Das Lahntal von seinem Ursprung bis zur Ausmündung
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[I]
Gliederung [Wikisource]
- Vorwort
- Einleitung
- Literarisches über die Lahn
- Lauf des Flusses
- Kurzer Ueberblick über die geognostischen Verhältnisse des Lahnthals
- Kulturpflanzen des Lahnthales
- Kurzer Ueberblick über die Geschichte des Lahnthals
- Ursprung der Lahn
- Alphabetisches Verzeichnis der in der Schilderung des Lahnthales vorkommenden Orte
Schon als der Bau der Nassauischen Staatsbahn in Angriff genommen wurde, war es meine Absicht, das Lahnthal, in welchem ich den grössten Theil meiner Knaben- und Jünglingszeit zugebracht habe, und das auch in späteren Jahren ich oft zu durchwandern Gelegenheit hatte, von der Quelle des Flusses bis zu seiner Mündung zu schildern; indessen wurde damals der Plan aus verschiedenen Gründen wieder aufgegeben. Nun sind seitdem eine Anzahl Schriften verschiedenen Charakters erschienen, welche den Zweck haben, den das Lahnthal besuchenden Touristen Führer zu sein, und neben denen sich vorliegende Blätter ihren Weg zum Reisepublikum suchen müssen. Wenn hinlängliche Bekanntschaft mit der Gegend, Interesse an ihren historischen und Kunstdenkmälern und Liebe zum Gegenstand überhaupt den Werth der Arbeit allein bedingen würden, so dürfte ich es wagen, ihr einen günstigen Erfolg zu versprechen.
Obgleich ich bei den wiederholten späteren Besuchen des Lahnthals, welche lediglich vorliegendem Zwecke galten, hier und da auch Specialführer, welche sich für einzelne Städte und ihre Umgebung vorfinden, so wie auch historisch-topographische Schriften, wie „Vogels [IV] Beschreibung des Herzogthums Nassau“ und ähnliche zu Rathe gezogen habe, so wird doch, wie ich hoffe, der Leser finden, dass die Darstellung wesentlich auf eigner Anschauung und Prüfung beruht.
Was die Grenzen des in den Bereich der Schilderung gezogenen Landstrichs anlangt, so habe ich, um den Umfang des Buches nicht zu sehr auszudehnen, die bedeutenderen Seitenthäler des Lahngebiets meist nur bis zu drei Stunden aufwärts von ihrer Mündung besprochen. So ist der grösste Theil des Ohmthals, sowie das an und für sich ganz interessante obere Dillthal unberücksichtigt geblieben. Dagegen sind die Seitenthäler der unteren Lahn, welche wegen ihres Mangels an Zugänglichkeit bis jetzt den Reisenden noch wenig oder gar nicht bekannt geworden sind, deren höchst romantische Natur aber ihren Besuch sehr lohnend macht, wenn auch nur in gedrängter Kürze besprochen.
Der eigentlichen Schilderung des Lahnthals von der Quelle bis zur Mündung des Flusses ist eine Einleitung vorausgeschickt, welche Literarisches über die Lahn und Ueberblicke über den Lauf des Flusses, über die geognostischen Verhältnisse, die Bodenkultur und die Geschichte des Lahnthals enthält. Die Darstellung der geognostischen Verhältnisse desselben verdanke ich Herrn Carl Koch von hier, dem Verfasser der „Palaeozoischen Schichten und Grünsteine in den Aemtern Dillenburg und Herborn. Wiesbaden 1858.“
Besondere gastronomische Studien habe ich bei meinen Besuchen des Lahnthals nicht gemacht. Die Angabe der Gasthäuser in den Lahnstädten von Wetzlar bis [V] Ems ist dem Heyl’schen, derer in Marburg und Giessen dem Bädecker’schen Reiseführer entnommen – Plagiate, welche die Herrn Verfasser gütigst entschuldigen werden.
Da das Büchlein wesentlich Reiseführer und nicht Reisealbum sein soll, so schien für diejenigen, welche die Sehenswürdigkeiten im Original vor Augen haben, eine beigefügte Abbildung der interessanteren derselben unnöthig. Dagegen wird das beigegebene Kärtchen, welches das Lahnthal von Marburg bis zu seiner Ausmündung darstellt, allen denen, welche das Buch benutzen, hoffentlich willkommen sein. Uebrigens ist zu bemerken, dass in ihm der Lauf der Lahn etwas verschoben erscheint, und dass derselbe namentlich auf der Strecke von Marburg bis Giessen und von Weilburg bis Aumenau in vollständig südlicher Richtung zu denken ist.
Dillenburg, im October 1865.
Erst seitdem im Jahre 1862 die nassauische Staatsbahn in Betrieb gesetzt worden ist, hat sich das Interesse des grösseren Reisepublikums dem Lahnthal in verdienter Weise zugewendet. Zwar führt schon seit Menschengedenken durch seinen oberen Theil von der Ohmmündung bis Giessen eine sehr frequente, Nord- und Süddeutschland verbindende Strasse, und ihr zur Seite zieht auch bereits seit Jahrzehnten die Main-Weserbahn hin, und ebenso ist sein unterster Theil, durch den vielbesuchten Kurort Ems schon lange allbekannt; dagegen berührt die von Giessen abwärts nach dem Rheine führende Chaussee das eigentliche Flussthal nur an drei Punkten, bei Wetzlar, in Weilburg und Limburg, um bald darauf wieder die Höhenzüge zu gewinnen, welche sie mehrere Stunden seitwärts von ihm überschreitet. Zwischen Weilburg und Nassau sind sogar bis auf den heutigen Tag einzelne Strecken desselben noch von keinen Vicinalwegen durchzogen, weil seine Enge und seine vielen, zum Theil sehr bedeutenden Windungen ihre Anlage erschwert oder überflüssig macht. Während daher früher die Reisenden, welche ihr Weg durch das Lahnthal führte, nur einzelne, allerdings sehr schöne und interessante Bruchstücke des Ganzen zu sehen Gelegenheit hatten, und bei Touristen die Schönheit und Grossartigkeit des nahen Rheinthals ein Interesse für das ohnehin in seinen romantischsten Partien schwer zugängliche Seitenthal nicht aufkommen liess, können
[VII] dieselben jetzt auf die bequemste Weise den Lauf des Flusses von Marburg bis zu seiner Mündung auf den drei ihn berührenden Eisenbahnen verfolgen, und in wenigen Stunden die mannichfachen landschaftlichen Reize, welche sich an seinen Ufern entfalten, an ihren Augen vorüber gehen lassen. Und selbst ein solcher flüchtiger Besuch des Lahnthals ist lohnend genug; soviel ist wenigstens gewiss, dass dieses so viele Sehenswürdigkeiten in Beziehung auf Natur und Kunst in sich schliesst, dass sich kein anderes mit einem Schienenwege durchzogenes Seitenthal des Rheins, das schöne Nahethal mit seinen Rebenhügeln und wilden Felspartien nicht ausgenommen, mit ihm vergleichen lässt. Denn in ihm findet sich alles das, was von diesem mit Recht gerühmt wird, weite, gesegnete Thalflächen und anmuthiges, fruchtbares Hügelland, steile Berge, an denen schroffe Steinwände emporstarren, und die in ihren Vorsprüngen die Bahn in zahlreichen Tunnels durchschneidet; alte, verwitterte Burgen, die in ihrer Wittwentrauer auf den unten vorüberbrausenden Verkehrsstrom der neuen Zeit düster herabschauen, malerisch gelegene Städtchen mit alten Schlössern, Gesundbrunnen und Badeorte mit ihrer modernen Eleganz, nur in reicherer Fülle und mehr zusammengedrängt, dazu aber besitzt es herrliche Dome und prachtvoll gelegene Klöster, verkehrsreiche Handelsplätze und altberühmte Stätten der Wissenschaft. Bloss von Wetzlar bis Lahnstein fliegt man binnen drei Stunden an zehn Städtchen vorüber und passirt achtzehn zum Theil bedeutende Tunnels, um fast jedesmal, wenn man aus der Finsterniss derselben in das Tageslicht zurückgeführt wird, von einem zauberischen Landschaftsbild überrascht zu werden. Ueber der ganzen Strecke aber schwebt der Duft zahlreicher historischer Erinnerungen älterer und neuerer Zeit; aus jener werden uns die Bilder von Fürsten, welche in die Schicksale und die Entwickelung des
[IX] deutschen Volks mit mächtiger Hand eingegriffen, von Kriegshelden, die mit ihrem Ruhme die Welt erfüllt haben, von Frauen im Glorienschein der Heiligkeit lebendig, aus dieser treten uns vor Allen die Gestalten zweier Männer nahe, deren jeder in seiner Weise uns unendlich viel gegeben hat, der eine den reichen Schatz einer alles Grosse umfassenden, jede Tiefe der Empfindung erschöpfenden Poesie, der andere das aus Zerrissenheit, Erniedrigung und Schmach errettete Vaterland. Denn die unteren Lahngegenden hat Göthe in seinen jungen und alten Tagen mehreremale besucht, und die ganze Strecke von Wetzlar bis Lahnstein wanderte den Fluss entlang der jugendliche Dichter, als er der Liebe Lottens entfloh, und indem sein Auge in der Betrachtung der „Nähen und Fernen, der bebuschten Felsen, der sonnigen Wipfel, der feuchten Gründe, der thronenden Schlösser und der aus der Ferne lockenden blauen Bergriesen schwelgte“, sog er aus der schönen Landschaft Balsam für sein liebekrankes Herz; in Nassau aber an der unteren Lahn ward Freiherr von Stein geboren und brachte dort einen Theil seiner Tage zu, sinnend und hoffend für das bedrängte, und arbeitend für das befreite Vaterland. So wird in mehrfacher Hinsicht für diese Gegend das Wort des Dichters wahr:
Die Stätte, die ein guter Mensch betrat,
Ist eingeweiht; nach hundert Jahren klingt
Sein Wort und seine That dem Enkel wieder.
In den frühesten Zeiten unserer vaterländischen Geschichte wird der Lahn nirgends Erwähnung gethan; obwohl die Römer im unteren Theile ihres Thals und in dessen naher Umgebung mehrfach sich angesiedelt
[X] hatten, und auch sein oberer Theil durch ihre Invasionen in das Innere Deutschlands wiederholt berührt wurde, so kommt doch bei keinem ihrer Schriftsteller der Name derselben vor. Der Erste, welcher gelegentlich ihre „grünlichen Fluthen“ rühmt, ist ein Dichter des sechsten Jahrhunderts, Venantius Fortunatus, in seinem lateinischen Lobgedichte auf den Lupus, Herzog in Champagne. Bei ihm heisst sie Langona. Später erscheint sie als Lagena und Lagona, und im Jahre 1255 wird sie in der Urkunde der nassauischen Brudertheilung Longina genannt. Im 14. Jahrhundert macht sich neben der Bezeichnung Logena der mehr neuhochdeutsch klingende Name Loyne geltend, während im fünfzehnten und sechszehnten Jahrhundert die Bezeichnungen Lohn und Lön mit einander wechseln, welche letztere auch noch bei Giessen und Wetzlar im Munde des Volkes fortlebt. Den Namen Lohn hat auch noch der das Lahnthal zum erstenmale von der Quelle bis zur Mündung ausführlicher beschreibende „denkwürdige und nützliche Antiquarius der Neckar-, Main-, Mosel- und Lahnströme. Frankfurt 1740.“ Dagegen hat die zweite, im Jahre 1781 von Dielhelm herausgegebene, „verbesserte und vermehrte“ Auflage dieses Buchs neben dem bisherigen auch den jetzt gebräuchlichen Lahn mitaufgenommen. In dieser Auflage sind der Schilderung des Lahnthals 172 Seiten gewidmet. Der Verfasser ist über den Gegenstand seiner Darstellung, „des sehr berühmten Lahn- oder Lohnstroms“ des Lobes voll. So rühmt er nicht nur den Fluss wegen seines Reichthums an Fischen und Geflügel aller Art und seiner zahlreichen Mühlen, und sein Wasser wegen seiner Weichheit, welche es trefflich geeignet mache, „verschiedene Speisen, sonderlich die Hülsenfrüchte zu kochen, als welche von dem Brunnen- und anderm Wasser nicht so niedlich und zart wie von diesem Lahnwasser werden“, sondern er legt diesem auch die wunderbarsten Heilkräfte bei.
[XI] „Das Wasser dieses Flusses an sich“, sagt er, „hält man für sehr gesund und es soll eine besondere Wirkung thun, daher es von den Anwohnern zum Baden öfters gebraucht wird. Wie es denn insonderheit für die Grätze oder den Grind sehr heilsam ist, und es darf sich nur eine damit behaftete Person zwei- bis dreimal darinnen baden, so geht auf einmal alles fort. Petrus Bertius, in seiner Abhandlung von der verborgenen medicinischen Kraft in Heilung des Grinds, nimmt demnach nicht sonder Ursache von diesem Flusse also Abschied:
Lane Pater, placido qui flumine culta pererras
Rura et Cattorum pinguia prata, Vale!“
Aus seinem Vorberichte erfährt man auch, dass ein Niederländer, Namens Henrich Wessel, die Lahn von Dietz abwärts „mit vieler Kunst und Arbeit“ fahrbar gemacht hat, und dass Landgraf Karl von Heesen „sich viele Mühe gegeben“, um den Fluss sogar bis Marburg schiffbar zu machen, und zu diesem Zwecke verschiedene An- und Ueberschläge hat entwerfen lassen; doch fügt der Verfasser naiv, wenn auch nicht gerade logisch hinzu: „Gleichwohl haben sich viele Schwierigkeiten dabei gefunden; erstlich wegen der vielen an diesem Fluss befindlichen Mühlen, zweitens wegen der erforderlichen Kosten, drittens, weil er durch vieler Herren Länder fliesset, die nicht alle unter einen Hut zu bringen wären, und viertens, weil man viele Ländereien hätte durchstechen und abgraben müssen.“ Auch tritt derselbe mit einer ganz eigenthümlichen, kühnen Idee hervor, deren Ausführung, wenn sie möglich gewesen wäre, die Bewohner des mittleren und unteren Lanthals ihm wenig Dank gewusst hätten. Er meint nämlich, dass man dem Fluss einen ganz anderen Weg verschaffen und ihn durch die Wetterau führen könnte, wenn man ihn oberhalb Lollar zwischen Marburg und Giessen durch das Busecker [XII] Thal in einem Kanale nach Lich in die Wetter leitete; so dass diese mit ihm in die Nied, und endlich alle drei bei Höchst in den Main fielen. Er verspricht sich viel von einer solchen Anlage für den Wohlstand, Handel und Wandel der Wetterau, in welcher dann die „schwerst belasteten“ Schiffe gehen und die Waaren von Frankfurt nach Marburg bringen würden. Doch fügt er, selber misstrauisch in die Möglichkeit einer Realisirung seines exorbitanten Vorschlags hinzu: „Gleichwie aber das erste nicht zu Stande zu bringen war, also dürfte das letztere noch viel weniger zu einem erwünschten Endzwecke gedeihen.“ Uebrigens ist der Antiquarius des Lahnstroms, für welchen auch Bewohner des Thals ihre Mittheilungen gemacht haben, trotz dieser und anderer Wunderlichkeiten für die damalige Zeit nicht ohne Verdienst gewesen. – Auch der „rheinische Antiquarius“ hat dem Lahnthal von seiner Mündung bis Kloster Altenberg einen 808 Seiten starken Band gewidmet, in welchem wir übrigens in langen Episoden auch weithin nach allen vier Weltgegenden geführt werden. Die physikalische Beschaffenheit und geographische Gliederung des Lahnthals hat J. G. Kohl in seinem „Rheine“ besprochen, und seiner Darstellung auch einen geschichtlichen Ueberblick und eine Würdigung seiner vornehmsten Punkte hinzugefügt (I, 442–489). Uebrigens ist seine Behauptung, dass der älteste Durchbruch der Lahn zum Rheine „kurz vor ihrer Mündung ungefähr bei der Burg Nassau beginne“, irrig; ihre Hauptarbeit hat vielmehr, wie die gewaltigen Windungen ihres engen und tiefen Felsenthales beweisen, schon sechs Stunden weiter oben bei Dietz ihren Anfang genommen. Eine ausführlichere Geschichte und Beschreibung des Lahnthals hat in neuerer Zeit Katharina Schweitzer herausgegeben, (Wiesbaden und Giessen 1856), ein sehr fleissig gearbeitetes Buch, welchem indessen in den historischen Partien Licht und Schatten fehlt, da auch [XIII] das minder Wichtige, ja Ueberflüssige mit gleicher Ausführlichkeit wie das Bedeutende behandelt ist; zudem entspricht es in seiner jetzigen Form nicht mehr vollständig dem Bedürfnisse der Zeit, da erst nach seinem Erscheinem die Deutz-Giessener und die Nassauische Staatsbahn, welche den Verkehrsweg streckenweise total verändert und eine Menge zum Theil sehr beachtenswerther Anlagen veranlasst haben, gebaut worden sind. Der neueste Führer auf der Nassauischen Rhein- und Lahnbahn von F. Hey’l, welcher à la Bädecker den Zweck eines praktischen Handbuchs für Reisende verfolgt, ist gedrängt und stoffreich, gibt indessen nur über die Strecke von der Mündung der Lahn bis Wetzlar Auskunft. Während des Druckes vorliegender Blätter ist erschienen: Eine Fahrt durchs Lahnthal von Wolfgang Müller von Königswinter. Mit Illustrationen von F. C. Klimsch. Wiesbaden. C. W. Kreidels Verlag.
Der Lauf der Lahn, welcher Anfangs die östliche, darauf die südliche und sodann die westliche Richtung einschlägt, welche letztere noch einmal durch eine Abbiegung nach Süden unterbrochen wird, und der innerhalb dieser Bogenlinie viele, zum Theil beträchtliche Windungen beschreibt, umfasst von der Quelle bis zur Mündung 54 Stunden, während die gerade Linie zwischen diesen Punkten nur 17 Stunden, also nicht einmal ein Drittheil der genannten Entfernung ausmacht. Ihr Fall beträgt, da sie nach den neuesten Messungen 1936 pr. Fuss über der Meeresfläche entspringt, und ihre Mündung 190 Par. Fuss über derselben liegt, etwa 1730 pr. Fuss. Auf dieser Strecke nimmt sie eine nicht unbedeutende Anzahl Zuflüsse von den Wittgensteiner
[XIV] und Oberhessischen Bergen, vom Vogelsberge, vom Westerwalde und Taunus auf. Das ganze Gebiet, von welchem sich die Gewässer zu ihr absenken, umfasst ungefähr 100 Quadratmeilen. Die bedeutendsten Flüsschen und Bäche, welche sie auf der linken Seite aufnimmt, sind die Wettschaft, Ohm, Wieseck, Cleebach, Solmsbach, Weil, Ems, Ahr, Dörsbach und Mühlbach; auf der rechten Seite fliessen ihr ausser vielen kleineren Bächen die Banfe, Perf, Dautphe, Salzböde, Dill, Ulm, Elb und Gelbach oder Eynar zu.
Die Gebirgsschichten, zwischen welchen die Lahn ihren Lauf nimmt, gehören ihren Hauptmassen nach dem devonischen Uebergangsgebirge an, und bestehen aus den mannichfachsten Gliedern dieses Systems. In steile Sättel und Mulden zusammengefaltet, fallen sie fast alle in südöstlicher Richtung ein und sind gewöhnlich ziemlich steil aufgerichtet. In die Mulden dieser Gebirgslamellen schieben sich die untersten Glieder des Steinkohlensystems ein, und bilden schmal verlaufende Falten, welche in südwestlicher Richtung über den devonischen Schichten allmählich auslaufen, wogegen in nordöstlicher die steilen Sättel der Oberdevonschichten unter denen des unteren Steinkohlensystems verschwinden. Während die unteren devonischen Schichten an der unteren Lahn herrschend sind, erscheinen an der oberen, mit Ausnahme des Quellengebiets, vornehmlich die erwähnten Untersteinkohlengebilde, welche
[XV] sich hier in der Culmformation und in einförmigem, flözleerem Sandstein darstellen. Zwischen beiden Gebilden schiebt sich die für den Geognosten wie für den praktischen Bergmann interessantere Partie ein, in der die mittleren und oberen Uebergangsschichten mit verschiedenen Eruptivgesteinen, meist der Grünsteingruppe angehörend, wunderliche Contacte in der mannichfachsten Wechsellagerung bilden, zwischen welchen die morphologischen Gebilde vorkommen, welche man Schalsteine genannt hat, und die als hauptsächlich dem Lahngebiete angehörende eigenthümliche Gebirgsschichten betrachtet werden können. Ein kleiner Theil des Lahnthals, und zwar der östlichste, besteht in einförmigem buntem Sandsteine der unteren Triasformation; hier schieben sich untergeordnete Partien des Permischen Systems zwischen dem flözleeren und dem bunten Sandsteine ein.
In dem grösseren Theile des Lahngebietes durchbrechen ältere vulkanische Gebilde, meist Basalte und Dolerite, die erwähnten Schichtenreihen, finden sich in einzelnen Kuppen in allen Gliedern derselben und überlagern in grösserer Ausdehnung die Höhen des Westerwaldes und Vogelsberges. Auch die jüngsten Formationen in der Bildungsgeschichte unseres Planeten treten hier in einer Form auf, welche zur Entwicklung der Industrie und der Landwirthschaft im Lahnthal wesentlich beigetragen hat.
Die Quelle und Mündung der Lahn liegen in den Schichten des Spiriferensandsteins, auch devonische Grauwacke oder Coblenzer Schichten genannt. Diese Formation in ihren verschiedenen Modificationen dehnt sich weit in westlicher und südlicher Richtung von der Lahnquelle aus, während östlich von ihr schon in einer Entfernung von weniger als einer Meile, unterhalb Feudingen, die Grenze derselben erreicht wird. Das Auftreten des Spiriferensandsteins im Quellengebiet [XVI] der Lahn ist dem Vorkommen dieses Gesteins in anderen Ländern ganz gleich: gelbbraune Sandsteine von mehr oder weniger schiefrigem Habitus liegen zwischen blaugrauen Thonschiefern, die mit festen kieseligen Sandsteinen wechseln und in gelbliche, schwarzblaue und graue, zum Theil sandige Schiefer übergehen. In diesen Schichten finden sich vielfach die ihnen eigenthümlichen Ueberreste einer artenreichen Fauna verschiedener Seethiere, unter denen alle Formen von Brachyopoden besonders hervortreten; auch brechen in denselben die bedeutenden Silber-, Blei- und Kupfererze mit Blende und Spatheisenstein, welchen der Kreis Siegen seinen Reichthum verdankt.
Unterhalb Feudingen berühren die äussersten Ausläufer der Calceolaschichten oder des Lenneschiefers mit den darüber liegenden Flinzschichten, im Zusammenhang mit den durch Rheinland und Westphalen ausgebreiteten Vorkommen, noch eben das Lahngebiet; darüber liegen thalabwärts unmittelbar oberdevonische Schichten, welche sich hier als rothe und graue Kramenzelschiefer sowie als einförmige Kramenzelsandsteine ziemlich mächtig ausbreiten.
Die Oberdevonschichten werden hier von der Lahn fast im rechten Winkel auf das Streichen durchbrochen und dauern an bis gegen Eckelshausen unterhalb Biedenkopf. In dieser Partie schieben sich an zwei verschiedenen Stellen schwache Culmmulden, unmittelbar im Lahnthal auslaufend, ein; zwischen diesen erscheint eine sattelförmige Lamelle älteren Schiefers, der mit dem Orthocerasschiefer von Wissenbach zusammenhängt, und gabbroartige Hyperite mit ächtem Hypersthenfels durchsetzen die Schichten der Kramenzelformation, wie auch die darunter und darüber auftretenden Schichten der nächsten Umgebung.
Von Eckelshausen bis nach Gossfelden, in dessen Nähe die Lahn ihren östlichen Lauf mit dem südlichen [XVII] vertauscht, bestehen die Berge auf beiden Thalseiten aus den Schichten des unteren Steinkohlensystems. Die Culmformation repräsentirt sich durch plattenförmige Culmkalke und eine Reihe schön gefärbter Hornsteine und Kieselschiefer, darunter schwarze Lydite, Bandjaspis und blutrothe Eisenkiesel. Neben den Kieselschiefern findet man auch graue Thonschiefer, gefüllt mit zahlreichen Ueberresten der damaligen Fauna und Flora, unter denen Strandthiere und Landpflanzen besonders hervortreten. Wegen der zahlreichen Reste von Posidonomya Becheri heisst dieser Schiefer auch Posidonomyenschiefer. Der flözleere Sandstein dieser Partie ist sehr einförmig und besteht aus mehr oder weniger grobkörnigen Bänken eines rauhen braungrauen Sandsteins, der in feinkörnige Sandsteinschiefer und in massige Conglomerate übergeht.
In diesen wechselnden Lamellen von Culm und flözleerem Sandstein brechen viele Hypersthenfelse in schönen, körnig-krystallinischen Partien. Dabei tritt noch ein dichtes, mandelsteinartiges Gestein der Grünsteingruppe in lagerhafter Form auf, welches aus der Varietät des Melaphyrs besteht, welche ihre besondere Verbreitung im Dillthale hat, und unter dem Namen „Eisenspilit“ beschrieben worden ist. Wo diese Gesteine, welche entschieden zu den jüngeren Gebilden der Grünsteingruppe gehören, mit Culmschichten in Contact lagern, treten besonders die rothen massigen Eisenkiesel auf, in deren Gefolge untergeordnete Eisensteinlager erscheinen. Interessant sind in dieser Partie noch die weisslichen Culmquarzite, aus denen der Wollenberg besteht.
Die erwähnten krystallinischen Hyperite, wie auch die festen Kieselschiefer dienen in dieser Gegend als Strassenbaumaterial; die Culmkalke sind besonders wichtig für die Eisenhüttenindustrie, die Kalkbrennereien und die Landwirthschaft.
[XVIII] Bei Gossfelden beginnt ein anderer Typus der Gebirgsformation; das permische System verdeckt die erwähnten älteren Schichten, und erscheint als Rothliegendes in den gewöhnlichen braunrothen Sandsteinen, worüber hin und wieder schwache Lager des Zechsteins zu Tage austreten. Von diesen permischen Schichten ist jedoch wenig zu sehen, da unmittelbar auf ihnen die bunten Sandsteine der Trias in mächtiger Ausbreitung lagern. Diese Sandsteine, aus denen alle Berge in der Umgebung von Marburg bestehen, erscheinen in blassrothen, seltener weisslichen, gelblichen oder gestreiften Bänken. Sie ziehen sich auf der rechten Lahnseite bis nach Gisselberg herunter, auf der linken noch weiter, bis Fronhausen; hin und wieder treten auf höheren Bergspitzen vereinzelte Kuppen eines dichten zeolitreichen Basaltes zu Tag. Die bunten Sandsteine bieten für den Geognosten wenig Anziehendes, sind aber ein vortreffliches Baumaterial, welches weithin versendet wird und schon frühzeitig zu den herrlichen Kunstdenkmälern dieser Gegend benutzt worden ist.
Weiter abwärts treten wieder das Rothliegende und unter diesem die Schichten des flözleeren Sandsteins und der Culmformation hervor. Diese Untersteinkohlengebilde verbreiten sich über Giessen abwärts bis kurz oberhalb Wetzlar, und dehnen sich in geschlossenem Zusammenhange von da in südlicher Richtung über den Stoppelberg bis in die Wetterau, und in südwestlicher bis in das Herzogthum Nassau aus. Hier herrscht der flözleere Sandstein gegen die Culmpartien vor; in nordwestlicher Richtung hängen diese Schichten mit den ersterwähnten des oberen Lahnthals zusammen, doch treten hier nicht die Hypersthenfelse oder andere Gesteine der Grünsteingruppe in diesen Sedimentschichten auf; desto reichlicher aber Basalte, aus welchen die Höhen von Gleiberg und Vetzberg, sowie die des Stoppelbergs bestehen. Besonders interessant ist hier das inselartige Hervortreten der untersten Devonschichten, [XIX] wie auf dem Bahnhof zu Giessen, bei Waldgirmes und andern Stellen, welches früher zu Verwechselungen bei geognostischen Kartirungen Anlass gegeben hat.
Oberhalb Wetzlar beginnt der Theil des Lahngebiets, in welchem sowohl für den Geognosten wie für den praktischen Bergmann die interessantesten Gebirgsschichten in mannichfaltigster Wechsellagerung erscheinen.
Aus der Grünsteingruppe herrschen die mannigfaltigsten Varietäten des Diabas vor, die bald als Augit-, bald als Diabasporphyr, bald als Aphanit und Diabasschiefer, sowie auch in vielfältigen Gestalten der Mandelsteine auftreten; daneben kommen krystallinisch-körnige Grünsteine vor, welche theils, wie im obern Lahnthale, als ächte Hypersthenfelse, theils als körnige Diabase von gabbroartigem Habitus, theils als Augitgesteine und als serpentinartige Grünsteine erscheinen, die hin und wieder in unzweifelhafte Serpentine übergehen. Auch eigenthümliche Porphyre, viele Basalte und Dolerite brechen durch diese Sedimentschichten des devonischen Systems, und lagern sich kuppenförmig darüber.
Unter den älteren Schichtengesteinen, welche hier mit den genannten Eruptivgesteinen in Contact treten, sind die Schichten der Oberdevonformation am massenhaftesten vertreten: rothe und gelbe Cypridinenschiefer wechseln mit grauen und blauen Schieferbänken, welche durch undeutlichere Schieferung und Zunahme der sandigen Bestandtheile in Kramenzelsandsteine übergehen; dazwischen lagern platten- und nierenförmige Kalklager, welche nach ihren Versteinerungen als ächte Vertreter der Clymenienkalke anzusehen sind.
Zu diesen Oberdevonschichten treten schon bei Giessen, mehr aber weiter abwärts die Gebilde der Mitteldevonformation. Unverkennbar sind dieselben in den massigen Kalken, welche von Südwesten nach Nordosten in vier parallelen Hauptzügen dieses Gebiet durchziehen, [XX] und sich sowohl in ihren grotesken Felsbildungen, als auch bei genauerer Untersuchung in ihren angewitterten Oberflächen als alte devonische Korallenriffe darstellen. Mitteldevonische Schiefer fehlen zwar nicht in dieser zum Stringocephaluskalk gehörenden Korallenriffe; jedoch erscheinen die dahin gehörenden Schiefer- und Sandsteinschichten hier seltener als anderwärts bei gleichen Formationen und sind meistens durch die Diabase derart verändert, dass es gerechtfertigt ist, dieselben als eine besondere Gebirgsart unter die morphologischen Gesteine einzureihen. Solche veränderte Schiefer stellen sich in ihren Hauptablagerungen als Trümmergestein von grobem bis zum feinsten Korne dar, stehen mit scheinbaren Diabastuffen in engstem Zusammenhang und werden mit ähnlich veränderten Partien der Oberdevonformation Schalsteine genannt. Diese gehen in ächte Mandelsteine der Diabase, wie in Diabasschiefer und durch sie in ächte klingende Diabasporphyre vielfach über, während andererseits der successive Uebergang und engste Zusammenhang mit Petrefacten führenden Schiefern besteht.
In diesen Schalsteinen liegen, besonders in der Nähe ächter Diabase die grossartigen und reichen Ablagerungen von Rotheisenerzen, welchen die Lahngegend grossentheils ihre hervorragende Bedeutung in der deutschen Eisenindustrie verdankt.
Durch die steil aufgerichteten, vielfach ineinander gefalteten Schichten verschiedenartiger Gesteine begegnet der Geognost hier auf verhältnissmässig kleinem Raume einem ständigen Wechsel der Erscheinungen, welcher noch durch die letzten schmalen Ausläufer der Mulden des an der oberen Lahn auf weiterem Raume verbreiteten Untersteinkohlensystems vermehrt wird. Diese untersten Ausläufer bestehen im mittleren Lahnthal aus Kieselschiefer und Plattenkalken der Culmformation, während in den von Norden einmündenden Seitenthälern, [XXI] besonders im Dillthale, noch die Posidonomyenschiefer und flözleeren Sandsteine im engen Zusammenhang mit diesen auftreten.
Zwischen den Culm-, Ober- und Mitteldevonschichten mit Schalsteinen, Diabasen, Porphyren und anderen Eruptivgesteinen sind auch hier einzelne dem Spiriferensandstein angehörende Partien der Unterdevonformation eingestreut; während dieselben bei Weilburg und Limburg sich schon mehr verlieren, erscheinen sie bei Dietz und Niedererbach als zusammenhängende sattelartige Falten, welche in südwestlicher Richtung mit den weitverbreiteten Vorkommen dieses Gesteins zusammenhängen, durch das die untere Lahn ihr Bett gebrochen hat.
Alle diese wechselnden Schichten beginnen oberhalb Wetzlar und ziehen sich in ständigen Wiederholungen thalabwärts bis nach Dietz und Balduinstein; nördlicher gelegene Falten enden westlich und südwestlich von Hadamar; eine südlichere bei Catzenellnbogen. Die meisten derselben schliessen mit Porphyr ab, welcher gleich grossartigen Naturgrenzsteinen zwischen die älteren und jüngeren Devonschichten sich einschiebt. Diese Porphyre, Lahnporphyr genannt, wurden seither zu den Quarz- oder Feldsteinporphyren gezählt; doch lässt die Natur des feldspatigen Bestandtheils, sowie der ständige Zusammenhang des Auftretens mit Diabasgebilden entschieden auf das Zusammengehören mit diesen schliessen.
Endlich ist noch ein Schiefer zu erwähnen, welcher unterhalb Dietz das Liegende der Mitteldevonschichten bildet, und scheinbar auf dem Spiriferensandsteine liegt, in directem Zusammenhange aber sich in südwestlicher Richtung zwischen die Schichten desselben einschiebt: der Orthocerasschiefer, welcher in gleichen Verhältnissen noch im oberen Dillthal und dessen Seitenthälern, namentlich bei Wissenbach, auftritt. Er ist bekannt durch seine reichen, deutlich erhaltenen Ueberreste gekammerter Cephalopoden und anderer Typen ausgestorbener Seethiere, [XXII] zeichnet sich durch seine gleichförmige, dunkelblaue Färbung aus, und spaltet sich leicht in dünne Tafeln, weshalb er zur Dachschiefergewinnung bergmännisch ausgebeutet wird.
Zwischen Cramberg und Steinsberg unterhalb Dietz findet sich bei dem Orthocerasschiefer eine Form des Grünsteins, eine Art Diorit, welche auch im oberen Dillthale, sonst aber in der Lahngegend nicht mehr auftritt.
Oberhalb Laurenburg beginnen wieder die Sandsteine und Schiefer der Unterdevonformation, die sog. Spiriferensandsteine oder der Coblenzschiefer, und ziehen sich bis weit über den Rhein hinaus. In diesen Schichten brechen die reichen Silber-, Blei- und Kupfererzgänge von Holzappel und Ems, welche der eintönigen Formation eine grosse, schon seit alter Zeit gewürdigte Bedeutung geben. Für den Wohlstand und die gewerbliche Entwickelung der betreffenden Gegenden vielleicht noch wichtiger sind die alt- und weltberühmten Mineralquellen von Selters, Fachingen, Geilnau und Ems, welche, wie zahlreiche andere in diesem Gebiete, ihren Ursprung in dem Spiriferensandsteine haben.
Werfen wir nun noch einen Blick auf die jüngeren Gebirgsschichten, welche nicht, wie die bisher erwähnten, auf uraltem Meeresgrunde gewachsen sind, sondern ihr Dasein der successiven Verwitterung und den Erosionen durch Einfluss der Landwasser verdanken: die sporadisch über die älteren aufgelagerten Thon-, Lehm-und Kiesschichten.
Im oberen Lahnthal beschränken sich diese Ablagerungen auf geringe Alluvionen in unmittelbarster Nähe des Flussgebiets; noch unbedeutender erscheinen sie an der unteren Lahn, im Gebiete des geschlossenen Spiriferensandsteins; dagegen treten schon oberhalb Giessen mächtigere und ausgebreitetere Diluvialpartien als Lehm- und Geröllschichten, zum Theil auch als Conglomerate [XXIII] auf. Unter dem Diluvium erscheinen hin und wieder bunte Thonschichten tertiären Ursprungs, die unstreitig mit der Braunkohlenformation der Wetterau und des Westerwaldes zusammenhängen. Zerstreute Partien dieses Vorkommens findet man durch einen Theil des Kreises Wetzlar. Unterhalb dieser Stadt scheint dasselbe unterbrochen; die älteren Gesteine treten in den Thälern wie auf den Bergspitzen frei zu Tage aus; aber schon oberhalb Weilburg erscheinen wieder mächtige Lehmschichten mit Geröllen und tertiären Thonen in geschlossener Ablagerung, und bilden durch das ganze Gebiet der Ober- und Mitteldevonschichten bis unterhalb Dietz über den festen Gesteinen eine ziemlich mächtige Decke, welche sich hoch in die Berge hinaufzieht und nur von dem Lahnthal und dessen Seitenthälern durchfurcht erscheint.
Diese mächtigen Diluvialschichten, umlagert von tertiären Thonen, tragen zur Fruchtbarkeit des Bodens wesentlich bei; dazu sind sie für den Bergbau von ganz besonderem Interesse, weil die untersten bauwürdige, meist manganhaltige Eisenerze enthalten, und weil da, wo sie die Massenkalke der Mitteldevonformation decken, die reichen Braunsteinlager des Lahngebietes auftreten.
Wo die Felsen der Massenkalke Höhlungen zeigen, sind diese bisweilen mit Thon erfüllt, welcher Zähne und Knochen von Bären, Hyänen, Elephanten, Rhinocerosen etc. und anderen dieser Gegend fremd gewordenen Thiere einschliesst; solche Reste früherer Schöpfungen sind bei Vilmar und Steeten in reichlicher Anzahl gefunden worden.
Es liegt weder im Plane, die verschiedenen Mineralschätze, welche das Lahnthal für wissenschaftliche Forschung und technische Verwerthung bietet, einzeln aufzuführen, noch die geognostischen Vorkommen, die Architektur der Lahnberge und die hypothetischen Schlüsse über die Naturkräfte, welche die gegenwärtige äussere [XXIV] und innere Gestaltung dieses Gebietes bedingt haben, ausführlicher hervorzuheben, noch auch auf die einzelnen Lagerstätten der erwähnten Gesteinsarten speciell einzugehen. In Bezug auf das Vorkommen oryktognostischer Mineralien verweisen wir auf die im Jahre 1847 erschienene „Uebersicht der geologischen Verhältnisse des Herzogthums Nassau von Dr. F. Sandberger“, welche ein Verzeichniss der vorkommenden Mineralien mit Fundortsangaben enthält; Nachträge zu derselben finden sich in den Jahrbüchern des Vereins für Naturkunde im Herzogthum Nassau. Für den Geognosten liegt ein vortrefflicher Führer durch das Lahnthal aus neuester Zeit in den geognostischen Karten von Rheinland und Westphalen vor, deren Erscheinen Wissenschaft und Industrie mit gebührender Anerkennung der grossen Verdienste des Autors, Sr. Excellenz des Herrn Geheimenrath Oberberghauptmann Dr. H. von Dechen, begrüsst hat.
Was die reichlich vertretenen Ueberreste ausgestorbener Schöpfungen anlangt, so verweisen wir auf die im Jahre 1856 von den Gebrüdern G. und F. Sandberger veröffentlichte umfassende, mit vortrefflichen Abbildungen versehene Beschreibung des rheinischen Schichtensystems, die das Wesentlichste dieser alten Fauna- und Floragebiete enthält. Andere Beiträge, sowie die Beschreibung der fossilen Ueberreste höherer Thiere aus den jüngeren Schichten lieferten die Palaeontographica von Dr. H. von Meyer. Uebrigens liegt noch ein grosses Material von neueren Vorkommen aus den verschiedensten Schichten in der Lahngegend unbeschrieben in öffentlichen und Privatsammlungen, dessen zu erwartende Beschreibung noch manche Lücke in der Schöpfungsreihe ausfüllen wird.
Die auf langsam sinkenden Meeresgrund abgelagerten Sand- und Thonschichten, welche noch heute von einer niedrig organisirten, fast nur aus Molusken und wunderlichen Crustaceen bestehenden Thierwelt Zeugniss [XXV] geben, die zwischen algenartigen, meist schleimigen Pflanzen die Urmeere der Devonzeit bewohnte, bildeten den einförmigen, sterilen Boden einer untiefen trostlosen Wasserwüste, bis die hebende Kraft sie zu den alten Continenten und Inseln erhob, in denen Quelle und Ausfluss der Lahn jetzt liegen. In geringer Entfernung von den Ufern dieses gehobenen Landes bauten Korallen ihre Riffe, wie noch heute zwischen der Inselwelt der Südsee, bis die hebenden Factoren sich zur durchbrechenden Gewalt gestalteten, die das Gebiet mit alten Lavaströmen und Tuffbildungen überschüttete.
Spalten und Risse, welche Erschütterungen des Bodens in den sich erhärtenden Gesteinen der gehobenen Theile hervorbrachten, krystallisirten durch die vermittelnde Thätigkeit des Wassers mit verschiedenen Mineralkörpern langsam aus, und wurden Gänge, aus denen nun edle und gewöhnliche Metalle zu Tage gefördert werden; und der alten Korallenriffe, welche jetzt als groteske Felspartien mitten im Lande weit ab von dem Elemente, das sie erzeugt hat, erscheinen, bemächtigen sich jetzt industrielle Etablissements zu mannichfachen Zwecken, so besonders die Marmorschleifereien von Vilmar und Dietz.
So wechselten Hebungen mit Senkungen, Ruhe des gebildeten Landes und der es umgebenden Meere mit Ausbrüchen vulkanischer Thätigkeiten aus dem Boden derselben durch die Bildungszeiten der obersten Devonschichten, der Culmformation und des flözleeren Sandsteins. Das Gebiet, durch welches jetzt die Lahn fliesst, blieb von da an ein Theil eines weitausgedehnten trockenen Landes, und zwar höher über den Spiegel des Meeres gehoben, als die Länder, wo jetzt auf der obersten jener Schichten der eigentliche Kohlensandstein lagert, der den fossilen Brennstoff der Steinkohlen einschliesst.
Wären diese Hebungen weniger bedeutend gewesen, so dass sumpfige Niederungen hätten entstehen können, [XXVI] worin Lepidodendronstämme, Sigillarien und jene riesigen Schachtelhalme und Baumfarren gewachsen wären, würden also auch hier die Reste solcher fossilen Urwälder in Form von Steinkohlenlagern vorkommen, so gäbe es wohl kein Land in unserem Welttheil, in welchem die Eisenindustrie grossartiger wäre, als hier; denn die hier vorkommenden Ablagerungen von Eisenerzen gehören unstreitig zu den bedeutendsten in Europa, und zudem treten dieselben frei von allen unbeliebten Bestandtheilen auf.
Diese Eisensteinlager verdanken ihr Dasein den continuirlich wirkenden unterseeischen Eruptionen derjenigen Lavagebilde, welche jetzt als Diabase erscheinen, und der damit in Verbindung stehenden Schalsteingebilde. Ganze Lager kalkiger Schichten sind mit der Zeit durch Austausch ihrer Bestandtheile mit den circulirenden Wassern in Rotheisensteinlager umgewandelt worden. Diese Wasser führten Eisenoxyde in bereits bestehende Sedimentschichten ein, sowie sie den ursprünglichen Kalkgehalt der Sedimente in die alten Laven führten, die zellig-porösen Räume daselbst mit Kalkspath ausfüllten und so die Mandelsteinbildung veranlassten.
Ganz an der östlichen Grenze des Lahngebiets traten später die Meere der permischen und der triasischen Systeme heran, ohne den continentalen Theil der älteren Gebilde zu berühren. Noch später erschien eine jüngere vulkanische Thätigkeit mit dem Ausbruch basaltischer Laven, mit der wahrscheinlich die letzten Haupthebungen in Verbindung standen. Die jüngsten Vulkane der Rheingegend, die der vorderen Eifel, scheinen weniger Einfluss auf die Gestaltung der Lahngegend gehabt zu haben, obgleich weit in das obere Gebiet reichende Lager von Bimsteinsand den Anschwemmungen aus dieser jüngeren Eruptionszeit angehören, mit welchen auch manche Vorkommen am Westerwalde im Zusammenhang stehen dürften.
[XXVII] Zwischen die letzteren dieser vulkanischen Thätigkeiten fallen die Ablagerungen der Tertiärschichten und später die des Diluviums. In jenen Zeiten sah die nun so freundliche Gegend wilder aus als jetzt; mächtige Urwälder bedeckten Berge und Niederungen zwischen Sümpfen und Binnenseen mit üppiger Vegetation, deren Ueberreste in den Braunkohlenlagern des Westerwaldes und der Wetterau noch theilweise erhalten sind, und riesige Dickhäuter, in stetem Kampfe mit gierigen Raubthieren, durchstreiften das wüste Land, in dem kein Pflug die Erde furchte und kein Fäustel durch die Berge klang; während jetzt die Kultur nicht nur die Producte über der Erde der Menschheit dienstbar macht, sondern auch die Ueberreste uralter Schöpfungen, die im Schoosse derselben begraben liegen, an das Tageslicht bringt, um die sich immer mehrenden Bedürfnisse der fortschreitenden Generationen zu befriedigen.
Die Flora in der Lahngegend ist sehr reich; jedoch kann es nicht unsere Absicht sein, diesen Reichthum auch nur in den bedeutendsten Erscheinungen aufzuführen; vielmehr genügt es für unsern Zweck, der Kulturpflanzen, welche in ihr gezogen werden, kurz Erwähnung zu thun. Der obere Theil des Flussthals hat ein ziemlich rauhes Klima, welches auf dem mageren Boden der es einschliessenden steilen Berge den Getreidebau wenig begünstigt. Dagegen sind diese reich an schönen Buchwäldern, und im Thale selbst sind einträgliche Wiesen. Schon im Hügelland oberhalb Marburg treten die Waldungen in einige Entfernung von diesem zurück und machen ergiebigen Fruchtfeldern Platz, und unterhalb der genannten Stadt, wo dasselbe weiter und das Klima zugleich milder wird, gedeihen alle
[XXVIII] edleren Getreidearten. Die Umgegend von Giessen und Wetzlar, welche nach der Wetterau zu geöffnet ist, und als eine weite Thalfläche erscheint, ist ein sehr reiches Fruchtland, ebenso die Umgebung von Limburg und Dietz, welche neben dem Mainthal als die eigentliche Kornkammer des Herzogthums Nassau anzusehen ist. Auch hier treten die Wälder weit vom Flusse zurück; dagegen wird das steile und enge Felsenthal unterhalb der letzteren Stadt von Hochwald und Buschwerk, grossentheils Buchen- und Birkenbeständen, eingefasst, an deren Rande über das Plateau hin ein für alle in Mitteldeutschland vorkommenden Getreidearten ergiebiges Ackerland sich ausbreitet. Die Obstzucht gedeiht von Marburg an überall sehr gut; der Flecken Dausenau im unteren Thale ist sogar weitberühmt wegen der Fülle und Trefflichkeit des Obstes, welches daselbst gezogen wird. In sonnigen Lagen des oberen und im ganzen unteren Flussthal, welches mit dem Rheinthal ein ganz gleiches Klima hat, reifen Aprikosen und Pfirsiche. Auch der Rebstock beginnt hier schon fünf Stunden oberhalb der Lahnmündung die nach Süden gekehrten Bergwände zu bedecken; weiter oberhalb wird nur noch Runkel gegenüber auf einem mässigen Districte ein sehr guter Rother gezogen, während die kleineren Weinberge bei Altenberg und Wetzlar von keiner Bedeutung sind. Uebrigens war auch im Lahnthal die Kultur der Rebe in früheren Zeiten weit ausgedehnter; in Marburg erinnert noch der Name „Weinberg“ an eine solche allerdings schon sehr lange ausgegangene Anlage; dagegen berichtet noch der Antiquarius in dieser Beziehung, dass bei Giessen die Weinberge anfingen, und je weiter man an den Rhein hinunterkäme, in desto besseren Umständen sich zeigten. Er rühmt sogar die Vortrefflichkeit eines vom Grafen Wilhelm Moritz von Solms-Braunfels bei dieser Stadt angelegten Weinbergs, „worinnen im Jahre 1719 ein kostbarer rother Wein gewachsen,
[XXIX] dass ihn der damalige Cammerrichter zu Wetzlar, der Fürst von Fürstenberg, und andere fürnehme Herren für Burgunderwein an der gräflichen Tafel getrunken haben.“ Doch zeigt das Eingehen aller dieser Kulturen an der oberen Lahn, dass der Weinbau den ihm zugewendeten Fleiss wenig gelohnt hat.
Von den ältesten Bewohnern des Lahnthals sind uns in den zahlreichen germanischen Grabhügeln, welche sich vornehmlich an der mittleren Lahn befinden, und in den Ringwällen von Stein, die hier und weiter aufwärts die Gipfel einzelner hervorragender Berge umgeben, noch Spuren ihres Daseins erhalten. Das engere Lahngebiet wurde anfänglich von zwei germanischen Völkerschaften bewohnt, in seinem oberen Theile bis in die Gegend von Wetzlar herab von den kriegerischen Chatten, einem Stamme der Sueven, von da bis zur Mündung von den Ubiern, welche schon frühe von der von Westen eindringenden Kultur ergriffen wurden. In den Kämpfen beider Volksstämme mit einander fassten die ersteren allmählich auch weiter abwärts festen Fuss, und als sich die von ihnen bedrängten Ubier unter den Schutz der Römer begaben und jenseits des Rheines angesiedelt wurden, besetzte der chattische Stamm der Mattiaken das Land vom Maine abwärts bis über die Lahn hinaus. Der von den Römern errichtete Grenzwall, welcher den Besitz des südwestlichen Theils von Deutschland ihrer Herrschaft sichern sollte, durchzieht unter dem Namen Pfalgraben auch das Gebiet der Lahn und berührt den Fluss selber zwei Stunden oberhalb seiner Mündung bei Ems. Er ist noch heutigen
[XXX] Tags an einzelnen Stellen sehr wohl erhalten, sowie auch die im Lahnlande an ihm errichteten Kastelle am kleinen Feldberg, am Zugmantel, bei den Dörfern Born, Laufenselden, Marienfels und Becheln noch mehr oder weniger deutlich erkennbar sind. Als die Herrschaft der Römer über Deutschland durch die vereinte Kraft des allemannischen und fränkischen Völkerbündnisses gebrochen war, liessen sich Stämme des ersteren im Lahnthale nieder; nach den darauf folgenden Kämpfen zwischen beiden und nach dem Siege Chlodwigs über die Allemannen im Jahre 496 wurden die Franken die Herren desselben. Im Frankenreiche gehörten die Lahngegenden bald zu Austrasien, bald zu dem rheinischen Franzien. Das Christenthum fand nach der Legende im unteren Lahnthal schon im vierten Jahrhundert durch Lubentius Eingang; im oberen verbreitete dasselbe im achten Jahrhundert Bonifazius. Nachdem von Karl dem Grossen die altgermanische Gaueintheilung für die Verwaltung des Reiches wieder eingeführt worden, zerfiel das Lahngebiet in mehrere ungleich grosse Gaue. Im Dillthal lagen der kleine Erdehegau und der Haigergau, welcher auch einen Theil des oberen Sieglandes umfasste; an der oberen Lahn breitete sich der Oberlohngau mit dem sich in ihm gebildeten kleinen Gau Pernaffe bis in die Gegend von Wetzlar aus; von hier zog sich weit in den Taunus hinein und den Westerwald hinauf und flussabwärts bis etwa eine Stunde unterhalb Dietz der grösste von allen, der Niederlohngau, in welchem eine Zeitlang das Gaugrafenamt bei dem in der Folge sehr mächtig gewordenen Geschlechte der salischen Conradiner stand. Die Malstätte des ersteren war in Amöneburg, nach Anderen bei dem kurhessischen Städtchen Wetter, die des letzteren war der Reckenforst bei Dietkirchen. Die untere Lahn berührte auf dem linken Ufer bis zur Mündung der Einrich, welcher Mervels (Marienfels)
[XXXI] zur Malstätte hatte, auf der rechten der Engersgau mit dem Mahlberge. Mit dem Erlöschen der Gauverfassung ums Jahr 1000 ging theils aus der allmählich entstehenden Erblichkeit des Gaugrafenamtes, theils aus Vogteien über Kirchen und Stifter, theils aus dem blossen Besitz einer grossen Grundherrlichkeit die Landeshoheit der mächtigen Grafen und Herrn hervor, deren Geschlechter in den folgenden Jahrhunderten im Lahngebiete herrschten. Im obersten Theile desselben gründeten die Grafen von Wittgenstein, in der Umgegend von Giessen und Wetzlar die Grafen des Solmsischen Hauses und die Herren von Gleiberg, bei Weilburg die Grafen von Merenberg die Grafschaften gleichen Namens. Weiter abwärts begegnen wir u. A. den Grafen von Westerburg, den Herren von Isenburg, Runkel und Limburg, in dem unteren Theile den mächtigen Grafen von Dietz, Arnstein und Catzenellnbogen. Die bedeutendsten Territorien indessen erlangten theils durch Erbschaft, theils durch Eroberung oder Kauf im oberen Lahnthal die Landgrafen von Hessen, und im unteren die Grafen aus den verschiedenen Linien des Hauses Nassau. Auch die Erzbischöfe von Mainz und Trier hatten im Lahnlande weltliche Gebiete; erstere besassen im oberen Thale die Umgegend von Amöneburg, und diese die Landschaft um Limburg und Montabaur. Ein freies Städtewesen bildete sich allein in Wetzlar aus. Später erhob sich an der unteren Lahn die Grafschaft Schaumburg mit der Esterau zu einem Fürstenthum. Die grossen politischen Veränderungen in Deutschland zu Anfang unseres Jahrhunderts haben die Landeshoheit im Lahngebiete an Preussen, die beiden Hessen und Nassau gebracht.
Zur Zeit der Reformation nahmen die meisten der damals an der Lahn existirenden Grafen- und Fürstengeschlechter die neue Lehre an; eine Restauration ward [XXXII] nur in Nassau-Hadamar während des dreissigjährigen Krieges vollzogen. In diesem sowie in den französischen Revolutionskriegen wurden die Lahngegenden von schweren Schlägen betroffen, doch haben die darauf folgenden Friedensjahre die Spuren derselben längst verwischt. Allerwärts gedeihen und blühen jetzt Ackerbau, Gewerbe und Industrie; Verkehrswege sind nach allen Seiten eröffnet, um den mannichfachen Reichthum des Landes auszuführen, und auch die Idee des Landgrafen Karl von Hessen ist wenigstens so weit, wie es möglich war, durch die Regierungen von Hessen-Darmstadt, Preussen und Nassau mit der Schiffbarmachung der Lahn bis Giessen vor mehreren Jahrzehnten ins Leben getreten.
ARNSTEIN AN DER LAHN |
An der äussersten Grenze des königlich preussischen Kreises Siegen, da wo derselbe die Standesherrschaft Wittgenstein berührt, unmittelbar über der nördlichsten Spitze des Herzogthums Nassau liegt ein für den Geographen sehr interessanter Punkt. Denn hier in hohem Gebirgsland, wo der nördlichste Theil des Westerwaldes, den man nach seinem bedeutendsten Höhepunkte die kalte Eiche nennt und das mit dem Ederkopfe beginnende Rothlagergebirge in einander übergehen, hat die Natur, ähnlich wie im Fichtelgebirge, eine Scheide gebildet, von welcher die Wasser nach allen Himmelsgegenden auseinanderfliessen. Hier entspringt die Eder unmittelbar am Ederkopf und führt in nordöstlicher Richtung ihre Gewässer der Fulda zu; von ihrer Quelle kaum mehr als eine Stunde südlich nimmt die Lahn ihren Ursprung, welche anfangs fast parallel mit ihr hinströmt, um später, in einem grossen Bogen sich wendend, in einer ihrem oberen Laufe gerade entgegengesetzten Richtung dem Rheine zuzufliessen. Zwischen diesen beiden Punkten aber, wenig mehr als eine Viertelstunde von der Lahnquelle entfernt, entspringt die Sieg, und nimmt durch eine gewissermassen in die beiden beginnenden Flussgebiete eingeschobene Senkung ihren Weg in westlicher Richtung nach dem Rheine hin, Und damit auch der Abfluss nach Süden nicht fehle, quellen eine [2] Stunde südlich vom Ursprung der Lahn aus dem waldigen Bergabhange die Diezhölz und Dill hervor, welche ihre vereinigten Gewässer nach einem Laufe von zehn Stunden der ihnen von Osten entgegenkommenden Lahn zuführen.
