf meinen Zügen durch Deutschland einige Mahl Gelegenheit gehabt, die Ansicht von Koblenz mit ähnlichen zu vergleichen. Hier eine Stelle aus dem Tagebuche meiner Donau-Reise.

„Die Gegend um Passau ist die schönste auf der ganzen Fahrt von Ulm biss Wien. Bezaubernder giebt es nicht leicht eine Ansicht, als die von Passau, wenn man den Fluss hinauf kommt. Wir hatten in Passau selbst eine göttliche Aussicht genossen, aber die Empfindungen [248] bei unserer Abreise mitten auf der Donau, die so eben den Inn und die Ilz verschlungen hat, mit den schönsten Parthieen, wie sie kein Maler phantasieren kann, werden mir nie aus dem Gedächtnisse kommen. Wir liessen die Ruderer ruhen, und das Schiff queer gegen den Strom kehren, um nichts von dem bezaubernden Anblicke zu verlieren, und ihn desto länger zu geniessen. Der Dom, die Stiftskirche, das hohe Amt, der Vertrag von 1552, alles ward darüber vergessen. Wir lebten und webten in der herrlichen Natur und Kunst, und ich dachte mich um ein paar Jahre zurück, wo ich mit so vielem Vergnügen die Rheinreise gemacht, und unter Koblenz eine ähnliche Ansicht genossen hatte.“

Zwei andere Ähnlichkeiten habe ich auf der Elb-Brücke zu Dresden und auf der Moldau-Brücke zu Prag gefunden. Doch ist das Gewimmel von Menschen auf diesen beiden Brücken, weil sie zwei Seiten beider Städte verbinden, sehr viel grösser, als hier in Koblenz, besonders in dem ungeheuern Prag, wo das Gedränge fast so stark ist, als auf der Donau-Brücke in Wien, wodurch die Stadt selbst mit der Leopolds-Stadt zusammenhängt. Die Dresdner Brücke hat auch wegen ihres heitern Ansehens, des an beiden Seiten [249] angebrachten Geländers und der Sitze für Spaziergänger, noch grosse Vorzüge. Doch hat mir die Brücke in Koblenz besser als die Prager gefallen, obschon diese an achthalbhundert Schritte lang und trefflich gebaut ist. Aber die abscheuligen Heiligen, womit sie auf beiden Seiten geschändet ist, entstellen den grossen Anblick der stolzen Stadt, besonders des Wischerad auf dem rechten Moldauufer. Hier in Koblenz steht freilich auch noch ein schmutziger NEPOMUCK auf der Brücke, aber eben jetzt wird er zu dem Sturze verdammt, der weiland über NEPOMUCK’EN in natura auf Befehl Kaiser WENZEL’S zu Prag verhängt ward. Die Koblenzer werden dann zwar auch höchst wahrscheinlich feurige Zungen in der Mosel sehen, wie damahls die Prager in der Moldau. Man wird aber dafür zu sorgen wissen, dass sie den heiligen Ort nicht wie dort zur Skandalisirung aller Reisenden, küssen, und dadurch Ablass gewinnen.

Ich ziehe die Aussicht aus dem alten Schlosse im Thale Ehrenbreitstein, der Aussicht aus dem ehemahligen neuen Schlosse hier in Koblenz weit vor. Dort hat man den Zusammenfluss beider Ströme und die schöne Brücke über die Mosel gerade vor sich, und die Aussicht über die Ebenen bei Neuendorf, biss eine halbe Stunde [250] weit hinter Schönborns-Lust; ein wenig zur Linken die Stadt Koblenz, wie sie sich wollüstig an den Rhein schmiegt, oben und unten eine herrliche Insel, die auf dem Flusse zu schwimmen scheint; die stille Karthause auf einem Hügel, der hinten von Bergen mit reichem Holze gekrönt wird. Hier ist die Aussicht viel beschränkter, aber man hat den Ehrenbreitsein, der gegenüber ein wenig zur Linken majestätisch auf einem steilen Felsen thront, und das Thal, das sich an dem rechten Ufer mit einigen schönen Häusern trefflich ausnimmt, vor sich. Dagegen keine Moselbrücke, keine Karthause, kein Saatfeld und keine Wiesen, wohl aber gerade gegenüber einen dürren Berg mit Steinbrüchen. Dem Kurfürsten soll diese Nacktheit sehr gefallen haben, aber was gefällt, Kurfürsten nicht Alles?

Die Stadt hat vier öffentliche Plätze, den Plan, den Paradeplatz, den Kastorshof, und einen Platz in der Vorstadt, die zur öffentlichen Unterhaltung vortrefflich wären, wenn dieses Volk Ergötzlichkeiten dieser Art Geschmack abzugewinnen wüsste. So geht man lieber zu Wein und in die Kirchen, und bringt in Gesellschaft von Mönchen und Pfaffen seinen Nachmittag und seinen Abend zu. Die freien luftigen Spaziergänge vor der Stadt [251] sind eben so wenig besucht. Aber überall stösst man auf Andächtler, die vor Fetischen auf den Knieen liegen, und vor den Thoren auf Bettler und Müssiggänger.

Der Adel war hier ehemahls weder zahlreich, noch sehr begütert, und die Stadt zog nur sehr kleinen Nutzen von ihm, weil er von allen Abgaben frei war, und sehr selten hier wohnte. Die Grafen von LEIEN, METTERNICH-WINNEBURG und BASSENHEIM haben hier schöne Gebäude besessen. Das ehemahlige Haus des zweiten liegt auf dem erhabensten Orte der Stadt, und beherrscht eine vortreffliche Aussicht. Es lässt sich von allen diesen Herren nur sehr wenig sagen. Von dem letzten habe ich oben bei Gelegenheit von Friedberg des breitern gesprochen. Wenn Du aber noch mehr von ihm wissen willst, so verweise ich Dich auf die Streifereien durch einige Gegenden Deutschlands, in denen Seite 222 und 223 eine hier allgemein bekannte und um nichts übertriebene Anekdote zu lesen ist. Von den Andern lässt sich wenig Böses sagen, und wenn sie nicht das Unglück hätten, von Adel zu sein, so würde man vielleicht recht gute Bürger aus ihnen machen können.

Koblenz hat viele Heiligthümer, an denen [252] die Einwohner mit einer ungewöhnlichen Glaubensfestigkeit hängen. In der Marienkirche giebt es einen Zahn aus der Kinnlade der heiligen APOLLONIA, der für Zähnepein gut ist, wenn er mit Andacht geküsst und die schadhafte Stelle damit berührt wird. So oft ehemahls ein solches Wunder geschah, ward es vor Notarius und Zeugen verificirt, und ad perpetuam rei memoriam den Annalen einverleibt.

Bei den Nonnen in der Görgengasse giebt es ein Haupt des heiligen VALENTIN’S, das jährlich in Prozession durch die Stadt getragen wird, und für die Fruchtbarkeit der Weiber gut ist.

Bei den Jesuiten steht das Gerippe eines Kindleins von dem bethlemitischen Kindermorde. Ein Herr von der LEIEN hat dieses Kleinod im vierzehnten Jahrhunderte aus Palästina mitgebracht, und die Familie hat es in spätern Zeiten den Jesuiten geschenkt, als ein Mahl eine unfruchtbare Gräfin von LEIEN durch die Fürbitte des Paters KANNENBERG, schwanger geworden war, und bald darauf das hochgräfliche Haus mit einem jungen Herrlein erfreute, das nachher den uralten hochadeligen Stamm fortgepflanzt hat.

In der Pfarrkirche zum heil. KASTOR steht der Körper der heil. RITZA, einer Tochter LUDWIG’S [253] des Frommen. Man weiss nicht viel von ihr zu erzählen, denn die Legende enthält ihren Namen und ihre Thaten nicht. Wunder hat sie auch noch nicht gethan, und ich bin ihr darum herzlich gut.

Eins der sonderbarsten Kleinodien befindet sich bei den Augustiner-Nonnen zur heil. BARBARA. Es ist die Vorhaut des Jesukindleins. Am Beschneidungstage, d. i. am Neujahr deutscher Zeitrechnung, wird dieses köstliche Heiligtum auf den Altar gestellt. Da kommen dann die jungen Mädchen aus der Stadt, betrachten es, und lassen sich von den Wundern erzählen, die es gewirkt hat. Vor acht Jahren ungefähr wurden zwei Nonnen aus diesem Kloster schwanger. Sie behaupteten bei der Untersuchung, die vom Vikariat über sie verhängt ward, steif und fest, sie wären von dem Anblicke der zauberischen Vorhaut des Jesukindleins schwanger geworden. Man wagte es nicht, die kitzliche Frage über die Möglichkeit dieser Angabe zu entscheiden, und gab die Nonnen auf der Stelle von aller Strafe los. Die übrigen Schwestern ärgerten sich nun, dass sie die Kunst geübt hatten, nicht schwanger zu werden.

Aber die Festung Ehrenbreitstein bewahrt das Heiligthum aller Heiligthümer, den ungenähten [254] Rock CHRISTI. Diese Reliquie ist so unschätzbar, dass kein Mensch werth gehalten wird, sie anzuschauen [15]. Sie wird in drei in einander stehenden Kasten verwahrt, die mehrere Schlüssel haben. Vor der Thüre wird ein ewiges Feuer unterhalten. Um die Begierde der Andächtigen zu stillen, hat man durch die eiserne Thüre des Zimmers ein kleines Loch gebohrt, durch das man den Kasten mit einem darüber hängenden Tuche erblicken kann. Neben der Thüre steht ein Betstuhl, auf dem sich die Vorübergehenden niederlassen, und den Rock verehren.

Wer wird nicht von hoher Indignation ergriffen, wenn man Menschen vor solchen Dingen auf den Knieen liegen sieht? Ja, wahrlich! ihr könnt mit Recht über Juden und Muhammedaner spotten, und über die Kurzsichtigen, die den Koth des Rhinoceros als ein Heiligthum verehren. Ihr, deren Priester aus Brot einen Gott machen können; ihr, die ihr glaubt, dass Gott einen Sohn habe, der durch die Überflügelung des heil. Geistes, in Gestalt einer Taube, von einer unberührten Jungfrau gebohren worden sei; ihr, die [255] ihr MAGDALENEN, FRANZE, DOMINIKUSSE, ALOISIUSSE und Leute dieses Gelichters zur Verehrung auf den Altar stellt.

Man glaubt hier, dass der heilige Rock die einzige Ursache sei, die die Festung Ehrenbreitstein von der Übergabe an die Franken gerettet habe; dass sie, so lange ihr dieser Schatz nicht geraubt werde, von keiner unkatolischen Armee genommen werden könne.

Handel wird in Koblenz gar nicht getrieben, obgleich die Stadt dazu eine sehr vortheilhafte Lage hat. Es giebt auch hier keinen Kaufmann von Bedeutung. Einige ärmliche Krämer beziehen ihre Waaren von Kölln und Frankfurt, und versorgen ihre Mitbürger von dorther mit Häringen, Stockfischen, Koffe, Zucker und Schnupftoback.

Rauchtokack wird hier nur sehr wenig verbraucht. Die Koblenzer sind keine Liebhaber von der Pfeiffe. Sie überlassen diese Wollust gern ihren Nachbaren. Daran ist das Bier Schuld, das hier auch nur von der ärmsten Klasse getrunken wird. Die Einwohner können sich ein Mahl nicht an dieses Getränke gewöhnen. Auffallend ist diess allerdings, weil man es in andern Weinländern nicht so findet. Schon in Mainz wird viel Bier [256] getrunken, und im Östreichischen, wo der Wein noch wohlfeiler ist, als hier zu Lande, macht das Bier einen Hauptartikel in den Konsumtions-Tabellen aus, und es giebt da sogar Gattungen von Bier, die theuerer sind, als selbst der Wein.

Wir, haben uns seit vierzehn Tage in allen Gesellschaften herum getrieben. Das meiste Vergnügen haben wir bei einigen fränkischen Offiziers gefunden, die hier zur Besatzung liegen. Das Eckelhafteste in den Gesellschaften der Einwohner ist das Kartenspiel, womit sie Dich unaufhörlich plagen, sobald Du Dich blicken lässest. Da haben sie ein albernes Spiel mit einem schmutzigen Namen ersonnen, bei dem sie Tag und Nacht sitzen, ohne aufzustehen. Sie nennen es Menschen. Sonst unterhält man sich mit Essen und Trinken, das man hier recht gut haben kann. Aber weiter auch nichts. Das Gespräche ist leer, wie die Köpfe dieser Menschen, die zufrieden sind, wenn es in der untern Region gut bestellt ist.

Es sei fern von mir, zu behaupten, dass diese Menschen von Natur verwahrlos’t sind. Nein! sie sind ein gesunder und starker Schlag Leute, mit vielen natürlichen Kräften, die auf andere Gegenstände geleitet, bald einer hohen Ausbildung fähig wären. Die vorige Regierung trägt einzig darauf [257] und allein die Schuld von dem tiefen Elende, in dem der Geist hier schmachtete. DOUMINIQUE’NS Schandsäule wird ewig in der Geschichte der letzten zwölf Jahre stehen. Dieser Mann kam als Fremdling in’s Land, ohne Kenntnisse. Er wusste den Kurfürsten zu gewinnen, und schwang sich bald auf allerlei Wegen zum Liebling und allvermögenden Minister auf. Er regierte das Land, ohne es im geringsten zu kennen; er vergab die Stellen und liess sich dafür bezahlen; er schützte die Mönche und ihre Helfer, und legte Blei an den Geist der Jugend. Der Fluch aller rechtschaffenen Bürger hallt ihm nach über den Rhein.

Von hier gehe ich auf einige Tage nach Neu-Wied, und dann habe ich mit einigen Bekannten einen Streifzug in die Eifel verabredet. Auf unserm Rückwege wollen wir eine Fahrt auf der Mosel machen, wovon wir uns jetzt schon viel Schönes versprechen.

Die Reise durch die Eifel machen wir zu Fuss, und C..., den Du von unserer Harzreise her kennst, wird uns begleiten. Die Fussreisen haben in diesem Landstriche freilich viel Beschwerliches, weil man aller Bequemlichkeit in den Wirthshäusern entsagen muss, aber dafür haben auch Abenteuer etwas so unendlich Reizendes, dass ich [258] dagegen eine Reise in dem bequemsten Wagen nicht eintauschen möchte.

Leb’ wohl. Von hier aus erhälst Du keinen Brief mehr von mir. Übermorgen einen von Neu-Wied.


[259]
XIII.
Neu-Wied.     

Der Weg hierher geht zu Koblenz über die Mosel, und eine sehr schöne Dammstrasse nach Weissen-Thurm, wo man sich über den Rhein setzen lässt, und Neu-Wied vor sich hat. Die Entfernung beider Städte beträgt kaum eine deutsche Meile. Das Land ist vortrefflich angebaut, und in dieser Jahrszeit reis’t man unter dem kühlenden Baumschatten sehr angenehm. Gleich unter Weissen-Thurm ergiesst sich die Nette in den Rhein, die die deutschen Gesandten auf dem Kongresse zu Rastadt als Grenze zwischen dem Gebiete der Republik und des deutschen Reichs vorgeschlagen haben.

Neu-Wied ist ein sehr regelmässig gebautes, nahrhaftes, aber todtes Städtchen. Eine seiner grössten Merkwürdigkeiten ist der Fürst, von dem ich etwas umständlich reden will, weil ich in Wetzlar Gelegenheit gefunden habe, ihn aus den [260] am Kammergerichte verhandelten Schriften und Relationen näher kennen zu lernen. Dort macht man so gar kein Geheimniss aus den geheimen Vorträgen über diese merkwürdige Sache, dass die Protokolle Jedem, der nur einige Bekanntschaft hat, offen stehen. Ich habe hier die Vota der beiden Referenten FAHNENBERG und GLOBIG und die Abstimmungen der übrigen Assessoren vor mir. Ich kann sie aber nur, in so fern sie Thatsachen enthalten, hier benutzen. Alles übrige ist meine Meinung.

FRIEDRICH KARL, Fürst von Neu-Wied, ist am 25. Dezember 1741 geboren, und der einzige Sohn ALEXANDER’S, Fürsten von Neu-Wied, eines religiösen, düstern und hipochondrischen Mannes. Es war schon ein Unglück für FRIEDRICH KARL’N, einen Vater zu haben, der ihm nach seinen schwankenden und oft übertriebenen Grundsätzen eine Erziehung gab, die auch jeden bessern Kopf, als diesen, hätte verderben müssen. Der Vater fand in der düstern Miene und schwermüthigen Laune seines Sohnes viel Vergnügen, denn beide harmonirten mit seinen eigenen Sonderbarkeiten und Empfindungen. ALEXANDER ergriff also das rechte Mittel, um seinen Sohn von Grund aus zu verderben. Er gab ihm eine strenge [261] und religiöse Erziehung, sperrte ihn ganze Wochen lang mit seinen Lehrern in ein einsames Studierzimmer, und unterhielt ihn selbst mit den Geheimnissen der Bibel; sprach viel mit ihm von den Freuden eines zukünftigen Lebens, und dem Tand dieser Erde, der keines Menschen Aufmerksamkeit verdiente. Ein ander Mahl, wenn ALEXANDER’N sein Unmuth verlassen hatte, und er selbst von irrdischen Dingen zur Betrachtung der Schönheit dieser Erde, und von seinem guten Herzen zur Beförderung des Glückes und der Geistesfreiheit seiner Unterthanen aufgeregt wurde, verfiel er bei der Erziehung seines Sohnes in ein anderes Extrem. Plötzlich erschien er bei ihm, warf die Bibel und Erbauungsbücher zum Fenster hinaus, riss ihn in’s Freie, sprach viel von der Schönheit der Natur, und von den Wissenschaften, besonders von Ökonomie, auf die er sehr viel hielt. FRIEDRICH KARL war von Natur aus gutmüthig, und selbst biss zur Übertreibung freigebig, wenn ihn Jemand zu rühren verstand. Aber in der Einsamkeit und unter der strengen Aufsicht seiner Lehrer verfiel er auf Hinterlist. Seine Melancholie und Schwärmerei duldeten es nicht, in so strengen Fesseln zu seufzen, die ihn seinen Launen nicht nachhängen liessen. Er suchte heimlich Gelegenheit, [262] aus seinem Kerker zu entwischen, und wer ihm bei solch einem Wagestück Hindernisse in den Weg legte, empfand gewiss den Ausbruch des Jähzorns auf eine Art, dass er es nicht zum zweiten Mahle that. Er ging bald unter der Leitung seines geschickten Hofmeisters BECKMANN nach Göttingen und Erlangen. Dort war er ordentlich und fleissig. PÜTTER weiss noch jetzt viel von ihm zu erzählen. Nicht sowohl aus Neigung und Grundsatz, als vielmehr wegen der tirannischen Aufsicht, in der er auch hier war, widerstand er den Verführungen dieser Stadt, und der Leute um ihn her. Darauf liess ihn sein Vater auf Reisen gehen. Er hatte aber wenig Nutzen davon, denn seine Ecken, die überall anstiessen, und seine sonderbaren Launen machten ihn nirgends willkommen, und er war stolz genug, die Ursachen dieser Zurückweisung auf die Einwohner selbst zu werfen, was auch seine Reisegefährten selbst, ihm zu Gefallen, wohl thun mochten. So ist der erste Keim von Menschen-Verachtung in seine Seele gefallen.

Als er von diesen ihm sehr nachtheilig gewesenen Reisen zurückkam, wählten ihm seine Eltern die Gräfin LUISE WILHELMINE von Sain-Witgenstein, zur Gattin, ein vortreffliches Mädchen [263] von Geist und Herz, die dazu gemacht schien, den Prinzen zu heilen, wenn anders eine Vermählung dieser Art, von der Konvenienz geschlossen, nach ihrem Geschmacke hätte sein können. Indessen scheint sie in der Folge den Fürsten lieb gewonnen zu haben, denn sie machte ihn zum Vater von 11 Kindern. Von seinen Brautnächten macht FRIEDRICH KARL selbst folgende Beschreibung:

Als ich meine Gattin zum ersten Mahl sah, war ich noch jung und unerfahren. Ihre Schönheit und ihr guter Anstand reizten mich. Mein gutes Herz traute ihr blindlings. Sie war die erste, die ich berührte. Schon in den ersten Nächten meines Ehestandes weinte ich laut, als ich ihren Kaltsinn und mein Unglück sah; denn gleich anfangs ward ich auch von ihr mit Härte behandelt. Unerfahren und unberathen setzte ich ihrer Verweigerung nur Thränen entgegen. Sie blieb gegen meine Thränen, wie gegen meine Liebe, kalt, und schien ein unbelebtes Wesen, wenn ich sie berührte. Ich hatte Glück und Zufriedenheit in der Ehe gesucht; ich fand zurückstossende Kälte, Missmuth bei dem Genusse, und alle Quellen vergiftet, aus denen mir Liebe und Glück hätten zuströmen sollen.

[264] Ob es wirklich gegründet ist, dass die Fürstin ihn so kalt behandelt, erhellet nicht. Aber der Prinz schien sie darauf selbst eine Zeit lang vergessen zu haben, und flüchtete sich zu seiner lieben Bibel, die eigentlich die Hauptursache von allen dem Unglücke war, das nacher entstanden ist. Er legte sich mit grossem Eifer auf die Exegese, aber auf eine Mönchs-Exegese, und auf eine Dogmatik, wie sie wohl schwerlich sinnloser auf katolischen Universitäten getrieben wird. Er besuchte zu der Zeit fleissig die Pastoren seines Landes, und übte sich mit ihnen auf den Kampfplätzen der Theologie. Einer davon, der Pastor CÄSAR zu Heddesdorf, hatte sein ganzes Vertrauen. Er begehrte von ihm eine Abhandlung über Römer XIV. V. 13: ob nämlich derjenige verdammt sei, den an der Rechtmässigkeit einer Handlung zweifle und sie doch vornehme; und ob man in allen Fällen, wo nur der geringste Zweifel übrig bleibe, nicht vielmehr seinen Skrupeln völlig nachhängen müsse, um nicht verdammt zu werden? [16].

CÄSAR schrieb über diese Sache für den Erbprinzen eine Abhandlung, die weitläuftig, aber für [265] diesen nicht genugthuend war. Er verlangte allso von seinem ehemahligen Hofmeister eine weitere Ausführung. Dieser, der während seines Einflusses auf den Prinzen, Alles versucht hatte, ihn von seinen Sonderbarkeiten zu heilen, suchte die Sache auf einer lächerlichen Seite darzustellen, indem er folgenden Satz brauchte: wer nicht bei der Taufe des Pabstes zugegen gewesen, oder wenigstens zwei unverwerfliche Zeugen darüber aufweisen kann, die solches selbst gesehen, der zweifelt, ob der Pabst ein Christ sei, und dieses wäre doch wohl dem Pabst das grösste Unrecht gethan.

Diess schien zu wirken, und der Prinz war wenigstens auf eine Zeit geheilt, so dass ihn sein Vater zum Präsidenten aller Kollegien ernannte, und ihm sogar ein Mahl während seiner Abwesenheit die Statthalterschaft auftrug, die er mit vieler Sorgsamkeit geführt, und als Präsident einige gründliche Gutachten ausgearbeitet haben soll.

Doch bald hing er wieder seinen alten Skrupeln nach. Er schrieb darüber eine eigene Abhandlung, [266] und hielt ein eigenes Register, in dem unter andern gefragt wird: ob man das Fleisch von erstickten Thieren geniessen dürfe, und ob man sich nicht vor dem Morgengebete am ganzen Leibe waschen müsse?

Es stieg immer höher und höher. In einem Briefe, den er am 8. Januar 1778 geschrieben hat, finden sich folgende Absurditäten:

Es ist schon heute der vierte Tag, dass ich mit erstaunlicher Angst und Melancholie über einen Ort im Evangelio Matthäi nachdenke, mir Sisteme mache, sie wieder umwerfe, und einen starken Krieg meiner Gedanken unter sich, auszustehen habe; wobei, wenn der Gewissensskrupel in meinen Gedanken bestärkt wird, meine Melancholie steigt, und wenn er abnimmt, fällt. Es heisst nämlich Matthäi am 19. V. 10, 11 und 12, seine Jünger sagten ihm: Wenn so die Sache ist des Mannes mit dem Weibe, so ist nicht rathsam zu heurathen. Er aber sagte ihnen: nicht alle thun dieses, können es thun, sondern diejenigen, denen es gegeben ist. Diese Stelle scheint dunkel, und vieler Auslegungen fähig zu sein. ORIGINES soll sich darüber kastrirt haben. Derjenige, der in diesen Sachen meinen Gedanken [267] folgen will, muss sehr tiefsinnig mit mir in alle Fälle und Möglichkeiten eingehen, und sehr wohl auf meine Gedanken merken, um sich einen Begriff davon zu machen, und die seinigen mir desto besser entdecken zu können. Eine gründliche spezielle Erläuterung und Beruhigung eines geängstigten Gemüths wäre sehr zu wünschen. Ich will zur Deutlichkeit dasjenige, was für den Skrupel ist, schwarz schreiben, und dasjenige, was gegen den Skrupel und zu meiner Beruhigung dient, will ich roth schreiben, worauf ein Leser wohl zu merken hat, der mich verstehen will. Es giebt Eunuchi, die von Mutterleib so geboren sind; und giebt Eunuchi, die von Menschen kastrirt sind; und giebt Eunuchi, die sich selbst kastrirt haben, wegen des Himmelreichs. Wer das thun kann, thue es; wer es kann, kastrire sich. Können es nicht alle Menschen? Und es heisst doch, wer es kann. Dieses sind die Worte, die mir so vieles Nachdenken verursachen, und in so vielerlei Sinn genommen werden können; denn man kann es so auslegen, u. s. w.

Nun folgen Erklärungen des Textes, in einem ernstlichen feierlichen Stile, die, nachdem sie [268] beruhigend, oder skrupulös sind, roth und schwarz geschrieben sind. Am Ende heisst es:

Es wäre zu wünschen, dass erleuchtetere Männer mehrere Gründe beibrächten, und eine völlige Beruhigung verschaffen könnten.

Der Prinz stand selbst einige Mahl auf dem Punkte, sich zu kastriren. Er sperrte sich drei Tage lang in ein abgelegenes Zimmer, um sich durch Fasten und Kasteiungen des Leibes zu diesem grossen Werke vorzubereiten. Dann fing er ein klägliches Gewimmer an, lief weinend mit einem Scheermesser im Zimmer auf und ab, und setzte an, hatte aber nie Muth genug, die That wirklich zu vollziehen. Er schrieb selbst an seinen Vater:

Es scheint mir, dass meine Melancholie und meine Skrupel mit jedem Tage sich vermehren. Schon im verflossenen Jahre war es sehr weit mit mir gekommen; nun wird es vollends unerträglich. Wenig frohe Tage hatte ich bissher, und sind der trüben so viele, dass ich nahe an der Verzweiflung stehe. Einen fortwährenden Kampf habe ich mit meinen Gewissensskrupeln zu kämpfen, wobei ich bald siege, bald unterliege, und diess betrübt mich vielfältig so sehr, dass meine Gesundheit darunter [269] leidet. Meine Nerven sind dadurch oft so angespannt, dass ich von einem Schwindel überfallen werde, und mich gleich einem Verzweifelnden gebährde. Ich hatte mir vorgenommen, mich dieses Jahr recht fleissig in Regierungsgeschäften zu üben; die vielfältigen Gewissensskrupel vereiteln aber alle diese guten Vorsätze.

Nun folgen 19 Skrupel, die der Sohn seinem Vater in einem vertraulichen Tone erzählt. Unter andern, ob man den ewigen Kleesamen, der ursprünglich aus Medien und Persien abstamme, kaufen dürfe, indem die Ausfuhr dieses Samens, von den jetzigen Beherrschern dieser Länder, den Türken, vermuthlich verboten sei, und man allso durch den Ankauf die Unterthanen zur Sünde verleite und einen Diebstahl begehe.

ALEXANDER antwortete unter Thränen, gab guten Rath, und bat seinen Sohn, sich gute Gesellschaft zu wählen, sich zu beschäftigen, und einem geschickten Arzt anzuvertrauen, indem seine Gemüthsunruhe auch wohl gar von seinem zerrütteten Körper herrühren könnte.

Der Erbprinz antwortete seinem Vater:

Dass er aus seiner Ermahnung vielen Trost geschöpft habe, dass sie Balsam auf seine [270] Wunde sei; er sehe es allmählig selbst ein, wie nöthig es sei, dass er sich Gewalt anthue, um sich aus dieser beunruhigenden Melancholie herauszureissen, dass er künftig alle skrupulösen Diskussionen unterlassen müsse. Indessen wollte es doch noch nicht recht gehen. Er befinde sich vielmehr in einer ganz besondern Lage, die sich nicht beschreiben lasse. Die eine Hälfte sei durch aufgehende Hoffnungsstralen erleuchtet. Er gleiche einem Rekonvaleszenten, der eine schwere Krankheit überstanden habe. Ein Skrupel mache ihm indessen am meisten zu schaffen, der darin bestehe: Als ein Liebhaber des Ehestandes und der Landwirthschaft, wäre es ihm ein trauriger Skrupel, wenn sich behaupten liesse, man dürfe keine Kinder, oder so wenig, wie möglich, zeugen; man dürfe kein, oder nur wenig Vieh, halten; man dürfe das Land nicht oft gut ackern und gut bauen, weil Mist und Urin Salpeter erzeugten, und aus den Ausdünstungen des Salpeters Gewitter entstünden, wodurch die Menschen erschlagen würden; Mist und Urin aber durch Vermehrung der Kinder und des Viehstandes vervielfältigt würden. Diess wäre zwar ein wunderbarer Skrupel, und [271] doch ängstigte er ihn sehr, weil er nicht daran Schuld sein wollte, dass Menschen vom Gewitter erschlagen würden. Er bat seinen Vater, diesen wichtigen Skrupel einigen seiner geheimen Räthe zur Widerlegung mitzutheilen.