Auf dieser Wasserscheide befinden wir uns in einer von Menschen spärlich bewohnten Gegend. Die Rücken der mässig sich über unsern Standpunkt erhebenden Berge sind meistens mit grossen Waldungen bedeckt, wo das Wild noch eine weniger gestörte Zuflucht finden mag, und wo noch in den alten Eichenständen, in denen die Preiselsbeere reichlich wächst, der Bewohner der altgermanischen Wälder, der mächtige Auerhahn haust. Der hier und dort angebaute Boden liefert nur dürftigen Hafer und magere Gerste, während in den nahen Gründen das Wiesenland reichlicheres Futter für das Vieh verspricht. In den umliegenden Wäldern jedoch zeigen uns die aus den Bäumen aufsteigenden blauen Rauchsäulen an, dass wir uns hier in einem Distrikte befinden, in welchem der Hauptnahrungszweig der Bewohner in Köhlerei besteht.
Aber diese Ursprünglichkeit der Natur, diese Einfachheit der menschlichen Zustände, diese Zurückgezogenheit vom Verkehre der Welt, in welche wir uns hier versetzt sehen, verfehlen nicht, ihren eigenthümlichen Reiz auszuüben, dessen Wirkung auch dann nicht beeinträchtigt wird, wenn wir nach mühsamer Wanderung in dem einsam gelegenen Lahnhof, in dessen Keller die Lahn als überaus schwache Quelle 1936 Fuss über der Meeresfläche zu Tage tritt, uns von einer wohlbestellten Wirthschaft, welche der dortige Revierförster unterhält, aufgenommen sehen. Um aber, nachdem wir von dem vierstündigen Marsche von Dillenburg oder von dem etwas näher gelegenen Siegen aus, den beiden an einem Schienenwege zunächst gelegenen grösseren Orten, uns ausgeruht haben, ein Bild der umliegenden Gebirgsgegend [3] zu erhalten, bedarf es nur, auf die 180 Fuss höher gelegene sogenannte Stiegelburg hinanzusteigen. Hier auf der kahlen, nur von Ginstern und niedrigem Gebüsche bedeckten Höhe eröffnet sich uns nicht nur über die nahe Umgebung, sondern auch in die Ferne ein überraschender Rundblick, welcher nur in östlicher Richtung durch die nahe gelegenen Wittgensteiner Waldberge beschränkt wird. Unmittelbar vor uns liegt das Siegener Bergland mit seinen zahllosen, chaotisch durcheinander geworfenen, waldbewachsenen Höhen, aus denen man nach des Führers Weisung leicht die Martinshard, unter welcher der berühmte Müsener Stahlberg liegt, und den erzreichen Kindelsberg herausfinden kann. Angebaute Berghohen gewahrt man nur wenige, noch weniger Wohnungen der Menschen; nur die hochgelegene Kirche des Rödchen unfern von Siegen blinkt uns aus den grünen Höhen freundlich entgegen, während in mehr nördlicher Richtung der weisse Streifen der aus dem Thale aufsteigenden „länderverknüpfenden Strasse“ uns an menschlichen Verkehr erinnert; die zahlreichen Ortschaften mit ihren Hütten-, Walz- und Hammerwerken, von denen der Siegener singt: „Die Erde bebt, wenn unsre Hämmer schlagen“, bleiben in der Tiefe der grünen Thäler dem Blicke entzogen. Aber noch auf Einen Punkt müssen wir unser Auge richten; dort in nordwestlicher Richtung die waldige Höhe ist der Gillerskopf, auf welchem, wie uns Jung Stilling in seiner Biographie erzählt, Grossvater Eberhard die Köhlerei betrieb, und unter demselben liegt in einsamem Thale das Dörfchen Grund, der Geburtsort dieses originellen, durch seine Lebensschicksale eben so merkwürdigen, wie durch seine Schriften berühmten Mannes. – Hinter den grünen Höhen des vor uns ausgebreiteten Siegener Landes hebt sich in duftiger Ferne eine Gruppe kühnaufstrebender Berge empor: es ist das Siebengebirge, das, vom Rhein herüberwinkend, den Horizont nach [4] dieser Seite abschliesst. In nördlicher Richtung reihen sich an die Siegener Berge die Kuppen der waldreichen Sauerländischen, sowie der Rothlager Gebirgszug an, während sich links das Plateau des Westerwaldes erhebt, und noch mehr südwärts aus der blauen Ferne die schöngeschwungene Linie des Taunus mit seinem Hauptstock, dem grossen und kleinen Feldberg, auftaucht. Wenden wir den Blick rückwärts, so erscheinen in nächster Nähe die Wittgensteiner Berge, und an einer niederen Stelle hinter ihnen emporschauend die hessischen Berge der Eder und Lahn.
Auf den Bergen ist Freiheit, der Hauch der Grüfte
Steigt nicht hinauf in die reinen Lüfte,
dieser Ausspruch unseres Dichters drängt sich uns unwillkürlich auf, wenn wir das imposante Panorama eines deutschen Gebirgslandes hier auf der einsamen Höhe, von frischer Bergluft umweht, überblicken. Aber diese nahen und fernen Höhenzüge laden auch die Phantasie ein, sich in die Thäler und Ebenen, wo die Menschen wohnen, zu versenken; der ferne Taunus winkt ihr zu der gesegneten, städtereichen Mainebene, das gerade vor uns liegende stolze Siebengebirg zaubert uns den an seinem Fusse vorüberrauschenden Rhein vor die Seele, mit dessen Fluthen sich – wir glauben es kaum – die Wasser des Bächleins, welches hinter unserem Rücken als Lahn sich seinen Weg durch die Berge sucht, und dann dort zu unserer Seite als beträchtlich gewordener Fluss zwischen Taunus und Westerwald bald durch fruchtbare Thalebenen, bald durch tiefe Gebirgseinschnitte hinströmt, sich vereinigen. Das Interesse, welches die Betrachtung jedes Flussursprungs gewährt, im Geiste dem Laufe der Wasser an all’ den Ortschaften und Städten, Burgen und Schlössern vorüber zu folgen, wiederholt sich hier in doppelter Weise, indem auf dieser Wasserscheide Anschauung und Phantasie nicht nur das industrielle Westphalen mit den fruchtbaren Strecken von Hessen und [5] Nassau, sondern auch das Rhein- und Weserland und die Handelsstädte Köln und Rotterdam mit dem verkehrreichen Bremen in Verbindung bringt.
Auch dem deutschen Sprachforscher bietet diese Wasserscheide lebhaftes Interesse; denn über diesen Höhezug zieht auch die Grenzscheide des ober- und niederdeutschen Dialekts und der mit ihnen zusammenfallenden Unterschiede mannichfacher Lebensgebräuche. Während nördlich von der kalten Eiche im Siegener Land das niederdeutsche Idiom herrschend zu werden beginnt, hört man südlich von diesem Gebirgsstocke durchaus nur den oberdeutschen Dialekt.
Verfolgen wir nun, nachdem wir noch einen Blick auf die Gebirgswelt und die tiefeinschneidenden Flussthäler geworfen, unserer Aufgabe gemäss, in östlicher Richtung den Lauf der Lahn. Der schmale Wasserfaden, der als Abfluss der Quelle im Keller des Lahnhofs auf der Wiese zu Tage kommt, wird bald durch Nachbarquellen verstärkt, so dass sie da, wo sich die Berghalde zum Thale verengt, aus einem kleinen Teiche schon als Bach hervortritt. Charakteristisch wird ihr erster Lauf durch die mächtigen, wilden Wittgensteiner Gebirgskuppen, durch welche sie sich im tiefen Thale Bahn gebrochen hat. Diese Berge, bald, wie die Puderburg, kühn und steil sich zuspitzend, bald, wie der Aldersberg, mit breitgewölbtem Rücken sich hinlagernd, erreichen häufig eine Höhe von mehr als 2000 Fuss. Dichter Hochwald bedeckt sie meist vom Gipfel bis zum Fusse und liefert den fast unerschöpflichen Reichthum dieses sonst armen Gebirgslandes, das Holz, welches, zu Kohlen gebrannt, nicht nur die Eisenhütten in dem oberen Lahnthal speist, sondern auch in das benachbarte Siegener und Nassauer Land als ein beliebtes Produkt ausgeführt wird, da dem durch Holzkohlen gewonnenen Eisen ein [6] bedeutender Vorzug vor dem mit Coaks gehütteten gegeben wird.
Die ersten zwei Stunden, welche wir dem Laufe der Lahn folgen, bieten nichts Bedeutendes – ein vom Bache durchschlängelter Wiesengrund, auf beiden Seiten von meistens waldigen Anhöhen eingeschlossen. Die ersten Wohnungen, welchen wir begegnen, heissen das welsche Gehäu, ein paar Häuser, deren eigenthümlicher Name auf ihren Ursprung deutet. Denn hier wurden im Jahre 1714, als das waldreiche Wittgensteiner Land noch mehr von Wald überzogen war, waldeckische Köhler angesiedelt, deren fremdartiger Dialekt diesem Mittelpunkt der Köhlerei seinen Beinamen gegeben hat. Weiter abwärts abermals mehrere kleine Häuser, die Glashütte genannt. Die vor Zeiten hier befindliche Glashütte, von der sich bei einzelnen Familien der umliegenden Dörfer noch Gläser als hochgeschätzter Hausrath vorfinden sollen, ist jedoch schon im Jahre 1648 zerstört worden. Der nächste Ort, welcher sich am Rande des Thals und an der Ausmündung eines Nebenthälchens ausbreitet, Volkholz, ist weit früheren Ursprungs; denn er kommt schon um das Jahr 1400 als Fulkeulze in einer Urkunde vor. Hier treibt die schon durch mehrere Zuflüsse verstärkte Lahn die erste Mühle.
Nach einer kleinen Stunde gelangt man auf chaussirtem Weg, der, in Yolkholz in das Lahnthal einmündend, dieses mit dem oberen Eder- und Siegthale verbindet, an einen Punkt, wo rechts und links der Lahn bedeutendere Bäche zufliessen; hier, wo die Berge etwas weiter auseinander treten, liegt das erste Pfarrdorf, dem wir auf unserer Wanderung begegnen, das schon im Jahre 1343 als Vädingen in Urkunden vorkommende Feudingen. Das bedeutende Alter dieses Ortes wird übrigens dem Besucher schon durch die in kunstgeschichtlicher Beziehung sehr beachtenswerthe Kirche zur Gewissheit. Denn wenn auch ihr Thurm, wegen Baufälligkeit [7] vor einigen Jahrzehnten um ein bedeutendes Stück abgetragen, nur durch sein ausweichendes Mauerwerk auf hohes Alter schliessen lägst, so deuten dasselbe noch sicherer die sehr schmalen Kirchenfenster im Rundbogenstyl schon von Aussen an. Ist man ins Innere getreten, so erweist sie sich als dreischiffig; kurze, viereckige Pfeiler mit einfacher, starker Ausladung, an denen eigenthümlicher Weise nicht nur vorn, sondern auch zu beiden Seiten die übliche Halbsäule bis zu dieser derb hervorspringt, sind im Mittelschiffe durch oben nur wenig zugespitzte Quergurten mit einander verbunden. Das Kreuzgewölbe ist sehr flach angelegt. Eine Chornische schliesst das Mittelschiff der Kirche ab, das nur um eine Mauerbreite über die Seitenschiffe hinausragt. In der Nähe dieses alten Ortes waren auch Adelsgeschlechter schon frühe angesiedelt; auf zwei Bergkuppen links und rechts der Lahn haben ihre Schlösser gestanden, von denen das eine, Dernbach, nur in seinem Namen auf unsere Zeit gekommen ist, während von Neuschönstätt sich noch Reste von Mauerwerk und Kellergewölbe vorfinden. Wie die Sage geht, haben die Bewohner derselben hauptsächlich durch Wegelagern an der alten Strasse, welche das Eder- und Siegthal verbunden hat, Unterhalt und Zeitvertreib gefunden. – Unterhalb Feudingen deuten einige Häuser durch ihren Namen „Feudinger Hütte“ an, dass hier in früheren Zeiten Eisen geschmolzen worden ist. Die grosse Schwierigkeit, mit welcher die Herbeischaffung des Erzes von ziemlich fernen nassauischen Bergwerken zu einer Zeit verbunden war, wo der Wegbau noch im Argen lag, mag das Eingehen der Hütte veranlasst haben. An der Feudinger Hütte vorüber führt der Weg über das Dörfchen Bermershausen durch das wieder sich verengende Thal nach Sassmannshausen, wo ebenfalls eine Strasse vom Gebirge herab, von dem etwa 3 Stunden entfernten Berleburg, dem Stammsitz der Linie Wittgenstein-Berleburg, [8] in das Lahnthal einmündet. Ein stattliches Hofhaus, schön aufgeführte Oeconomiegebäude, davor ein ausgedehnter, reinlicher Hofraum künden uns eine im Grossen betriebene Ackerwirthschaft an. Das beträchtliche Hofgut gehört dem Fürsten von Wittgenstein-Wittgenstein, welcher auch die ansehnlichen Neubauten hat aufführen lassen. Mit ihnen und selbst mit den wenigen andern Bauernhäusern stehen in bedeutendem Contraste etwa zehn rauchgeschwärzte, strohbedeckte Hütten, welche zwischen Obstbäumen etwas abseits im Wiesengrunde liegen. Diese Häuschen beherbergen eine Zigeunerkolonie, welcher zu einer Zeit, als diese herumziehenden Banden in den benachbarten Ländern verfolgt wurden, ein Vorfahr des jetzt regierenden Fürsten von Wittgenstein, Graf Friedrich Karl, hier dauernde Wohnsitze und Schutz verliehen hat. Die dunkelgefärbten Kinder mit ihren pechschwarzen Haaren und Augen, welche uns auf der Chaussee begegnen, die jungen, schlank und schön gewachsenen Männer, welche auf dem Hofgute oder in den Bauernhöfen mit Holzsägen beschäftigt sind, gehören ihnen an. Das wandernde Völkchen hat sich zur Verrichtung von Haus- und Feldarbeiten bequemen gelernt. Indessen ist der Trieb des Umherschweifens noch sehr lebendig in ihnen, und macht sich bei den Kindern, in weitausgedehnten Bettelfahrten geltend, während die Zigeunermütter zu Hause und draussen noch das Geschäft des Wahrsagens betreiben. Auch manches Andere ist ihnen von ihrer früheren Lebensweise geblieben; so gilt ihnen ein Fuchs als ein leckeres Gericht. Uebrigens ist die ganze Kolonie im evangelischen Glauben erzogen und nach Feudingen eingepfarrt. Dass sich dieselbe nicht bedeutender vermehrt hat – sie besteht heutigen Tages aus etwa 60 Köpfen – schreibt man dem Umstand zu, dass schon seit mehreren Menschenaltern die wenigen Familien immer von Neuem ineinander geheirathet haben. Wenn übrigens die veränderte Lebensweise dieser Söhne [9] Aegyptens die Romantik ihrer Erscheinung bedeutend abgeschwächt hat, so geben sie doch für diese waldige Gebirgsgegend eine ganz anziehende Staffage ab.
Von Sassmannshausen führt der Weg anderthalb Stunden weit durch das höchst anmuthige Sassmannshauser Thal, wie das Lahnthal von hier bis zum Einfluss der Banfe von den Anwohnern genannt wird. Es ist ein enges, aber freundliches Wiesenthal; die dasselbe einschliessenden Berge sind mit herrlichen Buchwaldungen bedeckt, während ein Streif von Erlen wie ein Saum ihren Fuss anmuthig begrenzt. Jede Windung, welche die Lahn und mit ihr die am Rande des Thals laufende Chaussee macht, öffnet ein neues, anziehendes Bild. Hier und da ein einsam gelegenes Haus; dort jenseits der Wiesen ein vom Walde beschattetes Hammerwerk, früher zum Wittwensitze der Fürstinnen von Wittgenstein bestimmt; sodann unter steilen Felsen ein Druckwerk, die Kunst genannt, welches das Wasser zu dem auf hohem Berge gelegenen, aber für uns nicht sichtbaren Schloss Wittgenstein hinaufführt; ein im kühlen Thale gelegener klarer Teich, alles Bilder einer anmuthigen Idylle. Dabei hier und dort der aus den Wäldern aufsteigende Köhlerrauch und der Knall der Jägerbüchse, welcher in mächtigem Echo durch die Berge hallt. An der Ausmündung des gleichfalls engen Banfer Thals, durch welches der Lahn der beträchtliche Bach gleichen Namens von Süden zufliesst, liegt das erste Eisenwerk derselben, die ansehnliche, dem Freiherrn von Wittgenstein zugehörige Friedrichshütte. Mit ihren dunklen Kohlenschuppen und hohen Feueressen schliesst sie am Fusse des waldigen Berges das stille Sassmannshauser Thal mit einem malerischen Bilde ab.
Hier wendet sich das Flussthal, indem es mehr die Richtung des Banfer Baches verfolgt; nur wenige hundert Schritte, und wir sehen, nachdem wir an der Emmaburg, dem auf einer Anhöhe zwischen Ziergärten gelegenen, [10] einfach-schönen Wohnsitze der verstorbenen Prinzessin Emma von Wittgenstein hergegangen sind, das erste Städtchen vor uns, welches die Lahn auf ihrem Laufe berührt,
von den Bewohnern der Umgegend auch Laas genannt.
Der Ort, der ungefähr 1800 Einwohner zählt, breitet
sich in dem etwas weiter gewordenen Lahnthal aus und
zieht sich zum Theil auch in das schluchtähnliche Thal hinein,
aus welchem die Laasphe von Norden her der
Lahn zufliesst. Bemerkenswerthe Gebäude oder historische
Denkmäler finden wir nicht; ein früherer Wittwensitz
der Fürstinnen von Wittgenstein dient jetzt anderen
Zwecken. Die neu erbauten Häuser einer freundlichen
Strasse in der Stadt und einzelne schöne Gebäude vor
derselben sind meistens von Beamten bewohnt; denn sie
ist der Sitz eines preussischen Landgerichts und als
solcher der Wohnort einer Anzahl Honoratiorenfamilien.
Die übrigen Partien derselben tragen mehr den Charakter
eines Dorfes an sich. Von dem unteren Theile
des Thales gesehen bietet indessen Laasphe, wie
es um die Kirche herum an dem steilen, waldbedeckten
Berge liegt, von welchem das imposante Schloss
Wittgenstein herabschaut, einen recht malerischen Anblick.
Auf unserem Wege nach Laasphe haben wir nämlich
den steilen Schlossberg umgangen, und sind nun
auf der östlichen Seite desselben angelangt, von wo auch
der begangenste, wenn auch nicht bequemste Weg hinauffuhrt.
Auf diesem gelangt man im Zickzack über Feld
und dann durch Wald an der romantisch gelegenen
Wohnung des Forstbeamten vorüber zur Höhe hinauf.
Obschon Schloss Wittgenstein 1529 Fuss über der Meeresfläche
liegt, ist dasselbe doch nicht auf dem höchsten
[11] Punkte des Bergrückens erbaut, welcher etwa eine
Stunde weit von den Thälern der Lahn und Laasphe
in paralleler Richtung begrenzt wird. Diese durch zwei
tiefe Thäler veranlasste Isolirung desselben von dem
übrigen Gebirgsland gibt dem Schloss, und mehr noch
der höher gelegenen sogenannten Altenburg eine bedeutende
natürliche Festigkeit. Der Blick, wenn wir oben
vor dem Schlosse angelangt sind, ist nach Osten und
Westen sehr lohnend; hier schauen wir in das tiefe
Sassmannshauser Thal mit seinem Teiche und Hammerwerk
und gegen den gewaltigen Waldberg, welcher es
südlich begrenzt, dort in die zu unsern Füssen sich
hinziehende Schlucht der Laasphe, auf das sich erweiternde
Lahnthal und die kühnen Kuppen der Wittgensteiner
Berge. Das Schloss mit seinen aus verschiedenen
Zeiten stammenden Haupt- und Seitenflügeln breitet sich
in beträchtlichen Dimensionen vor uns aus. Anmuthige
Parkanlagen und freundliche Gärten umgeben dasselbe;
in einer der Beamtenwohnungen, die inmitten derselben
liegen, sind auch Erfrischungen zu haben, so dass man
nach dem steilen Aufsteig sich mit Behagen dem Genusse
dieses romantischen Punktes hingeben kann. Die
Höhe weiter aufwärts geht man durch schöne Wälder,
welche eine geraume Strecke mit Parkanlagen durchzogen
sind, ohne den Typus natürlicher Ursprünglichkeit
einzubüssen, bis zum höchsten Punkte des Bergrückens,
der Altenburg. An diese knüpft die Sage den in Dunkel
gehüllten Ursprung des Hauses Wittgenstein, welches
jetzt in den beiden Linien von Sayn-Wittgenstein-Wittgenstein
und Sayn-Wittgenstein-Berleburg noch fortblüht.
Sie bringt nämlich den Namen Wittgenstein (entstanden
aus Wittekindstein) mit dem berühmten Sachsenherzoge
in Verbindung, welcher hier auf der Höhe
des Bergs sich in den Kämpfen gegen Karl den Grossen
ein festes, von Wällen umgebenes Lager errichtet
habe. Dass wir einen solchen, ursprünglich wohl nur
[12] durch einen Steinwall befestigten Punkt der frühen Vorzeit
vor uns haben, ist gewiss; aber durchaus unzweifelhaft
ist es, dass derselbe in keiner Beziehung zu Wittekind,
dem Herzoge der Sachsen, steht. Vielmehr wird
ein Wittekind, welcher Name in der Stammtafel der
Wittgensteiner öfters wiederkehrt, die nun verschwundene
Stammburg derselben erbaut haben. Nach des Hessischen
Geschichtschreibers Wenck Ansicht sind die
Wittgensteiner, welchen in früherer Zeit auch das an
der Eder gelegene Battenberg gehörte, das später der
Sitz einer Nebenlinie derselben wurde, als ein älterer
Nebenzweig der Gudensberger anzusehen, und der gemeinsame
Ursprung beider in Holinde, einer alten
Burg zwischen Biedenkopf und Wetter zu suchen. Den
Stammvater Boppo von Holinde leitet er von den Giso’s,
den Grafen des Oberlohngaus ab. Der erste Graf von
Wittgenstein, der erwähnt wird, war Werner (1174–
1201); nach ihm kehren die Namen Siegfried, Werner
und Wittekind oft in der Stammtafel wieder. Durch
Adelheid, die Tochter eines Siegfried, des Letzten des
Wittgensteiner Mannsstamms, kam die Grafschaft 1346
an Salentin von Sayn, welcher als der Stammvater des
jetzigen Geschlechts anzusehen ist. Wenn bis dahin die
Grafen von Wittgenstein durch ihre bedeutenden Besitzungen
an der oberen Lahn und Eder – auch Wetter
gehörte ihnen zu – zu ehrenvoller Stellung gelangt
waren, und wir einzelnen von ihnen auf Kreuzzügen in
Palästina und als Deutschmeister in Preussen begegnen,
so hat der unter Kaiser Wenzel mehr und mehr ausbrechende
Faustkampf und der mit ihm verbundene Verfall
des Ritterthums in diesen Gebirgslanden um so eher
Eingang gefunden, je schwieriger es war, den Plünderungen
und Räubereien der hier hausenden Grafen und
Ritter Widerstand entgegen zu setzen. So berichtet die
Limburger Chronik (Ausgabe von Vogel) von Johann III.,
Grafen von Wittgenstein, dass, als Graf Johann von Nassau,
[13] Herr zu Dillenburg, nicht „einheimisch“ gewesen, der
Graf von Wittgenstein sich stellte, und „zoge Graff Johannen
in sein Land und brannte. Und die Ritterschaft
in der Grafschaft Nassau nahmen das Landvolk an sich
und stritten mit den Grafen von Wittgenstein, und behielten
die Nassauischen das Feld und fingen den Grafen
mit seinen Freunden.“ Mit dieser Gefangennehmung
wird der Name einer freien Stelle am Schlossberg, der
sog. Teufelslücke, in Zusammenhang gebracht; hier soll
nämlich Johann seinen Verfolgern sichtbar geworden
sein, und diese Wahrnehmung seinerseits ihm den Ausruf
„die Teufelslücke“ ausgepresst haben. Von Johann
von Dillenburg zwei Jahre lang im Gewahrsam gehalten,
musste er die Grafschaft Wittgenstein von ihm zum
Lehen nehmen und die charakteristische Erklärung abgeben,
dass er und seine Erben auf den Strassen „nit
rauben, nehmen und nehmen lassen sollen, vnnd ensollen
noch enwollen nimmer kirchen, kirchhöfe oder cloester
geschinden, gerauben, gebrennen oder nymantz dazu
heisen.“ Doch wurde der Lehnsverband nicht lange aufrecht
erhalten; in späterer Zeit erhielten die Landgrafen
von Hessen die Lehnshoheit über die Grafschaft.
Unter den Söhnen des Grafen Eberhard erfolgte zu Anfang
des sechszehnten Jahrhunderts die Theilung in die
Linie Sayn-Wittgenstein-Wittgenstein und Wittgenstein-Berleburg.
Im Jahre 1804 wurden die Grafen von Sayn-Wittgenstein-Wittgenstein
in den Reichsfürstenstand erhoben;
1815 wurde das Fürstenthum als Standesherrschaft
dem Königreiche Preussen einverleibt. Dasselbe
umfasst ungefähr vier Quadratmeilen und hat seine eigne
Regierung, deren Sitz sich auf Schloss Wittgenstein befindet.
Unmittelbar unter Laasphe breitet sich das Lahnthal beträchtlich aus; die Strasse führt an dem Dörfchen Niederlaasphe und an einem neu angelegten Eisenwerke, der Amalienhütte, vorüber. Sie gehört den [14] Brüdern Jung, welche der im Siegnischen weitverbreiteten Familie Jung entstammen und welcher auch Stilling angehörte. Die Lage der Hütte unmittelbar unter einem fast die Hälfte der Breite des Thaies einnehmenden Teiche, am Fusse des in eine kühne Spitze sich aufthürmenden Endenbergs ist höchst anmuthig. Auch der Blick thalaufwärts nach Laasphe hin und abwärts in das erweiterte Thal bis Breitenstein und die hinter diesem Orte aufsteigende waldbedeckte Gebirgsreihe ist reizend. Kurz unter der Hütte passirt man die preussisch-hessische Grenze, auf welcher der Lahnspiegel 994 Fuss über der Meeresfläche liegt. Der Fall des Flusses von seiner Quelle bis hierher auf einem Laufe von fünf Stunden beträgt demnach ungefähr 1000 Fuss.
Unweit dieser Stelle zieht sich westwärts ein Thal, der Breitenbacher Grund genannt, nach derselben herab, durch welches der ziemlich beträchtliche Perfbach ihr zuströmt und die neue Chaussee herabführt, die das obere Lahnthal mit der Diezhölz- und Dillgegend verbindet. Auf der zwischen diesem und dem Lahnthal vorgeschobenen mässigen Erhebung liegt Breitenstein, ein kleiner Ort mit ländlichen Gebäuden und gleicher Bevölkerung, der aber die Stadtrechte, welche König Wenzel im Jahre 1398 einer hier anzulegenden Ortschaft ertheilt hat, nicht aufgegeben hat, und demgemäss mit seinen etwa 400 Seelen den anspruchsvollen Namen einer Stadt führt, der kleinsten freilich nicht nur im ganzen Lahnthal, sondern auch in weiterem Umkreis. Er ist der Stammsitz der Herren von Breitenbach, welche ihren Namen von einem oberhalb im Thal gelegenen grossen Dorfe führen, und der Herren von Breitenstein, deren beiderseitige Landsitze sich noch daselbst befinden. Die Mauern der alten Burg, welche den äussersten Vorsprung der Anhöhe krönten, sind in der Mitte des vorigen Jahrhunderts bei Gelegenheit eines Neubaus grösstentheils abgelegt worden. In dem Breitenbacher [15] Grunde und dem umliegenden Gebirgsland, einer trotz der Chaussee noch ziemlich vom Verkehre abgelegenen Gegend, begegnen wir noch einer originellen Volkstracht. Die Mädchen, „Hessenkätzchen“ in der Nachbarschaft genannt, tragen rothe Mützen mit breitem Boden, unter denen die blonden oder braunen Zöpfe frei niederhängen, gestrickte Wämschen, dichtgefaltete Röcke von schwarzer Farbe, gegen welche die rothen Strumpfbänder lebhaft abstechen, und Schuhe mit hohen Absätzen. Wenn sie in diesem Sonntagsschmuck in die benachbarten Städtchen oder zu Märkten herabsteigen, mit unermüdlicher Emsigkeit auf ihrer Wanderung die Stricknadeln handhabend, während sie den Korb auf dem Kopfe sicher balanciren, sind sie eine Erscheinung, die noch frühere Volkssitte und frische Eigenthümlichkeit lebhaft repräsentiert. – Breitenstein gegenüber liegt das Dorf Wallau, durch dessen bunte Häuserreihe die Strasse nach Biedenkopf führt. Weiter abwärts schaut links aus einem Seitenthälchen das Gut Bellinghausen zwischen den Bäumen hervor. Dann erscheint, anmuthig im grünen Thale gelegen, das dritte Eisenwerk, welchem wir an der Lahn begegnen, die ansehnliche Ludwigshütte, eine von den Eisenhütten und Schmelzöfen, von denen schon die Antiquarius des Lahnstroms anführt, dass auf ihnen das beste Eisen bereitet und auch grobes Geschütz gegossen werde. Nun zeigt sich vor uns auf der linken Seite des Thals auf der Höhe eines steilen waldbewachsenen Bergkegels eine alter viereckiger Thurm und anderes mit Dächern versehenes Mauerwerk; es ist die Burg von
zu dessen ersten Häusern wir zwischen Gärten, welche
sich den Berg hinan und in das Thal ziehen, nach einer
[16] Stunde von Wallau aus gelangen. Die Stadt Biedenkopf ist der Sitz eines Kreisrathes und eines Landgerichts und zählt gegen 4000 Einwohner, welche eine lebhafte Gewerbthätigkeit in ansehnlichen Gerbereien und Webereien entfalten; auch wird das hier gebraute gute Bier in die ganze Umgegend verführt. Die Stadt, die sich von der Südseite des Schlossbergs in das Thal herabzieht, hat besonders um den geräumigen Marktplatz freundliche Gebäude; weiter aufwärts liegt die beachtenswerthe alte Kirche. Von der Geschichte der Stadt ist wenig zu berichten. Der Antiquarius erzählt: „Anfänglich soll diese Stadt gegen Mitternacht gelegen haben, wie denn derselbige Platz noch heut zu Tage die alte Stadt genannt wird, und sollen damals an diesem Orte sechs adelige Häuser gestanden haben, bei welchen die Einwohner der beiden Dörfer Dreckershausen und Gonzenhausen nach und nach ihre Häuser gebaut, und dieweilen um solche herum viele Kuppen und Hügel in grosser Menge liegen, so soll sie nach der damaligen Sprache „by den Köppen“ sein genannt worden, wovon ihr hernach der Name Biedenkopf erwachsen.“ Die Verlegung der Stadt an die Südseite des Berges soll zu Anfang des vierzehnten Jahrhunderts stattgefunden haben und wird dem Landgrafen Otto von Hessen zugeschrieben. Dieses Land ist nämlich schon 1250 im Besitz der Burg und des Ortes gewesen. Die fernere Geschichte der Stadt ist ein steter Wechsel von Verpfändung und Wiedereinlösung, bis sie im Jahre 1565 an Hessen kam und seitdem beständig bei ihm verblieb. Bei der hessischen Theilung kam Biedenkopf an die Marburger Linie und nach deren Aussterben fiel es Hessen-Darmstadt zu. Von den Schrecken des dreissigjärigen Kriegs, von denen so viele Lahnstädte heimgesucht wurden, ist auch Biedenkopf nicht verschont geblieben. Im Jahre 1647 liess Graf Melander von Holzappel die Stadt anzünden, und ein grosser Theil derselben wurde ein Raub der Flammen.
[17] Das Schloss, zum Theil restaurirt, dient jetzt zu herrschaftlichen Speichern, und bietet nichts Bemerkenswerthes dar. Uebrigens hat man von der Höhe des Schlossbergs, der zum Theil mit schönen Anlagen versehen ist, thalauf- und abwärts eine wenn auch beschränkte, so doch recht freundliche Aussicht. Von Norden blickt noch einmal zwischen den hohen Waldbergen Schloss Wittgenstein herüber. Biedenkopf selber präsentirt sich am vortheilhaftesten, wenn man auf der Strasse nach Eckelshausen weiter wandernd einen Rüblick auf dasselbe thut. Hier zeigt sich die Stadt hinter grünen Wiesen und Gärten malerisch an den Berg gelehnt; über ihr auf steiler Höhe der altersgraue Thurm des Schlosses und dessen übrige Gebäude, daneben schöne Waldpartien und ringsum die kühn aufsteigenden Berge, welche die Gegend der oberen Lahn charakterisiren – ein Bild, dem es an landschaftlichen Reizen keineswegs fehlt. Hinter Eckelshausen führt die Chaussee zwischen den Dörfern Kombach und Wolfgruben hin, den Fluss immer zur Rechten lassend, eine grosse Strecke schnurstrack durch das Thal; unterhalb des letzteren Ortes erheben sich am jenseitigen Thalrande die Dächer und Essen der Wilhelmshütte; etwas entfernter, in freundlicher Lage auf einer Anhöhe erscheint das Dorf Dautphe, in dessen Nähe, bei Friedensdorf, sich der Bach gleichen Namens in die Lahn ergiesst. Dann macht die Strasse an einer vorspringenden Anhöhe eine scharfe Biegung nach links, und nun sehen wir, nachdem wir zwei Stunden von Biedenkopf gewandert sind, das Dorf Buchenau vor uns, da wo von der andern Seite ein waldiger Vorsprung das Thal einengt, und dem an die weite Fläche gewöhnten Auge mit seinen Baumgruppen eine anmuthige Abwechselung bietet. Auch wird dieser Punkt durch ein etwas oberhalb gelegenes Eisenwerk, die Karlshütte, angenehm belebt. In Buchenau findet der Beobachter der Volkstrachten die Kleidung der Frauen
[18] bedeutend verändert; statt der bunten Farben, in welche die weibliche Bevölkerung des Breitenbacher Grundes sich kleidet, sieht man hier an der Kopfbedeckung mit breiten Bändern, und an Mieder und Röcken das ernste Schwarz, welches übrigens den stattlichen Gestalten sehr wohl zu Gesichte steht. Auch eine andere neue Erscheinung überrascht uns hier; hier beginnt nämlich das gesegnete Territorium, wo die Gänse gedeihen, die, in grossen Herden auf die gemähten Wiesen und Stoppelfelder ausgetrieben, oft schon lange, ehe sie uns sichtbar geworden, durch ihr Geschrei ihre erfreuliche Nähe verkündigen. In der That haben die fetten Lahngänse, welche überall vorkommen, wo der Fluss durch weite, von Feldern begrenzte Thalflächen fliesst, nicht umsonst eine ziemliche Berühmtheit erlangt, wenn sie auch nicht wagen dürfen, sich mit den pommerschen zu vergleichen. Unterhalb Buchenau sieht man jenseits am Fusse einer waldigen Berggruppe freundlich gelegen Elmshausen, ihm schräg gegenüber, etwas abseits von der Strasse, Brungershausen, ersteres noch zu Hessen-Darmstadt, letzteres zu Kurhessen gehörig; denn nun treten wir auf unserer Wanderung zum zweitenmale in ein anderes Landesgebiet ein. Und gerade hier ändert sich auch merklich der Charakter der Gegend. Bis hierher haben hohe, in eine scharfe Spitze ausgehende oder wie Maulwurfshügel abgerundete Bergkegel zwar nicht mehr von der gleichen Höhe, wie wir sie in Wittgenstein gefunden, das Thal eingeschlossen; nun beginnen die Berge mehr zurückzutreten und sich in weiten gesenkten Ebenen, welche von Fruchtfeldern bedeckt sind, zu dem breiten Flussthale abzuflachen, durch welches die mit Vogelsbeerbäumen besetzte Chaussee sich stundenlang geradlinig und ermüdend hinzieht. Mit der wachsenden Fruchtbarkeit der Gegend ist ihr landschaftlicher Reiz ziemlich verschwunden. Nur das Dorf Caldern, jenseits des Flusses an einem Bergabhang gelegen, bietet
[19] mit seiner alten Kirche und anderem ruinenartigen Mauerwerk einen schönen Anblick, und ausserdem in geschichtlicher Beziehung einiges Interesse; denn hier stand früher ein Cisterziensernonnenkloster, welchem Landgraf Heinrich II. von Hessen im Jahre 1370 bedeutende Schenkungen machte, und dessen Reichthum nach der Reformation der Universität Marburg zu Gute kam. – Nun erblicken wir bald vor uns, aus seinen Obstbäumen hervorschauend, das Dorf Sterzhausen, von wo aus die Chaussee abermals in gerader Richtung, den Fluss und die Ortschaften Gossfelden und Sarnau zur Linken lassend, durch das weite Thal nach Göttingen führt. In der Nähe dieses Dorfes nimmt die Lahn die beträchtliche, von Norden her ihr zufliessende Wettschaft auf, in deren Thal, eine gute Stunde aufwärts, das kurhessische Städtchen Wetter liegt. Der Freund mittelalterlicher Architektur findet an der dortigen Kirche ein interessantes Bauwerk, in welchem der Charakter der sog. Hessischen Bauschule hervortritt. Obgleich dieselbe zum Theil sehr primitive Formen enthält, theilt sie doch mit einer Reihe von Kirchen in Hessen, wie in Frankenberg, Grünberg, Alsfeld, Friedberg eine gewisse Familienähnlichkeit, welche sich besonders in der Anlage der gleichhohen Schiffe offenbart, und deren Vorbild wir in der Elisabethenkirche zu Marburg erblicken. Unverkennbar hat die Bauhütte dieser Kirche jenen bestimmenden Einfluss auf das Nachbarland ausgeübt. Die Kirche zu Wetter zeichnet sich ausserdem durch einen beträchtlich hohen Thurm aus. Unterhalb Göttingen macht die Lahn, der Richtung der Wettschaft folgend, eine bedeutende Krümmung nach Süden, indem sich zugleich das Thal bedeutend verengert, und hier, eine halbe Stunde von der Mündung dieses Baches entfernt, wird dieselbe abermals durch einen Zufluss verstärkt, und zwar durch den ersten Fluss, nämlich die Ohm, welche, südostwärts vom Vogelsberge kommend, ihr eine
[20] fast gleichgrosse Wassermasse zuführt, wie sie selber besitzt. Aus der engen Mündung des Ohmthales, das sich übrigens eine kurze Strecke aufwärts bedeutend erweitert, tritt auch die Mainweserbahn in das Lahnthal, und führt an dem Dorfe Kölbe vorüber durch einen kleinen Tunnel, das schöngelegene Dorf Wehrda zur Rechten lassend, nach Marburg, indem sie die Chaussee, die wir kommen, und mit der sich die alte Kasseler Strasse vereinigt hat, mehreremale durchschneidet. Nach einer Wanderung von etwa zwölf Stunden durch eine wenig belebte Gegend sind wir an einer grossen, Nord- und Süddeutschland verbindenden Verkehrsstrasse angelangt, auf welcher gewaltige Güterzüge auf und abwärts gehen, und auch ein beträchtlicher Personenverkehr stattfindet. Auch wir können dieselbe von Kölbe oder Marburg aus aufwärts bis zum Städtchen Kirchhain (2000 Einwohner, Schlacht 1762) benutzen, wenn wir dem interessanten, vier Wegstunden von Marburg entfernten Amöneburg einen Besuch abstatten wollen. Dies Städtchen ist auf einem hohen Basaltkegel erbaut, von welchem man weit in die Lande schaut. Schon um dieser Aussicht willen, mehr aber noch wegen seiner geschichtlichen Bedeutung ist dasselbe besuchenswerth. In Amöneburg (Amonaburg, Ohmburg) war nämlich früher die Malstätte für den ganzen Oberlohngau, und deshalb gewiss in noch früherer Zeit ein Heiligthum der alten Chatten. Auch spricht hierfür der Umstand, dass Bonifacius an diesem Orte ein Kloster, und zwar sein erstes, gegründet hat. Angeblich soll auch die dortige alte Kirche von ihm erbaut worden sein. Später errichteten die Erzbischöfe von Mainz hier eine Burg und versahen den Ort mit Thürmen und Mauern, um durch diesen festen Punkt den Besitz der ganzen Umgegend zu sichern. So blieb Amöneburg bis zum dreizehnten Jahrhundert der wichtigste Ort des oberen Lahngebiets, um dessen Besitz selbst noch in späteren Tagen zwischen
[21] Kurmainz und Hessen wiederholt gestritten wurde. Als jedoch seit jener Zeit Marburg immer mehr emporblühte, verlor es in gleichem Masse von seiner früheren Bedeutung. Jetzt ist das Städtchen ziemlich arm und zählt 1200 Einwohner.
Doch kehren wir von dieser Excursion zum Lahnthal zurück. Wer es nicht vorzieht, die sechs Wegstunden von Biedenkopf bis Marburg zu Wagen zurückzulegen, der thut wohl, eine Strecke unterhalb Sterzhausen die Chaussee zu verlassen, und die alte Strasse von Wetter nach Marburg einzuschlagen. Denn auf dieser gelangt er mehr als eine Stunde früher an sein Ziel, als wenn er den Weg über Göttingen und Kölbe die grosse Thalkrümmung entlang einschlüge, in welcher die Lahn ihre bisherige Richtung von Osten nach Westen plötzlich ändert, um von hier nach Giessen gerade südwärts zu fliessen. Zudem entgeht ihm, wenn er auf den Anblick der Einmündung der Ohm in die Lahn verzichtet, nicht nur nichts von Bedeutung, sondern er wird noch auf der Anhöhe, über welche sich die Strasse zieht, durch einen schönen Rundblick über diese Strecke des Flussthals belohnt. Der Weg führt zuerst quer durch das Thal über die Lahn nach Gossfelden, einem freundlich an der Anhöhe gelegenen, obstbaumumgebenen Dorfe, wo der deutsche Orden von der Tochter der heiligen Elisabeth, Gertrudis von Altenberg, die ersten Güter in dieser Gegend kaufte, welche später durch die Besitzungen eines Heinrich von Gossfelden vermehrt wurden. Dann ersteigt man die Anhöhe, auf welcher, wie der Anwohner erzählt, seitswärts vom Wege auf einem weissen Sandsteinfelsen an der Krümmung der Lahn eine alte Raubburg, der Weissenstein, gestanden hat. Der tief einschneidende Hohlweg und die gewaltigen Pflastersteine, die an einzelnen Stellen noch vorhanden sind, lassen vermuthen, dass die Raubritter keine ungünstige Stelle für ihr Handwerk gewählt hatten; denn hier lief [22] schon frühe ein bedeutender Verbindungsweg her, welcher vom Main- und Lahnland nach Westphalen und Norddeutschland führte. Der Sage nach wurde das Raubnest von den geplagten Bauern der Umgegend durch eine List genommen und zerstört. Da sie wussten, dass der Schwerttanz ein Lieblingsschauspiel des Herrn von Weissenfels war, baten sie um Erlaubniss, einen solchen auf dem Burghof aufführen zu dürfen. Willig aufgenommen bemächtigten sie sich ihres Bedrängers, erschlugen ihn und machten die Burg dem Boden gleich. Ein goldenes Rad, das die Burgfrau in die Lahn geworfen, taucht alle sieben Jahre aus dem Grund derselben auf und tanzt eine Zeit lang auf dem Wasser. Auch knüpft sich an den Weissenstein und den naheliegenden Rimberg eine jener Sagen von Riesen, von welchen J. Grimm aus dieser Gegend berichtet. Hier wohnten nämlich zwei Riesen, welche einen gemeinschaftlichen Backofen hatten. Ein Steinwurf des einen zu der Burg des andern war das Zeichen, dass er backen wolle. Nun traf es sich einmal, dass sie gleichzeitig das Bedürfniss dazu hatten; die Steine stiessen in der Luft zusammen und fielen nieder; die zwei Felsstücke liegen noch heute auf dem Felde bei Michelbach, und auf jedem derselben ist eine Riesenhand eingedrückt.
Auf der Anhöhe oberhalb Gossfelden hat man, wie erwähnt, einen freien Blick rückwärts nach dem Hügellande von Wetter, zur Linken auf die grosse, fruchtbare Thalkrümmung mit dem Dorfe Kölbe, und vor sich das Lahnthal hinab, das hier wieder von steilen Bergen enger eingeschlossen wird. Zu Füssen liegt zwischen Obstbäumen das Dorf Wehrda, durch Erinnerungen an die heilige Elisabeth geweiht; denn hier hatte sich dieselbe zuerst eine Zelle erbaut und ihre Tage mit Bussübungen zugebracht. Weiter abwärts tritt auf der rechten Seite des Thals ein Berg hervor, dessen Gipfel von einem stolzen Schlosse gekrönt ist, und am Fusse desselben [23] steigen zwei Thürme kühn empor, deren edle Formen sieh schon von Weitem kenntlich machen; es ist die Stadt Marburg, zu der wir zwischen Obstwäldern gehend, zur Rechten die steilen Anhöhen, zur Linken die Lahn, welche durch die Ohm verstärkt und durch Wehre gedämmt, in ansehnlicher Breite still und klar dahinfliesst, von Wehrda aus in einer halben Stunde gelangen.
Die Lage der Stadt Marburg ist überaus pittoresk. Von der Lahn in einem weiten Bogen umflossen, zieht sie sich fast bis zum Gipfel des steilen Schlossbergs, den sie in einem Halbkreis umgibt, hinauf, während ihre Vorstadt Weidenhausen sich in dem Thale ausbreitet. Die zwischen dem Gewirre der Giebel und blauen Schieferdächer hier und dort hervorblickenden, in Terrassen angelegten Gärten gliedern mit ihren grünen Bäumen die Häusermasse zu einzelnen Gruppen; über dem Ganzen steigt auf dem Gipfel des Berges unregelmässig, aber stattlich und kühn das Schloss empor, von dem man nicht mit Unrecht gesagt hat, dass es wie eine Krone über der Stadt ruhe. Obgleich hier und da auch moderne Gebäude zum Vorschein kommen, so vermögen sie doch nicht, den Charakter der Alterthümlichkeit, welchen die Stadt an sich trägt, zu verwischen. Diese Lage aber, welche Marburg so malerisch erscheinen lässt, hat für das Innere all’ das Unbequeme des Verkehrs herbeigeführt, welches den Bergstädten eigen ist. Viele der steilen Strassen und Gässchen sind gar nicht, und selbst die Hauptstrassen schwer mit Fuhrwerk zu passiren; lange Treppen verbinden die oberen und unteren Theile der Stadt, oft in so steilem Abfall, dass in den um den Berg laufenden Gassen die Häuser
[24] Ausgänge aus dem ersten und dritten Stockwerke haben. Die Hauptstrassen der Stadt sind die Barfüsser-, Wetter- und Untergasse, der Steinweg und die Ketzerbach. Letztere soll ihren Namen davon erhalten haben, dass der berüchtigte Ketzerverfolger Konrad von Marburg die Asche seiner Opfer in den sie durchfliessenden Bach gestreut habe. Der ziemlich auf der Mitte des Schlossbergs gelegene, etwas abschüssige Marktplatz ist zwar klein, aber wegen der Alterthümlichkeit der ihn umgebenden Häuser, vornehmlich des Rathhauses, interessant. Die Verbindung der Stadt mit dem jenseitigen Flussufer wird durch zwei Brücken hergestellt.
Marburg ist kurfürstlich hessische Provinzialhaupt- und Kreisstadt und als solche der Sitz verschiedener Behörden. Ihre grösste Bedeutung erhält sie jedoch durch die im Jahre 1525 gegründete Universität, welche in gegenwärtiger Zeit von 200–300 Studirenden besucht wird. Eine andere höhere Bildungsanstalt, welche sie besitzt, ist das Gymnasium. Die Haupterwerbsquelle für die 9100 Einwohner ist die Universität; ausserdem sind einzelne Industriezweige, wie ihre Gerbereien und Töpfereien, welche das weit und breit bekannte Marburger Geschirr liefern, in bedeutendem Flore.
Das Interesse, welches Marburg als Musensitz gewährt, wird wesentlich erhöht durch die Kunstdenkmale und Bauten von historischer Bedeutung, welche wir dort antreffen. Von ihnen lohnt allein schon reichlich den Besuch der Stadt die über alle Beschreibung herrliche Elisabethenkirche, dieses nach Vilmars Ausdruck „zum grossartigen Bauwerke verkörperte Trumphlied der Gottesminne, welches in seiner Majestät und in seiner Lieblichkeit von den Wundern jener wunderreichen Zeit erzählt, und aus der kunstreichen Harmonie seiner Säulen und Bogen die süssen Harmonien der Lieder vernehmen lässt, die damals sind gesungen worden in irdischer Freude und irdischer Sehnsucht, wie in Freude [25] an Gott und in Sehnsucht zum Himmel.“ Unstreitig ist die Elisabethenkirche nicht nur das bedeutendste und schönste Kunstdenkmal des ganzen Lahnthals, sondern auch ein so edles Monument des primitiven gothischen Baustyls, wie kein zweites in Deutschland gefunden wird. In ihr sehen wir Einfachheit und Erhabenheit, Kühnheit des Entwurfs und Anmuth der Formen, Sicherheit des Massenhaften und Leichtigkeit des Aufstrebens in schönstem Einklang, und dabei tritt durchweg eine solche Reinheit des Styls hervor, dass die Harmonie, welche über den ganzen Bau gegossen ist, durch nichts gestört wird. Ihren harmonischen Formen liegt übrigens ein streng eingehaltenes Zahlenverhältniss zu Grunde; denn alle Dimensionen des Baus können auf den Pfeilerabstand oder die Breite des Seitenschiffs (18′) als Einheit zurückgeführt werden. Diese Einheit findet sich verdoppelt als Breite des Mittelschiffs und Höhe des Hauptportals (36′), vierfach als lichte Breite des Langhauses und innere Gewölbhöhe (72′), achtfach als Länge des Kreuzschiffs mit den Strebepfeilern, mithin als grösste Breite der Kirche (144′), sechsfach als Giebelhöhe (108′); endlich zwölffach als innere Länge mit Inbegriff des Portals (216′), dreizehnfach als äussere Gesammtlänge (234′) und fünfzehnfach als Thurmhöhe (270′). Obgleich schon im Jahre 1235, unmittelbar nach der Heiligsprechung der Landgräfin Elisabeth, der Baumeister, dessen Name nicht auf die Nachwelt gekommen ist, den Grundstein zum Chore gelegt hat, wurde die Kirche doch erst 1283 vollendet; die Zeit ihres Aufbaus fällt also theilweise mit der des Beginns des Kölner Doms zusammen. Dessenungeachtet hat sie einen weit primitiveren Charakter als dieser, dagegen weicht sie von der Bauweise der früheren Kirchen bedeutend ab. Die drei Schiffe ihres Langhauses sind von gleicher Höhe; das stark hervortretende Querschiff schliesst wie der Chor mit polygonenförmigen, durch fünf Seiten des Zehnecks [26] gebildete Nischen. „Sie ist also eine Hallenkirche, die erste des gothischen Styls, verbunden mit einer Choranlage kleeblattartiger Form.“ Die Fenster in ganzer Höhe aufzuführen, scheint man noch nicht gewagt zu haben; sie ziehen sich daher mässig gross und zweitheilig, mit einem einfachen Kreise über den inneren Bögen verziert, über einander um das ganze Gebäude herum und rufen von Aussen den Schein einer zweistöckigen Anlage hervor. Frei aufstrebende Fialen und kühne Strebebogen sind durch seine Anlage als Hallenkirche von seinem Schmucke ausgeschlossen, dagegen steigen starke Strebepfeiler ununterbrochen vom Boden bis zum Dache auf. Die Façade trägt den Charakter einfacher Würde; das Portal ist nur mit schlanken Säulchen, mit Archivolten, welche noch nach dem Geschmacke romanischer Bauweise abwechselnd nackt und mit Blätterreihen verziert sind, und mit einem Rankengewinde im Bogenfelde einfach, aber anmuthig geschmückt. Darüber bildet ein breiteres Fenster mit reichem Masswerke die einzige Ausstattung der Wand unter dem Giebel des Mittelschiffs. In eben so einfachen Formen steigen die blos durch schlanke Spitzfenster verzierten Thürme empor; ihre kräftigen Strebepfeiler laufen an der Gallerie in zierliche Fialen aus. Dort beginnt der achteckige Helm, welcher mit einer zweiten Gallerie versehen und beim einen Thurme mit einem Reiter, beim andern mit einem Sterne gekrönt ist. „Die ganze Façade ist also höchst anspruchslos und einfach, macht aber durch ihre klaren und regelmässigen Verhältnisse einen bedeutenden, würdigen und ernsten Eindruck, und zeigt das Vertikalprinzip in einer Klarheit und Reinheit, wie kaum irgend ein anderes Gebäude.“ Bedeutend gesteigert wird der Eindruck, den wir im Anschauen der schönen Kirche empfangen, wenn ihre „ehernen Zungen“ sich rühren, und von ihren Thürmen herab das Geläute ihrer sieben Glocken mächtig und voll in der reinsten Harmonie ertönt. [27] Auch wenn wir durch das Portal in das Innere eintreten, empfängt uns dieselbe Würde und einfache Erhabenheit des höchst übersichtlichen Bauwerks. Sechs schlanke Pfeiler auf jeder Seite tragen das Gewölbe dieser herrlichen Hallenkirche, und steigen mit vier Halbsäulen ohne Schaftring empor; schmale Kapitälgesimse mit freiem, sich ablösenden Blattwerk schliessen sie ab. Die Kreuzgurte der Gewölbe haben schon nach gothischer Weise ein birnförmiges Profil. Ein kunstreich gearbeiteter, mit Statuetten von Heiligen versehener Lettner trennt Chor und Centralstelle von den Schiffen des Langhauses und den Querschiffen. Von den Fenstern des Chors leuchtet durch die alten Glasmalereien jenes magische Licht in diesen Theil des Baus herab, das den gothischen Kirchen den eigenthümlichen Zauber des Helldunkels und der Weltabgeschiedenheit verleiht; das Hauptschiff erscheint in hellerem Lichte, da die zerstörten Fenster des Langhauses mit weissen Scheiben versehen worden sind, während noch vorhandene Bruchstücke der alten verwendet wurden, um die Fenster des Chores auszufüllen. Der prachtvolle, aus Sandstein gearbeite Hauptaltar im Chore stammt aus dem Jahre 1290. Er ist mit Standbildern der h. Elisabeth, der h. Barbara und Katharina, der Jungfrau Maria und zweier Engel, des Petrus, Johannes und Franziskus verziert. Im Chore befinden sich auch die Chorstühle der Ritter des deutschen Ordens, welchen dieser Raum vorbehalten war, und unter deren Grabmälern sich das des Grafen August von der Lippe auszeichnet. Der gleichfalls hier befindliche Bischofssitz hat schöne Holzschnitzarbeit, unter andern das Bild der heiligen Elisabeth, die Kirche in der Hand haltend. Das nördliche Querschiff, der sogenannte Elisabethenchor, enthält drei mit Schnitzwerk und werthvollen Gemälden versehene Altäre und die Grabkapelle der Heiligen, welche, älter als die Kirche, noch den romanischen Typus an sich trägt. Die sie verzierenden [28] Reliefarbeiten stellen den Empfang Elisabeths im Himmel durch Christus und die Heiligen dar. Ihr Sarg ist in die Sakristei der Kirche gebracht worden. Er ist von Silber und vergoldet, mit Silberfiguren und Schildereien, Perlen und Edelsteinen reich geschmückt; doch haben die Franzosen die kostbarsten der letzteren ausgebrochen. Achtzehn Jahre nach ihrem Tode soll die Heilige darin bestattet worden sein, und er demnach aus der zweiten Hälfte des dreizehnten Jahrhunderts stammen; doch hält ihn der Kunsthistoriker Schnaase für ein Product des vierzehnten Jahrhunderts. Die Gebeine der Heiligen ruhen übrigens nicht mehr in demselben; Philipp der Grossmüthige hat sie, um den Wallfahrten zu steuern, herausnehmen und anderwärts bestatten lassen, und bei dieser Gelegenheit auch die Krone und den goldenen Becher, in welchem später der Kopf der Heiligen aufbewahrt wurde, auf das Schloss gebracht. Auch der Sarg war mehreremale anderwärts; bei den Unruhen des Schmalkaldischen Krieges in Ziegenhain, und unter der französischen Herrschaft von 1810–14 in Kassel. Das südliche Querschiff der Kirche enthält zwei Altäre mit vergoldeten Schnitzarbeiten und Gemälden; ausserdem ist es die Grabstätte einer Anzahl alter Landgrafen von Hessen und Thüringen. Der Grabstein Konrads, des Erbauers der Kirche († 1243), zeichnet sich durch eine Gewandbehandlung aus, in der mit Meisterschaft durchgeführt ist, durch breite geradlinige Falten dem Ganzen den entsprechenden Ausdruck der Ruhe und des Ernstes zu geben. Ein anderes Grabmonument, wahrscheinlich das des Landgrafen Heinrich des Eisernen und seiner Gemahlin, aus dem Jahre 1376 stammend, spricht vornehmlich durch die jugendlichen, lieblichen Züge, besonders der Frauengestalt, die ein rührendes Bild von Demuth und Milde geben, und durch die ruhigen Falten der Gewandung an. Auf dem Grabmal Wilhelms III. ist der Verstorbene einmal in voller Rüstung, darunter [29] aber als halbverwester, vom Gewürme zerfressener Leichnam in abschreckender Weise dargestellt. Ein im Jahre 1847 gefallener Wolkenbruch, der im Inneren der tiefgelegenen Kirche starke Verwüstungen anrichtete, ist der Anlass der Renovation geworden, die von Herrn Professor Lange geleitet wird und jetzt beinahe vollendet ist. Nur an dem Thurme auf der Kreuzung des Quer- und Langhauses wird noch gearbeitet.