ALEXANDER antwortete abermahls, und suchte alle nur möglichen Gründe zur Beruhigung seines Sohnes hervor, schlug aber die Untersuchung durch seine geheimen Räthe ab. Der Erbprinz wand sich darauf an den reformirten Prediger WINZ, und bat sich eine Antwort auf die Frage aus: ob es erlaubt sei zu pissen, weil man dadurch (aus den oben schon angeführten Ursachen) ein Henker des Menschengeschlechts würde? WINZ, ein Mann von Kopf und Herz, suchte den Prinzen zu beruhigen, und ihm die Nichtigkeit seiner Skrupel vorzustellen, aber auch ohne allen Erfolg, denn es hatten sich bei Hofe böse Menschen in’s Spiel gemischt, die aus der Lage des Prinzen Vortheil zu ziehen suchten, und ihn von allen Seiten in seinen Thorheiten unterstützten. Es fanden sich Abenteuerer ein (wie denn Neu-Wied seit seiner Blüte immer auch der Aufenthaltsort der Abenteuerer war), die Plane entwarfen, und sie ihm zur Ausführung vorlegten. Je sonderbarer dergleichen Vorschläge waren, desto eher entrirte sie FRIEDRICH KARL.

[272] Seine Lieblingsbeschäftigung war die Ökonomie, welcher er vorzüglich auf seiner Reise durch Holland Geschmack abgewonnen hatte. Er legte eine Landwirthschaft an, von der ihm seine Rathgeber einen beträchtlichen Vortheil versprachen, der im voraus schon den Armen des Landes zugesichert ward. Sechszehn Jahre lang ward die Sache mit beträchtlichem Verluste geführt. Der Fürst liess sich bewegen, selbst jährlich ein bestimmtes Quantum dazu herzugeben, und einige Mahl sogar die daraus erwachsenen, ansehnlichen Schulden zu bezahlen. Er unterliess auch nicht, seinem Sohne über seine unüberlegte Armenökonomie die ernstlichsten Vorstellungen zu thun, und einige Mahl seine fernere Unterstützung mit Nachdruck und Unwillen abzuschlagen. Alles das rührte aber den Prinzen nur wenig. Er blieb nach wie vor bei seinem Vorsatze, und trieb es immer toller. Schlechte Pferde wurden nach Paris zum Verkauf geschickt; eine Holzhandlung mit Schaden unternommen; übermässig viele Kühe, Ziegen und Schweine theuer angekauft, und aus Futtermangel wohlfeil verkauft; ganze Morgen wurden mit Anis, Krapp und andern fremden Gewächsen besäet, ohne die gehörige Zubereitung. Ausserdem ward auch noch eine Wollspinnerei und Stärkefabrik angelegt, [273] bei denen eben so wenig die gehörige Vorsicht beobachtet wurde.

Zum Beweise, wie viel der Prinz auf sein Ökonomiewesen hielt, dienen die Schriften, die er darüber in Druck gegeben hat. Er thut darin die abenteuerlichsten Vorschläge. Unter andern schlägt er den Plan zu einem Erziehungshause vor, in dem Schulmeister und – Mädchen, die jene heuraten können – gebildet werden sollen. Zugleich sollen auch alle diese Mädchen, so wie überhaupt alle weiblichen Geschöpfe im ganzen Lande, zu Hebammen gebildet werden. Als diese Schriften zum Vorschein kamen, erregten sie eine allgemeine Hohnlache in ganz Deutschland. Ein kritisches Journal [17] sagt davon: „Absurditäten, wie diese Vorschläge vom Anfange biss zum Ende sind, lassen sich nicht ein Mahl damit entschuldigen, dass sie gut gemeint sind. Es kostete dem Verfasser nur einige Federstriche, um die schwersten Probleme aufzulösen, und Summen zu finden, über deren Beischaffung der Staatswirth schlaflose Nächte hat.“ Ein anderes [18] erklärt diese Projekte für [274] ganz unbrauchbar, und für ein Produkt der krassesten Unwissenheit, und der unverschämtesten Windbeutelei. – Doch diese Rezensionen rührten ihn so wenig, dass er bald darauf als Mitwerber um einen Preiss auftrat, den eine gelehrte Gesellschaft auf die beste Beantwortung einer ökonomischen Preissfrage gesetzt hatte. Man fand seine Abhandlung abermahls unter aller Kritik, aber der Fürst erklärte alle Mitglieder jener Gesellschaft, wie er sich ausdrückte, für des Dummkopfs leibliche Schwäger, und behauptete vor dem ganzen deutschen Publikum, dass ihm der Preiss hätte zuerkannt werden müssen.

Ein lang erwartetes Unglück brach nun auch über ihn los. Er entzweite sich mit seiner Frau.

Achtzehn Jahre (diess sind seine eigenen Worte) lebte ich in unaufhörlichen Ausfällen schändlicher Pantoffelstirannei. Zuweilen aber suchte ich durch häufige Klagen, Vorstellungen und gewagte Ausübungen meine Rechte, mich in den Genuss desjenigen zu setzen, was so viele andere Ehemänner zu geniessen Freiheit haben, und ihnen gern vergönnt wird. Aber was fand ich nicht für Widerstand bei meinen Liebkosungen und Karessen? welche grosse Menge Schläge mit der Faust fielen auf [275] meine Augen, auf meine Nase, auf meinen Mund, dessen Bluten ihr Herz nicht besiegte. Wie oft habe ich nicht in meinem Bette jammernd, weinend und seufzend gelegen? Wie oft hat sie mich mit Nägeln gekratzt, mit Füssen getreten, mit ihren Zähnen gebissen, der Scheltworte und Drohungen nicht zu gedenken. Bei diesen unerlaubten Misshandlungen habe ich oft gelacht, oft Vorstellungen gethan, oft geweint; zuweilen, doch selten, hab’ ich sie mit der Faust erwiedert. Bei allen dem konnte ich ihren Despotismus nicht hintertreiben, biss ich endlich, davon ganz müde, mit ernstlichern Vorkehrungen drohte. Da verliess mich die Fürstin, und ging nach Berlenburg. Hätte ich doch nie diess Felsennest gesehen!

Wenn dem so wäre, so wäre der Fürst in der That zu bedauern gewesen. Aber es erhellt aus den über diesen Punkt aufgenommenen Protokollen, und besonders aus dem Berichte des kaiserlichen Kommissarius an das Reichskammergericht, dass sich die Sache ganz anders verhielt. Der Geschlechtstrieb des Fürsten hatte eine widernatürliche Richtung genommen. Er verlangte von der Fürstin die schändlichste Art des Genusses, und fiel so tief, als kein unvernünftiges Thier sinken [276] kann. Diese Periode seines Lebens ist mit Auftritten verwebt, die sich nicht ein Mahl unter vier Augen erzählen lassen. Die erträglichste von seinen Behauptungen mag indessen monstri causa hier stehen. Er bewies aus den Sprüchwörtern SALOMO’NS: ein Mann sei befugt, seine Frau zu jeder Zeit, und an jedem Orte, ja selbst in öffentlicher Gesellschaft nackend auszuziehen, zu befühlen, und zu beschlafen, und der böse Leumund setzt hinzu, dass der Fürst das letztere sogar ein Mahl von seiner Gattin im Beisein von zwei geistlichen Kurfürsten gefordert habe. Der alte Fürst erzählt uns folgendes:

Mein Sohn behauptet einen unumschränkten Despotismus des Mannes über seine Frau. Seine Gemalin soll sich daher, so oft es ihm einfällt, des Nachts, auch, wofern es ihm beliebt, den ganzen Tag karessiren lassen; d. i. auf der ganz nackenden Frau liegen, sie umarmen, drücken und betasten, auch auf Hebammen-Art. Die Gemalin hat zwar mehreres nachgegeben, als je eine Dame von ihrem Range thun würde; aber sich widersetzt, wenn Eckel, Schmerz und Leibesgefahr fernere Duldung unmöglich machten, und fast zur Desperation trieben. Deswegen findet er sich [277] befugt, zur Poligamie oder Ehescheidung zu schreiten, wird sich aber vorbehalten, auch ausserdem Kebsweiber zu gebrauchen. Die Geilheit hat ihn verführt zu starken Getränken, hitzigen Speisen, sogar spanische Fliegen einzunehmen, wovon er beinahe gestorben wäre. Auch seiner Gemalin hat er stimulantia beibringen wollen, so jedoch vermieden worden. Leuten vom geringsten Pöbel erzählt er Alles aus seinem Ehebette. Er meint zu beweisen, dass die Gemalin durch Verweigerung der ehelichen Pflicht sich schuldig gemacht, ob sie schon eilf Kinder gebracht; aber er versteht unter ehelicher Pflicht obiges Karessiren.

Die Fürstin war indessen nach Berlenburg gegangen, und der Prinz darüber so aufgebracht, dass er auf Ehescheidung ex capite malitiosae desertionis drang. Er wählte sich schon im voraus eine Beischläferin, ein Bauermädchen aus Grenzhausen, ohne alle Erziehung und Sitten, die ihm aber sehr werth war, weil sie sich alle Liebkosungen, sie mochten noch so geschmacklos sein, gern gefallen liess. Er führte sie in Triumphe in sein Schloss, und schrieb seiner Gattin einen sehr beleidigenden Brief, wovon das Bildniss der neuen Geliebten die Einlage war. Die Fürstin dachte [278] gross genug, sich dadurch nicht beleidigt zu finden. Sie billigte vielmehr den Entschluss ihres Gatten, sich eine Gesellschafterin gewählt zu haben, von der sich zum wenigsten sagen liess, dass sie sich nicht in die Geschäfte der Regierung mischte. Der Prinz fand so viel Behagen an ihr, dass er sie auf’s Land zu ihrem Vater begleitete, und bei Fackelschein mit den Bauern des Dorfs auf den Kirmsen tanzte, und seine Geliebte öffentlich vor den Augen des Publikums herzte und drückte. Er hatte täglich eine Betstunde bestimmt, in der er ihr Vorlesungen über die Pflichten einer Beischläferin hielt, und sein Ehestands-Journal, das die geheimsten Geheimnisse seines Ehebettes und die schändlichsten Ausfälle auf seine Gattin enthielt, zum Besten gab. Er that sich viel darauf zu gut, dass er sich eine Beischläferin aus seinen eigenen Unterthanen gewählt habe. Er nannte sie schlechtweg Madame KATHARINE, und verlangte von seinen Bedienten nicht viel Aufmerksamkeit für sie. Er führte auch über diese Beischläferin ein eigenes Journal, in dem es unter andern heisst:

Madame KATHARINE ist der beste Theil meines Herzens. Sie lässt sich Alles gefallen, und thut alles gern und willig, was ich von ihr verlange. Wenn ich sie besuche, so ist [279] sie so zuvorkommend, dass ich gar keine Mühe habe. Sie legt sich auf den Rücken, auf den Bauch, auf die Seite, wie ich es haben will, und wie es mir jedes Mahl am besten gefällt. Sie lässt sich lecken und leckt mich, so oft ich nur will, und ohne genug zu kriegen. Sie isst mir zu Gefallen kein Schweinefleisch, kein Wildpret und keine Fische, und wascht sich täglich vier Mahl nach dem Beispiele DANIEL’S.

Der alte Fürst gerieth über das Betragen seines Sohnes in die grösste Verlegenheit. Er schrieb selbst:

Wie soll ich es halten mit meinem einzigen Sohne? sechs und vierzig Jahre alt, zuweilen von guten Einsichten in Geschäften, willens den Unterthanen Gutes zu thun, hasst er die Lügen, sogar übertriebene Ausdrücke in Briefen, hat Furcht vor mir. Soll ich nach unserm beschwornen Stammverein ihn von der Regierung ausschliessen? Wie so? Er ist allso doch nicht imbecillis? Nein, aber voller Thorheiten. Nach Medici KÄMPF Aussage steht Verstand und Narrheit in der Wage. Es sind wohl viele extravagante Herrn, die so regieren. Übel genug! Gut wäre es, wenn man es hindern könnte. Diess Mahl steht es in [280] meiner Willkühr. Schwere Entscheidung! Auf einer Seite väterliche Liebe und Zärtlichkeit, Abneigung vor Extremitäten, ja vielleicht gar chikaneusen, Familien verderblichen Prozessen, Sequestration, wie ehedessen etc., wozu ich nicht gerne Anlass geben möchte; auf der andern Seite nachdrückliches Andringen naher Verwandten, treuer Freunde, unpartheiischer, redlicher, gelehrter Männer, die mir es zu ewiger Verantwortung vor Gott an’s Gewissen legen. Warum denn? Zu Rettung meiner hart bedrohten Schwiegertochter, zu Bewahrung meiner acht Enkel für unzweckmässiger Erziehung und unglücklichem Lebenslaufe, zu Sicherstellung der Dienerschaft, zum Besten der einem jähzornigen Gemüth ausgesetzten Unterthanen, zu Abwendung einer sonst unausbleiblichen Debit-Kommission, ja Verderbung des ganzen Landes.

Der Fürst zog über diesen wichtigen Gegenstand die bestgesinntesten Männer des Landes zu Rath, und holte auch zugleich Gutachten von auswärtigen berühmten Ärzten ein. Nach langer Berathschlagung ward man darüber einig, dass der Erbprinz zwar kein völliger Narr wäre, aber sich doch in einem Zustande befände, der ihn zur [281] Regierung von Land und Leuten völlig untüchtig machte.

Der alte Fürst errichtete demnach im Aprill 1788 vor seiner Regierungs-Kanzellei ein gerichtliches Testament, worin er erklärte: dass sein Sohn nicht fähig wäre, Land und Leute künftig zu regieren, noch seine Kinder zu erziehen. Er ernannte hierauf, dem Wiedischen Stammverein vom 20. Mai 1613 gemäss, seinen Enkel, CHRISTIAN FRIEDRICH [19], zu seinem Erben und regierenden Nachfolger in den Wiedischen Landen, und substituirte demselben seine übrigen jüngern Brüder. Die Vormundschaft übertrug er, auf den sich ergebenden Fall seiner Gattin, und wenn diese mit Tode abgehen würde, seiner Schwiegertochter, mit und neben dem regierenden Grafen von Witgenstein. Dem Prinzen legirte er zur lebenslänglichen Wohnung das Haus in der Fasanerie, und jährlich 6000 Fl. rh. zum Unterhalte.

Eine Besorgniss, die über dieses Testament entstand, war, der Erbprinz möchte nach dem Tode des alten Fürsten Lust zur Regierung bekommen, [282] und sich auf dem Lande Anhang verschaffen, denn da waren ihm schon lange alle Herzen zugefallen, ein Mahl, weil er sich eine Mätresse aus dem niedrigsten Stande gewählt hatte, dann, weil er sich mit jedem Bauern gemein machte, ihm die Geheimnisse seines Ehebettes erzählte, und ihn bei den vorkommenden Skrupeln um Rath fragte.

Weil jedoch gerade damahls der Prinz von seiner Gemalin geschieden zu werden wünschte, so benutzte der alte Fürst diese Gelegenheit, ihn zur Entsagung der Regierung zu nöthigen. Man weiss nicht, wie es gekommen ist, dass der Fürst nachher sein bei den Gerichten niedergelegtes Testament wieder zurückgenommen und kassirt hat. Nach vielen bei dem Prinzen entstandenen neuen Skrupeln und gemachten Einwendungen ward endlich ein förmlicher Revers zu Stande gebracht. Der Erbprinz versprach darin:

Mit der verabredeten Scheidung vom Bette zufrieden zu sein, und auf eine förmliche Ehescheidung nicht mehr zu dringen; seiner Gemalin mit Achtung zu begegnen, und das versprochene Deputat unverweigerlich zu entrichten; seine Kinder standesmässig zu unterhalten; seiner Gemalin die Mitobsorge über ihre Erziehung [283] und künftige Versorgung unter Beirath der alten Fürstin zu gestatten, die Waldungen im Lande nicht auszurotten, sondern forstmässig hauen und behandeln zu lassen; künftig keine Schulden mehr zu kontrahiren, noch die Gelder, welche in dem jährlich zu fertigenden Kameral-Statu – dessen Einrichtung jedoch von dem Erbprinzen nach angetretener Regierung abhange – zur Bestreitung der erforderlichen Kammerausgaben bestimmt werden sollten, zu keinem andern Behufe zu verwenden, es wäre denn solches von den votirenden Mitgliedern der Regierung und Rentkammer per unanimia für nöthig und nützlich erkannt, welchen Falls diese Gelder doch unfehlbar im künftigen Jahre zu tilgen seien.
Zugleich ersucht der Erbprinz die Grafen zu Wied-Runkel und seinen Schwager, den Grafen zu Berlenburg, die Garantie dieses Reverses zu übernehmen, und solchen, als dessen Exekutoren in unverhofftem Kontraventionsfalle zu vollziehen.

Dadurch war aber der Prinz nichts weniger als gebessert. Es entstanden bald neue Skrupel bei ihm über diesen Revers, vorzüglich regte sich aber nun sein Gewissen über seine Beischläferin. Er [284] erklärte seinem Vater Folgendes, und verlangte seine Einwilligung.

Er könne mit gutem Gewissen keine Beischläferin halten, wenn ihm nicht gestattet würde, überall, wo er es nöthig erachte, zur Vermeidung alles Skandals die wahre Geschichte seiner Ehestreitigkeiten zu erzählen. Es müsse ihm erlaubt sein, zu sagen, dass er von seiner Frau verschiedene Gefälligkeiten und Karessen verlangt, wozu sich diese nicht habe bequemen wollen; sie sei vielmehr von ihm gelaufen, als er sie dazu zwingen wollen; darauf wäre eine Art von Ehesheidung beliebt, und dem Prinzen erlaubt worden, eine Konkubine zu halten, und zwar mit gutem Gewissen.

Diess ward bewilligt. Der Prinz lebte vergnügt mit seiner Mätresse, schrieb über ökonomische Gegenstände, bekam neue Skrupel, tröstete sich wieder, und trieb endlich des Unsinns so viel, dass man von ihm in Deutschland als einem zweiten EULENSPIEGEL sprach.

Unter diesen Umständen starb der alte Fürst (im August 1791) und sein Sohn folgte ihm in der Regierung.

Ich muss hier den Faden der Erzählung auf einen Augenblick abbrechen, und den Charakter der [285] Fürstin, der man da und dort einen Theil des Unglücks beigemessen hat, näher beleuchten. Aber man findet in den Akten auch nicht einen einzigen Umstand von Belange, der ihr Schuld gegeben werden könnte. Sie hat sich in allem sehr weise betragen, und selbst dem Fürsten nie einen harten Vorwurf gemacht, selbst damahls nicht, als ihre Kinder so sehr vernachlässigt wurden, dass es ihnen an den nöthigsten Kleidungsstücken fehlte, um mit Anstand bei der Tafel erscheinen zu können. Sie denkt gut und gross, ist die liebevollste Mutter ihrer Kinder, sanft und menschenfreundlich, Philosophin und gefühlvolle Dichterin. Sie hat nie einen Menschen mit Vorsatz beleidigt, nie in dem sonderbaren Drange der Dinge um sich her, eine Intrigue gespielt, sich nie etwas angemas’t, was ihre Sache nicht war. Nach der Scheidung ist sie dem Fürsten immer mit Achtung begegnet; hat ihren Kummer kaum in den verschwiegenen Busen einer Freundin und ihres Schwiegervaters geschüttet. Die Erziehung ihrer Kinder war ihr liebstes Geschäft, und man sah sie fast nie anders, als im Kreise dieser von ihrem gefühllosen Vater so äusserst verwahrlos’ten unglücklichen Geschöpfe.

Kaum hatte der Fürst die Regierung angetreten, so überschickte er seiner Gattin ein Exemplar [286] seines Ehestandsjournal, und verlangte von ihr eine Erklärung: ob sie etwas gegen seine jetzige Beischläferin einzuwenden habe? Sie antwortete, dass sie dazu ihre völlige Einwilligung gebe, besonders da sie von der Mätresse sehr viel Gutes hörte. Es wäre gleich anfangs ihre Meinung gewesen, dass sich der Fürst eine Beischläferin halten sollte.

Gleich anfangs entstanden in dem Gemüte des Fürsten über das Privilegium der Stadt Neu-Wied vielfältige Skrupel. Weil darin allen Fremden, die sich daselbst niederlassen wollen, verschiedene Freiheiten zugesagt werden, so meinte der Fürst, es könnte gar Niemand, der sich zur Bürgeraufnahme meldete, abgewiesen werden; denn es hiesse: wer sich dort niederlassen wollte. Auch könnte diess Privilegium nicht abgeändert werden, denn es hiesse: zu ewigen Tagen, und jedermänniglich, allso wäre die ganze Welt dabei interessirt. Wenn dieses Privilegium nicht beobachtet würde, träte die Strafe von 10 Mark Goldes ein. Wie viel Strafen zu 10 Mark Goldes gäbe das nicht? Zwar klagte darüber Niemand, aber wäre es nicht eine Obligation, allen Leuten zu sagen: Vermöge dieses Privilegiums bin ich euch so viele Mark Goldes schuldig? Ist dadurch nicht eine Schuld gemacht worden? Im Privilegio heisst es: [287] der Landesherr soll sich gegen die Bürgerschaft in aller Billigkeit finden lassen; der Fürst fragt aber: Was ist alle Billigkeit? Allso soll man immer vertraut sein mit jedem Bürger? Wunderbares, fatales Privilegium! Fürchterliche Strafen! Wie oft werden die nicht verwirkt? Der Fürst verlangte wirklich von seiner Regierung über die projektirte Abänderung dieses Privilegii, besonders aber über die Frage: wie die Einwilligung der ganzen Welt einzuholen? ein Gutachten. Der Stadtrath erklärte aber am Ende, dass er kein neues Privilegium verlangte, und sich mit dem alten begnügte.

Bald darauf liess der Fürst im ganzen Lande bekannt machen:

Dass er, so lange er lebte, von Niemand, weder rückständige, noch laufende, noch künftige Interessen nehmen wollte, weder von Kapitalien, noch von schuldigen Geldern, noch sonsten, ausser, was Armenkassen und Armengelder beträfe.

Seinen Räthen erklärte er:

Er hätte eine besondere Abneigung gegen ein festes Band zwischen Herrn und Diener. Es würde schon Manchem sauer genug, ein Eheband zu tragen. Was gäbe es, wenn Herr und Diener wie Eheleute aneinender geknüpft [288] wären? Wenn nun ein Herr verarmte, und doch seine Diener behalten sollte, und selbst betteln müsste, wo wäre da Billigkeit? Und wenn das Band so fest wäre, so könnte ja auch der Diener nicht von seinem Herrn gehen, wenn er noch so viel Verdruss von ihm auszustehen hätte. Der Fürst hielt keinen Diener, der fort wollte; ihn müsste auch kein Diener halten. Wenn er wüsste, dass er an einen Diener gebunden wäre, so hätte er schon kein rechtes Zutrauen zu demselben, und meinte immer, er wollte ihm trotzen; brauchte er ihn nicht zu menagieren, so sähe er immer einen halben Feind an demselben.

Doch es mag genug sein von diesen und unzähligen andern Thorheiten, die der Fürst beging. Seine Agnaten, der Fürst von Wied-Runkel und der Graf von Wittgenstein-Berlenburg zeigten an dem Reichskammergerichte zu Wetzlar an, dass es mit den Geisteskräften des Fürsten sehr bedenklich aussähe. Das Kammergericht trug demnach dem Prinzen von Oranien auf [20], sich um die angebliche Verstandesschwäche und Regierungsunfähigkeit des Fürsten bei dessen Mutter und [289] Gattin, bei den fürstlichen Dikasterien und Landesbeamten, wie auch mittelst Unterredung mit dem Fürsten selbst, und in der Nachbarschaft sich genau zu erkundigen, und demnächst das Resultat der in der Stille eingezogenen Nachrichten sammt einem Gutachten an das Kammergericht, verschlossen einzuschicken.

Der Prinz von Oranien subdelegirte zu diesem Geschäfte den geheimen Regierungsrath von SCHENK, der am 18. Aprill 1792 in Neu-Wied erschien, und gleich am andern Tage durch einen Besuch bei dem Fürsten sein delikates Geschäft anfing. Er ward zu diesem Besuche in einem mit zwei höchst elenden Pferden bespannten fürstlichen Staatswagen abgeholt, und in dem Gartenhause, wo der Fürst wohnte, über verschiedene enge und niedrige Treppen in ein kleines Dachstübchen zur Audienz geführt. Der Fürst sprach sehr gleichgiltig von der ganzen Sache, und von seiner Imbecillität mit Lächeln.

Die Fürstin sagte dem Kommissarius:

Schon lange wäre die angeordnete Kommission mit Sehnsucht erwartet worden, und sie hoffte, dass durch diese die Unordnung, die in dem fürstlichen Hause, und die Verwirrung, die im ganze Lande herrschte, endlich [290] würden abgestellt werden. Die Data, die der Kommissarius verlangte, wären nicht schwer aufzufinden; sie wären so häufig und mannichfaltig, und sie, die Fürstin, wäre daran nun schon so sehr gewöhnt, dass es ihr schwer fiele, sogleich auf der Stelle die wichtigsten und auffallendsten davon auszuheben, und namhaft zu machen. Die allgemeine Stimme des Publikums und der Augenschein würden den Kommissarius von der traurigen Lage der Dinge in Neu-Wied vollständig unterrichten.

Die alte Fürstin äusserte:

Dass es ihr sehr nahe ging, in einer Angelegenheit, die sie so nahe berührte, als Zeugin mit aufgefordert zu werden. Sie sähe aber selbst ein, dass die Pflichten gegen ihre Enkel, und gegen das ganze fürstliche Haus, ja gegen ihren Sohn selbst, und das ganze Land sie aufforderten, die Wahrheit ohne Rücksicht vorzutragen.
Man könnte nicht sagen, dass der Fürst ein förmlicher Narr wäre; davon würde sich der Kommissarius selbst bei der mit dem Fürsten gehabten Unterredung überzeugt haben. Aber eben so gewiss und ungezweifelt wäre es, dass der Fürst schlechterdings unfähig wäre, Land [291] und Leute zu regieren, und dass es zum gänzlichen Ruin des fürstlichen Landes gereichen würde, wenn die Landesregierung dem Fürsten fernerhin überlassen werden sollte. Alles wäre schon zu diesen unglücklichen Aussichten vorbereitet, der Fürst machte neue Schulden, und veräusserte und verbrächte, was er könnte, Alles wahrscheinlich in der Absicht, um seine Mätresse und ihr Kind zu bereichern. Die geschicktesten und redlichsten Bedienten hätte er grössten Theils abgedankt und ganz schlechte Leute angenommen, die weder Kenntnisse noch Redlichkeit besässen, und die der Fürst zu Werkzeugen seiner unglücklichen Unternehmungen gebrauchte. Wer die neuen Landes-Vergleiche nicht gut hiess, wäre dem Fürsten verhasst, den Schlossgarten hätte der Fürst in eine Wüstenei verwandelt, und die am Rhein gelegene einträgliche und mit Obstbäumen bepflanzte Wiese in einen Pappelweiden-Wald verunstaltet. Die herrschaftlichen Domänen-Höfe, die bisher mit Nutzen verpachtet gewesen, wollte der Fürst nunmehr selbst administriren, ungeachtet er gar nichts davon verstände. Überhaupt würden alle Anschläge und Unternehmungen des Fürsten, durch eine [292] seltsame Mischung von Schwachheit, Schwärmerei, Kurzsichtigkeit, Widersinn und Ungereimtheit bezeichnet; die Unterthanen kännten die schwache Seite des Fürsten, die Gesetze hätten alles Ansehen verloren, weil der Fürst keine Stärke hätte, sie zu handhaben. Alles sähe einer Anarchie ähnlich. Der hochseelige Fürst hätte seinen Sohn von jeher für Regierungsunfähig gehalten, und daher in seinem Testamente ganz ausgeschlossen; wiewohl er davon aus Furcht vor einem Prozesse wieder abgegangen wäre, und mit dem bekannten Reverse sich begnügt hätte.
Bei allen diesen bedenklichen Umständen wünschte die Fürstin, dass das Kammergericht solche Vorkehrungen treffen möchte, wodurch dem weitern Verfalle und dem gänzlichen Verderben des Hauses kräftigst vorgebeugt würde.

Die fürstlichen Regierungs- und Kammer-Räthe äusserten:

Dass der Fürst eine sehr merkliche Geistes-Schwäche in seinen Begriffen, Urtheilen, Schlüssen und Handlungen verriethe, und dass bei dieser Schwäche des Fürsten die Unterthanen auf Gesetze und Ordnung gar nicht mehr achteten, ja sogar zuweilen über die Schwachheit [293] des Fürsten öffentlich spotteten, dass allso das Wohl des fürstlichen Hauses, und des ganzen Landes, in Ansehung der Landesregierung eine nähere Vorkehrung wünschenswerth machte, wodurch der weitern Ausbreitung des Übels Einhalt gethan würde.

Der Fürst erfuhr bald die geheime Instruction des Commissarius und rescribirte an seine Räthe:

Nachdem zu Regensburg und Wien falsche Gerüchte gegen mich ausgebreitet worden, so verlange ich von Euch über die ungegründeten Imputata alsbald ein von sämtlichen Regierungs-Mitgliedern unterschriebenes Zeugniss, dass ich kein Narr bin.

Die Räthe wollten sich auf nichts einlassen, obschon sie der Fürst im Ausbruche seines Zorns alle perhorreszirte, ihr Betragen gewissenlos, pflichtwidrig und schlecht nannte, und am Ende hinzufügte, dass ihm an ihrem Zeugnisse, so viel, wie an einem Saudrecke gelegen wäre.

Zu seiner Mutter schickte der Fürst drei Notarien, die sie fragen sollten, was sie von ihm hielte? Dieser Besuch ward aber nicht angenommen. Doch äusserte sie:

Sie beschuldigte ihren Sohn keiner Imbecillität, hielt aber sein Betragen nicht für raisonabel, [294] und besorgte, dass, wenn er so fortführe, der Ruin des fürstlichen Hauses unvermeidlich wäre.

Auch von seiner Gemahlin verlangte der Fürst zu wissen, ob sie es für nöthig hielt, dass ihm ein Curator gesetzt würde? Diese antwortete:

Da hier von keiner Gefälligkeit die Rede ist, sondern doppelte Pflichten, als Mitglied des Hauses, und Mutter von 8 Kindern mir Wahrheit zu reden gebieten, so muss ich nach meinem Gewissen sagen, dass der Fürst während seiner Regierung Handlungen verrichtet hat, die nicht immer mit den Gesetzen der Vernunft zu vereinigen waren, und die, wenn sie fortgesetzt werden, den Ruin der Familie nothwendig nach sich ziehen müssen; den eigentlichen Begriff von Imbecillität aber zu bestimmen, diess traue ich meinen Einsichten nicht zu.

Überdem schickte der Fürst noch zwei Notarien in Neu-Wied von Haus zu Haus herum, die die Einwohner fragen mussten: ob sie den Fürsten fur einen Narren hielten oder nicht? Von einigen Einwohnern erhielt der Fürst hierauf sehr gute Zeugnisse, die meisten wiesen aber die Notarien ab, oder suchten sich auf sonst aine Art von [295] dieser unangenehmen Zudringlichkeit ihres Fürsten loszumachen.

SCHENK setzte indessen mit vieler Geschicklichkeit seine Untersuchungen fort, und schickte einen Bericht an das Kammergericht, der Alles enthält, was man von der Art lesen kann [21].

Der Prozess ward auf diesen Bericht wirklich [296] gegen den Fürsten instruirt, der nun bei dem ernstern Gange seiner Angelegenheiten Alles aufbot, um einer Entsetzung von der Regierung zu entgehen. Er reis’te nach Bonn, und liess da von der medizinischen Fakultät seinen Zustand untersuchen, und sich ein Gutachten ausstellen, das er dem Kammergerichte vorlegte. Diess Gutachten spricht wirklich für ihn, enthält aber nichts, als was man längst überall behauptet hatte, nämlich, dass der Fürst im strengen Verstande des Worts kein Narr sei. Am Kammergerichte selbst erhoben sich mehrere Stimmen für ihn. Die Sache ward im dritten Senat verhandelt; und es entstanden paria über die Frage: ob der Fürst für unfähig zur Regierung zu erklären wäre oder nicht? Der Fürst kam persönlich nach Wetzlar, um seine Sache zu sollicitiren. Aber dieser in seiner Lage äusserst kühne Schritt trug sehr viel zu seinem bald darauf erfolgten Sturze bei. Die Richter lernten nun den Mann persönlich kennen, über den sie absprechen sollten. Er betrug sich da nicht besser, als in Neu-Wied. Ein Abderitenstreich folgte dem andern. Er lass ein paar Leute von der Strasse auf, erhob sie zu Regierungs-Räthen, und lies sich von ihnen Zeugnisse über den gesunden Zustand seines Geistes ausstellen.

[297] Dem dritten Senat ward nun der zweite adjungirt. GLOBIG [22] bekam das Referat und FAHNENBERG [23] das Correferat. Jener sprach für und dieser gegen den Fürsten. Majora erklärten sich, dass man den Fürsten unter Vormundschaft setzen müsste. Diess geschah am 29 Nov. 1792 und bald darauf ward die Manutenenz und die Vollziehung des Erkenntnisses den beiden Garants und dem Könige von Preussen aufgetragen.

Der Fürst wollte sich dem Erkenntnisse nicht fügen, kam bei’m Kammergerichte mit einem Restitutionsgesuch ein und drang auf den effectum suspensivum. Diess Gesuch ward aber auch durch die Mehrheit der Stimmen verworfen.

[298] Darauf wand sich der Fürst an den Reichstag, und klagte in seiner Rekursschrift das Kammergericht auf eine unerhörte Weise an. Er behauptete, 1) dass das Kammergericht gegen die Verordnung der Wahlkapitulation sich unbefugter Weise einer Gerichsbarkeit angemas’t, die ihm nicht gebührte; 2) auf Anklage seiner Feinde eine heimliche Inquisition gegen ihn angestellt; nur Einen, und noch dazu einen sehr verdächtigen Kommissarius ernannt, die gegen denselben eingelegte Perhorreszenz nicht geachtet, noch dessen Bericht zur Beantwortung kommunizirt, mithin ihn ungehört verurtheilt, und dadurch eine offenbare Nullität begangen; und 3) dieses incompetente und nichtige Urtheil auf ganz unerhebliche Beweise gegründet hätte, welches in seinem Restitutionslibelle und dessen Nachträgen überflüssig widerlegt wäre.

Es ist merkwürdig, dass der blödsinnige Fürst in den meisten Schriften selbst die Feder geführt hat. Eine davon fängt er mit französischen Versen an, in denen er auf dae Kammergericht schimpft und am Ende fragt, ob kaiserliche Majestät wohl glaube, dass ein Mann, der solche Verse mache, ein Narr sein könne? Ferner behauptet er, dass zu Neu-Wied eine Loge des Illuminaten-Ordens existire, zu welcher die vier Kammergerichts-Assessoren [229] DITFURTH [24], FAHNENBERG, RIEDESEL [25] und SCHMITZ [26] gehörten, dass diese absichtlich gegen ihn gestimmt und dadurch Majora gemacht hätten; dass die Loge zu den drei Pfauen in Neu-Wied mit ihren Brüdern im zweiten Senat, in einem Orden, in einer Zusammenverschwörung sei, u. s. w. Das Kammergericht excitirte zwar anfangs den Fiskal gegen ein in Neu-Wied erschienenes Pasquill, als sich aber hernach der Fürst selbst als Verfasser bekannte, so ward dem Fiskal befohlen einzuhalten, indem ein Narr keinen Menschen beleidigen könnte.

[300] Es konnte nicht fehlen, dass der Fürst in Regensburg grossen Anhang fand, wenn sich schon nicht beweisen liess, dass die Reichsverfassung verletzt, der Fürst ungerecht gravirt, oder diese Sache zu einer allgemeinen Beschwerde deutscher Stände geeignet war. In diesen Zeiten, wo die Fürsten zittern gelernt haben, war es wohl von ihnen zu erwarten, dass sie einen Schritt des Kammergerichts nicht billigen würden, der offenbar revolutionär war, und nach längerer oder kürzerer Zeit mehreren von ihnen den Untergang drohte.

Der Fürst erschien allso persönlich in Regensburg, wohnte vor der Stadt auf einer Mühle, und wusste solches Aufsehen zu erregen, dass seine Sache bald zur Berathschlagung gezogen ward. Das Resultat dieser Berathschlagungen ist bekannt genug, eben so wie das kaiserliche in sehr merkwürdigen, aber für den Bürgerstand wenig erfreulichen Worten abgefasste Ratifikationsdekret, das vor anderthalb Jahren erfolgte, und den Fürsten wieder in die Regierung einsetzte.

Wenn wir nun einen Blick auf diese in jeder Hinsicht merkwürdige Geschichte werfen, und ohne Rücksicht auf Kammergericht und Reichstag als Mensch und als Bürger fragen: ist bei so bewandten Umständen der Fürst noch im Stande [301] Land und Leute zu regieren, vorausgesetzt, dass es sich nach der Zeit mit ihm nicht gebessert hat, was kann da wohl die Antwort sein? Traurig ist der Gedanke, dass gegen die Erkenntnisse der höchsten Gerichte in solchen Sachen, am Ende noch die Willkühr der Fürsten aufkommen kann, und man weiss, was man sich von ihr zu versprechen hat. Über die Sache des Fürsten kann es ausser den Kabinetten in Deuschland nur Eine Stimme geben. Sie spricht: hier kommt es darauf nicht an, ob der Fürst ein Narr sei, ein Narr in dem Verstande, wie ihn die Juristen fordern? ob er ohne Unterbrechung solch ein Narr sei, oder ob er lucida intervalla habe? Es fragt sich nur, da hier von keinem Privatmann die Rede ist, der höchstens nur sein Geld auf die Strasse oder in den Fluss werfen kann, von keinem Privatmanne, der nur auf sich selbst Einfluss hat; es fragt sich nur, ob einem Manne, der sich so gezeigt hat, wie der Fürst von Neu-Wied, die Regierung über Land und Leute anvertraut werden könne?

Niemand wird Ja antworten, er sei denn ein fürstlicher Gesandter, dessen Herr nächstens ein ähnliches Schicksal zu erwarten hätte.

Das Verfahren des Kammergerichts in dieser Sache ist so ohne alle Partheilichkeit gewesen, dass [302] man noch nach Jahrhunderten, wenn von ihm keine Stätte mehr zu finden ist, diese That mit goldenen Buchstaben in seinen Annalen lesen wird. Meines Erachtens hat es der mühsamen Untersuchungen, und der medicinischen Gutachten nicht ein Mahl bedurft, bei so einer Menge bewiesener Thorheiten und Ungereimtheiten. In dem kaiserlichen Ratifikationsdekret, das der Fürst persönlich in Wien bewirkte, ist auch keine ausdrückliche Missbilligung des reichsgerichtlichen Erkenntnisses enthalten. Es heisst darin, der Fürst habe während seines Aufenthaltes in Regensburg sich nicht blödsinnig bewiesen.

So wäre dann diese merkwürdige Sache zum Vortheile, ob auch zum Ruhme? des Fürsten entschieden! Er regiert wieder, und regiert auf eine Art, dass man bis jetzt noch damit zufrieden sein kann. Wenigstens hört man bis jetzt hier in Neu-Wied keine directen Klagen gegen ihn. Seine Scrupel haben sich grösstentheils verloren, und seine Eulenspiegelstreiche werden nicht weiter fortgespielt. Er zeigt guten Willen, aber es ist ein Unglück für ihn, dass er zu einer Zeit regiert, die grosser Köpfe bedarf, und dass sein Land vor andern schrecklich durch den Krieg gelitten hat. Diesem wieder aufzuhelfen, ist er zu schwach, bei allem [303] guten Willen, den er zu zeigen scheint, und den man ihm gegenwärtig hier nachrühmt. Das Schicksal hat ihm ein Mahl keine ruhige friedliche Herrschaft bestimmnt, seine Rathgeber sind nicht die besten, und eine schwere Schuldenlast liegt auf dem Lande.

Die kleinen deutschen Fürstchen haben bei diesem Vorgange, wie bei den Ereignissen in Westen zittern gelernt. Möchten diese Beispiele immer wirksam bleiben, und den Fürsten in’s Herz gegraben werden, was ein berühmter Mann so schön ausgedrückt hat:

Drei Lehren fass’ ein Herrscher wohl in’s Herz,
Die eine: dass er über Menschen herrscht;
Die andre: dass er nach Gesetzen herrscht;
Die dritte; dass er nicht auf immer herrscht.

[304]
XIV.
Neu-Wied.     

Der Krieg hat die Industrie dieses nahrhaften Städtchens grösstentheils zerstört. Ich besuchte einige Fabriken, die ehemals in dem blühendsten Zustande waren, jetzt aber keine Arbeiter und keine Abnehmer finden.

Der letztverstorbene Graf von Neu-Wied hat in diesen Gegenden das schönste Beispiel von Toleranz gegeben. Bei ihm fand jeder Zuflucht und Bürgerrecht, wenn er arbeiten wollte, mochte er nun an CHRISTUS oder an MUHÄMMED glauben. So erhob sich Neu-Wied in 10 Jahren zu einer Höhe der Bildung, dass es allen Städten rund umher Gesetze gab. Man fand da alle Arten von Fabriken, die schönere und dauerhaftere Arbeiten lieferten, als man sie selbst aus England bezog.

Wir besuchten die Kolonie der Herrnhuter die hier sehr zahlreich sind. Aber sei es nun, dass ich ein Mahl Allem zuwider bin, was Secte und [305] Orden ist, oder dass diese mährischen Brüder in der That traurige Empfindungen wecken: das Gefühl der Menschheit regte sich doppelt bei mir, als ich in diese Hallen, noch einsamer als Klosterzellen, eintrat. Alle Freude ist hier verbannt, und selbst jeder Zug von Fröhlichkeit und geselliger Mittheilung auf der Stirne der Brüder verschwunden. Sie reden nur sehr sehr leise und wenig, und beschäftigen sich immerwährend mit heiligen Visionen und Kasteiungen des Fleisches. Diess, nebst dem sitzenden Leben, lässt sie für die Freuden des Lebens ganz absterben, und stumpft sie biss zur Gefühllosigkeit ab. Sie wandeln wie Schatten umher, und sehen alle wie Gespenster aus, zur ewigen Todtenblässe verdammt. Bei jedem Geschäfte ziehen sie das grosse Buch des Lammes zu Rathe, ohne das sie nichts zu thun pflegen. Ist einer zum Heirathen inspirirt worden, so meldet er sich bei’m Vorsteher, der ihm das Mädchen, so eben an der Reihe ist, zuweis’t. Gefallen die Leute einander, so wird der Bund ohne weiteres geschlossen. Im anderen Falle aber muss das Mädchen zurücktreten, und das folgende wird dem Ehelustigen zur Probe gegeben, und diess geht so lange fort, bis sich zwei für einander geschaffene Seelen zusammengefunden haben.

[306] Die Herrnhuter machen sehr schöne und dauerhafte Arbeit, die sie sich sehr theuer bezahlen lassen. Sie haben bei ihrem Handel den Gebrauch eingeführt, dass sie sich von dem geforderten Kaufgelde nichts abdingen lassen, obgleich sie selbst jeden Fremden, dem sie etwas abkaufen, für einen Betrüger halten, und ihn äusserst undelikat behandeln. Ihr Eigensinn giebt ihnen oft Gelegenheit zum Betruge, oder wenn man diess harte Wort nicht brauchen will, zur Übertheuerung der Käufer ihrer Waaren.

Ihr Bethaus gefiel mir recht gut. Es ist einfach und gesellig. Die Brüder versammeln sich hier zu einem gemeinschaftlichen Theetrinken, bei dem aber auch jede gesellschaftliche Unterhaltung wegfällt. Wir sahen einige Mädchen, die bedächtig und fromm wie Nonnen daher schlichen und kaum ihre Blicke aufzuheben wagten, als wir sie im Vorübergehen grüssten. Die strenge Klosterzucht, die hier über das andre Geschlecht ausgeübt wird und es tirannisch von den Männern scheidet, kann mich mit den freundlichen Begriffen nicht aussöhnen, die diese Sectirer vom Tode und von einem zukünftigen Leben hegen.

Die Literatur hat in Neu-Wied nichts zu bedeuten. Bei der unbeschränktesten Geistesfreiheit, [307] die man hier genies’t, hat sich noch kein Gelehrter von Ansehen in diesem Städtchen niedergelassen, wohl aber Abenteuerer und literärische Kleinmeister die Hülle und die Fülle. Da trat vor mehreren Jahren ein gewisser TONDER auf, der hier eine Zeitung unter dem Titel: Politische Gespräche im Reiche der Todten, zu schreiben anfing, und sich damit grosse Summen verdiente. Diese Zeitung ist eine Zusammensetzung des unverständlichsten Gewäsches, der niedrigsten Schmeichelei und der unverschämtesten Windbeutelei. Ja wahrlich! tiefer ist die Politik nie entwürdigt worden, als in diesen Gesprächen. Aber Herr von TONDER kannte sein Publikum, und füllte sich die Taschen mit seinen platten Spässen. Man giebt mit Zuverlässigkeit einen reinen Ertrag von zwölftausend Gulden an, den diese Zeitung in bessern Zeiten jährlich abgeworfen hat. Sie ist das Steckenpferd des Wiener Pöbels und Nichtpöbels, dem Herr von TONDER eben so grossen Spass macht, als Mosje KASPERLE in der Leopoldstadt. An den Posttagen versammelt man sich zu ganzen Haufen in den Koffehäusern in Wien, um die Ankunft der politischen Gespräche zu erwarten. Kein Bürger, der sich irgend nur um die Ereignisse seiner Zeit bekümmert, darf es unterlassen, [308] Weisheit aus diesem Born zu schöpfen. Als ich mich vor zwei Jahren in Wien aufhielt, kam Herr von TONDER, aufgestört in seinem Neste von den Neufranken, auch dahin. Auf ein Mahl erscholl es in der Stadt: Der Neuwieder ist hier. Jeder eilte nun dahin, wo das Wunderthier zu sehen war. Herr von TONDER benutzte diesen Enthusiasmus der Wiener, und hielt auf dem Kramerschen Koffehaus im Schlossergassel eine pathetische Rede gegen den Nachdruck, und liess sich von den Anwesenden versprechen, nur die Original-Auflage seiner Zeitung, die in Wien zwei Mahl nachgedruckt wird, zu kaufen.

Nichts charakterisirt den Wiener mehr, als die Liebe zu dieser Zeitung. Er findet darin fade Spässe mit östreichischer Grosssprecherei, Nahrung des Leibes mit Schmutz, und den dünne thuenden Bettelstolz der Titulados zusammengemischt, die der ganzen Welt gebieten wollen.

In Neu-Wied giebt es auch eine Lesebibliothek und eine Buchhandlung, deren Unternehmer ein gewisser GEHRA ist. Dieser Mann ist einer der grössten Charlantans und Kniffmacher. Er bringt seine Makulatur unter verschiedenen Titeln drei und vier Mahl zur Messe, macht alle Jahr eine neue Auflage, versteht sich, nur auf dem [309] Titelblatte, und prellt seine Abnehmer auf die schändlichste Art. Da habe ich einen Kalender von SCHREIBER’N vor mir, der wirklich ein besseres Schicksal verdient hätte, als durch die Firma GEHRA prostituirt zu werden. Diesen gelben Ladenhüter hat er heuer unter dem Titel: Ida’s Blumenstrauss, 3te Auflage, abermahls als Novität nach Leipzig gebracht. Überdem ist er Nach- und Vordrucker in Einer Person. Vor einigen Jahren hat er eines von KOTZEBUE’NS Theaterstücken einem diebischen Schauspieler im Manuskripte abgekauft, und unter des Verfassers Namen vorgedruckt. Später hat er seine diebischen Hände nach KANT’S kleinen Schriften ausgestreckt.

Eben dieser Mann liess vor kurzem in gelehrten Zeitungen bekannt machen, dass er in Koblenz eine Buchdruckerei anzulegen gedächte, und lud die deutschen Schriftsteller ein, ihm ihre Werke zum Verlag zu überlassen, weil seine Presse durch keinen Censor gehemmt würde, und doch erklärt dieser Mann bald darauf, dass er sich von der Verbreitung der Dekadenschrift: Das rothe Blatt, lossage, weil darin einige Aristokraten als Buben dargestellt sind. Herr GEHRA mag überhaupt sonderbare Begriffe von deutscher Pressfreiheit haben, denn es müsste in der That weit gekommen sein, [310] wenn ein freimüthiger Schriftsteller (vorausgesetzt, dass sein Manuskript nicht in die Käsebuden gehört) keinen Verleger als Herrn GEHRA finden könnte, diesen Mann mit welkem Beutel und stumpfen Lettern.

Ich glaube nicht, dass in irgend einem Lande, selbst in der Republik nicht, die Pressfreiheit so hoch gestiegen ist, als gegenwärtig in Deutschland, wo in despotischen Staaten die wütigsten Schriften gegen Despotie und Willkühr mit Bewilligung der Censur gedruckt werden: wo es erlaubt ist, öffentlich und ohne Scheu, Buben Buben zu nennen, mögen sie nun bürgerlicher Herkunft sein, oder die Vorsicht gebraucht haben, sich von hochadeligen oder fürstlichen Müttern gebähren zu lassen. Jene berüchtigte Hundesdemut, womit der Deutsche sonst vor seinen Gebietern kroch, haben ihm FRIEDRICH MOSER, und SCHLÖZER abgewöhnt, und seit dieser Zeit ist es erlaubt, die Gebrechen der Regierungen mit den verwägensten, bittersten Zweifeln anzugreifen, ohne dass Jemand von oben herab schamlos genug wäre, Stillschweigen zu gebieten. Und, was hilft auch den kleinen Despoten ein solcher Machtspruch? Er vertreibt einen freimüthigen Mann aus einem Lande, und dieser erhebt in dem andern seine Stimme desto lauter.

[311] In Wien, in München und in Dresden darf man freilich keine Pressfreiheit suchen. Aber lebt sie nicht in den deutschen Reichsstädten, und unter der Aufsicht der Censur in Berlin?


[312]
XV.
Meien.     

Ich liess mich zu Neu-Wied über den Rhein setzen, und machte den kleinen Weg biss Andernach auf einer herrlichen Kunststrasse zu Fuss.

Andernach ist ein kleines Städtchen. Seine Strassen sind enge, krumm und schmutzig. Merkwürdig bleibt aber immer dieser Ort wegen der auffallenden Veränderung der Menschen, ihrer Sprache und Lebensart. So wie man bei Weissen-Thurm über die Nette geschritten ist, befindet man sich auf ein Mahl in einem ganz neuen Lande. Die Sprache wird platter und sanfter, als man sie weiter hinauf hört. Das schneidende Gekreisch der Koblenzer hat sich in ein melodisches Gurgeln verwandelt, das dem Ohre fast eben so wohl thut, als die sanften Töne der Westfälinger und Niedersachsen.

Merkwürdig ist die Veränderung der Sprache hier am Rhein. Oben in Mannheim spricht [313] man anders, als in Mainz; in Mainz anders als in Koblenz; und der Koblenzer, der doch ohne Vergleich am schlechtesten in dieser ganzen Gegend spricht, nimmt sich sogar heraus, über die Sprache des Westerwälders und Meienfelders zu spotten. Was ist die Ursache dieses auffallenden Unterschieds, wirst Du fragen? Es wäre leicht von der Sache zu kommen, wenn man die Ursachen in der Erziehung und der Verschiedenheit des Klimas suchen wollte. Es ist nicht zu läugnen, dass jene vorzüglich mitgewirkt hat, diese Menschen von einander zu scheiden, und dass dieses nebst den verschiedenen Arten der Getränke, die hier genossen werden, im Stande ist, die Sprachorgane geschmeidiger oder ungeschickter zu machen. Auf dem Hunsrücken haben wir drei Dörfer [27] gefunden, deren Bewohner alle das R nicht aussprechen können, und doch sprechen es alle ihre Nachbaren ohne Anstoss aus. Die geläuterte Bergluft (denn diese Dörfer liegen so hoch als keines in dieser Gegend) und das Wasser sollen die Ursache davon sein.

[314] Unstreitig hat die Abneigung der Rheinländer, fremde Länder zu besuchen, am meisten diese Roheit der Sprache verschuldet, besonders am Mittelrhein. Dort zittert der Jüngling, wenn er über die Grenze seines Vaterlandes oder auch nur aus seiner Vaterstadt treten soll. In dem dumpfen Qualm des häuslichen Lebens erzogen, und ausgebrütet unter den Vorurtheilen seiner Landsleute hasst er Alles, was einen fremden Anstrich hat. Der Handwerker, wenn er ja auf Reisen geht, wandert nach Östreich und Baiern, wo es oft noch schlimmer steht, als in seinem eigenen Vaterlande. Leute vom gelehrten Stande wagten sich zwar bissweilen nach Norden, aber was thaten sie da? Sie trieben Pandekten auf protestantischen Universitäten, die sie eben so gut in ihrem Vaterlande hätten lernen können, aber an Geschmacksstudien dachte — Keiner; vielweniger an die Verfassung fremder Länder, an fremde Sitten und Gebräuche. KLEMENS WENZEL, weiland Kurfürst von Trier, pflegte vor zehn Jahren, wie ich Dir schon ein Mahl gesagt habe, junge Leute auf protestantische Universitäten und auf Reisen zu schicken. So gut das gemeint sein mochte, so wenigen Nutzen hat es gestiftet. Ohne Bildung, ohne Vorkenntnisse traten die Leute ihre Reisen an, und kamen [315] eben so zurück, nachdem sie sich und ihr Vaterland im Auslande prostituirt hatten. Es flogen Gänse über’s Meer, konnte man mit Recht von ihnen sagen. Und eben diese Leute waren es, die das lauteste Geschrei erhoben, wenn es ja einer wagen wollte, Hand an das scheusliche Ungeheuer zu legen, das so unerschütterlich in dem Tempel des Geschmackes hier am Rheine thront. Seht da den Pedanten, ruften sie laut, der sich seiner Koblenzer Sprache schämt; seht da den Affen, der zeigen will, dass er in Sachsen gewesen ist. Und diess waren nicht etwa nur die Gassenjungen des Hofes, die so schrieen. Nein, die Herren in den Dikasterien machten selbst den Leuten Vorwürfe, die an dem Geschäftsstile bessern wollten. Bei der Erziehung ward auf die Muttersprache gar kein Bedacht genommen. Die Priester, denen die Jugend anvertraut war, lästerten alles, was nicht auf lateinischen Krücken daher stolperte, oder es äusserte, dass die deutsche Sprache noch etwas mehr als Wachtstubensprache wäre. Dazu kam nun die Verschiedenheit der Regierungen und der Religion in diesen Ländern. Lutherisches Deutsch [28] war eben so verhasst, wie der Lutheraner selbst.

[316] Der Strich Landes diesseits der Mosel von Koblenz an biss nach Andernach, und Pollich hin ist trefflich angebaut, und wird nicht mit Unrecht das Meienfeld genannt. Wir kamen durch die Dörfer Nieder- und Obermennig, die wegen ihrer Steinbrüche bekannt sind. Diese Steine sind von graulicher Farbe, und oft mit dem in diesen Gegenden häufigen Bimsstein und Tras vermischt. Die Menniger Steine sind hart, und sprühen Funken, wenn man sie aneinander oder an Stahl schlägt, und widerstehen dem Feuer. Sie lassen sich sehr gut zu Mühlsteinen gebrauchen, und werden in die Ferne biss nach Holland und sogar nach England verführt. Wie lange diese Steine hier schon gebrochen werden, ist nicht auszumitteln, denn von alten Registern findet sich in Mennig nichts. Indessen lässt es sich aus der Geschichte beweisen, dass sie schon zu den Zeiten der Römer gebrochen wurden. Vor der Revolution [317] standen in dem Universitätsgebäude zu Mainz zwei Steine mit römischen Aufschriften, die zuverlässig aus dieser Gegend waren, denn an andern Orten hat man sie nie gefunden. In den nachfolgenden Zeiten, besonders im Mittelalter wurden alle Fenster und Öffnungen der adeligen Schlösser am Rhein und an der Mosel mit Menniger-Steinen eingefasst. Ich habe auf dem Schlosse Winneburg in den Moselgebirgen dergleichen Steine von 4 Fuss Länge und 2 Fuss Dicke gesehen, die noch immer dem Zahne der Zeit trotzen und wie eben gebrochen aussahen, da alle übrigen Steine schon verwittert waren, und sich in der Hand zerbröckeln liessen. Und zuverlässig hat dieses Schloss schon im dreizehnten Jahrhundert gestanden, und die Steine lagen seit seiner Zerstörung im vorigen Jahrhundert der Witterung offen.

Die Bimssteine sind von ganz anderer Art. Sie spielen in’s weisslichte, sind durchlöchert, bröckelicht, rauh und aus ganz kleinen Stückchen zusammen gesetzt.

COLLINI, de LUC und HAMILTON haben diese Gegenden sorgfältig untersucht und Spuren von einer ehemahligen Feuer-Revolution gefunden, die biss in die Zeiten der dunkeln Welt hinauf gehen soll. FORSTER hat nach der Zeit dieser Behauptung [318] widersprochen. Aber alle vier treiben sich mit Gründen der Wahrscheinlichkeit herum, die uns in Ungewissheit lassen, ob wir wirklich die Existenz eines vor mehrern tausend Jahren bei Andernach brennenden Vulkans annehmen sollen oder nicht. Die Äusserungen des Letztern sind zu schön, als dass ich sie Dir hier nicht noch ein Mahl hersetzen sollte.

Vulkane dampften und glühten; geschmolzene Lavaströme flossen, kühlten sich plötzlich in dem Meere, das damahls alle diese Länder bedeckte, und zerklüfteten sich in säulenförmige Theile; ausgebrannte Steine, und Asche und Kohlen flogen in die Luft, und fielen in Schichten nieder, die man jetzt ausgräbt und zum Wasserbau nach Amsterdam versendet; kurz ehe es Menschen gab, die den Gefahren dieses furchtbaren Wohnorts trotzten, und das plutonische Gebiet mit Waizen oder mit Reben bepflanzten, kreis’te hier die Natur, und die Berge wandten sich in gewaltsamen Krämpfen. Ist das nicht prächtig — geträumt? Es kommt ja nur auf uns an, ob wir den Hekla und Ätna, den Vesuv und den Tschimborasso an dem Gestade unseres vaterländischen Rheins erblicken wollen. Wenn die Erscheinungen, [319] die das hiesige Gebirge uns zeigt, Vergleichungen dieser Art begünstigen, wer dürfte uns verbieten, unserer Einbildungskraft die Ergänzung einer Lücke in den Annalen der Erdumwandlung aufzutragen? Über jene Erscheinungen aber ist man biss jetzt noch nicht einig.
Der Bimsstein ist zwar zuverlässig ein Feuerprodukt; allein, dass wir uns ja nicht mit der Folgerung übereilen: es müsse deshalb bei Andernach einst ein Vulkan gelodert haben! Hier ist nirgends eine begleitende Spur von Vulkanen sichtbar; nichts leitet auch nur von fernher auf die Vermuthung, dass diese Schichte, wo sie liegt, im Feuer entstanden sein könne. Ihre Lage unmittelbar unter der Dammerde scheint sie vielmehr für fremdartig zu erklären. Wer kann nun bestimmen, durch welche Revolutionen und wie viele tausend Meilen weit her, diese Bimssteine hier angeschwemmt sind? welche Flut sie von weit entlegenen Gebirgen abwusch, um sie hier allmählig abzusetzen?