Auch die lutherische Kirche würde in einer andern Stadt eine stattliche Metropolitane abgeben, in Marburg aber wird sie durch die Elisabethenkirche zu sehr in Schatten gestellt. Sie liegt ziemlich hoch auf der entgegengesetzten Seite des Schlossberges und ist auf einer in denselben eingehauenen Terrasse erbaut. Auch sie ist unter dem Einfluss der bei jener herangebildeten Bauhütte im dreizehnten Jahrhundert begonnen, aber erst im fünfzehnten vollendet worden; eine Hallenkirche, in deren Innerem sich übrigens ausser den grossen, mit Standbildern versehenen Grabmälern der Landgrafen Ludwig IV. († 1604) und Ludwig V. († 1626) nebst ihren Gemahlinnen nichts besonders Merkwürdiges vorfindet. Ihr Thurm, dessen Spitze scheinbar schief ist, trägt vier grosse Glocken, deren eine aus dem vierzehnten Jahrhundert (1362) stammt. Auch die kleine, aber zierliche Kugelkirche ist im gothischen Style erbaut und im Jahre 1482 eingeweiht worden. Sie hat ihren Namen von den Kugelherren, denen sie früher angehörte, und ist seit 1828 den Katholiken zum Gottesdienste übergeben. Die Kirche des ehemaligen Dominikanerklosters am Fusse des Bergs, dicht über der Lahn, ist im Jahre 1658 vom Landgrafen Wilhelm VI. den Reformirten überlassen worden. In den übrigen Klostergebäuden befindet sich das Gymnasium und die Aula der Universität. Letztere schmücken zwei Bildnisse des Gründers der Hochschule, Philipps des Grossmüthigen, das eine in Holz geschnitten, das andere in Oel gemalt, sowie [30] diejenigen mehrerer anderer Landgrafen von Hessen, und ausserdem die Portraits von über fünfzig Professoren. Unter vielen berühmten Namen begegnen wir auch dem des in neueren Zeiten erst zu Ehren gekommenen Erfinders der Dampfmaschine, Dionysius Papin.
An die Kirchen der Stadt schliesst sich ihr Rathhaus würdig an. Es ist zu Anfang des sechzehnten Jahrhunderts erbaut, und imponirt ebenso sehr durch seinen aufstrebenden Bau, welchen die hohe Lage vom Thale aus noch bedeutender erscheinen lässt, wie durch seine Alterthümlichkeit. Ausserdem ist noch das im westlichen Theile der Stadt gelegene kurfürstliche Palais, und in dessen Nähe das Bibliotheksgebäude zu erwähnen, bei dessen Errichtung auch Räume des früheren Barfüsserklosters verwendet worden sind. Die Bibliothek zählt über 113,000 Bände und besitzt schöne Incunabeln. Höher am Schlossberge gelegen, in südöstlicher Richtung unter dem Schlosse erhebt sich das vom Landgrafen Ludwig IV. erbaute, stattliche Kanzleigebäude, das jetzt der Regierung eingeräumt ist. Dicht an der Elisabethenkirche liegt das sog. deutsche Haus, die Komthureigebäude des deutschen Ordens, der für die hessischen Länder in Marburg seinen Mittelpunkt hatte. Ausser diesen Bauten älteren Ursprungs besitzt die Stadt noch mehrere ansehnliche modernen Charakters; unter ihnen ist vor allen die in der Ketzerbach gelegene, in edlem Style aufgeführte Anatomie zu erwähnen. In der in ihr befindlichen Sammlung anatomischer Präparate ist besonders das Skelett eines acht Fuss grossen Riesen zu bemerken. Auch die Sternwarte, auf der Mitte des Schlossbergs nach Norden zu erbaut, ist neu, und gewährt mit ihrem Thurme und der breiten Fronte einen sehr freundlichen Anblick. In ihren Räumen befindet sich auch das sehenswerthe physikalische Kabinet der Universität. Und wenn wir nun noch das Landkrankenhaus im Thale, der Sage nach an der Stelle erbaut, wo das Hospital der [31] heiligen Elisabeth gestanden hat, das zugleich die Universitätsklinik enthält, und den in der Nähe gelegenen, geschmackvoll angelegten botanischen Garten erwähnt haben, sind wohl die bedeutendsten Sehenswürdigkeiten der Stadt aufgeführt, und wir können nun noch wenige Worte der Betrachtung des Schlosses widmen. Der Aufsteig von der Stadt hinauf ist steil; oben angekommen, nimmt uns zuerst ein ziemlich geräumiger Hof auf, der von Gebäuden modernen Styls eingefasst ist. Die mächtig aufstrebenden Mauern der Hauptgebäude begrenzen denselben nur nach Westen zu. Sie gehören verschiedenen Zeitaltern an und bilden ein ziemlich unregelmässiges Ganze. Als den architektonisch bedeutendsten Theil kündigt sich auch von Aussen der in gothischen Formen vom Jahre 1288–1312 erbaute nördliche Flügel an. Durch den engen, brunnenartigen inneren Schlosshof gelangt man in denselben. In dem in edlem Style erbauten grossen Rittersaal von 116′ Länge und 49′ Breite, dessen doppelte Kreuzgewölbe von 8 vierkantigen Säulen getragen werden, und dem zehn Doppelfenster sein Licht geben, fand das berühmte Colloquium zwischen Luther und Zwingli unter dem Vorsitze Philipps des Grossmüthigen vom 1. bis 4. October 1529 statt (nach Anderen in der Schlosskapelle), in welchem die Vereinigung der Reformatoren an Luthers auf die Tafel geschriebenem Worte: „Hoc est corpus meum“ scheiterte. Würdig hergestellt würde dieser jetzt verwahrloste herrliche Raum eine wahre Zierde mittelalterlicher Bauweise sein. Uebrigens steht, wie man vernimmt, eine Restauration desselben in Aussicht. Auch die in gothischem Style erbaute zierliche Kapelle, welche den südlichen Flügel des Schlosses nach Osten zu abschliesst, und in der Luther und Zwingli gepredigt haben sollen, ist in Unstand gerathen und verdiente wohl eine Renovation. Die meisten der übrigen Räume des Schlosses, des Sitzes der früheren Landgrafen von Hessen, die [32] abwechselnd hier und in Kassel residirten, der Geburtsstätte Philipps des Grossmüthigen, dienen jetzt zum Zuchthause und Untersuchungsgefängnisse, in welchem auch Sylvester Jordan von 1839–45 in Haft gesessen hat. Erfreulicher als auf die vergitterten Fenster, aus denen uns bleiche und finstere Gesichter entgegen schauen, ist der Blick, den man von verschiedenen Punkten thalauf- und abwärts thut. Die Stadt mit ihren ehrwürdigen Kirchen zu unsern Füssen, das freundliche Thal, das man namentlich nach Süden hin weit geöffnet vor sich sieht, die steilen, zum Theil waldgekrönten Berge zu dessen beiden Seiten, kleine Seitenthälchen, die in dasselbe einlaufen, bilden eine Landschaft, deren Anmuth und mannichfaltige Reize wahrhaft überraschend sind. Mit allem Behagen kann man bei Erfrischungen aller Art die Aussicht nach Süden zu auf der von Lauben und Baumgruppen beschatteten Terrasse in „Bückings Garten“, einem der besuchtesten Erholungsorte der Marburger, geniessen. Hier bemerkt man auch an alten Mauerresten und Thürmen, dass das Schloss in früheren Zeiten eine weit grössere Ausdehnung hatte, als jetzt. In der That hat dasselbe auch noch im vorigen Jahrhundert als ein ziemlich fester Punkt gegolten, so dass, obwohl seine Aussenwerke nach dem Hubertsburger Frieden zum Theil geschleift worden, im Jahre 1809 eine nochmalige schonungslose Zerstörung durch die Franzosen erfolgen konnte, in welcher der 70 Klafter tiefe Schlossbrunnen verschüttet, und die umliegenden Gärten in wahre Trümmerhaufen verwandelt wurden.
Der Ursprung der Stadt Marburg verliert sich in das Dunkel der Vorzeit. So viel ist gewiss, dass der Ort, als er im Jahre 1193 von mainzischen Truppen verheert wurde, noch ein unbedeutendes Dorf war. Doch knüpft sich sein Aufblühen an die unmittelbar folgende Zeit. Obwohl indessen schon Landgraf Ludwig von Thüringen, der Gemahl Elisabeths, der Tochter des Königs Andreas [33] von Ungarn, ihm städtische Rechte verlieh, und ihn dieser zum Wittwensitze erkor, so beginnt sein eigentliches Emporkommen doch erst mit dem Momente, wo sie, schon im sechsundzwanzigsten Jahre ihres Lebens und im sechsten ihrer Ehe des Gatten beraubt (1228), denselben bezog. Es ist bekannt, wie diese Fürstin, bis zum Aeussersten streng gegen sich selbst, gütig und wohlthätig gegen Andere in dem Masse war, dass sie sich selber der Pflege der Armen und Kranken unterzog, und wie sie in diesen Samariterdiensten ihre höchste Befriedigung fand. Nicht umsonst weinte ihr daher das Volk bei ihrem frühen Tode im Jahre 1231 reichliche Thränen nach; die Bewunderung ihrer Zeitgenossen aber bewirkte ihre frühe Heiligsprechung (1235), und die Kunst und Poesie der Nachwelt haben die jugendliche Gestalt der frommen Fürstin mit Vorliebe zum Gegenstand ihrer Darstellung gemacht. Ihre Ruhestätte aber wurde zu einem vielbesuchten, wunderwirkenden Wallfahrtsort, und als sich über ihrem Grabe die herrliche Kirche gewölbt hatte, erhob sich die Stadt Marburg zu immer grösserer Bedeutung. Bald wurde derselben die Ehre des Namens einer Mitresidenz zu Theil, so dass sie schon in der Mitte des dreizehnten Jahrhunderts zur zweiten Stadt Hessens aufgeblüht war. Auch trug die Verleihung der Stiftungen der heil. Elisabeth an den deutschen Orden, der nun hier seinen Hauptsitz für Hessen nahm, zu ihrer Erhebung nicht wenig bei. Die im dreizehnten und vierzehnten Jahrhundert sich mehrmals wiederholenden Feuersbrünste, welche die Stadt verheerten, beeinträchtigten nur momentan ihr Wachsthum und ihren Wohlstand. Sehr bedeutungsvoll wurde aber für dieselbe die Reformation. Denn Landgraf Philipp der Grossmüthige gründete hier im Jahre 1525 die erste protestantische Universität, die er reich dotirte und mit tüchtigen Lehrern versah. Obwohl mehreremale ansteckende Krankheiten, welche die Stadt heimsuchten, [34] Professoren und Studirende nöthigten, in benachbarte Orte auszuwandern, und der Universität in der im Jahre 1607 gegründeten Hochschule zu Giessen eine sehr nahe Rivalin erwuchs, so erfreute sich dieselbe doch wegen des Rufes grosser Gelehrsamkeit ihrer Lehrer einer nicht unbedeutenden Frequenz. Auch bis in die Gegenwart hat dieselbe genug berühmte Namen aufzuweisen, während eine bedeutende Anzahl von Celebritäten, welche auf ihr die akademische Laufbahn begonnen haben, nach anderwärts berufen worden ist. – Die Stadt selbst erfuhr im Laufe der Jahre manches Missgeschick; die Schrecken des dreissigjährigen Krieges gingen auch über sie hin. Nachdem sie Tilly’sche, französisch[WS 1]-weimarische und schwedische Truppen in ihren Mauern gesehen hatte und wiederholt gebrandschatzt und geplündert worden war, erlebte sie im Jahre 1645 die Bedrängnisse einer Belagerung. Nach Einnahme der Stadt wurde das Schloss von dem niederhessischen General Geiso aus verschiedenen Batterien beschossen und mit feurigen Kugeln beworfen. Im Januar 1646 capitulirte der Commandant desselben, Oberstlieutenant Willich, mit den noch übrigen 120 Mann, musste aber, vom Landgrafen Georg vor ein Kriegsgericht gestellt, die Uebergabe des festen Punktes zu Giessen mit dem Kopfe büssen. Im December 1647 wurde Marburg abermals vom Grafen Melander von Holzappel belagert. Nachdem der untere Theil der Stadt schon genommen war, hob derselbe im Januar 1648 aus Mangel an Lebensmitteln die Belagerung des oberen Theils derselben und des Schlosses auf. Ebenso wurde im siebenjährigen Kriege Stadt und Schloss wiederholt von den Verbündeten belagert und eingenommen. Auch gelang es den Franzosen, letzteres bis zum Ausgang des Kriegs zu behaupten. Im Jahre 1806 erstürmte dasselbe noch einmal ein Haufe hessischer Bauern, und behauptete es einen ganzen Tag hindurch. Bei der patriotischen Erhebung in Hessen im Jahre 1809 fand [35] auf dem Markte der Stadt noch ein Gefecht statt, das mit der Niederlage der Aufständischen unter Oberst Emmerich endigte.
Noch bleibt uns übrig, auch in der Umgebung von Marburg uns umzusehen, in Bezug auf welche mit Recht gesagt worden ist: „Die Stadt liegt so recht im Schosse der schönsten Natur, in einer dichten Fülle von Berg und Thal, Fluss und Wald, Auen und Gärten. Das Ganze ist ein Lustgarten, verschönert durch die Kunst.“ Mit der Besichtigung des Schlosses verbindet man am bequemsten einen Besuch des nahen „Dammelsberges“, der mit einem frischen Eichwald gekrönt ist und ebenso anmuthige Anlagen, wie liebliche Aussichten darbietet. An der oberen Stadt aufsteigend erhebt sich der „Augustenberg“, von dem Volke die Minne genannt, auf welchem früher eine Burg, die Lützelburg, stand. Seinen jetzigen Namen deutet ein von den Bürgern Marburgs zu Ehren der Kurfürstin Auguste auf seinem Gipfel errichteter Obelisk. Auch auf dieser Höhe geniesst man eine reizende Aussicht auf das Schloss und über das Thal und die Stadt hin, aus der sich, mächtig alle andern Gebäude überragend und die einfach edle Façade uns zugekehrt, die Elisabethenkirche erhebt. Die naheliegende, mit Eichen und Buchen bedeckte beträchtliche Höhe, „die Kirchspitze“, gestattet uns einen Blick in das liebliche Marbachthal mit dem Dorfe Marbach. Die schönste Aussicht aber über die Stadt und ihre nahe Umgebung, sowie weit in die Ferne bietet auf dem jenseits der Lahn gelegenen Berge „Spiegelslust“ dar, so genannt, seitdem der Domherr von Spiegel auf der Höhe Spaziergänge, Ruheplätze und eine Halle angelegt hat. Hier sieht man weit das Lahnthal hinauf und hinab und über die es begrenzenden Höhen, unter denen nach Süden der Frauenberg, der Staufenberg und Gleiberg bei Giessen hervorschauen, während die Berge des Taunus die Aussicht abschliessen; im Westen tritt der Dünsberg [36] und das hochgelegene Schloss Hohensolms hervor, nach Norden zu das Städtchen Wetter mit seiner alten Kirche; im Osten erhebt sich die Amöneburg und in weiterer Ferne das hochgelegene Homberg an der Ohm. Südöstlich von hier auf der Strasse nach Schröck liegt der sog. Elisabethenbrunnen, eine aus einer Felsspalte hervorsprudelnde kühle Quelle, die jetzt von einem mit Säulen verzierten Brunnenhause überbaut ist, und an der der Sage nach die h. Elisabeth sich eine Zelle errichtet hat. Eine herrliche Rundschau bis zum Westerwalde, Taunus und Vogelsberge eröffnet sich auch auf dem eine Stunde unterhalb Marburg sich erhebenden „Frauenberg“, der seinen Namen davon trägt, weil die Herzogin Sophie von Brabant in der Mitte des dreizehnten Jahrhunderts hier gegen die Mainzer Erzbischöfe ein Schloss erbaute, von dessen Dasein übrigens jetzt nur noch wenige Trümmer zeugen. Am Fusse des Frauenbergs liegt das Dorf Kappel, in dessen Nähe der Ketzerverfolger Konrad 1233 von einem Ritter erschlagen worden ist, sowie in einiger Entfernung davon der Forstgarten, in welchem sich das Grab des berühmten Forstmanns Wildungen befindet. Derselbe hatte gewünscht, unter den Bäumen des Waldes zu ruhen, und wurde in voller Uniform, den Hirschfänger an der Seite, in einem ausgehöhlten Eichbaum hier bestattet.
Wenn wir den Marburger Bahnhof in dem lahnabwärts führenden Zuge verlassen, ist uns noch einmal vergönnt, die landschaftlichen Reize der schön gelegenen Stadt zu geniessen; indem wir in weitem Bogen dieselbe umfahren, grüssen uns noch einmal die stolzen Thürme der Elisabethenkirche, und während sie unserm Blicke sich entziehen, gehen die wechselnden Bilder der malerisch gruppirten, alterthümlichen Häuser an unserm Auge vorüber; von der Höhe des Berges aber schaut das stolze Schlos hernieder; nun erscheint auch die stattliche lutherische Kirche, und indem der Zug rascher [37] vorwärts eilt, zieht sich das Bild in immer engeren Rahmen zusammen, bis ein Vorsprung uns dasselbe ganz verdeckt. In der weiten, fruchtbaren Thalfläche erscheint gleich unter Marburg rechts das Dörfchen Ockershausen, dann einander gegenüberliegend rechts Gisselberg und links Kappel, ferner Niederweimar und Ronhausen, Wenkbach und Argenstein, Niederwalgern und Wolfshausen mit Roth; sodann gelangt man zur Station Fronhausen, welche, drei Wegstunden von Marburg entfernt, gerade in der Mitte zwischen dieser Stadt und Giessen liegt. Mittlerweile haben sich die Berge, welche bei Marburg steil zu ansehnlicher Höhe emporsteigen, mehr und mehr verflacht. Fronhausen ist, obwohl nur ein Dorf, doch kurhessischer Amtssitz. Sein Bahnhof ist deshalb zuweilen belebter, weil hier die aus dem sogenannten Hessischen Hinterlande von Gladbach herkommende Strasse die Eisenbahn berührt und die Produkte der dortigen Eisenhütten hier verladen werden. Ihm gegenüber, durch das weite Flussthal getrennt, liegt das Dorf Bellnhausen, und eine kleine Strecke abwärts Siechertshausen, bei welchem die Zwister oder Zwester Ohm in die Lahn fliesst. Auf derselben Seite erscheint bald das Dörfchen Friedelhausen, dem gegenüber die Bahn wieder auf die linke Seite des Flusses übersetzt, und in dessen Nähe das auf einer sanften Anhöhe gelegene schöne, neuerbaute Schlösschen des Herrn von Rabenau unsere Aufmerksamkeit auf sich zieht. Nun sind wir auch wieder in das darmstädtische Gebiet eingetreten, und eine kurze Strecke fährt die Bahn sogar dicht an einer zweiten Landesgrenze, an der preussischen, her. Das schöngelegene Dorf, welches wir nun auf der rechten Seite der Lahn erblicken, Odenhausen, bei welchem die ziemlich beträchtliche, von Westen kommende Salzböde ihre Wasser mit derselben vereinigt, gehört schon dem sich bis hierher ziehenden [38] Kreise Wetzlar an. Dann fahren wir zwischen dem Dorfe Ruttershausen und dem auf einem felsigen Vorsprung der Lahn gelegenen Kirchberger Hofe mit seiner alten Kirche her, und wenn wir von diesem den Blick noch mehr links wenden, so zeigen sich ihm auf der Höhe einer Basaltkuppe über dem Grün von Tannenbäumen die Ruinen von Staufenberg, und unmittelbar unter ihnen taucht das Städtchen gleichen Namens aus den Bäumen hervor. Während unsere Augen auf dem schönen Bilde ruhen, nähern wir uns dem Bahnhofe von Lollar. Der von der Station etwas abwärts gelegene bedeutende Ort, bei dem sich die Lumda in die Lahn ergiesst, ist in der ganzen Umgegend durch seine grossen Pferdemärkte berühmt; indessen hat derselbe in neuerer Zeit noch eine grössere Bedeutung gewonnen durch ein industrielles Etablissement, welches an Grossartigkeit seines Gleichen im ganzen Lahnthale sucht. Es ist die unmittelbar am Bahnhofe gelegene, und mit der Eisenbahn durch ein Schienengeleise verbundene Main-Weser-Hütte, nun im Besitze der Gewerkschaft J. W. Buderus Söhne, die ein früher hier befindliches Werk fast ganz umgebaut und beträchtlich erweitert hat. Von ihren zwei Hochöfen, von denen der eine für Holzkohlenbetrieb, der andere für Coaks eingerichtet ist, producirt der erstere täglich 14,000–16,000 Pf. Gusseisen in Masseln. Sehenswerth ist auch die grosse, in Kreuzform erbaute, mit einem Zinkdache versehene Giesshalle, deren Gebälk auf einer doppelten Reihe hohler gusseiserner Säulen von 21′ Höhe ruht. Ein Beschreiber des grossen Hüttenwerks hat den Eindruck, den man beim Eintritt in dieses schöne Gebäude durch das Portal empfindet, mit den Worten geschildert: „Man glaubt sich in den geheiligten Räumen eines Domes zu befinden, wo, namentlich in der Abenddämmerung die Gluth der Hochöfen im Hintergrund als die Flammen auf den Altären erscheinen.“ Die Nähe des trefflichsten [39] Eisensteins und der übrigen Mineralien, welche demselben zum Gusse zugesetzt werden, die Leichtigkeit, Kohlen und Coaks zu beziehen und die gewonnenen Produkte zu verladen, erklären den ausserordentlich schwunghaften Betrieb des Werkes und versprechen ihm bei Vermehrung der Eisenbahnen eine noch glänzendere Zukunft. Für die mögliche Erweiterung desselben ist gesorgt, da ein Areal von 17 grossen hessischen Morgen zu ihm gehört. Von Lollar aus besucht man auch am bequemsten den Kirchberger Hof und Staufenberg. Auf ersterem ist die alte Kirche wegen der Grabsteine benachbarter Adeligen, wie der Rollshausen, der von Selle auf Friedelhausen etc. und der drei sehr alten Glocken bemerkenswerth, von denen die eine im Jahre 1380, die zweite mit der Inschrift: „Qum trahor audite voco vos ad sacra venite“ 1310 und die dritte im Jahre 1432 gegossen worden ist. Der Staufenberg besteht eigentlich aus zwei Burgen, von denen die untere, die Schabenburg, jetzt theilweise zu einer Wirthschaft eingerichtet ist. Sie ist im Jahre 1422 erbaut worden, während die obere, von der nur noch weniges Mauerwerk übrig ist, schon im Jahre 1233 in einer Urkunde vorkommt. Im Jahre 1647 wurde sie vom schwedischen General Graf Königsmark zerstört. Die Aussicht von der Höhe derselben über das Thal hin ist weit und schön. Auch der Besuch der jenseits der Lahn bei Odenhausen sich erhebenden, dem Staufenberg gerade gegenüber liegenden sogenannten „Altenburg“, eines Basaltkegels, auf welchem sich noch Spuren alter Ringwälle vorfinden, ist sehr lohnend, da sich dort, dem Auge eine weite, überaus reizende Aussicht thalauf- und abwärts eröffnet.
Wenn man vom Lollarer Bahnhof ausfährt, gewahrt man gleich auf der rechten Seite des Flussthals das Dorf Wiesmar und etwas weiter abwärts Launsbach; darüber erheben sich auf Basaltkegeln die malerischen Ruinen der Burgen Gleiberg und Vetzberg. [40] Das fruchtbare Thal gewinnt immer mehr an Breite; ein kurzer Durchstich, und wir sehen zur Linken die Stadt
vor uns liegen, an der wir, ehe wir den Bahnhof erreichen, fast ihrer ganzen Länge nach vorüberfahren. Im Bahnhof selbst gewahren wir einen bedeutenden Verkehr, denn wir befinden uns an dem Punkte, wo die Deutz-Giessener Bahn, nachdem sich die Nassauische Staatsbahn bei Wetzlar mit ihr vereinigt hat, in die Main-Weserbahn einmündet.
Der Charakter der beiden Musenstädte an der Lahn ist, sowohl was ihre Lage und Umgebung, als auch ihr äusseres Ansehen anlangt, sehr verschieden, ja man könnte sagen, dass sie in beiden Beziehungen in directem Gegensatz ständen. Während an Marburg vorüber der Fluss in einem ziemlich engen Thale sich hinwindet, aus dem die meist mit Wald bewachsenen Berge auf beiden Seiten steil aufsteigen, liegt Giessen in einer fast zur Ebene sich erweiternden Thalfläche, von der aus die mit Fruchtfeldern bedeckten Anhöhen sanft sich erheben, und erst in der Entfernung von einer Stunde sich zu einzelnen höheren Bergen zuspitzen; während Marburg als ächte Bergstadt an der steilen Höhe des Schlossbergs sich aufthürmt, dehnt sich Giessen behaglich in der Fläche aus, nur dass der neu angelegte Stadttheil an der Frankfurter Chaussee sich eine leichte Anhöhe hinaufzieht; während dort die Neubauten der Stadt den Charakter der Alterthümlichkeit, den dieselbe an sich trägt, nicht verwischen können, gibt hier dieses neue, weit sich ausdehnende Viertel mit seinen hervordagenden grossen Gebäuden gewissermassen dem Ganzen das Gepräge einer modernen Stadt. Als eine solche ist [41] sie auch im Verhältniss zu Marburg arm an Thürmen. So in der weiten Thalfläche gelegen hat Giessen allerdings nicht die romantischen Partien, die frischen Waldstände und schroffen Felsenkuppen, welche die nahe Umgebung Marburgs so anziehend und reizend machen, dagegen empfangen wir von ihrer Umgegend den wohlthuenden Eindruck, welchen der Anblick eines üppigen, schwellenden, durch reiche Ortschaften belebten Fruchtlandes stets erzeugt, ohne dass wir dabei des Reizes der Romantik entbehren, der um die aus der gesegneten Fläche aufsteigenden, ruinengekrönten Bergkegel schwebt.
Die Stadt Giessen ist der bevölkertste Ort an der Lahn, denn da sie 10,000 (meist protestantische) Einwohner zählt, übersteigt ihre Bevölkerung die von Marburg um einige hundert Seelen. Als Provinzialhauptstadt von Oberhessen hat sie verschiedene Centralbehörden, ein Hofgericht für die ganze Provinz und einen Criminalsenat. In der Administration sind die Provinzialbeamten mit denen des Kreises vereinigt. Denn Giessen ist auch Kreisstadt, und als solche der Sitz eines Stadt- und eines Landgerichts und Wohnort verschiedener Verwaltungsbeamten. Ein grosser Theil der Bevölkerung nährt sich vom Feld- und Gartenbau, denn die fruchtbare Gemarkung Giessens dehnt sich weit um die Stadt hin aus. Indessen erfreut sie sich auch blühender Gewerbe und eines lebhaften Handels. Die Industrie ist hauptsächlich durch fünf Tabaksfabriken und eine Lein- und Wollenfabrik vertreten. Die grösste Bedeutung aber hat Giessen als Sitz einer Universität, die von circa 400 Studirenden besucht wird. Ausserdem befindet sich hier ein Gymnasium und eine Provinzial-Realschule.
Die Stadt Giessen ist im Laufe der Zeit, vornehmlich in den letzten Jahrzehnten, über ihre frühere Grenzen, welche bis zum Jahre 1802 durch Mauern und [42] Wälle, und, seitdem diese abgetragen sind, durch eine Promenade, „die Schur“ genannt, gebildet wurde, hinausgewachsen. Die Erinnerung an die vier Thore, welche früher in die alte Stadt führten, ist in den Namen des Selzer-, Neuweger-, Wall- und Neustädter Thors geblieben; ein fünfter Eingang am Asterweg wurde erst später eröffnet. Ausser den vielen Gassen und Gässchen, welche oft in Krümmungen die Communication in der Stadt herstellen, und die zum grossen Theil mit alten Gebäuden besetzt sind, durchziehen dieselbe auch ansehnlichere Strassen, wie der Seltersweg, die Mäusburg, die Wallthorstrasse, die Wettergasse und Marktstrasse, an welchen zum Theil schon Neubauten die unansehnlichen alten Häuser verdrängt haben. Unter den Plätzen sind der Markt-, Kirchen-, Lindenplatz und der Brand zu erwähnen. Um die Altstadt ziehen sich, theils die Chausseen weit hinaus verfolgend, theils auf der früheren Promenade dieselbe in einem weiten Ring umgebend, die ansehnlichen Häuser neueren Baustyls her, welche Giessen von Weitem den Charakter moderner Freundlichkeit und Eleganz verleihen. Gärtchen und Anlagen vor denselben, und meist ein freier Blick über die Stadt und ihre Umgebung machen diese Häuser zu sehr behaglichen Wohnstätten. Hervorragende oder geschichtlich merkwürdige Gebäude hat übrigens Giessen nur wenige aufzuweisen. Von der früheren Pankratiuskirche ist nur der Thurm, auf dem noch zwei sehr alte Glocken hängen, übrig geblieben; die Kirche selbst ist wegen Baufälligkeit niedergelegt, und an ihre Stelle, etwas von jenem abseits, die jetzige Stadtkirche erbaut worden. Die katholische Kirche, im neuen Stadttheile an der Frankfurter Chaussee im Rundbogenstyle erbaut, ist nicht geräumig, aber freundlich, und trägt wegen ihrer hohen Lage wesentlich dazu bei, diesem Viertel ein städtisches Ansehen zu geben. Die übrigen hervorragenden Gebäude dienen meistens den Zwecken der Universität. So der [43] bedeutende dreistöckige Bau, der grösste der Stadt, welcher auf der Anhöhe unfern der katholischen Kirche sich erhebt, und deshalb doppelt imposant erscheint. Er vereinigt in sich die Universitätsbibliothek, die über 100,000 Bände zählt und viele Handschriften aufzuweisen hat, das Münz- und Antikenkabinet, das akademische Hospital und die beiden Kliniken. Das Gebäude war übrigens zur Kasernirung eines hessischen Regiments bestimmt, nachdem aber Streitigkeiten der Soldaten mit den Studenten die Verlegung desselben veranlasst hatten, wurde es der Universität eingeräumt. In dem zu ihm gehörigen Hofraume befindet sich auch das von Liebig angelegte chemische Laboratorium der Hochschule. Auch das ansehnliche neue Anatomiegebäude mit den in zwei Seitenflügeln aufgestellten anatomischen und zoologischen Sammlungen liegt in dem neuen Stadttheile unfern der Universitätsbibliothek. Das Collegiumsgebäude, dessen der Antiquarius als eines „kostbaren“ im Jahre 1608 errichteten Baus Erwähnung thut „mit seinen Auditoriis für alle Facultäten und seinen artigen Altanen zum Gebrauche der mathematischen und astronomischen Instrumente, wie man schwerlich auf irgend einer deutschen Universität antreffen wird“, steht nicht mehr; an seine Stelle ist die jetzige Aula gebaut. Der in der Nähe derselben befindliche runde Thurm, der Heidenthurm genannt, lässt vermuthen, dass hier die alte Burg von Giessen gestanden habe. Hinter der Aula dehnt sich der botanische Garten mehr als zehn Morgen weit aus; er ist einer der ersten, den es bei Universitäten gegeben hat, denn er ist schon im Jahre 1609 angelegt worden. Hier findet sich das Denkmal, welches dem als Gelehrten und Menschen gleich ausgezeichneten Fr. Ludw. Walther († 1824), der sich auch um diesen Garten sehr verdient gemacht hat, errichtet worden ist. Von den übrigen Gebäuden der Stadt ist noch das 1586 vom Landgrafen Ludwig IV. erbaute Zeughaus auf dem [44] Brand und das alte Rathhaus auf dem Marktplatze zu erwähnen. Und wenn wir nun noch der neuen, aus Basaltquadern errichteten Lahnbrücke, welche überaus leicht und kühn über den Fluss setzt, gedacht haben, wird ziemlich alles Bemerkenswerthe der Stadt Giessen berührt sein.
Zum erstenmale kommt Giessen in einer Urkunde vom Jahre 1197 unter dem Namen „Gysen“ vor. Ob es aber damals schon mehr als eine Burg gewesen, bleibt zweifelhaft. Früher sollen drei kleine Ortschaften, Selters, Kroppach und Astheim, deren Namen sich noch in Strassen- oder Feldbezeichnungen erhalten haben, hier gestanden haben, und es ist zu vermuthen, dass erst durch ihre Vereinigung die Stadt entstanden sei. Aus einer Urkunde vom Jahre 1248 geht hervor, dass damals Giessen schon ein städtisches Gemeindewesen bildete. Die in der ersteren Urkunde als Zeugin vorkommende Salome von Gysen war eine Gräfin von Gleiberg, deren Vater Wilhelm auch die Burg zum Schutze der Dörfer erbaut haben soll. Durch ihre Tochter Mathilde kam die Herrschaft Giessen an das Haus Tübingen; doch wurde sie schon im Jahre 1265 vom Landgrafen Heinrich I. von Hessen durch Kauf an dieses Land gebracht. Im Jahre 1327 fiel die Stadt nach langer Belagerung durch die Truppen der Erzbischöfe Matthias von Mainz und Balduin von Trier in die Hände dieser geistlichen Herren, doch wurde die Besatzung nach kurzer Zeit wieder aus derselben vertrieben. Nach dem bald darauf erfolgten Tode des Landgrafen Otto versuchten die Erzbischöfe abermals die Stadt zu erobern, wurden jedoch von dessen Nachfolger, Heinrich dem Eisernen, entscheidend bei Wetzlar geschlagen. Landgraf Philipp der Grossmüthige gab dem aufblühenden Orte eine grössere Bedeutung durch die neuen Festungswerke, mit welchen er denselben umgab. Zwar wurden diese während seiner Gefangenschaft wieder geschleift, aber schon von [45] seinem Nachfolger Ludwig IV. hergestellt und nachmals erweitert. Die später in Marburg ausgebrochenen religiösen Zwistigkeiten schlugen für Giessen zum Vortheile aus. Denn Landgraf Ludwig V. von Hessen-Darmstadt nahm die wegen ihres Glaubens aus Marburg vertriebenen Professoren auf, und gründete in Folge dessen die Universität im Jahre 1607. „In dem nämlichen Jahre“ erzählt der Antiquarius des Lahnstroms, „erhielt sie von Kaiser Rudolph dem Anderen viele treffliche Privilegien und Freiheiten“, dann schildert er ihr Aufblühen folgendermassen: „Sie ist auch in kurzer Zeit in solchen Flor und Aufnehmen gekommen, dass sogar aus fremden Königreichen und fast von allen Orten in Deutschland junge Leute Studirens halber daher kamen. Daher schrieb der berühmte Taubmann zu Wittenberg in einer Epistel an M. Bachmann, damaligen Professor in Giessen, mit diesen Worten: Ut studia literarum apud vos calent. Es lebt und schwebt doch Alles bei Euch!“ Später, im Jahre 1625, wurde, als Marburg dem Landgrafen von Hessen-Darmstadt zugetheilt wurde, die Ludwigsuniversität mit der Philippina vereinigt, jedoch schon im Jahre 1650 wieder, und zwar auf immer, von ihr getrennt. In den Registern ihrer Professoren begegnen wir bis auf die neueste Zeit herab den Namen vieler berühmter Männer in den verschiedensten Fächern der Wissenschaft. – Auch Giessen blieb im Laufe der Jahre von Unglücksfällen nicht verschont; eine durch den Blitz entzündete Feuersbrunst äscherte im Jahre 1560 hundert und sechzig Häuser ein; der Name Brand und Brandgasse erinnern noch an diese Calamität, welche die Stadt betroffen hat. Im dreissigjährigen Kriege war Giessen einer der wichtigsten Punkte des Landes; durch ihre Festungswerke geschützt, war sie eine Zeit lang Residenz der Landgrafen. Auch wurde die Stadt während des ganzen Kriegs nicht vom Feinde eingenommen. Dagegen war sie im siebenjährigen Kriege [46] von 1759–63 von den Franzosen besetzt; auch in den Kämpfen der neunziger Jahre fiel sie noch einmal auf kurze Zeit in die Hände derselben, 1796.
An schönen Spaziergängen um die Stadt fehlt es in Giessen nicht. Wenn auch die „Schur“ zum Theil verbaut worden ist, so ziehen sich nun schöne Anlagen vor den Neubauten her. Weiter dehnen sich die Promenaden nach Osten zu aus. Hier befinden wir uns im Thale der Wieseck, welche, aus dem freundlichen Busecker Thal kommend, sich unterhalb der Stadt in die Lahn ergiesst. Ein schöner frischer Wiesenplan, begrenzt von dem „Philosophenwald“ und dem „Trieb“, dehnt sich vor dem Neuweger Thore links aus; gerade vor uns sehen wir den schon seit langen Jahren beliebtesten Vergnügungsort der Giessener, den „Busch’schen Garten“. Freundliche Anlagen nehmen uns in demselben auf; die etwas höher gelegenen geräumigen Wirthschaftsgebäude und der Platz vor denselben gestatten einen freien Blick über die Stadt und ihre Umgebung, besonders nach Westen hin. Der hinter dem Garten gelegene „Nahrungsberg“ steht mit dem Trieb, und dieser wieder mit dem Philosophenwalde in Verbindung, in welchem in neuerer Zeit freundliche Promenaden angelegt worden sind. In süd-südöstlicher Richtung von der Stadt erhebt sich in einer Entfernung von einer Stunde der Schiffenberg, dessen hoch gelegene Gebäude weithin sichtbar sind. Der Weg dorthin führt zuerst über Feld, dann durch schattigen Wald an dem forstbotanischen Garten der Universität vorüber. Waldwege gehen seitwärts nach dem „Ludwigsbrunnen“ und der sog. „Wolfsschlucht“ ab, auf der andern Seite der Strasse befindet sich ein schöner Aussichtspunkt, welcher durch ein aus Baumstämmen erbautes Tempelchen markirt ist. Ausgedehnter aber ist der Blick auf dem Schiffenberge, denn hier breitet sich nach Süden hin die fruchtbare, vom Taunus und Vogelsberg begrenzte Fläche der Wetterau vor unsern [47] Augen aus, nach Norden und Westen zu hat man eine reizende Aussicht über Giessen und das gesegnete Lahnthal, das von den Bergen des sog. Hinterlandes begrenzt wird. Auch in historischer Beziehung ist der Schiffenberg nicht ohne Interesse. Auf dieser Höhe erbaute Clementia von Gleiberg, Wittwe Gerhards von Geldern, 1129 ein Augustinerkloster und versah dasselbe mit bedeutenden Gütern. Bis im Jahre 1323 besass es dieser Orden, „weil aber die Mönche ein sehr ärgerliches Leben geführet“, wurde es mit Bewilligung der Hüttenbergischen Ganerben, der Isenburger, Limburger, Nassauer und Westerburger, dem deutschen Orden überlassen. Als Commende dieses Ordens bestand es bis zur Aufhebung desselben im Jahre 1809. Einen besonderen Besuch verdient die im Rundbogenstyl im zwölften Jahrhundert erbaute Kirche, welche jedoch jetzt zu anderen Zwecken benutzt wird. Das östliche Gewölbe ist, wie auch die im Schlusssteine desselben eingegrabene Jahrzahl 1516 beweist, jüngern Ursprungs. Bemerkenswerth ist der aus Basalt verfertigte Taufstein der Kirche, sowie zwei alte Glocken, die noch auf dem Thurme hängen. Am Fusse des Schiffenbergs zeigen wenige Spuren noch die Stätte, wo früher das Augustinerfrauenkloster „Zelle“ gestanden hat, dessen übrigens von 1485 an keine Erwähnung mehr geschieht. Schon seit längerer Zeit ist der Schiffenberg für eine Oeconomie eingerichtet, deren Inhaber auch eine Wirthschaft hat, so dass an diesem schönen Punkt der Tourist auch die nöthige Erfrischung findet. Ein vielbesuchter Vergnügungsort in der Umgebung von Giessen ist die eine Stunde oberhalb der Stadt an der Lahn gelegene Badenburg, an welcher die Bahn dicht vorüberführt, die aber wegen des Durchstichs, der hier nöthig geworden, für den Vorüberfahrenden unsichtbar bleibt. An einer mit Buschwerk besetzten Anhöhe liegend, dicht vor sich die Lahn mit einer beschatteten Insel und einer Mühle, bietet sie einen [48] überaus idyllischen Aufenthalt, der doppelt reizend wird durch die Aussicht auf das weite Thal und die auf ihren Bergspitzen sich erhebenden Ruinen Gleiberg und Vetzberg. Auch ihr selber fehlt der Reiz der Romantik nicht, denn die eigentliche Badenburg, welche im Jahre 1358 von Johann von Weitolshausen, genannt Schrautenbach, erbaut worden, ist, freilich erst im vorigen Jahrhundert, durch Abbruch des Dachs zur Ruine geworden. Noch der Antiquarius des Lahnstroms berichtet von „den herrlichsten Malereien, so verschiedene Feldschlachten vorstellen“, mit denen das Herrenhaus ausgestattet gewesen sei; jetzt gähnen uns die breiten Fensteröffnungen des dachlosen Mauerwerks gespenstisch an. Der besuchenswerthe Gleiberg ist gleichfalls etwa eine Stunde von Giessen entfernt. Der Weg dorthin führt an dem auf einer Art Hochfläche gelegenen Hardthofe vorüber; von da steigt derselbe allmählich zur Bergkuppe empor, welche das Dorf und die Burg Gleiberg trägt. Der Ort, an der südlichen Seite des Gipfels hängend, ist zum Theil noch mit Mauern umgeben. Schon hier geniesst man in dem schattigen Wirthschaftsgarten eine herrliche Aussicht in das Thal. Der Weg zum Schlosse führt an der alten Kirche vorüber; der Vorhof desselben ist zum Theil noch bewohnt, während das eigentliche Schloss in Trümmern liegt. Ueber seinem Mauerwerk erhebt sich aber stolz der starke runde Thurm, welcher vor einigen Decennien restaurirt und mit einer Treppe versehen worden ist. Auf seiner Zinne bietet sich dem überraschten Auge ein herrlicher Rundblick thalauf- und abwärts und über die fernen Berge des Taunus und Westerwaldes dar. Hier mag man auch empfinden, wenn man die zu Füssen ausgebreitete Landschaft überschaut, warum in früherer Zeit Gleiberg eine so grosse Bedeutung erlangen konnte, denn in dieser hohen, isolirten und festen Lage kündigt sich die Burg wie von selbst als die Beherrscherin derselben an. Ueber [49] ihre Gründung ist übrigens nichts bekannt; zum erstenmale kommt sie als „Glitzberg“ im Jahre 1030 vor. Damals gehörte sie einer Linie des Luxemburger Hauses, deren Glieder sich seitdem auch Grafen von Gleiberg nannten. Da sich an sie die Landeshoheit über den Erdehegau knüpfte, so erklären sich die gaugräflichen Rechte, welche ihre Besitzer schon frühe inne hatten. Ein Graf Hermann von Gleiberg trat vom Jahre 1081–1088 als Gegenkönig Heinrichs IV. auf; derselbe fand beim Sturm auf die Burg zu Limburg an der Lahn, die er als sein Eigenthum betrachtete und zurückerobern wollte, seinen Tod. Im zwölften Jahrhundert sehen wir das Haus Gleiberg in zwei Linien getheilt; an der Spitze der einen stand der schon erwähnte Wilhelm, welcher die Burg Gysen erbaute, und dessen dritte an einen Herrn von Eberstein vermählte Tochter Salome diese Herrschaft Giessen an die Pfalzgrafen von Tübingen brachte; die andere erlosch mit einem Grafen Otto, dessen erste Tochter Irmgard sich mit Hartrad III. von Merenberg vermählte, und diesen im Jahre 1168 zum Eigenthümer der halben Burg und Herrschaft Gleiberg und von sechs Centen im Oberlohngau machte; die zweite war mit Heinrich I., Herrn von Solms, vermählt, wodurch das naheliegende Land um Hohensolms und Königsberg an dieses Haus gelangte. Der Merenberger Antheil, die Herrschaft Gleiberg und Hüttenberg, kam, als die Grafen von Merenberg ausgestorben waren, im Jahre 1350 an das Haus Nassau. Als im dreissigjährigen Kriege der vom Kaiser verfolgte Ernst Casimir von Nassau sein Land verlassen musste, fiel Gleiberg als Pfand an Hessen-Darmstadt; doch erhielt es der Fürst 1648 wieder zurück, obwohl noch hessische Soldaten es besetzt hielten. Im hessischen Streite belagerte Prinz Ernst von Hessen-Rheinfels die Burg, und liess sie, nachdem sich die Besatzung ergeben, niederbrennen. Doch blieb das nassauische Amt noch bis zum Jahre 1731 auf Gleiberg; [50] als dasselbe in diesem Jahre nach Atzbach verlegt wurde, schwand auch die letzte Bedeutung des Schlosses für die Landschaft. Im Jahre 1816 kam die Burg und Herrschaft an Preussen. – Eine halbe Stunde nordostwärts, jenseits der Senkung, in welcher der ansehnliche Ort Krofdorf liegt, erhebt sich auf steiler Basaltkuppe die Ruine des Vetzbergs. Auch an ihn hat sich auf der Höhe des Bergs ein Dörfchen angehängt. Der Umfang der Burg, deren Wartthurm sich gleichfalls noch zu ansehnlicher Höhe erhebt, ist sehr gering, und deutet schon darauf hin, dass sie früher nur von einem Vogt bewohnt wurde, der von Gleiberg abhängig war. Die Aussicht von derselben ist gleichfalls weit und reizend. Auch auf einem der „sieben Köppel“, einer kahlen, mehrfach gespaltenen Bergkuppe, finden sich neben Resten eines alten Ringwalls noch Spuren von Mauerwerk, die wenigstens auf die Absicht, hier eine Burg zu erbauen, schliessen lassen. Auch ist es urkundlich nachgewiesen, dass der Anfang mit der Errichtung einer solchen hier gemacht worden ist. – Westlich von den Bergkuppen, welche die Schlösser Gleiberg und Vetzberg tragen, zieht sich das Thal der bei Heuchelheim in die Lahn einmündenden Bieber in das Bergland hinauf. Die durch dasselbe führende Chaussee verlässt es bei dem Dorfe Rodheim, und führt über die Höhe nach Fellingshausen, von wo aus man den Dünsberg, der sich im mittleren Lahnthal überall durch seine hervorragende runde Kuppe bemerklich macht, zu besteigen pflegt. Will man indessen zuerst das immer enger werdende Thal noch eine Strecke weiter verfolgen, so gelangt man nach dem Dörfchen Bieber und dann an mehreren Mühlen vorüber an die Obermühle, einem überaus idyllischen Plätzchen, das aber neben seinen landschaftlichen Reizen auch das besondere Interesse bietet, dass in dieser Einsamkeit ein bedeutender Mann, Johann Georg Wille, der im Jahre 1808 als Hofkupferstecher in Paris gestorben [51] und als Stifter der neuen Kupferstecherschule anzusehen ist, im Jahre 1714 das Licht der Welt erblickt hat. Auch von hier aus kann man den Gipfel des Dünsbergs erreichen, der sich 2016 Fuss über die Meeresfläche erhebt. Schon der Antiquarius des Lahnstroms rühmt neben der reichen Flora des Bergs, „weshalb die Studenten zu Giessen herbatim dahin zu gehen pflegen“, die weite Aussicht, welche man auf ihm geniesst. „Auf dessen Spitze kann man bei hellem Wetter über zwölf Meilen weit herum schauen, und den in der oberen Grafschaft Catzenellnbogen liegenden bekannten Malchenberg, lateinisch Melibocum, gar deutlich erkennen.“ Deutlicher tritt der Zug des Vogelsbergs, des Taunus und des Westerwaldes hervor, während die Senkung des Bodens zwischen den beiden letzteren Gebirgen eine weite Aussicht auch in’s Lahnland hinab gestattet. Merkwürdig sind auf der Höhe des eigentlich aus zwei Kuppen bestehenden Berges die gewaltigen Ringwälle, welche man für eine römische Verschanzung gehalten hat, weil in der Nähe römische Münzen gefunden worden sein sollen. Auch deutet der Name einer Senkung am Berge, das „Todtmahl“, in welcher noch vor wenigen Jahren eine grosse Menge Grabhügel sichtbar gewesen ist, darauf hin, dass hier in alten Zeiten eine Schlacht geschlagen worden sei. Von einer solchen hat sich auch in der Umgegend noch eine Sage erhalten. Germanen und Römer kämpften gegen einander; schon neigte sich der Sieg den letzteren zu, da beteten die Germanen zu ihrem obersten Gotte um Hülfe, und siehe, sie erschien vom „Helfholz“ her, und nun erlitten die Römer eine grosse Niederlage. Westlich vom Dünsberg liegen in dem Gebirgslande nahe bei einander zwei Schlösser, zu denen man übrigens auch von der Obermühle bequem gelangen kann, Königsberg und das weithin sichtbare Hohensolms. Der Distrikt, in dem wir uns befinden, war, wie oben erwähnt, von Gleiberg an das Haus Solms [52] gekommen. In der Fehde zwischen Mainz und Hessen im Jahre 1323 schlugen sich die von Solms auf die Seite des Erzbischofs, mit Ausnahme des Grafen Philipp von Königsberg, dessen Burg über dem gleichnamigen hessischen Städtchen nun ganz in Trümmern liegt. Erbittert über seine Vettern verkaufte er nach dem Tode seines einzigen Sohnes Schloss und Herrschaft an Heinrich II. von Hessen, bei welchem Lande die Besitzung auch bis auf den heutigen Tag verblieben ist. Die – älteste Burg Hohensolms, welche im Jahre 1323 zum erstenmale vorkommt, lag auf einer mehr nach dem Lahnthal zu sich erhebenden Basaltkuppe, auf welcher die Trümmer derselben unter dem Namen „Altenburg“ noch zu sehen sind. In der eben erwähnten Fehde fiel auch Johann von Hohensolms wieder vom Erzbischof ab; nach mehrfachen Siegen, welche dieser darauf erfocht, wurde die Burg zerstört. Wieder aufgebaut, wurde dieselbe im Jahre 1349 von Karls IV. Truppen belagert und abermals zerstört; zugleich wurde das Verbot erlassen, dass sie nicht wiederhergestellt werden dürfte. Um dies Verbot zu umgehen, erbaute man Neuhohensolms, das indessen 1360 gleichfalls gebrochen und bald darauf wiederhergestellt wurde. Bei der Theilung der Söhne Otto’s von Solms erhielt Johann Schloss und Herrschaft Hohensolms und wurde der Stifter der Linie gleichen Namens. Diese theilte sich im Jahre 1544 abermals in zwei Linien, von denen die eine Lich, und die andere Laubach in der Wetterau zu ihrem Wohnsitz nahm. Das Schloss Hohensolms, wie wir es jetzt auf der Höhe über dem am Berge gelegenen Flecken gleichen Namens vor uns sehen, ist um die Mitte des vorigen Jahrhunderts erbaut. Der jetzige Besitzer, der Fürst von Solms-Hohensolms-Lich, besucht nur zuweilen den abgelegenen Stammsitz seiner Ahnen. Denn so weit und prächtig die Aussicht von seinen hohen Söllern auf die unten liegende Landschaft ist, so ist doch der Fürstensitz zu sehr von dem Verkehre [53] der Welt abgeschnitten, als dass er als beständige Wohnung angenehm sein könnte. Der Weg nach Giessen, wenn wir diesen wieder einschlagen sollten, beträgt nämlich von hier drei Stunden; eben so weit ist Wetzlar entfernt, die Kreisstadt, zu welcher diese Gegend gehört, und zu der erst in neuerer Zeit eine fahrbare Strasse gebaut ist.
Auch unterhalb Giessen bildet das Lahnthal ein weites, fruchtbares Gelände, zu dem sich mässige Erhebungen meistens in sanfter Abdachung hinabsenken. Auf der linken Seite des Flusses führt über dieselben die Landstrasse den Fusswanderer in drei Stunden nach Wetzlar, wenn derselbe nicht vorzieht, den interessanteren Weg das Thal entlang dorthin einzuschlagen. Die Eisenbahn lässt bis vor Wetzlar den vielfach sich krümmenden Fluss zur Rechten. Das erste Dorf, welches wir diesseits erblicken, ist Kleinlinden, bei dem die Cleebach sich in die Lahn ergiesst. Jenseits derselben liegt Heuchelheim, allen denen, welche die Universität Giessen besucht haben, ein wohlbekannter Name, denn die idyllisch gelegene, lindenbeschattete Heuchelheimer Mühle ist in früheren Zeiten noch mehr als jetzt ein sehr beliebter Erholungsort der dortigen Studiosen gewesen. Freilich findet man jetzt weder die alte Linde mehr, noch das trauliche Wohngebäude. Nun fährt man dicht unter dem von der Anhöhe sich herabziehenden Dorfe Dudenhofen her; ihm schräg gegenüber blickt Atzbach hinter seinen Obstwäldern hervor, früher der Amtssitz für den nassauischen Distrikt Gleiberg und Hüttenberg, jetzt der Sitz eines preussischen Justizamts. In Atzbach begegnen wir zum erstenmale Göthe’schen Erinnerungen aus der Zeit seines Wetzlarer Aufenthalts; denn dorthin machte, wie wir im dritten Briefe der Sammlung „Göthe und Werther“ lesen, der junge Dichter am 8. August 1772 einen Ausflug, um Charlotte Buff zu sehen, die bei einer befreundeten Familie daselbst [54] zum Besuche war, und sich, wie er schreibt, in der Nacht vorher „an dem mondbeschienenen Thal innig ergötzt hatte.“ Etwa eine Stunde nördlich von Atzbach erhebt sich der Heimberg, auf dessen waldbewachsener Spitze man den Königsstuhl zeigt, die von einer Umwallung umgebene, früher auch mit Steinsitzen versehene Stätte eines alten Forst- und Rügegerichts. Weiter abwärts von Atzbach liegt, gleichfalls am rechten Ufer der Lahn, das Dorf Dorlar. Die auf einer Erhebung malerisch gelegene, von Mauerwerk umgebene alte Kirche gehörte zu dem Kloster Dorlar, welches von Hartrad von Merenberg im Jahre 1297 für Prämonstratenser Nonnen gegründet worden ist. Später wurde mit Einwilligung des Grafen Philipp von Nassau-Weilburg, des Erben derer von Merenberg, dasselbe in ein Kloster für Prämonstratenser Mönche umgewandelt und dem Abte von Rommersdorf untergeben. Als in Nassau-Weilburg die Reformation eingeführt wurde, wurde auch das Kloster aufgehoben und die Kirche dem lutherischen Kultus übergeben. In Folge des Restitutionsedicts vom Jahre 1629 setzten sich die Prämonstratenser wieder in Besitz desselben, wurden jedoch bald durch das Herannahen Gustav Adolphs genöthigt, die Restauration aufzugeben. Der nächste Ort, welchen wir jenseits der Lahn erblicken, ist Waldgirmes, der andere Naunheim, beide zu Hessen-Darmstadt gehörend; sodann tritt, nachdem wir einen Bergvorsprung passirt sind, zur Linken zwischen Obstwäldern das an den Hügel sich anlehnende Garbenheim hervor, welches unter dem Namen Wahlheim durch Werthers Leiden weltbekannt geworden ist, und dem wir deshalb von Wetzlar aus einen besonderen Besuch abstatten wollen. Schräg gegenüber, am jenseitigen Thalrande liegt das preussische Dorf Kleingirmes, dessen Gemarkung den nahen Bahnhof von Wetzlar einschliesst. Unmittelbar nachdem der Zug eine Lahnbrücke passirt ist, läuft er in diesen ein, während hinter [55] der steilen Bergwand, welche dieselbe bis dahin dem Blicke entzogen hatte, die Stadt Wetzlar mit ihrem stattlichen Dome allmählig hervortritt.
Im Vergleich zu der Lage von Marburg und Giessen hat die von Wetzlar ihre besonderen Reize; sie verbindet gewissermassen den Charakter der Umgebungen dieser beiden Städte. Denn hier ist das ohnehin breite Flussthal durch die Einmündung der von Norden kommenden Dill noch mehr erweitert, auf der Südseite dagegen treten die Hügel, allerdings nicht so hoch, als die Berge, welche Marburg umgeben, in steilem Abfall ganz nahe an die Lahn, und bilden nach dem Stoppelberge hinauf jene „mannichfach sich kreuzenden, vertraulichen, von den lieblichsten Wäldern beschatteten Thälchen“, deren Anmuth Göthe in Werthers Leiden rühmt. Gerade vor der Ausmündung des bedeutendsten derselben, in welchem die Wetzbach der Lahn zufliesst, liegt an den Hügel hinaufgebaut die alte Stadt, die mit ihren hintereinander sich aufthürmenden Schieferdächern auch äusserlich einige Aehnlichkeit mit Marburg hat. In ihrem alterthümlichen Charakter, von dem grauen Dome überragt, rings von Obstwäldern umgeben, inmitten „einer paradiesischen Gegend“, ist sie der Mittelpunkt eines reizenden Landschaftsbildes, mag man lahnaufwärts kommen, von wo aus die ganze Stadt, zur Seite der steilabfallende, ruinengekrönte Kalsmunt, sich vor dem Blicke ausbreitet, oder vom Dillthal, wo der Dom malerisch zwischen diesem und dem ferner gelegenen, waldigen Stoppelberg vor uns emporsteigt, oder von der Höhe, über welche die Strassen nach Frankfurt und Giessen führen, bei der sog. Charlottenburg, wo die Stadt, vom Hügel sich absenkend und mit ihren Vorstädten
[56] weit in das freundliche Thal reichend, zu unsern Füssen hingebreitet liegt, und drunten von der sanften Anhöhe das Kloster Altenberg herüber schimmert, während schöngeschwungene ferne Berge das entzückende Bild abschliessen. Wem es vergönnt gewesen ist, von hier aus an einem sonnigen Maitage zur Zeit der vollen Blüthe auf die alte Stadt herabzublicken, wie sie in ihrem Frühlingsschmucke prangt und von der Blüthenfülle ihrer Obstwälder rings umkränzt ist, der wird gewiss lebhaft empfunden haben, warum Göthe im Werther nicht müde werden konnte, von dieser „unaussprechlichen Schönheit der blühenden und grünenden Natur“ zu reden.
Aber auch seinem Ausspruch: „Die Stadt selbst ist unangenehm“, werden wir beipflichten müssen. Die Strassen und Gässchen derselben sind eng und oft steil aufgehend; theilweise verbinden lange Treppen die oberen und unteren Stadttheile; und selbst das Niederlegen der engen Thorthürme und das Abreissen einzelner Stücke der Ringmauer hat dem Verkehr zwar bequemere Wege geöffnet, aber zur Verschönerung nicht beigetragen, da es unschöne Hinterpartien dem Auge blosgelegt hat.
Der ziemlich weite Weg vom Bahnhof nach der Stadt (20 Minuten) führt uns durch die zwischen der Lahn und Dill gelegene Vorstadt Langgasse, welche mit der jenseits der Dill gelegenen Neustadt von ländlichem Charakter, noch eine besondere Gemeinde unter dem Magistrate der Stadt bildet. An der schönen Hospitalkirche vorüber gelangen wir über die alte, schon im Jahre 1312 erwähnte Lahnbrücke in das Innere derselben. Ein näherer Weg für Fussgänger führt zu einer Furth über die Lahn, dann durch die sogenannte Ziegelpforte an schönen, den Hügel sich hinaufziehenden, mit schattigen Alleen versehenen Gärten vorüber, welche an die Zeiten des Reichskammergerichts erinnern, durch die Hauserstrasse in den Mittelpunkt der Stadt.
Wetzlar hat jetzt 5500 Einwohner, während zur Zeit [57] des Reichskammergerichts sich die Zahl derselben auf 7000 und mehr belief, und ist der Sitz eines preussischen Landraths und eines Kreisgerichts. Ausserdem hat es ein im Jahre 1817 gegründetes Gymnasium und ist Garnisonsort des 8. preussischen Jägerbataillons. Fabriken und grosse industrielle Etablissements besitzt die Stadt nicht, doch ist ihre Gewerbthätigkeit nicht unbedeutend, und der fruchtbare Boden im Thal und auf den Anhöhen begünstigt bedeutende Ackerwirthschaften. Noch vor wenigen Jahren stand die Stadt im Rufe beispielloser Billigkeit, vornehmlich in Bezug auf Logis. Da mit der Aufhebung des Reichskammergerichts eine grosse Anzahl von Wohnungen leer geworden war, konnte man selbst geräumige Häuser um sehr niedrigen Hauszins miethen, und da auch die Lebensmittel billig waren, so zogen sich viele Pensionäre in die anmuthige, durch mildes Klima begünstigte Gegend zurück. Doch hat die Anlage zahlreicher Eisensteingruben in der Nähe, und der seit der Eröffnung der beiden Eisenbahnen gesteigerte Verkehr dies Verhältniss wesentlich geändert.
Wetzlar ist eine der ältesten Lahnstädte, älter als Marburg und Giessen. Die Anfänge der Geschichte der Stadt knüpfen sich wohl an die alte Kirche, welche an einer Stätte heidnischer Götterverehrung auf der Stelle, wo nun der Dom steht, erbaut worden war, und naturgemäss eine Ansiedelung herbeiführte. Denn dass, wie Kohl (Rhein I, 479) meint, der Kalsmunt den ersten Anlass zu einer solchen gegeben habe, scheint im Hinblick auf die Entstehung anderer Lahnorte, wie Limburgs und Dietkirchens, wo ebenso wie in Wetzlar eine Kirche auf einer dem Flusse nahen Höhe schon in frühester Zeit erbaut wurde, unwahrscheinlich. Auch die Sage, dass Karl der Grosse und sein Sohn Ludwig hier eine königliche Villa gehabt hätten, spricht mehr für die Erweiterung der Stadt im Thal, als für die durch sie veranlasste Gründung derselben. Die älteste Nachricht [58] von der Stadt Wetzlar erhalten wir aus einer Urkunde Otto’s des Grossen vom Jahre 943. Sodann kommt sie im zwölften Jahrhundert als Wetflaria in zwei Urkunden vor, in deren letzterer Kaiser Friedrich I. ihr alle Vorrechte im Handel verlieh, welche Frankfurt am Main besass, ein Beweis, dass die Stadt mindestens schon lebenskräftig und entwicklungsfähig war. Auch aus der Mitte des dreizehnten Jahrhunderts hören wir urkundlich von ihr; im Jahre 1252 bestätigte nämlich Kaiser Konrad IV. alle der Stadt von seinem Vater und den früheren Kaisern ertheilten Rechte. Gegen Ende dieses Jahrhunderts soll Wetzlar nach einer unverbürgten Sage der Schauplatz einer grossartigen Betrügerei gewesen sein. Es wird nämlich erzählt, dass im Jahre 1280 sich ein Mann, Namens Tilo Kolup oder Holzschuh, zuerst am Niederrhein, sodann in Frankfurt als Kaiser Friedrich II. ausgegeben habe und in Wetzlar als solcher wohl aufgenommen worden sei. Kaiser Rudolph sei darauf dorthin gezogen, und habe ihn gefangen genommen und in dem „Kaisersgrund“ mit mehreren Genossen verbrennen lassen, im Jahre 1284. Ein Kammergerichtsassessor, von Gülich, liess im Jahre 1787 als Besitzer jenes Grundes einen Denkstein mit einer dahin lautenden lateinischen Inschrift dort errichten.
Die Lage von Wetzlar, welches, Reichsstadt geworden, zwischen dem Gebiete der Hessischen und Nassauischen Grafen eingeschlossen war, bedingte in den folgenden Jahrhunderten seine Geschichte. Diese erscheint nämlich als ein steter Wechsel und ein beständiges Schwanken der Stadt von einem zum andern Nachbar, und dem entsprechend ging auch die Reichsvogtei über dieselbe bald auf diesen, bald auf jenen über. Zuweilen auch trat sie mit den wetterauischen Reichsstädten in Bündnisse gegen beide Dynastien, und als das Haus Solms mächtiger zu werden begann, gerieth sie auch mit diesem Nachbar häufig in Fehden. Auch den im [59] 14. und 15. Jahrhundert häufig vorkommenden inneren Kämpfen begegnen wir in Wetzlar. Von einem solchen im Jahre 1394 berichtet die Limburger Chronik: „Anno 1394 auf dem Sontag nach dem achtzehenden, ward zu Wetzlar auf der Löhn ein grose zweiung in der Statt. Das kam also. Einer war geheisen Haberkorn, der zog an sich die zünft von der Gemeind, vnd ginge sach an, vnd wolte die volnbringen, vnd begerten wider den Raht vnd wider Ehr, vnd kamen zu hauf von der Burgk vor der Kirche, vnd der Raht behilt die vberhand, vnd schlugen den Haberkorn selb Sechs todt, vor der Kirchen auf dem Kirchhof, vnd die Gemeindt worfen die haubter vmb, vnd suchten genad an den Raht, vnd sünet sich von stund der Raht vnd die Gemeinde.“ Im Jahre 1505 hatte sich die Stadt des Besuches Kaiser Maximilians I. zu erfreuen. Die Reformation fand Eingang in dieselbe im Jahre 1542, wo der Dom dem Cultus der lutherischen Confession übergeben wurde; nur der Chor blieb den Kanonikern des mit demselben verbundenen Marienstifts, und ist bis heute die katholische Kirche der Stadt. Auch hier wurde nach dem Erlass des Restitutionsedictes die Restauration versucht, unterblieb aber in Folge des Herannahens Gustav Adolphs. Im Jahre 1643 litt die Stadt durch eine Feuersbrunst, welche 76 Häuser einäscherte, und durch eine Ueberschwemmung der Lahn grossen Schaden. Das Gedächtniss einer zweiten Feuersbrunst, welche im Jahre 1687 den mittleren Theil der Stadt verheerte, wird noch heutigen Tags durch einen Buss- und Bettag erneuert.
Von grosser Bedeutung für Wetzlar wurde die Verlegung des Reichskammergerichts hierher nach der Einäscherung von Speier durch die Franzosen im Jahre 1689. Denn durch sie füllte sich die Stadt nicht nur mit Assessoren und Procuratoren, sondern es fanden sich auch Sollicitanten aus dem ganzen Reiche zeitweise ein, und junge Juristen kamen her, um den Reichsprocess [60] praktisch kennen zu lernen. Die Ehre, den höchsten Gerichtshof Deutschlands in ihren Mauern zu beherbergen, würde der kleinen Reichsstadt wohl nicht zu Theil geworden sein, wenn nicht grössere Städte, wie Frankfurt, aus Furcht, in Abhängigkeit zu gerathen, gegen die Aufnahme desselben protestirt hätten. Diese günstigen Verhältnisse benutzte der Magistrat von Wetzlar, und bewarb sich um die Verlegung des Gerichts in die Stadt, mit dem Versprechen, Alles aufzubieten, um demselben eine ihm angemessene, wohnliche Stätte zu bereiten. Aber erst im Jahre 1693 wurde das Reichskammergericht in Wetzlar feierlich eröffnet. Wenn man übrigens den Berichten der übergesiedelten Assessoren trauen darf, so ist das Zögern und Sträuben dieser Herren, sich hier niederzulassen, wohl zu erklären; denn die ungepflasterten Gassen mit Düngerhaufen und die zum Theil mit Stroh bedeckten Häuser, von welchen sie erzählen, mussten einen grellen Gegensatz zu den Strassen und Gebäuden der blühenden Reichsstadt Speier bilden. Auch waren die Räume des Gerichtslocals, zu welchem der Magistrat bereitwillig das Rathhaus einräumte, das Haus auf dem Fischmarkte, an welchem noch heutigen Tags der Reichsadler in renovirter Gestalt zu sehen ist, für die mannichfachen Bedürfnisse der Behörde zu beschränkt, so dass auch benachbarte Gebäude angekauft und gemiethet werden mussten. Im Jahre 1782 wurde das Gericht in das geräumige Virmond’sche Haus an der Lahn, die jetzige Kaserne, verlegt, und daneben der Bau des Reichsarchivs begonnen, welcher indessen erst unter preussischer Hoheit seine jetzige Ausdehnung erhalten hat. Uebrigens verdankt die Stadt dem Reichskammergerichte eine ganze Anzahl grosser, zum Theil in engen Winkeln stehender Häuser, deren Bau den Assessoren und den Procuratoren, Dank dem schleppenden Gerichtsgang und der wohlbekannten Bestechlichkeit, welche hier eingerissen war [61] und trotz zweier Visitationen fortwucherte, nicht allzu schwer werden mochte. Auch die schönen Gärten, von welchen die Stadt rings umgeben ist, lassen sich zum Theil als Anlagen von Gerichtsassessoren und Procuratoren nachweisen. Im Jahre 1806 verlor Wetzlar seine reichsstädtischen Rechte und wurde dem Grossherzogthum Frankfurt einverleibt; zugleich wurde mit dem Reiche das Reichskammergericht aufgehoben. An die Stelle der im Jahre 1808 gegründeten Rechtsschule wurde von der preussischen Regierung 1817 das Gymnasium in den Localen des Jesuitencollegiums, welches in Folge der Verlegung des Reichskammergerichts hierher berufen worden war, errichtet.
Die bedeutendsten Strassen der Stadt sind die Krämer-, Silhöfer-, und Lahngasse, die beträchtlichsten Plätze der Butter- und Kornmarkt. Auf ersterem erhebt sich der Dom oder die Stiftskirche, das bedeutendste Baudenkmal der Stadt und eines der merkwürdigsten im ganzen Lahnthal. Während die Elisabethenkirche zu Marburg ein Muster des reinen, einfachen gothischen Styls ist, ist der Dom zu Wetzlar gerade wegen der an ihm zu Tage tretenden Entwickelungsformen mittelalterlicher Bauweise von bedeutendem Interesse, und während jene in allen ihren Theilen vollständig ausgeführt ist, steht dieser in seinen neueren Partien, vornehmlich im Thurmbau, unvollendet, fast ruinenartig vor uns. Er ist gebaut worden, als eine alte kleinere Kirche dem Bedürfniss und dem frommen Kunstsinn einer späteren Zeit nicht mehr entsprach. Der Neubau wurde am Chore begonnen, indem der westliche Theil der Kirche noch stehen blieb, einzelne Theile wohl auch demselben eingefügt wurden. Der Chor lässt deutlich erkennen, dass der im Uebergangsstyl begonnene Bau während der Arbeit in gothischer Weise fortgeführt und mit Masswerkfenstern und mit tiefer unterhöhlter Profilirung versehen wurde. Das Langhaus der Kirche [62] aber wurde bedeutend höher angelegt, und den Seitenschiffen die gleiche Höhe gegeben, ein Einfluss der hessischen Bauschule, welche in der Elisabethenkirche die edle Norm einer Hallenkirche aufgestellt hatte. Der Chor ist durch einen Lettner vom Hauptschiffe getrennt, der noch heutigen Tags die Scheidewand zwischen der evangelischen und katholischen Kirche bildet. Der südliche Thurm am Hauptportale, nur durch einen Spitzbogen, den unfertigen Theil der südlichen Seitenwand der Kirche, mit dieser verbunden, und im Jahre 1336 begonnen, ist bis zur Gallerie im gothischen Style aufgeführt; der nördliche sowie das Portal erheben sich kaum 50 Fuss über die Erde. Hinter diesem unvollendet gebliebenen Mauerwerke ist die roh in Basalt aufgeführte Façade der früheren Kirche mit dem uralten, im Rundbogenstyl ausgeführten Portale stehen geblieben, und dient der jetzigen zu ihrem westlichen Abschluss. Der nördliche Thurm derselben, dessen Spitze wegen Baufälligkeit abgetragen worden ist, wird der „Heidenthurm“ genannt, da man früher, von der allerdings schwer zu enträthselnden symbolischen Figur über dem alten Portale, welche man für Darstellung von Widderhörnern ansah, verleitet, von einem Tempel des Jupiter Ammon fabelte. Wenn indessen die Construction des Thurmbaus und das reichverzierte neuere Portal es bedauern lassen, dass dieser vielversprechende Abschluss des ganzen imposanten Bauwerks durch die Ungunst der Verhältnisse hat unvollendet bleiben müssen, so entschädigen doch den Freund der mittelalterlichen Baukunst für den erhabenen Anblick der vollendeten edlen Formen des gothischen Styls einigermassen diese Reste einer uralten Bauweise, die, wenn jene vollständig ausgeführt worden, spurlos von der Erde verschwunden wären. Durch seine Sculpturen ist auch das rundbogige Portal an der Südseite des Domes sehr beachtenswerth; dieselben stammen aus der Mitte des dreizehnten Jahrhunderts: [63] über der Thüre die heilige Jungfrau, unter dem Sockel dieses Bildes der Teufel auf einem Manne sitzend, der, früher für eine Nonne gehalten, zum Wahrzeichen der Stadt Wetzlar Anlass gegeben hat:
In Wetzlar an dem Dom
Sitzt der Teufel auf der Nonn’.
Rings um das Portal noch verschiedene Heilige und symbolische Figuren. Noch beachtenswerther aber ist das aus dem vierzehnten Jahrhundert stammende Hauptportal mit seinen reichen Sculpturwerken. Auch hier finden wir eine der damals vielfach wiederkehrenden Darstellungen der Madonnenfiguren, bei welcher sich der Künstler selbst im rohen Material des Sandsteins zu hohem Fluge erhob. Von diesem Jungfrauenbild sagt Schnaase, nachdem er dasjenige im Chor der Predigerkirche zu Erfurt, die beiden im Magdeburger Dome und das berühmte Jungfrauenbild des Südportals am Augsburger Domchore erwähnt: „Das schönste von allen aber ist das zu Wetzlar, am westlichen Portale der Stiftskirche, eben so würdig wie lieblich, wiederum von völliger Form und kräftiger Haltung mit einfacher, aber vollständiger Gewandbehandlung, einigermassen ähnlich dem Madonnentypus, der sich an mehreren Statuen derselben Zeit in Venedig findet.“ Auch andere Statuetten und Reliefs am Haupt- und einem Nebenportale (am Thurme) findet der erwähnte Kunsthistoriker höchst beachtenswerth. Im Inneren der Kirche sind als symbolische Sculpturwerke zwei Köpfe in Consolen, ein Frauenkopf von Reben umgeben, und der Kopf eines Mannes, aus dessen Augenbrauen, Wangen und Mund Reben hervorwachsen, ferner ein wohl aus dem zwölften Jahrhundert stammender Taufstein zu bemerken. Auch die in zwei Schränken aufbewahrten colossalen Holzbilder, deren eines die Mutter Gottes, den Leichnam Christi auf dem Schosse haltend, das andere, Christus das Kreuz tragend, darstellen, sind beachtenswerth. Im [64] Thurme, auf dessen Kranz man eine schöne Rundschau über Stadt und Umgegend geniesst, hängen vier nicht sehr schwere, aber sehr harmonisch zusammenklingende Glocken. Ausser dem Dome hat Wetzlar noch zwei Kirchen; die eine, in der unteren Altstadt gelegen, der Chor der ehemaligen Franziskanerkirche, ist im Jahre 1586 reformirten Emigranten überlassen worden. Seitdem die Union in Wetzlar eingeführt ist, wird sie die untere Stadtkirche genannt. Die Franziskanerkirche ist aufgehoben und die Klostergebäude zu Gefängnissen umgewandelt worden. Die freundliche und geräumige Hospitalkirche ist im Jahre 1755 erbaut worden; die Glocke, die auf ihrem Thurme hängt, stammt aber aus dem dreizehnten Jahrhundert. Von sonstigen Gebäuden ist nur noch ein ziemlich unscheinbares, aber sehr alterthümliches Haus an der Jäcksburg zu bemerken.
Nicht nur wegen der schönen Aussicht auf die Stadt und ihre Umgebung, sondern auch wegen der Trümmerreste der alten Reichsveste, des Sitzes des kaiserlichen Vogtes, verdient der Kalsmunt einen besondern Besuch. Der Weg dorthin führt durch das Silhöfer Thor an dem vielbesuchten Schützengarten vorüber, und durch ein altes Stadtthor die steile Höhe hinauf. Die Burg auf dem nach drei Seiten steil abfallenden Bergkegel war fest und geräumig. Ein alter Thorweg und wenige andere Reste von Umfassungsmauern, aus Basaltsteinen aufgeführt, bieten wenig Interesse; dagegen ist der in der Mitte des alten Schlossraums stehende viereckige, von innen und aussen mit Sandsteinquadern bekleidete Thurm, der von Einzelnen für ein Werk der Römer gehalten worden ist, höchst beachtenswerth. In einem Briefe an Göthe tritt Staatsrath Schultz, welcher in den zwanziger Jahren in Wetzlar gewohnt hat, zuerst mit dieser Ansicht hervor. Als Beweise führt er die eigenthümliche Behandlung der Quadern, welche nach der sogenannten ars rustica des Vitruv nur an den Fugen behauen [65] und sonst roh gelassen seien, und die im Innern der Gussmauern befindlichen Kanäle, die hochgelegene, nur durch Leitern zu erreichende Eingangsthüre an, was sich alles in gleicher Weise an anderen für römisch erkannten Thürmen in Süddeutschland vorfände. Und wenn man erwägt, dass in der Nähe des Kalsmunt auch römische Münzen gefunden worden sind, dass die steile, das Flussthal beherrschende Höhe nicht weiter als acht Stunden von dem Arctaunum der Römer, der Saalburg zwischen Usingen und Homburg vor der Höhe, entfernt ist, von wo aus man dies äusserste Vorwerk, um an den Ufern des nächsten Flusses festen Fuss zu fassen, verhältnissmässig leicht hat erbauen und besetzen können, so gehört eine solche Conjectur nicht gerade in das Reich des Phantastischen. Dagegen aber ist die Ansicht des berühmten Architekten Schinkel, welche er in einem Briefe an Schulz auseinander setzt, dass nämlich dieser Bau sowie der des Thurmes zu Gelnhausen eine blosse Nachahmung des römischen Styles sein könnte, da die Carolingischen, sächsischen und schwäbischen Kaiser es geliebt hätten, in einem Palatium zu residiren, das wo möglich den alten römischen ähnlich sein sollte, und da diese Nachahmung auch weitere Verbreitung gefunden hätte, bis zur Gewissheit überzeugend.
Wenn die Betrachtung dieses Thurms uns weit in die Vergangenheit zurückversetzt, so führt uns dort die leise zwischen Dill und Lahn aufsteigende Anhöhe zu einem denkwürdigen Tage der neueren Zeit zurück. Denn das ist die Stelle, wo am 15. Juni 1796 Erzherzog Karl der Maas-Sambre-Armee der Franzosen eine siegreiche Schlacht geliefert hat. Diese Anhöhe war der Schlüssel der französischen Stellung, und auf sie hat der Generalissimus, nachdem er den eiligen Rückzug bemerkt, welchen seine Truppen nach einem lebhaften Gefechte im Thal mit Lefevre antraten, am Nachmittage die starke Angriffscolonne anrücken lassen, welche die [66] Franzosen zurückwarf und den Sieg vollständig entschied. Ein von der Stadt Wetzlar im Jahre 1848 aufgerichteter Obelisk bezeichnet die Stelle, von wo aus derselbe, von seinem Generalstab umgeben, seine Befehle beim Angriff ertheilt hat.
Wenn die Stadt Wetzlar durch ihren Dom in kunstgeschichtlicher, und als ehemaliger Sitz des Reichskammergerichtes auch in historischer Beziehung unser lebhaftes Interesse erweckt, so wird sie uns sammt ihrer Umgebung lieb und theuer durch die mannichfachen Erinnerungen an Göthe, der hier den denkwürdigen Frühling und Sommer verlebte, in welchem seine Liebe zu Charlotte Buff erblühte. Wir befinden uns hier in diesem lieblichen Thal, „in welchem der sanfte Fluss am lispelnden Rohre dahingleitet“, auf classischem Boden; denn aus ihm ist des Dichters unsterbliches Jugendwerk, „Die Leiden des jungen Werther“, emporgewachsen, und diese Gegend, „wie geschaffen für empfindende Seelen“, bildet die Staffage zu den Schilderungen der Seelenzustände, deren Naturwahrheit und Tiefe eine so gewaltige literargeschichtliche Revolution erzeugt haben, dass ganz Europa von derselben erschüttert wurde. Aber auch nie mag in neuerer Zeit die Dichtkunst eine grössere mythenbildende Kraft bewährt haben, als es durch Werthers Leiden in Wetzlar geschehen ist. Denn noch in den zwanziger Jahren, nachdem allerdings eine gewaltige geschichtliche Katastrophe alle Verhältnisse umgewandelt, das Interesse auf andere Bahnen gelenkt und dazu Kriegsnoth aller Art auch über diese Gegend gebracht hatte, identificirte man trotzdem, dass die Buff’sche Familie noch in mehreren Zweigen in Wetzlar existirte, Göthe und den jungen Gesandtschaftssecretär Jerusalem in dem Werther der Dichtung, welcher sich aus Liebe zu Lotte im Winkler’schen Hause erschossen habe. Am Kalsmunt zeigte man ein enges, von Obstbäumen beschattetes Thälchen als Lieblingsaufenthalt des schwermüthigen, [67] liebeskranken Jünglings; das Stoppelberger Forsthaus oder der Magdalenenhauser Hof wurden als Wohnung des Amtmanns bezeichnet, und ein Grab in der Ecke des Kirchhofs im sogenannten Rosengarten wurde für das Grab Werthers ausgegeben, welches nicht nur Deutsche, sondern auch Ausländer bewegten Herzens aufsuchten, und von dem sie Erde als kostbare Reliquie in ihre Heimath mitnahmen. Doch ist mit dem wachsenden Interesse an der Göthe’schen Poesie auch das für die persönlichen Verhältnisse des Dichters lebendiger geworden, und die Forschungen haben immer mehr Licht auch über dessen Aufenthalt zu Wetzlar verbreitet. Besonders hat der von Kestner im Jahre 1854 herausgegebene Briefwechsel „Göthe und Werther“ durch die Einleitung und die Briefe Göthe’s zur Aufklärung der damaligen Verhältnisse des Dichters und der der Dichtung zu Grunde liegenden Begebenheiten beigetragen.
In der Stadt sind nur noch wenige Erinnerungen an Dichter und Dichtung vorhanden. Das Haus mit den zwei Erkern an der Barfüsser Bach, der Franziskanerkirche gegenüber, und das Zimmer in demselben, in welchem sich der junge Jerusalem erschoss – sein Grab auf dem Kirchhof ist nicht mehr zu ermitteln –; der Nebenbau des deutschen Hauses, in welchem Lottens Vater wohnte, und das der Dichter so oft „über die drei steinernen Treppen“ betrat. In neuster Zeit hat man das Besuchzimmer im oberen Stock mit allen den Reliquien aus der damaligen Zeit, deren man habhaft werden konnte, ausgestattet. Man zeigt daselbst ein Clavier, Kanapee, einen Spiegel, zwei Spiegelleuchter, verschiedene Tische, eine Commode, Sesselchen und Stühle; eine Wanduhr und einen Fussteppich; dann aber auch ein Nadelbüchschen und ein Zeichenheft von Lotte; ferner Ohrringe, ein Brieftäschchen, ein Nadelbüchelchen und eine von ihr angefangene Stickerei auf Atlas; endlich Handschriften von ihr, dem Vater, Gatten und den Söhnen. Auch Göthe’s [68] Wohnung will man in der Gewandsgasse aufgefunden haben; indessen ist diese Behauptung, die sich auf eine ohnehin in der Wohnung nicht mehr vorhandene Fensterscheibe stützt, auf welcher der Name Göthe eingeschnitten gewesen sein soll, nicht sehr stichhaltig. Draussen aber vor dem Wildbacher Thore sieht man noch den von Linden beschatteten Brunnen, „an welchen er gebannt war, wie Melusine mit ihren Schwestern“, wo die alte patriarchalische Idee so lebhaft um ihn auflebte, „wie sie alle, die Altväter, am Brunnen Bekanntschaft machen und freien, und wie um die Brunnen und Quellen wohlthätige Geister schweben.“ „Sein Garten“, in welchem er den „Wanderer“ dichtete, ist wohl unter den umfangreichen Gärten zu suchen, welche sich unterhalb des Brunnens bis zur Lahn die Anhöhe terrassenförmig hinaufziehen, und die im Werther gerühmte, jetzt in der Gartenwirthschaft „zur Metzeburg“ auch dem Touristen zugängliche herrliche Aussicht auf das weite Flussthal verstatten. – Auch Garbenheim lässt sich vom Wildbacher- oder Wertherbrunnen und von dieser Gartenwirthschaft aus erreichen. Der Weg führt auf der Höhe hin, unfern des nach dem Flusse abfallenden Felsenabhangs, an dem nach der Dichtung Werther nach dem letzten Abschied von Lotte in Verzweiflung umherirrte und wo des andern Morgens der Hut des Unglücklichen gefunden wurde. Sodann gelangt man in die Nähe der Giessener oder Garbenheimer Warte, bei der sich ein herrlicher Rundblick unserm Auge eröffnet. Oestlich zeigen sich Giessen, die Burgen Gleiberg und Vetzberg, und ihnen zur Seite der rundgeformte Dünsberg; vor ihnen im Thale Atzbach und Dorlar; nordwärts blickt Schloss Hohensolms von der fernen Höhe herab; näher schaut hinter einer Anhöhe die Burg von Hermannstein hervor; daneben breitet sich das Dillthal aus, durch welches die Züge der Deutz-Giessener Eisenbahn heranbrausen oder ihrem fernen Ziele zueilen; im [69] Westen erscheint das freundlich gelegene Kloster Altenberg und das stolz sich aufthürmende Schloss Braunfels, während der Stoppelberg in sanft sich erhebender Linie die Aussicht nach Süden abschliesst. Und nun schreitet man die Anhöhe hinab, und erblickt das in Bäumen versteckte Garbenheim, welches mit seinen dichtbepflanzten Obstgärten lebhaft an Sesenheim erinnert, und findet sich leicht zu dem Lieblingsplatze Göthe’s zurecht, „so vertraulich, so heimlich, wie er nicht leicht ein Plätzchen gefunden“, wo er seinen Kaffe trank und seinen Homer las, und wo er „unterm Baum“ wohl auch im Mondschein ass, wie damals, als er von Lottens Besuch zu Atzbach zurückkehrte. Aber die Linden, welche zu seiner Zeit den Platz beschatteten, sind abgestorben und durch neue ersetzt; dafür aber bezeichnet ein einfacher Stein die Bedeutung dieser Stätte mit den Worten: Ruheplatz des Dichters Göthe zu seinem Andenken frisch bepflanzt bei der Jubelfeier am 28. August 1849. Auch das Wirthshaus am Platze ist noch in dem alten Zustand, und hinter ihm der Garten, wo Kestner den Dichter zum erstenmale sah, als er, im Grase auf dem Rücken liegend, sich mit einigen umstehenden Freunden über Philosophie unterhielt. Der hier aufgeworfene Hügel, welchen der speculative Wirth als Werthers Grab bezeichnet, ist nur in so fern erwähnenswerth, als er in früheren Jahren schon manche Libationen leichtgläubiger Wertherschwärmer aufgenommen hat. Der Weg zur Stadt zurück durch Wiesen und dann an der Lahn hin an den beiden Bierkellern vorüber ist bequem und anmuthig. – Eine etwas weitere Seitentour, auf den Stoppelberg, ist gleichfalls lohnend, und bietet dem Freunde Göthe’scher Dichtung noch ein besonderes Interesse, da er mit ihr den Besuch des Dorfes Volpertshausen leicht verbinden kann. Schon der Weg durch das heimliche Brülsbacher Thal an der Warte gleichen Namens vorüber, dann durch den Hochwald [70] zu dem Stoppelberger Forsthause, einem zu Zeiten des Reichskammergerichts vielbesuchten Vergnügungsorte, ist höchst anmuthig. Auf dem Gipfel des Berges sieht man über die nahe Wetterau, und weit über Giessen hin den Staufenberg und selbst den Frauenberg und das Schloss von Marburg. Am jenseitigen Fusse desselben liegt das Dorf Volpertshausen, denkwürdig durch den auch in Werthers Leiden erwähnten Ball, auf welchem Göthe Charlotte Buff näher kennen lernte. Das Haus, worin derselbe stattfand, war früher ein Jagdhaus, ist aber später für die Schule der Gemeinde eingerichtet worden. Gerade in entgegengesetzter Richtung, eine halbe Stunde vom Wetzlarer Bahnhof entfernt, liegt beim Dorfe gleichen Namens die Ruine der Burg Hermannstein, den Herren Schenck von Schweinsberg gehörig, welche mit dem dieser Familie zustehenden schönen Garten einen Besuch verdient. Durch Hermannstein führt die Strasse nach Dillenburg und Siegen, welche jedoch seit der Eröffnung der Deutz-Giessener Eisenbahn bedeutend an Frequenz verloren hat. Wir verfolgen diese nicht bis zu der fünf Wegstunden entfernten alten Universitätsstadt Herborn, und dem noch anderthalb Stunden weiter gelegenen Dillenburg, über welchem sich das Stammschloss der Oranier mit der denkwürdigen Linde erhebt, unter der Wilhelm der Verschwiegene die Abgeordneten der Hülfe suchenden Geusen empfing, sondern besteigen von der Eisenbahnstation Ehringshausen aus Schloss Greifenstein, eine der grössten Ruinen im Lahngebiet, die anderthalb Stunden von da auf dem Vorsprung des Westerwaldes zwischen Dill und Lahn in imposanter Massenhaftigkeit sich ausbreitet, und weit in das Land bis zum Taunus ausschaut. Das mächtige Geschlecht derer von Greifenstein kommt im Jahre 1208 zum erstenmale vor. Später lag dasselbe in heftiger Fehde mit den Nassau-Dillenburgern, welche im Jahre 1280 die Burg zerstörten und einen Theil der Herrschaft [71] erhielten. 1308 wurde Graf Johann von Solms Burggraf und Mitbesitzer von Greifenstein. Auch die von Solms kämpften mit den Nassauern um den Besitz von Greifenstein, welches indessen immer noch nicht aufgebaut war. Erst 1384, als Burgsolms zerstört war, stellte Johann von Solms in Verbindung mit Ruprecht von Nassau-Merenberg das Schloss wieder her. Nach dem Tode des Letzteren fiel dessen Antheil an Dietrich von Catzenellnbogen, welcher indessen 1391 seine Rechte auf dasselbe an Solms abtrat. Als im Jahre 1415 auch Sayn-Wittgenstein Erbansprüche auf Greifenstein machte, entstand eine lange Fehde, in Folge welcher 1475 Solms allein im Besitze der Burg blieb. Bei Theilung der Linie Solms erhielt sie Bernhard, der Gründer der Linie Solms-Braunfels. Als seine Söhne sich abermals in die Lande theilten, fiel sie Wilhelm zu, dessen Enkel Wilhelm Moritz 1696 nach dem Aussterben der Braunfelser Linie seinen Wohnsitz in das ihm zugefallene Schloss Braunfels verlegte. Hiermit begann der Verfall der Burg; selbst die von Wilhelm Moritz erbauten grossen Säle sind zusammengestürzt; nur die 1686 über einer alten erbaute Kirche ist erhalten, sowie auch die beiden alten Thürme, der sog. Nassauerthurm mit dem Greifen auf der Spitze und sein durch eine Gallerie mit ihm verbundener Nachbarthurm, stehen geblieben sind. Ausserdem hat sich ein eigenthümlicher runder Bau, die sogenannte „Rossmühle“ wohl erhalten. Die zwanzig Pforten, welche die Burg gehabt haben soll, sind auch nicht mehr zu ermitteln, dagegen hat sich eine sie betreffende Anekdote noch erhalten. Als nämlich, erzählt man, Turenne bei Hermannstein im Lager gelegen, habe er vergebliche Versuche gemacht, die Veste einzunehmen; er habe darauf die Unthunlichkeit einer Belagerung und Erstürmung derselben einberichtet. Als der Graf von Greifenstein dieses gehört, habe er Turenne zum Besuche eingeladen, und ihm die Uebergabe des Schlosses versprochen, wenn [72] er beim Rückweg an jeder Pforte einen Becher Weins leeren wolle. Aber die Menge der Thore machte es ihm unmöglich. „Diesem nach nahm der General einen ziemlichen Rausch mit sich hinweg“, erzählt der Antiquarius. An dem Thore, wo ihm die Kehle den Dienst versagte, soll er ausgerufen haben:
Greifenstein du edles Haus,
Nüchtern herein und trunken heraus.
Eine Stunde westlich von Greifenstein liegt in einem Thale am Dorfe gleichen Namens Schloss Beilstein, früherer Sitz der Nassau-Beilstein’schen Nebenlinie, das indessen grösstentheils in Trümmern liegt. Auf dem Wege dorthin kommt man nicht weit von sehr sehenswerthen Basaltbrüchen vorüber. Erfreulich ist in dieser unwirthlichen Gegend die Wirthschaft im Schlosse zu Beilstein, welche dem Touristen das Wünschenswerthe gut und billig bietet. – Von Beilstein kann man in drei Stunden zur Eisenbahnstation Löhnberg gelangen; wir begeben uns indessen wieder nach Wetzlar, um die zwischen diesen Stationen liegende lohnende Partie des Lahnthals nicht zu versäumen. Auf dem Bahnhof eingestiegen, führt uns der Zug über die Dill-, und bald über eine Lahnbrücke; rechts werfen wir einen Blick auf das Schlachtfeld mit seinem Denkmal; links verschwindet allmählich die Stadt; nur noch der Kalsmunt mit seinem Thurme, dem ernsten Zeugen der Liebe Göthe’s zu Charlotte Buff, grüsst zu uns herüber. Uns ist es vergönnt, ihn noch einmal zu schauen, während Göthe bei seinem schweren Abschied von Wetzlar klagt:
Morgennebel, Lila,
Hüllen deinen Thurm ein.
Soll ich ihn
Zum letztenmal nicht sehn!
Doch mir schweben tausend Bilder
Seliger Erinnerung
Heilig warm um’s Herz.
Wie er dastand,
Zeuge meiner Wonne,
Als zum erstenmal
Du den Fremdling
Aengstlich liebevoll
Begegnetest,
Und mit einemmal
Ew’ge Flammen
In die Seel’ ihm warfst! –
Zische Nord!
Tausend-schlangenzüngig
Mir ums Haupt!
Beugen sollst du’s nicht!
Beugen magst du
Kind’scher Zweige Haupt,
Von der Sonne
Muttergegenwart geschieden.
Allgegenwärt’ge Liebe!
Durchglühst mich;
Beutst dem Wetter die Stirn,
Gefahren die Brust;
Hast mir gegossen
Ins früh welkende Herz
Doppeltes Leben:
Freude zu leben,
Und Muth!
Eine kurze Strecke unter Wetzlar zieht auf der Anhöhe rechts ein stattliches Gebäude und daneben ein altes Gemäuer unsern Blick auf sich. Letzteres sind die Trümmer der Dalheimer Kapelle, des einzigen Ueberrestes von dem hier gelegenen, schon frühe ausgegangenen Dorfe Dalheim, dessen Einwohner sich wahrscheinlicher Weise in der Neustadt von Wetzlar angesiedelt haben. Das Dorf zur Linken, an dem wir bald darauf dicht vorüber fahren, heisst Steindorf und gehört schon zum Solms-Braunfelsischen Gebiet; noch ein paar Minuten und wir sind auf der Station Albshausen angelangt, welche ihr Bestehen dem bedeutenden, dem Fürsten von Braunfels gehörenden Eisensteinlager verdankt, welches in neuerer Zeit in dem nahen Walde aufgeschlossen worden ist, und welches allerdings mit den übrigen Bergwerken im Braunfelsischen die Behauptung des von einem Solmsischen Freund eines Näheren unterrichteten Antiquarius des Lahnstroms fast zu bestätigen scheint: „Man trifft in der Grafschaft Solms eine solche Menge Eisensteine an, dass es, wenn es nicht allzuviel Holz kostete, ganz Deutschland mit Eisen versehen könnte.“ Es ist nur zu verwundern, wie diese, sowie überhaupt die Erzlager an der Lahn so lange unbeachtet, und mehr noch, wie die Güte des aus ihnen gewonnenen Eisensteins, der heutigen Tages so sehr gesucht ist und weithin verführt wird, unbekannt bleiben konnte. Der Station Albshausen schräg gegenüber, und leicht von da durch Uebersetzen über die Lahn zu erreichen, [74] liegt Kloster Altenberg, welches schon auf den Aussichtspunkten bei Wetzlar unsere Aufmerksamkeit auf sich gezogen hat, und zu dem von dieser Stadt aus auch den Fussgänger ein bequemer Weg unter Obstbäumen hin in dreiviertel Stunden führt. Die Lage der freundlichen Klostergebäude und der stattlichen Kirche am Rande der das Flussthal begrenzenden, mit Weinreben und Kirschbäumen bepflanzten Anhöhe, auf der einen Seite den von prachtvollen Buchen beschatteten Thaleinschnitt, auf der andern das Grün des zu einem Parke umgewandelten Klostergartens, rings auf der Höhe fruchtbare Felder, und unten das weite, gesegnete Flussthal, ist so ausnehmend schön, dass der rheinische Antiquarius sogar meint, es möchte der reichsten Phantasie schwer fallen, eine reizendere Lage als die von Altenberg zu entdecken. Der vordere Flügel der umfassenden Gebäude ist nach der Säcularisirung des Klosters im Jahre 1803 von dem Fürsten von Braunfels zu einer Sommerwohnung eingerichtet worden. Vor demselben zieht sich ein schmaler Gartenraum hin, von dem man, wie von einigen Punkten des gegenüberliegenden Parks, das schöne Thal zu Füssen, rechts das sich hoch aufthürmende Schloss Braunfels und links in der freundlichsten Lage Wetzlar und die es umgebenden Anhöhen übersieht. Hinter dem Parke liegt der weite Klosterhof mit den Wirthschafts- und Oeconomiegebäuden. Besonders sehenswerth ist die ansehnliche, im dreizehnten Jahrhundert im gothischen Style einfach und edel aufgeführte Klosterkirche, als deren Erbauerin man Gertrudis, die Tochter der heiligen Elisabeth, nennt. Sie ist einschiffig, und nur nach der Nordseite mit einem Querschiffe versehen. Unter den daselbst noch vorhandenen Denkmälern zeichnet sich das Grabmal der Gertrudis vor dem Hochaltar aus, auf welchem dieselbe im Tode daliegend, den hessischen Löwen zu ihren Füssen, in Lebensgrösse dargestellt ist. Dies Sculpturwerk, aus dem [75] Jahre 1334 stammend, ist höchst beachtenswerth, da es nach Schnaase zu den weiblichen Grabbildern aus dem 14. Jahrhundert gehört, „welche die Vorzüge des älteren Styls, also die grössere Ruhe und das architectonische Formgefühl vollständig bewahrend, zugleich aber durch grössere natürliche Anmuth und höhere Belebung vor den älteren entschieden gewinnend, mit den langen, ruhig fallenden Gewändern, mit den lieblichen, jugendlichen Zügen des nonnenhaft umhüllten Hauptes oft ein rührendes Bild der Demuth, Milde, Innigkeit, Andacht geben“. Die Inschrift am Monumente lautet: Anno Dni MCCXCVII in die bti Ypoliti obiit bta Gerdrudis, felix mater hujus conventus, filia sce Elyzabet Landgravie Thuringie. Von den übrigen Epitaphien der Kirche ist noch das in Sandstein gehauene des Grafen Bernhard II. von Solms-Braunfels aus dem 15. Jahrhundert zu erwähnen. Es stellt denselben betend lebensgross in Relief dar, über ihm die Verkündigung Mariä. Eine andere Abbildung in Lebensgrösse soll dem Grafen Heinrich III. von Solms-Braunfels, gest. 1312, gelten. Von den übrigen Denkmälern und Gemälden, welche die Kirche bewahrte, sind die werthvollsten in die Gallerie nach Braunfels gekommen; unter den noch vorhandenen ist ein in Holz geschnittenes Muttergottesbild mit dem Christuskind auf dem Arme, und ein Schrein mit Relieffiguren, welche Momente aus dem Leben der Maria darstellen, zu bemerken. Sie befinden sich in dem auf gothischem Gewölbe ruhenden Nonnenchor. Die Gründung des Klosters fällt in die zweite Hälfte des zwölften Jahrhunderts; auch hat sich eine auf sie bezügliche Sage erhalten. Es wird nämlich erzählt, die Gemeinden Dalheim und Obernbiel, über die Grenzen ihrer Viehtriften auf „dem alten Berge“ in Streit gerathen, hätten einen Priester Gottfried zum Vermittler in demselben gewählt. Dieser hätte das streitige Gebiet für sich erbeten und beschlossen, zur Ehre und Verherrlichung Gottes eine Kirche auf demselben [76] zu gründen. Zweifelhaft über die Stelle, wo dieselbe erbaut werden solle, sei er von der Nacht überrascht worden, und habe sich zum Schlafe niedergelegt; am andern Morgen aber habe er das Kästchen mit Reliquien, welches er bei sich geführt, vermisst und, eifrig nach dem verlorenen Schatze suchend, es an einer Brombeerstaude hängend gefunden, neben welcher Waldbienen ihren Stock in Form eines Altars erbaut hätten. Und nachdem ein Traum ihm einen Zug weissgekleideter Jungfrauen gezeigt, habe er an jener Stelle das Kirchlein gegründet und daneben einige Zellen erbaut, in welche sechs Prämonstratensernonnen aus Wülfersberg als erste Insassen eingezogen seien. Als erste Aebtissin des Klosters wird Laodamia genannt; ihr folgte Christine von Biel. Aber erst unter Gertrudis, welche der Sage nach als anderthalbjähriges Kind von ihrer Mutter Elisabeth von Marburg hierher getragen und den Nonnen zur Pflege übergeben worden war, und die schon im einundzwanzigsten Lebensjahre zur Aebtissin gewählt wurde, erhob sich (von 1248–97) das Kloster zu grösserer Bedeutung. „Der Leitung der im heiligen Glanze strahlenden Lehrerin unterwarfen sich frühzeitig mehrere Jungfrauen, aus Nassauischen, Solmsischen und diesen gleichen Stämmen entsprossen, und widmeten sich dem Klosterdienste. Auch ihr Vermögen brachten nicht wenige dem Kloster zu, womit Gertrudis unter dem Beistand des Himmels die herrliche Kirche erbaute, welche sie der heiligen Jungfrau und dem Erzengel Michael weihte; auch die stattlichen Klostergebäude wurden von ihr aufgeführt.“ So erzählt der rheinische Antiquarius. Obwohl Gertrudis nicht förmlich heilig gesprochen worden ist, so fehlen doch nicht Berichte über ihre Gabe, das räumlich Ferne und das Zukünftige zu schauen und Wunder zu thun. Sie soll als ein vierjähriges Kind in der Todesstunde der heiligen Elisabeth ausgerufen haben: „Ich höre zu Marburg das Todtenglöcklein läuten, und wird [77] in diesem Augenblicke meine liebe Mutter verschieden sein.“ Auch wohnte ihr der Sage nach die Macht bei, selbst die erbittertsten Feinde zu versöhnen und wilde Thiere durch ihren Blick zu bändigen. Unter den Nachfolgerinnen der Gertrudis begegnen wir oft den Namen Solms und Nassau, von welchen Häusern auch das eine oder das andere die Schutzherrschaft über das Kloster übte, während in geistlicher Beziehung dasselbe dem Abte von Rommersdorf untergeben war. Im dreissigjährigen Kriege erlitt es manche Drangsale namentlich durch Buttlers Schaaren. Im Jahre 1646 wurde es noch einmal von den Schweden geplündert; die Gebäude wurden zerstört und die Viehheerden weggetrieben.
Dem von Albshausen auf der Bahn abwärts Fahrenden zeigt sich rechts jenseits der Lahn in freundlicher Lage Obernbiel, der Stammort der Herren von Biel, von deren Burghaus sich noch wenige Mauerreste bei der Kirche vorfinden. Bald erscheint links, etwas abseits an der Solmsbach gelegen, das Dorf Burgsolms. Aus den Häusern des Ortes ragt eine dunkle Mauer, der Rest der früher dort befindlichen Burg gleichen Namens, empor. Sie gehörte einer früheren Linie des Solmsischen Geschlechtes an, und wird von Einigen sogar für die Stammburg des Solmsischen Hauses angesehen. Uebrigens ist nichts historisch Merkwürdiges von ihr zu berichten; aber es knüpft sich an sie eine ähnliche Sage, wie sie von Weinsberg zum Preise der Frauen erzählt wird. Als nämlich im Jahre 1384 die Burg von Otto von Braunfels und den mit ihm verbündeten wetterauischen Reichsstädten belagert und zerstört wurde, soll die Gemahlin des Grafen von Solms, Johann II., genannt Springsleben, vorher mit den Belagerern den Vergleich ausgewirkt haben, alles mit sich nehmen zu dürfen, was sie mit Hülfe ihres Hundes aus der Burg heraustragen könne. Dieser erschien nun, sich als ein gewaltiges Exemplar des Hundsgeschlechts ausweisend, mit den [78] Kostbarkeiten seiner Herrin beladen, während sie selber ihren gräflichen Gemahl auf dem Rücken trug.
Burgsolms gegenüber erblickt man auf der rechten Seite des Flusses Niedernbiel. Von hier aus beginnt der Charakter des Lahnthals sich einigermassen zu verändern; die steil abfallenden Anhöhen, welche das breite Flussthal begrenzt haben, flachen sich besonders auf der rechten Seite zu ihm ab, indem sie zugleich seine Sohle mehr beschränken. Wenn man einen Durchschnitt passirt ist, erblickt man zur Linken einen die Anhöhe bedeckenden Buchwald, welchen die Plankenumzäunung am Saume der Wiese als den Wildpark des ganz in der Nähe residirenden Fürsten von Braunfels ankündigt. Nun erscheint das stattliche Gebäude der Station Braunfels, einsam am Ausgange des Möttbachthales oder Mühlengrundes unmittelbar an der Lahn gelegen. Auch hier geben aufgehäufte Eisensteinmassen einen eifrigen Bergwerksbetrieb in der Nähe kund, und wahrscheinlich werden in kurzer Zeit die Lager noch viel beträchtlicher werden, wenn erst Commerzienrath Krupp von Essen, der die sehr ergiebigen Bergwerke bei dem 11/2 Stunden entfernten nassauischen Orte Philippstein an sich gebracht hat, die projectirte Zweigbahn dorthin hat bauen lassen. Die Brücke, welche bei der Station Braunfels über die Lahn führt und das ganze Thal überspannt, ist die Leuner Brücke. Sie ist zwar unschön, aber die längste, welche das Lahnthal aufzuweisen hat; sie misst ungefähr 700 Fuss und soll schon 1481 vom Grafen Otto von Solms erbaut worden sein.
Um von dem Stationsgebäude nach Braunfels selbst zu gelangen, bedarf es übrigens, wenn man nicht vorzieht, die Postverbindung zu benutzen, eines Wegs von
[79] dreiviertel Stunden. Derselbe führt durch das Möttbachthal und durch den Wildpark, in welchem man, wenn man glücklich ist, das seltene Schauspiel von Rudeln rasch dahinfliegender oder ruhig ässender Hirsche geniessen kann. Bald zeigt sich in höchst pittoresker Lage auf steiler Bergkuppe das thurm- und zinnenreiche Schloss Braunfels, und um dasselbe herum, zum Theil hinter dichten Baumgruppen die Stadt gleichen Namens. Schloss Braunfels, die Residenz des Fürsten von Solms-Braunfels, bewahrt in seinen beträchtlichen Dimensionen, welche es zu einem der bedeutendsten Schlösser in den Rheinlanden machen, umsomehr auch den Charakter imponirender Alterthümlichkeit, da die in neuerer Zeit unternommenen grossartigen Neubauten ebenfalls im Style des Mittelalters aufgeführt sind. Die Stadt, welche ungefähr 1500 Einwohner zählt und der Sitz der Justiz- und Verwaltungsbehörden für das Fürstenthum ist, und in der Wasser- und Fichtennadel-Heilanstalt des Dr. Zimmermann ein vielbesuchtes Bad besitzt, ist zum Theil in den äusseren Bering des Schlosses hereingezogen. Der steile Aufgang zu demselben von dem mit einem Denkmale zu Ehren des Fürsten Wilhelm geschmückten Marktplatze führt nach dem Thorweg, durch welchen wir unter der Schlosskirche her in den von den gewaltigen Hauptgebäuden umgebenen Schlosshof gelangen. Zu den Sehenswürdigkeiten des Schlosses gehört vor allen der vom Fürsten Ferdinand im älteren Theile desselben restaurirte Rittersaal. Zahlreiche, zum Theil sehr schöne Ahnenbilder des Solmsischen Hauses schmücken seine Wände; auch andere Gemälde und Kupferstiche, mittelalterliche Kunstschätze und Geräthschaften, besonders aber Rüstungen mit allen dazugehörigen Schutz-und Angriffswaffen versetzen uns in die Zeiten des Mittelalters. Ausserdem befindet sich im Schlosse noch eine besondere, vom Fürsten Wilhelm angelegte, und von seinem Sohne, dem Fürsten Ferdinand, vervollständigte
[80] Sammlung römischer und germanischer Alterthümer, welche meistens aus den zahlreichen Grabhügeln der Umgegend ausgegraben worden sind. Auch der mit Hirschhornmöbeln ausgestattete und mit werthvollen Gemälden (worunter eines den Fürsten Ferdinand darstellt, von Deicker) ausgeschmückte Speisesaal ist sehenswerth, sowie die kleine, aber zierliche Schlosskirche, welche auch der Stadtgemeinde zum Gottesdienste dient. Sie ist im Jahre 1491 erbaut worden und mit einer schönen Orgel, mehreren Epitaphien, unter denen das Marmordenkmal des Fürsten Ferdinand Wilhelm Ernst und seiner Gemahlin Sophie Christine Wilhelmine und das des Grafen Heinrich Trajectinus, sowie mit einem Oelbild von Deicker geschmückt.
Eine reizende Aussicht eröffnet sich auf der nach Norden gelegenen Schlossterrasse. Vor uns liegen Waldberge und der tiefe Mühlengrund, in ihm die Vorstadt St. Georgen; nach Nordosten zu erscheint das Lahnthal mit seinen schön gelegenen Dörfern und dem Kloster Altenberg, mehr östlich die Umgegend von Wetzlar und der Stoppelberg; von Norden schauen die Vorberge des Westerwaldes herüber, während nach Westen zu die Aussicht durch die nahen Waldberge beschränkt wird. Die kleine Lärmglocke, welche auf der Terrasse hängt, ist sehr alt; von den auf derselben aufgestellten Kanonen stammt eine aus dem Jahre 1518. Auch auf dem „Schlossberg“, den Anlagen um das Schloss herum, finden sich reizende Aussichtspunkte. Der schön angelegte und trefflich gehaltene herrschaftliche Garten liegt auf dem westlichen Abhange des Berges und zieht sich in das Thal hinab; auch in ihm erfreuen uns schattige Alleen, reinliche Blumenfelder und anmuthige Plätzchen. – Demjenigen, welcher sich noch weiter in der Umgegend umsehen will, bietet der nahe Wildpark manche schöne, schattenreiche Partien, und der Weg nach Philippstein, [81] der Ruine einer von Philipp von Nassau-Weilburg angelegten Burg, einige ganz romantische Punkte.