Je weiter man sich hier nach Süden dreht, und je näher man der Mosel kommt, desto fruchtbarer wird das Land. Die Spuren von Dürre, die bei [320] Mennig noch da und dort sichtbar sind, verschwinden durchaus in der Gegend um Pollich. Hier hat die Natur alle ihre Segnungen ausgeschüttet. Lachende Fluren und saftige Wiesen, Obst Gemüse, und treffliche Viehzucht findet man hier.

Die Menschen gefallen mir weniger. Sie sind meist klein und ihre Gesichtszüge unbedeutend. Die Bigotterie, die ihnen anklebt, macht die Mädchen für den Reisenden fast völlig ungeniessbar. Es sind nicht sanfte Züge von Schwärmerei, die sie auszeichnen, und dem Herzen des Mannes gefährlich machen könnten, nein, es ist Aberglaube der niedrigsten Art, der sich mit heiligen Bildern verschwört, und jeden ehrlichen Mann, der nicht zur heil. GENOVEFA und ihrem Schmerzenreich wallfahrtet, wie einen bösen Dämon behandelt. Indessen haben sich doch noch an manchen Stellen Spuren der naivsten Unschuld erhalten. Die jungen Bursche klettern Nachts mit Leitern unter augenscheinlicher Lebensgefahr an die Fenstern ihrer Mädchen, um sich mit ihnen beim Mondscheine zu unterhalten. Diess hat, wie in Schwaben, Schweiz und Tirol gar nichts anstössiges, vielmehr begünstigen Eltern und Verwandte diese Besuche, die sich freilich nicht, wie oft in jenen Ländern, auf Probenächte erstrecken dürfen. Diess [321] lassen sich die Mönche und Pfaffen nicht nehmen, die mit Baselisken-Augen über die Mädchen wachen. Sobald eine vor der priesterlichen Einsegnung schwanger wird, deutet man mit Fingern auf sie, und sie muss in der Kirche in einem besonders dazu bestimmten Sitze knieen. Sie darf keine Haube, wie die andern Mädchen, tragen, und sich eben so wenig zu den Weibern halten.

In Münster, wo ich übernachtete, ist ein Kollegiatstift, bei dem die Pfründen einträglich genug sind, um müssigen Pfaffen ein vergnügtes Leben zu verschaffen. Man schlägt die Einkünfte einer solchen Pfründe gewöhnlich auf 3 biss 400 Rthlr. an. Die Kanonizi dieses Stiftes sind die unwissendsten Menschen, die ich unter allen Pfaffen dieses geschlagenen Landes gefunden habe. Es konnte aber auch nicht anders kommen, weil es der Kurfürst selbst se wollte. Er vergab die Pfründen seiner Stifter an die Kinder seiner Räthe und Günstlinge, wenn jene noch in der Wiege lagen. Wenn der junge Kanonikus heranwuchs, so bedeutete ihm männiglich, dass er gar nicht nöthig hätte, sich den Kopf mit Wissenschaften zu verderben, indem schon hinlänglich für sein zukünftiges Leben gesorgt wäre. Der junge Mensch durchlief allso die Schule, und bezog die Akademie [322] zu Trier, weil es Sitte war, und weil man ihm sagte, dass er sich wenigstens dem Scheine nach auf die Theologie legen müsste. Merkwürdig ist es, dass die bigotten Einwohner dieses Landes selbst die Pfründner in den Stiftern für weit schlechtere Menschen halten, obgleich sie Messe lesen können, und einen Gott zu schaffen im Stande sind. Sie konnten eben darum sich auch die schlechtesten Streiche zu Schulden kommen lassen, ohne dass ein Mensch die Miene darüber verzog. Man traf sie entweder auf der Jagd, oder in den Wirthshäusern, oder in den Betten ihrer Köchinnen, oder in den Nonnenklöstern der umliegenden Gegend, wo sie den armen eingekerkerten Mädchen aus der Noth der Jungfrauschaft halfen. Da lag jenseits der Mosel ein adeliges Frauenkloster, Namens Engelport, wo weiland die grösste Gastfreundschaft herrschte, die man ausser den Abteien in dieser Gegend antraf. Ich habe selbst in frühern Zeiten mehrere angenehme Tage dort verlebt. Hier war einer der Hauptsammelplätze der geistlichen Sinekuristen. Vorzüglich lockten einige freundliche Nonnen, die in ihrer Blüte wirklich schön waren, und durch keine Sprödigkeit irgend ein kühnes Wagestück vereitelten. Alles herbei, was in den Fehden des kleinen Kriegsgottes Glück machen [323] wollte. Das Kloster liegt in einem anmuthigen Thale, von hohen Bergen auf allen Seiten umschlossen. Die romantische Natur machte die höflichen Nonnen für das Männerherz noch gefährlicher. Auch war man hier nicht, wie in andern Klöstern durch eine harte Klausur beschränkt. Der Weg biss in die Zellen der geistlichen Mädchen stand vielmehr jedem Manne offen, der bei der Äbtissin empfohlen war. Ich selbst habe ganze Tage einsam mit dieser oder jener schönen Nonne auf ihrer Zelle zugebracht, ohne dass es nur irgend aufgefallen wäre. Merkwürdig ist es, dass bei dieser lobenswürdigen Liberalität und bei diesem Lebensgenusse niemahls eine Nonne in Verlegenheit gerathen ist. Entweder sind sie alle unfruchtbar, oder sie verstehen die Kunst sehr gut, nicht schwanger zu werden.

Bei diesen Streifereien bin ich durch verschiedene Gebiete ehemahliger kleinerer Despoten gekommen. In Bassenheim besuchte ich den Garten des Grafen gleiches Namens, von dem schon zwei Mahl in diesen Briefen die Rede gewesen ist. Dieser Garten, wenn man auch nicht wüsste, dass ihn ein Sanskulotte angelegt hat, würde seinen Urheber bei’m ersten Anblicke verrathen. Solch ein Drunter und Drüber von französischem, englischem [324] und arabischem Geschmack findet man nicht leicht wieder. Der Graf war ein vorzüglicher Freund der französischen Emigrirten, der sich sehr geschmeichelt fand, wenn ihn das Ungeheuer ARTOIS mon ami nannte, und wenn ihn die Ludwigsritter für ihres Gleichen hielten. Er gilt jetzt noch für den wildesten Reiter und Jäger unter dem ehemahligen rheinischen Adel. Aber seine Despotie und sein Grausamkeit sind nicht weniger berühmt. In Bassenheim hatte er eine eigene Bastille anlegen lassen, in der die unschuldigsten Menschen, die das Unglück hatten, ihm zu missfallen, bei Wasser und Brot, in den Kerkern schmachteten. Einst erzählte seine Mätresse, dass ein Mann in Koblenz ihr auf der Strasse begegnet wäre, und sie mit Verachtung angeblickt hätte. Der Graf befiehlt sogleich zwei von seinen Satelliten, den Mann in sein Schloss zu locken, wo er über sein Betragen zur Rede gestellt werden sollte. Diess geschieht, und gerade zu einer Zeit, da der Graf in seinem Pferdestall beschäftigt ist. „Bringt den Hund zur weitern Untersuchung nach Bassenheim,“ herrscht er den Knechten entgegen, und der Unglückliche wird bei dunkler Nacht in einem verschlossenen Wagen aus der Stadt nach der Bastille gebracht, ohne dass sich Jemand, ausser dem Gefangenwärter, [325] um ihn bekümmert. Sechs Monate darauf fällt es dem Grafen ein, sich nach ihm zu erkundigen. Man sagt ihm, dass der Hund im Loche sitzt. Der Graf lässt ihn vorführen, mit Ruthen streichen und zurückschicken. Der Unglückliche eilt nach Hause, findet sein Weib auf der Bahre, und seine Kinder im Elend. Und wie ging’s dem Grafen? Nicht Einer getraute sich die Stimme gegen ihn zu erheben. Der Kurfürst war zu schwach, um die verletzten Rechte seines Bürgers zu rächen. Noch jetzt schleicht das arme Schlachtopfer auf den Strassen umher, von Kummer und Elend zu Boden gedrückt. Alle Koblenzer kennen es, seinen Mörder und seine Geschichte, und – schweigen. Aber in diesem Augenblicke stehen die Schandthaten des Elenden auf der Wage. Es wird eine Zeit kommen, da der Name Bassenheim das Jubelgeschrei der Hölle sein wird, und mir däucht, die schöne Morgenröthe dieser Zeit bricht schon wirklich auch auf dem jenseitigen Ufer herein.

Unweit Bassenheim liegt das weiland dem Grafen von der Leien gehörige Dorf Saffig, mit einer Kellerei. Glücklicher für den Landmann, aber doch wenig tröstlich im Ganzen, war die Regierung dieser Familie. Sie war die erste, die das [326] Landjunker-Leben in Blieskastel wieder aufbrachte. Aber diess ist auch das einzige Verdienst, das sie sich um ihre Herrschaften erworben hat; gross genug indessen, um auf eine kleine dankbare Rückerinnerung Anspruch zu machen. Wären die übrigen adeligen Familien diesem Beispiele gefolgt, es würde jetzt nicht so traurig in diesen Ländern aussehen. Das Landjunkerwesen war noch das einzige, das die kleinen Herrschaften wenigstens auf eine Zeit lang von dem völligen Untergange hätte retten können.

In der Abtei Laach ward ich freundlich aufgenommen, aber sie ist jetzt ihrer Auflösung nahe, und die meisten Mönche darin sehen der Freiheit mit Sehnsucht entgegen. Sie liegt in einem schauerlichen Thale, an dem Gestade eines Sees, der wahrscheinlich auch noch ein Überbleibsel von den gewaltsamen Revolutionen ist, die sich ehemahls hier ereignet haben. Dieser See hat ungefähr dreiviertel Stunden im Umfange, und ist an manchen Stellen über hundert Klafter tief. Wir machten in einem kleinen Kahn eine Fahrt darauf, aber die Winde, die fast immer in diesem Thale herrschen, machen diese Erholung in den Fahrzeugen, die man hier hat, gefährlich. Das Volk erzählt sich allerlei Mährchen von diesem See. Es glaubt fest, [327] dass er durch unterirrdische Kanäle mit dem Bingerloche, das wenigstens sieben Meilen weit entfernt ist, zusammen hange. Diess soll aus den Trümmern eines Schiffes bewiesen werden können, das bei Bingen gescheitert, und hier zum Vorschein gekommen sein soll.

Hier in Meien bin ich an der Grenze des schönen Landes, das ich mit Entzücken durchwandert habe. Hier sehne ich mich nach den Gebirgen und den gesegneten Fluren am Rhein und auf dem Meienfelde zurück. Sobald ich den Fuss aus diesem Städtchen setze, beginne ich die Eifel zu betreten, den unkultivirtesten und traurigsten Strich Landes im westlichen Deutschland. Alles hat jetzt schon ein anderes Ansehen gewonnen, obgleich ich kaum drei Meilen vom Rhein und von der Mosel entfernt bin. Die Einwohner sprechen hier schon eine ganz andere Sprache, die der Sachse und der Brandenburger kaum verstehen würde. Selbst die Leute sind anders. Träge und ungeschickt bei jeder Arbeit, roh und grob, Züge der niedrigsten Bigotterie und der tiefsten Unwissenheit im Gesichte, gaffen sie den Fremden, mit aufgesperrten Mäulern wie ein seltenes Wunderthier an, und wissen nicht ein Mahl, ob sie Einem für baare Bezahlung einen Dienst leisten sollen. Da sitze [328] ich in dem grössten Gasthofe dieses Städtchens von zweitausend Seelen unter schmutzigen Bauern bei einer traurigen Öllampe, und muss es dem Wirthe noch Dank wissen, dass er mir Feder und Dinte gestattet. Dort in der Ecke brennt ein Wachskerzchen vor dem Schnitzbilde der heil. GENOVEFA, und hinter mir wühlt ein Kanonikus in dem Busen und unter der Schürze der Küchenmagd, die es sehr impertinent findet, dass ich mein Lämpchen, um ihre Liebschaft zu begünstigen, nicht auslöschen will.


[329]
XVI.
Beilstein.     

Gleich hinter Meien erhebt sich ein steiler Berg, von dem man einen grossen Theil des Meienfeldes, der Rhein- und Moselgebirge und der Eifel übersehen kann. Die letztere habe ich nun nach Gemächlichkeit durchwandert.

In dem Dorfe Kellberg, drei Meilen hinter Maien, habe ich mich zum ersten Mahle festgesetzt, um das Land rund um mich her mit Musse zu überschauen, und nach Umständen tiefer einwärts zu wandern. Aber die Lust verging mir schon gleich in den ersten Tagen. Ich war willens, über Prüm biss nach Lüttich und Brüssel hinab zu gehen, aber wahrlich schlimmer hätte ich keinen Weg wählen können. Ich bin nicht weiter, als eine Meile diesseits Prüm gekommen. So süss auch Abenteuer sein mögen, und so gerne ich so recht nach fahrender Ritter Art trotz aller Beschwerlichkeiten immer weiter vorwärts dringe, [330] so unmöglich war es mir diess Mahl. Die Natur selbst hatte mir den Grenzstein gesetzt: biss hierher und nicht weiter.

In Kellberg habe ich acht Tage bei dem bigotten Pastor gesessen, dessen alte Schwester sich (mögen es ihr ihre Heiligen lohnen) recht freundlich mit meinem kranken Fuss beschäftigte, den ich mir auf dem schlechten Wege dahin geholt hatte. Wahrlich, Zufälle der Art möchten Einem die Fussreisen auf immer verleiden! In ein biss zum Ersticken warmes Zimmer eingeschlossen, das so niedrig war, dass ich die Decke ohne Mühe mit dem Kopfe erreichen konnte, von Pfaffen und Betschwestern umlagert, habe ich den Vorschmack der ewigen Seligkeit empfunden, die nach des Pastors Versicherung Ketzern meiner Art bevorsteht. Ein Glück für mich, dass der bequeme Mann Abends mit den Hünern zu Bette ging, und Morgens erst um neun Uhr sich aus seinen hipochondrischen Federn erhob. So hatte ich doch wenigstens Musse, nach Sonnenuntergang ein wenig im Dorfe herumzuhinken, und an den Freuden der Heu-Ernte, die hier spät anfängt, Theil zu nehmen.

Was am besten in diesem Lande gedeiht, sind Kartoffeln, die ich nirgends von solcher Grösse [331] und zugleich so schmackhaft gefunden habe, als hier. Das ist aber auch Alles. Der Roggen ist nur sehr schlecht, und Obst kennt man gar nicht. Wenn die Kirschen reifen, fahren die Bauern an die Mosel, und kaufen da ein Paar Ladungen auf, die sie hier wieder um einen dreifachen Preis absetzen. Wenn ein Mahl ein Apfel guter Art aufkommt, so wird diess als eine ausserordentliche Erscheinung und als ein Segen des heil. VINZENZ betrachtet, der hier und in eilf Dörfern sich das Patronat-Recht ersessen hat, d. h. dessen unbegreifliche Wunder die Einwohner bewogen haben, sein Bild vor andern Heiligen über den Altar zu stellen, und sein Fest mit grossen Feierlichkeiten zu begehen.

Eilf Dörfer sind nach Kellberg eingepfarrt, und manche sind über eine starke Meile von der Mutterkirche entfernt. Die Unbequemlichkeiten, die daraus für die armen Leute entstehen, sind sehr gross. Wer wird von einem Bauer dieser Gegend fordern, dass er sein Kind ein Paar Tage ungetauft liegen, oder seine Frau ohne Abendmahl und letzte Ölung sterben lassen soll? Und in diesem Zustande befinden sich die Leute täglich. Oft werden sechs und mehr Stunden erfordert, ehe der Priester mit seinen Heiligtümern bei dem Kranken [332] erscheinen kann, und oft stirbt dieser, ehe er durch priesterlichen Segen und heilige Salbung gestärkt ist. In diesem Falle erwarten die Anverwandten mit Entsetzen ein schreckliches Gericht von oben; sie sehen die Seele des Verschiedenen wachend und in ihren Träumen in den Schwefelflammen der Hölle braten, und verlieren sogar etwas in ihrem bürgerlichen Werthe bei ihren Mitbürgern. Wie schrecklich ein solcher Zustand für den gemeinen Bauer sein müsse, lässt sich leicht begreifen. Und doch geschah unter der vorigen Regierung nichts, gar nichts zur Abstellung dieser Missbräuche. Der Pastor mästete sich an der Krippe seiner Kirche, und legte Kapitalien an, statt dass er mit einem Drittheil seiner Einkünfte sich hätte begnügen, und von dem Überschusse einige Kaplane hätten besoldet werden können.

Die Hauptursache der Finsterniss in diesem Lande liegt gewiss in dem Zustande der Geistlichkeit. Da findest Du auch keinen Mann, der sich von den gröbsten Vorurtheilen losgemacht hätte. Ich habe mir das Vergnügen nicht versagen können, einigen Kanzel-Hanswurstiaden beizuwohnen, die von dem Pastor in Kellberg während meines Aufenthaltes aufgeführt wurden. Wahrlich, abgeschmackteres kann man nichts hören, als eine [333] Predigt aus einem solchen Munde! Und doch gilt dieser Mann noch bei den übrigen für aufgeklärt! An den hohen Festtagen des Jahres sieht man die Seelenhirten in den Hauptkirchen sich versammeln; Leute, mit ungeschornem Kinn, ungekämmten Haaren, zolllangen Nägeln, durchlöcherten ungebürsteten Hüten, abgeschabten Röcken von ungewisser Farbe, von Wein und Branntwein glühenden Gesichtern. Wo sie hinkommen, werden sie mit Ehrfurcht und Hundesdemuth von den Bauern empfangen; die Kinder laufen ihnen entgegen und küssen ihnen die ungewaschenen Hände. Der arme Hausvater holt seine letzten neun Albus aus dem bestäubten Schranke, und giebt sie ihnen – für eine Messe. Die Mädchen öffnen ihnen die für den wackern Jüngling verschlossenen Busen, und lassen sich unmittelbar darauf die Absolution von ihnen ertheilen. Ein unschuldiges Mädchen verführen, ehrliche Hausmütter in der ehelichen Treue wanken machen, das sind gewöhnliche Sünden dieser Diener der Kirche. Thut es doch auch der heilige Vater zu Rom [29], antwortete mir Einer [334] von ihnen, den ich darüber zur Rede stellte. – Am Studiertische findet man keinen dieser Bonzen. In ihren Bücherschränken haben sie nichts als den lustigen Pater ABRAHAM à Sancta Clara, und die Legenden des Paters MARTIN von Kochem. Dagegen verstehen sie sehr gut, Pferde abzurichten, Schweine zu treiben, Kartoffeln zu graben und Karten zu spielen.

[335] Eine kleine halbe Stunde von Kellberg liegt ein hoher Berg, Hochkellberg genannt, den ich einige Mahl bestiegen habe. Auch da finden sich Spuren von den Revolutionen in der Natur, die ich in meinem vorigen Briefe bei Mennig berührt habe. Dieser Berg ist oben sehr breit, und mit Gebüsch verwachsen, das die Aussicht nicht wenig verschliesst. Er nimmt sich wegen seiner Höhe in diesem ziemlich flachen Lande sehr gut aus, und man kann ihn von den Moselgebirgen sehr deutlich liegen sehen. Die meiste Zeit über ist sein Haupt in düstern Nebel gehüllt und biss tief in den Sommer mit Schnee bedeckt.

Die Veränderung des Klimas ist in diesem Lande sehr auffallend. Obgleich nur drei Meilen von den warmen Thälern der Mosel entfernt, glaubt man sich nach Siberien versetzt. Mit dem Anfange des Vendemiaires wird das Land schon mit Reif und Schnee überzogen, und meist so stark, dass für den Reisenden nicht mehr durchzukommen ist. Die Einwohner der Dörfer pflegen dann täglich in der Frohne ihren Pfarrern einen Weg durch den Schnee aufzugraben, oder ihn mit Pferden und Vorspann in die Kirche abzuholen. Es ist nichts seltenes, dass man Leute in den Schneehaufen begraben findet, und dass ganze Dörfer mit [336] Schnee so bedeckt werden, dass sie in der Ferne kaum zu erkennen sind. In diesen traurigen Zeiten fallen die gierigen Raubthiere die Hütten der armen Einwohner an, und schleppen ihnen die jungen Rinder und Pferde weg. Gewiss wirst Du erstaunen, wenn ich Dir versichere, dass es in diesem Lande noch reissende Wölfe giebt, die in den hellen Winternächten mit grässlichem Gebrülle die öden Wälder durchstreichen und die Gegend rund umher mit Schrecken erfüllen. Die Vorkehrungen zur Vertilgung dieser furchtbaren Feinde der Menschen und des Viehes sind sehr schlecht. Man sucht sie nicht in Gruben zu fangen. Ehemahls, als die Jagd noch landesherrliches Regal war, dachte man grausam genug, die Wölfe nur im Winter wegzuschiessen, weil im Sommer ihre Pelze nichts werth sind. Die Jäger lockten sie dann nahe an die Dörfer auf Aas, und schossen sie aus ihren Fenstern todt. Dann ward der Pelz mit Stroh ausgestopft, und die Jägerbursche trugen ihn auf dem Lande herum, und bettelten Eier zusammen, zur Bezahlung, dass sie die Bewohner von einem Raubthiere befreit hatten. Gewiss kann man sich nichts Schrecklicheres denken, als dass der arme Landmann sein theures Vieh von Wölfen erwürgen lassen musste, ohne seinen Feind angreifen zu [337] dürfen. Der Graf von Manderscheid-Blankenheim war in dieser Gegend der NIMROD dieses Jahrhunderts. Seine Jäger hatten die geschärftesten Befehle, Jeden, den sie in ihrem Reviere ertappten, wenn er nicht stehen wollte, ohne weiteres wie einen tollen Hund niederzuschiessen. Es giebt der Beispiele nicht wenige, dass auf diese Art Leute zu Krüppeln geschossen wurden wegen eines – Hasens; dass junge Bauerbursche, die aus jugendlichem Frohsinn eine Flinte in den blankenheimischen Revieren abbrannten, auf mehrere Jahre wie die gröbesten Verbrecher an die Karre geschmiedet; dass Reisende, die aus Unbekanntschaft mit den hochgräflichen Jagdgesetzen, eine ungeladene Flinte auf dem Rücken durch einen Wald gingen, nach Blankenheim in Gefangenschaft geführt wurden. Es war nichts seltenes, dass die Jäger zweier angrenzenden Herrschaften förmlich gegen einander zu Felde zogen, und Schlachten lieferten, die oft blutig waren. Dafür hatte aber auch der erlauchte Herr Graf ein Revier aufzuweisen, dem ausser den zweibrückischen keines diesseits des Rheins vorzuziehen war; dafür konnte er sich das gräfliche Vergnügen machen, auf den Saaten der armen Bauern eine Zahl von Hirschen, Rehen und wilden Schweinen zu hetzen, so gross sie ihm beliebte. [338] Der Graf hatte sich in Rücksicht seiner Jagdliebhaberei, den Herzog von Zweibrücken, von dem ich schon ein Mahl gesprochen habe, zum Muster genommen, und man muss gestehen, dass er nicht weit hinter diesem trefflichen Muster zurückgeblieben ist. Wenn man durch das Thor seines Schlosses zu Blankenheim einpassiren will, so wird man von beiden Seiten von zwei wütigen, in Ketten hängenden Bullenbeissern angefallen, und auf dem Hofe sah man nichts als Hunde, Jagdpferde und Leute in grünen Röcken. Alle Thüren sind mit Hirschgeweihen von 10 biss zu 16 Enden geschmückt, und in den Zimmern sieht man nichts, als Gemälde von Jagdvorfällen, die einen unbeschreiblich eckelhaften und scheusslichen Anblick darbieten. Eines davon ist besonders auffallend. Es nimmt eine ganze Wand eines grossen Saales ein. Sechs Hunde hängen an einem trefflichen Hirsche, und reissen ihm blutgierig die Eingeweide und Hoden heraus. Zur Seite steht der Herr Graf mit seiner schönen Gemalin, und weidet sich an diesem Anblicke, wie das arme Thier noch seine letzten Kräfte anstrengt, um seine Peiniger abzuschlagen, und endlich entkräftet zu Boden sinkt. Der Graf hat das Weidmesser gezogen, um am Ende dem Thiere, wenn es alle Grade der Peinigung [339] ausgestanden hat, den Fang zu geben. Das sind gräfliche Heldenthaten.

Ich nahm Nachmittags zu Kellberg meinen Wanderstab in die Hand, und machte mich auf die Reise nach Prüm. Man beschrieb mir den Weg dahin als sehr angenehm und nicht weiter als vier Meilen. Ich dachte ihn in drei Tagen zurückzulegen, weil ich mir Zeit lassen wollte, um die Menschen in diesem Lande recht nach Gemächlichkeit kennen zu lernen.

Von Kellberg geht es nach und nach bergan, über traurige Heiden und Gebüsche, in denen man vor Nachstellungen nicht sicher ist. Nur nahe an den Dörfern, die im höchsten Grade armselig sind, sieht man angebaute Felder, alle mit Roggen, Hafer und Kartoffeln. Der Bauer düngt hier seinen Acker mit Gesträuch, und dürrem Grase, das sie in den Sommermonaten sammt der daran hängenden Erde auf den ungeheuern Heiden ausgraben, und ihrem Vieh unterlegen. Dieser schlechte Dünger ist auch eines Theils Schuld daran, dass der schlechte Boden nicht veredelt, sondern noch immer mehr und mehr ausgesaugt wird.

Die Häuser sind durchaus von Leimen, und so schlecht gebaut, dass man mit einem Knotenstocke ganze Wände einschlagen kann. Die [340] Dächer sind mit Stroh gedeckt, denn die Schiefer sind zu theuer, und müssten erst aus den Moselgebirgen hierher gebracht werden, und auf die Ziegelbrennerei versteht man sich nicht. Da und dort schimmert indessen doch ein bläuliches Dach in den grössern Dörfern unter den Strohhütten hervor, und man kann dann gewiss sein, dass man wenigstens die Wohnung eines Schulzen oder eines Pastors vor sich hat. Ein Schieferdach wird für etwas grosses gehalten, und der Bauer hatte weiland einen guten Theil bürgerlicher Ehre mehr, wenn er unter einem Schieferdache wohnte, als sein Nachbar, der sich mit einem Dache von Stroh begnügen musste. Man findet daher auch keine einzige Kirche in diesem armen Lande mit Stroh gedeckt. Die Einwohner darben lieber selbst, ehe sie so was zugeben.

Man bereitet hier das Brot meist nur aus Hafer und Kartoffel-Mehl, und oft werden selbst ganze Kartoffeln mit hinein gebacken. In den ersten Tagen war mein Magen für diese Speise noch zu delikat. Ich habe mich aber auch daran gewöhnt, denn man liefe in der That Gefahr Hunger zu leiden, wenn man besseres Brot oder auch nur etwas anderes als Kartoffeln verlangte.

Auffallend ist es, dass es in keinem Dorfe [341] Bier giebt. Der gemeine Bauer trinkt Wasser, und die Andern müssen Sonntags zu ihren getrockneten Birn und ihrem Haberbrei ein Glas Wein haben, den man von der Mosel kommen lässt. Dieser Wein ist aber so schlecht, dass er nur groben Kehlen behagen kann. Schnaps wird nur sehr wenig getrunken, und es gehört selbst bei einem Theile der Bauern zur schlechten Empfehlung, wenn Jemand ein grosser Liebhaber des Schnapses ist.

Schlechter giebt es nichts als die Wege in diesem Lande. Ohne Führer ist es kaum möglich, sich zurecht zu finden. Ich schlug auf der Höhe vor Kellberg einen Fahrweg ein, weil ich sicher glaubte, er würde mich wenigstens zu Menschen führen. Aber abgerechnet, dass mir keine Seele begegnete, hörte mein Weg auf ein Mahl mitten im Walde auf, und ich stand in einer mir unbekannten Gegend einsam da. Die Sonne war schon hinter den Berg gesunken, und im Walde fing es schon an dunkel zu werden. Ich sah nur zwei Wege vor mir, aus dieser Verlegenheit zu kommen, entweder gerade vorwärts zu gehen, und zu versuchen, ob sich irgend ein Dorf von mir finden lassen wollte, oder die Nacht im Walde zuzubringen. Der erste schien mir gefährlich. Ich wusste nicht, wie weit der Wald noch gehen konnte, und [342] musste fürchten, mich immer tiefer zu verirren. Ich wählte den letzten, und kauerte mich getrost unter eine alte Eiche, um so den Morgen und mit ihm meine Erlösung abzuwarten. Der Mond war eben aufgegangen, als ich entschlummerte. Ich mochte wohl zwei biss drei Stunden so gelegen haben, als ein heller Gesang an meine Ohren schlug und mich erweckte. Nicht weit von mir, zur Rechten, sah ich ein grosses Feuer brennen, um das sich einige Männer im Kreise gelagert hatten. Ich muss Dir nur gestehen, dass es mir nicht wohl bei diesem unerwarteten Anblicke zu Muthe ward. Der Gedanke an Räuber war zu dieser Zeit und an dieser Stelle sehr natürlich. Ich war unentschlossen, was ich thun sollte. Aufstehen und mich fortschleichen konnte ich nicht. Die Herren waren mir zu nahe, als dass ich nicht von ihnen hätte bemerkt und gehört werden müssen. Indem stand Einer von ihnen auf, und ich konnte bei dem Schein des Feuers ziemlich deutlich erkennen, dass es ein Bursche war, den ich bei dem Pfarrer zu Kellberg schon gesehen hatte. Nun stand ich auf und ging hin. Sie kannten mich Alle, und waren verwundert, mich hier zu sehen. Sie hüteten da ihre Pferde, und, um munter zu bleiben, hatten sie ein grosses Feuer angezündet. [343] Ich hörte nun mit Erstaunen, dass ich nur eine halbe Stunde von Kellberg entfernt war. Dahin zurück wollte ich nicht. Ich bat allso einen von ihnen, mich auf das erste beste Dorf zu führen, das auf dem Wege nach Prüm läge. Aber da wusste keiner Rath, denn keiner war noch in Prüm gewesen und wusste, wo es lag. Ich nahm nun meine Landkarte zu Hilfe, um ungefähr den nächsten Ort aufzusuchen. Ich fand Hillesheim. Aber biss dahin waren es noch drei starke Stunden. Indessen hatte ich nun so viel gewonnen, dass sie mich weiter bringen konnten, denn sie kannten die Stadt Hillesheim, wie sie sagten, alle wohl. Das nächste Dorf auf dem Wege dahin war eine Stunde weit entfernt, und hiess Bongard. Ich brach mit HANNES, so hiess mein Führer, dahin auf. HANNES war sehr gesprächig, und es ging ihm in der finstern Nacht gerade so wie SCHERASMIN’EN im OBERON. Herr fing er an, in diesem Walde ist’s nicht just. Da geht ein Mann mit einem Mantel von Blei drinn um, der in seinem Leben den Bauern unrichtiges Holzmaass gegeben hat; er klopft mit einem Hammer an die Bäume, und wer ihm in den Weg kommt, dem schlägt er den Hirnkasten ein. Indem hörten wir von fern, wahrscheinlich einen Holzdieb, [344] an einen Baum schlagen. Mein HANNES that einen lauten Schrei: Da kommt er, da kommt er! und ohne sich weiter um mich zu bekümmern, lief er bergein, als ob er den bösen Kobolt schon auf der Hauben hätte. Glücklicherweise hatte er bald eine Wiese vor dem Walde erreicht, wo er sich niedersetzte und aus Leibeskräften zu schreien anfing. Ich durfte allso nur der Stimme nachgehen, um mich aus dem Walde herauszufinden. HANNES freute sich kindisch, als er mich wieder hatte, und that mir den Vorschlag, auf dieser Wiese den Morgen zu erwarten, denn da könnte uns der böse Geist nichts anhaben, weil es eine Kirchenwiese wäre. Ich machte Vorstellungen, ich bat, ich drohte. Umsonst. Ich musste nachgeben. Wir legten uns beide nieder und schliefen biss an den Morgen. Bongard lag vor uns. Ich nahm von meinem Führer Abschied, und ging fürder, schon lüstern auf das Frühstück, das ich da einnehmen wollte. Aber in Bongard war leider keine Schenke zu finden. Ist denn kein Pastor hier? fragte ich einen Mann. Man wiess mich zum Frühmessenmacher. Ich fand den Mann in einem kleinen Häuschen in der Küche, beschäftigt, sich seinen Frühkoffe zu brauen. Nach einigen Entschuldigungen, ob ich mit einem Koffe und einem [345] Stück Fladen vorlieb nehmen wollte, führte er mich in seine Stube. Ich staunte. Die vier Wände waren mit Büchern von oben biss unten besetzt. „Sie wundern sich wohl, fing der Mann an, hier eine kleine Büchersammlung zu finden, da Sie das wohl bei den Geistlichen unseres Landes nicht gewohnt sind?“ Ich sagte ihm ohne Umstände meine Meinung über seine Kollegen, und fing an, mich ein wenig in seinen Büchern umzusehen, während er selbst das Frühstück bereitete. Aber kalt überlief es mich, als ich einen Band nach dem andern vor mir aufschlug und nichts fand, als – Legendenschreiber, Aszeten, mönchische Prediger und Beichtväter. Und dieser gute Mann darbt bei trocknem Brot und einem Glase Wasser, um seinen letzten Dreier an elende Scharteken zu verschwenden, um seinen Feuergeist in Mönchsmoral, und in dem Unrathe der Bollandisten zu ersticken. Er hat in Prag studiert, wo wohl die Jesuiten und andere Mönche seinen Geist irre geleitet haben mögen. Wie doch so vieles vom Zufalle nur abhängt! Hätte dag Geschick diesen Mann in seinen jüngern Jahren nach Göttingen, nach Jena oder Halle geführt, gewiss wäre er der Reformator in dieser düstern Gegend, statt, dass er nun, vielleicht ohne seinen Willen, dem Aberglauben [346] Dienste leistet und den Mönchen in die Hände gearbeitet hat. Ich könnte hier in Versuchung gerathen, mich über diesen Mann zu ärgern, wenn mir nicht einfiele, wie wenig im Grunde dazu gehört, sich selbst von den Fesseln loszuwinden, die man unserm Geist in der Jugend angelegt hat. Wer nie über die Grenzen dieses Landes gekommen ist, wo soll er die Aufklärung hernehmen? Freilich wird sich mancher Geist finden, der stark genug ist, sich ohne äussern Anstoss über die Schranken zu schwingen, die man um ihn gezogen hat. Aber hängt doch nicht das meiste von Mittheilung, und von Verhältnissen ab? Ich versöhnte mich bei diesen Überlegungen wieder mit meinem ehrlichen Priester, und konnte es nicht über mich gewinnen, ihm wegen seiner Bücher Vorwürfe zu machen.

Nach einigen Stunden brach ich auf. Mein gastfreier Wirth begleitete mich biss Ober-Ehe, ein Dorf, das eine Stunde weit von dem seinigen liegt. Wir kamen durch sumpfige Wiesen, über dürre Haiden, Berge und durch Wälder. Der Weg war oft romantisch, aber das Land rund umher durchaus wild und unfruchtbar. Von einem hohen Berge herab sahen wir Ober-Ehe zu unsern Füssen liegen. Am Ende des elendesten schmutzigsten [347] Dorfes nahm sich ein herrschaftliches Schloss gut genug aus. Es liegt unten im Thale und frappirt sehr, wenn man es auf ein Mahl, indem man aus einem düstern Walde hervortritt, tief unter sich liegen sieht. Es gehört dem Grafen von Metternich-Winneburg, der es vor ungefähr achtzehn Jahren von dem ehemahligen Besitzer, einem Herrn von VAIDER gekauft hat. Was die Republik in Zukunft daraus machen wird, muss man erwarten. Ich wenigstens wüsste es in diesem Lande gar nicht zu gebrauchen, weder zur Wohnung, noch zu einer Fabrike. Was soll man an einem Orte fabrizieren, der keine taugliche Naturprodukte hat?

Mein Begleiter nahm es auf sich, mich bei dem Beamten, der sein Freund ist, und im Schlosse wohnt, einzuführen. Wir wurden unter dem Thore von einem freundlichen Mädchen, der Schwägerin des Beamten empfangen und mit frischer Milch bewirthet. Unser Mittagsessen war ländlich und frugal. Ich labte mich nach vierzehntägiger schlechter Bewirthung während meiner Streifereien durch diess Land, hier an köstlichen Stein-Forellen, von schönen Händen bereitet und aufgetragen.

Nachmittags machten wir einen Spaziergang nach Hohenfels, einem Dorfe, das schauerlich schön zwischen nackten Felsen in der abgeschiedentsten [348] Gegend liegt. Ich ging in verschiedene Häuser, und liess mich mit den Bauern in Gespräche ein. Sie hatten von ihren neuen Verhältnissen nicht die geringsten Begriffe, und die meisten wussten es gar nicht ein Mahl, dass sie nun nicht mehr Unterthanen eines deutschen Gräfchens waren, sondern mit der grossen Nation zusammen hängen, die sie nicht ohne Schrecken nennen hören können. Daran sind die Priester und Mönche Schuld. Die Bewohner dieses öden Winkels, hinter unfruchtbare Felsen versteckt, haben während des ganzen Kriegs kaum einen fränkischen Soldaten gesehen. Aber man hat sie ihnen als Räuber und Gottesläugner geschildert, die die Kirchen plündern und das Bild des Gekreuzigten an den Schweifen ihrer Pferde durch den Koth schleppen. Ich suchte sie, so viel mir möglich war, über ihre neuen Verhältnisse aufzuklären. Ich bewiess ihnen, dass ein bürgerlicher Zustand, in dem man kein Besthaupt, keine Rauchhüner, keinen Zehnten geben, und keine Frohndienste nach der Lust eines oft harten Obern thun dürfte, doch weit wünschenswerther wäre, als der Zustand eines Sklaven, der nicht ein Mahl Herr seiner eigenen Handlungen ist. Aber sie sind durch rohe Unwissenheit, durch eine sistematische Beförderung der Dummheit [349] und einer knechtischen Unterwürfigkeit abgestumpft.

Am andern Tage mit dem frühesten machte ich mich nach Hillesheim auf, das noch eine starke Meile von Ober-Ehe entfernt liegt. Der Weg geht wie gewöhnlich in dieser Gegend, durch Sümpfe, Haiden, Gebüsche und Wälder, biss dicht an das Dorf, das in einem Thale liegt, und um nichts besser ist, als die gewöhnlichen grössern Dörfern dieses Landes. Die Leute rund umher thun ihm zwar die Ehre an, es eine Stadt nennen, und nach ihren Begriffen mag es auch wohl eine Stadt sein. Die Menschen kommen hier selten über die Grenzen ihres Kirchspiels hinaus, und selten findet man einen, der in seinem Leben eine Stadt gesehen hat. Was Wunders allso, dass er ein grosses Dorf, das ein wenig besser aussieht als das seinige; ein Dorf, in dem es einen Pastor, einen Beamten, einen Krämer, und was über Alles geht, ein Kloster giebt, dass er ein solches Dorf für eine Stadt ansieht.

Ich traf in Hillesheim einen alten Bekannten, mit dem ich noch eine Meile weit landeinwärts zog, und dann aus den oben schon angeführten Ursachen mit ihm an die Mosel zurückkehrte. Wir sind vorgesern Abend hier in Beilstein [350] angekommen, wo wir noch zwei Tage auszuruhen gedenken, und uns dann auf der Mosel nach Koblenz einschiffen werden.

Hillesheim ist von hier sechs Meilen entlegen. Den Weg nahmen wir über Ober-Ehe, Kellberg, Ülmen, wo ein kleiner See und ein kleines Schloss ist, Büchel und Fait, lauter unbedeutende Orte, die Du in BÜSCHING’S Geographie nicht auftreiben wirst. Das Land bleibt sich durchaus gleich, und erst, als wir die Thäler der Mosel wieder erreicht hatten, empfanden wir eine sanftere Luft und sahen andere Menschen, als wir in der Eifel angetroffen hatten.

Die Kleidung und der Putz der Eifeler unterscheidet sie von den Mosellanern und Hunsrückern eben so sehr, als die Bauart ihrer Häuser und ihre Meubel. In der Eifel trägt der Mann an jedem Dekatentage einen blauen biss an die Knie reichenden Kittel als Überzug über sein grobes und schmutziges Unterzeug. Dieser Kittel ist in Form eines Hemdes zusammengesetzt, und wird mittelst einer Öffnung, die sich um den Hals schmiegt, über den Kopf angezogen. Er besteht meist aus grobem Linnen, die Vornehmen und Reichen tragen ihn feiner. An der Mosel gehen die Leute meist in blaues Tuch gekleidet, und auf dem Hunsrücken [351] tragen sie weisse leinene Kittel, wie gewöhnliche Röcke gemacht. Man kann von dieser Kleidung auf den ersten Blick die Angehörigen dieser drei Partheien erkennen. Auf dem Meienfelde trägt man über den Rock von blauem oder braunem Tuche den leinenen Kittel des Hunsrückers, und sieht mehr auf saubere und feine weisse Wäsche, als in diesen Gegenden. An der Wäsche, scheint mir, lässt sich vorzüglich auch die Wohlhabenheit eines Landes erkennen. Der Östreicher und der Baier halten mehr darauf, als der Deutsch-Böhme, und der Westfälinger; der Schwabe und Franke mehr, als der Niedersachse und Preusse, und selbst der Schlesier, der die trefflichste Leinwand produzirt, trägt schmutzigere Wäsche, als sein Nachbar, der Mähre.

Die Kleidung des weiblichen Geschlechts ist geschmacklos. Auf dem Meienfelde scheint sie mir am einfachsten und besten. Die Mädchen tragen auf dem Kopfe eine steif gefütterte Mütze, die in eine Haube mit einer falschen Spitze verändert werden muss, so bald sie heirathen. Man kann allso hier mit Recht sagen: das Mädchen wird unter die Haube gebracht. Dem Busen wird auch ein freierer Spielraum gelassen, als an der Mosel, wo Alles enge und platt zusammen gedrückt [352] wird, durch eine Kleidung, die nicht weniger schädlich und für den Wuchs gefährlich ist, als die Schnürbrüste. Man wird daher auch selten unter der niedern Volksklasse an der Mosel ein liebenswürdiges schönes Mädchen finden, woran aber auch die starke Arbeit, wie das Tragen des Düngers auf die höchsten Bergspitzen, Schuld sein mag.


[353]
XVII.
Beilstein.     

Wenn man von den Ufern des Rheins hier an die Mosel kommt, so glaubt man wieder in einem ganz neuen Lande zu sein. Alles ist hier anders. Neue Sitten und Gebräuche, eine neue Sprache, und Leute von ganz anderer Art, als dort! Nur darin kommen beide überein, dass man sich hier hauptsächlich, wie am Rhein, vom Weinbau nährt. Es wird allso der Rede werth sein, Dir darüber eine nähere Aufklärung zu verschaffen.

Der Moslerwein unterscheidet sich von dem Rheinweine durch seine Leichtigkeit und durch einen süssern Geschmack. Er steht aber weit hinter diesem in Rücksicht des Feuers, der Kraft und der Farbe, die diesen zu einem der herrlichsten Weine von Europa macht. Wenn der Rheinwein den Ruhm hat, dass er die grössten Dichter zu hohen Gesängen entflammt, so hat der Moslerwein dagegen die Ehre, dem schönen Geschlechte zu gefallen, und von diesem der Trank der Grazien genannt zu werden.

[354] Die Blume des Moslerweins wächst in den Gebirgen von Zeltingen, Graach, Dusemund und Pissport. Sobald man Bernkastel im Rücken hat, ist auch BACHUS verschwunden, und er lässt sich nur auf der Untermosel ein Mahl wieder blicken, wo er seine Segnungen aus vollem Horne hingegossen hat. Der ganze Strich von Bernkastel an, biss nach Winningen hinab, wenigstens eine Strecke von zehn deutschen Meilen, trägt Wein von der schlechtesten Gattung, und man kann in schlechten Jahren oft ein ganzes Fuder von diesem Gewächse für 20 und 30 Rthlr. kaufen. Doch giebt es auch Fälle, wo das Fuder im Herbste schon für 60 Rthlr. verkauft wird, ein Preis, der aber schon für diese Gegenden ausserordentlich ist. Dagegen wird das Fuder von köstlichem Obermoseler in guten Jahren oft zu 200 Rthlr. verkauft, und wenn er einige Jahre alt ist, so gilt er auch wohl 300 und 350 Rthlr. Diess ist freilich ein grosser Abstand von den Preisen des Rheinweins, der, wie ich in meinen ersten Briefen schon erwähnt habe, bissweilen zu 6000 Fl. steigt.

Bei diesen Umständen kann es nicht fehlen, dass der Mosler sich noch in viel schlechterm Zustande befindet, als der Rheinländer, wiewohl er nicht so viele Bedürfnisse hat, als dieser. Ausser [355] der Eifel giebt es wohl schwerlich ein höheres Elend als hier an den Ufern der Mosel. Überall begegnen meinem Auge ausgehungerte und zusammengeschrumpfte Körper; Gesichter, auf denen der Gram in tiefen Furchen gemalt ist; Jünglinge, von Sorgen abgezehrt, und von Mangel niedergebeugt; ehemahlige Leibeigene, denen die schwere Arbeit in dem Dienste ihrer Leibsherrn die letzte Kraft ausgesogen hat, und die von dem guten Willen der Vorübergehenden ein Stückchen Brot zur Stillung ihres wütenden Hungers, mit dem sie schon seit ihres Daseins kämpfen, erbetteln. Dort begegnet Dir ein nacktes, von Gram und Nahrungssorgen niedergedrücktes Weib, das einen schreienden Säugling in zusammengeflickten Lumpen auf dem Rücken trägt; hier ein feister Mönch, der Deinen Morgengruss mit einem heiligen Segen erwiedert, und den armen Leuten den letzten Nothpfennig für eine Messe aus dem Beutel stiehlt; dort zusammengeschrumpfte Rinder, die hungrig von der Weide zurückkehren und zu Hause leere Krippen finden; hier ein armer Weinbauer, der einen grossen Hund vor seinen kleinen Wagen gespannt hat, um seinen sinkenden Kräften wenigstens eine kleine Stütze zu verschaffen. Die Häuser aller dieser Leute sind elend, doch gröstentheils noch aus Steinen [356] zusammengepackt und mit Ziegeln gedeckt. Der ärmste Mann hält es an den Ufern der Mosel für eine Schande, seine Hütte mit Stroh zu decken, das doch ungleich wohlfeiler ist, und im Winter auch besser vor der Kälte schützt.

Beilstein ist ein schmutziger, kleiner und sehr unbedeutender Ort, der ehemahls dem Grafen von Metternich-Winneburg gehörte, der hier zwei Beamten hatte. BÜSCHING und alle Geographen thun diesem elenden Neste von kaum funfzig über einander hängenden schmutzigen Häusern und Hütten die Ehre an, es eine Stadt zu nennen, und zwar die Hauptstadt des gräflichen Gebiets. Mir war es unmöglich, dabei nicht in ein lautes Gelächter auszubrechen. Ob der Graf und seine Söhne ernsthaft dabei bleiben, weiss ich nicht. Wenn man von jenseits der Mosel hierher kommt, sieht sich Beilstein vom Ellenser Berge aus, wie eine gelblichte Schindgrube in einer Bergschlucht an. Glaube nicht etwa, dass ich diese Bemerkung HESS’EN abgeborgt habe. Nein, ich und meine Freunde haben sie schon vor vielen Jahren gemacht, ehe man an Durchflüge durch Eisenach dachte. Der Ort liegt so zwischen Bergen eingeschlossen, dass man nur von Einer Seite heraustreten kann, ohne in die Höhe steigen zu müssen. An dem Ufer der [357] Mosel zieht sich gegen Abend ein romantischer Weg hin, den ich seiner Einsamkeit wegen an den schönen Sommermorgen lieb gewinnen möchte. Erst geht er durch Weinberge und an einer saftigen Wiese vorbei, in ein angenehmes Wäldchen. Hier kann man entweder über den Berg zurückkehren, oder biss an das nächste Dörfchen wallfahrten, wo es herrliches Obst und gute Menschen giebt. Priedern heisst das Dörfchen und liegt bescheiden hinter Bäumen versteckt, so dass man, wenn man auf dem Flusse vorüber fährt, es kaum bemerken kann.

Hundert Schritte unter Beilstein trotzt ein ungeheuerer Berg, Ketert genannt, auf dessen Spitze man eine herrliche Aussicht geniesst. Vor sich hat man die Höhen von Büchel, Kellberg und Nürburg, ein wenig zur Rechten die herrlichen Gefilde des Meienfeldes, die in der Ferne an die Wolken anstossen, und in der Gegend von Münster sich dem Blicke verschliessen; hinter sich den Hunsrücken biss hinter Kastellaun, mit vielen Dörfern, die wie auf einer Landkarte zerstreut liegen. Wenn dieser ungeheuere Berg auf einer Ebene des Hunsrücks läge, so würde man von seiner Spitze mit einem guten Fernrohre biss an die Grenze von Lothringen sehen können. [358] Es kostet Mühe ihn zu ersteigen, und er hebt sich so steil, dass man sich oft an Hecken und Baumästen hinanarbeiten muss. Von seinem Fusse an biss auf seine äusserste Spitze braucht man eine halbe Stunde. Selten besteigt ihn Jemand, ausser ein Abenteuerer meiner Art, und die Beilsteiner meinen, dass es sich der Mühe nicht verlohne, aus dem dumpfigen Thale hinan zu klettern, um freie Luft zu geniessen.

Auf der entgegen gesetzten Seite dieses Berges liegen auf einem steilen Felsen die Trümmer eines alten Schlosses, das der Graf METTERNICH auf Antrieb seiner Frau vor ungefähr zehn Jahren wieder aus seiner Asche emporsteigen lassen wollte. Er verschrieb dazu einen Baumeister aus Paris, der ihm einen Plan machte, der mit einem Kostenaufwande von wenigstens einer halben Million Gulden sich kaum hätte bestreiten lassen, eine Summe, von der die ganze Herrschaft Beilstein kaum die Zinsen bezahlen könnte. Daran dachte aber die Frau Gräfin nicht, als sie den landesmütterlichen Gedanken fasste, in dieser Einöde auf Borg ein königliches Schloss anzulegen, um ein Paar Sommertage hindurch unter ihren eigenen Unterthanen gräfliche Einkünfte verzehren können.

[359] Es muss eine herrliche Empfindung sein, von einem Schriftsteller, der der Liebling auf den Wiener Bierbänken und auf dem Kasperl-Theater ist, als das Original aufgestellt zu werden, das in diesen Zeiten, wo Alles sich gegen den Adel empört, dem Spotte trotzt und Ehrfurcht heischt. Der Frau Gräfin ist diese Ehre widerfahren, vom Herrn K. H. SPIESS, der an den schönen Sommertagen von Elnbogen nach Königswart zu gehen, und da bei Ihro Exzellenz eine Suppe zu schmarotzen pflegt, in einem seiner sauersüssen Romane; die Geheimnisse der alten Egiptier. Man weiss es aber in Deutschland schon, was man von solchen Dedikationen, wenn sie von solchen Männern kommen, zu denken hat. Herr SPIESS hat über die ehemahlige Regentin von Beilstein das Füllhorn seines Weihrauchs biss auf den Grund geleert. Die Beilsteiner halten sie aber für keine Göttin, und ihre tiefe und grosse Kenntniss der Wissenschaften und ihre grossmüthige Unterstützung der Gelehrten hat nie mein Erstaunen erregt. Oder ist das vielleicht eine grosse That, wenn man auf die SCHRÄMBL’ISCHEN Nachdrücke von WIELAND’S Werken pränumerirt, und von WIELAND’EN weiter nichts weiss, als dass er ehemahls die Ehre Prinzen-Hofmeister zu sein? Doch jetzt [360] kein bösses Wort weiter davon! Es ist der Rede und der Feder nicht werth [30].

In Beilstein giebt es auch ein Mönchskloster von dem Orden der beschuhten Karmeliten. Diess Kloster hat eine schöne Lage auf einem Berge hinter dem Dorfe, und ist gut genug gebaut. [361] Aber seine Einwohner waren von jeher Dummköpfe und Buben, die so recht vom Orden aus dem Tross auserlesen zu sein schienen. Was das schlimmste ist, so hat der Prior oder sonst ein Mönch zugleich die Pfarre zu versehen, und doppelt schlimm war es, dass alle geistliche Sachen [362] vor den Stuhl des Erzbischofs von Trier gehörten, der nicht selten etwas Groses darin suchte, einen minder mächtigen Reichsstand, als er war, auf alle nur mögliche Weise zu chikaniren. So musste sich nach und nach die grösste Zügellosigkeit unter diese Mönche einschleichen, ohne, dass der Landesherr [363] etwas weiter thun konnte, als das Vikariat zu Trier oder den Pater Provinzial um Remedur bitten, und dann hing es von der Laune dieser beiden ab, ob sie die Sanskulotten züchtigen wollten oder nicht. Das letzte war wohl meist der Fall.

[364] Nie habe ich die Erziehung der Jugend in schlechtern Händen gesehen, als hier. Aber was kümmerte das den Grafen und seine Kanzellei? Die Einrichtung der Schulen kostet Geld, und gute Rathgeber. Man hatte weder das eine, noch das andere.


[365]
XVIII.
Koblenz.     

Man reis’t auf der Mosel angenehm und gut, und wie das Wasser eben geht, auch schnell. Man muss dabei freilich auf die grosse Bequemlichkeit der Rhein-Jachten verzichten, und sich auf eine schlechtere Nachtherberge gefasst machen. Wenn man sich nicht eben auf ein Wochenshiff setzt, wie sie von mehrerern kleinen Städten an der Mosel abgehen, so muss man mit einem Kahn zufrieden sein, den man nach Gefallen grösser oder kleiner haben kann. Die Schiffer bedecken ihn mit Segeltuch, das sie über einige Reifen spannen, und an beiden Seiten des Kahns befestigen. Dadurch geht viel von den schönen Ansichten der Ufer verloren.

Wir fuhren Abends von Beilstein nach Kochem, wo wir übernachteten, und am andern Tage gegen Mittag unsere Reise hierher fortsetzten. Man bemerkt an beiden Ufern des Flusses den kühnen Fleiss der Einwohner nicht, den wir am [366] Rhein bewunderten. Das Land ist viel dürrer, und die Berge drängen sich so dicht an die Ufer an, dass man bissweilen kaum zu Fusse auf einem schmalen Pfade durchkommen kann. Doch schlängelt sich dieser da und dort auch durch kleine romantische Thäler und bebuschte Wiesen. Die Dörfer liegen aneinander, aber Städte giebt es nicht (ausser dem altem Kochem), selbst kaum ein grosses schönes Dorf. Die Ursachen der schlechten Kultur liegen nicht entfernt. Der Mensch lebt hier bloss von dem Weinbaue. Aber der Wein, den er baut, von Zell an biss nach Winningen herab, ist so schlechter Art, dass er sich nur von groben Kehlen geniessen lässt. Der Bauer verdient kaum sein Brot dabei. Andere Erwerbszweige hat er nicht, keinen Feldbau, und kaum ein wenig Gartenbau, der ihn kärglich mit Obst versieht.

Die Fahrt von Beilstein nach Kochem ist sehr romantisch, und da, wo die Mosel von überhängenden Felsenwänden eingeengt ist, krönen dunkle Wälder, die hohen Bergrücken und kleine Inselchen schwimmen mitten auf dem Flusse, die aber meist mit dürrem Flugsande und kleinen Kieselsteinen überschüttet sind. Die alten Ruinen sind fast eben so häufig, als am Rhein, doch gewähren sie die köstlichen Ansichten nicht, ihre [367] Festigkeit und ihr Umfang war weniger bedeutend. Hier, wo die Armuth des Landes, und der unbedeutende Handel, der in vorigen Jahrhunderten auf der Mosel getrieben ward, die adeligen Räuber nicht so anlockte, als an den gesegneten Ufern des Rheins, gab es keine mächtige und reiche Familie, und ein Alltags-Degen war stark genug, eine Kette über die Mosel zu spannen, und die Schiffe zu brandschatzen.

Der Name der Stadt Kochem ist durch den berühmten Pater MARTIN verewigt worden, den man in ganz Deutschland als den geistlichen Hanswurst kennt. Doch hat man ihm wahrlich mehr aufgebürdet, als er verdiente, und seinen guten Eigenschaften nie Gerechtigkeit widerfahren lassen. So ist es nicht zu läugnen, dass Pater MARTIN in einer andern Lage vielleicht ein vortrefflicher Dichter geworden wäre. Es weht durchaus in seinen poetischen Werken ein Frohsinn, den man einem Klostergeistlichen nicht zutrauen sollte, und nicht selten eine Laune, der sich mancher neuerer Dichter nicht rühmen kann. Unbillig ist es gewiss, dass sein Name in der Geschichte der Poesie am Ende des vorigen und zu Anfange dieses Jahrhunderts nicht genannt wird, denn damahls gehörte er ohne Vergleich zu den ersten Dichtern Deutschlands. [368] Warum eigentlich Pater MARTIN’S Poesieen ausser dem katolischen Deutschland Jedermann unbekannt sind, ist nicht schwer auszumitteln. Sie sind zu einem Gesangbuche gesammelt, das nicht in den Buchhandel kam, und in dem Schwalle anderer Scharteken unterging. Vielleicht weiss mancher nicht ein Mahl, dass MARTIN Dichter ist, oder der Wusst seiner Legenden und seines Palmgärtleins schreckt von seinen Gedichten zurück, denn in jenen Werken ist der ganze mönchische Aberglaube erschöpft. Wahrlich! es ist baare Unmöglichkeit, grössern Unsinn zu sammeln, als dort geschehen ist. Pater MARTIN steht unter den Mönchen als Stern der ersten Grösse da! und in der That, man muss zweifeln, ob einem gemeinen Kopfe solche Zusammensetzungen der barokkesten Abenteuerlichkeiten hätten gelingen können.

Eine zweite alte Merkwürdigkeit von Kochem ist die Karfreitags-Prozession, die ich vor einigen Jahren selbst noch in ihrem grössten Glanze gesehen habe. Jetzt ist sie zum Verdrusse aller Kochemer per mandatum eingestellt, und die Wirthe, die den meisten Vortheil davon hatten, beten Feuer vom Himmel herab, um die ketzerische Rotte zu verschlingen, die es gewagt hat, Hand an das heiligste Heiligtum zu legen. Schon unter der [369] kurfürstlichen Regierung war diese Hanswurstiade ein Mahl untersagt worden, aber zu Anfange des französischen Krieges, wo die Regenten hier ihre einzige Hoffnung auf Hilfe von oben zu setzen anfingen, wieder hergestellt. Das schlaffe ungebildete Völkchen liess sich damahls eine Verdoppelung der alten Auflagen gefallen, und war auf dem Punkte, sich zu empören, wenn ihm seine Prozession nicht wieder gestattet worden wäre. Schwerlich hast Du einen Begriff von einem solchen Aufzuge. Ich will Dir ihn hier zu malen suchen, wie ich das verstehe, und wie ich ihn selbst gesehen habe.