Der jetzige Fürst von Solms-Braunfels, Ferdinand, vermählt mit der Gräfin Ottilie von Solms-Laubach, ist im Besitze des grössten Theils der Solmsischen Länder. Sein Gebiet, an der Lahn, Dill und in der Wetterau gelegen, umfasst 9 Quadratmeilen, auf welchen in 62 Ortschaften über 65,000 Menschen wohnen. – Die Anfänge der Geschichte des Hauses Solms sind sehr in Dunkel gehüllt. Die Behauptung des Solmsischen Archivraths Schaum, welcher den Ursprung desselben an die einst im Lahnthal angesessenen, mächtigen salischen Conradiner knüpft, ermangelt der urkundlichen Begründung. Der rheinische Antiquarius pflichtet der Vermuthung des hessischen Geschichtsschreibers Wenck bei, nach welcher das Geschlecht der Solmser, von welchem schon im Jahre 1129 ein Marquardus de Sulmese vorkommt, sich eine Reihe von Jahren unter dem Namen von Weibach oder Wegebach versteckt habe. Der Umstand, dass die bei den späteren Solmsern oft vorkommenden Namen Gottfried und Heinrich auch unter diesen sich finden, dass Weibach oder Wegebach, wonach sich dieselben benannten, in der Nähe von Königsberg und Hohensolms gelegen war, gibt dieser Vermuthung viel Wahrscheinlichkeit. Vom Jahre 1226 an erscheinen wieder Grafen von Solms, und zwar ein Heinrich und Marquard. Eines zweiten Heinrichs von Solms Söhne, Heinrich III. und Marquard II., wurden die Stifter der altbraunfelsischen und der Burgsolmser Linie. Ein Sohn des Letzteren, Heinrich, ist derselbe, welcher mit dem Grafen von Nassau-Dillenburg Greifenstein zerstörte. Von jetzt an folgen die häufigen Fehden, in welche die Grafen von Solms sich mit benachbarten Dynasten und mit der Reichsstadt Wetzlar verwickelten. Ein Graf Johann, von dem alten Rathe von Wetzlar bei einer Zweiung im [82] Jahr 1367 zu Hülfe gerufen, bemächtigte sich „mit süssen Worten“ der Stadt.
Des voglers pfeiff gar süse sang,
Da er thete den vogelfang.
bemerkt die Limburger Chronik dabei. Doch verlor er die Stadt nach drei Jahren wieder. Die Söhne eines 1409 verstorbenen Grafen Otto, Bernhard II. und Johann wurden die Stifter, ersterer der Linie Braunfels mit Greifenstein, Hungen und Wölfersheim, und letzterer der Linien Lich-Hohensolms, Laubach und Rödelheim. Die Reformation wurde in der Grafschaft Solms-Braunfels von Philipp und dessen Sohn und Nachfolger Conrad, dem Schwager Wilhelms des Verschwiegenen von Nassau-Dillenburg, eingeführt. Man kennt die letzten Worte dieses hochherzigen Mannes, als ihn die meuchelmörderische Kugel Gerards in Delft getroffen: „Mein Gott, erbarme dich meiner und deines armen Volks!“ Hier mögen als Parallele, welche dasselbe edle, für das Wohl des Volkes schlagende Herz der Schwester bekundet, die Worte der Gräfin Elisabeth stehen, welche sie in ihrer Sterbestunde (1603) gesprochen hat: „Will auch nun den Unterthanen semptlich eine gute Nacht sagen und sie dem allmechtigen Gott befehlen, dem ich sie dann allezeit von Grund meines Herzens biss auf diese Stund befohlen hab, also von Herzen, als meinen eignen Leib, als meine eigne Kinder, die ich unter meinem Herzen getragen hab, dass der getreue Gott sie gnediglich wolle behüten an Leib und Seel und ihre Herzen und Thun allzeit regieren durch sein Wort und Geist.“ Im Jahre 1603 fand eine neue Theilung der Länder statt; von Conrads Söhnen erhielt Johann Albrecht Braunfels, Wilhelm Greifenstein, und Otto Hungen. Von den späteren Gliedern des Solmsischen Hauses haben sich der Sitte der Zeit gemäss, zumal die nachgeborenen Söhne, häufig in auswärtige Kriegsdienste begeben, und zum Theil rühmlich in denselben ausgezeichnet. Im dreissigjährigen [83] Krieg hatte Schloss Braunfels viel durch die kaiserlichen Truppen zu leiden. Nach der Schlacht am weissen Berg 1621 nahmen es Spanier, plünderten es, und die Einwohner der Stadt wurden von der Besatzung auf das grausamste bedrückt. Graf Tilly hatte sogar 1630 die Grafschaft zum Lehen erhalten, doch wurde das Schloss im Jahre 1632 wieder genommen. Noch einmal wurde es von der ligistischen Armee 1634 erobert, doch schon im folgenden Jahre nahm es Ludwig Heinrich von Nassau, und zwar sehr leichten Kaufes, wieder und gab es seinem Besitzer zurück. Der Antiquarius des Lahnstroms erzählt diese Einnahme, wie folgt: „Den 17. Januar an einem Samstag Abends in der Stille zwischen 5 und 6 Uhr brach der Obriste und Graf Ludwig Heinrich von Nassau mit einem Theil der zu Dillenburg liegenden Besatzung auf, des Vorhabens, nach Mitternacht, etwa um zwei Uhr, die Festung Braunfels zu überrumpeln. Weil aber der Wagen, worauf die Leitern, Petarden und anderes Zubehör geführt wurde, unterwegs brach, so verzog es sich bis Morgens früh am 5 Uhr, als eben der Tag anbrach, ehe er vor Braunfes kam. Es wurde zwar sogleich Lärmen im Schloss, nichts destoweniger aber überstieg der Graf in aller Eil den Thal (Stadt Braunfels) und überfiel die Hauptwache, ehe sie noch recht ins Gewehr treten konnte. Diese machte er nieder und setzte darauf an das Schloss. Er legte Petarden an das vorderste und an die übrigen Thore, weil sie aber keine Wirkung thaten, brennte er dieselben weg. Dies verursachte einen solchen Dampf und Rauch, dass fast Niemand durch das Gewölbe hineinkommen konnte. Unterdessen stellten sich die Soldaten mit Steinwerfen und Schiessen tapfer zur Wehre, rückten auch noch vor das oberste Thor einen Sturmhaspel; dessen aber allen ohngeachtet wurde ihnen im völligen Dampfe dergestalt begegnet, dass sie ausreissen und um Quartier bitten mussten. Solcher Gestalt wurde dieser Ort [84] ohne Verlust eines einzigen Mannes wieder erobert, ausser dass wohlgedachter Herr Obrister selbst mit einem grossen Stein, doch ohne Gefahr, auf den Kopf war geworfen, sein Sattelknecht aber durch den Kopf geschossen worden.“ Im Jahre 1679 wurde das Schloss durch eine Feuersbrunst, welche im Kamine des Wachthauses entstanden war, fast ganz und dazu ein Theil der Stadt eingeäschert; auch das Archiv wurde zum grossen Theil ein Raub der Flammen. Damals regierte Graf Heinrich Trajectinus, einer der bedeutendsten Männer aus dem Solmsischen Geschlecht, der Begleiter Wilhelms III. von Oranien und der tapfere Kriegsheld, welcher in der Schlacht bei Neerwinden 1693 den Heldentod gefunden hat. Seine Leiche wurde in der Schlosskirche beigesetzt. Nach seinem Tode ging die Herrschaft auf die Greifensteiner Linie über; Wilhelm Moritz, ein sehr thätiger Herr, setzte den Wiederaufbau des Schlosses fort, sorgte eifrig für Industrie, und legte Eisenhütten und Hämmer an. Sein Sohn und Nachfolger Friedrich Wilhelm erhielt im Jahre 1742 die Würde eines Reichsfürsten. Im Jahre 1848 wurde Schloss und Stadt Braunfels der Schauplatz zügelloser Bauerntumulte, welche nur durch Militär, das man von Coblenz requirirte, unterdrückt wurden, doch nicht ohne dass fünf Bauern zum Opfer fielen.
Wenn man die Station Braunfels eben verlassen hat, zeigt sich das von ihr eine Viertelstunde entfernt gelegene Städtchen Leun jenseits der Lahn in anmuthiger Lage. Dasselbe kommt schon im Jahre 912 unter dem Namen Linna vor. Kaiser Friedrich IV. verlieh dem Orte Marktgerechtigkeiten und Graf Heinrich Trajectinus erhob ihn zur Stadt im Jahre 1664. Seine Einwohner (circa 1000) ernähren sich übrigens meistens vom Landbau, und da er mehreremale von bedeutenden Feuersbrünsten heimgesucht worden ist, so trägt er das Gepräge eines alten Städtchens nicht an sich. Von Leun aus erreicht man in einer Stunde die Dianenburg, ein auf [85] dem waldbedeckten Kesselsberge vom Fürsten Ferdinand von Solms-Braunfels erbautes Jagdhaus mit einem Thurme. Wegen der umliegenden schönen Waldpartien und mehr noch wegen ihrer ausgedehnten herrlichen Aussicht in das Lahn- und Dillthal ist die Dianenburg ein von den Bewohnern der benachbarten Städte oft besuchter Punkt. – Bei der eine halbe Stunde unterhalb Leun gelegenen Station Stockhausen, die man erreicht, nachdem man die Lahn überschritten, deuten grosse Lager einen bedeutenden Eisensteinbetrieb an. Die Erze kommen aus der reichhaltigen Grube „Würgengel“ jenseits der Lahn, und werden von dort über eine das Thal überspannende Holzbrücke auf Schienen zur Haltestelle gebracht. Stockhausen selbst ist ein unbedeutender Ort; doch hat es einem adeligen Geschlechte seinen Namen gegeben. Nun erscheint rechts das Dorf Biskirchen, an dessen altem Kirchlein man dicht vorüberfährt. Der Ort, früher Bischofskirchen geheissen, besitzt ausser dem in der Nähe hervorsprudelnden Säuerling, der nach der ganzen Umgegend verschickt und gerne getrunken wird, nichts Merkwürdiges. Unterhalb des Dorfes mündet die von Greifenstein herabkommende Ulmbach in die Lahn. Jetzt erweitert sich das Flussthal beträchtlich; während sich jenseits der Lahn dicht am Ufer schöne Waldberge erheben, dehnt sich vor uns ein fruchtbarer Wiesengrund aus, zu welchem sich von der rechten Seite die Felder sanft abflachen. Hier passiren wir auch die nassauische Grenze; jenseits der Lahn zeigt sich freundlich am Berge gelegen, das erste nassauische Dorf, Selters, thalabwärts aber erhebt sich auf einer mässigen Anhöhe das Löhnberger Schloss, dem wir uns in einer grossen Curve nähern. Ein breites Seitenthal thut sich vor unsern Blicken auf, aus welchem die Calenbach der Lahn zufliesst. In diesem Thale erblickt man die Löhnberger Hütte, als „Waldsmede“ schon zu Anfang des 15. Jahrhunderts erwähnt. Jetzt gehört das Werk der [86] Herzoglichen Domäne. Vor der Anhöhe, auf welcher das Schloss Löhnberg steht und sich der Flecken gleichen Namens hinzieht, befindet sich ein dem von Biskirchen ähnlicher Sauerbrunnen. Die Bahn führt dicht unter dem Schlosse und dem Orte her zur Haltestätte. Letzterer kommt zu Ende des dreizehnten Jahrhunderts unter dem Namen Heymaue zuerst vor und hatte sein eigenes Gericht, zu dem noch mehrere benachbarte Ortschaften gehörten. 1321 ertheilte Graf Johann von Nassau-Dillenburg dem Orte Stadtrechte und legte das Schloss an, welches er Laneburg nannte, und von dem später der Name auch auf den Ort selber überging. Die Nassau-Oranische Linie blieb im Besitz des grössten Theils der Herrschaft bis zum Jahre 1773, wo derselbe an Nassau-Weilburg überging, welches schon früher ein Viertel des Ganzen besessen hatte. Das zweiflügelige Schloss, welches noch unter Dach steht, dient jetzt zu Fruchtspeichern. Von Löhnberg an rücken die Anhöhen meist in steilem Abfalle wieder ganz nahe an den Fluss, und dieser Charakter enger Begrenzung bleibt dem Lahnthal bis unterhalb Runkel. Die in dieser fruchtbaren Gegend angesiedelten grossen Ortschaften haben meistens in dem Thale nicht mehr den notwendigen Raum gefunden, sondern ziehen sich von der Anhöhe zum Flusse herab, oder dehnen sich, malerisch den Rand derselben begrenzend, landeinwärts aus. Das erste Dorf, welches wir jenseits der Lahn erblicken, heisst Ahausen; die neue Lahnbrücke weiter abwärts ist lediglich zu dem Zwecke gebaut, um die Eisensteinmassen, welche drüben aus verschiedenen Bergwerken zu Tage gefördert werden, nicht auf dem Umweg über Weilburg und die dortige Brücke zum Bahnhof bringen zu müssen.
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Auf dem Bahnhof zu Weilburg erblickt man von der Stadt nur die jenseits des Flusses auf der Anhöhe gelegenen stattlichen Häuser der oberen Vorstadt; sind wir indessen mit wenigen Schritten an einen Bergvorsprung gelangt, so überrascht uns mit einem Male der höchst imposante Anblick derselben. Natur und Kunst in alter und neuester Zeit haben mit einander gewetteifert, diesen Punkt zu einem der reizendsten im Lahnthal zu machen. Vor uns fliesst die Lahn in ansehnlicher Breite, und auf ihrer ruhigen Fläche spiegeln sich die herrlichen Baumgruppen des unteren Theils des Schlossgartens, des sogenannten „Gebücks“, über welchem die schöne Stadtkirche hervorschaut; weiter unten erhebt sich malerisch auf steilem Felsen das Schloss mit seinem alterthümlichen Hauptflügel und dem weit auf der Höhe sich hinziehenden Prinzessenbau; an den Felsen, welcher das Schloss trägt, schmiegt sich eine Mühle, von deren Wehr das Rauschen der Wellen zu uns hinübertönt; bei derselben überspringt in leichten Bogen die steinerne Brücke den Fluss; uns zur Rechten liegen die stattlichen, im neuen Style erbauten Häuser der unteren Vorstadt, und weiter abwärts schliessen steil abfallende Gärten, bei denen die Lahn in einer Krümmung nach links verschwindet, und darüber der grüne Wald die Aussicht ab. Und wenden wir den Blick rückwärts, so zeigt sich uns die schöne Eisenbahnbrücke, in ihrer Zierlichkeit ein wahres Meisterwerk modernen Brückenbaus, welche unmittelbar in einen Tunnel einmündet, und neben ihr die dunkle Oeffnung eines zweiten, durch welchen die Lahnschiffe ihren Weg finden, und die uns beide eine Ahnung von der noch nicht überschauten merkwürdigen
[88] Lage Weilburgs geben. Denn das ist das Charakteristische und zugleich Reizende derselben, dass die Lahn, deren enges Thal jenseits von steilen, in Terrassen aufsteigenden Gärten, von Wald und Gebüsch und von einer schroff sich emporthürmenden Felsenpartie begrenzt ist, die Stadt in einem Bogen umfliesst, dessen Endpunkte sich so nahe berühren, dass auf dem Sattel, welcher dieselbe mit den umliegenden Anhöhen verbindet, nur für die mit Linden bepflanzte, nach Wetzlar und Frankfurt führende Chaussee und die an ihr erbauten Häuser Raum geblieben ist. Diese Bodenbeschaffenheit hat die Stadt in alten Zeiten, wo noch kein Geschütz dieselbe von den nahen Anhöhen bedrohen konnte, zu einem sehr festen und leicht zu vertheidigenden Punkt gemacht. Daher ist es nicht zu verwundern, dass schon die salischen Conradiner, die im mittleren Lahnthal ansässig waren, hier eine ihrer Hauptburgen gegründet haben. In westlicher Richtung schliesst sich an die schroffen Felsabhänge, welche das Flussthal begrenzen, ein allmählig sich zu einem höheren Bergkamm hinaufziehender Buchwald, der mit seinem frischen Grün in die Strassen der Stadt hineinleuchtet, und aus dem der Gesang der Vögel gar vernehmlich herübertönt. Nach Osten und Norden hin ziehen sich Felder bis zum Rande des Thals herab, aber ihr Einerlei ist sehr anmuthig durch die herrlichen alten Lindenalleen, welche die Landstrassen nach Frankfurt und nach Limburg beschatten, unterbrochen. Der Fahrweg zur Stadt führt über die Lahnbrücke, und zieht sich dann am Berge hinauf zur Höhe derselben; für Fussgänger ist indessen auch auf der Eisenbahnbrücke eine Passage eröffnet, die uns auf kürzerer Strecke in das Innere der Stadt führt. Hier treten wir durch das nach Art eines römischen Triumphbogens erbaute Landthor in dieselbe ein. Die reinlichen Strassen sind meist mit zweistöckigen Häusern im Style des vorigen Jahrhunderts bebaut, welche uns
[89] jetzt zwar nicht sonderlich imponiren, aber dem Antiquarius des Lahnstroms zu dem Urtheil Anlass gegeben haben: „Man findet an Zierlichkeit der Gebäude, insoweit es die ungleiche Lage des Berges hat zulassen wollen, als an andern Vortrefflichkeiten wenig ihres Gleichen. Wie sie dann jetziger Zeit eine der schönsten und anmuthigsten Orte sowohl am ganzen Lahnstrom, als auch in allen umliegenden Ländern ist.“ Verfolgt man die Hauptstrasse, welche sich im Bogen am Rande der Anhöhe hinzieht, und den Blick in das Flussthal grösstentheils frei lässt, so erhält man ein deutliches Bild von der ebenso eigenthümlichen, wie romantischen Lage der Stadt. Da hebt sich fast senkrecht aus der Lahn ein kahler Felsen, „die Hauselei“, bis zu 160 Fuss empor; weiter aufwärts Felsabhänge, mit Buschwerk bewachsen, darüber der schöne Wald und unten im Thale abermals Lindenalleen, die nach der aus der Tiefe hervorragenden Kaserne führen; eine dritte, die sog. Kettenbrücke führt das Trinkwasser aus den hoch gelegenen, aus dem Walde hervorschauenden Wasserbehältern herüber. Ist man an einer zweiten in das Innere der Stadt führenden Strasse angelangt, so erblickt man an ihrem Ende den Eingang zum Schlosse, an das sich der Ursprung der es umgebenden Stadt knüpft.
Wie schon erwähnt, war hier sehr früh eine Burg oder Pfalz der salischen Conradiner. Dieses mächtige Geschlecht, bei welchem das Gaugrafenamt in dem von Wetzlar bis unter Dietz sich ausdehnenden Niederlohngau stand, kommt schon im achten Jahrhundert vor. Der älteste Gaugraf, dem wir begegnen (765–778) hiess Conrad; ein späterer, Gebhard, der im neunten Jahrhundert lebte, zeichnete sich durch die Stiftung des Klosters Gemünd aus, 879. Nun erscheinen, ohne nachweisbaren Zusammenhang mit ihm, aber von einigen Forschern als seine Enkel vermuthet, die Brüder Conrad, Gebhard, Eberhard und Rudolph, unter welchen der Niederlohngau [90] in zwei oder drei Theile getheilt sein musste. Conrad besass den oberen Theil, zu welchem Wetzlar und Weilburg gehörte, und führte den Titel Senior; er fiel in der Schlacht bei Fritzlar 905 gegen den Markgrafen Adelbert von Frankonien; seine Leiche wurde von seiner Gemahlin und seinen Kindern nach Wilinaburg (Weilburg) gebracht und daselbst begraben. Dieser Conrad war der Vater des Herzogs Conrad von Franken, der später als Conrad I. den Königsthron von Deutschland bestieg, während Eberhard der Ahne des Geschlechtes wurde, das später in Limburg und der Umgegend herrschte, und welchem als erster Gaugraf der berühmte Conrad Kurtzbold entstammte. Wenn es übrigens auch nur eine an Wahrscheinlichkeit grenzende Vermuthung ist, dass König Conrad I. in Weilburg geboren und erzogen worden sei, so steht doch fest, dass derselbe mit Vorliebe hier verweilte, um in den die Burg umgebenden grossen Forsten auf der Jagd sich von seinen verwickelten und beschwerlichen Reichsgeschäften zu erholen, und ebenso gewiss ist es, dass er, auf einer dieser Jagden erkrankt, hier gestorben ist und auf seinem Sterbebett die bekannte, ächt patriotische Verfügung an seinen Bruder Eberhard erlassen hat, die Reichskleinodien seinem bisherigen Gegner, Herzog Heinrich von Sachsen, zu überbringen, der, weil er bisher die Krone am meisten gefährdet habe, sie auch am besten zu behaupten im Stande sei. Auch spricht bei der Verschiedenheit der Angaben über die Grabstätte desselben, da einige Chronisten berichten, seine Leiche sei nach Fulda gebracht, und andere, sie sei in Wilinaburg bestattet worden, jedenfalls mehr für letztere Stadt. Uebrigens hat König Conrad sich auch um die geistige Bildung seines Stammlandes verdient gemacht, indem er die Kirche zu Haiger im Dillthal gründete, und in Weilburg selbst um 912 das Walpurgisstift errichtete. Durch die Auflehnung Eberhards, Herzogs von Franken, [91] gegen Kaiser Otto I., welche den Tod des ersteren zur Folge hatte, scheinen dessen Besitzungen von diesem eingezogen und das Gaugrafenamt einem anderen Geschlechte übertragen worden zu sein. So erklärt es sich, dass das Walpurgisstift in Weilburg im Jahre 993 als Eigenthum an das Bisthum Worms kam, und dass dieses im Jahre 1000 auch die Stadt mit Ausnahme der kaiserlichen Pfalz, zwei Jahre später die ganze Landschaft, und im Jahre 1062 sogar die Burg durch Schenkung an sich bringen konnte. Von den an der unteren Lahn ansässigen Grafen von Nassau, deren Besitzungen sich in der folgenden Zeit immer mehr ausdehnten, und sogar sich auf einzelne Theile des Oberlohngaus erstreckten, erscheint zuerst in Weilburg Walram I. († 1198) als Vogt der Kirche in Worms, und als solcher mit dem dortigen Bisthum in Streit wegen der Gefälle der Herrschaft. Kaiser Heinrich VI. schlichtete diesen im Jahre 1195 in der Weise, dass Walram ein Theil der Abgaben zugesprochen wurde. Sein Urenkel, der Sohn Walrams II., des Gründers der Walramischen Linie des Hauses Nassau, König Adolph, brachte die schon seit 1255 an Nassau verpfändete Landschaft im Jahre 1294 durch Kauf an sein Haus. Ein Enkel König Adolphs, Johann I., wurde im Jahre 1333 der Gründer der alten Weilburger Linie, von welcher sich die Idsteiner trennte. Seine Gemahlin brachte ihm die Herrschaften Merenberg und Gleiberg zu. Im Jahre 1366 wurde er und seine Nachkommen von Kaiser Karl IV. zu gefürsteten, gefreiten und hochgebornen Grafen erhoben. Ein Graf Philipp, der zweite dieses Namens, († 1492) wurde der Gründer der sogenannten Weilburger Linie, von welcher sich die Saarbrücker trennte. Im Jahre 1605 fielen die Besitzungen der ausgestorbenen Idsteiner Linie an den Grafen Ludwig von Weilburg zurück, dessen Sohn Ernst Casimir im Jahre 1627 der Gründer der neuen Weilburger Linie wurde, während mit seinem Bruder [92] Johann die bald wieder erlöschende neue Idsteiner Linie, und mit Wilhelm Ludwig die Saarbrücker Linie begann, welche sich abermals in die Linien Ottweiler, Saarbrücken und Usingen verzweigte, aus welcher letzteren nach dem Erlöschen der beiden ersteren die neuesten Usinger und Saarbrücker Linien hervorgingen. Als die erstere 1797 erlosch, fiel ihr Besitzthum an Nassau-Usingen, von welchem sämmtliche Lande im Jahre 1816 an Nassau-Weilburg übergingen, dessen Besitzer bereits im Jahre 1688 zu Fürsten erhoben worden waren. Auf diese Weise ist diese Linie die Erbin sämmtlicher Länder der verschiedenen Zweige des Walramischen Hauptstammes des Hauses Nassau geworden; der damals regierende Fürst Friedrich Wilhelm wurde zum Herzog erhoben.
Im vierzehnten und fünfzehnten Jahrhundert sehen wir die Grafen von Nassau-Weilburg in zahlreiche Fehden mit den benachbarten Herren und Grafen von Solms, Westerburg, Isenburg, Dietz, mit Kurmainz und Kurtrier, und mit den Reichsstädten Frankfurt, Friedberg, Wetzlar verwickelt, dabei aber mehreremale durch Heirathen ihr Besitzthum glücklich erweitern; Graf Philipp III. führte im Jahre 1526 die Reformation in seinen Landen ein, zugleich sorgte er für die geistige Bildung seiner Unterthanen durch die im Jahre 1540 erfolgte Gründung der lateinischen Schule zu Weilburg. Auch unternahm er, da die alte Burg für die anspruchsvollere Zeit zu enge geworden war, einen erweiterten Schlossbau, von welchem berichtet wird: „Anno 1543 hat Graf Philipp von Nassau von neuem angefangen zu bauen das Schloss Weilburg, da es zuvor also beschaffen gewesen, dass die Herrschaft vor ihre Person sich nit länger darin erhalten können, zu geschweigen einen ihrer Nachbarn oder Grafen zu beherbergen. Anno 1549 war der Bau vollbracht.“ Im dreissigjährigen Kriege wurde auch Weilburg von den Kaiserlichen hart bedrängt; die Herrschaft wurde sogar im Jahre 1635 von Kaiser Ferdinand [93] eingezogen und an den Fürsten Wenzel Eusebius von Lobkowitz übertragen. Erst 1648 kehrte Graf Ernst Casimir aus seiner Verbannung von Metz nach seinem Stammsitze zurück. Dem Enkel dieses Grafen, dem ersten Fürsten von Nassau-Weilburg, Johann Ernst, († 1718 zu Heidelberg) verdankt die Stadt sehr viel; denn er ist es, welcher derselben im Wesentlichen die Gestalt gegeben hat, in der wir sie jetzt noch sehen. Er ist der Erbauer der umfangreichen neueren Theile des Schlosses und der Schöpfer des ebenso schwierig anzulegenden, wie anmuthigen Schlossgartens. Der Antiquarius des Lahnstroms rühmt daher auch gebührend dessen Verdienst, indem er sagt: „der vormalige Graf Johann Ernst hat auf das dasige Schloss, Garten und andere öffentliche Gebäude mehr nicht wenige Kosten verwendet, so dass man sich billig darüber verwundern muss. Das Schloss ist sonderlich wegen seiner zierlichen Bauart, und wegen seiner überaus kostbar möblirten Zimmer, in Gleichen wegen des darinnen befindlichen angenehmen Orangeriehauses, wegen des prächtigen Marstalles, wegen des Reithauses und anderer Gebäude mehr nicht wenig sehenswerth.“ Auch der daran stossende zierliche Schlossgarten „mit seinen schönen Statuen, Vasen, Gallerien, Springbrunnen, Alleen, schönen Bäumen und anderen raren Gewächsen“ findet seinen vollen Beifall. Und wenn man erwägt, dass derselbe auf einem uneben hinlaufenden Felsen angelegt wurde, von welchem abgebrochen werden musste, um anderwärts aufzufüllen, so kann man nicht umhin, dem Unternehmungsgeist und der Beharrlichkeit seines Gründers Anerkennung zu zollen. Auch die stattliche Kirche und neben ihr das Rathhaus sind vom Fürsten Johann Ernst erbaut worden, 1711. Einen Blick in die Kosten der vielen und bedeutenden Bauten und Anlagen hat aber Johann Ernst der Nachwelt nicht vergönnt, denn er soll, wie der Antiquarius des Lahnstroms berichtet, [94] als er auf seinem Todtenbette lag, alle Baurechnungen vor sich auf das Zimmer haben bringen und darauf eine nach der andern im Kamine verbrennen lassen. Fürst Friedrich Wilhelm († 1816) brachte durch Heirath die Grafschaft Sayn-Hachenburg an sein Haus; indessen hatte er auch durch die französische Revolution bedeutende Verluste zu erleiden; er verlor durch sie die linksrheinischen Besitzungen, und ausserdem ist Weilburg einer der ersten Orte diesseits des Rheins gewesen, welche die Wirkungen derselben in nächster Nähe erfahren haben. Denn schon im Jahre 1792 durften Cüstine’sche Raubschaaren es wagen, von Mainz aus dieser Stadt einen ihrer gefährlichen Besuche abzustatten. In aller Eile wurden dem Fürsten 300,000 Gulden abgedrungen, alles Silbergeschirr des Schlosses geraubt, der Marstall geleert, und damit auch zum Schaden der Spott nicht fehle, ein Stück aus der kostbaren Sammttapete eines Schlosszimmers, des sogenannten Kurfürstengemachs, ausgeschnitten, um als Siegstrophäe dieses wenig ehrenvollen Siegszugs zu dienen. Noch heutigen Tags zeigt man die von der Tapete entblösste Stelle. Das Schloss zu Weilburg, das seit der Verlegung der Residenz nach Biebrich im Jahre 1816 nur noch zeitweise vom herzoglichen Hofe besucht wird, verdient als die bedeutendste Sehenswürdigkeit der Stadt eine nähere Besichtigung. Wenn wir durch den Thorweg gelangt sind, nimmt uns der geräumige Schlosshof auf, welchen die Schlossflügel im Viereck umgeben. Gerade vor uns liegt der nach der Lahn gelegene Hauptflügel, mit Epheu reichlich überzogen. Er sowie der uns zur Rechten liegende enthalten offenbar die ältesten Theile des Schlosses. Denn so müssen wir uns ausdrücken, da die von Philipp III. und Johann Ernst unternommenen Neubauten nichts anderes als Erweiterungen gewesen sind, welche namentlich die unteren Theile des Baus unberührt gelassen [95] haben. Daher können wir auch deutlich drei verschiedene Baustyle an demselben bemerken. Die kurzen dicken Säulen höchst primitiven Charakters im rechten, nach dem Garten zu führenden Flügel, dessen untere Räume zum Theil zu Holzremisen dienen, sowie in demselben die kleinen, von Tonnengewölben bedeckten Gemächer haben offenbar der Pfalz der salischen Conradiner angehört. Eben so zeugt im Hauptflügel der sogenannte Rittersaal, dessen Gewölbe auf zwei gewaltigen Säulen ruht, deren eine mit einer wunderlichen Capitälverzierung versehen ist, von sehr hohem Alter. In ihm mag schon König Conrad nach den Strapazen des Waidwerks an Wildprett und Wein sich erlabt haben. Auf diese alten Reste nun ist der Bau Philipps in zwei Stockwerken mit seinen Erkern, tiefen Fensternischen und schmalen Doppelfenstern aufgeführt. Johann Ernst hat sich am Hauptflügel begnügt, einen dritten Stock aufzusetzen, und dem Bau nach der Lahn zu einen alterthümlichen Anstrich, sogar mit gemalten Rissen zu geben; dagegen hat er die umfassenden Neubauten nach Westen und Süden zu dem alten Schlosse zugefügt.
Es bedarf einer ziemlich geraumen Zeit, wenn man von den Hunderten von Zimmern, welche das Schloss in seinen verschiedenen Stockwerken zählt, nur die ansehnlichsten durchwandern und in denselben das Bemerkenswerthe kennen lernen will. Eine herrliche Aussicht hinab auf das Grün des Gebücks und auf die von unten heraufrauschende Lahn geniesst man besonders aus den keck vorspringenden Erkern der Wohngemächer des Herzogs und der Herzogin und den entsprechenden Zimmern des oberen Stockes. Von Gemälden findet man viele Potraits der Nassauer, vornehmlich des Ottonischen Stammes, da die werthvollsten aus der Walramischen Linie nach Verlegung der Residenz nach Biebrich dorthin gebracht worden sind. Von geschichtlich merkwürdigen Männern begegnet man in einem Zimmer [96] des westlichen Flügels dem Brustbilde Wilhelms des Verschwiegenen, dessen interessante Züge sehr ernst und sinnend über der Halskrause hervorschauen; ferner dem des grossen Kurfürsten Friedrich Wilhelm mit dem kühnen Blick und der kräftigen Adlernase. Auch Bilder der Grafen von Nassau, der Fürsten Johann Ernst, Friedrich Wilhelm und des Herzogs Wilhelm, sowie der Sayn-Hachenburgischen Verwandten erregen theils wegen der Bedeutung der Person, die sie darstellen, theils wegen der trefflichen Ausführung unser Interesse. Besonders werthvoll ist das in dem sogenannten Kurfürstenzimmer oder dem Thronsaal befindliche Familiengemälde von Tischbein, welches die fürstliche Familie in dem knappen Kostüm des Anfangs unsers Jahrhunderts darstellt. Ausserdem sind zwei Zimmer mit werthvollen Gobelins ausgestattet, diejenigen im Billardzimmer die vier Erdtheile Europa, Asien, Afrika und Amerika darstellend, während die weit prachtvolleren in einem Gesellschaftszimmer Jagdscenen aus dem Telemaque zum Gegenstand haben. Von seltenen Möbeln sind ein chinesischer Ofenschirm, das chinesische Porzellan im sogenannten Goldkabinet, ein Secretär aus dem Jahre 1551 mit Schnitzwerk, ein Schrank mit Trümmerachat ausgelegt, und ausserdem manche andere Stücke im Renaissancestyl zu bemerken. Das gewaltige, mit vergoldeten Greifenköpfen und -Klauen verzierte Bett in einem der nächsten Zimmer stammt aus der Yacht eines Kurfürsten von Trier aus dem Geschlechte der Greifenklau, und ist, als Ehrenbreitstein im Jahre 1802 nassauisch wurde, vom Rheine hierher gebracht worden. – Auch in den Orangeriesälen ist noch eine Anzahl Gemälde untergebracht, unter ihnen das Bild Napoleons I. im Krönungsornat, ein Geschenk des Kaisers an den Fürsten Friedrich Wilhelm, und diejenigen Friedrichs des Grossen und der Kaiserin Maria Theresia.
[97] Der Schlossgarten, im Geschmacke des vorigen Jahrhunderts sorgfältig mit Ausnützung der engen Localität angelegt, besteht aus mehreren, durch Treppen mit einander verbundenen Räumen. Die Aussicht von der sog. Terrasse aus auf die nahe Umgebung lahnauf- und abwärts ist sehr anmuthig. Wenn man auf ihr an der hohen Mauer her nach dem Schlosse zu geht, gewahrt man aus den Mauern desselben hervorspringend ein Thierbild, ein Denkmal, wie erzählt wird, zum Gedächtniss eines Hundes errichtet, welcher vom Schlosse aus seinen Herrn, den Fürsten Carl Christian von Weilburg, jenseits der Lahn spazieren gehend gesehen und beim Versuche, durch einen Sprung aus dem Fenster zu ihm zu gelangen, in der Tiefe seinen Tod gefunden habe. Die an den Schlossgarten stossende geräumige und freundliche Stadtkirche, mit Malerei und Bildhauerarbeit ausgestattet, enthält die nun für immer geschlossene Familiengruft des Herzoglichen Hauses Nassau. Wegen ihrer Bauart ist ferner beachtenswerth die uralte, im Achteck mit einem Vorsprung erbaute Kapelle auf dem Kirchhof, jetzt die Familiengruft der Freiherren von Dungern. Die kleine katholische Kirche neuen Styls bietet nichts besonders Interessantes. Von den übrigen öffentlichen Gebäuden der Stadt verdient noch erwähnt zu werden das 1780 erbaute Gymnasium, ihm gegenüber der sog. Comödienbau mit einem geräumigen Concertsaale und die schön gelegene neue Stadtschule.
Die Stadt Weilburg zählt ohne Garnison 2600 meist evangelische Einwohner. Seitdem die früher hier befindlichen Centralstellen im Jahre 1616 nach Wiesbaden verlegt worden sind, ist dieselbe nur noch Sitz eines Amtes und einer Bergmeisterei, und Garnisonsort für zwei Bataillone des ersten nassauischen Regiments. Das Gymnasium mit schöner Aula und einer ansehnlichen Bibliothek war, ehe in den Nachbarländern [98] die höheren Schulanstalten organisirt waren, auch im Ausland bekannt und von da viel besucht.
Ausser den Promenaden des Schlossgartens und den schattigen Wegen des Gebücks lädt auch die nahe Umgebung von Weilburg zu manchen anmuthigen Spaziergängen mit wohl beschränkter, aber schöner Aussicht ein. So ist der „Karlsberg“ oberhalb der Stadt, dessen Bäume vom Besitzer, Freiherrn von Dungern, mit dankenswerther Liberalität auch dem Publikum geöffnet worden sind, des Besuches werth, sowie auch unterhalb der Stadt der sog. „Webers Berg“, in welchem sich eine gute Gartenwirthschaft befindet; ferner das Kanape, am schattigen Rande des nach der Lahn abfallenden Felsenhangs, mit der Aussicht auf die gerade gegenüber liegende Stadt; auch mag man von dort aus die in der Nähe liegenden „wilden Löcher“, Felsenhöhlen von geringerem und grösserem Umfang, besuchen. Den Geologen interessiren ausserdem wohl die Basaltbrüche in dem nahen Walde, durch den sich auf der Höhe des Bergs ein einsamer, von den Weilburgern gern besuchter Waldweg zu den Brunnenbehältern hinzieht. – Mehr wegen seines freundlichen, die Gegend belebenden Aussehens auf der Anhöhe östlich von der Stadt, als wegen besonderer Merkwürdigkeit ist der „Windhof“ zu erwähnen, welcher schon im Jahre 1364 als Windhuss vorkommt. Die jetzigen, im Style des vorigen Jahrhunderts errichteten Gebäude enthalten auch die Wohnung eines Oberförsters. Eine Stunde von Weilburg, an dem Punkte, wo sich die Landstrasse nach Usingen und Frankfurt von der nach Braunfels und Wetzlar trennt, breitet sich der 250 Morgen umfassende, von einer Mauer umgebene Thiergarten aus, in welchem übrigens jetzt nur noch Damwild gehegt wird; das interessante Schauspiel der Fütterung der zahlreichen Wildschweine kann man jetzt nicht mehr dort geniessen, da diese vor einigen Jahren sammt und sonders nach der Platte bei Wiesbaden gebracht [99] worden sind. Dafür ist neuerdings ein Theil des Thiergartens dem mittelrheinischen Pferdezuchtverein zur Fohlenweide eingeräumt worden. Gerade in entgegengesetzter Richtung liegt fünfviertel Stunden von Weilburg der Flecken Merenberg mit der weithin sichtbaren Ruine des Stammschlosses der Herren von Merenberg, denen wir schon in dem oberen Lahnthal auf Gleiberg begegnet sind. Der erste derselben Hartrad I., kommt schon im 12. Jahrhundert vor (1129–45). Sein Sohn, Hartrad II., erwarb durch seine Vermählung mit einer Erbtochter der Grafen von Gleiberg, Jrmgard, einen grossen Theil der Herrschaft derselben nebst dem Grafentitel, den mehrere seiner Nachkommen führen. Und von jetzt an gewannen die Merenberger, die früher wenig bekannt sind, in dieser ganzen Gegend bedeutende Macht und grosses Ansehen. Mit Hartrad VI. starb der letzte männliche Sprosse dieses Stammes; die Herrschaft fiel nun an dessen Schwiegersohn, Johann, den Gründer der alten Weilburger Linie, ums Jahr 1350. Von der auf einer steilen Basaltkuppe sich imposant erhebenden Burgruine geniesst man eine weite Aussicht auf die Abhänge des Westerwaldes, nach den Senkungen und Bergen des unteren Lahnthals und nach dem fernen Höhenzug des Taunus.
Eine Viertelstunde unterhalb Weilburg mündet aus engem Thal, in dem sich die stattlichen Gebäude der jetzt durch eine Actiengesellschaft betriebenen Wimpf’schen Steingut- und Papierfabrik erheben, die von dem Hauptstock des Taunus, dem Feldberge, herabkommende Weil in die Lahn ein. Kaum eine Stunde von ihrer Mündung liegt anmuthig bei dem Dorfe gleichen Namens die noch wohl erhaltene Ruine der Burg Freienfels, welche wahrscheinlich vom Grafen Walram I. von Nassau († 1198) erbaut worden ist. Weiter aufwärts bietet mehrere Stunden lang trotz der gegentheiligen Versicherungen der bisherigen Reiseführer das Weilthal [100] nichts Besonderes. Zwar finden wir in demselben schön in Wiesen und zwischen Obstbäumen gelegene Dörfer; auch der Flecken Weilmünster, durch seine besuchten Märkte, wie früher durch sein irdenes Geschirr bekannt, in dessen Nähe sich ziemlich ansehnliche Bergwerke befinden, breitet sich ganz anmuthig im Thale aus, indessen findet man ähnliche Partien aller Orten. Weiter aufwärts dagegen, wo die waldbedeckten Berge beginnen, zwischen denen der schmale Wiesengrund sich hinzieht, und wo Eisenwerke, wie die Audenschmiede und die Emmershauser Hütte das Thal beleben, wird dasselbe anziehender.
Malerisch gelegen ist das Dorf Rod an der Weil mit der Kirche und dem hochbedachten Pfarrhause auf erhöhter Stelle; einer der reizendsten Punkte jedoch in den Thälern des Taunus ist der kleine Fleck, wo die Dörfer Alt- und Neuweilnau auf Anhöhen sich gegenüberliegen, welche die Ruinen der Schlösser gleichen Namens krönen. Letzteres, früher einer Nebenlinie der Grafen von Nassau-Dietz gehörig, kam 1405 an die Walramische Linie, und war zu verschiedenen Malen die Residenz der Grafen von Nassau-Weilburg, ja eine Zeitlang sogar der Sitz der Regierung derselben. Auch der Weg von hier nach dem Ursprung der Weil, an dem Landstein, einer früheren Gerichtsstätte mit einer Kirchenruine vorüber, bietet manches landschaftliche Interesse. In dem Dorfe Schmitten tönt uns überall das Gehämmer der Nagelschmiede entgegen; weiter aufwärts ragen die imposanten Ruinen der Burg Reifenberg auf dem bewaldeten Berge empor, und nun zeigt sich auch in mächtiger Breite der Feldberg, auf dessen Gipfel sich bekanntlich eine der schönsten Fernsichten aufthut, welche man in ganz Westdeutschland findet.
Wenn man den Tunnel bei Weilburg, den ersten [101] auf der tunnelreichen Bahnstrecke von hier abwärts bis Nassau, passirt ist, lohnt sich ein nochmaliger Blick nach der auf der Anhöhe in das Felsenthal der Lahn sich hinziehenden Stadt. Dicht am Flusse hin, an der Weilmündung vorüber, zieht sich nun die Bahn im Bogen abwärts; jenseits des Flusses erscheint das Dorf Odersbach; der Kirschhofer Tunnel nimmt uns in seine Finsterniss auf, um uns nach der Durchfahrt das frische Grün, in welchem Wald und Wiesen prangen, um so wohlthuender empfinden zu lassen. Kaum aber dass wir das anmuthige Bild dieser idyllischen Landschaft mit dem über ein Wehr hinrauschenden Fluss vor uns und dem Dorfe Kirschhofen im Hintergrund in uns aufgenommen haben, umgibt uns abermals das Dunkel des folgenden sog. Michelsberger und unmittelbar nach ihm des kürzeren Schmidtkopftunnel. Darauf wieder dieselbe heimliche Landschaft, in welcher der Fluss im engen Thal zwischen Wiesen und Wald sich hinwindet. Sodann erscheint auf der Höhe, bis zum Rande des Felsenabhangs vorspringend, das Dorf Gräveneck, unter dessen äussersten Häusern die Bahn in einem abermaligen Tunnel hinführt. Gegenüber ziehen wenige Trümmerreste ganz nahe an der Lahn, und die Anhöhe sich hinaufziehend, den Blick auf sich. Sie stammen von der Burg Neu-Elkernhausen, welche 1352 von einem berüchtigten Raubrittergeschlechte erbaut worden ist, das seinen Stammsitz in einem in der Nähe gelegenen Dorfe hatte, seit 1420 den Namen Klüppel von Elkernhausen führte und im Jahr 1725 ausgestorben ist. Die Ansicht der Erbauer der Burg, Heinrichs und Conrads von Elkernhausen, dass dieselbe unüberwindlich sei, muss noch heutzutage nach einem Blick auf ihre Lage als kühne Hypothese bezeichnet werden. Auch ist ihr Trotz gar bald vor ihrem ersten Belagerer, Erzbischof Balduin von Trier, dem wir als [102] Eroberer und Zerstörer von Burgen noch öfters im Lahnthal begegnen werden, erlegen. Als dieser nämlich im Jahre 1353 vor dieselbe rückte, liess er einen Galgen vor ihren Thoren aufrichten, und diese ernste Drohung bewog die Belagerten, die Burg, die nun zerstört wurde, zu übergeben. Doch wurde sie nach Balduins Tod von denselben Rittern wieder aufgebaut, und nun erfuhr sie 1395 eine abermalige Belagerung durch die Grafen Philipp von Nassau-Saarbrücken und Diether von Catzenellnbogen. Nach einem Bombardement „mit grosen Büchsen vnd mit bleyden zubrachen sie,“ wie die Limburger Chronik erzählt, „das Hauss. Dann darauss ward geschindet und beraubet alles land. Deren verstörung freuwete sich alt und jung, vnd dancketen Gott, dass es zubrochen ist.“ Auch da, wo jetzt Gräveneck steht, war im Jahr 1385 eine Burg, die Steuerburg, zum Trotz gegen die von Elkernhausen erbaut, jedoch nach Jahresfrist von diesen zerstört worden. Die Eroberer von Neuelkernhausen, die Grafen Diether und Philipp, bauten sie wieder auf und nannten sie Gräveneck. Ihre Trümmer sind übrigens bis auf den letzten Rest von der Erde verschwunden. Auf dem Rande der jenseitigen Höhe erscheint das romantisch gelegene Dorf Falkenbach, sodann im Thale dicht an der Bahn die Häuser des Fürfurter Hofs, und bevor wir die Station Aumenau erreichen, zeigt sich links von der Bahn vor der Mündung eines Seitenthälchens ein schuppenartiger Bau, der Aumenauer Schafstall genannt, welcher, so unansehnlich er ist, doch in der Umgegend eine eigenthümliche Berühmtheit erlangt hat. Denn er diente öfters dem berüchtigten Schinderhannes und seinen Diebsgesellen, welche diese waldige, verschiedenen Territorien angehörende, schon früher als Aufenthalt von Zigeunern sehr verschrieene Gegend gerne besuchten, zum Schlupfwinkel und zur Schlafstätte. – Nun tritt jenseits [103] des Flusses das Dorf Aumenau hervor; dem ihm schräg gegenüberliegenden Stationsgebäude nahen wir in einer bedeutenden Curve. Unterhalb desselben ziehen grosse Vorräthe von Eisenstein unsere Aufmerksamkeit auf sich. Sie werden von einem Lager „der Gottesgabe“, das, ungefähr 20 Minuten von der Station entfernt, auf der Anhöhe zu Tage steht, durch zwei Schächte und dann auf einem Bremsberge herabgeschafft. Dieses Lager ist das mächtigste in dem eisenreichen Herzogthum Nassau, und, dazu ist der Stein, der in demselben gewonnen wird, von besonderer Güte. Von dem ausserordentlich lebhaften Betrieb, in welchen die Gesellschaft Phönix diese Grube gesetzt hat, mag die Notiz zeugen, dass von circa 300 Arbeitern monatlich 650 Fuder Eisenstein in derselben gewonnen, und von diesen täglich im Durchschnitt 10 Waggons verladen werden, welche ihren Weg nach Ruhrort und Borbeck nehmen. Da Alles im Tagbau gefördert wird, so ist der Besuch des Bergwerks ebenso frei von Unbequemlichkeiten wie instructiv; für den Geognosten sind die Verwürfe der Erzgänge, die so steil sind, dass Ein Flügel derselben ganz senkrecht steht, noch besonders bemerkenswerth. Auch das vortreffliche Material der grossen Schieferbrüche in der Langhecke, zu denen man durch ein anmuthiges Seitenthälchen der Lahn über die sog. Schmelze in etwas mehr als einer halben Stunde gelangt, wird, wie zu erwarten steht, für die Zukunft einen nicht unbedeutenden Transportgegenstand der Lahnbahn abgeben. Neben diesen sehenswerthen Schieferbrüchen befindet sich das schon früher bekannte, jetzt indessen nicht mehr betriebene Blei- und Silberbergwerk, aus dem im Jahr 1616 Kurtrier Münzen schlagen liess. Da sich mit dem Ausfluge nach der Langhecke leicht der Besuch der Grube „Gottesgabe“ verbinden lässt, und dazu der beide Punkte mit einander verbindende [104] Weg eine schöne Aussicht gewährt, so ist diese Seitentour von der Station Aumenau aus sehr empfehlenswerth. Unterhalb Aumenau erweitert sich das Thal; die Bahn schneidet bald mittelst eines Durchstichs, neben welchem grosse grauweisse Plattensteine gebrochen und verarbeitet werden, die Ecke einer vorspringenden Anhöhe ab, um bald über eine elegant von Marmorsteinen erbaute Brücke auf die linke Seite des Flusses zu setzen. Nun zieht sie sich im Bogen unter dem Dorfe Arfurt her; ein weiterer Bergvorsprung wird von einem Tunnel durchbrochen, und dann erreicht der Bahnzug in wenigen Minuten die Station Vilmar. Der Flecken Vilmar mit seiner stattlichen Kirche und den um dieselbe liegenden, lang sich dehnenden herrschaftlichen Hofgebäuden liegt jenseits des Flusses, und zieht sich vom Thale die sanfte Anhöhe hinauf. Die neu angelegten, mit kleinen Häusern besetzten Strassen erinnern an die grosse Feuersbrunst, welche vor mehreren Jahren über hundert Gebäude in wenigen Stunden einäscherte. Der Ort, welcher jetzt über 2000 Einwohner zählt, kommt schon im Jahre 1053 als königliche Villa Vilimar oder Grossvilmar vor, welche Kaiser Heinrich III. an das Mathiasstift zu Trier schenkte. Die nachmaligen Vögte, die Herren von Isenburg, zogen Mauern um den Ort und legten eine Burg bei demselben an. Doch mussten sie ihre Rechte bald mit den Grafen von Dietz theilen. In einer Fehde, welche im Jahr 1349 die mit den Westerburgern verbündeten Herren von Isenburg mit Trier hatten, belagerte Erzbischof Balduin Vilmar und nöthigte es zur Uebergabe. Zehn Jahre später wurde es abermals wegen Landfriedensbruchs von dem Erzbischof von Trier, den Rheingauern und den Wetterauischen Städten belagert und nach der Einnahme zerstört. In dieser Belagerung zeichneten sich die Frankfurter gerade nicht zu ihrem Ruhme aus. Die Limburger Chronik erzählt [105] nämlich: „Und geburte sich, ehe dass es gewonnen wurd, dass die von Franckfurt solten der Katzen eine nacht hüten. Da kamen die Feind in der nacht heimlich, vnd spickten die Katzen, vnd stiesen sie an vnd verbranten sie. Vnd verplieben deren von Franckfurt fünfzig todt. Vnd kam jhnen das von jhrer rechten Füllerei. Denn in vollerey je nie kein guts geschach.“
„Einem trunknen mann höret das zu,
In dem dreck liegen spat vnd fru.“
Später erkaufte Trier die Vogtei über den Ort, der auch bis zum Reichsdeputationshauptschluss 1803 bei demselben verblieb. Vilmar ist bekannt durch seine seit 1730 in Betrieb gesetzten Marmorbrüche diesseits und jenseits der Lahn, welche den schönen röthlich-grauen Marmor liefern, der vornehmlich von den Züchtlingen in Dietz zu den mannichfachsten Ornamenten und Geräthschaften verarbeitet wird. Indessen finden sich auch im Orte selbst viele Marmorarbeiter, und für den Fall, dass, wie man hofft, in der an der Lahn befindlichen Mühle auch eine Marmorsägemühle angelegt werden sollte, würde derselbe der Sitz einer nicht unbedeutenden Industrie werden, zumal auch mehrere Eisensteinbergwerke in der Umgegend eine Anzahl Arbeiter beschäftigen. Für den Geognosten sind übrigens die Vilmarer Kalkfelsen von ganz besonderem Interesse, da sie die Fundorte von zahlreichen, grossentheils erst in neuerer Zeit von den Brüdern G. und Fr. Sandberger entdeckten Versteinerungen sind, von denen man viele bis jetzt nur hier gefunden hat. Auf der Anhöhe Vilmar gegenüber stand früher die Burg Gretenstein, von Philipp von Isenburg-Grenzau 1361 erbaut und seiner Gemahlin zu Ehren so genannt. Doch wurde dieselbe nach Jahresfrist von den Trierern und Limburgern unter Anführung des Domherrn Kuno von Falkenstein erobert und von Grund aus zerstört, so dass schon lange Zeit jede Spur [106] derselben verschwunden ist. Dreiviertel Wegstunden unterhalb Vilmar liegt das Städtchen
und ihm gegenüber das Dorf Schadeck. Wie die Pfeiler eines riesigen Thors, welches das Thal verschliessen kann, erscheinen dem auf der Bahn sich Nahenden die einander gegenüber liegenden Schlösser gleichen Namens. Auf der linken Seite des Flusses ragt Schloss Runkel in imposanter Massenhaftigkeit auf schroff aufsteigenden Felsen empor, unter und um den sich die Häuser des Städtchens hinziehen. Es ist im zwölften Jahrhundert erbaut wurden, aber in einer Feuersbrunst, welche im Jahre 1634 von durchziehenden spanischen Haufen, oder wie der Antiquarius des Rheinstroms angibt, von Isolani’s Kroaten entzündet wurde, und die auch das Städtchen fast ganz zerstörte, bis auf die mächtigen, altersgrauen Mauern und Thürme niedergebrannt. Ein Theil desselben wurde indessen bereits im Jahre 1642 wiederhergestellt, während seine der Lahn zugekehrte Seite ihm den Charakter einer wohl erhaltenen Burgruine noch heutigen Tags verleiht. Schloss Runkel war im Mittelalter der Sitz der Herren von Runkel, welche Anfangs nur über einen geringen Landstrich gebietend, im Beginn des dreizehnten Jahrhunderts auch Herren von Westerburg waren. Siegfried, der zweite dieses Namens, theilte beide Herrschaften unter seine Söhne Siegfried und Dietrich, doch blieb noch das Verhältniss der Mutscharung bis zum Jahre 1288, in welchem Jahre die erste Linie Westerburg und Schadeck und die zweite Runkel erhielt. Erst durch die Vermählung Dietrichs IV. mit Anastasia, der Erbtochter Johannes II. von der Isenburg-Wied’schen Linie, erhoben sich die Herren von Runkel zu grösserer Bedeutung, da aus dieser Verbindung die dritte Dynastie der Grafen von
[107] Wied hervorging. Dietrichs Sohn Friedrich nannte sich Herr von Runkel, Graf von Wied und Herr von Isenburg. Auf Grundlage mehrerer im sechszehnten und siebenzehnten Jahrhunderte erfolgter Theilungen des Gesammtlandes in die sog. obere und niedere Grafschaft wurden die Söhne eines Grafen Friedrich († 1698), Georg Hermann Reinhard und Friedrich Wilhelm, die Stifter der Wied-Runkel’schen und Wied-Neuwied’schen Linien, welche im Jahre 1784 in den Reichsfürstenstand erhoben wurden, und von denen die letztere, nachdem im Jahre 1824 die Runkel’sche mit dem Fürsten Friedrich erloschen, sich im Besitze auch dieser Herrschaft befindet. Seitdem ist übrigens das Schloss zu Runkel nur zur Jagdzeit von den Fürsten von Neuwied besucht worden, für welchen Zweck einige wenige Zimmer desselben reservirt sind. Auch der sehenswerthe alte Schlosssaal mit Ahnenbildern aus dem Runkel’schen, Westerburg’schen und Wied’schen Hause ist in seinem ursprünglichen Charakter erhalten worden, während die übrigen bewohnbaren Schlossräume zu Dienstwohnungen des Wied’schen Recepturbeamten, des ersten Geistlichen der Stadt und zum Geschäftslocale des Herzoglich Nassauischen und Fürstlich Wied’schen Amtes eingerichtet sind. Uebrigens verdient auch der alte ruinenartige Theil des Schlosses eine Besichtigung schon um der schönen Aussicht willen, welche sich von einem der Thürme auf die unten hinfliessende Lahn und die nahe Umgebung der Stadt eröffnet. Diese selbst bietet nichts Bemerkenswerthes; doch mag in früheren Zeiten, als noch Mauern sie rings umgaben, das Volkssprüchwort: „In Runkel ist’s dunkel“ eher berechtigt gewesen sein, als es jetzt der Fall ist, wo recht freundliche Strassen aus dem älteren Theile derselben nach allen Seiten hinausführen. Runkel zählt nur 1140 Einwohner, ist aber der Wohnort aller der Angestellten, welche im Nassauischen an Amtssitzen stationirt zu sein pflegen. Die Brücke, welche die Stadt
[108] mit dem andern Ufer und der dort liegenden Vorstadt verbindet, ist 1450 erbaut worden; sie hat, wie der Antiquarius des Lahnstroms bemerkt, „dem Hause Runkel viele Vortheile, aber auch in Kriegszeiten unzähligen Schaden zu Wege gebracht.“
Dem Schlosse von Runkel gegenüber, in höherer Lage, erhebt sich Schloss Schadeck auf dem rebenbepflanzten Hügel, auf welchem der Runkeler rothe Wein, „aller Lahnweine König, feurig, gewürzreich, capitös“, auf einem mässig grossen Domanialweinberg und wenig anderen kleineren Parcellen gezogen wird. Das jetzige Schloss Schadeck, „ein ziemlich reguläres, steinernes, geraumes Schloss“ ist an die Stelle der alten Burg getreten, welche Herr Heinrich von Westerburg der Sage nach den Herren von Runkel, weil er von ihnen vertrieben worden, zum Trotze erbaut hatte. Obwohl Burg und Herrschaft bei den Herren von Westerburg geblieben sind, so sah sich doch Reinhard I. im Jahre 1321 genöthigt, diese dem Erzstifte Trier zu Lehen aufzutragen; auch belagerte Erzbischof Balduin im Jahre 1344 die Burg und eroberte sie. Nach der Rückgabe an ihre rechtmässigen Herren blieb sie bis in die neuere Zeit trierisches Lehen. Die Herren von Westerburg, deren gleichnamiges Stammschloss am Abhange des Westerwaldes fünf Stunden entfernt liegt, und denen wir auch im unteren Lahnthal begegnen werden, waren ein tapferes Geschlecht, welches mehrere Fehden gegen mächtige Nachbarn ruhmreich ausfocht und auch auswärts sich durch seinen Heldenmuth hervorthat. So besiegte ein Reinhard von Westerburg 1347 die Coblenzer bei Grenzau in einer Schlacht, in welcher dieselben 172 Mann verloren; Johann von Westerburg nahm 1367 den Grafen Johann von Nassau-Dillenburg mit 44 Rittern bei dem Dorfe Obertiefenbach gefangen. Auch der kriegerische Erzbischof Siegfried von Cöln, dessen Bruder Heinrich I. seinen Tod in der Sehlacht bei Worungen [109] fand, gehörte diesem Geschlechte an. Durch die Vermählung Reinhard’s IV. mit der Gräfin Margaretha von Leiningen im Jahre 1422 gelangten die Herren von Westerburg zu bedeutend grösserem Besitz; sie nahmen von da an den Titel: „Grafen von Leiningen-Westerburg“ an, welchen die Nachkommen noch heute führen. – Schloss Schadeck dient jetzt gemeinnützigen Zwecken; seine Räume sind theils zur Dorfschule, theils zu Miethwohnungen eingerichtet.
Eine kleine halbe Stunde unterhalb Runkel setzt die Bahn über den Fluss und schneidet durch den unmittelbar hinter der Brücke beginnenden langen Ennericher Tunnel eine weite Krümmung des Thals ab. Verfolgen wir den Lauf der Lahn auf ihrer rechten Seite, so gelangen wir zuerst zur Mündung des Kerkerbachs, an dem die „finstre Mühle“, deren Name an das ausgegangene Dorf Vinestre erinnert, und die Orte Hofen, Eschenau und Schuppach mit der Christianshütte liegen. Hier berühren wir das beträchtliche Braunsteinrevier, welches sich westlich nach Niedertiefenbach hinzieht. Weiter abwärts an der Lahn liegt das Dorf Steeten, in dessen Nähe der Tiefenbach durch ein schluchtartiges, waldbewachsenes Thälchen, „die Löhren“ genannt, seinen Weg zur Lahn gesucht hat. Hier hat die Natur in Dolomitfelsen zwei Höhlen gebildet, weiche dem Volke unter dem Namen der „Wildscheuer“ und des „wilden Hauses“ bekannt sind, und in deren ersterer vor mehreren Jahren eine namhafte Zahl fossiler Knochen gefunden worden ist. Auch in der Nähe des pittoresken Dolomitblocks an der Lahn unterhalb Steeten hat man in einer Felsenspalte einen reichen Fund von solchen Ueberresten eines früheren Weltalters gethan; unter vielen andern erschienen hier die Geweihe des gigantischen Hirsches, Gebisse von Hyänen und Bären, die Mahlzähne und Keulen eines Mamuth, die Kiefern eines Nashorns etc. Weiter aufwärts am Tiefenbach [110] liegen in der Gemarkung des Dorfes Niedertiefenbach die reichsten Braunsteingruben des Herzogthums Nassau, deren Ausbeute schon seit Jahren einen sehr beträchtlichen Ausfuhrartikel nach England bildet. Auf einer Anhöhe über diesem Orte liegt Hof Bäselich, früher ein Prämonstratenserkloster, von welchem man über das fruchtbare Hügelland der mittleren Lahngegend eine weite Aussicht geniesst.
Von Steeten gelangt man in einer halben Stunde nach dem Dorfe Dern, das sich in freundlicher Lage an der Lahn hinzieht, in mässiger Höhe von dem aus dem Mittelalter stammenden, zum Theil restaurirten gleichnamigen Schlosse überragt und von dessen schönen Parkanlagen, welche eine weite Aussicht über das Lahnthal, die Mündung des Emsthals und die benachbarten Anhöhen bis zum fernen Taunus hin gestatten, anmuthig begrenzt. Die Burg Dern wird im Jahre 1190 zuerst genannt; das Geschlecht, welches auf derselben hauste, nannte sich Freye von Dern. Jedoch gehörte sie als Landesburg Nassau-Dietz und Weilnau; die Herren von Runkel erhielten 1317 einen Antheil an derselben, wurden aber i. J. 1409 mit Gewalt wieder aus ihr vertrieben. Wie sehr die Freyen von Dern Alles daransetzten, die Burg selbständig zu besitzen, beweist ein Vorfall, welchen die Limburger Chronik erzählt. Friedrich von Dern erstach nämlich 1367 auf seiner Burg den Grafensohn Johann von Dietz, den Erben dieser Herrschaft. Wegen dieses Mordes wurde er auf derselben aufgehoben, nach Dietz geführt und durch das Landgericht auf dem Reckenforst verurtheilt. „Vnd ward dem vorgenannten Freyen sein haupt abgeschlagen, vnd ward begraben von stund an zu Limpurg zu den Barfüsern“. Die Schilderung seiner Person, wie sie die Chronik gibt, „ein vierschützig man, mit einer greisen Kroll, ein breitlecht antlitz mit einer flachen nasen“, spricht eben so wenig für die Schönheit des [111] Familientypus, wie seine Handlungweise für die Ritterlichkeit dieses Geschlechts. Im Jahre 1737 kam Burg und Herrschaft Dern, nachdem der Mannsstamm ausgestorben, durch Vermählung der Erbtochter Maria Johanna an Adolph Wilhelm Franz von Greifenklau. Der jetzige Besitzer des Schlosses, Freiherr von Dungern, hat auf demselben eine ausgedehnte Musterwirthschaft angelegt und stattliche Oeconomiegebäude hergestellt.
Auf der Wanderung von Runkel hierher bemerkt man kaum die allmähliche Erweiterung des Flussthals; dagegen zeigt sich bei der Fahrt auf der Eisenbahn, sowie man den Ennericher Tunnel passirt ist, der Wechsel des Charakters der Gegend auf wahrhaft überraschende Weise. Von dem eng begrenzten Thale sieht man sich plötzlich in eine weite, freundliche Gegend versetzt, in welcher sich fruchtbare Abhänge sanft zu der Fläche absenken, welche die Lahn in anmuthigen Windungen durchfliesst und reiche Ortschaften begrenzen, von denen sich Dietkirchen mit den Thürmen und dem hohen Mittelschiffe seiner auf steilem Felsen sich erhebenden alterthümlichen Kirche als der höchst malerische Mittelpunkt des Ganzen präsentirt.
An Dietkirchen knüpfen sich sehr alte Erinnerungen. Denn schon in heidnischen Zeiten war hier in einem heiligen Hain, der Reckenforst geheissen, die gemeinsame Malstätte des Niederlohngaus und später der Grafschaft Dietz. Um die Mitte des vierten Jahrhunderts erwählte sich der Apostel des Lohngaus, der heilige Lubentius von Trier, einen hohen Felsen dieses Haines, denselben, welcher jetzt die Kirche trägt, um von ihm herab dem Volke das Christenthum zu verkündigen, und gründete auf ihm, als dasselbe Wurzel gefasst hatte, die erste christliche Kirche an der Lahn. Nach seinem an der unteren Mosel erfolgten Tode wurde auch seine Leiche zur Bestattung hierhergebracht. Die Legende berichtet, die Wasser der Lahn hätten dieselbe, in sanften [112] Wellen sich um sie kräuselnd, flussaufwärts getragen, und am Fusse des Felsens, auf welchem die Kirche gestanden, an das Ufer gespült. Das ansehnliche weit ins christliche Alterthum hinaufreichende Collegiatstift von Dietkirchen stand unter dem Erzstifte von Trier, und sein zeitweiliger Probst bekleidete durch das ganze Mittelalter hindurch die Stelle eines Archidiakonus über alle trierische Kirchen diesseits des Rheins. Die jetzige, im romanischen Style erbaute Kirche, deren Gründungsjahr mit Bestimmtheit nicht angegeben werden kann, erweckt das lebhafte Interesse des Besuchers. Schon wenn man sich von dem Wege von Dern oder von Eschhofen ihr nähert, kündigen die kleinen schmalen Fenster des Mittelschiffs – die der Seitenschiffe hat eine geschmacklos restaurirende Zeit vermauert und durch runde ersetzt – und die ganze Structur des Mauerwerks das hohe Alter derselben an. Kommt man von der Station Eschhofen herüber, so treten auch die Substructionsmauern des alten Collegiatstiftsgebäudes, welches auf der Höhe südlich von der Kirche lag, und im dreissigjährigen Kriege zusammengeschossen worden sein soll, sowie auf dem äussersten Vorsprung des Felsens die Dreifaltigkeitskapelle hervor, welche für den ältesten Theil der unregelmässig aneinander hängenden, hinter der Kirche herlaufenden Bauten ausgegeben wird. Mehr noch als das Aeussere der Kirche zeigt ihr Inneres den romanischen Baustyl in einem sehr primitiven Charakter. Kurze viereckige Pfeiler mit starker, höchst einfacher Ausladung scheiden das Mittelschiff von den Seitenschiffen, über deren unteren Kreuzgewölben ein zweites, ebenfalls in das Querschiff sich öffnendes Stockwerk herlauft, dessen Pfeiler ohne Ausladung sind, so dass die Wände des Mittelschiffs glatt und ohne irgend welche Gliederung hoch emporsteigen und die flache Decke der Basilika tragen. Bemerkenswerth ist es auch, dass die Centralstelle dieses alten Baus durch einen doppelten, schmal [113] zusammengedrückten Spitzbogen mit dem Querschiffe verbunden ist. Uebrigens wird man, wenn man diese Kirche mit dem nahegelegenen Dome von Limburg vergleicht, sich kaum des Gedankens entschlagen können, dass dieselbe dem Baumeister des letzteren in vieler Beziehung als Vorbild gedient habe. Denn nicht bloss ist die Construction der Thürme mit ihren fünf Stockwerken und die Bildung und Anordnung der Thurmfenster eine gleiche, sondern wir finden auch in den doppelten Wölbungen der Seitenschiffe in der Dietkircher Kirche die rohen Anfänge jener nach dem Innern sich öffnenden Gallerien, welche dem Limburger Dome seinen besonderen, von den übrigen gleichzeitigen Bauten abweichenden Charakter verleihen.
Dietkirchen zählt nahe an 600 Einwohner. In der ersten Woche des Octobers ist der Ort das Ziel zahlreicher Wanderer, welche den im ganzen mittleren Lahnthal berühmten Dietkircher Markt besuchen, einen der wenigen, auf denen sich noch ein frisches Volksleben in mannichfacher Weise offenbart.
Bei dem Dorfe Mühlen, unfern der Station Eschhofen, in deren Nähe auch ein sehr schöner Aussichtspunkt, „die zwei Linden“, sich befindet, ergiesst sich die vom Taunus kommende Ems, deren weites Thal sich vor uns ausbreitet, in die Lahn. Der weiter aufwärts gelegene Theil dieses fruchtbaren, mit reichen und grossen Ortschaften besetzten Thals, welcher unter dem Namen des Kamberger Grundes bekannt ist, ist besonders besuchenswerth wegen der weltberühmten Mineralquelle bei Niederselters, zu der man von Limburg aus über die Dörfer Lindenholzhausen, Nieder-und Oberbrechen in etwa drei Stunden gelangt.
Schon in einiger Entfernung kündigen die um den Brunnen gelegenen zahlreichen Gebäude das Grossartige der Anstalt an, welche dieser „Prototyp aller wohlschmeckenden Säuerlinge“ in’s Leben gerufen hat. Da [114] findet man ausser den Wohnungen der Beamten Geschäftszimmer, Arbeitssäle, Hallen und Magazine; besonders aber zieht der in neuerer Zeit über der Quelle erbaute Glaspavillon unsere Aufmerksamkeit auf sich. In diesen Räumen begegnen wir überall einer fabrikmässig regen Thätigkeit, welche sich in das Ausscheiden, in die Wässerung und Füllung, in das Verpropfen, Verpichen und Versiegeln der Krüge vertheilt. Der Selterser Brunnen wird bereits im neunten Jahrhundert erwähnt; im sechszehnten wird in dem „neuen Wasserschatz“ des Tabernaemontanus seine Heilkraft gebührend gewürdigt. Während des dreissigjährigen Krieges wurde die Quelle verschüttet, aber im Jahre 1681 wieder neu gefasst. Aus Schlözers Briefwechsel ist zu ersehen, dass der Brunnen bald nach dem dreissigjährigen Kriege für zwei Gulden 20 Kreuzer, und später für fünf Gulden verpachtet war. In der ersten Hälfte des vorigen Jahrhunderts stieg sein Pacht von 5,000 auf 8,000 Gulden; im Jahre 1775 soll seine Einnahme, welche Kurtrier zufiel, 60,000 Gulden betragen haben. 1842 hat die Herzoglich Nassauische Domäne 1,500,000 Krüge versendet, und obwohl in neuerer Zeit anderwärts Krüge verfertigt werden, welche, mit künstlichem Selterser Wasser oder mit anderen Säuerlingen von geringerem Gehalte gefüllt, in den Handel kommen, so hat doch diese Speculation dem Brunnen, dessen Wasser sich besonders dadurch auszeichnet, dass es nach noch so langem Transport in alle Himmelsgegenden nichts an seinem Gehalte und seinen Vorzügen verliert, durchaus keinen Eintrag gethan, es hat vielmehr die Nachfrage nach demselben in sehr erfreulicher Weise zugenommen.
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Ehe noch, wenn wir von Eschhofen abgefahren sind, hinter einer vorspringenden, sanft sich in das Thal absenkenden Anhöhe das malerisch gelegene Dietkirchen unsern Augen entschwunden ist, zieht schon ein anderer pittoresker Anblick unsere Aufmerksamkeit auf sich. Es ist der Dom von Limburg, welcher, von der Schmalseite gesehen, auf einem aus der Lahn, schroff aufsteisteigenden Felsen sich hinter den alten Gebäuden der Burg mit seinen zahlreichen Thürmen gerade vor uns erhebt. Am Fusse des Felsens wölbt sich leicht und zierlich die Limburger Brücke über dem Fluss. Zwischen einem Abhänge zur Linken und der in stattlicher Breite hinfliesenden Lahn zur Rechten nähert sich der Zug der Stadt; unmittelbar vor derselben verlässt die Bahn den Fluss und führt durch ein Seitenthälchen hinter derselben her zum Bahnhofe. Auf dieser Strecke ist uns ein vorläufiger Blick auf die in alterthümlicher Unregelmässigkeit sich aneinander reihenden Burggebäude und den hinter ihnen hervorragenden, nun in seinen Längedimensionen erscheinenden Dom verstattet, ein Blick, der ebenso das Kunstinteresse lebhaft zu erregen, wie das Gedächtniss an bedeutsame historische Erinnerungen zu erwecken wohl geeignet ist. Denn an diese schroffe Felsenkuppe knüpften sich die weit in’s Mittelalter hineinragenden Anfänge der Stadt, sowie gar manche bedeutende Erscheinungen im Verlauf ihrer Geschichte.
Unter dem Namen Lintburck wird die Stadt Limburg schon im Jahre 910 erwähnt; in diesem Jahre dotirte König Ludwig das Kind die Kirche daselbst [116] mit dem Saalhofe in dem unfern gelegenen Dorfe Oberbrechen. Nach der Gewohnheit der christlichen Missionäre, an Orten, welche den Heiden geheiligt waren, die ersten Fäden des Christenthums anzuknüpfen und daselbst Kirchen zu gründen, wird wohl schon frühe auch hier eine solche erbaut worden sein. Denn Lintburck heisst Burg des Lindwurms oder Drachen, und dieser nimmt in der altdeutschen Mythologie bekanntlich eine bedeutungsvolle Stelle ein. Die Vogtei über die Kirche zu Limburg war zur Zeit Ludwigs des Kindes bei dem Geschlechte der salischen Conradiner, und zwar bei dem Stamme Eberhards, des Bruders Conrads des Seniors, den wir in Weilburg kennen gelernt haben. Seinem Sohn, dem damaligen Grafen Conrad Kurzbold, dem Vetter König Conrads I. gebührt das Verdienst, Limburg zuerst zu einer grösseren Bedeutung erhoben zu haben. Er erbaute auf dem Felsen an der Lahn neben seiner Burg eine Kirche, welche König Otto I. mit Gütern beschenkte und in seinen besondern königlichen Schutz nahm, und errichtete an derselben ein Stift regulirter Chorherren. Auch erlangte er vom Kaiser, dass die Vogtei über jene an den Besitz der Burg geknüpft blieb. Wenn indessen die Kirche, welche er gründete, in einer kunstreicheren Zeit durch den herrlichen Dom ersetzt worden ist, so steht doch noch ein Theil der Burg, in welcher dieser bedeutende Mann gehaust, der nicht nur im Lahngau eine grosse Rolle gespielt, sondern auch mit kräftiger Hand in die Geschicke des Reichs eingegriffen hat. Denn er betheiligte sich in dem heftigen Kampfe, den König Otto I. mit Eberhard von Franken und Giselbert von Lothringen führte, indem er auf der Seite des Kaisers gegen seinen Vetter stand. Der Ueberfall bei Andernach, bei welchem Eberhard fiel und Giselbert in den Fluthen des Rheins ertrank, ist sein Werk gewesen; es wird sogar berichtet, dass der erstere durch seine Hand gefallen sei. Wegen dieser und anderer [117] Dienstleistungen, und nicht minder wegen der Klugheit seines Rathes stand er bei König Otto auch in hohen Ehren und wurde von ihm der Freundschaft gewürdigt. Seine kleine Gestalt, welche ihm den Namen Kurzbold zugezogen hat, trug nicht wenig dazu bei, die ihr inwohnende ungewöhnliche Körperkraft und die Tapferkeit und Unerschrockenheit seines Geistes in ein noch glänzenderes Licht zu stellen. So soll er einst einen riesigen Saracenen, der mit trotzigem Uebermuthe einen Gegner zum Zweikampfe suchte, wie ein zweiter David niedergeworfen und getödtet haben. Auch wird von ihm berichtet, dass, als er einst mit König Otto in dessen Zelte gesessen habe und ein dem Käfig entsprungener Löwe blutdürstig in dasselbe eingedrungen sei, er diesen mit Einem Schwertstreich getödtet und sich und dem Kaiser damit das Leben gerettet habe. Kein Wunder, dass wegen dieser und ähnlicher ecclatanter Proben gewaltiger Kraft und kaltblütiger Unerschrockenheit er ein Lieblingsheld des Volkes wurde, das ihn in manchen, leider verloren gegangenen Liedern besang. Auch Züge origineller Sonderbarkeit werden von ihm berichtet. So soll er in dem Grade Weiberhasser gewesen sein, dass er nie in ein Haus einkehrte, wo er welche zu finden vermuthen musste. Conrad Kurzbold starb unvermählt im Jahr 948 und wurde in der von ihm gegründeten Kirche zu Limburg begraben. Das Grabmal im Dome, das aus einer weit späteren Zeit stammt, ist schwerlich auf seiner Grabstätte errichtet. Ihm folgte im Gaugrafenamt Eberhard, der dritte dieses Namens unter den Conradinern des Lohngaus, mit dessen Abtreten die letzte Spur des grossen Geschlechtes in dieser Gegend verschwindet. Mit seinem Erlöschen ging die Vogtei über die Kirche und das Stift zu Limburg, welcher die Herrschaft Limburg ihre Entstehung verdankt, an die mit den Luxemburgern verwandten Grafen von Gleiberg über. Graf Hermann von Gleiberg, Gegenkönig Heinrichs IV., [118] suchte sich, wie schon erwähnt, im Jahre 1088 in den Besitz der Burg zu Limburg als eines ihm entrissenen Eigenthums zu setzen, fand aber bei der Erstürmung derselben seinen Tod. Als Nachfolger der Grafen von Gleiberg, welche auch Besitzer der Grafschaft Cleeberg geworden waren, erscheint Heinrich I. von Isenburg, dessen Sohn Gerlach († 1289) als der erste Herr von Limburg angeführt wird. Seine Tochter Imagina war die Gemahlin König Adolphs von Nassau, und sein Sohn Johann, den die Chronik kurzweg den blinden Herrn zu Limburg nennt, succedirte ihm daselbst. Von einem dritten Gerlach rühmt dieselbe : „Anno 1354 da starb der Edle Herr Gerlach, der alt Herr zu Limpurg, der gar Tugendlich vnd Adelich gelebt vnd sein leben zu einem seeligen end gebracht hatte. Dann Er nit hundert Gulden genommen hette, dass Er einem Armen man in seiner kuchen ein habemel gessen hette, er solte jhn bezalt han, vnd gabe jhm der heilige Geist in seinen sinn, dass Er sein leben vnd end in gerechtigkeit ehrlich beschloss, vnd hatte erkohren vnd auserwelt die Tugend, die da heisset Gerechtigkeit, die vor allen Tugenden gehet.“ Dieser Gerlach hatte sich übrigens genöthigt gesehen, 1344 die Herrschaft und Stadt Limburg zur Hälfte an Erzbischof Balduin von Trier zu verpfänden, und da unter seinem Sohne Johann sich das Pfandgeld noch bedeutend vergrösserte, so kam dieselbe nach dem im Jahre 1420 erfolgen Tode Adolphs von Nassau-Dillenburg, des Schwiegersohns Johanns, ganz an das Erzstift Trier, bei dem sie auch bis auf die neuste Zeit verblieb. Doch hatte sich schon früh in den Bewohnern Limburgs der Sinn für bürgerliche Selbständigkeit geregt und bereits im Jahr 1279 ihre Dynasten genöthigt, sich auf ihre Burg und die Beschützung der Stadt und den Bezug der Bede zu beschränken, während ihnen selbst freie Gerichtsbarkeit und das Recht ungestörten Betriebs der [119] in bedeutendem Flore stehenden Gewerbe zugestanden worden war. Denn damals schon war Limburg der commercielle Mittelpunkt der ganzen unteren Lahngegend. Seine Lage an der Stelle des sich ausweitenden fruchtbaren Flussthals, wo sich das Emsthal eine halbe Stunde oberhalb und das der Aar eine Stunde unterhalb vom Taunus her öffnen, während das vom Westerwalde sich absenkende Elbthal der Stadt gegenüber einmündet, leitete den Verkehr von Norden und Süden von selbst auf diesen Punkt, der auch in neuerer Zeit das Centrum von aus allen Himmelsgegenden einlaufenden Landstrassen geworden ist, und machte ihn ebensowohl zum Sitze mannigfacher Gewerbe, wie zum Mittelpunkt eines nicht unbeträchtlichen Handels. Besonders müssen die Meister des „Wülnhandwerks“ stark vertreten gewesen sein, da ihnen, als sie anno 1395 „auf die Mess gen Frankfort fuhren“ und unterwegs niedergeworfen wurden „mehr als dreyhundert duch“ genommen wurden. Kaiser Karl IV. verlieh der aufblühenden Stadt bedeutende Vorrechte und trug dazu bei, das Selbständigkeitsgefühl eines kräftigen Bürgerthums bei ihren Bewohnern zu bewahren. Schon das Vorhandensein der Limburger Chronik (Fasti Limpurgenses. Das ist ein wolbeschrieben fragment von der Stadt und den Herren zu Limpurg auff der Lohne. Neueste Ausgabe von Dr. K. Rossel, Wiesbaden 1860), dieses für die Culturgeschichte des vierzehnten Jahrhunderts höchst wichtigen, und auch in literarischer Beziehung durch die Aufbewahrung einzelner Volkslieder beachtenswerthen Documents, zeugt von der Bedeutung der Stadt zu jener Zeit. Wie viel volkreicher diese damals gewesen als jetzt, wo sie 4100 Einwohner zählt, welche übrigens den alten Ruhm grosser Gewerbthätigkeit noch bewahren, geht aus einer Stelle der Chronik hervor. „In disser zeit“, schreibt der Chronist vom Jahre 1336, „stund [120] Limpurgk die Stadt und die Burgk in grossen Ehren vnd seligkeit von leut und Reichthumb. Dann alle gassen vnd ahlen waren voll leut vnd guts; vnd wurden geachtet, wenn sie zu felt zohen, mehr dann an 2000 burger vnd bereite leut mit Pantzer und mit Harnisch, vnd was dazu gehört: vnd zu Ostern, die Gottes leichnam empfingend, wurden geachtet mehr dann 8000 Menschen“. Aber die blühende Stadt wurde bald von hartem Missgeschick betroffen: „Anno 1342 die Bonifacij, da verbrandt die Statt bey nahe halb auss“. Auch die furchtbare Seuche, welche zu jener Zeit Deutschland heimsuchte, der schwarze Tod, forderte in Limburg in dreimaliger Wiederkehr seine zahlreichen Opfer. Der Chronist berichtet von derselben: „Anno 1349. Da kam ein grosses sterben in Teutschlandt. Das ist genant das Grosse sterben, vnd das erste. Vnd starben an der Drüsen. Vnd wen das anging, der starb an dem tritten tag. Vnd in der masen sturben die leut in den grosen stätten, zu Cöln, zu Meinz etc. vnd also meinstlich alle tage mehr dann 100 menschen oder in der mase, in den kleinen stätten sturben teglich 20, 24 oder 30 also in der weisse. das werete in jeglicher Statt vnd Land mehr dann ein viertel Jahrs. Vnd sturben zu Limpurg mehr dann 2400 menschen, ausgenommen die kind.“ Im Jahr 1356 erhub sich abermals „grosser Jammer, vnd kam das zweit grosse sterben“; im dritten, im Jahr 1365, wurde auch Gerlach, Herr von Limburg und seine Gemahlin Else hingerafft. Auch die Geisselfahrten, welche vornehmlich durch das erste Erscheinen der Seuche hervorgerufen worden, berührten Limburg und die Umgegend. Indem der Chronist eine ausführliche Schilderung der bei ihnen üblichen Ceremonien gibt, führt er auch mehrere Bussgesänge an, welche von den Flagellanten während derselben gesungen wurden, unter ihnen die Strophe:
[121]O Herr vatter Jesu Christ,
Wann du allein ein Herre bist,
Du hast uns die Sünd macht zu vergeben,
Nun gefrist uns hie vnser Leben,
Dass wir beweinen Deinen Tod,
Wir clagen Dir Herr all vnser noth.
Ein anderes Lied, das beim Umgang um den Kirchhof gesungen wurde, hat einen derberen Character:
Tretten herzu, wer busen will,
So flihen wir die heise hell,
Lucifer ist ein böser Gesell,
Wen er hat,
Mit Bech er jhn labt.
Aber der Menschen Sinn vergisst gar bald Leid und Ungemach, das sie betroffen hat. Nach den Schrecken der verheerenden Krankheit, nach den Bussübungen der Geisselfahrten und der fanatischen Verfolgung der Juden, denen man die Ursache der Seuche zuschrieb, „da hub die Welt wider an zu leben vnd frölich zu sein“. Und manche Minnelieder, die man zu dieser Zeit „sung vnd pfiff“, bald im zarten Tone der ersten Minnesinger gehalten, bald in schalkhaftem Spott sich ergehend, zeugen von der Lebenslust, welche die Gemüther wieder erfüllte. Eins derselben, das die Chronik „ein gut Lied von weiss vnd von worten“ nennt, „vnd das man durch gantz Teutschland sang“, sei angeführt:
Ach reines weib von guter art
Gedenk an alle Stetigkeit,
Dass man auch nie von dir sait,
Das reinen weiben vbelsteit,
Daran sol tu nu gedencken,
Vnd sollt von mir nit wencken,
Dieweil dass Ich das leben han.
Noch ist mir eine clage noth
Von der liebsten Frauwen mein,
Dass jhr zartes mündlein roth
Will mir vngenedig sein.
Sie will mich zu grund verderben,
Vntrost will sie an mich erben,
Dazu en weiss ich keinen Raht.
[122] Nachdem Kurtrier die Landeshoheit über Limburg erlangt hatte, wurde die Stadt der Mittelpunkt seiner Besitzungen auf der rechten Rheinseite. Doch sah sich auch das Erzstift genöthigt, zuerst an Frank von Cronberg und dann an Ludwig von Hessen einen Theil derselben zu verpfänden (1435), welchen, nachdem die Reformation Eingang in die Stadt gefunden, wiederzugewinnen erst dem Kurfürsten Philipp Christoph im Jahre 1624 gelang. Während des dreissigjährigen Kriegs hatte Limburg durch Freund und Feind vieles zu leiden. Schon vom Jahre 1623 heisst es: „Der Durchmärsch’ und Einquartirung hat es im Lohngau kein Ende nehmen wollen“; 1631 wurde die Stadt von den Schweden besetzt; 1635 wurde sie den Franzosen von den Kaiserlichen entrissen und dabei ausgeplündert. Auch in den Jahren 1642 und 43 sah dieselbe eine französische und einen Theil der pragmatischen Armee in ihren Mauern, sowie sie auch während des siebenjährigen Kriegs in den Jahren 1758 und 59 von Sachsen und Hannoveranern besetzt wurde. Doch waren diese Kriegsnöthen „Kinderspiel“ gegen die Gräuel und Schrecken, welche in den Revolutionskriegen über die Stadt kamen. Die Jourdan’sche Armee, die unbändigste unter allen Revolutionsarmeen hat hier an der Lahn, und zumal in Limburg und Hadamar, zuerst im Jahre 1795 ihren wohlverdienten Ruf einer räuberischen und schamlosen Bande erlangt. Am 20. September wurden von den Franzosen über 2000 Kugeln und Bomben in die Stadt Limburg, welche die Oesterreicher besetzt hielten, geworfen. Als diese sie heimlich verlassen hatten, wurde eine Plünderung über sie verhängt, die Vorstadt über der Lahn niedergebrannt und mit unerhörter Rohheit und Bestialität gegen die Bewohner verfahren. Auch in dem Jahre 1796 wiederholten sich Truppendurchzüge und Plünderung, und beim Rückzug der Franzosen ähnliche Calamitäten; und noch einmal, im November 1813; war [123] Limburg, wo sich Blüchers Schaaren mit den Kosaken Tschernitschews in seinen engen Strassen kreuzten, der Schauplatz einer gräuelvollen Verwirrung.
Schon im Jahre 1803 war die Stadt und Herrschaft Limburg dem Herzogthum Nassau einverleibt worden. Seit 1827 ist erstere der Sitz des katholischen Bischofs für Nassau und Frankfurt. Ausserdem befindet sich daselbst ein Herzogliches Amt mit allen den Verwaltungsbehörden, welche an dem Sitze eines solchen vereinigt sind.
Die Thürme und Mauern der Stadt sind bis auf wenige Ueberreste niedergelegt. Statt ihrer umgibt den älteren, engen, am Burgberg liegenden Theil derselben nach der Westseite hin ein Kranz stattlicher moderner Gebäude, welche die Vorstädte mit einander verbinden, und an denen her sich der breite und bequeme Verkehrsweg zieht. Von den Bauten, welche die Stadt aus älterer Zeit aufzuweisen hat, verdient die dem heiligen Georg geweihte Stiftskirche in hohem Grade eine nähere Besichtigung. Sie gehört nicht nur zu den bedeutendsten Kirchen des Lahnthals, sondern ist auch eines der imposantesten Denkmäler, welche der sog. rheinische Uebergangsstyl überhaupt hervorgebracht hat. Auf der Anhöhe gelegen, die ihr als ein mächtiger, natürlicher Sockel dient, von nur mässig grossen Gebäuden umgeben, erscheint sie von der Ferne und wenn man vor ihrer Façade steht grösser als sie wirklich ist. Aber es sind auch nicht sowohl bedeutende Dimensionen, als vielmehr die dem Uebergangsstyle eigene reiche Gliederung und Verzierung, sowie ganz besondere Eigenthümlichkeiten, durch welche sie das lebhafte Interesse des Kunstkenners erweckt. Der Grundplan ist noch ganz der einer gewölbten romanischen Basilika mit starken Aussenmauern; ebenso die Anlage der untern Theile des Mittelschiffs. Auch die quadraten Gewölbe im Haupt- und in dem Querschiffe gehören dem Baustyl derselben an; aber sie sind [124] zugleich sechstheilig, da von den der Kirche eigenthümlichen Emporen über den Seitenschiffen, die sich mit eleganten Säulenstellungen nach Innen öffnen, zwischen den Arkadenpfeilern Halbsäulen hervortreten, welche sich bis zur Oberwand fortsetzen und von ihren Kapitälen ebenfalls Gewölbrippen aufsteigen lassen. Die Zwerggallerie jedoch, die Bekrönung der Thüren mit einzelnen Giebeln, die Knospenkapitäle, die prachtvollen Laubgewinde an den Archivolten des Portals, überhaupt alle Ornamente gehören dem Uebergangsstyle an, sowie auch die Gesammtanlage der Kirche mit den zwei gewaltigen 176 Fuss hohen Thürmen an der Westseite, den vier kleineren an dem Querschiffe und dem achteckigen, alle anderen mit seinem schlanken Helm überragenden Thurm über der Centralstelle aus dem Geiste dieser Bauweise hervorgegangen ist, die also in der Thurmconstruction hier die heilige Siebenzahl erreicht und damit ihren glänzenden Prunk bis auf die Spitze getrieben hat. An Gewölben und Arkaden ist schon der Spitzbogen angewendet, während die Oberlichter des Mittelschiffs rundbogig sind. Eigenthümlich ist dem Limburger Dom vor andern Kirchen dieses Styls, dass die Apsis des Chors mit einem Umgang versehen ist, und dass oberhalb der Emporen in jenem und den Seitenschiffen sich noch durchlaufende Gallerien, Triforien, herziehen, welche der oberen Wand des Gebäudes eine sehr lebendige Gliederung verleihen. Diese Verbindung von Arkaden und Triforien ist in Deutschland einzig in ihrer Art, da sie sich weder am Rheine noch anderwärts wiederfindet. Schade, dass das grossartig disponirte und zugleich höchst elegant gegliederte Innere des Domes durch einen geschmacklosen Anstrich entstellt ist. Die Kirche ist im Jahre 1213–42 von dem Grafen Heinrich dem Reichen von Nassau erbaut worden, trotzdem dass die Inschrift über dem Westportale lautet: Basilica Sancti Georgii Martyris. Erecta anno 909, renovata anno 1766. Ob die halberloschene [125] Abbildung des Ritters St. Georg über der Thüre alt sei, möchte nach Möllers Ansicht schwer zu entscheiden sein. „Die beiden Figuren über den Säulen“, schreibt derselbe Kunstkenner, „scheinen den Baumeister und die personificirte Wissenschaft, eine weibliche Figur mit einer entwickelten Schriftrolle, vorzustellen. Der Meister, in ähnlicher Tracht wie Peter Vischer auf dem berühmten Sebaldusgrabmale zu Nürnberg, lehnt sich auf seinen Stab und scheint zu horchen, was die Aus- und Eingehenden von seinem Werke sagen.“ Im Innern der Kirche ist noch beachtenswerth der im südlichen Querschiffe sich befindliche Taufstein und im nördlichen das Grabdenkmal Conrad Kurzbolds aus dem dreizehnten Jahrhundert stammend, eines jener Denkmäler, „wo man statt in geraden schweren Falten die Glieder zu verhüllen, das Gewand wie einen leichten Stoff behandelte, der den Bau des Körpers durchschauen lässt und auf der Fläche des Steines unruhige und fasst flatternd bewegte Falten bildet, wo auch das Haar leicht und bewegt in langen Locken fällt, und das Gesicht oft eine lächelnde Miene hat.“ Ausserdem sind noch die Chorstühle beachtenswerth, sowie auch der Domschatz einige Gegenstände von nicht unbedeutendem Kunstwerthe enthält.
Hinter dem Dome liegt auf gleicher Höhe die alte Burg, welche, wie schon erwähnt worden, in einzelnen Theilen noch aus den Zeiten Conrad Kurzbolds stammt. Ausser den gewölbten Räumen in diesen, einer in der Mauer angebrachten Wendeltreppe, welche zu einem unterirdischen Gange führt, der das Schloss mit der Stadt in Verbindung gesetzt zu haben scheint, jetzt aber nur noch eine Strecke gangbar ist, ist nichts Bemerkenswerthes in derselben zu sehen. Die zu Ende des dreizehnten Jahrhunderts (1298) eingerichtete St. Petrikapelle ist ziemlich verfallen und dient zu einem Holzschuppen. In den Räumen der Burg befindet sich jetzt die Herzogliche Receptur. – Die bischöfliche Kapelle, eine langgestreckte [126] Kirche mit Glasmalereien im Chor, gehörte früher zum Kloster der Franziskaner, welche hier zuerst in Deutschland Eingang gefunden haben. Gerlach, Herr zu Limburg, brachte nämlich ums Jahr 1223, von einem Kreuzzuge zurückkehrend, einige Franziskaner mit hierher, welche ein Kloster bauten und im Jahre 1250 ihre Kirche einweihten. Später wurde ihnen die höhere Bildung der Jugend anvertraut, da die Lehrstellen des zu Limburg errichteten Gymnasiums aus ihnen besetzt wurden. Das Franziskanerkloster, ein sehr geräumiges Gebäude, dient jetzt dem Bischof und mehreren Chorherren zur Wohnung, während ein anderer Flügel desselben dem Priesterseminarium eingeräumt worden ist. Auch die Franziskanerschwestern kamen schon früh, 1251, nach Limburg; ein ihnen im fünfzehnten Jahrhundert erbautes Kloster dient jetzt zum städtischen Armenhause. In der Dietzer Vorstadt liegt die von den Wilhelmiten erbaute ansehnliche St. Annen- oder Hospitalkirche. Diesem Orden war von Gerlach von Limburg eine Lahninsel zur Ansiedelung eingeräumt worden, doch nöthigten ihn die Ueberschwemmungen des Flusses, dieselbe zu verlassen. Er erbaute daher hier im Jahre 1322 Kirche und Kloster, welches letztere im Jahre 1573 von ihm der Stadt zum Hospitale abgetreten worden ist. Auch in der St. Annenkirche befinden sich einige Glasmalereien. Eine vierte Kirche, die evangelische, ist noch im Bau begriffen; sie ist klein, aber freundlich und geschmackvoll, und liegt in der Nähe des Bahnhofs. Von andern Gebäuden der Stadt ist noch der Walderdorff’sche Hof zu bemerken, ein stattlicher, hoch die übrigen Häuser überragender Bau an der Fahrgasse, der einzige Sitz von früher hier einheimischen Burgherrn, welcher in den Händen der Familie, der Grafen von Walderdorff, geblieben ist. Der in ihm befindliche Bildersaal ist sehenswerth. – Die Lahnbrücke mit dem auf ihr sich erhebenden Thorthurm ist eine der ältesten, welche über den Fluss führen, da sie schon [127] im Jahre 1315 erbaut worden ist. Unter den Sehenswürdigkeiten modernen Charakters ist vor allen die Centralwerkstätte der Nassauischen Staatsbahn auf dem Bahnhof zu bemerken.
Auch in der Umgegend von Limburg findet man mehrere schöne Aussichtspunkte. Zwar ist es nicht das Bild einer romantischen Natur, welches sich[WS 2] auf denselben dem Auge zeigt, wohl aber der überaus wohlthuende Anblick einer sehr fruchtbaren Gegend, welche „den fröhlichen Fleiss“ der Bewohner rühmt, und deren von Obstbaumalleen durchzogenes Hügelland Abwechselung genug darbietet, um nicht einförmig zu erscheinen. Dazu aber hat an allen Punkten das Bild in dem stolzen Bau des Limburger Doms und in der um ihn sich lagernden Stadt einen kräftig hervortretenden malerischen Mittelpunkt. Ganz in der Nähe der Stadt sieht man von der Kreuzkapelle auf dem Greifenberg und von dem Schafsberge auf die Stadt und das vom Flusse durchschlängelte weite Thal herab, welches nach Norden zu durch das Elbthal noch mehr geöffnet erscheint. Der in der Nähe des Schafsbergs liegende Stephanshügel ist weniger wegen einer neuen Aussicht, als wegen seiner Formation als Basalterhebung bemerkenswerth. Eine sehr weite Aussicht auf die Umgegend von Limburg und über einen grossen Theil des Herzogthums Nassau geniesst man von dem eine Stunde entfernten Mensfelder Kopf. Hier liegt das beckenartig ausgeweitete fruchtbare Lahnthal mit seinen Städten und Dörfern, Burgen und Kirchen in weiter Strecke vor uns; und auch hier stellt sich Limburg als der Mittelpunkt des ganzen Bildes dar. Weiter lahnaufwärts erscheinen Dietkirchen, Dern und Schloss Schadeck; hinter diesen der Bäselicher Hof; hoch vom Gebirge schauen die Thürme des Schlosses von Merenberg herab. Hinter Limburg schimmert von einer das Elbthal begrenzenden Anhöhe das Franziskanerkloster von Hadamar hervor. Zur Linken erblickt [128] man Oranienstein und in dem schon enger gewordenen Thale das Sohloss von Dietz, und zwischen diesen Punkten zerstreut liegen zahlreiche Ortschaften, welche das umfangreiche Bild beleben, das die blaue Kette des Westerwaldes und die waldige Montabaurer Höhe abschliessen. Und schaut man rückwärts, so schweift der Blick über die fruchtbaren Felder nach dem Ems- und Aarthal zu, hinter denen sich der Feldberg und der von diesem nach der Lahn hinziehende Gebirgsrücken des Laubus erhebt, während weiter rechts, aus Wäldern hervorschauend, die hohe Wurzel zwischen Langenschwalbach und Wiesbaden erscheint.
Eine Viertelstunde unterhalb Limburg ergiesst sich die Elb, die, von der Höhe des Westerwaldes herabkommend, in den letzten vier Stunden ihres Laufes ein fruchtbares, ziemlich weites Thal durchfliesst, in die Lahn. Eine Chaussee führt durch dasselbe über den Westerwald nach Dillenburg und Siegen. Auch ist es im Project, durch dieses und das in das Siegthal einmündende Nisterthal, und auf der linken Seite der Lahn durch das Emsthal eine Eisenbahn zu führen, welche Köln und Frankfurt in einer weit kürzeren Linie als auf den jetzigen Schienenwegen verbinden soll. Der erste Ort, den wir, wenn wir dem Elbthal einen Besuch abstatten wollen, berühren, ist Elz, bekannt durch seine Harfenmädchen und Guitarrenspielerinnen, durch seine Seiltänzer und Thierbändiger, welche in ganz Deutschland und in den benachbarten Ländern umherziehen, und gewöhnlich Limburg an der Lahn als ihre Heimath angeben. Das folgende Dorf, Niederhadamar, ist als Wohnort Wilhelm Eppelmanns, des Vaters Peter Melanders, Grafen von Holzappel, und als Geburtsort dieses berühmten Mannes merkwürdig. Eine Viertelstunde oberhalb dieses Ortes, zwei Stunden von Limburg entfernt, liegt Hadamar, der Stammsitz des Hadamarer Zweiges des Nassau-Ottonischen Hauses. Der Stifter dieser Linie, Emich I., [129] legte zu Oberhadamar eine Burg an, und liess im Jahre 1324 vom Kaiser Ludwig dem Baier dem Orte Stadtrechte verleihen. Seit dieser Zeit hiess derselbe Hadamar, zuweilen auch Burg Hadamar. Später fiel die Herrschaft und Stadt an Catzenellnbogen, kam aber 1557 durch Erbschaft an Nassau zurück. Im Jahre 1607 entstand die neue Hadamarer Linie, deren Stifter, Graf Johann Ludwig, im Jahre 1629 zum Katholicismus übertrat und denselben im folgenden Jahre auch in seinem Lande wieder einführte. Er trug viel zur Vergrösserung und Verschönerung von Hadamar bei, indem er nicht nur das Schloss, welches im Jahre 1540 sammt der Stadt durch welsche Mordbrenner angezündet worden war, wiederherstellte und an dasselbe noch zwei Flügel anbaute, sondern auch die Stadt beträchtlich erweiterte. Nach dem Erlöschen der neuen Hadamarer Linie im, Jahre 1711 liessen die Glieder der übrigen ottonischen Linien die bereits im Jahre 1650 zum Fürstenthum erhobene Herrschaft Hadamar gemeinsam verwalten, welche, nachdem die Siegener und Dillenburger Linie ausgestorben waren, schliesslich Nassau-Dietz ganz zufiel. Auch Hadamar hatte wie Limburg in den neunziger Jahren viel von der Maas-Sambre-Armee zu erleiden. Jetzt ist die Stadt der Sitz eines Amtes, hat ein Gymnasium und zählt über 2200 Einwohner. Sie hat meist regelmässige Strassen und zwei geräumige Marktplätze. Das bemerkenswertheste Gebäude ist das sehr grosse dreiflügelige Schloss, in welchem sich die Receptur und die Räume des Gymnasiums und einige Privatwohnungen befinden. Die Stadtkirche gehörte den Jesuiten; älter als sie ist die sog. Todtenkirche, jenseits der Elb gelegen; sie ist von 1360–70 von einem Priester aus eignen Mitteln erbaut worden. Auf dem Mönchberge liegt das nach der Restauration im Jahre 1637 errichtete Franziskanerkloster, in dessen Kirche die Gruft der Nassau-Hadamarer Fürsten sich befindet, und dessen Räume jetzt die [130] Hebammenlehranstalt für das Herzogthum Nassau beherbergen. Von hier, sowie vom Herzberge aus geniesst man eine schöne Aussicht vornehmlich nach der Lahn hin.
Zwei Stunden seitwärts von Hadamar lag auf einer hohen Basaltkuppe die Burg Molsberg, der Sitz eines sehr alten und vornehmen Adelsgeschlechtes. Vom jetzigen modernen, dem Grafen von Walderdorff gehörenden Schloss Molsberg, welches auf die Stelle der alten Burg erbaut ist, hat man eine weite Aussicht über die Dörfer des Elbthals und der Lahngegend bis nach dem Taunus hin. Zwei Stunden oberhalb Hadamar erhebt sich am Thale die Dornburg, ein stattlicher, waldbewachsener Berg, an dessen südöstlichem Abhänge der sog. Eiskeller sich befindet, eine Höhle, in welcher das ganze Jahr hindurch Eis gefunden wird. Westlich von der Dornburg, durch ein Thal von ihr getrennt, steigt der Cles- oder Blasiusberg empor, auf dessen mit einer alten Kapelle gekröntem Gipfel man eine weite Aussicht geniesst. Weiter aufwärts, etwas mehr als drei Stunden von Hadamar liegt auf einer Höhe Schloss Westerburg mit der auf einer Säulenbasaltspitze angelegten hohen Warte; es ist, wie erwähnt, der Stammsitz der Grafen von Westerburg. Hier aber sind wir schon auf den Vorbergen des Westerwaldes angelangt, der sich von dieser Höhe aus in allmählicher Steigung zu seinem kahlen Plateau erhebt.
Unterhalb der Mündung der Elb beginnt das Lahnthal sich wieder zu verengen. Das Dorf Staffel, eine halbe Stunde abwärts von Limburg gelegen, an welchem hin die Strasse nach dem vier Stunden, entfernten Montabaur führt, liegt noch frei in der fruchtbaren, allmählich sich erhebenden Fläche, aber schon senkt sich ihm schräg gegenüber die südliche Erhebung in steilem Abfall in das Thal; eine halbe Stunde weiter, da wo die Lahn eine Biegung nach links macht, trägt ein Felsenvorsprung derselben, der fast senkrecht aus dem Flusse aufsteigt, das Schloss Oranienstein, welches aus dem Grün [131] der es umgebenden Waldpartien freundlich herüberschaut. Unten im Thal liegt das Dörfchen Auel, von dem man in einer Viertelstunde nach Dietz gelangt. Doch schneidet die Chaussee, die von Limburg nach Dietz in fünf Viertelstunden führt, die Krümmung, welche das Thal beschreibt, ab. Auch die Eisenbahn verlässt den Fluss, indem sie in gerader Richtung an der Senkung des Mensfelder Kopfes durch fruchtbare Felder sich hinzieht, und eine mässige Bodenerhebung in einem kurzen Tunnel durchbricht. Dann führt sie am Dorfe Freiendietz vorüber in den Bahnhof von Dietz, welcher in der nach dem Aarthal geneigten Absenkung des Bodens liegt.
Hier schon gewahrt man den veränderten Charakter der Gegend; mehr noch, wenn man in die zwischen zwar nur mässig hohen, aber steil abfallenden Bergen gelegene Stadt Dietz eintritt. Von der Aar durchflossen, füllt dieselbe mit ihren meist geraden Strassen und geräumigen Plätzten die ganze Breite des Thales bis zu dem Ufer der Lahn aus, während eine Brücke die Vorstadt am Fusse der jenseitigen Anhöhe mit ihr verbindet. So fast von allen Seiten von Bergen umgeben, welche mit zahlreichen Obstbäumen bepflanzt sind, hat die Stadt eine ebenso geschützte wie freundliche Lage. Dazu verleiht ihr das altersgraue Schloss, welches sich auf steilem Porphyrfelsen über ihren blauen Schieferdächern erhebt, und auf der jenseitigen Anhöhe die Peterskirche mit ihrem schlanken Thurme einen erhöhten landschaftlichen Reiz. Auch die Geschichte der Stadt Dietz knüpft an die alte Burg an, welche schon ums Jahr 1070 erbaut worden ist, und nach welcher sich um dieselbe Zeit die dort ansässigen adligen Grafen von Dietz oder Didesse genannt
[132] haben. „Wenn irgend eine Familie des hohen Adels im Nassauischen“, sagt Vogel, „die Vermuthung für sich hat, dass sie vom salisch-conradinischen Kaisergeschlecht abstamme, so ist es die der Grafen von Dietz; denn in demselben Niederlohngau, wo die Conradiner so recht zu Hause waren, erscheinen später die Grafen von Dietz überall ansässig, und bei ihnen allein ist die Landeshoheit über den ganzen Gau, mit Ausnahme der beiden Vogteien von Worms und Bleidenstadt.“ Daher versammelte sich auch die Blüthe des Lohngauer Adels, um als glänzendes Gefolge die zum Kampfe ausziehenden Grafen zu begleiten oder die Burghut zu besorgen, an diesem Mittelpunkt der mächtigen Grafschaft, welche wegen ihrer Fruchtbarkeit „die goldene“ geheissen wurde, ein Name, welcher der Umgegend bis auf den heutigen Tag geblieben ist. Indem sich viele jener Adligen um die Burg ansiedelten, wurde der erste Grund zu der Stadt Dietz gelegt, deren Gemarkung noch in späterer Zeit sehr beschränkt war, ein Umstand, der seinerseits schon den Beweis liefert, dass dieselbe eines verhältnissmässig späten Ursprungs sein muss. Die Grafen von Dietz walteten übrigens nicht nur in dem Niederlohngau, sondern ihr Name wird auch in der Geschichte des Vaterlandes wiederholt mit Ehren genannt. Einer von ihnen, Heinrich II., der sich der Gunst Kaiser Friedrichs I. erfreute, begleitete diesen im Jahr 1177 nach Italien und schloss sich ihm mit seinem Sohne Heinrich zu dem Kreuzzuge an, auf welchem Barbarossa in den Wellen des Kalykadnus seinen Tod fand. Der Sohn und Nachfolger desselben, Gerhard II., der sich zuerst auch Graf von Weilnau nannte, stand bei Kaiser Friedrich II. in hohen Ehren und machte gleichfalls einen Kreuzzug (1217) mit. Graf Gerhard IV. erbaute neben dem Schlosse die Marienkirche, und indem er an derselben im Jahre 1289 ein Stift regulirter Chorherren errichtete, erhöhte er den Glanz seiner von zahlreichem Adel bewohnten Residenz.
[133] Im vierzehnten Jahrhundert gehen wir die Grafen von Dietz in verschiedenen Kämpfen mit den Nachbarn. Gerhard VI. starb an einer Wunde, welche er in einer Fehde mit den Limburgern erhalten hatte, im Jahr 1343. Sein Nachfolger Gerhard VII, „gar ein schöner Ritter von aller seiner Gewalt, vnd dazu hatte Er ein schön Weib, als Sie in allen Teutschen landen war“, erbaute die Burg zu Kirberg, einem Orte, der zwei Stunden südlich von Limburg liegt; er ist derselbe Graf von Dietz, der wegen Ermordung seines Bruders Johann an Friedrich Freyen von Dern blutige Rache nahm. Mit seinem Tode erlosch im Jahre 1388 der Mannsstamm der Grafen von Dietz. Seine Tochter Jutta war mit dem Grafen Adolph von Nassau-Dillenburg vermählt, welcher auch nach seines Schwiegervaters Tode von Kaiser Wenzel mit der Grafschaft Dietz belehnt wurde. Da er indessen, ohne männliche Erben zu hinterlassen, starb, erfolgte eine Theilung der Grafschaft; darauf abermalige Zersplitterung, Verkauf, Verpfändung, bis sie Wilhelm der Reiche von Nassau-Dillenburg, Vater Wilhelms des Verschwiegenen, an sich brachte. Doch geschah dies nicht ohne Einbusse, da er einen Theil derselben an Trier abtreten musste, welches wegen der früher ihm zugestandenen Lehenshoheit Ansprüche erhob. Erst nach der Erbtheilung der Söhne Johanns des Aelteren, des Bruders Wilhelms des Verschwiegenen, bildete die Grafschaft Dietz wieder eine selbständige Landschaft. Doch waren die Besitzer derselben nach der Sitte der Zeit häufig in fremden, hier in niederländischen Kriegsdiensten. Ernst Casimir, der Gründer der Linie, sowie sein Sohn Wilhelm Friedrich, der 1652 die Fürstenwürde annahm, und sein Enkel Heinrich Casimir begleiteten nacheinander die Statthalterwürde in den niederländischen Provinzen Friesland, Gröningen, Ommelande und Drenthe. Während dieser Zeit wurden die Landesangelegenheiten der Grafschaft Dietz durch tüchtige Verwaltungsbeamte besorgt. Als die von Wilhelm
[134] dem Verschwiegenen gegründete nassau-oranische Linie mit König Wilhelm III. von England 1702 ausstarb, welcher die Dietzer Linie zur Universalerbin eingesetzt hatte, nahm der Erbe Johann Wilhelm Friso den Titel Prinz von Oranien an, und nannte sein Erbland Fürstenthum Oranien-Nassau. Unter seinem Nachfolger Wilhelm IV. wurden nach dem Erlöschen der Siegener und Dillenburger Linien alle ottonischen Lande wieder vereinigt, 1743. Auch erhielt derselbe im Jahre 1747 die Statthalterwürde der Niederlande als erblich, doch verlor sie sein Sohn Wilhelm V. 1795 wieder, sammt seinen dortigen Besitzungen. Von England, wohin er geflohen, zurückgekehrt, residirte er vom Jahre 1801 an bis zu seinem Tode (1806) in Oranienstein. Sein Sohn Wilhelm Friedrich bestieg im Jahre 1815 als Wilhelm I. den Königsthron von Holland.