Der Zug umfasst hauptsächlich die Geschichte der Urwelt, und die Geschichte der Juden und Christen. Vorauf wird das Bild CHRISTI am Kreuze von einem Knaben in heurigem Kirchenornate getragen. Ihm folgten ADAM und EVA, nicht in naturalibus, sondern mit dem Feigenblatte nach dem Sündenfalle; ADAM in schlichter moderner deutscher Tracht mit einem Federhute, einer Keule auf der Schulter, und dem berüchtigten Apfel des Bösen in der Hand. EVCHEN geht ihm zur Seite, Arm in Arm mit ABEL, dem KAIN von hinten mit einer Flinte droht. METUSCHELACK in einer grossen Allonge-Perücke, von zwei alten Männern geführt, schliesst den Zug der Ur-Welt. Die Arche [370] NOACH’S folgt darauf, aber ohne Menschen und Thiere; ABRAHAM mit einem Scheermesser in der Hand, das die Beschneidung vorstellen soll; JAKOB mit der Himmelsleiter; SIMSON seine Geliebte küssend; DAVID und BETHSABE, und SALOMO mit einer Heerde Kebsweiber. Die Schiffer haben das Recht, einen ungeheuern hölzernen Wallfisch mitzutragen, in dessen Bauche ein Schiffer als JONAS eingeschlossen ist und Musik macht. Unmittelbar nach JONAS folgt Gott Vater, getragen von Karrenschiebern auf einem hölzernen Throne mit Goldpapier überklebt. Gott Vater trägt einen Schlafrock von Zitz, gelbe Pantoffeln, rothe Beinkleider, zwei Taschenuhren und eine weisse Schlafmütze. Gott Sohn ist in mehrern Situationen dargestellt, als Kind an der Brust MARIE’NS, in der Krippe zu Bethlehem; in Ketten von Juden geführt; gegeisselt, und mit Dornen gekrönt; am Kreuze und endlich todt auf einer Bahre von sechs Priestern getragen. PETER mit dem Hahn, JUDAS mit dem Stricke, JOHANNES mit dem Lamme, MATHÄUS mit dem Engel, LUKAS mit dem Ochsen, JOSEF mit dem Esel folgen der Bahre. Darauf treten die Heiligen der neuern Geschichte auf: GENOVEFA und ihr Schmerzenreich, NIKOLAUS und ein Fass voll kleiner Kinder, ANTONIUS [371] auf einer Sau, und – wie kann ich all des Unsinns gedenken, den die hohlen Priesterköpfe zusammenraffen, um ihren eisernen Thron zu befestigen! Nicht nur der Auswurf des Pöbels, nein, auch die gebildetere Klasse nimmt an diesem elenden Spiele Antheil. Mädchen von Erziehung rechnen es sich zur Ehre, wenn ihnen eine Rolle als eine der sieben Tugenden zugetheilt wird. Öffentliche Beamten schleppen das Kreuz und lassen sich daran aufknüpfen, und in’s Gesicht speien, während die Gassenjungen im Teufels-Costume sie mit Koth bewerfen.

Der Zulauf der Fremden aus allen Gegenden ist an diesem Tage ausserordentlich. Die Landleute strömen schaarenweise von zehn Meilen in der Runde zu der Komödie herbei, und wenn die heiligen Ceremonieen geendigt sind, geht’s in die Wirthshäuser und Nachts besoffen nach Hause. Es war kein seltener Fall, dass man die Herren CHRISTUSSE am andern Morgen Arm in Arm mit den MAGDALENE’N im Kothe gefunden hat.

Die Gegend um Kochem ist eine der schönsten, die man auf der Mosel zu Gesichte bekommt. Das Städtchen liegt an dem Abhange eines steilen Berges, zwischen Wasser und Felsen eingeklemmt, und sein grosses Alter, das biss in die Zeiten der [372] Römer hinaufsteigt, macht seinen Anblick noch frappanter. Vorzüglich schön nehmen sich das Kloster der Kapuziner, und die Trümmer der alten Burg aus, die durch ihr antikes schwarzes Ansehen mit der gelben freundlichen Mosel ungemein kontrastiren. Den Hintergrund schliesst ein mächtiger Bergrücken mit Laubholz, der biss an das Thal fortläuft, durch das sich die Ennert, ein Bach, der im Frühjahre und im Herbst mächtig anschwillt, in die Mosel stürzt. So weit der Blick reicht, scheint dieses Thal von einem Berge geschlossen zu sein, der die Trümmer von Winneburg trägt.

Aber der ganze Reiz der Natur verschwindet, und die Eindrücke der trefflichen Ansicht werden biss auf die letzte Spur verwischt, sobald man den Fuss unter das Thor von Kochem setzt. Man windet sich durch Gassen, die kaum vier Schritte breit und hoch mit Koth bedeckt sind. Zu beiden Seiten hängen einem die alten den Einsturz drohenden Häuser über dem Kopfe, und wo man hintritt, wird man von Fleischerhunden, Kapuzinern, Betschwestern und Schiffsjungen angehalten. In ganz Kochem sieht man nicht Ein Haus, auf dem das Auge mit Wohlgefallen ruhte. Das Innere der Häuser entspricht ihrem äussern Ansehen. Schmutz, [373] Rabendüster und Geschmacklosigkeit zeichnen sich überall, besonders in den Wirthshäusern aus. Es thäte Noth, dass man am hellen Mittage ein Licht anzündete, um sich in Kochem zurecht zu finden.

Karden, eine Meile unter Kochem, am linken Ufer der Mosel, ist ein schmutziges Dorf, dae ehemahls die Grenze zwischen dem niedern und obern Erzstifte war. Gleich hinter Karden beginnt man das Meienfeld zu betreten, das sich hier an die Mosel, wie bei Bingen der Hunsrücken an den Rhein schmiegt. Von Karden aus geht eine Strasse über das Gebirge auf das Meienfeld und in die Eifel. Das ist in diesem Lande etwas sehr seltenes. Theils hindern die ungeheuern Berge und Felsen die Anlegung von Landstrassen, theils waren die ehemahligen Beherrscher dieser Länder zu geizig oder zu despotisch, um etwas für die Bequemlichkeit und den Nutzen des Volks zu thun. So blieben die Ufer der Mosel für denjenigen, der nicht gerade zu Wasser reisen will, unzugangbar. Am sichersten könnte man noch über die Felsen und steilen Abhänge auf Mäulern fortkommen, aber mit einem Wagen ist die Reise schlechterdings unmöglich. Wenn es auch gelänge, da und dort sich durch die engen [374] Schluchten durchzuwinden, so ist es doch unmöglich, an den meisten Orten, über den Fluss gesetzt zu werden, denn nur bei einigen grössern Dörfern giebt es Schiffe, die Wagen und Pferde aufnehmen können.

In Karden giebt es auch Sinekuristen und Nonnen. Jene sind vom gewöhnlichen Schlage, d. h. sie schmausen, huren, jagen, gehen zu Stuhle, lesen Messe und brüllen im Kor. Ihre Präbenden gehören zu den fettesten, die man in dem ehemahligen Erzbistume Trier hatte. Aber Keiner verwendete seine Einkünfte zu edlen Zwecken, und wenn es ja auch ein Mahl der Fall gewesen wäre, dass ein Mann von Kopf und Herz sich in ein solches Stift verirrt hätte, so ward er nach und nach von dem Schwalle fortgerissen und endlich von Grund aus verdorben. Es verhält sich mit den neuen Ankömmlingen gerade so, wie mit Leuten, die nach einem andern Himmelsstriche auswandern. Sie nehmen mit der Zeit die Charaktere ihrer neuen Verhältnisse an, und sind endlich von den übrigen Einwohnern nicht weiter zu unterscheiden. Ein Kanonikus, der sich in Karden mit Wissenschaften abgeben wollte, würde den Fluch des heil. KASTOR’S auf sich laden, der der Schutzpatron des Stiftes ist, und ein Feind aller [375] Wissenschaften war. In dieser Rücksicht sind diese Sinekuristen ihrem himmlischen Gönner trefflich gefolgt, und man darf sagen, dass jeder von ihnen Anspruch auf das Patronat-Recht eines ähnlichen Stiftes hat. Man könnte eine dickbeleibte Ärgerchronik aus ihren Leben sammeln, die Alles enthalten würde, was man von der Art kennt. Es ist allgemein bekannt, dass die Jagd die Hauptleidenschaft dieser Menschen ist; Leidenschaft sage ich, nicht Erholung, oder Jagd aus der Absicht, um einen Braten zu schiessen oder schädliche Thiere zu vertilgen, oder die herrliche Natur zu geniessen, sich zu neuer Geistesarbeit zu stärken, und Frohsinn, Gesundheit des Körpers und Heiterkeit der Seele zu gewinnen. Zu jeder Stunde konnte man die Herren in abgeschabten Röcken und Hüten, den Wolfstornister und die Flinte auf dem Rücken, in den stiftischen Forsten herumlärmen hören. Waren sie durch andre pflichtmässige Geschäfte abgehalten, so schweiften wenigstens ihre Gedanken in den Wäldern umher. Es ist bekannt genug, dass ein Mahl Einer von ihnen mitten unter seinen geistlichen Funktionen in ein lautes Jagdgeschrei ausbrach. Der Mann las Messe, und wie dann Messe weiter nichts ist, als lateinische Formeln herplappern, die kein gesunder Menschenkopf, [376] vielweniger ein Kanonikus versteht, so drehte sich der Mann gegen das Volk, um es mit seinem heiligen Segen zu erquicken. Statt dessen rief er aber aus voller Kehle seinen Hund an, mit dem er in Gedanken auf der Jagd war. Ein Anderer, dem unglücklicherweise sein Hund von einem wütenden Keuler zum Krüppel geschlagen ward, stiftete für diesen seinen treuen Freund und Begleiter eine ewige Messe, die jährlich am HUBERTUS-Tage gelesen werden sollte, und auch noch biss vor wenigen Jahren wirklich gelesen ward.

Bei unserer Abfahrt von Karden hatte sich der Wind gewendet, und wir bekamen einen regnigen stürmischen Nachmittag. Selten konnten wir es wagen, unter unserm Segeltuche hervor auf die Spitze des Kahns zu kriechen, um die Abwechselung der Landschaft zu geniessen. Es war ein Mahl Verhängniss, dass wir auf das Vergnügen Verzicht thun sollten, das wir uns schon vor langer Zeit von dieser Mosel-Reise versprochen hatten. Hoch in den Wäldern, die zu beiden Seiten die Rücken der abgestürzten Berge bedecken, saus’te ein kalter Wind, senkte sich oft auf die gelben Wellen des Flusses, und trieb unsern leichten Nachen an dieses und jenes Ufer, dass wir froh sein mussten, tief in der Nacht endlich Winningen und ein [377] erträgliches Quartier zu erreichen, wo wir uns weit besser befunden haben würden, wenn uns ein guter Genius eine Flasche des köstlichen Nektars hätte zuführen wollen, den Winningen hervorbringt. Wir bemühten uns vergebens darum. Das Fuder dieses Weines wird in guten Jahren oft zu 200 Rthlr. verkauft. Selten findet man ihn in dem Alter, wo er recht seine innern Kräfte zu entwickeln anfängt, denn die Weinbauer in Winningen sind alle Schuldner von Koblenzer Wirthen, die ihnen gleich nach dem Herbste den Wein abnehmen, und ihn den Winter über an ihre Gäste verzapfen [31], ohne ihn zum gehörigen Alter kommen zu lassen.

Am andern Morgen brachen wir mit dem frühesten von Winningen auf, und schifften uns bei schönem Wetter wieder auf der Mosel ein. [378] Wir liessen die Dörfer Lai und Weiss zur Linken und Güls zur Rechten, und kamen um acht Uhr hier in Koblenz an. Die Fahrt von Winningen biss hierher hat nichts sonderlich Schönes. Man fährt in einem einförmigen Thale nur sehr langsam fort, biss man das Dorf Weiss im Rücken hat, und an die Grenze der köstlichen Landschaft gelangt, in der Koblenz liegt. Doch hat die Ansicht von dieser Seite bei weitem das Reizende nicht, als wenn man auf dem mächtigen Rheine von Lahnstein herab kommt. Doch ist es auch eine wohlthätige Überraschung, wenn die Festung Ehrenbreitstein auf ein Mahl hinter den Bergen hervorgeht, und die stolze Brücke sich zeigt, durch die die Mosel trauernd hinschleicht, und sich einige hundert Schritte abwärts in dem Rheine verliert.


[379]
RÜCKBLICK.



Wenn ich den Blick auf die Gegenden zurückwerfe, die ich hier durchwandert habe, so drängen sich mir die schönsten Aussichten in die Zukunft auf. Das französische Volk wird die grossen Versprechungen erfüllen, die es den Einwohnern gemacht hat, und die Morgenröthe des kommenden Tages bricht schon wirklich herein, denn die Satelliten des Despotismus sind entfernt, und die Menschheit kann sich nun wieder ermannen, frei von den Ketten, die sie drückten. Die Wunden werden auch in kurzer Zeit geheilt sein, die der Krieg hier geschlagen hat.

Die Natur hat diesen ganzen Strich Landes, mit weniger Ausnahme, mit Allem gesegnet, was zu einem bequemen und frohen Leben nöthig ist. Der Boden ist wenig verschieden, und von einem Ertrage, dessen sich ausser den südlichen Theilen von Europa kein Land in einem solchen Grade zu erfreuen hat. Die Grenze wird von dem Hauptflusse Deutschlands bespült, und die Mosel, auf der jetzt aus Lothringen ein beträchtlicher gewinnvoller [380] Handel getrieben werden kann, gehört ihm allein an. Ein gemässigtes gesundes Klima macht die Einwohner fest und stark, und zu geistigen und körperlichen Arbeiten gleich geschickt. Die öden Steppen in der Eifel werden sich unter Beihilfe der Regierung, die sich selbst den Eigensinn des Himmels zinsbar zu machen versteht, mit jedem Jahre vermindern, so wie die Volksmenge zunehmen, und mit ihr die arbeitenden Hände sich vermehren werden.

So auffallend im Einzelnen auch die Mainzer, Trierer, Köllner, Pfälzer u. s. w. in den meisten Rücksichten verschieden sind, so sieht man doch jetzt schon diese Verschiedenheit nach und nach verschwinden. Man denkt nicht mehr daran, dass man aus Mainz, aus Trier, aus Koblenz, aus Zweibrücken, aus Bonn ist, sondern fühlt es recht, dass man ein Glied der grossen Nation, dass man ein Franke geworden ist. Und so muss es sein, wenn Friede und Glück gedeihen sollen. Auch die Spuren des lächerlichen Nationalstolzes, der den Bewohnern der Rheinländer von jeher eigen war, und den Deutschen so schlecht kleidet; die Ausflüsse des von den ehemahligen Fürsten nach Möglichkeit beförderten Nationalhasses werden verschwinden, sobald man sich mehr daran gewöhnt, [381] den Franzosen nicht mehr mit einer Elle zu messen, die vor zehn Jahren vielleicht gerecht sein mochte, jetzt aber als eine Antiquität in die Rüstkammern jenseits des Rheins gehört.

Es mangelt diesen Ländern an Produkten des Thierreichs. Die Flüsse sind nicht fischreich, doch können mit der Zeit die Seen und Teiche in der Eifel mehr zum allgemeinen Nutzen verwendet werden, da sie bissher nur Privateigenthum der Herrschaften waren. Die Jagden werden daher immer schlechter werden, und es wäre zu wünschen, dass man in einem Jahrzehend weder Schweine in den Moselgebirgen, noch Wölfe in den Wäldern der Eifel hetzen könnte. Mit guten Pferden kann allenfalls die Eifel ihre Nachbarschaft versehen, aber die Schaaf- und Rindviehzucht wird wegen natürlicher Hindernisse nie so hoch steigen, dass andere Länder mit ihren Produkten versehen werden können. Dagegen wird der Ertrag der Bienenzucht ein reiner Gewinn werden, so lange man noch jenseits den Heiligen mit unsinniger Verschwendung Wachs opfert.

Im Pflanzenreiche bedarf man nicht nur keiner fremden Aushilfe, sondern man kann noch jährlich Wein, Baumfrüchte, Flachs und Wallnussholz an die Nachbaren abgeben, und dafür die [382] fehlenden Produkte des Mineralreichs ohne baaren Geldverlust ersetzen.

Von der Kultur des Geistes darf man nur Früchte in einigen Jahren hoffen. Die Hindernisse sind nun beseitigt, die ihr entgegen standen. Die Lehranstalten haben jetzt schon eine andere Gestalt erhalten. Den Jesuiten ist ihr bleierner Zepter entwunden, aber die bessern Köpfe zittern noch vor heimlichen Machinationen des Priesterstandes. Die Privat- und öffentlichen Bibliotheken vermehren sich, und die Regierung unterstützt sie nach Kräften. Auch der Buchhandel gewinnt eine andere Gestalt, und schon jetzt machen grosse deutsche Buchhändler Anstalten, sich am Rheine zu etabliren. Die Anzahl der Druckereien wird sich in Einem Jahre wenigstens vermehren, so wie das Bedürfniss grösser wird, sich die Früchte der vom Staate garantirten Denk- und Pressfreiheit einander mitzutheilen.



[383]
CONTROVERSEN.



Was ich erwartet hatte, ist geschehen. Meine Freimüthigkeit hat den Posthalter DÖTSCH Bauchgrimmen gemacht, noch ehe diese Briefe in’s Publikum kamen. Ich hatte einigen meiner Freunde die ersten Aushängebogen zur Durchsicht zugeschickt. Herr DÖTSCH mag dadurch erfahren haben, was Seite 166 von ihm zu lesen ist. Wie nun so ein Mann, der vermöge seines Amtes mit Fremden und Reisenden viel Verkehr hat, es nicht gern sehen kann, wenn man ihm die nackte, nicht zur Ehre gereichende, Wahrheit in’s Gesicht sagt, so ward mir (wahrscheinlich auf sein Veranstalten) mit der Frankfurter Post ein pseudonimer Brief voll der gröbsten Schmähworte zugeschickt, der zugleich eine Apologie der taxischen Posten enthält. Man droht mir darin, mich in gerichtlichen Anspruch zu nehmen und zum öffentlichen Widerruf zu zwingen, wenn jene Beschuldigungen bei der öffentlichen Erscheinung dieses Buches wirklich noch darin zu lesen sein sollten.

Das Buch ist nun da, und ich habe von meinen Äusserungen, die Folgen eigener Erfahrung und selbst erlittener Posthalter-Grobheiten sind, keine Silbe zurückgenommen. Die Anklage erwarte ich ruhig, und sehe alle Drohungen für todte Schreckensmänner an, womit man Sperlinge aus den Gärten scheucht. Nicht allein gegen mich, sondern gegen [384] Alle, die sich der taxischen Post in jenen Gegenden bedienen müssen, hat Herr DÖTSCH sich grob bewiesen, so recht nach Postknechts-Art. Ich bin überzeugt, dass meine Leser, die seit des Brumaire’s III die Post in Ehrenbreitstein gebraucht haben, sich des Mannes hierbei erinnern werden, und an alle diese appellire ich in dieser Sache. Ist auch nur Ein Einziger darunter, der mir widerspricht, so bin ich bereit, in Sack und in Asche Busse zu thun.

Wenn Herr DÖTSCH seiner Plicht gemäss ordentliche Register führt, so wird er unter dem 15. Frimaire III meinen Namen in der Postkarte nach Wetzlar finden. Nun ist Ehrenbreitstein von Wetzlar 8 Meilen entfernt, und wir haben auf dieser Reise sieben volle Tage zugebracht, durch – die Nachlässigkeit des Herrn DÖTSCH. Wer wäre mir und meinen Reisegefährten den Schaden und den Kostenaufwand, die aus dieser Verzögerung entstanden sind, zu ersetzen schuldig? ohne Zweifel Herr DÖTSCH. Aber Herr DÖTSCH schimpfte wie ein – Postknecht, als ich mich gegen ihn im folgenden Sommer in Ehrenbreitstein mündlich beschwerte, und schlug mir die Thüre seiner Postbude vor der Nase zu, mit einer Einladung, die ich mich schämen würde unter Postknechten nachzusagen, oder unter den Faro-Spielern im Rosse, wo ich Herrn DÖTSCH 100 (sage hundert) Laubthaler auf Eine Karte setzen sah.


[385]
ANHANG.

[386]

[387]
IDIOTIKON
AUS DEM
MOSEL-DEPARTEMENT.

[388]

[389]
A.

Abrackern, sich. Starke und schwere Arbeit thun. Mehr thun, als man leisten kann. Sich zum Racker arbeiten.

Abschmieren. Prügeln.

Abschrecken. Kaltes Wasser in etwas Siedendes giessen, z. B. siedende Butter abschrecken, kochende Milch abschrecken. Man sagt auch wohl Jemand abschrecken, d. h. Jemand von hinten her mit kaltem Wasser begiessen, damit er erschrecke.

Ahbäl der. Apfel. In der Aussprache wird das Wort so stark gedehnt, dass man es gar nicht mit Buchstaben ausdrücken kann. Aahaabähl ist nur ein schwacher Versuch.

Aiss. Einst, von der Vergangenheit sowohl, als von der Zukunft.

Aisschen, das. Ein kleines Geschwür, ein Mückenstich, Hitzblätterchen.

Ampel, die. Eine Öllampe. Auch als Schimpf-Wort, um eine einfältige Weibsperson zu bezeichnen.

Angehen. Anfangen zu stinken. Das Wildpret ist angegangen; das Wildpret fängt an in Fäulniss überzugehen.

[390] Ammer, gammer. Herbe, sauer. Der Wein ist gammer.

Angel, die. Stachel der Biene. Die Biene hat mir eine Angel gegeben. Die Biene hat mich gestochen.

Änkel, der. Fussknöchel. Das englische Ancle ist wahrscheinlich aus diesem sonst unbekannten Worte entstanden.

Änklich. Gewiss, zuverlässig, wahr, und wahrhaftig.

Anschmieren. Betrügen, übervortheilen.

Antorf, der. Enterich.

Appel, Äppelchen, Äpfelchen. Der Taufname Appollonia.

Ärschlings. Rückwärts.

Atzel, die. Elster. Wird auch in der komischen Sprache als Berücke gebraucht.

Aufgabeln. Auftreiben, auflesen. Aber nur dann gebräuchlich, wenn von unbedeutenden oder verächtlichen Dingen die Rede ist; z. B. einen Freund aufgabeln.

Auftreten lassen. Die Pferde antreiben, schnell fahren. Ist aber nur allein in der Kutschersprache gebräuchlich.

Ausätschen. Auslachen, sich über eines Andern dumme Streiche freuen.

Ausithsen. Das in einen Kahn eingedrungene Wasser ausschöpfen. Man gebraucht dabei ein eigenes Instrument aus Holz geschnitten, Iths genannt.

Ausmachen. Schelten. Vorwürfe machen.

Austrätschen. Ausplaudern.

[391]
B.

Bach. Wird weiblich gebraucht. Die Bach.

Batten. Nützen.

Batzig sein, sich batzig machen. Poltronerie im eigentlichen Verstande. Wahrscheinlich daher: thun, als ob man noch viele Batzen übrig hätte. Ich erinnere mich auch, einige Mahl nach einem Streite von dem Überwinder gehört zu haben, wenn der Überwundene sich noch nicht zur Ruhe begeben wollte: Kerl hast du noch Batzen übrig?

Bauchen. Die Wäsche in Lauge abkochen. In Niederdeutschland bäuchen.

Beiessen. Ragout.

Beluxen, belauern. Behorchen, ertappen, betrügen.

Beschummeln. Betrügen.

Bestand. Pacht, Miethe. Bestand-Brief. Pacht-Brief.

Bestrenzen. Bespritzen, anpissen.

Beuteln. Jemand durchschütteln, bei’m Schopfe nehmen.

Bihr. Birne.

Bläden. Wäsche blau machen. Bläden gehen. Sich heimlich davon machen.

Bohnen, durch die Bohnen gehen. Durchgehen; fortlaufen. Den Ursprung dieses Ausdrucks habe ich aller Mühe ungeachtet nicht erforschen können. Wahrscheinlich ist er bei irgend einer Garten-Dieberei zum ersten Mahle gebraucht worden.

[392] Bons, die. Kuss. Unter dem Janhagel die weiblichen Geburtstheile.

Böhr, der. Ein geschnittenes Schwein männlichen Geschlechts.

Bosseln. Kleine Arbeit machen. Vorzüglich aber, kleine handwerksmässige Arbeit aus Liebhaberei treiben.

Botteln. Hagebutten.

Boxen, die. Beinkleider. Dieser Provinzialismus ist durchaus allgemein. Daher: Unterboxen, Oberboxen, lederne Boxen, seidene, linnene Boxen.

Brennen. Vom Federvieh gebräuchlich. Die Henne brennt die Eier aus; brütet die Eier aus.

Brennsen. Die Speise brenns’t; sie riecht oder schmeckt nach Rauch und Kohlendampf.

Brunzen. Pissen.

Butsch, die. Ziege. Auch wohl unter dem Haufen die weiblichen Geburtstheile.

D.

Dämlich. Dumm-träge.

Dengeln. Eine Sense schärfen, mit dem Hammer klopfen. An die Glocken schlagen. Auch im figürlichen Sinne: Einen prügeln.

Deut’s, was deut’s? Was wollt ihr? was giebt’s. Wahrscheinlich statt, was bedeutet es, was bedeut’s.

Dimmeln. Stehlen. Wird aber gewöhnlich nur vom Obstdiebstahl gebraucht.

Ditzchen. Kleines Kind.

Doppeln. Versohlen. Schuhe doppeln.

[393] Dou. Du.

Draubert. Ein kleines Schiff auf der Mosel, ein Boot, Kahn, Nachen. Diess Wort hat wahrscheinlich seinen Ursprung von drei Bord, und sollte eigentlich nur von den kleinen Fischer-Kähnen gebraucht werden, die meist nur aus 3 Stücken zusammen gesetzt sind.

Ducken, sich. Sich bücken, verstecken, verbergen.

Duppen. Ein Mädchen beschlafen. Von der ehelichen Pflicht aber nicht gewöhnlich.

Dussel. Ein ganz kleiner Rausch. Dusselich sein; zwischen Rausch und Nüchternheit schweben. Dusselich wird auch bisweilen bei’m Schwindel gebraucht, doch aber nur sehr selten wegen des Hauptbegriffs.

E.

Ebbes. Etwas.

Eichen. Ein Fass ausmessen. Die Eiche. Der Maassstab, so gewöhnlich dabei gebraucht zu werden pflegt.

Eie. Ein Schaaf weiblichen Geschlechts.

Eintränken, Einem etwas. Einem einen gespielten Streich vergelten. Einem eben so thun, wie er gethan hat.

Enker. Anker.

Erzen. Jemand Er nennen.

Euch. Ich.

Eweil. Jetzt, eben jetzt.

Extern. Jemand aufziehen, ärgern. Ein Exterer. Ein Mensch, der sich ein Geschäfft daraus macht Andere zum besten zu haben.

[394]
F.

Fahren, mit Jemand zu Bock fahren. Jemand abstrafen.

Faseln. Sich fortpflanzen. Daher: Fasel haben, den Fasel verlieren. Sonst heisst auch Faseln unklug reden.

Fausen. Irr reden, schelten, im Hause herum poltern.

Faxen machen. Umstände machen.

Fett, sein Fett kriegen. Gestraft werden, wie man’s verdient hat. Der Ursprung soll der sein: sein Fett (seine Haut) vollgeschlagen bekommen.

Ficken. Mit der Ruthe streichen, besonders wenn es auf den Hintern geschieht.

Finten machen. Leere Entschuldigungen machen, Ausflüchte ohne Grund, auch wohl: heimliche Plane.

Fissel, Ochsen-Fissel. Ein gedörrter Ochsen-Schweif, wie ihn die Jesuiten und ihre Nachfolger bei den katolischen Erziehungs-Instituten zur Züchtigung der Schüler zu brauchen pflegten. In Koblenz und Trier sehr gebräuchlich.

Fitscheln. Einen mit einer Gerte necken.

Fitsen. (gedehnt ausgesprochen) Eine Art feiner Semmel, gewöhnlich aus drei Stücken zusammengesetzt.

Fläut. Eine Flöte. Gewöhnlich aber der Mund, weil man damit fläutet (flötet).

Flapp. Ein Schlag, eine Ohrfeige. Jemand flappen, mit der flachen Hand schlagen. Wahrscheinlich von flachen.

[395] Flennen. Weinen, schreien.

Foppen. Jemand aufziehen.

Fouteln. Beim Spiel, besonders bei’m Kartenspiel betrügen. Gewiss von dem französischen Worte Faute.

Frangen, sich, gefrungen. Die körperlichen Kräfte gegeneinander abmessen, üben, sowohl im Scherz als Ernst.

Fress. Der Mund. Jemand auf die Fress schlagen, ist bei Leuten von jedem Stande ein sehr gewöhnlicher Ausdruck.

Fuchsen; und das Sprichwort: der Teufel soll dich fuchsen, bedarf keiner weitern Erklärung.

Fucken. (kurz gesprochen) den Fucken verstehen. Sich in einer Sache recht gut zu benehmen wissen.

Fürtuch. Schürze.

Fuhm, Fumm. Eine Gerte mit angebundener Angel zum Fischen.

Fummeln. Mit einem Lichte herumlaufen.

Futtern. schelten, fluchen, vom Französischen foudre.

Futti, futsch. Verloren; todt; ganz das Französische foutu.

G.