Auch Dietz entging nicht den Bedrängnissen, welche der dreissigjährige Krieg, über die ganze Gegend brachte. Aber hier zeigte sich auch in einem Vorfall, welcher an die Begegnung Napoleons mit der Herzogin Louise von Weimar nach der Schlacht bei Jena erinnert, wie auch das Herz des im Kriege verhärteten Soldaten dem Einflusse edler Weiblichkeit sich nicht zu entziehen vermag. Als nämlich der Infant Don Fernando im Jahre 1634 sich mit seiner Truppenabtheilung der Stadt, in welche die Einwohner der ganzen Grafschaft mit ihrer besten Habe geflüchtet waren, näherte, ging ihm die Wittwe Ernst Casimirs, die Fürstin Sophie Hedwig, geb. Prinzessin von Braunschweig, mit ihrem Hofstaate entgegen und lud ihn mit seinen höheren Offizieren zur Tafel. Der ritterliche junge Herr nahm freundlich die Einladung an, und verschonte auf die Fürsprache der Fürstin Stadt und Land mit jeglicher Contribution. Ja er hielt, um auch alle etwaige Plünderung zu verhüten, beim Abzug auf der Strasse, bis alle seine Truppen die Lahnbrücke passirt waren. Schlimmer erging es der [135] Stadt Dietz 1796. Am 16. September dieses Jahres entspann sich nämlich am Mensfelder Kopf ein Gefecht zwischen den heranrückenden Oesterreichern und den Franzosen, die das Lahnthal links und rechts besetzt hatten. Diese wurden von der Anhöhe hinabgedrängt und nahmen ihren Rückzug durch die Stadt über die Brücke auf das jenseitige Ufer. Um die Verfolger aufzuhalten, zündeten sie die enge Strasse vor der Brücke an, und da sie auf jeden, der löschen wollte, schossen, konnte man der Flamme keinen Einhalt thun, so dass in wenigen Stunden ein Theil der Altstadt eingeäschert war.
Die Stadt Dietz, Sitz eines Amtes, und einer Bergmeisterei, sowie Garnisonsort für ein Bataillon des ersten Nassauischen Regimentes, hat jetzt über 3400 Einwohner und ist bedeutend im Aufblühen begriffen. Trotzdem dass die hier betriebene, früher sehr beträchtliche Schifffahrt auf der Lahn durch die Anlage der Nassauischen Staatseisenbahn einen nicht geringen Stoss erlitten hat, unterhält sie vornehmlich durch die bedeutenden Eisensteingruben an der Aar einen lebhaften Verkehr, so dass sie in neuerer Zeit als eine nicht unglückliche Rivalin der gewerbreichen Nachbarstadt Limburg aufgetreten ist. Das Innere der Stadt ist reinlich und freundlich, denn ausser den wenigen engen, winkeligen Gassen des an der Lahn gelegenen älteren Theils, unter denen die Pfaffengasse die Erinnerung an das ehemalige Collegiatstift bewahrt, da in ihr die an demselben angestellten Stiftsherrn gewohnt haben, hat sie in der im Jahre 1690 angelegten und später immer mehr erweiterten Neustadt breite, gerade Strassen und geräumige, regelmässige, zum Theil mit Alleen versehene Plätze. Die in der neusten Zeit an der Limburger Chaussee erbauten Häuser verbinden den Vorzug einer freien, sehr freundlichen Lage mit dem der reinlichen Eleganz moderner Bauweise. Unter den Gebäuden der Stadt ist vor allem das historisch merkwürdige Schloss zu nennen, das schon von [136] fern gesehen, in seiner äussern Erscheinung sich als ein Denkmal sehr früher Zeit darstellt: gewaltiges, auf dem steilen Felsen unregelmässig aufsteigendes Mauerwerk, von schmalen Fenstern durchbrochen, und von dem breiten viereckigen Thurme nur wenig überragt. Aber die Burg der mächtigen Grafen von Dietz dient, wie das historisch merkwürdige Schloss zu Marburg, einem seiner früheren Bestimmung sehr entgegengesetzten Zweck. Schon die eisernen Stäbe an den Fenstern lassen ein Gefängniss vermuthen. Und in der That dient sie dem Lande zum Zuchthause, und ist als solche auch die Stätte mannigfaltiger Industrie. Ausserdem dass Leinwand, Strohgeflechte, Strickereien u. a. m. daselbst gefertigt werden, wird von den kräftigen Sträflingen der Vilmarer Marmor von der Säge bis zur feinsten Politur zu den verschiedensten Geräthschaften, Urnen, Grabmonumenten verarbeitet. Welcher Gegensatz in dem Wandel der Zeiten! Statt des Waffengeklirrs und des Hufschlags wilder Pferde, die einst um die Burg erklangen, hört man jetzt nur den einförmig dumpfen Ton der in der Tiefe des Thals unablässig arbeitenden Marmorsäge; statt der freien Burgmänner, die sich hier bewegten, sieht man nur die düsteren, schweigsamen Gestalten, welche, mit Ketten gefesselt, zu ihrer schweren Arbeit hinabgeführt werden, und in den Räumen, wo einst die Pokale läuteten, ertönt das raschelnde Geräusch einer gezwungenen Fabrikthätigkeit.
Die neben der Burg vom Grafen Gerhard IV. in der letzten Hälfte des dreizehnten Jahrhunderts erbaute Marienkirche nennt der nur für die Bauweise seines Säculums schwärmende Antiquarius des Lahnstroms ein sehr übles Gebäude. Aber abgesehen von dem Interesse, das sie als altes Baudenkmal erweckt, bietet ihr nun restaurirtes Innere, wenn auch nicht einen imposanten, so doch würdigen Anblick dar. Auch die jenseits der Lahn auf einem Felsen isolirt gelegene Peterskirche ist schon [137] im dreizehnten Jahrhundert erbaut; nur die Zierde ihres schlanken Thurmes hat sie erst vor wenigen Decennien erhalten. Eine dritte in der Neustadt gelegene Kirche, die Michaeliskirche, ist im Jahre 1707 von den sich damals in Dietz ansiedelnden Lutheranern aufgeführt; da sie aber nach der 1818 in Nassau stattgehabten Union der lutherischen und reformirten Confession überflüssig geworden, wurde sie im Jahre 1836 den Katholiken zum Gottesdienste eingeräumt. Das hoch auf dem Schlossberge gelegene, in die Augen fallende Gebäude, das sog. Oberamthaus, in welchem sich nun die Receptur befindet, diente im vierzehnten Jahrhundert den Gräfinnen von Dietz zum Wittwensitz. Die im Jahre 1552 erbaute Lahnbrücke versuchten die Schweden im Jahre 1634 zu sprengen, da indessen die angewandte Ladung zu schwach war, wurde nur ein Pfeiler von seiner Stelle gerückt; in neuerer Zeit ist ein Eisengitterwerk über die Steinpfeiler gelegt worden.
Der Uebergang des Charakters des Lahnthals vom Weiten zum Engen, der gerade bei Dietz stattfindet, und die gleichzeitige Einmündung eines sehr freundlichen Seitenthales in dasselbe kann nicht verfehlen, den landschaftlichen Reizen der Umgebung der Stadt eine grosse Mannigfaltigkeit zu verleihen. Auch hat besonders auf der zwischen Lahn und Aar sich hinziehenden waldigen Anhöhe, dem sog. Hain, die Kunst nicht wenig dazu beigetragen, diese Reize noch beträchtlich zu vermehren; denn ein grosser Theil dieses Terrains ist in die Anlagen gezogen worden, welche das Schloss Oranienstein umgeben. Von der Höhe des Schlossbergs führt eine prächtige Lindenallee in einer Viertelstunde nach dieser früheren, wenigstens zeitweise bewohnten oranischen Residenz, welche sich uns von dieser Seite in tieferer Lage hinter einem weiten, von Alleen umgebenen Vorplatze präsentirt, dessen frisches Grün mit ihren weissen Gebäuden anmuthig contrastirt. Die abseits gelegenen nothwendigen [138] Wirthschaftsgebäude stören den Eindruck nicht. Das geräumige Schloss, aus einem Hauptflügel und zwei mit Pavillons abschliessenden Nebenflügeln, die sich nach dem Vorplatze ziehen, bestehend, ist vom Jahre 1674 an vom der Fürstin Albertine von Dietz ganz in dem damals herrschenden französischen Style erbaut. Aber so wohnlich dasselbe äusserlich erscheint und so wohl erhalten es ist, bietet doch das Innere keinerlei Sehenswürdigkeiten, da das früher hier befindliche, grösstentheils kostbare Mobiliar sammt den Gemälden, von denen einzelne in historischer Beziehung von Bedeutung sind, neuerdings in die Schlösser von Weilburg und Wiesbaden gebracht worden sind. Dagegen ist der hinter dem Schlosse nach der Lahn zu liegende kleine Garten mit seinen Blumenbeeten und Springbrunnen allerliebst, und die Aussicht, welche sich auf dem Altane desselben eröffnet, überraschend schön. Wir sehen uns hier am Rande des steil in die Lahn abfallenden Kalkfelsens; dem Abhang zur Seite zieht sich ein schönes Lustwäldchen hinab; tief unten aber am Fusse desselben windet sich der Fluss hin; im grünen Thale liegt idyllisch das Dörfchen Auel und die oraniensteiner Mühle; drüben von der Höhe winkt das freundliche Gückingen herüber, und wenn wir unsern Blick, nach links wenden, dehnt sich die fruchtbare Fläche von Limburg vor uns aus, hinter welcher die alte Stadt selbst mit ihrem thurmreichen Dome sich erhebt.
Da, wo jetzt Schloss Oranienstein steht, befand sich früher das Benedictiner-Nonnenkloster Dirstein, oder das Stift St. Johannes des Täufers zu Dirstein, dessen Name sich noch in der Bezeichnung der nach Limburg zu gelegenen fruchtbaren Dirsteiner Au erhalten hat. Dasselbe kommt schon im Jahre 1211 vor und ist aller Wahrscheinlichkeit nach von den Grafen von Dietz, in deren Burgfrieden es lag, gegründet worden. Im Jahre 1564 ging das Stift, sowie die nassauischen Lande dieser [139] Gegend überhaupt, zur Reformation über, und seine Güter wurden später dem Fonds der im Jahre 1594 errichteten Hochschule zu Herborn zugewiesen.
Die nächste Umgebung des Schlosses Oranienstein ist von schönen, schattigen Promenaden durchzogen; „Der pläsante Thiergarten“, von welchem der Antiquarius des Lahnstroms spricht, existirt nur noch dem Namen nach. Sehr lohnend ist der Weg zum Rande des Haines nach Limburg zu nach dem Aussichtspunkt, der unter dem Namen der zwölf Säulen bekannt ist, welchen übrigens jetzt statt dieser dreizehn Linden markiren. Hier überblickt man von einem niedrigeren Standpunkte als vom Mensfelder Kopf, das fruchtbare Hügelland, in dessen Mitte Limburg liegt, von der westlichen Seite. Auch die Spitzen der Dietkircher Thürme schauen herüber, nach Norden zu ist die Kapelle des Herzbergs bei Hadamar sichtbar, südlich erhebt sich die nahe Burg Ardeck auf steilem Bergabhang; und zwischen diesen Punkten breiten sich hier und dort die grossen, mit Obstbaumalleen verbundenen Ortschaften aus. Aus der Ferne treten die Thürme des Schlosses Merenberg hervor, während der breite Rücken des Westerwaldes im Norden die Aussicht begrenzt. Auf der entgegengesetzten Seite der Erhebung eröffnet sich bei der sog. kleinen Ruine unmittelbar über der Lahn eine zwar weit beschränktere, aber sehr anmuthige Aussicht nach Westen zu in das zu Füssen liegende Flussthal, nach der gegenüberliegenden Peterskirche und seitwärts über die Stadt Dietz hin. Auch von dem jenseits der Aar gelegenen Geisberg hat man einen schönen Blick über die unten im Thale ausgebreitete Stadt.
Der untere Theil des bei Dietz ausmündenden Thales der Aar, welche vom südlichen Rücken des Taunus herabkommt, ist eine der fruchtbarsten Gegenden im Herzogthum Nassau; aber er birgt neben seinem Reichthum an Getreide auch bedeutende Schätze unter der Erde; [140] denn auch hier sind in neuerer Zeit reiche Lager von vorzüglichem Eisenstein aufgeschlossen worden. Bis etwa vier Stunden von der Mündung aufwärts ist das Thal weit und anmuthig und voll reicher und schöner Ortschaften. Die erste derselben, Freiendietz, liegt, wie schon erwähnt, ganz nahe bei dem Dietzer Bahnhof. Nach einer Feuersbrunst, die im Jahre 1817 fast das ganze Dorf in Asche legte, ist dasselbe regelmässig aufgebaut; auch die Kirche mit ihrem schlanken Thurme verräth sich als ein Bauwerk neuster Zeit. Eine halbe Stunde weiter aufwärts liegt Holzheim, in dessen Nähe die Ruine der Burg Ardeck, welche schon im Dietzer Bahnhof die Aufmerksamkeit des Touristen auf sich zieht, von der steilen Anhöhe ins Thal herabschaut. Sie ist im Jahre 1395 vom Grafen Adolf von Nassau-Dillenburg erbaut worden und war der Sitz von Adligen der Grafschaft Dietz. Ob schon früher an derselben Stelle eine Burg (Ardenburg) gestanden, wie die Limburger Chronik berichtet, ist nicht sicher zu erweisen. Von der Geschichte von Ardeck ist wenig oder nichts zu berichten, obgleich die Burg noch i. J. 1624 unversehrt und in voller Wehre gestanden hat. Dagegen erzählen sich die Umwohner eine Spuckgeschichte, welche in ihren Mauern zur Adventszeit sich zutragen soll. Dann krönen sich der schlanke Wartthurm und die Mauern mit Dächern und Zinnen, heller Lichterglanz strömt aus ihren Fensteröffnungen in die Nacht, man hört das Klingen der Pokale und sonstiges Geräusch eines Gelages; eine Chaise, die ausgefahren, um in Limburg Gäste zu diesem zu holen, kommt donnernd durch den Thorweg zurück. Zu einem solchen Gelage soll denn auch ein Kind des achtzehnten Jahrhunderts in der Person des Bürgers Anton Seipel von Dietz gekommen sein, der, von Limburg nach Hause zurückkehrend, sich müde auf die vorüberfahrende Kutsche setzte und, bald in süssen Schlummer verfallen, nach der Burg gebracht, von den zechenden Gesellen [141] reichlich bewirthet und dann zu Bette geschafft wurde. Am folgenden Morgen aber erwachte er mit schmerzenden Gliedern und wüstem Kopfe am Fusse des Abhangs; ein Schäfer fand ihn nach Tagesfrist und brachte ihn den ängstlich harrenden Seinen zurück. Das nächtliche Erlebniss, von dessen einzelnen Abenteuern der Sturz in die Tiefe allerdings von einer unabweisbaren Realität gewesen ist, hat übrigens bei ihm selbst so festen Glauben gefunden, dass er dasselbe nicht nur wiederholt zum Staunen und Schaudern der Zuhörer unter den kräftigsten Betheuerungen wiederholte, sondern auch dessen Verlauf in Dietz eidlich zu Protocoll gab, anno dom. 1750.
Von Holzheim gelangt man in einer Viertelstunde nach Flacht, dann über Nieder- und Oberneisen, sämmtlich reiche und schöne Dörfer, nach Hahnstätten, wo sich der freundliche Landsitz des Herrn v. Marschall befindet. Eine halbe Stunde westwärts, von hier liegt Schloss Holenfels auf einem am Bergabhang hervorspringenden zerklüfteten Kalkfelsen, an dessen Fuss eine Quelle hervorsprudelt, inmitten schöner Waldpartien. Ueber einen idyllisch freundlichen Vordergrund hin geniesst man hier eine weite Aussicht nach Osten zu. Diese Aussicht, das Grün der Wiesen und Wälder, das Gemäuer des alten Schlosstheils, das als ein Stück Romantik in die schöne Gegenwart hineinragt, haben diesen Punkt schon seit Jahren, zumal auf den zweiten Pfingsttag, zu einem vielbesuchten Versammlungsort für die Honoratioren der ganzen Umgegend gemacht. Leider ist das Schloss in bedenklichem Verfall.
Die alte Burg wurde vom Jahre 1353–1363 von einem Herrn Daniel von Langenau unter Beihülfe des Grafen Johann von Nassau-Merenberg und unter heftigen Fehden mit dem Grafen Gerhard von Dietz erbaut. Nach mehrmaligem Wechsel ihrer Besitzer kam sie zu Anfang des vorigen Jahrhunderts an die Waldecker [142] von Kempt, welche im Jahre 1713 den neueren Theil des Schlosses aufführten. Auch aus der Geschichte von Holenfels gibt es, bis auf das originelle Vertheidigungsmittel, welches einst auf der Burg zur Anwendung gekommen sein soll, nichts Bemerkenswerthes zu berichten. Dieselbe soll nämlich einst von den Limburgern belagert und arg bedrängt worden sein. Alle Versuche, die lästigen Feinde abzuwehren, wollten nicht verfangen. Einem erneuten Sturme, den dieselben wagten, glaubte man kaum mehr widerstehen zu können. Da kam man in der Noth auf den Gedanken, die Bienenstöcke, deren eine grosse Anzahl vorhanden war, auf die Andringenden zu schleudern. Die Körbe entleerten sich hinabrollend ihres Inhalts, in dichten Schwärmen umsummten die Bienen die Stürmer, fielen über sie her, drangen in jede Fuge der Rüstungen, die sich öffnete, so dass man, von dem ungewohnten Feinde gestochen und gequält, vom Sturme abliess und, da dies auch der letzte Versuch sein sollte, von dannen zog. Der sog. „Bienenstand“, ein eigenthümlicher Vorbau der Burg; bewahrt noch heute die Erinnerung an diese Sage.
Nicht weit von Holenfels führt die vom Aarthal über Catzenellnbogen und Nastätten nach dem Rheine sich ziehende Strasse vorüber. Bei dem ersteren Orte, etwa zwei Stunden von Hahnstätten entfernt, liegt in einer zwar fruchtbaren, aber wenig landschaftliche Reize bietenden Gegend auf einer mässig hohen Basaltkuppe, die an dem Dörsbachthal sich erhebt, das Schloss Altcatzenellnbogen, der Stammsitz der einst im Niederlohngau mächtigen Herren, später Grafen von Catzenellnbogen, deren Name auch bei auswärtigen Unternehmungen häufig genannt wird. Ein Glied dieses Geschlechtes, Berthold, war bei Eroberung von Constantinopel im Jahre 1204 und bei der Gründung des lateinischen Kaiserthums betheiligt. Seines Bruders Enkel waren die Stifter der Alt- und Neucatzenellnbogen’schen [143] Linien, die nach etwa 150 Jahren durch Vermählung sich wieder vereinigten. Erstere blieb im Besitze der Stammburg, sowie von Zwingenberg und Lichtenberg, und erbaute Rheinfels bei St. Goar sowie Reichenberg, ein in dem bei St. Goarshausen ausmündenden Seitenthal des Rheins gelegenes Schloss, welches durch die Motive maurischer Bauweise, die an ihm hervortreten, kunstgeschichtlich sehr merkwürdig ist. Auch Burgschwalbach und Darmstadt verdanken ihm ihren Ursprung. Von Philipp dem Aelteren, welcher die wieder vereinigten Gebiete beider Linien besass, wird als charakteristischer Zug erzählt, er habe aus hölzernen Schüsseln gegessen; aber seine Genügsamkeit setzte ihn in Stand, grosse Summen zu einer sehr beträchtlichen Erweiterung seines Gebiets verwenden zu können. Nach seinem im Jahre 1479 erfolgten Tode fiel die Niedergrafschaft Catzenellnbogen, wie sie jetzt im Gegensatz zu der im und am Odenwald gelegenen Obergrafschaft gleichen Namens genannt wird, an Hessen; da indessen auch Nassau-Dillenburg Ansprüche auf einzelne Theile derselben erhob, so entwickelte sich der Rechtsstreit, der unter dem Namen des Catzenellnbogen’schen Erbfolgestreits bekannt ist und noch unter dem Landgrafen Philipp dem Grossmüthigen lebhaft betrieben wurde. Im Jahre 1626 kam die Burg mit dem grösseren Theile der Grafschaft an Hessen-Darmstadt, bei welchem Lande sie bis zum Jahre 1803 verblieb. Von der alten, um 1106 erbauten Burg waren übrigens bereits im siebzehnten Jahrhundert nur noch wenige Mauerreste vorhanden; die jetzigen Gebäude, welche von dem Herzoglichen Recepturbeamten bewohnt werden, sind grösstentheils im Jahre 1584 erbaut und ohne kunstgeschichtliches Interesse.
Eine Stunde oberhalb Hahnstätten in einem Seitenthälchen der Aar liegt das Dorf Burgschwalbach mit der noch ziemlich wohl erhaltenen Ruine der vom Grafen Eberhard von Catzenellnbogen 1368–71 erbauten [144] Burg gl. N., deren schlanker und hoher Wartthurm in das Aarthal herüberschaut. Das Schloss war, nachdem es von Hessen an Nassau-Weilburg gekommen, sogar eine Zeitlang Residenz dieses Grafenhauses. Graf Wilhelm von Weilburg starb 1597 auf ihm, und auch seine Wittwe bewohnte dasselbe bis zu ihrem Tode. Seine Ruine ist eine von denen, welche, nicht die Macht belagernder Feinde gebrochen, sondern der Mangel an der nöthigen Unterhaltung in Verfall gebracht hat; noch im vorigen Jahrhundert stand es unter Dach und in allen Theilen unversehrt. Weiter aufwärts wird das Aarthal enger und durch ein bedeutendes Hüttenwerk, die Michelbacher Eisenhütte, belebt; aber erst jenseits des Dorfes Michelbach beginnen seine eigentlich romantischen Partien, die sich bis nach Langenschwalbach hin erstrecken. Der schönste Punkt des Thals ist unstreitig die auf steiler Felsenhöhe sich erhebende imposante Ruine vom Schloss Hohenstein, neben welcher das Dörfchen gleichen Namens malerisch am Berge hängt. Unfern Langenschwalbach liegt in romantischer Umgebung die Ruine der kleinen Burg Adolphseck, vom Grafen Adolph von Nassau-Idstein in der Mitte des vierzehnten Jahrhunderts erbaut. Die Sage knüpft ihre Entstehung an einen bedeutenderen Namen, an König Adolph von Nassau. Nach ihr hat sie dieser seiner Geliebten Amalgunde erbaut, welche ihn, als er einst in der Schlacht verwundet und in ein Kloster gebracht worden war, gepflegt hatte und hat hier in stiller Zurückgezogenheit das Glück einer der Welt verborgenen Liebe mit ihr genossen. Eine andere Version der Sage gibt dieser Geliebten den Namen seiner Gemahlin, Imagina.
Wie bei dem Schlosse Löhnberg das Wetzlarer, so schliesst bei Dietz das Limburger Lahnbecken ab; hier wie dort verengert sich plötzlich das Flussthal, und windet sich eine geraume Stecke durch die Erhebung [145] des Bodens hin, welche in steilem, oft felsigen Abfall zum Flusse absinkt, nur dass sich hier die Berge bald bis zu dreifacher Höhe erheben, zwischen denen die Lahn in so enger Thalsohle, hinfliesst, dass sie oft die Hälfte derselben ausfüllt. Wegen dieser Bodenbeschaffenheit war früher das Lahnthal von Dietz abwärts bis Nassau nur sehr wenig besucht und bekannt. Die Verkehrsstrasse, die gewaltigen Windungen desselben zur Linken lassend, ging von Dietz über das Gebirg nach Holzappel, und berührte erst eine Stunde oberhalb Nassau wieder die Lahn. Auch der Verkehr auf dieser war vor ihrer Schiffbarmachung und den damit verbundenen zahlreichen Schleussenbauten nur auf die Zeiten beschränkt, wo einigermassen hoher Wasserstand war. Wege gab es an vielen Punkten des Thals nicht; der Tourist musste, wenn er nicht Gelegenheit hatte, auf einem Lahnschiffe die etwas langsame Fahrt hinabzumachen, ganze Strecken den Leinepfad benutzen, oder einfach die gerade Richtung durch die Wiesen einschlagen. Je weniger aber dieser Theil des Lahnthals den Fremden früher bekannt war, um so überraschender war der Eindruck, welchen derselbe auf die Besucher machte, als er dem Weltverkehr plötzlich geöffnet wurde, und der Bahnzug an den waldgrünen Bergwänden, an den schroffen Felsenpartien, den einsamen Dörfern und Höfen, den Kirchen und Burgruinen in gewaltigen Curven und durch zahlreiche Tunnels vorüber führte, und sich dem Auge eine so überaus romantische Gegend in raschem Wechsel zeigte, wie sich so leicht keine zweite in den Seitenthälern des Rheines findet.
Obwohl die Berge unterhalb Dietz erst allmählig zu einer bedeutenderen Höhe emporsteigen, so bieten doch die eine Viertelstunde von der Stadt gelegenen steilen Kalksteinfelsen mit ihren grotesken Gestalten ein nicht gewöhnliches landschaftliches Interesse. Indessen muss [146] der Tourist dieselben zu Fuss aufsuchen, da die Bahn die Krümmung des Thals, innerhalb welcher sie liegen, durch einen Tunnel abschneidet. Schon ehe man Dietz hinter sich lässt, hat man einen solchen passirt, und wenn man nun das Ufer der Lahn wieder berührt und in der sich abwärts ziehenden Curve anlangt, zeigt ein Rückblick die Stadt in sehr malerischer Lage. Kaum hat man das schöne Bild näher ins Auge gefasst, so fährt man in einen zweiten Tunnel ein, hinter dessen Ausmündung man sich auf dem Bahnhofe des durch seinen Mineralbrunnen weitberühmten Dorfes Fachingen befindet. Der kleine Ort, in der Windung des Thales zwischen Obstbäumen und grünen Wiesen gelegen, hat einen anmuthig ländlichen Charakter, welchen auch die schönen Alleen und Baumgruppen an der Lahn hin und die regelmässig aufgeführten Brunnengebäude nicht beeinträchtigen. Die Rotunde, welche den Brunnen einschliesst, berührt unmittelbar das Ufer der Lahn, und schützt ihn vor dem anschwellenden Wasser derselben. Obwohl die Quelle schon ziemlich früh bekannt war, hat sie doch erst im vorigen Jahrhundert Beachtung gefunden. Der Antiquarius des Lahnstroms schreibt von ihr: „Der vor einiger Zeit in Ruf gekommene Sauer- und Gesundbrunnen zu Fachingen ist wegen seines guten Geschmacks und wunderwürdigen Wirkung nunmehr so berühmt geworden, dass dessen Wasser weit und breit verführet wird.“ Der Sage nach soll ein Schiffer aus Köln zur näheren Prüfung der Heilkräfte dieses Wassers den ersten Anlass gegeben haben. Er trank es, und ward von einer hartnäckigen Leibesverstopfung befreit. Der Ruf von dieser glücklichen Kur verbreitete sich schnell in die Umgegend, und nun kamen die Bewohner derselben schaarenweise herbei, und viele von ihnen verspürten bald einen gleich günstigen Erfolg. Die Stärke der Quelle, welche in einer Stunde 200 Maas Wasser aussprudelt, verstattet eine [147] beträchtliche Versendung; es werden jährlich bis zu 300,000 Krügen an ihr gefüllt und weithin, selbst über das Meer verführt. Uebrigens liegt der Brunnen dem Halteplatze nahe genug, dass die Passagiere, wenn, wie zu hoffen steht, die Speculation der Fachinger sich dieses Erwerbszweigs bemächtigt haben wird, auch im Waggon von dem frisch aus der Quelle kommenden, prickelnden Wasser, einem höchst erquickenden Labetrunk an heissen Sommertagen, kosten können.
Unmittelbar unter Fachingen setzt die Bahn wieder über den Fluss; die elegante Gitterbrücke ruht auf Pfeilern von Vilmarer Marmor. Ein Blick von derselben rechts auf die Höhe zeigt das Dorf Altendietz. Nun beginnen die Berge schon bedeutend höher zu werden; wir fahren durch zwei Tunnels, die durch ein prächtiges Waldthälchen, dessen heimliche Idylle man eben noch im Fluge erhascht, getrennt sind. Nach einer kurzen Strecke ist die Bahn genöthigt, wieder auf die linke Seite der Lahn überzuspringen; ein stattliches Schloss erscheint auf der Höhe des Berges; es ist Schloss Schaumburg, das mit seinen aufstrebenden Thürmen und seinem ragenden Neubau majestätisch in das Thal herabschaut. Die Station Balduinstein ist schnell erreicht, und hier lohnt es sich auszusteigen, denn man ist hier an einem der schönsten und interessantesten Punkte des ganzen Lahnthals angelangt. Schon die Lage des mit Resten mittelalterlicher Befestigung versehenen Dorfes Balduinstein dicht an der Lahn zwischen den steilen felsigen Abhängen ist höchst malerisch; aber die Romantik des Bildes gewinnt bedeutend, wenn weiter abwärts wieder Schaumburg hoch auf der Basaltkuppe thronend erscheint, und dann hinter der Felsenecke, die sie bisher verborgen hatte, aus der engen Schlucht über den Häusern des Dorfes die massenhaften gelbgrauen Mauern der Burgruine Balduinstein hervortreten.
Schon der Name des Dorfes und der Burg lässt [148] uns vermuthen, dass Erzbischof Balduin von Trier, welchem wir schon mehrere Male im Lahnthal als Belagerer von Städten, Zerstörer von Burgen und als keck zugreifendem Eroberer begegnet sind, hier, um an der Lahn festen Fuss zu fassen, das mächtige Schloss erbaut habe. Es geschah im Jahre 1319, als er mit den hier ansässigen Herren von Westerburg in eine heftige Fehde verwickelt war, unter schweren Anfechtungen ihrer- und mit bedeutendem Kostenaufwand seinerseits. Auch hielt er es für gerathen, sieben Jahre nachher das, was er mit Gewalt entrissen und occupirt hatte, von den ebenso mächtigen wie thatkräftigen Nachbarn durch einen förmlichen Kauf an sich zu bringen und auf immer zu sichern. Im Jahre 1321 erreichte es Balduin von Kaiser Ludwig dem Baier, dass derselbe dem jetzt armen Schifferdorfe Stadtrechte und eine eigene Gerichtsbarkeit ertheilte. Wie und seit wann die Burg in Verfall gerathen, ist unbekannt, soviel nur ist gewiss, dass sie im Jahre 1595 noch in wohnlichem Zustande gewesen sein muss. Der Weg nach Schloss Schaumburg führt an der Burgruine vorüber, deren grosse Ausdehnung und trotzige Lage auf dem in das enge Thal springenden Felsenstock man nun noch deutlicher gewahrt. Der Besuch ihres Inneren gewährt indessen kein besonderes Interesse mehr. Von hier aus geht ein Fussweg gerade aus, mitunter sehr steil ansteigend, auf welchem man in 20 Minuten Schaumburg erreicht. Ein in den letzten Jahren mit bedeutenden Kosten angelegter bequemer Fahrweg, welcher sich um den Berg herumzieht, erfordert etwa das Doppelte an Zeit. Da wo der eigentliche Schlossberg sich über das Niveau des von Dietz sich herabziehenden Bergrückens erhebt, liegen die Wohnungen der Dienerschaft und ein Wirthschaftsgebäude, von welchen man steil aufsteigend zum Schlosse gelangt.
[149]
Die Burg „Schowenburg“ kommt im Jahre 1194 zum erstenmale urkundlich als den Herren von Isenburg gehörig vor, von denen wir schon in der Geschichte von Vilmar und Limburg gehört haben. Sie war der Mittelpunkt der anfänglich kleinen Herrschaft von Schaumburg. Die Herren von Westerburg, welche im Jahre 1279 die Burg und Herrschaft erworben, wurden im Jahre 1328 mit einer Anzahl umliegender Dörfer von Kaiser Ludwig belehnt. Diese Belehnung fällt kurz nach der Zeit, wo Erzbischof Balduin, offenbar um ihnen den Zugang zu der Lahn zu versperren, drunten die Burg auf dem die Schlucht beherrschenden Felsenvorsprung erbaut hatte. Im vierzehnten Jahrhundert war Schaumburg die Residenz einer besonderen Westerburgischen Linie, welche, nachdem Burg und Herrschaft verpfändet gewesen, dieselben im Jahre 1656 an Agnes, die Wittwe Peter Melanders, Reichsgrafen von Holzappel, für 40,000 Gulden verkaufte. So wurde die Herrschaft Schaumburg mit der jenseits der Lahn gelegenen Esterau zu einem Ganzen vereinigt. Die Gräfin Agnes bezog das Schloss und ist auch in demselben gestorben. Seit dieser Zeit blieb es die Residenz der nachmaligen Fürsten der vereinigten Landschaften. Durch die Vermählung der einzigen Tochter Melanders, Charlotte, mit dem Fürsten Adolph von Nassau-Dillenburg fiel das Land an diese Linie des Hauses Nassau, und durch Adolphs Tochter, Charlotte, welche sich mit dem Fürsten Lebrecht von Anhalt-Bernburg vermählte, im Jahre 1692 an dieses norddeutsche Fürstenhaus. Der Sprosse dieser Ehe, Victor Amadeus Adolph, übernahm nach dem Tode der Grossmutter, welche seine Mutter überlebte, die Herrschaft Schaumburg und erweiterte die alte Burg, die er 1714 zu seinem Wohnsitze gewählt hatte, durch bedeutende Neubauten.
[150] Von jetzt an blieb das Schloss die Residenz der Fürsten von Anhalt-Schaumburg. Urenkelin des zuletzt erwähnten war die Erbprinzessin Hermine, welcher nach dem Tode ihres Vaters die Schaumburgischen Länder zufielen, und die sich im Jahre 1815 mit Erzherzog Joseph, Palatinus von Ungarn, vermählte, dessen Sohn, Erzherzog Stephan, der jetzige Besitzer der Standesherrschaft und seit 1848 auch der ständige Bewohner des Schlosses ist.
Wenn schon unter der Herrschaft der Anhalt-Schaumburger an die Stelle der alten, engen Burg ein weitläufiges Schloss in modernem Style getreten war, so hat der jetzige hohe Inhaber durch den umfassenden, von Oberbaurath Boos in Wiesbaden geleiteten Bau des neuen Flügels dasselbe noch mehr erweitert, aber ihm zugleich den Charakter des mittelalterlichen Baustils wiedergegeben. Dieser Neubau, durch dessen hohes Thor man in den inneren Schlosshof tritt, ist auch dem Besucher geöffnet. In seinem unteren Stocke befindet sich der reinliche und zierliche Marstall, in dem zweiten der sehr geschmackvoll eingerichtete Bibliotheksaal und die schön geordnete, überaus sehenswerthe Mineraliensammlung, welche nicht nur eine Fülle von Erzen, Gesteinen, Petrefacten aller Art, sondern auch unter ihnen ebenso seltene, wie prachtvolle und kostbare Exemplare enthält, von denen wir nur die Gold- und Silberstufen und die herrlichen Bergkrystalle hervorheben. Doch wird der Kenner noch durch viele andere Seltenheiten, welche er hier antrifft, seinen Gang reichlich belohnt finden. Der höchste Thurm des Schlosses wird auf einer schwebenden Treppe erstiegen. In einzelnen Stockwerken desselben sind Waffen und Rüstungen aufgehängt; auch findet sich hier in einer Nische, die nach einem alten Bildnisse entworfene Statue Peter Melanders. Von der Gallerie des Thurms geniesst man eine herrliche Fernsicht, denn nicht blos blickt das[WS 3] Auge hier in die tiefen, [151] waldkühlen Gründe zu Füssen des Schlossbergs und auf die vielverschlungenen Windungen des engen Flussthals, sondern es schweift auch ostwärts über das nahe Hügelland und die weiter oben sich ausbreitende fruchtbare Thalfläche der Lahn, aus welcher Städte und zahlreiche Ortschaften hervortauchen, bis hinüber zu der ferne winkenden Burg Merenberg, und nordwärts bis zu dem blauen Bergrücken des Westerwalds. Auf der Spitze des Thurms hat man die ganze weite Landschaft als ein grossartiges Panorama vor sich liegen.
Der ältere Theil des Schlosses enthält die Wohnzimmer des hohen Besitzers, in welchen sich schöne Oelgemälde und andere Kunstwerke befinden, unter ihnen eine in carrarischem Marmor vom Bildhauer Vogel ausgeführte Gruppe, ein auf einem Neufundländer schlafendes Kind darstellend. Die sog. Jagdzimmer sind mit allerlei Kunstgegenständen, Antiquitäten, Pokalen und Waffen ausgestattet. Auch der Botaniker und Blumenfreund sieht seinen Gang auf die Höhe reichlich belohnt; denn er findet hier ein schönes Gewächshaus, dessen kuppelförmiges Palmenhaus schon beim Aufsteigen zu dem inneren Schlosshof unsere Aufmerksamkeit auf sich gezogen hat, und in dem unten neben dem Wirthschaftsgebäude gelegenen Garten Blumenbeete, welche, sehr geschmackvoll angelegt, in den herrlichsten Farben prangen. Sogar eine Anzahl wilder Thiere, Bären und Affen, Adler u. a. m. nehmen in ihren Zwingern unter den Mauern des Schlosses am Burgberg unser Interesse eine Zeitlang in Anspruch, und wenn man von diesem herabschaut, gewahrt man nicht selten ganze Rudel von Damwild, das hier unterhalten wird. Die reizenden Anlagen bei Schloss Schaumburg mit ihren schattigen Wäldgängen und heimlichen Ruheplätzchen ziehen sich nördlich und westlich den Berg hinab; jenseits der Gründe aber nehmen uns herrliche Waldungen auf, in deren duftende Kühle man sich gerne verlieren mag.
[152] Das jenseits der Balduinsteiner Schlucht romantisch gelegene Hausen, welches Erzherzog Stephan von dem Herrn von Stein durch Kauf an sich gebracht hat, und das er zuweilen als Sommerresidenz benutzt, kann von Schaumburg aus auf bequemem Weg in weniger als einer halben Stunde erreicht werden. Der kleine Park dieses freundlichen Landsitzes, welcher zur Frühlingszeit von einem wahren Blüthenmeere umgeben ist, zieht sich bis zum Bahnhofe von Balduinstein hinab und erfreut durch schöne Anlagen und reizende Aussichtspunkte. Auch die dort befindlichen Gewächshäuser sind nicht ohne Interesse.
Was uns aber den Besuch des Schlosses Schaumburg und seiner Umgebung, dieses köstlichen, an Naturschönheiten, Kunstwerken und sonstigen Sehenswürdigkeiten so reichen Punktes noch erfreulicher macht, das ist der Geist des Wohlwollens und der wahrhaft fürstlichen Liberalität, dessen Spuren man hier oben überall begegnet. Derselbe hohe Sinn, welchen Erzherzog Stephan den Bewohnern seiner Standesherrschaft gegenüber offenbart, die ihm nicht umsonst mit wahrem Enthusiasmus zugethan sind, die wahre Menschenfreundlichkeit, welche ihn in die Dorfschulen führt, um von dem Zustande derselben Einsicht zu nehmen, und nach Umständen die Kleinen durch ein huldvolles Geschenk zu erfreuen und zu ermuntern, welche ihn Jugendfeste veranstalten lässt, bei denen er sich mit herablassender Freundlichkeit in der Mitte der jubelnden Bevölkerung bewegt, zeigt sich als edle Gastlichkeit den Fremden gegenüber, welchen er, obwohl er fast beständig auf Schloss Schaumburg wohnt, und obwohl seit der Eröffnung der Eisenbahn der Zug derselben oft caravanenartig wird, doch den Weg zu allen Sehenswürdigkeiten seines Schlosses öffnen lässt. Und wie er es versteht, wenn die Gelegenheit es gibt, auch den Wirth zu machen, davon wissen die Hunderte rühmend zu erzählen, welche im vorigen [153] Herbste, als die Versammlung der Naturforscher zu Giessen tagte, hier oben bei ihm zu Gaste gewesen sind.
Unterhalb Balduinstein passirt man den Kramberger Tunnel, den längsten auf der ganzen Bahnstrecke (2400’),[WS 4] welcher eine anderthalb Wegstunden lange Krümmung der Lahn abschneidet; sodann gelangt man an kühnen Felspartien, steilen Waldabhängen und an der Mündung des Ruppachthals vorüber in einigen Minuten nach der Station Laurenburg. Ihr gegenüber ragt auf hohem Bergvorsprung der alte, wettergraue Thurm der Laurenburg empor, der schon aus der Ferne unsere Aufmerksamkeit in Anspruch genommen hat; unter ihm, am Fusse des mit Obstbäumen bepflanzten Berges zieht sich das Dorf gleichen Namens an der Lahn hin.
Indessen lohnt es sich sehr, die Krümmung des Flussthales verfolgend, von Balduinstein zu Fuss hierher zu wandern. Man setzt bei diesem Dorfe über, dessen Häuser bald verschwinden, indem das Thal am Eingang des Tunnels eine starke Biegung nach der rechten Seite macht; ein überaus anmuthiger Wiesengrund, hüben und drüben von waldbedeckten Bergen eingefasst, nimmt uns auf; am Fusse der Berge längs dem Saume des Waldes hinwandernd erfreut uns, wenn wir zur rechten Stunde eingetreten sind, der Gesang der hier häufig vorkommenden Nachtigallen. Bald zeigt sich uns ein einsam im Thale gelegenes, freundliches Haus. Es ist die Wohnung des Verwalters des berühmten, jetzt im Besitze der Herzoglichen Domäne befindlichen Geilnauer Mineralbrunnens. Wenn wir uns ihm genähert haben, sehen wir links nur wenige Schritte von der Lahn die Umfassungsmauern desselben. Schon der Boden dieser Rotunde liegt unter dem Lahnspiegel; in einer kleinen Vertiefung kommt der Strahl aus einem in Sandstein gehauenen Brunnen hervor. Der Geilnauer Brunnen, nach dem Selterser und Fachinger der berühmteste im Herzogthum Nassau, kam im vorigen Jahrhundert [154] schon zu bedeutendem Rufe. Da indessen die ohnehin schwache Quelle so sehr an Wassermenge verlor, dass zur Füllung eines Krugs fast zwei Stunden erforderlich waren, wurde im Jahr 1852 ein Bohrversuch angestellt und das aus der Tiefe kommende Wasser, nachdem es analysirt worden war, mit der Quelle im Jahre 1855 vereinigt. Die jetzige Füllungsmethode, welche, die Kraft des Wassers beim Versand erhaltend, wie zu erwarten steht, demselben seinen alten, wohlverdienten Ruf wieder erwerben wird, hat Geheime Hofrath Fresenius in Wiesbaden eingeführt.
Eine kurze Strecke vom Brunnen entfernt liegt sehr malerisch dicht an der Lahn mit seiner auf der Anhöhe gelegenen Kirche Dorf Geilnau, welches von zahlreichen Schiffern bewohnt wird. Ein Theil des Ortes zieht sich das enge Geilnauer Thal hinein, dessen Fels- und Waldpartien einen kurzen Besuch desselben wohl verdienen. Auch der in der Nähe befindliche Mühlberg ist in geognostischer Beziehung beachtenswerth. Unterhalb Geilnau macht die Lahn abermals eine starke Biegung, bei welcher in der Frühlingszeit zahlreiche Reiherschwärme ihr Standquartier aufzuschlagen pflegen. Unfern derselben erscheint die Windung des Thals, wo jenseits des Flusses der Ausgang des Kramberger Tunnels sichtbar wird, und von wo man in einer halben Stunde nach Dorf Laurenburg gelangt.
Die Burg Laurenburg, auf dem steilen Felsenvorsprung gelegen, wo die Hurbach sich in die Lahn ergiesst, ist das eigentliche Stammschloss des Hauses Nassau. Wahrscheinlich ist sie von dem Grafen Dudo III. um die Mitte des eilften Jahrhunderts erbaut worden. Dessen Sohn Dudo IV. führte den Titel: Dudo Comes de Lurenburch, und in einem um 1114 vom Erzbischofe von Trier ausgefertigten Schreiben wird er Tuto comes de Lurenborg amicus noster genannt. Er und sein Bruder Dudwin IV. sollen auch die Burg Nassau erbaut haben. [155] Später besassen die beiden Hauptlinien des Hauses Nassau, die walramische und ottonische, die Burg gemeinsam bis zum Jahre 1643, wo sie, wie die ganze Esterau, durch Kauf an Peter Melander, Grafen von Holzappel, kam. Sein Plan, die damals schon verfallene Burg wiederaufzubauen, blieb unausgeführt. Dagegen haben spätere Nachfolger desselben, die Fürsten von Anhalt-Schaumburg, ein Schlösschen am Fusse des Burgbergs erbauen lassen, eine zwar einfach aufgeführte, aber reizend zwischen den waldgrünen, steilen Bergen gelegene Sommerresidenz, welche in den Parkanlagen des Gartens und in der schattigen, thalabwärts sich ziehenden Allee ihren Bewohnern die erfrischendste Kühle bot. Jetzt ist das Schlösschen von Erzherzog Stephan pensionirten Schaumburger Dienern zur Wohnung eingeräumt worden. Unterhalb der Gartenmauer mündet der nach den Blei- und Silberbergwerken von Holzappel hinaufführende Herminen- und Adelheidstollen, einer der bedeutendsten im Lahnthal, der im Jahre 1785 in Angriff genommen worden ist.
Laurenburg ist recht in der Mitte der gewaltigen Krümmungen gelegen, in denen das Flussthal wie eine tief eingerissene Rinne das umliegende Plateau durchfurcht, durch welches sich auch die Zuflüsse von Norden und Süden in tiefen Schluchten Bahn gebrochen haben. Von da aus lassen sich daher auch sehr lohnende Seitenpartien machen, welche uns zu den reizendsten Aussichten in das Lahnthal und dessen Seitenthäler führen und uns die zum Theil sehr wilde Romantik vornehmlich der letzteren eröffnen. Auch verdient das nahe Holzappel einen Besuch, an den sich indessen der Rundgang zu den schönsten Punkten auf der nördlichen Seite des Thals sehr bequem anschliesst. Um spätere Eindrücke nicht durch vorher empfangene bedeutendere abzuschwächen, ist es rathsam, diese Seitentour zuerst zu unternehmen und auf derselben die hier angegebene Folge [156] einzuhalten. Von Laurenburg nach Holzappel führt der Weg durch das enge, romantische Hurbachthal; der alte Burgthurm wird nun dem Zurückschauenden auch von der andern Seite auf seinem hohen Felsenvorsprung sichtbar; nach einer halben Stunde kündigen ungeheuere Halden das schon seit vielen Jahren in Betrieb befindliche Holzappeler Hüttenwerk an. Dasselbe verhüttet die reichen Vorräthe des schon frühe aufgeschlossenen, dann wieder verlassenen und seit 1754 abermals in Betrieb gesetzten Blei- und Silberbergwerks „Grube Holzappel“. Es wird erzählt, dass Fürst Victor Amadeus Adolph von Anhalt-Schaumburg, als er damals die Wiederaufnahme des Baus versucht habe, das letzte halbe Dutzend silberne Löffel in Coblenz verkauft habe; nun aber sei auch der mächtige Erzgang wieder angehauen worden. Auch jetzt noch ist diese Grube die bedeutendste im Herzogthum Nassau. Sie gehört sammt dem Hüttenwerk der Gesellschaft: „Blei- und Silberbergwerksgesellschaft zu Holzappel“. Wie bedeutend der Betrieb der Grube ist, geht daraus hervor, dass nur die Aufbreitung der geförderten Erze durchschnittlich 350 Menschen beschäftigt. Der tiefste Schacht, der Mittelschacht, beträgt 140 Lachter. Die Erze werden auf den Förderungsschachten meist durch Dampfmaschinen heraufgeholt; die Stollen- und Streckenförderung erfolgt auf Eisenbahnen. Vom Holzappeler Hüttenwerk gelangt man auf mässig ansteigendem Wege in zehn Minuten nach dem Bergstädtchen
früher Esten genannt, dem Hauptort der Esterau oder Grafschaft Holzappel. Der Ort, welcher fast nur eine gerade Strasse mit einem Marktplatz bildet, zählt ungefähr
[157] 900 Einwohner, unter denen viele Bergleute sind. Im Dorfe Esten war in frühester Zeit das Cent- und Landgericht, sowie auch die Mutterkirche für die ganze Esterau, welche schon ums Jahr 950 unter dem Namen Predia Astina eine besondere Grundherrlichkeit bildete. Im eilften Jahrhundert war dieselbe Eigenthum des Hauses Nassau, dessen beide Hauptlinien sie von der Mitte des dreizehnten Jahrhunderts an zu ungleichen Theilen besassen. Später wechselten die Besitzer der Esterau häufig, indem einzelne Theile derselben durch Kauf, Verpfändung oder Tausch an Nebenzweige des Hauses Nassau, an Hessen und Catzenellnbogen kamen. Von 1631 an war die Nassau-Hadamar’sche Linie im alleinigen Besitze der kleinen Herrschaft und führte in ihr den Katholicismus wieder ein. Doch war sie schon im Jahre 1643 genöthigt, dieselbe an den berühmten Peter Melander, Grafen von Holzappel, für 64,000 Thaler zu verkaufen. Kaiser Ferdinand III. erhob sie nun unter dem Namen Holzappel zu einer gefreiten Reichsgrafschaft. Obwohl kaiserlicher Feldmarschall führte Peter Melander die reformirte Confession, welcher er angehörte, in der Grafschaft wieder ein. Doch erfreute er sich nur wenige Jahre des Besitzes dieser heimathlichen Herrschaft, da er, im Jahre 1648 am 18. Mai in dem Treffen bei Zusmarshausen verwundet, in Augsburg noch an demselben Tage verschied. Seine Leiche wurde zuerst nach Regensburg und dann über Frankfurt, wo sie unter grossen kriegerischen Ehren empfangen wurde, nach Holzappel gebracht. In der Gruft unter der Stadtkirche, welche man ganz im alten Zustand gelassen hat, als diese an die Stelle der baufällig gewordenen früheren im Jahre 1823 erbaut wurde, ist gleich am Eingange rechts der grosse Holzsarg zu sehen, welcher den seine Gebeine umschliessenden Metallsarg umgibt. Die hohe Bedeutung des Mannes, welcher hier beigesetzt ist, verleiht dem düsteren, bestaubten Orte nicht gewöhnliches
[158] Interesse. Denn ohne Zweifel ist Peter Melander, Graf von Holzappel, der als Sohn des Landbereiters Wilhelm Eppelmann im unfern gelegenen Dorfe Niederhadamar 1585 geboren wurde und, durch günstige verwandtschaftliche Verhältnisse gefördert, in den Niederlanden unter dem grossen Helden Moritz von Oranien das Kriegshandwerk erlernte, der Commandant von Basel war und darauf im Dienste der Republik Venedig eine hohe Stellung einnahm, dann Generallieutenant und geheimer Kriegsrath der Landgräfin Amalie Elisabeth von Hessen-Cassel wurde, und endlich als Generalfeldmarschall dem Kaiser Ferdinand III. sehr wesentliche Dienste leistete, früher oft angeklagt wegen dieses Uebertritts von einer protestantischen zur kriegführenden katholischen Hauptmacht, in neuerer Zeit aber nur in grossen Ehren genannt, da unzweifelhaft die Liebe zu dem vom Auslande bedrohten Vaterland ihn zu diesem Schritte bewog, einer der bedeutendsten Männer, welche das Lahnthal hervorgebracht hat. Eine Verfügung in seinem Testamente, dass er in der Pfarrkirche zu Langenscheid „bei unserem abgestorbenen und daselbsten begrabenen Döchterlein Frewlein Ludwig von Holzappel seligen“ wolle bestattet sein, hat zu dem Glauben Anlass gegeben, dass dort sein Grab zu suchen sei. Doch gibt die Pfarrchronik zu Holzappel sicheren Aufschluss, nach welcher der metallene Sarg in der rechten Ecke der Gruft folgende Inschrift trägt: „Der römischen Kaiserlichen Majestät Geheimbter Kriegsrath über dero Kriegsheer bestellter General-Feld-Marschall Obrister zu Ros und zu Fus der Hochgeborene Herr Peter Graf zu Holzappel, Freyherr zu Laurenburg Herr zu Lüllsdorf, nachdem er einen unsterblichen Namen bei der Nachwelt hinterlassen, ist todt geblieben bei Augsburg den 18ten Mai 1648 seines Alters 63 Jahr.“ In neuerer Zeit hat Erzherzog Stephan das Andenken des seltnen Mannes durch ein schönes Denkmal in der Kirche zu Holzappel
[159] geehrt, sowie er auch die schon erwähnte Statue in einer Nische des Schlossthurms zu Schaumburg hat aufrichten lassen. Auch die Gemahlin Melanders, Agnes, geborene von Effern, ist in der Gruft zu Holzappel ihm zur Seite beigesetzt. Ein dritter und vierter Sarg umschliessen die Gebeine seines Schwiegersohns, des Fürsten Adolph von Nassau-Dillenburg, und seiner Tochter Elisabeth Charlotte. Diese, als Fürstin in der Esterau und der Grafschaft Schaumburg wegen ihrer Leutseligkeit und Wohlthätigkeit hoch verehrt, hat sich noch ein ganz besonderes Verdienst erworben durch die Aufnahme mehrerer Züge Waldenser Exulanten in ihr Land. Der erste aus dem Klusenethal, vom Prediger Daniel Martin, einem wahren Märtyrer für den Glauben, geführt, sollte in dem Thale zwischen Holzappel und Laurenburg angesiedelt werden, und schon waren der Wald abgetrieben, Maulbeerbäume gepflanzt und die Weinberge von Laurenburg abwärts durch die Waldenser neu angelegt, als der Einfall der französischen Truppen in die Pfalz im Jahre 1688 diese veranlasste, nach Hessen zu entfliehen. Im Jahre 1699 erbaute die Fürstin in Folge eines sechsten Zugs, den alten Plan verlassend, auf einer Anhöhe bei Holzappel zehn Häuschen, welche zum Theil noch in ihrer ersten Gestalt dort stehen und verlooste sie an 10 Exulantenfamilien. Das Dörfchen, wo sich später noch einzelne andere Waldenser ansiedelten, wurde nach der Gründerin Charlottenberg genannt und bildete eine besondere Kirchengemeinde. Da indessen im Laufe des achtzehnten Jahrhunderts die aus Holland fliessenden Unterstützungen für die Dotation einer Kirchengemeinde ausblieben, wurden die Bewohner dem nahen Kirchspiel Dörnberg incorporirt, wo auch noch das alte wallonische Kirchenbuch in der Pfarrregistratur zu sehen ist. – Ausser den obengenannten Personen sind auch noch spätere Nachkommen Peter Melanders in der Gruft zu Holzappel beigesetzt; die Särge sind zum Theil beschädigt,
[160] und von einem derselben lässt sich sogar der Deckel abheben. In ihm liegt die Leiche einer siebenzehnjährigen Prinzessin, ganz eingetrocknet, sowie diejenigen der Mönche auf dem Kreuzberge bei Bonn.
Sonst bietet die kleine Bergstadt nichts Bemerkenswerthes; wenden wir uns daher von der Stätte des Todes hinaus in die frische Natur. Ein Weg von 40 Minuten führt uns auf die Grubenley, einen Punkt, zu welchem Erzherzog Stephan nicht verfehlen soll seine Gäste zu führen, wenn sie auf den benachbarten Bergen die Jagden abhalten. Und in der That ist es eine reizende Aussicht, die sich uns hier in das Thal der Eynar oder Gelbach eröffnet. Tief unter uns liegt das Dörfchen Dies freundlich im grünen Wiesenthal; weiter abwärts zieht sich der Bach dicht an einem vorspringenden steilen, waldbewachsenen Berge malerisch hin; gegenüber auf den Höhen Waldungen, in welche sich ein Seitenthälchen hineinzieht, und Fruchtfelder der Ortschaften Hübingen und Winden; weiter die waldigen Berge nach Montabaur und dem Westerwalde zu und abwärts die mächtigen Lahnberge bei Arnstein und Nassau.