Gabbel. Ein Ball zum Spiele für Kinder; daher gabschen; etwas mit der Hand auffangen.

Gättlich. Bequem; eben gross genug. Ist aber meist nur von Gefässen gebräuchlich, Man sagt nicht: das Kleid ist mir gättlich, sondern der Topf, die Kanne, der Krug ist gättlich.

[396] Gar. Es ist aus, vorbei; es ist nichts mehr da.

Gauzen. Stark schreien. Dieser Provinzialism existirt auch in dem Schlesischen Gebirgsdialekt, wiewohl in einer beschränkter Bedeutung. Vergl. Schlesische Provinzial-Blätter, Mai 1798.

Gehen. Diess Zeitwort wird auf folgende Weise gebildet: ech, euch gihn; dou gihst, dou geihst; eh giht, eh geiht; wür gihn, mür gohn; ehr giht, ehr giht, ehr goht, sei gihn, sei gohn; euch sei gange; lohs ohs gohn, gihn, geihst de u. s. w.

Gehl, Gähl. Gelb, Ä gehler Schneider; ein gefleckter Molch.

Geiss, Ziege.

Gels. Ein unfruchtbares Schwein weiblichen Geschlechts.

Gett. Etwas. Ist aber nur in dem Strich Landes gebräuchlich, der die Eifel ausmacht, wo überhaupt die Sprache des gemeinen Mannes für den Ausländer noch viel unverständlicher ist, als in den Mosel-Gegenden.

Gitz. Eine Giesskanne.

Giftig. Sehr aufgebracht; hoch erzürnt.

Glitschig. Glatt, besonders vom Glatt-Eise gebräuchlich. Glitschen. gleiten, ausgleiten.

Glücker. Kleine runde Steine zu Kinder-Spielen.

Göd; Gödchen. Weiblicher Taufpathe.

Grassdetsch. Grassmücke.

Grassblume. Nelke.

Grissel. Schauer. Es grisselt mich. Es überläuft mich ein Schauer, ich habe einen Abscheu vor einer Sache.

[397] Grundbirn, Krumbirn. Kartoffeln. In der hōhern Umgangs-Sprache: Erdäpfel.

H.

Haarschwanz. Haarzopf. Auch schlechtweg nur Schwanz. Sogar in bessern Gesellschaften nicht ungewöhnlich.

Haareule, Haarev. Benennung einer Weibsperson mit ungekämmtem Haar.

Häkelig, heikel, heikelig. Delikat.

Hären, sich. Einen Wind lassen.

Harnisch, Jemand in Harnisch bringen. Jemand in Zorn bringen.

Häsen. Die Flechsen mit den dabei befindlichen Fleischtheilen.

Häuschen. Abtritt, auch Gartenhaus. Schöller-Häuschen, Schilderhaus. Sonst heisst auch Häuschen der obere Theil des Kopfes. Daher aus dem Häuschen sein, nicht recht klug sein.

Hausen. Zanken, schelten.

Hebräisch lehren. Verkaufen. Aber nicht in jeder Bedeutung gebräuchlich. So sagt man nicht: ich habe dem Hause hebräisch gelehrt. Wohl aber, wenn man Kleinigkeiten aus Geldmangel verkauft. z. B. wu hast dou deh Uhr? euch han se hibräsch gilihrt.

Heift. Haupt.

Heimlich. Zahm. Z. B. Dat Grassdetschche ess heimlich. Die Grassmücke ist zahm, Dieser Ausdruck ist aber gewöhnlich nur bei Vögeln gebräuchlich, und man sagt nur selten: Der [398] Hase ist heimlich, das Reh ist heimlich, der Hund oder Ochse ist heimlich.

Heinzelmännchen. Eine kleine Wurst, die man zum Geschenke an Freunde und Bekannte schickt.

Hinkel. Junges Huhn.

Holz machen. Ein bei’m Kegelspiele gewöhnlicher Ausdruck, wenn man die Kugel so zu werfen weiss, dass viele Kegel fallen. Daher: Er ist ein rechter Holzmacher. Er ist ein starker Kegel-Spieler.

Hörchen. Grossvater. Ist wahrscheinlich von Herr entstanden. Ahnherr, Ahnherrchen, Herrchen, Hörchen.

Hosen. Strümpfe. Nur an den Ufern der Mosel gebräuchlich.

Hötsch. Kröte. Auch wohl ein kleiner Stuhl ohne Rücklehne.

Hootchen. Tuch aus ungehecheltem Flachse.

Hotzeln. Kleine wilde Birn. Auch als Zeitwort gebräuchlich, in der Bedeutung von ausdörren, austrocknen, ausbraten.

Huren. Hören. Aber nur im Perfect gebräuchlich. Host deh ghurt.

Husch. Schlag, Ohrfeige.

I.

Immes, den Immes verstehen. Mit einem Dinge recht gut umzugehen wissen.

Inschlt. Talg.

Johannesbehelfdich. Ein Schlafrock, Hausrock.

Jotel. Ein dummer Mensch.

Jubbes. Sinonim mit Johannesbehelfdich.

[399]
K.

Kabbes. Kohl. Vom französischen Cabus.

Kallen, ankallen. Reden, anreden. Nur in der Eifel gebräuchlich.

Kammotge. Eine Art Haube, mit steifen Hinter- und Vordertheilen.

Kampeln, abkampeln; abkappeln. Einen schelten, Einem starke Vorwürfe machen.

Karmohl. Dintenfass. Meist nur eine Bezeichnung derjenigen Dintenfässer, die man in der Tasche trägt, und mit einem Stachel in den Tisch zu schlagen pflegt.

Karscht. Harke.

Kett Vögel. Ein Flug Vögel, ein Haufe, Schwarm.

Kimmst. Von Kommen. Dou kimmst, eh kimmt; wir kumme, euch sei kumme.

Kief. Der Imperfect von Kaufen.

Kisseln. Hageln. Kissel, Hagel.

Klapper. Ein Brett mit einem Hammer von Holz, das die Messen-Diener in der Charwoche in der Kirche brauchen, um gewisse Verrichtungen des Priesters dem Volke anzuzeigen.

Klecken, es kleckt. Es reicht zu, es ist eben genug.

Klemprich. Eine Art Trauben, die an niedern Stöcken gezogen werden. Wahrscheinlich aus kleiner Berg zusammengesetzt.

Klennen. Wenn die Trauben gelesen sind, pflegen die Knaben in die Weinberge zu gehen und nachzusuchen, ob noch etwas übrig geblieben ist. Dies nennen sie klennen. Wahrscheinlich von Klimmen.

[400] Klistieren. Einem stark zusetzen, einem zu Leibe gehen.

Knicker, knickerig, knickig. Geizhals, geizig.

Kniwes, kleiner Kniwes. Kleiner niedlicher Junge. Auch wohl: Boxen-Kniwes, so viel als Knopf an den Beinkleidern.

Knötteln. Einen Knoten schürzen, den Zwirn verwirren.

Knuppen. Block.

Knusseln. Nagen. Auch beknusseln, etwas beschmutzen, unrein machen. Das Ding ist knusselich.

Kömbel. Eine Lache, ein Pfuhl. Auch wohl reines stehendes Wasser, oder eine Tiefe in einem Bache oder Flusse.

Kombör. Gevatter. Das französische Compére.

Kotzen. Sich erbrechen. Die Kotz.

Krahnen. Ein Hahn an einem Fasse.

Krakau. Der Hintern.

Krammesche. Grossen Dank. Vorzüglich an den Ufern der Mosel gebräuchlich. Offenbar das französische grande merci.

Krampen. Haken und Öse. Auch wohl: einen Krampen haben, nicht recht klug sein.

Krauch. Ein kleines Haus.

Kreitschen, abkreitschen. Kaltes Wasser in siedende Butter giessen.

Krimmelchen; kein Krimmelchen; es nutzt mir kein Krimmelchen. Es nützt mir im geringsten nicht.

Krinschel. Stachelbeere.

[401] Kripchen, Kripschen. Stehlen. Wahrscheinlich von Griff.

Krittelich. Ein Mensch, dem nichts recht ist, den man mit dem unschuldigsten Worte beleidigen kann.

Kroles. Ein Junge, der in den Stiftskirchen den Chor singt. Von dem lateinischen Choralis.

Krumpeln, verkrumpeln. Etwas zusammen drücken, in unordentliche Falten legen.

Krutch. Kröte.

Kugelhopf. Eine Art Backwerk in Form eines Kegels.

Kumkummern. Gurken. Von dem Lateinischen Cucummis, und noch näher von dem Französischen Concombre.

Küschen. (so viel möglich gedehnt ausgesprochen). Kirschen.

L.

Laass. Lese. Weinlese.

Laatsch. Eine Weibsperson, die nichts auf ihren Körper hält.

Labbes. Ein Mensch, der in Gesellschaften überall anstösst, sich nicht zu benehmen weiss.

Langs. Längst; auf und ab; vorbei. Durch dieses Zauberwort, das man in Koblenz allgemein im Munde hat, verräth sich der Koblenzer, wo er hinkommt. Ich habe Beispiele gesehen, dass er sich alle andere Provinzialismen, freilich mit der grössten Anstrengung, nur dieser nicht, abgewöhnte. Schon in Mainz ist dieses Wort ganz [402] unbekannt, und den Meisten sogar unverständlich.

Lännen, etwas lännen. Etwas, das auf dem Wasser schwimmt, auffangen. Ursprünglich länden, an’s Land ziehen.

Lappen Schuhe versohlen. Durch die Lappen gehen. Sich davon machen.

Lassen, auslassen, herauslassen. So ist mir oft vorgekommen; Wer hat Dich herausgelassen? Der Karthäuser Watz. Soll so viel heissen, als: Wer hat dich zum besten gehabt.

Latz. Eine frische Kalbsblase. Latzen. Einen durchprügeln.

Laustern. Lauschen. Dieser Ausdruck ist so gäng und gebe, dass ich das hochdeutsche Lauschen noch nicht ein Mahl in der höhern Umgangs-Sprache gehört habe.

Ledern. Prügeln.

Leid. Fallende Sücht. Du sollst das Leid kriegen! ist der derbste Fluch.

Leie. Leiendecker. Schiefer, Schieferdecker. Das Haus ist mit Leien gedeckt. Der Ausdruck Schiefer ist ganz unbekannt. Ein Fels wird auch Lei, und die grossen Hausschwalben werden Leiendecker genannt.

Leif. Leib,

Leintuch. Leinen; Bettüberzug.

Linksch, linkscher Mensch. Ungeschickt, ungeschickter Mensch. Ein Mensch, der Alles mit der linken Hand zu thun scheint. So sagt man auch: Wir haben mit der Linken auf Sie [403] gewartet, wenn Jemand spät zu Tische kommt, und schon einige Speisen abgetragen sind.

Lo. Da. Meist aber ein Einschiebsel in der Rede, ohne alle Bedeutung. Alleweilello.

Lonsen. Im Bette liegen, ohne zu schlafen, und sich gütlich thun.

Lousert. Ein Mensch, der Ungeziefer hegt.

Lousig. Karg. Ungelegen.

Lummerich. Weich, schlapp.

Lumpen, sich lumpen lassen. Geizen. Er lässt sich nicht lumpen, er lässt sich nicht zum Lump machen. Er ist freigebig, gastfrei.

Lunken. Dintenfleck. Lunken-Papier. Lösch-Papier. Das Papier lunkt. Die Dinte schlägt durch.

Lutschen. Saugen. Zucker lutschen. Zucker lecken. Man sagt auch Wein-Lutsch. Ein Mensch, der stark trinkt.

M.

Makriehl. Ein Allermannsmädchen. Ganz gewiss aus dem Französischen.

Mämmcher. Die weiblichen Brüste. Von dem La teinischen Mammæ.

Materi. Eiter. Die Wunde hat Materi gezogen. Die Wunde eitert.

Matschen. Im Kothe, oder auch überhaupt in etwas Nassem wühlen.

Maul; Einem ein Maul anhängen. Einem etwas Übeles nachreden.

Mausig, sich mausig machen. Prahlen.

[404] Menschen. Ein Kartenspiel, wobei das Hauptblatt (Kreuz-Dame) Mensch genannt wird. Eine Variante des Spiels, das in Sachsen, Brandenburg und Östreich unter dem Namen Solo bekannt ist.

Mess. Messer.

Messner. Küster.

Milzsüchtig. Am Keichhusten leiden.

Misch. Sperling.

Möfzen. Stinken. Eben anfangen zu stinken. Das Wildpret möfzt, womit angehen sinonim ist.

Möhr, die Bir is möhr. Die Birne geht in Fäulniss über.

Möhrchen schrabben. Sich freuen, dass Jemand Unrecht gehabt hat.

Mörwell. Sinonim mit Glücker. Oben S. 396.

Most. Er weiss, wo Bartel den Most hohlt. Es ist schon klug genug, um das oder jenes zu wissen.

Mostert. Das Französische Moutarde.

Mötsch. Mütze.

Motzen, brotzen. Böse thun.

Mrei. Marie.

Muck. Mutterschwein.

Mucken machen. Hinterlistig handeln. Ein Muckser. Ein Laut.

Mücke. Wird durchaus in der Bedeutung von Fliege gebraucht.

Müh. Mehr.

Muffel. Ein grosfser Bissen, Muffeln. Begierig das Essen verschlingen.

[405] Munkeln, es geht ein Gemunkel. Man sagt, es heisst; man will wissen.

Muscheln; Du kannst mich muscheln. Du kannst mich     –     –     –     –

Mutter allein, Mutter selig allein. Ganz allein, ohne alle Begleitung.

Muxen, sich muxen. Sich entschuldigen wollen, einen Laut von sich geben.

N.

N. Wird am Ende eines Worts immer verschluckt, z. B. gehe, lese, Zeite, Zeitunge, statt: gehen, lesen, Zeiten, Zeitungen.

Nächten Abend, auch schlechtweg Nächten. (gedehnt) Gestern Abend. Nur in der Eifel und in einem kleinen Theile des Meienfeldes gebräuchlich.

Nählig, es ist mir nählig. Mir ist nicht wohl. Ich fühle die Annäherung einer Krankheit.

Nähmens, Nehmens. Niemand.

Nix. Durchaus für nichts, so wie in Sachsen nischt.

Nounsen. Backwerk, das man um Fastnachten zu bereiten pflegt.

Nummens. Nur.

Nussquack, Nussquäckelchen. Der kleinste Vogel in einem Neste. Man braucht es auch nicht selten von Kindern, die durch körperliche Gebrechen an ihrem Wachsthum gehindert werden.

Nutscheln. Saugen, lecken.

[406]
O.

Ohlig. Öl. Baum-Ohlig; Nuss-Ohlig, Rüb-Ohlig.

Ohmeisig. Ein Mensch , der Alles übel aufnimmt. Eigentlich sollte dies Wort, das offenbar von Ameise hergeleitet werden muss, für ämsig gebraucht werden.

Ohs , Ohts. Aass. Ohsig. Eckelhaft.

Ohs. (Sehr gedehnt.) Ochs.

Ort; das Ort. Wird durchaus als Neutrum gebraucht.

P.

Panz. Bauch Panzig. Was viel Bauchs hat. Panzenkrug, panziger Krug; sogar ein Dorf: Panzweiler.

Petter. Ist nur in der höhern Umgangssprache gebräuchlich. Der Janhagel sagt richtig : Pathe.

Pillchen. Ein junges Huhn.

Pischpern. Leise reden. Einem etwas in’s Ohr sagen.

Pitschen. Zwicken, klemmen.

Platt schlagen. Etwas unterschlagen ; heimlich sich zueignen, verkaufen.

Platz. Ein Kuchen. Ein Appelplatz. Ein Äpfelkuchen, Ein Brot von runder Form wird auch gewöhnlich ein Platz genannt.

Plotz. Ein Pfuhl. Eine Lache.

Pommer. Spitz-Hund.

Pont, Ein Schiff von flacher Form zum Übersetzen über einen Fluss für Wagen und Pferde. Eine Fähre.

[407] Port. (möglichst gedehnt) (la porte.) Ein Thor. Daher in Koblenz die Lier-Port, Brücken-Port; Enten-Port, Schwanen-Port u. s. W.

Pütz. Brunnen im eigentlichen Verstande des Worts Nicht etwa Pfütze, Lache. In Koblenz heissen die öffentlichen Brunnen de Bascher-Pötz; de Pötz ofm Plon; de Görgen-Gasser-Pötz, u. s. w.

Powei. Strassenpflaster. Das französische Pavé.

Prinzeln, der Wein prinzelt. Der Wein hat einen Geschmack nach Dünger.

Putte. Pfütze, Lache. Putteln. In einer Pfütze plätschern, auch wohl: baden, sich waschen.

Q.

Quam. Der Imperfect von kommen. Nur in der Eifel gebräuchlich.

Quetschen. Pflaumen.

R.

Raiz. Ein langer Korb mit Hänkeln, der auf dem Rücken getragen wird.

Räkel. Lässt sich in einem hochdeutschen Ausdruk nicht sagen. Das englische Rake. (Vergleiche Lichtenberg’s Erklärung der Hogarthischen Kupferstiche. Dritte Lieferung. Göttingen 1796 S. 3. ff[WS 1]) Räkeln.

Ranft. Rand.

Ranzen. Prügeln.

Rappeln. Poltern. Es rappelt, pflegt man vom Donner zu sagen. Es rappelt bei ihm. Er ist nicht bei Verstande.

[408] Riezen. Trocknen, in der Sonne dörren, Flachs riezen.

Riweln. Lose reiben.

Ruddel. Ein Haufe, eine Heerde. Ein Ruddel Schweine, Hüner, Vögel, Menschen.

Rummel; er versteht den Rummel. Er weiss die Sache anzugreifen.

Rumpelt; es rumpelt. Es donnert, es poltert.

Rupsch; er ist rupsch. Er ist todt. Das Glas ist rupsch. Das Glas ist zerbrochen. Ripsch Das sächsische rips, mit diesem gleichbedeutend, passt nicht in das weite Maul der Mosellaner.

S.

Sack. Durchaus für: Tasche, z. B. Rock-Sack, Kamisohl-Sack, Sack-Tuch, Sack-Uhr. Es ist ein sehr seltener Fall, ein Mahl das verdorbene Tesch zu hören, das der Janhagel bisweilen noch im Munde führt.

Sacken. Sinken. Das Haus sackt sich. Senken. Einen Sarg in die Erde sacken. Einen Sack anfüllen. Korn sacken. Sinken lassen. Einem etwas herunter sacken. Fallen, abnehmen, sich-verlaufen. Das Wasser sackt sich.

Samstag. Sonn-Abend.

Sau machen. Einen Fehler machen; einen Dintenfleck auf’s Papier machen. Sich erbrechen. Um das letzte zu bezeichnen, bedient man sich auch des Ausdrucks: ein Kälbchen machen.

Sau-Sack, Schleppsack. Schimpfnamen, die in [409] Jedermanns Munde sind. Ich habe sie sogar von den berüchtigten Exjesuiten Nink und Wenzlau von der Kanzel herabdonnern hören.

Schähr. Die harte Rinde, die sich vom Breie an den Topf ansetzt, und für eine Delikatesse gehalten wird.

Schanzen. Stark arbeiten. Mehr thun, als man ordentlicher Weise leisten kann. Die Schanze, So ward bei den Jesuiten und dem ihnen ähnlichen Gelichter eine Bank auf den Schulen genannt, auf der diejenigen Schüler sassen, die in Rücksicht ihres Fleisses und ihrer Geschicklichkeit die letzten waren. Die Eintheilung war folgende: Primus-Stuhl, bisweilen auch ein Secundus-Stuhl; grosser Magistrat; kleiner Magistrat; Kavallerie und Schanze.

Schässchen. Semmel. In Berlin schlechtweg Semmel; im Hannöverischen Scheweling. Ein solches Schässchen ist gewöhnlich aus 2 Stücken zusammen gesetzt, zu 1 xr. und 1 alb. Doch giebt es auch einige von 4 und 6 Stücken.

Schären. Scharren, Kratzen, aufwühlen. Ein Loch in die Erde schären.

Schauern. Blank machen; rein machen; scheuern. Die Stube schauern; Zinn schauern.

Scheiwen. Eine Kugel über den Boden schieben. Kegel scheiwen, Mörweln scheiwen; Nüsse scheiwen. Hat wahrscheinlich seinen Ursprung von Scheibe bekommen.

Schickschen Mädchen; Schätzchen; Liebchen. Ursprünglich hebräisch.

Schiweln. Sinonim mit Scheiwen.

[410] Schlan, schluhn, schlohn, schlihn. Schlagen. Das erste wird hauptsächlich auf dem Hunsrück gebraucht.

Schlecken. Schmaussen, delikat speisen. Schlecker. Ein Mensch, der nur kostbare Speisen essen will,

Schlegel. Kalbs-Schlegel; Hammels-Schlegel; Rehschlegel; Sau-Schlegel. Hinter-Viertel. Wahrscheinlich daher, weil die Thiere mit den Hinter-Füssen auszuschlagen pflegen.

Schlendern. Langsam gehen; in Gedanken einher gehen. Auch wohl schlagen.

Schlikern. Schleudern. Einem einen Stein an den Kopf schlikern. Ein Schliker-Riemen, eine Schliker-Schnur; eine Schleuder,

Schlickser. Husten.

Schliffel. Schimpfname, für: ungeschickter grober Mensch, Minder hart, als: Schlingel.

Schling. Kehle; Schlund,

Schliwer. Splitter. Schliwerig, schlüpferig. Der Weg ist schliwerig. Es ist eine schliwerige Sache. Die Sache ist bedenklich, man könnte leicht in einen Splitter dabei treten. Die Sache ist mühsam, nicht ohne Gefahr auszuführen, u. d. gl.

Schloth. (Gedehnt) Sallat. Wer das hochdeutsche Sallat braucht, behandelt es weiblich. Die Sallat, statt, der Sallat.

Schlucker. Ein armer Teufel. Ein Mensch, wegen Hungers immer etwas zum schlucken haben möchte, vielleicht auch ein Mensch, der [411] sich immer beklagt, aus Noth schluchst. Ein Mensch der in Elend lebt.

Schlumpen. Müssig herum gehen, faullenzen, Auch wohl: schlampen, nachlässig sein. Eine Schlamp. Eine Weibsperson, die nichts auf ihren Körper hält, Alles an sich hängen lässt.

Schluppen. Schlürfen drückt es nicht ganz aus. Schluppen hält das Mittel zwischen verschlingen und schlürfen.

Schmant. Rahm, fette Milch. Im Östreichischen Obers. Schmantig, glatt, saftig. Ein Mädchen, das schmantig anzufühlen ist, eine schmantige Birne; schmantiger Wein.

Schmeer, Butter-Schmeer. Butterbrot.

Schmucker. Schön, sauber, nett, niedlich, gut gewachsen. Wird meist nur gebraucht, um ein schönes Frauenzimmer zu bezeichnen.

Schmuddel. Schmutziger unsauberer Mensch. Schmuddelich. Unsauber. Wird nur vom weiblichen Geschlechte gebraucht. Von Männern heisst es: er ist ein Schmutzkübel. Kübel bedeutet hier ein Gefäss, in dem man den Koth auszutragen pflegt.

Schneen, schnieen. Schneien.

Schnörch, Schnürch, Schnuhr. Des Sohnes Frau.

Schöllg. Schuldig,

Schoppen. Ein Maass für Flüssigkeiten, In Berlin ein Viertelchen, in Wien ein Seidel.

Schotzen, Von statten gehen, die Arbeit zu beschleunigen wissen. Es schotzt. Die Arbeit geht gut von der Hand. Es schotzt ihm. Er [412] weiss es gut anzugreifen. Der Weg schotzt, Der Weg ist gut, man kann geschwind darauf fortkommen.

Schrabben. Schaben. Rüben schrabben. Den Rüben die äussere Haut abschaben. Schrabsel. Was man abgeschabt hat. Zusammen schrabben. Sehr geizig sein, Alles aufsparen. Schrabber. Ein Werkzeug, mit dem schabt. Ein Schrabber, Einer, der schabt oder spart, ist nicht gebräuchlich.

Schroh. Ein hoher Grad von Hässlichkeit, sowohl von Menschen und Viel, als von leblosen Dingen. Ich habe dieses Wort auch in der Schrift-Sprache gefunden, und es verdiente wohl das Bürgerrecht. HOFFMANN nannte in seiner Rede über Fürstenregiment und Landstände, den Kurfürsten ERTHAL ein schrohes Fürsten-Thier.

Schruppen. Rein machen, scheuern. Den Fussboden, die Diele schruppen. Mit Wasser und Lauge scheuern. Den Fussboden, die Stube aufnehmen, ist damit sinonim. Soviel, als, mit einem nassen Tuche den Schmutz aufwischen, aufheben, aufnehmen. Schrupper. Ein starker Haar-Besen, den man dabei braucht.

Schubben, schubbsen. Auf die Seite schieben. Einen schubben. Einen auf die Seite drängen. Beschubben, beschubbsen. Betrügen. Ein Schubber, ein Freischubber. Ein Mensch, der durch allerlei niedrige Künste heimlich seinen Nebenmenschen zu betrügen versteht. Schubbjack: Ein Mensch ohne Bedeutung.

[413] Schucker. Ein kalter Schauer, Frost. Es ist mir schuckerig. Ich friere ein wenig. Es ist schuckeriges Wetter. Es ist frostiges Wetter.

Schütten. In der Bedeutung von schütteln. So heisst es: Äpfel, Birn, Nüsse schütten; statt schütteln, etwas vom Baum schütteln. Einem etwas in die Schuhe schütten. Einen als den Urheber eines unangenehmen Vorfalles angeben, ohne eben giltige Beweise dazu zu haben. Er schüttet mir den Diebstahl in die Schuhe. Er behauptet, dass ich den Diebstahl begangen habe. Er schüttet mir das Glas in die Schuhe. Er behauptet, dass ich das Glas zerbrochen habe.

Schutterfass, Schlotterfass. Ein kleines aus Holz gedrehtes Gefässe, das die Mäher mit einem Schleifsteine in. Wasser hinten am Hosenbande tragen. Wahrscheinlich daher: weil der Stein bei den Bewegungen des Mähers in dem Fasse sich hin und her bewegt, schlottert.

Schuss-Bartel. Närrischer Mensch. Einen Schuss haben. Nicht recht klug sein.

Schwabbeln. Schwabbelbauch. Ein überhängender Bauch.

Schwamm. Zunder.

Seu, Seih. Sieb. Seige.

Schwanen. Ahnen. Es schwant mir. Es ahnet mir.

Schwingen. Mit einer langen schwanken Gerte etwas abschlagen, z. B. Nüsse von einem Baume schwingen. Auch, Einen prügeln.

[414] Sein. Dieser Infinitiv wird sehr häufig und meist durchaus für den Präsens gebraucht, z. B. ich sein gange; ich sein betroge.

Spänen. Entwöhnen. Ein Kind spänen. Von der Brust entwöhnen.

Spengel. Stecknadel. Spengeler. Einer der Stecknadeln macht. Spengeln. Etwas mit einer Stecknadel befestigen.

Sporesraspel. Ein Schimpfname.

Sprokeln. Ausschüsse von Kohlstanden.

Spruk. Spröde. Was sich nicht biegen lässt. Das Eisen ist spruck.

Spunnium. Geld

Stät. Lose, langsam. Beinahe das östreichische staat.

Stauchen. Muff.

Sterz. Der Hintern, Bachsterz. Bachstelze. Auch wohl Schwanz, wie bei den Hünern.

Sticksen. Nach Moder, nach faulem Holze schmecken und riechen. Der Wein stickst; der Roggen stickst, die Erbsen sticksen; sind sticksig.

Stieren. Das Begattungsgeschäft des Rindviehes. Stierig, die Kuh ist stierig. Die Kuh verlangt nach dem Stiere. So heisst es auch, die Ziege ist bockig, das Schwein ist watzig, u. s. w.

Striffel. (franz. Jabot) Die feine Leinwand, so man zum Zierrath vorn an den Schlitz der Hemden setzt.

Strötzbüchs. Eine kleine Sprütze. Auch: eine aufgeblasene Weibsperson.

[415] Strom, Stram. Ein Strich, eine Linie.

Strüh. Stroh.

Stückelchen. Eine kleine Erzählung, ein Schwank, ein Mährchen. Die Kochemer Stückelchen sind in dieser Art sehr berühmt. Auch wohl ein loser Streich, ein Schelmstück u. s. w.

Stütz. Ein Gefäss, das im Keller beim Abzapfen des Weins gebraucht wird.

Studenten. Nicht in dem Begriffe, den man auf den niederdeutschen Universitäten damit verbindet, sondern durchaus jeder Knabe, der die Schule besucht, und einen Mantel trägt. Die Jesuiten und ihre Nachfolger pflegen den Mantel den Studenten zu nennen. Wenn ein junger Mann ein Mahl die Universität bezogen hat, so würde er es hier sehr übel nehmen, wenn man ihn Student nennen wollte.

Stummel. Stümmel.

Subbes. Ein armer Tropf.

Suckeln. Saugen.

Sutter. Koth. Morast.

T

Taaken, Kamin.

Tahrt. Tährtchen. Torte.

Tapper. Tapfer, klug, gewandt, gesund. Es ist ein tapperer Junge. Auch tapperich.

Taufen, getauft werden. Vom Regen durchnässt werden. Einen taufen. Einem zutrinken, einem einen Rausch anhängen.

Thal. Wird durchaus männlich gebraucht.

Terminiren, Betteln. Der Mönch geht auf [416] den Termin, er zieht mit einem Bettelsacke durch’s Land.

Tiffteln. Kleine Arbeit machen. Tiffteler. Einer, der kleine Arbeit macht. Getifftel, Kleine Arbeit.

Tinnes. Anton.

Tippel. Tippelchen. Ein Punct.

Titscheln, tatscheln, betitscheln. Befühlen. Ein Mädchen betatscheln. Ist wahrscheinlich von Tatze entstanden.

Totteln. Stammeln. Tottler. Stammler. Sonst auch, einfältiges Zeug sprechen. Was tottelt der Kerl?

Tränteln. Langsam arbeiten; überhaupt, langsam sein. Trenteler. Ein Mensch, dem keine Arbeit von der Hand gehen will. Trantelich. Langsam.

Trapp, Trahb. Treppe.

Trätschen, trettschen. Plaudern, ausplaudern; in eine Pfütze treten; Einen beträtschen. Einen mit Koth bespritzen.

Traf, Trab. Balken.

Tremmel. Ein Knotenstock.

Trickes. Ein köllscher Trickes. So pflegen die Leute genannt zu werden, die in dem Kurfürstentume Kölln gebohren sind. Eigentlich eine herabsetzende Benennung.

Tröfs. Sch…

Tromb. Maultrommel.

Trompel. Pfennig. Etwas für 3 Trompel verkaufen. Etwas tief unter dem Werthe verkaufen.

[417] Trübsal auf den Noten blasen. Traurig sein, drückt es nicht ganz aus. Noch gar kein Ende von seinem Unglücke absehen können, so dass man es wegen der Bekanntschaft damit auf Noten setzen könnte.

Trumpen, trompen, abtrompen. Einem etwas abschlagen. Einem einen verdienten Vorwurf machen.

Trutschel. Eine kleine Weibsperson, die fleischigt anzufühlen ist.

Tummeln, sich. Eilen. Sich mit etwas tummeln. Eine Arbeit mit vieler Geschwindigkeit abthun.

Tunken. Schlagen, Einem einen Stoss geben. Eine Tunke. Ein Schlag, Stoss.

Tuten. In ein Horn stossen.

U.

Überschnappen. Auf dem Puncte stehen, ein Narr zu werden. Übergeschnappt. Er ist närrisch geworden. Doch drückt es nicht einen vollen Grad von Irrsein aus: sondern nur den Anfang dazu. Ungefähr sinonim mit: aus dem Häuschen sein. Oben S. 397.

Überzwergs. Queer. Ungeschickt. Es steht mir überzwergs im Wege. Es steht mir queer im Wege. Er thut alles überzwergs. Er ist ungeschickt in Allem, was er thut. Ein überzwergser Kerl. Ein Mensch, der Alles anders will, als andere Leute. Es geht mir Alles überzwergs. Es will mir nichts gelingen; Alles, was ich anfange, geht schief.

[418] Ummachen, ein Feld ummachen. Ein Feld pflügen; ein Feld mit dem Spaden umgraben.

Uzen. Einen aufziehen, zum besten haben. Ein Uzer. Ein Mensch, der sich ein Geschäft daraus macht, andere Leute zum besten zu haben. Eine Uz. Der Gegenstand, mit dem man Jemand aufzieht.

V.

Verkimmeln, verkimmern. Etwas heinlich unter dem Preise verkaufen.

Verramschen. Sinonim mit dem Vorhergehenden.

Verriechen. Verderben, den Geschmack verlieren. Nicht allein: der Wein, das Bier verriecht, sondern auch, das Fleisch verriecht.

Versauern. Zu Schanden werden, umkommen, hinwelken. Er wird an diesem Orte endlich noch versauern. Ein derber Fluch ist dieser: dass du versauern möchtest!

Verstauchen. Nicht allein ein Glied verenken, sondern auch, in einem freundschaftlichen Kämmerchen ein Glässchen trinken.

Vertuschen. Etwas verheimlichen, unterdrücken.

Vier-Uhren-Stück. Vesperbrot, das man gewöhnlich um 4 Uhr Nachmittags zu sich zu nehmen pflegt.

Vokativus. Ein Mensch, der anders handelt, als er sich’s merken lässt, und sich dabei klug benimmt. Auch wohl Fugativus. Der Janhagel sagt Fokketiwes.

[419]
W.

Wachs, Einem Wachs geben. Einem Prügel geben.

Wackelt, es wackelt mit ihm. Es steht mit ihm auf dem Puncte, dass man einen Bankerot erwartet.

Wahn, Wohn. Bauer-Wagen mit 4 Rädern. Wahn sagt man auf dem Hunsrück; Wohn an der Mosel.

Wamschen, abwamschen. Prügeln. Einem etwas auf dem Wamms geben.

Watsch. Ohrfeige. Einen watscheln. Einem Ohrfeigen geben.

Watz. Ein Schwein männlichen Geschlechts.

Weck. Semmel, und jedes feine Brot.

Wegen. Wird durchaus mit dem Dativ construirt, statt des Genitivs, z. B. wegen dem Gelde, wegen dem Dinge, statt, wegen des Geldes, wegen des Dinges.

Weibliche Benennungen endigen sich mit ersch, aths u. d. gl. z. B. Die Krämersch, die Bereutersch, die Hofraths, die Professersch u. s. w. statt, die Krämerin, die Frau des Bereuters, die Hofräthin, u. s. w.

Wingert. Weinberg, Weingarten.

Wisch, ein gesegneter Wisch. Kraut, das man segnen lässt, um es bei Gewittern auf dem Heerde anzuzünden.

Wissbaum. Ein Queerbaum, ein Schlagbaum.

Wixen. Prügeln.

Wurst wieder Wurst. Gleiches mit Gleichem.

[420] Wuselig. Lebhaft, wählig, fröhlich. Wird von Kinder gebraucht.

Z.

Zaubel. Ein Hund weiblichen Geschlechts. Auch ein Mädchen, das sich Jedermann Preiss giebt.

Zickel. Eine junge Ziege.

Zirwes. Servatius.

Zöck. Ein Ruder, um einen Kahn fortzubewegen.

Zög. Ein Überzug.

Zwerg. Queer.

*               *
*

Ausser einem kleinen Versuche, der vor ungefähr zwölf Jahren im Koblenzer Intelligenz-Blatte stand, ist mir nichts bekannt geworden, was hierher Bezug hätte. Jenen Versuch habe ich auch jetzt nicht zu Gesicht bekommen können. Dabei ist nun freilich nichts verloren, da er meist, wie mir versichert worden ist, von Schuljungen ex tertia ausgearbeitet war. Die Ideen dazu soll der nachher in östreichische Dienste übergetretene Bläul gegeben haben.

Von meinem Versuche lässt sich aber auch nichts Gutes sagen. Er ist die Arbeit von einigen Stunden der Rückerinnerung an das Land, in dem ich unter der Zuchtruthe bigotter Pfaffen mein Knabenalter verlebte. Vollständiger ist er indessen als jener, obgleich er nicht ein Mahl den funfzigsten Theil aller Provinzialismen umfasst, die man in jenen [421] Gegenden auftreiben könnte. Zu einem solchen Werke gehört wenigstens ein Menschenalter und die vereinigte Kraft mehrerer einheimischer Gelehrten aus verschiedenen Gegenden, denn bei der auffallenden Abwechselung der Sprache und ihrer Regeln, dürfen es nicht bloss Koblenzer sein, sondern es müssen sich Trierer, Koblenzer, Eifeler, Maienfelder, Hunsrücker und Mosellaner zu diesem Zwecke verbinden. In jedem der genannten Districte spricht man anders, und ich getraue mir den Geburtsort eines Jeden in einer Entfernung von einigen Meilen aus ihrer Sprache zu unterscheiden. Ich will die Hauptmomente dieses Unterschiedes hier kurz angeben.

Der Koblenzer nimmt den Mund immer sehr voll, und unterscheidet sich besonders dadurch, dass er das s in sch, st in scht, sp in schsp verwandelt. Mit den übrigen hat er das gemein, dass er a wie o, und u wie i ausspricht. Jene Umänderung das a in o, hat so etwas Unangenehmes, dass man sich immer die Ohren verstopfen möchte. Wenn man dagegen diesen nähmlichen Fehler aus dem Munde eines Niederdeutschen hört, aus dem Munde eines Mecklenburgers, eines Hollsteiners, und besonders eines Hannoveraners, (der nächst dem Braunschweiger, nicht Meissner, in Deutschland am besten spricht), so schlägt er sogar angenehm an’s Ohr. Ich habe oft die Probe gemacht, und das a wie o nach niederdeutscher und nach Koblenzer Art in Gesellschaft von Ausländern ausgesprochen, und dann gefragt: klingt euch das unangenehm? Dort war immer nein, und hier, abscheulich, unerträglich die Antwort.

[422] Den Trierer erkennt man an seinen eigenen Redensarten. Er hat z. B. den Gebrauch bei jedem Satze noch das Verbum gehen beizusetzen. So sagt er, eh geiht sterbe gihn, eh geiht reite gihn. u. s. w. Der Hunsrücker pflegt die Silben sehr lang zu dehnen, welches besonders bei dem i der Fall ist.

Die Sprache des Eifelers hat dagegen viel sanftes und wohlklingendes, welches er besonders durch seine vielen l, m und s bewirkt. Sie ist sonst in dieser Gegend die am meisten verachtete, denn die anspruchlosen Einwohner, denen die Armuth ihres Landes mit ihren Nachbarn keinen Verkehr zu treiben erlaubt, kommen selten über Meien hinaus, und wenn sie ja ein Mahl in der Stadt erscheinen, so deuten die Gassenjungen mit Fingern auf sie.

Merkwürdig ist es, dass die höhere Umgangssprache in allen diesen kleinen Ländern von ganz anderer Art, als die Sprache der ungebildeten Klasse, und doch nicht hochdeutsch ist. Sie hat vorzugsweise das u liebgewonnen, z. B. Kuch, (Küche) Schunken, u. d. gl. Aber eine ganz eigene Sprache ist die Sprache der Schiffer, und selbst unter diesen lassen sich die Ober- und Unter-Moseler leicht unterscheiden, so wie jede mehr von dem Tone ihrer Provinz angenommen haben. Ein Beispiel von dieser Schiffersprache muss ich doch hier anführen: Geihste lo gläuch ousm Droubert, or öch schlan der deh Pahl of de Kahb, dat d’re d’eh Tross hönnen eruss kitt. Schwerlich wird ein Fremder diess verstehen, wenn er es mit der den Mosellanern eigenen kollernden Geschwindigkeit herauspoltern [423] hört. Ich habe wenigstens damit oft im Auslande die Probe gemacht, und auch nicht Ein Wort, nicht Eine Silbe ward verstanden. Auch die Fleischhacker haben, ausser den ihnen eigenen Kunstausdrücken, eine eigene Sprache. Ich glaube den Ursprung der Schiffer- und Fleischhacker-Sprache gefunden zu haben. Diese Leute sind meist unstät, und während eines grossen Theils ihres Lebens in fremden Provinzen. Da setzen sie sich dann aus pfälzischen, köllnischen, zweibrückischen, westerwäldischen, ober- und niedermosellanischen, rheinischen, eifeler, u. a. Provinzialismen eine eigene Sprache zusammen, wie sie jedes Mahl diesem oder jenem barbarischen Ausdrucke Geschmack abgewinnen. Besonders ist diess bei den Schiffern der Fall, die selten ein Paar Wochen hintereinander in ihrer Vaterstadt wohnen. Fast das nämliche könnte man von den terminirenden Mönchen sagen, die auch noch ausser ihren Bettelzügen alle 3 Jahre eine grosse Wanderung in andere Klöster anzustellen, und sich da biss zum nächsten Kapitel niederzulassen pflegen. Selbst die terminirenden Nonnen getraue ich mir von ihren Schwestern, die nicht auf Bettelei ausgehen, an der Sprache zu unterscheiden. Sogar in den verschiedenen Mönchsorden hat der Ordensgeist eine andere Sprache hervorgebracht. Der Jesuit spricht fein, und läss sich vorzüglich an der Aussprache des i erkennen. Der Franziskaner nimmt sein Stentor-Maul immer voll, und sucht, wo möglich, in lauter o und u zu sprechen, und zu singen. Der Kapuziner und der Karmeliter halten sich zwischen beiden. Aber der Dominikaner brüllt auf der Kanzel, [424] wie ein Ochse, dem man einen Schwärmer hinter den Ohren lossbrennt. Die bürgerliche Nonne quäkt und die hochadelige pipt, und vermeidet alle harten p. Der sogenannte Weltpriester hat am wenigsten Eigenes, und hält sich meist an das, was Alltagssprache und gut bürgerlich ist.







Berlin.
Gedruckt bei Johann Wilhelm Schmidt.

Anmerkungen

  1. Speluncam Dido, Dux et Trojanus eandem Deveniunt.
  2. Stipendien werden die Gelder genannt, die man für eine Messe bezahlt. Im Östreichischen leben jetzt wieder müssige Pfaffen davon, denn jede einfache Messe wird ihnen da mit 30 Kreuzern bezahlt. Im Mainzischen kostet eine Messe 20 Kreuzer; im Baierischen 24; im Trierischen 15, und in der ehemahligen Reichsstadt Kölln 4 Kreuzer, oder einen sogenannten Blaffert. Zwei Messen darf ein Priester an Einem Tage ohne besondere Erlaubniss nicht machen. Warum? – weiss ich nicht.
  3. Revolutions-Almanach, Göttingen bei Dieterich, dessen Herausgeber, Herr REICHARD in Gotha, einer der elendesten Scribler im ganzen heiligen römischen Reiche ist.
  4. Beitrag zur Berichtigung der Urtheile des Publikums über die französische Revolution. Zweite Auflage. (Berlin) 1795. Man darf zum Lobe dieses herrlichen, mit Geist und Herz geschriebenen Buchs weiter nichts sagen, als dass FICHTE in Jena der Verfasser ist.
  5. Pendant la nuit, (schrieb ihm BARRAS, der Freund BUONAPARTE’NS und der seinige) pendant la nuit les troupes ont pris les armes; le peuple indigné est resté debout dans les faux-bourgs; les inspecteurs de la salle sont arretés et traduits au Temple. Pas une seule goutte de sang n’a été versée. Deux cents cinquante Deputés republicains sont reunis á l’Odeon; leur séance va commencer; les journalistes Chouans seront arretés; les grenadiers du corps legislatif et les Invalides defilent devant le Directoire, qu’ils viennent remercier d’avoir sauvé la Republique. CARNOT s’est sauvé dans la nuit; BARTHELEMY est caché chez lui; les conspirateurs fremissent et la Republique triomphe. Salut et embrassemens.
  6. Oben S. 57 ff.
  7. Pour diminuer les depenses et accommoder seulement les premieres leçons de l’instruction publique aux circonstances, les écoles paroissiales, et celles des chapitres tiendront lieu de ce premier dégré des écoles primaires: on y introduira simplement ce qui tient au calcul décimal, à la langue française et à la morale civique; cette dérnière partie de l’instruction remplacera l’enseignement des catechismes et autres livres de quelque culte que ce soit, et tous les enfans, quelque culte que professent leurs parens, y seront admiis.
  8. Es steht zu erwarten, wie man mit den deutschen Ausgewanderten verfahren wird. Hart wäre es allerdings, wenn man sie mit den französischen in eine Klasse setzen wollte. Aber Strafe, hohe Strafe haben sie verdient, und sie wird ihnen werden. Es versteht sich übrigens von selbst, dass man nur diejenigen als Emigranten betrachten kann, die mit freiem Willen ausgewandert, und nicht von entschuldigenden Verhältnissen, z. B. von väterlicher Gewalt, dazu gezwungen worden sind.
  9. Wie kein Körper ohne Nahrung, so mag kein Staat ohne Abgaben bestehen. Es ist ein lächerlicher Einwurf, wenn man sagt, es sei nicht recht von den Franken, Brandschatzungen zu fordern. Diese Koblenzer, die das Mark von Frankreich verschlungen haben, waren wegen ihrer Sünden doppelt dazu verbunden.
  10. Wenn eine Reliquie zu kaufen, ein Mönchskloster oder ein Pallast zu bauen gewesen wäre, so würde das Geld bald beisammen gewesen sein.
  11. Die ganze Strecke begreift ohne die Stadt Koblenz, zwölf auf dem linken Rheinufer gelegene Dörfer, die alle in dem erbärmlichsten Zustande sind. Sie heissen: 1) Weiss; 2) Waldesch, 3) Kapellen, 4) Lei, auf dem rechten Ufer der Mosel, und 5) Neuendorf; 6) Güls, 7) Metterlich, 8) Kesselheim, 9) Sebastian-Engers, 10) Rübenach, 11) Bubenheim und 12) Wallersheim, auf dem linken Ufer.
  12. Freilich ein wenig hart auszuführen, in einem Lande, das gar nicht statistisch ist, wie der Erfolg nur zu deutlich gezeigt hat. Als den Herrn von der Munizipalität dieser Beschluss bekannt gemacht wurde, fragten sie sich verwundert: was Bevölkerung wäre?
  13. Viele haben diesen Artikel hart, sogar grausam gefunden. Ich finde ihn nicht so. Wenn man es den Gemeinen erlaubt hätte, vor Abzahlung der ihnen aufgelegten Summen, Klagen vorzubringen, so würde endlich des Klagens und Entscheidens kein Ende gewesen sein.
  14. Das beste Gemälde von dieser köstlichen Ansicht habe ich in Freudenthal in Schlesien in dem deutschmeisterischen Schlosse gesehen.
  15. FORSTER erzählt in seinen Ansichten, daß er das Kleid gesehen habe. Den Kasten, hätte er sagen müssen.
  16. Wahrscheinlich ist die Bibelstelle in den Akten falsch citirt, denn a. a. O. finde ich nichts, was hierher Bezug haben könnte. Es heisst da: darum lasst uns nicht mehr, einer den andern richten; sondern das richtet vielmehr, dass Niemand seinem Bruder einen Anstoss oder Ärgerniss darstelle.
  17. Allgemeine deutsche Bibliothek, Bd. LXXXII. St. II. Seite 591.
  18. Allgemeine Literatur-Zeitung 1788. Num. 249. Seite 117.
  19. Der zweite Enkel. Bei dem ersten, KLEMENS, zeigten sich damahls schon die deutlichsten Spuren einer völligen Imbecillitat.
  20. Am 10. Februar 1792.
  21. Dieser Bericht ist bald darauf in Wetzlar gedruckt und umgetheilt worden, so wie einige andere in diese Sache einschlagende Schriften. Sie haben sich jetzt alle sehr selten gemacht und werden theuer bezahlt. Zu wünschen wäre, dass ein unterrichteter Mann die Geschichte dieses höchst sonderbaren und in manchem Betrachte so merkwürdigen Prozesses schriebe. Eine solche gut ausgearbeitete Geschichte würde gewiss viele Liebhaber und Käufer finden. Die Data dazu sind nicht schwer zu sammeln, besonders bei der immer mehr und mehr zunehmenden Publizität am Kammergerichte, wo es jetzt endlich kein Wagestück mehr ist, von den sogenannten Geheimnissen des Gerichts einen freiern Gebrauch zu machen als zu den Zeiten der Justizverkäufer und der bald darauf folgenden Periode der übertriebensten Zurückhaltung. Die delikate Neuwieder Sache ward vorzüglich in Wetzlar, (nicht allso bald darauf in Regensburg) mit der lobenswürdigsten Publizität getrieben. Die Abstimmungen im Senat mit allen rationibus decidendi und dubitandi gingen 2 Tage nach der Sitzung schon in Abschrift herum und nur einige Assessoren waren Buchstaben- und Annodomini-Männer genug, ihre wohlhergebrachten krausen Stirnen darüber zu machen.
  22. HANS ERNST von GLOBIG, seit 1789 von Sachsen präsentirter Assessor, einer der wackersten Männer am Kammergerichte zu Wetzlar. Als Schriftsteller hat er sich durch einige Abhandlungen über die peinliche Gesetzgebung bekannt gemacht.
  23. EGID IOSEF KARL Freiherr von FAHNENBERG, seit 1795 östreichischer Direktorial- und Komitial-Gesandter zu Regensburg. Im Herbst 1795 hörte ich in Wetzlar ziemlich laut von einer Justizverkaufs-Geschichte in der Neuwieder Sache sprechen, bei der FAHNENBERG auch genannt ward. Wer aber den Mann kennt, ist überzeugt, dass er wohl mit NETTELBLA’EN als Gelehrter, nicht aber in Rücksicht seines moralischen Characters mit diesem schändlichen Justiz-Verkäufer verglichen werden kann.
  24. DITFURTH war weiland einer der geschicktesten Assessoren am Kammergericht. Liebe und Wein haben ihn nach der Zeit so verdorben, dass er jetzt beinahe unbrauchbar ist. Bei dem ersten Aufenthalte der Franzosen in Wetzlar ging er in den Wirthshäusern herum, trank Brüderschaft mit den Sanskulotten, und schimpfte auf den Kaiser.
  25. RIEDESEL gehört ohne Vergleich zu den ersten Assessoren sowohl in Rücksicht seines Kopfes als Herzens. Seine Relationen können oft als Muster der ersten Gattung aufgestellt werden. Solch einen Scharfblick, verbunden mit so viel reeller Gelehrsamkeit und einem so ausdauernden Fleisse findet man nicht leicht am Kammergerichte, dessen Zierde dieser Mann seit beinahe 20 Jahre ist.
  26. Von diesem Manne gilt, was BÜRGER in der Königin von Golkonde, neue Ausg. Gött. 1796, 2ter Bd. S. 290. V. 8–14 von dem Präsidenten sagt.
  27. Sie heissen alle drei Strömig, liegen auf den Bergen der Mosel, und gehörten ehemahls dem Grafen von Metternich-Winneburg.
  28. So nennt man in den katolischen Ländern die hochdeutsche Mundart. Ob darum, weil LUTHER zuerst die deutsche Sprache zu reinigen, und richtig zu schreiben anfing, oder, weil die Protestanten allein in Deutschland nur Deutsch verstehen, oder, weil man durch diese Benennung alle gläubigen Katoliken von der Erlernung der hochdeutschen Mundart abschrecken will? Das letzte scheint sich mit dem Charakter der Jesuiten und anderer Obskuranten am ersten vereinigen zu lassen.
  29. PIUS den Sechsten, den letzten Regenten auf dem Stuhl Petri, kann mein Priester schwerlich gemeint haben. PIUS ist unter den unreinen Päbsten einer der reinen. Wenn meinem Manne Kenntniss der Geschichte zuzutrauen wäre, so könnte sein heiliger Vater, ALEXANDER VI sein, von dem es irgendwo (Specimen historiae arcanae sive anecdota de vita papae ALEXANDRI VI, seu excerpta ex Diario Joanonis BURCHARDI Argentinensis, capellae ALEXANDRI VI papae Clerici, ceremoniarum magistri) heisst: Dominica ultima mensis Octobris in sero fecerunt coenam cum duce Valentinensi, in camera sua in palatio apostolico, quinquaginta meretrices honestae, Cortesianae nuncupatae, quae post coenam chorearunt cum servitoribus, et aliis ibidem existentibus; primo in vestibus suis, deinde nudae. Post coenam posita fuerunt candelabra communia mensae cum candelis ardentibus, et projectae ante candelabra per terram castaneae, quas meretrices ipsae super manibus et pedibus nudae candelabra pertranseuntes colligebant, Papa et duce et LUCRETIA sorore praesentibus et aspicientibus: tandem exposita dona ultima, diploides de serico, paria caligarum, bireta et alia, pro illis, qui plures dictas meretrices carnaliter agnoscerent; quae fuerunt ibidem in aula publice carnaliter tractatae arbitrio praesentium, et dona distributa victoribus. – Meine deutschen Leser werden mir wohl die Übersetzung erlassen.
  30. Die Heuren von der ehemahligen Regierung der Herrschaft Beilstein thun Unrecht, wenn sie hier Expectorationen über ihre Amts-Führung erwarten, ob mir das gleich weiter keine Mühe gekostet hätte, als meine Feder da in das Dintenfass zu tauchen und niederzuschreiben, was ich auf dem Herzen habe. Dass diess nicht wenig sein kann, werden sie am besten wissen, und dass ich die Beweise darüber führen kann, wissen sie eben so gut, wenn es ihnen nur ein wenig nachzudenken belieben möchte. Vielleicht schreibe ich einst die Geschichte des Grafen von METTERNICH-WINNEBURG, jetzigen Gesandten bei dem Kongresse zu Rastadt, die aber kein Seitenstück zu LAUCKHARD’s Geschichte des Rheingrafen KARL MAGNUS, in Rücksicht der Hauptperson wird. Der Graf von METTERNICH verbindet mit dem besten Willen die glänzendsten Eigenschaften eines trefflichen Herzens. So habe ich ihn, und mit mir viele Hunderte haben ihn so kennen gelernt. Man darf ihn auch keineswegs vorwerfen, dass er in der gegenwärtigen grossen Krisis sich blind gegen das grosse Anliegen der Freiheit erklärt hätte, wie es wohl Mehrere von seinem Stande ohne Rücksicht auf Nothwendigkeit, Gerechtigkeit und Zeitumstände gethan haben, und bei dem entschiedensten, glorreichsten und gerechtesten Triumpf der Nation noch täglich thun. Er hat nie den schrecklichen Grundsatz geäussert, dass ein Regent seine Gewalt von Gott habe, und allso auch nur von Gott abgesetzt werden könnte, wenn sich auch der Wille des allmächtigen Volks gegen ihn erklärt hätte, wie man das täglich von östreichischen Kathedern predigen hört. Mit seinem Willen ist nie in seinem kleinen Lande ein Menschenrecht geschändet worden. Diese Schuld, von der schon in diesen Briefen ein Mahl die Rede war (oben S. 108), trägt seine Kanzellei. Ob man aber auch eine angeborne Herzensgüte nicht zu weit treiben kann? Ich zum wenigsten halte es für Despotismus, wenn man Meuchelmörder von aller Strafe frei giebt, und dadurch der allgemeinen Sicherheit schadet, die man auch in Fez und Marokko nicht umsonst fordert. Als LUDWIG KAPET noch in Frankreich regierte, begab es sich ein Mahl, dass MARIE ANTOINETTE durch die Strassen von Paris fuhr! Die Polizei hatte eben einen Mörder festgenommen, der zufälligerweise an ihrem Wagen vorüber geführt ward. Der Mörder ersah seinen Vortheil, warf sich vor ihr nieder, und MARIE ANTOINETTE befahl, ihn auf der Stelle – frei zu lassen. Das war der schrecklichste Grad von Despotismus. Nicht etwa, weil es das Weib des Regenten that, das sich nie in Staatssachen mischen soll; nein! wenn es damahls auch LUDWIG KAPET gethan hätte, so wäre es der sträflichste Eingriff in die Rechte des Volks gewesen, das keinen Regenten besoldet, um seine Sicherheit zu stören.
    Ich weiss, dass es Leute giebt, die zur Beschönigung solcher Vorfälle immer Entschuldigungen bei der Hand haben. Ich weiss, dass man dergleichen auch wohl zum Beweise eines vortrefflichen Herzens hat anführen wollen. Ich weiss endlich, dass die Despoten-Knechte das jus aggratiandi auf das weiteste ausdehnen, und zu einem unbeschränkten Rechte der Monarchen machen. Aber ich würde dem Pastor die Hand von dem Büttel abhauen lassen, der es wagte, die Fesseln eines Mörders zu lösen, ehe nach den Gesetzen über ihn gesprochen ist.
    Traurig war es, dass man in Beilstein die hochnothpeinliche Gerichtsbarkeit als eine Last betrachtete, nicht etwa, weil es dem Justizbeamten zu beschwerlich war, einen peinlichen Prozess zu führen, von dem er nichts verstand, sondern weil die gräflichen Finanzen darunter litten. Wenn nicht auf Todesstrafe erkannt ward, sondern auf Zuchthaus, so musste der Delinquent einem benachbarten Staat übergeben werden, welches sehr kostspielig war, denn in der Grafschaft gab es weder Arbeits- und Zucht-, noch Krankenhäuser. Man liess die Verbrecher allso lieber laufen, oder jagte sie über die Grenze den Nachbarn zu.
    Man hat seit kurzem einige Mahl in den deutschen Zeitungen ausgesprengt, der Graf wäre von der grossen Republik in die Herrschaft Beilstein wieder eingesetzt worden, und hätte sogar noch zur Entschädigung 30000 Gulden erhalten. Aber ich bitte, wie kann ein deutscher Reichsstand jenseits Herrschaften besitzen, und die Revenüen davon diesseits verzehren? Das hiesse, den Adel und die Fürsten verbannen, und ihnen von aussen her unmittelbaren Einfluss verstatten. „Brüder, lasst uns das Eigenthum schützen, aber andere Besitzer desselben müssen wir haben;“ waren die goldenen Worte des Bürgers SIEYES, eines der grössten Menschen der Revolution.
    Wahrscheinlich ist in den öffentlichen Blättern eine andere Restitution mit jener verwechselt worden, denn vor ungefähr drei Jahren ist der Graf, wie ich gewiss weiss, wirklich ein Mahl restituirt worden. Damahls war aber der Plan, das jenseitige Rheinufer zu der Republik zu ziehen, noch sehr schwankend, besonders, da er an CARNOT einen erklärten Gegner hatte. Als er aber bald darauf angenommen war, so ward auch die Restitution sogleich wieder aufgehoben, und der Sequester erneuert.
  31. Verzapfen. Dieser Ausdruck, der meines Wissens nur am Rheine und an der Mosel gang und gebe ist, heisst so viel, als: ausschenken, an seine Gäste verkaufen. Er hat seinen Ursprung daher, weil der Wein erst durch den Zapfen (Hahn) laufen muss, ehe man ihn den Gästen aufsetzen kann. Er hat den Zapfen. Er hat das Recht, Wein auszuschenken, und Gäste in eine Weinstube zu setzen. Auf dem platten Lande ward sonst dieser Zapfen in jedem einzelnen Dorfe dem Meistbietenden überlassen. In den Städten konnte sich aber Jeder gegen bestimmte Abgaben damit beschäftigen.

Anmerkungen (Wikisource)