Von der Grubenley gelangt man, indem man immer auf der Höhe mit schöner Fernsicht auf Schaumburg und die umliegenden Berge bleibt, an der Waldensercolonie Charlottenberg vorüber in dreiviertel Stunden nach Dörnberg, in dessen Nähe zwei bis jetzt wenig bekannte, aber sehr besuchenswerthe Punkte liegen, von welchen man in das Lahnthal hinabschaut. Ein kurzer Weg führt uns von dort meist durch Wald auf den Dobraplatz, so genannt von einem früheren Lehrer des Ortes, welcher das Verdienst hat, den Weg dorthin mit Ruhesitzen versehen und den Platz selbst durch Baumpflanzungen verschönert zu haben. Doch hat man vor einigen Jahren auf Anlass eines dort gefeierten Volksfestes zu Ehren der Schwester des Erzherzogs Stephan, [161] Marie, Herzogin von Brabant, ihm den Namen Marienhöhe gegeben. Wenn wir auf den Rand des schroff abfallenden Felsens treten, erblicken wir tief im Thale zur Linken Laurenburg, von seinem grauen Schlossthurm überragt, gerade unter uns die Ausmündung des Laurenburger Tunnels, dann verfolgt der Blick die im engen Felsenthal sich hinwindende Lahn bis Hof Hausen; jenseits auf der Höhe erscheinen die Trümmer der Klosterkirche von Brunenburg, und hinter diesen breitet sich das Plateau mit dem Gutenacker Kopfe bis nach dem Ruppachthal aus, während hinter der Waldhöhe die Thürme von Schaumburg hervorschauen. Ein viertelstündiger, eine bedeutende Lahnkrümmung abschneidender Weg durch den Wald, der übrigens einen Führer verlangt, führt uns zur Wolfsley, von welcher wir das Flussthal abwärts bis Kalkofen überblicken. Der Abfall dieses Felsens und der ganzen buschbewachsenen Bergwand ist so jäh, dass der äusserste Vorsprung desselben, welchen nur Schwindelfreie betreten sollen, dem nur wenige Schritte darüber Stehenden den Spiegel der unten fliessenden Lahn verdeckt. Obwohl der Charakter des Thals derselbe ist, wie der bei Laurenburg, steile, waldbewachsene oder felsige Bergwände und zwischen ihnen der Silberstreifen der Lahn, welche die Sohle des Thals beinahe auszufüllen scheint, so ist doch der Blick in dasselbe bis zu dem eng an den Fluss sich anschmiegenden Kalkofen und nach den fernen Bergen, aus welchen die Hoheley bei Nassau kühn hervortritt, um so romantischer, je einsamer und weltabgeschiedener man sich auf diesem hochgelegenen, waldumgebenen Fleckchen fühlt.
Von Dörnberg aus erreicht man den Berg hinab in einer halben Stunde Laurenburg; doch kann man auch von dort in einer Stunde über den bekannten Götheplatz nach Obernhof und in zweien nach Nassau gelangen, wenn man es nicht vorzieht, jenen Punkt von [162] Arnstein aus zu besuchen. Auch wir versparen uns die Schilderung der auf ihm sich eröffnenden Aussicht bis dahin, indem wir von Laurenburg aus erst die zweite Seitentour jenseits des Flusses antreten, für die man indessen, da sie fünf bis sechs Stunden erfordert, und da die Orte, welche man passirt, nur das Allergewöhnlichste darbieten, wohlthut, sich mit etwas Proviant zu versehen.
Man setzt in Laurenburg über und gelangt thalaufwärts in einer halben Stunde zu der Mündung des Ruppachthals. Links von derselben erhebt sich die Steinsberger Hoheley steil in die Lüfte, ein sehr besuchenswerther Punkt, von dem man in das Felsenthal der Lahn und weit über das von ihm zerrissene Plateau hinschaut. Indem wir in das enge Ruppachthal auf dem waldbeschatteten Wege eintreten, haben wir rechts die frischesten Wiesen, gegenüber einen steilen Waldabhang, auf welchem zwischen dem Grün hier und dort dunkelblaue Schieferbrüche und Halden hervorschauen, aus welchen ein in neuester Zeit sehr gesuchter Schieferstein gewonnen wird. Bald gelangt man an Felspartien und Felstrümmern vorüber zu einer malerisch gelegenen Mühle, sodann erscheint eine zweite, heimlich und versteckt am Bergabhang liegend, und noch eine dritte, bei welcher die Halde des ausgedehntesten Schieferbruchs das ganze Thal ausfüllt. Hinter ihr erstreckt sich ein niedriger Sattel quer in den Wiesengrund, von welchem man hüben und drüben in sein frisches Grün hineinblickt, ein sehr idyllisches Plätzchen, auf welchem die letzt verstorbene Fürstin von Schaumburg, Amalie, in der Mitte des Landvolks, welches sich dann um sie versammelte, alljährlich ihren Geburtstag zu feiern pflegte. Weiter oberhalb des Sattels, wo unfern einer vierten Mühle das Thal in zwei Thälchen auseinandergeht, bietet dasselbe wenig landschaftliches Interesse mehr. Aber von seiner Mündung an bis dorthin ist auf [163] einer halben Stunde Wegs eine so romantische und heimliche Landschaft zusammengedrängt, dass man sie sehr wohl bis zur zweiten Mühle herab noch einmal mit ungeschwächtem Interesse durchwandern kann. Von dieser zeigt der freundliche Müller gerne den Aufsteig nach Gutenacker, und wenn er einen früher ertheilten Rath befolgt hat, stellt er für minder Wegfertige auch Esel zur Verfügung. Oben angekommen, darf man nicht versäumen, den Fuhrweg rechts eine kurze Strecke zu verfolgen. In wenigen Minuten ist der Punkt erreicht, wo man noch einmal das ganze Ruppachthal von der Höhe überschaut und, der Steinsberger Hoheley gerade gegenüber, einen überraschenden Blick in das Lahnthal oberhalb Laurenburg thut. Unvergesslich wird dem Schreiber dieser Zeilen der Morgen des Herbstsonntags bleiben, wo er, von Herrn Gasteyer von der Ruppachthaler Mühle begleitet, im herrlichsten Sonnenschein hier oben stand, und den Blick über die schon sich bunt färbenden Wälder, die aus denselben hervorstarrenden Felsen und auf den in der Tiefe strömenden Fluss schweifen liess, während der Gesang der Vögel aus den nahen Büschen ertönte und aus der Ferne die sonore Glocke von Holzappel über den Berg vernehmlich herüberklang; es war ein wahrer Weihemoment in dieser romantischen Natur, wie er einen gleichen allen denen wünschen möchte, die diesen herrlichen Punkt besuchen.
Das Dorf Gutenacker ist schnell von hier erreicht. Mitten aus seinen Häusern erhebt sich eine Basaltkuppe, von der man eine reizende Aussicht in die Umgegend und nach Osten hin auch eine beträchtliche Fernsicht geniesst. Es ist zwar im Ganzen immer dieselbe Landschaft, welche sich auf dieser Wanderung unserem Blicke zeigt, aber jeder neue Punkt, den wir erreichen, eröffnet uns eine neue Ansicht des sich mannichfach krümmenden Flussthals und eine neue Gruppirung der dasselbe begrenzenden Felsenberge und der [164] benachbarten Höhen. Nach Osten zutritt Schloss Schaumburg hervor, das mit seinen hohen Zinnen und Thürmen wie ein Herrscherthron über der ganzen Landschaft emporragt; das hochgelegene Dorf Kramberg mit seinen Feldern, das wie eine Halbinsel fast ringsum vom Lahnthal umschlossen ist, liegt gerade vor uns, und über dasselbe hinaus erblickt das Auge in der Ferne Schloss Merenberg bei Weilburg und bei klarem Himmel die runde Kuppe des Dünsbergs in der Nähe von Giessen; nach Norden hin breiten sich die Esterau mit ihren freundlich auf dem Plateau gelegenen Ortschaften und hinter ihr die Vorberge des Westerwaldes aus; nach Westen zu ziehen die Trümmer des nahen Klosters Brunenburg am Rande der waldgrünen, eine zweite grosse Krümmung beschreibenden Lahnberge den Blick auf sich, während sanfte Höhenzüge, aus denen die Basaltkuppe bei Biebrich hervortritt, die Aussicht nach Süden begrenzen. Von Gutenacker erreicht man in weniger als einer halben Stunde Kloster Brunenburg, doch ist der kleine Umweg über Bremberg bequemer.
Schon von dort aus hat man gewahrt, dass das Kloster, welches vom Lahnthal aus gesehen auf dem Rande des Plateaus zu liegen scheint, auch von der andern Seite von einem waldbewachsenen Abhange begrenzt wird und demnach auf einem äussersten Bergvorsprung erbaut ist. Der Weg führt durch die Senkung des Thälchens, das unten bei Hof Hausen ausmündet, und dann leicht ansteigend durch einen schönen Wald. Bald zeigt sich uns durch die Gebüsche das alte Mauerwerk, und sobald wir auf einen freien, angebauten Platz gelangt sind, sehen wir dasselbe unmittelbar vor uns liegen. Lautlose Stille empfängt uns hier, wenn nicht aus dem tiefen Thale das Brausen eines vorüberfliegenden Bahnzugs herauftönt. Aber auch dies verhallende Lebenszeichen der geräuschvollen Gegenwart vermag nicht das Gefühl zu stören, das uns in dieser [165] tiefen Waldeinsamkeit bei den trauernden Trümmern der Vorzeit beschleicht, und das sich zu einem plötzlichen Schauder mitten am Tage bei hellem Sonnenlicht steigert, wenn in dem verflochtenen Dorngestrüpp, welches das Innere der Kirche bedeckt, ein Vogel aus seinem selten gestörten Verstecke wohl dicht vor dem Eindringling geräuschvoll auffliegt. Die Trümmer erweisen sich als die Reste einer grossen Klosterkirche, welche nach den noch sichtbaren Lissenen und Friesbogen, den Resten von Pfeilern und Bogen in rein romanischem Style erbaut war. Die Giebelfronte, welche auf dieser Höhe schon Jahrhunderte den Stürmen Trotz geboten, steht noch fest und sicher da. Die vom Lahnthale aus sichtbare runde Oeffnung in derselben hat eine Rosette ausgefüllt. Ausserdem sind noch die die Centralstelle einschliessenden Seitenmauern mit Pfeilern und Bogenresten, und daneben ein mit Epheu dichtbewachsenes Mauerstück des nördlichen Seitenschiffs und die dasselbe abschliessende Nische vorhanden. Von den Klostergebäuden finden sich ausser geringen Mauerresten über der Erde noch gewölbte, halb verschüttete Keller vor. – Die Gründung des Klosters fällt wohl gegen Ende des zwölften Jahrhunderts. Nach dem Vorbilde der Gräfin Guda von Arnstein hatten sich nämlich in einem verschollenen Dorfe Bethlenrod, von Brunenburg landeinwärts gelegen, Töchter benachbarter Edlen als Prämonstratenser Nonnen dem Himmel geweiht. Diese Genossenschaft verpflanzte Graf Ludwig III. von Arnstein, welcher auch seine Stammburg zum Kloster umgewandelt hatte, hierher. Im Jahre 1224 kommt der Name Brunenburc in einer Urkunde zum ersten Male vor. Später eignete sich Catzenellnbogen das Kloster an, dann fiel es an die Landgrafschaft Hessen; in der Reformationszeit wurde dasselbe aufgehoben. Von wann sein Verfall datirt, ist unbekannt; bei den Landleuten der Umgegend hat sich die Tradition erhalten, dass es von den [166] Schweden zerstört worden sei. – Wenn man übrigens von dem freien Platz vor dem Kloster nur wenige Schritte einen Fusspfad abwärts durch die Gebüsche verfolgt, lernt man begreifen, warum dasselbe an dieser Stelle erbaut worden ist. Denn die Gründer der Klöster flohen nicht, sie suchten die schönen Punkte der Erde; hier aber erblickt man von einer vorspringenden Ley die ganze grosse Windung, welche die Lahn zwischen Laurenburg und Kalkofen macht, in der Vogelperspective unter sich, eine so überaus romantische Aussicht, welche sich auch den Himmelsbräuten von ihren einsamen Zellen aus eröffnete, wie sie wohl selten von einem Kloster im Rheinland sich darbietet.
Von Brunenburg kann man in einer halben Stunde Kördorf erreichen; eine prachtvolle, weit hin sichtbare Linde, welche schon in Gutenacker unsere Aufmerksamkeit auf sich gezogen hat, und an welcher der Weg vorüberführt, gibt auch dem in der Gegend Unbekannten die Richtung desselben an. Von ihr geht man über Trieschland an einer Waldecke her über die Anhöhe, und gelangt dann, auf derselben rechts abbiegend, dorthin. Schon auf der Höhe sieht man die waldigen Abhänge des von Catzenellnbogen herabkommenden, in bedeutenden Windungen nach der Lahn sich ziehenden Dörsbachthals, mit dessen wilder Romantik sich unter den Seitenthälern derselben nur die des bei Nassau ausmündenden Mühlbachthals vergleichen lässt.
Seine Naturschönheiten sind indessen fast so wenig bekannt, wie sie laut gepriesen sind; denn die Reiseführer, welche seiner Erwähnung thun, haben nur die kleine Strecke desselben begangen, in welcher von der Mündung aus ein gangbarer Fusspfad aufwärts führt; sonst würden sie wohl die Tour „sehr empfehlen“, aber die mit ihr verbundenen Schwierigkeiten unmöglich haben verschweigen können. Schon die Auskunft, welche die Umwohner über dasselbe geben, mag Manchen vom [167] Besuche zurückschrecken. Zwar mag ihre Aeusserung: „Was wollen Sie da unten thun? Sie sehen dort nichts als ein bischen Himmel, Wald und Gestein“, eher zu ihm reizen als von ihm abhalten; indessen erregen die Warnungen vor dem öfteren Uebersetzen über den Bach, dessen Ufer nur durch wenige Stege verbunden sind, und ist man drunten im Bereiche der Mühlen angelangt, die Aeusserungen der Leute, dass weiter abwärts „die Wildniss“ sei, die sie zum Theil selber noch nicht durchwandert haben, gerechtes Bedenken.
Bevor man indessen in das Thal hinabsteigt, ist es wohlgethan, auch von oben herab wie aus der Vogelperspective einen Blick in die tiefe Schlucht desselben zu thun. Und hierzu ist ein Bergvorsprung bei Kördorf sehr geeignet, zu welchem uns ein Führer von dort aus über den mitten im Walde gelegenen Judenkirchhof in etwa zwanzig Minuten bringt. Der Blick von hier in das enge, von waldbewachsenen, überaus steilen Bergen und kahlen Felspartien eingeschlossene Thal, dessen grüner Wiesengrund tief unten wie ein schmales Band sich durch die Gebirge windet, und in dem nur ein paar einsame Mühlen das Dasein von Menschen verkünden, ist einzig in seiner Art. Um das Thal in seinen schönsten Partien kennen zu lernen, geht man von Kördorf, wenn man nicht von da aus Catzenellnbogen zuerst besuchen will, nach dem Dorfe Herold und von dort durch ein Seitenthälchen in dasselbe hinab. Diesen oberen Theil nennen die Umwohner wegen seiner wilden Felspartien das Jammerthal; die Jammerthaler Mühle ist die erste von den überaus romantisch gelegenen neun Mühlen des Dörsbachthals. Die Verbindung zwischen diesen ist noch leidlich; ein schmaler Fusspfad, welcher sich indessen zuweilen in der Wiese verliert, führt von der einen zur andern; aber auch hier schon wird dem Besucher das Uebersetzen über den Bach nicht erspart. Gelangt man indessen bei der [168] „Wildniss“ an, so ist in der That das Thal, wenn nicht gerade ein sehr niedriger Wasserstand den Touristen begünstigt, für Jeden, welcher davor zurückschreckt den Bach etwa zwölfmal zu durchwaten, da ein Sprung auf die glatten oder spitzigen Steine in seinem Bette bedenklich ist, oder da, wo derselbe die ganze Thalsohle ausfüllt, an jungen Bäumen sich haltend, und an den Felsen hinankletternd, die Sperre zu umgehen, geradezu unzugänglich. Aber welche Pracht einer wild romantischen, ursprünglichen Natur nimmt uns in diesem einsamen, vom Verkehr noch wenig oder nicht berührten Thale auf! Jede Mühle in dieser engen Schlucht, deren Sohle meist nur wenige hundert Fuss, und oft noch viel schmäler ist, unter jähen Felsen gelegen, oder dicht an den überhängenden Wald geschmiegt, würde dem Maler den lohnendsten Stoff zu einem Landschaftsbilde abgeben. Und wer kann die Herrlichkeiten im Einzelnen schildern, welche sich weiter abwärts dem vor- und rückwärtsschauenden Auge eröffnen, und von denen jede Windung neue, überraschende aufzeigt: die mächtigen, wohl 600 Fuss hohen, steilen Berge, und die Felspartien, die aus denselben hervorstarren, das schluchtartige Thal, in welchem man stundenlang keinen Laut vernimmt, als das Murmeln und Rauschen des zwischen Erlen hinfliessenden Bachs und den Gesang der Vögel im Buschwerk der Bergwände. Ja, einzelne Punkte, wo man sich, in einer Windung von hohen Bergen rings umschlossen, wie in einem ungeheuren Brunnen wähnt, können bei dem leicht sich aufdrängenden Gedanken an die vollständige Verlassenheit und Hülflosigkeit bei irgend einem Fehltritt oder Fehlsprung in dieser tiefen Abgeschiedenheit ein förmliches Grauen erwecken. Etwa drei Stunden nach dem Eintritt in das Thal gelangt man, die letzte Viertelstunde wieder auf gangbarem Wege, nach dem Kloster Arnstein, wo uns nach dem [169] langen Marsche durch diese Schlucht das enge Lahnthal weit erscheint.
Unzweifelhaft werden bei gesteigertem Verkehre die Behörden nicht versäumen, diese Perle der Seitenthäler der Lahn den Touristen zugänglicher zu machen; mögen ihre Anordnungen den Charakter seiner wilden Romantik nicht zu sehr beeinträchtigen!
Wenn man unterhalb Laurenburg den nach ihm benannten Tunnel passirt ist, beginnt schon die bedeutende Curve, welche die Bahn in der gewaltigen Thalkrümmung zu beschreiben genöthigt wird. Hüben und drüben waldbewachsene Berggründe, nur noch höher und schroffer abfallend, als wir sie bisher vom Thal aus gesehen; hier und dort aus denselben hervortretende Felspartien, zuerst rechts die uns schon bekannte Marienhöhe. Dabei hat das Thal nun seine grösste Enge erreicht. Bald erscheint zur Linken auf dem Rande der steilen Höhe das Mauerwerk der Klosterkirche von Brunenburg, in einsamer Trauer in die Tiefe herabschauend, sodann am Fusse der Wand, welche es trägt, der Hof Hausen, früher Hof Brunenbach genannt, der schon im Jahre 1146 als zu Arnstein gehörig vorkommt. Unterdessen wenden wir uns allmählig so, dass wir ausschauend Brunenburg uns zur Rechten erblicken. Jetzt erkennen wir auch jenseits die Wolfsley, während wir dem Dörfchen Kalkofen zufahren, das, dies- und jenseits der Lahn gelegen, so eng zwischen Fluss und Berg eingezwängt ist, dass es, wohl der einzige Fall an der ganzen Lahn, durch keinen ordentlichen Fahrweg mit den Nachbarorten auf- und abwärts verbunden ist; auch die Höhe hinauf würde man vergebens einen solchen suchen. Das kleine Dorf ist durch die Anlage der Eisenbahn noch kleiner geworden; denn vier seiner Häuser fielen in die Bahnlinie, deren Bewohner es vorgezogen haben, sich anderwärts wieder anzubauen. In seiner Gemarkung befindet sich, übrigens von der Bahn [170] aus nicht zu sehen, ein für Manchen interessantes Naturspiel, eine Eiche, welche alljährlich statt grüner einen reichen Schmuck goldgelber Blätter hervortreibt, wegen dessen sie in der Umgegend unter dem Namen Goldeiche bekannt ist. Unterhalb Kalkofen schneidet ein langer Tunnel einen beträchtlichen Bergvorsprung ab; auf dem jenseitigen Ufer erscheinen am Berg sich hinaufziehende Obstpflanzungen, und wieder einmal Weinberge, die uns von jetzt an auf der rechten Seite des Flusses mit kurzen Unterbrechungen bis an die Mündung der Lahn begleiten. Die wir jetzt erblicken, gehören dem Dorfe Obernhof an, welches auch bald dicht an der Lahn in einer sehr freundlichen und geschützten Lage sich zeigt. Doch dürfen wir das Auge nicht zu lange auf demselben ruhen lassen, denn schon thut sich, uns zur Linken, ein herrliches Landschaftsbild vor unseren Blicken auf.
Es ist die alte Abtei Arnstein, welche man auf einer waldigen Anhöhe und den sie umgebenden höheren Bergen vorgeschoben in so entsprechender Nähe erblickt, dass sie mit den vier aufstrebenden, vom blauen Himmel begrenzten Thürmen ihrer Kirche sich von selbst als der höchst malerische Mittelpunkt der gebirgigen, waldgrünen Umgebung ankündigt, eines Bildes, welches, wenn wir nicht eben noch Obernhof erblickt hätten, uns mitten in geheimnissvolle Natureinsamkeit und die traumselige Romantik des Mittelalters versetzte. Schade, dass an diesem herrlichen Punkte nur Ein Bahnzug auf- und abwärts anhält; indessen lässt sich Arnstein von der nächsten Station Nassau in einer guten Stunde zu Fuss erreichen, wenn man nicht etwa vom Dörsbachthale her oder von Dörnberg aus die Abtei und
[171] die nahe Umgebung, in welcher noch andere höchst besuchenswerthe Punkte sich befinden, aufgesucht hat.
Der waldige Vorsprung, auf welchem die Abtei Arnstein mässig hoch über der Lahn liegt, wird auf der andern Seite von dem hier ausmündenden Dörsbachthale begrenzt. Unmittelbar an dem schroff sich in dieses Thal absenkenden Abhang erhebt sich die stattliche Klosterkirche, in der wir schon von Ferne ein Bauwerk des romanischen Styles erkennen. Ihr zur Seite ziehen sich auf gleicher Höhe über der Lahn die Klostergebäude hin, zum Theil in ruinenartigem Verfalle begriffen. Am Fusse des Vorsprungs blicken aus dem Grün der Bäume die Mauern der uralten Margarethenkirche hervor, der Mutterkirche, wie man sagt, von 72 Tochterkirchen, und der Begräbnissstätte mehrerer Grafen von Arnstein, unter ihnen des Gründers des Klosters, Ludwigs III. Die Geschichte der Stiftung desselben, wie sie ein zu Anfang des dreizehnten Jahrhunderts lebender Mönch erzählt, gibt zu den oft sich wiederholenden Berichten aus dem Mittelalter über plötzlich eintretende Sinnesänderung von roher Kampfbegier und Raublust zu Beschaulichkeit und strenger Busse einen sehr charakteristischen Beleg. Auf der Stelle nämlich, wo heute die Abtei Arnstein sich erhebt, stand früher eine Burg, von Arnold, Gaugrafen über den Einrich, eine Landschaft auf der südlichen Seite der unteren Lahn, und von dem Gründer des mächtigen Geschlechtes der Grafen von Arnstein (Arnoldstein) um die Mitte des eilften Jahrhunderts erbaut, „vnusssprechelychen feste von allen orten, vff eyner syetten hayt sye neyt me dann eynen engen weyck, der was besloessen myt starcken yseren keden vnd regelen.“ Arnolds Nachfolger Ludwig brachte wahrscheinlich durch seine Gemahlin den jenseits des Rheines gelegenen Gau Trechire mit Wesel, St. Goar, Boppart, und Coblenz an sein Haus. Seines Sohnes Ludwigs II. sieben Töchter vermählten sich sämmtlich mit Sprossen [172] bedeutender Geschlechter, während sein einziger männlicher Nachkomme und Erbe Ludwig III., der erst drei Jahre bei seines Vaters Tod zählte, ihm in der Grafschaft Arnstein nachfolgte. Er erhielt sehr jung den Ritterschlag und übte in irregeleitetem Thatendrang mit seinen Burgmannen das Faustrecht mit unerhörter Gewaltthätigkeit auf Strassen und auf dem Flusse, so dass er die Burg Arnstein lange Zeit zu einem „steyn aller lasteronghe vnd schande“ und zu einer „wornonghe der rittern pharaonis“ machte. Seine kinderlos gebliebene Ehe jedoch und nagende Gewissensbisse kehrten seinen Sinn der Busse zu; er wandelte seine Stammburg, die Zeugin seiner Frevel, in eine Stätte der Entsagung und stillen Gottesverehrung um. Die steile vorspringende Felsenspitze, welche den Wartthurm trug und so hoch war, wie das jetzige Kirchendach, wurde abgetragen. Im Jahre 1139 wanderten 24 Prämonstratenser aus Sachsen ein; Graf Ludwig selbst mit seinem Truchsess und fünf Rittern vertauschten den Harnisch mit der Kutte, und auch seine Gemahlin Guda von Bomeneburg, von welcher er anfänglich nur schwer die Einwilligung zur Gründung des Klosters erhalten, entsagte der Welt und brachte ihre Tage in enger Clausur in einem abgesonderten Häuschen neben der Kirche zu, von wo sie durch ein Fenster der Messe beiwohnen konnte. Ausser Arnstein und Brunenburg errichtete Ludwig noch mehrere andere Klöster. Er starb auf einer Reise als Klosterbruder in dem von ihm gegründeten Kloster Gummersheim in der Pfalz im Jahre 1185; seine Leiche aber wurde nach Arnstein gebracht „und die Grafen von Nassau, von Catzenellnbogen und von Dietz und die Herren von Isenburg kamen zu seinem Begräbniss und halfen ihn würdiglich bestatten, und trugen die Bahre zur Kirche St. Margarethen beim Kloster, und ward begraben vor dem hohen Altar in dem Chor auf Allerseelentag“. So starb der letzte der [173] einst mächtigen Grafen von Arnstein; die Grafschaft Einrich fiel an die Herren von Isenburg.
Tritt man, auf der Höhe von Arnstein angelangt, in den einsamen, lang gestreckten Klosterhof, so zeigt sich noch deutlicher, als von unten, der Verfall der einst ausgedehnten und stattlichen Abteigebäude. Gleich vorn starren uns die kahlen Wände und öden Fensterhöhlen des äusersten Flügels entgegen; dann zeigt sich das Innere einer verfallenen Kapelle; und im Hintergrunde, dem Dörsbachthale zugewendet, gewahren wir die Ueberreste eines anderen bedeutenden Klosterflügels; zwischen diesem trümmerhaften Mauerwerk aber grünt und blüht frisches Leben in dem Klostergarten; der Epheu schlingt sich an den Mauern empor, und Bäume und Gesträuche beschatten den einsam melancholischen Platz. Doch darf man sich nicht der Betrachtung über Tage wilder Zerstörung hingeben, welche über diese Stätte des Friedens gekommen seien; die Nüchternheit der oft allzu practischen neueren Zeit hat diese Trümmer geschaffen; denn die Klostergebäude, auf Abbruch verkauft, haben zu Anfang dieses Jahrhunderts als ein bequemer Steinbruch gedient, bis das befriedigte Bedürfniss dem allmählichen Zerstörungswerke Einhalt gethan hat. Der einzige wohlerhaltene Flügel mit einer herrlichen Aussicht in das Lahnthal auf Obernhof und Schloss Langenau wird von dem Geistlichen bewohnt, der über die zerstreut wohnenden Katholiken der Umgegend die Seelsorge hat. Auch die ansehnliche Abteikirche ist ziemlich im alten Zustand und wohl erhalten. Ihrer Anlage nach ist sie eine gewölbte Basilika mit hohem Mittelschiff; neben dem Rundbogen treten einzelne Spitzbogen hervor, ein Umstand, der aus der Erweiterung derselben durch den Abt Wilhelm von Staffel im Jahr 1359 zu erklären ist. Derselbe hat ihr auch die zwei achteckigen Thürme am östlichen Chore hinzugefügt. Auf den westlichen Thürmen befinden sich [174] die vier Glocken von zum Theil hohem Alter. Die Kirche und die noch erhaltenen Gebäude zeugen von dem früheren Reichthum der Abtei. Schon bei ihrer Gründung reich bedacht, gewann sie allmählich Besitzungen in der Umgebung, am Rhein und in der Pfalz. Ganze Kirchspiele gehörten ihr an. Im dreissigjährigen Krieg büsste sie vieles ein. 47 Aebte standen ihr bis zu ihrer Aufhebung 1803 vor.
Von der Abtei Arnstein aus gewahrt man an den jenseitigen Uferbergen über Obernhof eine bedeutende Einsenkung, hinter welcher die das Gelbachthal begrenzenden Bergwände hervorschauen. Auf ihr führt die Strasse von Holzappel nach Nassau herab; da wo diese über den Kamm des Berges hingeht, befindet sich ein sehr besuchenswerther Aussichtspunkt. Man hat demselben in neuerer Zeit den Namen Götheplatz oder Götheberg gegeben, weil Göthe in Erinnerung an diese Stelle geäussert haben soll, dass die Umgebung der Abtei Arnstein einer der reizendsten Punkte in Westdeutschland sei. Dass ihm wenigstens das Bild derselben noch längere Zeit vorgeschwebt habe, beweisst eine Stelle aus seinen Annalen, (Bd. 27. S. 309) wo er seine mit Bergrath Cramer im Jahre 1815 unternommene Lahnreise, „die manche schöne Einsicht und Kenntniss“ gab, erwähnt und von einer Verschiebung der Gänge spricht, von welcher er auf einer Halde, einer alten Abtei gegenüber, ein merkwürdiges Phänomen gefunden habe. Steht aber auch die Authenticität des ihm beigelegten Ausspruchs weniger fest, so ist doch die Aussicht auf diesem Punkte, auf der einen Seite nach der im Thal zwischen hohen Bergen sich hinwindenden Lahn, Arnstein flussabwärts im Hintergrund, und auf der andern nach dem Gelbachthal und dem in ihm gelegenen Dorfe Weinähr so ausnehmend schön, dass es zu ihrer Empfehlung nicht erst einer gefeierten Autorität bedarf.
[175] An solchen an sich schon herrlichen Punkten gewesen zu sein, wenn Jahres- und Tageszeit die Reize der Landschaft ins beste Licht stellen, und die Gunst des Zufalls dem vor uns aufgerollten Bilde noch eine besondere Bedeutung gibt, ist wahrhaft beneidenswerth. So wird es der Schreiber dieser Zeilen nicht vergessen, wie er vor Jahren mit Freunden auf einer Fusswanderung durch das Lahnthal in einem solchen Momente hier oben gestanden hat. Die Wälder waren vom ersten Grün des Frühlings überhaucht, die Wiesen des Gelbachthals prangten in seltner Frische; tiefe Stille schwebte über der ganzen Landschaft. Da tönten die Glocken vom Kirchlein von Weinähr herauf; ein Trauerzug bewegte sich zu dem nahen Friedhof. Und wie sie den Todten unter Glockenklang begruben, trat plötzlich die Sonne hinter einer Wolke hervor, und zeigte Fluss und Thal, Wald und Höhen in zauberhaftem Lichte; die Abtei Arnstein trat leuchtend aus dem Grün hervor, die Wiesen des Gelbachthals waren wie von Gold übergossen; das war eine kostbare Staffage für das schöne Lied Eichendorffs:
Vom Thurme Trauerglocken klingen,
Vom Thal ein Jauchzen schallt herauf;
Zur Ruh’ sie dort den Todten singen,
Die Lerche jubelt: wache auf!
Mit Erde sie ihn still bedecken,
Das Grün aus allen Gräbern bricht;
Die Ströme hell durch’s Land sich strecken,
Der Wald ernst wie in Träumen spricht,
Und bei den Klängen, Jauchzen, Trauern,
So weit in’s Land man schauen mag,
Es ist ein tiefes Frühlingsschauern,
Als wie ein Auferstehungstag.
Von diesem Punkte aus kann man entweder auf der Strasse abwärts oder auf einem kleinen Umweg über Weinähr zum Schlosse Langenau gelangen, welches Arnstein ganz nahe an der Mündung der Gelbach oder Eynar liegt, in deren romantisches Thal wir schon von [176] der Grubenley bei Holzappel einen Blick gethan haben. Zwischen Dies und Weinähr befinden sich mehrere Hütten- und Bergwerke, denn hier zieht sich der Silber und Blei haltende Erzgang von Holzappel her; auch wird der Freund landschaftlicher Schönheiten, welcher das Thal besucht, durch manche romantische Partien belohnt.
Schloss oder Burg Langenau war der Stammsitz derer von Langenau, welche im Jahre 1344 zuerst vorkommen, und von denen wir schon einen Spross, Daniel, als Erbauer der Burg Holenfels kennen gelernt haben. Von der Geschichte ihres Geschlechts ist sonst wenig bekannt, aber eine Sage, welche an die vom Mönche von Heisterbach erinnert, wird von Langenau berichtet. Zu Anfang des sechszehnten Jahrhunderts war Hilger Inhaber der Burg. Als dessen Gemahlin Jutta einst mit ihrem achtjährigen Sohne an der Lahn lustwandelte, wurde sie von einem unbezwinglichen Schlafe überfallen. Sie legte sich nieder, als sie aber erwachte, war der Knabe verschwunden. Alle Nachforschungen blieben fruchtlos. Nach 70 Jahren aber, nachdem Eltern und Geschwister längst gestorben und ein Urenkel Hilgers in Langenau waltete, meldete sich ein Greis am Thore der Burg und gab sich als den vor Jahren verloren gegangenen Junker zu erkennen. Ein silbernes Kreuzlein an seinem Rosenkranz beseitigte jeden Zweifel an der Wahrheit seiner Aussage. Er erzählte, eine Hand habe ihn, wie er einem ungewöhnlich schönen Schmetterling am Ufer der Lahn nachgejagt, in diese hinabgezogen. Als er vom Schlafe erwacht sei, habe eine Fee vor ihm gestanden, und habe ihm, um ihn zu beschwichtigen, alle Herrlichkeiten ihres Schlosses gezeigt. Als sie an einer hohen Gartenpforte angelangt, habe sie ihn sanft hinausgeschoben. Aber während dieses kurzweiligen Spaziergangs waren 70 Jahre verflossen, [177] nach denen er als Fremdling in das wohlbekannte Schloss seiner Väter zurückkehrte.
Im Jahre 1613 kam Schloss Langenau an die von Elz-Rüvenach, später waren die Herren von Marioth seine Besitzer, von denen es die Gräfin Giech, die Tochter des Freiherrn von Stein, erwarb. – Die alte Burg war in einem Viereck erbaut; ihre Ringmauern und Thürme, sowie der Wallgraben sind zum Theil noch gut erhalten. Vor dem Wartthurm erhebt sich das Herrenhaus modernen Styls, in dem sich eine Zeitlang die von der Gräfin Giech gegründete Rettungsanstalt für verwahrloste Kinder befunden hat. Eine zweite Burg, Neulangenau, war auf dem angrenzenden Berge Arnstein gegenüber von den Herren von Langenau im Jahre 1350 aufgerichtet worden. Sie wurden dabei unterstützt von Johann von Nassau-Merenberg, demselben, der auch bei der Erbauung von Holenfels mitgeholfen hat. Aber hier waren die widerstrebenden Nachbarn glücklicher. „Sie ward gebrochen, das thete Bischof Bemund zu Trier. Vnd was erst neuwlich aufgeschlagen worden.“ So berichtet die Limburger Chronik. Jetzt ist jede Spur von derselben verschwunden.
Von Langenau erreicht man das Thal entlang gehend in einer Stunde das Städtchen Nassau; auch kann man von dort aus die sog. Hoheley, einen Punkt mit herrlicher Aussicht, besteigen, von wo ein wohlangelegter Weg jenseits dahin hinabführt. Setzen wir indessen unsere Tour auf der Bahn fort, um von ihr aus noch einmal die schönen Bilder, an denen wir uns erfreut, im Fluge an uns vorübergehen zu lassen. Unterhalb
[178] Obernhof setzt die Bahn wieder auf die rechte Seite des Flusses; auf der Brücke der schönste Blick auf die Abtei Arnstein; unmittelbar darauf der Obernhofer Tunnel; dann durchschneidet die Bahn das Eynarthal; links Burg Langenau mit waldigem Hintergrunde; nach abermaliger Fahrt durch einen Tunnel zeigt uns ein Blick rückwärts beide zugleich, die Burg im Vordergrunde, während zwischen den dahinter sich erhebenden Waldbergen die Thürme der Abtei noch einmal zu uns herüberwinken. – Nun durchschneidet, dem Hofe Holerich gegenüber, die Bahn in dem letzten ihrer Tunnels den Berg, auf welchem die Felsenkuppe der Hohenley kühn in die Lüfte steigt. Eine breitere Thalfläche, von Wald und Weinberg begrenzt, nimmt uns jetzt auf; im Hintergrunde erhebt sich der waldige Bergkegel, welcher den alten Thurm der Burg Nassau trägt; bald erscheint auch jenseits der Lahn auf einer Erhebung Bergnassau mit seinem hochbedachten Recepturgebäude, und sodann in überaus anmuthiger Lage im Thal das Städtchen Nassau, welchem wir uns, zwischen Wiesen und an fruchtbaren, mit Obstbäumen besetzten Feldern hinfahrend, rasch nähern.
Dass das Städtchen Nassau, so freundlich es uns anlacht, doch nicht modernen Ursprungs sei, sagt uns der runde, graue Thurm, den wir als Rest der früheren Befestigung vor uns erblicken. Doch lässt uns derselbe nicht ahnen, dass das Alter des Ortes bis ins achte Jahrhundert hinaufreicht. Nassau kommt nämlich schon 790 unter dem Namen Nasongä in einer alten Urkunde vor, in welcher Karl der Grosse hier gelegene Güter an die Abtei Prüm schenkt. Ursprünglich war es eine königliche Villa, von der aus die Kaiser in dem benachbarten Kammerforste Spurckenburg des Waidwerks pflegten. König Conrad schenkte 915 die Villa, die jetzt Nassowa genannt wird, an das Walpurgisstift in Weilburg, von dem sie im [179] Jahre 993 an das Bisthum Worms. überging. Nach dem Streit, welchen dasselbe mit den Laurenburgern in der Mitte des 12. Jahrhunderts um Burg und Stadt Nassau geführt hatte, blieben beide bei diesen unter Lehenshoheit des Erzstifts Trier. Im Jahre 1323 erhielt der Ort seine ersten Befestigungen, und 1348 verlieh Kaiser Karl IV. demselben Stadtrechte. Jetzt ist Nassau Amtssitz und hat 1400 Einwohner, in welcher Zahl indessen nicht die von Bergnassau mitbegriffen sind, das mit dem im Mühlbachthale gelegenen Dorf Scheuern eine besondere Gemeinde bildet und mit demselben noch 400 weitere Einwohner zählt. An der Stelle der schönen Kettenbrücke, einer der ersten, welche in Deutschland aufgeführt worden sind, stand früher eine steinere, welche im Jahre 1678 brandenburgische Truppen, welche von Franzosen verfolgt wurden, zerstört haben. Das ansehnlichste Gebäude der Stadt, zugleich aber bedeutungsvoll für ganz Deutschland, ist das frühere vom Stein’sche, jetzt Kielmannsegg’sche Schloss; denn hier hat am 27. October 1757 Heinrich Friedrich Karl Freiherr vom und zum Stein das Licht der Welt erblickt. Wenn wir in den Schlosshof eingetreten sind, nimmt auf der linken Seite ein in gothischem Style aus Quadern errichteter Thurm unsere Aufmerksamkeit in Anspruch; es ist der berühmte Bau, welchen Freiherr von Stein zum Gedächtniss der Befreiung Deutschlands hat herstellen lassen, ein Monument, das, seiner Bedeutung nach einzig in seiner Art, in vieler Beziehung auch bezeichnend für den Charakter des Erbauers ist. Die Worte über dem vorderen Portale desselben: „Eine veste Burg ist unser Gott“ und über dem Eingang vom Schlossgarten her: „Nicht uns, Herr, nicht uns, sondern deinem Namen allein gebühret die Ehre“, offenbaren den Grundton, welcher das Herz des Mannes, der unerschütterlich dem ihn verfolgenden Weltbezwinger entgegenstand, erfüllte, und welcher ihn an der Rettung des Vaterlandes [180] nie verzagen liess. Auch die allegorischen Figuren, welche ausser den Standbildern der Schutzheiligen der verbündeten Mächte, des heil. Adalbert und Alexander Newsky, Georg und Leopold, die äusseren Wände des Thurmes schmücken, die Religion, Einigkeit, Beharrlichkeit und Tapferkeit darstellend, zeugen von der auf Religiosität gegründeten Charakterstärke des seltenen Mannes. Im zweiten Stock des Baues befindet sich das Arbeitszimmer des Freiherrn, noch in demselben Zustande, wie er es verlassen hat, mit den in fünf Gruppen geordneten Bildern bedeutender Deutschen von den Zeiten der Reformation bis zu den Freiheitskriegen. Es sind Maximilian I., Karl V., Luther, Friedrich der Weise, Wallenstein, Kurfürst Maximilian von Baiern, Wilhelm der Verschwiegene, Prinz Ludwig von Baden, der grosse Kurfürst, Friedrich der Grosse, Maria Theresia, Scharnhorst, Blücher, Gneisenau. Im obersten Thurmzimmer sind die in carrarischem Marmor von Rauch ausgeführten Büsten der drei verbündeten Fürsten aufgestellt mit der Ueberschrift: „Vertrauen auf Gott, Muth, Einigkeit, Beharrlichkeit!“ Vier Gedenktafeln erinnern ausserdem an die glorreichsten Tage der Jahre 1813–15. Hier, in dem Schlosse seiner Väter, verweilte Freiherr vom Stein am liebsten, nachdem er sich von der politischen Schaubühne zurückgezogen hatte. Auch durch den Besuch manches trefflichen Mannes sind diese Räume geweiht; vor allem durch die des Freiheitssängers Ernst Moritz Arndt, der hier wiederholt von dem Freiherrn von Stein beherbergt wurde und auch noch nach dessen Tode als hochbetagter Greis im Kreise seiner Hinterbliebenen Aufnahme fand. Und noch in einer anderen Beziehung verlässt der Freund vaterländischer Literatur den denkwürdigen Ort nicht ohne Interesse, denn aus diesem Schlosse stammt nach der Angabe Friedrichs von Stein, (Göthe’s Briefe an Frau von Stein, I., p. 320) die Gräfin Werther von Neunheiligen, [181] deren Züge Göthe der Gräfin im Wilhelm Meister geliehen hat. Hinter dem Schlösschen zieht sich ein anmuthiger Garten hin, dessen hohe, die Dächer des Städtchens überragende Baumgruppen schon von Weitem sichtbar sind, und nicht wenig dessen landschaftliche Schönheit erhöhen. Dicht bei demselben liegt, im Freien von freundlichen Anlagen umgeben, die vielbesuchte Kaltwasserheilanstalt des Dr. Haupt, in welcher auch Fichtelnadel-Dampfbäder angewendet werden und zweckmässige Apparate für Heilgymnastik die Kuren unterstützen; auch sind für die Zukunft römische Bäder und ein pneumatischer Apparat in Aussicht genommen. In der Nähe liegt das von den Töchtern des Herrn von Stein gestiftete Hospital. Dass der Geburts- und Wohnort dieses grossen Mannes eine Zierde erhalte in einer Statue desselben, ist schon seit Jahren das Bemühen eines zu diesem Zwecke gebildeten Comités. Die Kirche von Nassau, deren Thurm-Construction sie als alt ausweist, bietet übrigens nichts besonders Sehenswerthes.
Um die reizende Umgebung und die denkwürdigen Oertlichkeiten um Nassau in nähern Augenschein zu nehmen, wenden wir unsere Schritte zuerst über die Kettenbrücke an dem Säuerling vorüber, der jenseits dicht an derselben hervorquillt, und besteigen auf bequem angelegten Wegen den steilen, waldigen Bergkegel, welcher die Ruine der Burg Nassau trägt. Die Sage berichtet, dass ein Herr von Laurenburg eine Hindin verfolgend, dieselbe hier im Dickicht versteckt gefunden und, von der festen Lage des Punktes überrascht, beschlossen habe, hier eine Burg zu erbauen, welche er wegen der „nassen Aue“ drunten im Thale Nassau genannt habe. Indessen wissen wir, dass die Villa Nasongä weit älter ist als die Burg, und dass diese von jener ihren Namen trägt. Die Herren Dudwin IV. und Dudo IV. von Laurenburg, haben dieselbe ums Jahr [182] 1100 erbaut. Vom Jahre 1160 an wurde Nassau der Hauptsitz der Laurenburger, die sich auch seitdem Grafen von Nassau nannten. Unter Ruprecht II. wuchs die Macht derselben um ein bedeutendes, da derselbe das Gaugrafenamt des Enrichs an sich brachte. Später sehen wir mehrere Glieder des Hauses auch auswärts eine bedeutende Rolle spielen. Graf Heinrich begleitete im Jahre 1161 Friedrich Barbarossa nach Italien; Ruprecht der Streitbare, welcher den grösseren Theil seines Lebens im Kriege, und namentlich in den Feldzügen in der Lombardei und in Palästina an der Seite Friedrichs, der ihn sehr auszeichnete, zubrachte, war auch mit seinem Vetter Walram bei der Gesandtschaft, welche der Kaiser nach Constantinopel vorausschickte, um für die Erfüllung der Bedingungen des mit Kaiser Isaac geschlossenen Vertrags zu sorgen, und dort beschimpft und gefangen gehalten wurde, bis das Herannahen des Kreuzheeres ihnen die Freiheit wiedergab, Ruprecht, der Bannerträger eines Heerhaufens, fiel im gelobten Lande; Walram kehrte zur Heimath zurück, starb aber schon im Jahre 1198. Sein Sohn Heinrich vereinigte so viele Besitzungen durch Erwerb und Erbschaft, dass er der Reiche genannt wurde. „An dem Rheine, der Lahn und der Sieg stand der nassauische Löwe unter ihm aufgepflanzt“. Seine Lehen erstreckten sich bis zur Gegend von Cassel, die edelsten Geschlechter der Lahn sammelten sich um ihn und verliehen seinem Hofe Ansehen und Glanz. Auch stand er Kaiser Heinrich VI. und Friedrich II. nahe. Obwohl in die mannigfachsten Fehden mit Nachbarn verwickelt, – er nahm einmal Erzbischof Dietrich von Trier gefangen – vergass er doch nicht Kirchen und Klöster zu fundiren und zu bauen; sein schönstes Werk ist der Dom zu Limburg. Viele seiner Urkunden sind in Nassau unterzeichnet, weshalb zu vermuthen, dass er sich meist auf dieser Burg aufgehalten hat; wahrscheinlich ist er auch auf derselben [183] gestorben ums Jahr 1247. Zwischen seinen Söhnen Walram, dem Vater König Adolphs, und Otto fand im Jahre 1255 die Erbtheilung der nassauischen Länder statt, der gemäss die Burg Nassau beiden Linien gemeinschaftlich blieb. Auch wurden die Ansprüche an die Burg von der ottonischen, nachdem sie in die Niederlande übergegangen war, keineswegs aufgegeben, wie sich denn noch 1557 Wilhelm der Verschwiegene wegen des gemeinsamen Stammes, Namens und Wappens ein Achtel derselben vorbehalten hat. Die Burg wurde nicht mit Gewalt zerstört, sondern versank allmählig zu einer Ruine; schon im Jahre 1597 war sie wegen ihres Verfalles unbewohnbar.
Die Inschrift am Portale der Burgruine, „Gemeinschaftliche nassauische Stammburg“ unterrichtet den Besucher von der Bedeutung des Ortes. Im Inneren des Burghofs zieht sich reichliches Immergrün die Mauern hinauf, welches dem Dichter Dingelstedt Anlass zu einem sinnigen Gedichte gegeben hat. Der Blick vom Thurme in die Thäler hinab ist überaus lohnend. Hier überschauen wir die reizende Lage und Umgebung von Nassau mit Einemmale: das freundliche Lahnthal mit seinen Rebenbergen und Obstgärten aufwärts bis zur Hohenley, und die vielfachen Seitenthäler, welche auf beiden Seiten zu demselben abfallen und der Gegend die grosse Mannichfaltigkeit verleihen, vor allen das romantische Mühlbachthal, welches, in grossen Windungen von Süden sich herabziehend, unten am Bergkegel in dasselbe einmündet. Der Rückweg führt uns zu der Ruine der Burg Stein, die auf der halben Höhe desselben Bergkegels sich erhebt, auf dem Burg Nassau thront, früher im Burgfrieden derselben gelegen, und der Familie von Stein angehörig, welche im Jahre 1158 zum erstenmale erscheint und 1831 mit dem Grössten ihres Namens ausgestorben ist. Die Sage von der Freifrau von Stein, der glücklichen Mutter von zwei [184] Söhnen und vier Töchtern, die vor der Vermählungsfeier der letzteren in ein Kloster ging, weil ihr die Ehren, die ihr widerfahren, zu gross dünkten, ist von mehreren Dichtern, unter andern von Simrock und Genth, in poetische Form gebracht worden. Von der Burg durch das Thal der Mühlbach getrennt, liegt an einer Anhöhe das sogenannte Bauernhaus des Freiherrn von Stein. Einfach in seinem Aeusseren, im Inneren mit einfachen Möbeln und schlichten Bildern patriotischen Charakters ausgestattet, gibt auch dieses Häuschen uns Zeugniss von dem genügsamen Sinne des grossen Mannes, welcher oft und gerne entweder allein oder mit seinen Töchtern, Nachbarn und lieben Gästen in demselben verweilte. – Auch zu sonstigen schönen Excursionen bietet die Umgegend Gelegenheit; schon der Weg nach Arnstein auf der linken Lahnseite ist zumal durch den schattigen Wald sehr anmuthig; auch besteigt man von Nassau aus am bequemsten die Hoheley, um eine der schönsten Aussichten im Lahnthal zu geniessen. Denn man überschaut hier die beiden herrlichen Landschaften von Arnstein und Nassau zugleich, dazu die Windungen der Seitenthäler, die sich zur Lahn herabziehen, und zwischen ihnen und über sie hin die Bergfläche diesseits und jenseits des Flusses. – Auch die verschiedenen Thäler um Nassau sind sehr besuchenswerth; die kalte Bach mit ihren Schattenpartien; das Dienethal mit dem Dörfchen gleichen Namens auf der Höhe; vor allem das enge und tiefe Mühlbachthal, durch welches von Scheuern aus etwa dreiviertel Stunden weit ein bequemer Weg führt. Will man aber die wilde Romantik desselben in ihrer Ursprünglichkeit kennen lernen, muss man die Strasse nach Schwalbach bis Singhofen verfolgen, und von da seitwärts abgehend, zuerst von seinem Rande in die Tiefe hinabschauen und dann in die Schlucht desselben hinabsteigen. Hierzu empfehlen sich besonders zwei Punkte, zu denen uns [185] übrigens von Singhofen aus ein Führer geleiten muss. Der eine, eine kleine halbe Stunde von da entfernt, heisst die alte Burg, ohne dass jedoch irgend welches Mauerwerk auf das frühere Vorhandensein einer solchen schliessen lässt. Hier steht man auf der Höhe eines Felsvorsprungs, und blickt hinüber wider die steilen, waldbewachsenen Bergwände und fast mit Schwindeln in das tiefe, enge Thal, in welchem eine einsame Mühle zu uns heraufschaut. Ein waldiger Bergrücken, niedriger als die Höhe, auf der wir uns befinden, schiebt sich uns zur Rechten wie ein Vorgebirge in das Thal hinein, und nöthigt den Bach zu einer gewaltigen Krümmung. Es ist ein kostbares Stück wilder Gebirgsgegend, das wir hier überschauen. Von der alten Burg aus gelangt man ungefähr in einer guten Viertelstunde durch Wald an den zweiten Punkt, wo wieder ein Bergvorsprung eine sehr bedeutende Krümmung verursacht hat. Auf zwei Felspartien sieht man hüben und drüben in das eingeengte Thal hinab, das hier fast noch wilder und verschlungener erscheint. Um aber die Reize dieser wild romantischen Landschaft vollends zu geniessen, steigt man in dasselbe zu einer der Mühlen hinab, welche hier dichter bei einander liegen. Bei einer derselben, an einer starken Windung des Thals, treten die steilen Bergwände und Felsen so nahe zusammen, dass neben dem Bache nur für sie Raum geblieben ist. Hier befinden wir uns an einem einzig schönen, tief abgeschiedenen Plätzchen. Dicht rings umher Waldesgrün; ein Fleckchen blauer Himmel; das Wasser rauscht, das Mühlwerk klappert, der Kettenhund meldet den Fremdling an; der kräftig gebaute Müller in reinlichem Anzüge – es ist gerade ein Sonntagmorgen – erscheint und ertheilt freundliche Auskunft. Die Bienenstöcke, die an der Bergwand hinauf im Walde zu Dutzenden stehen, gehören ihm an. Ein weiterer Schutz, als der, welchen das Bellen des Hundes gewährt, ist in dieser bei Nacht schwer zu [186] betretenden Einsamkeit nicht nöthig. – „Kann man von hier durch das Thal abwärts?“ „Hier gibt’s keinen Weg und Steg, der Bach ist oft tief und breit, und muss doch wohl zwölfmal überschritten werden.“ Vor solchem Hinderniss muss auch der festeste Vorsatz und die Hoffnung auf Entdeckung reizender Landschaften schweigen. Ein Händedruck des Müllers, und, noch oft in diese köstliche Idylle zurückschauend, steigt der Wanderer wieder aufwärts, um auf betretenem Weg nach Nassau zu gelangen.
Die liebliche grüne Thalfläche, inmitten welcher Nassau liegt, verengert sich wieder, wenn die Lahn sich unterhalb der Mündung der Mühlbach nordostwärts wendet. Auf der linken Seite derselben sind die steilen Bergwände bewaldet, während die jenseitigen mit Reben und Obst bepflanzt sind. An den ersteren hin zieht sich die Eisenbahn, nachdem sie auf einer Gitterbrücke unterhalb Nassau den Fluss überschritten hat; auf der rechten Seite desselben führt die mit Obstbäumen bepflanzte schöne Strasse nach Ems hinab. In einer kleinen Stunde gelangt man auf ihr zu dem Flecken Dausenau, der sich uns, wenn wir den Bergvorsprung umgangen haben, im Schoose hoher, schirmender, bis zu dem Thalrande mit Obstwaldungen bepflanzter Berge mit seiner alten, auf einer Anhöhe gelegenen Kirche und seinen mittelalterlichen Befestigungsmauern zeigt. Unter diesen ist der starke polygone Thurm, welcher am oberen Ende des Fleckens an der Lahn steht, bemerkenswerth, da er beträchtlich von der perpendikulären Richtung abweicht. Ihn, wie es geschehen ist, für ein römisches Bauwerk zu halten, ist eben so wenig Grund vorhanden, als die locale Sage Beachtung verdient, dass Eginhard und Emma eine Zeitlang in ihm gefangen gewesen seien. Uebrigens hat Dausenau, das jetzt etwa 800 Einwohner zählt, seine Thore und Mauern vor dem Jahre 1324 erhalten; es lag damals [187] auf beiden Seiten der Lahn; Kaiser Karl IV. ertheilte dem Orte in demselben Jahre Stadtrechte, in welchem sie Nassau von ihm erhielt. Noch heutigen Tags trägt dieser auch im Inneren den alterthümlichen Charakter der alten Rhein- und Moselstädtchen an sich; doch haben die Gebäude meist etwas Verkommenes, wogegen das moderne Schulhaus neben dem Thurme und das an der Chaussee nach Nassau vom Orte etwas entfernt liegende Pfarrhaus vortheilhaft abstechen.
Dreiviertel Wegstunden unterhalb Dausenau liegt Ems, dessen erste Häuser man, wenn man eine abermalige Windung des Thales hinter sich hat, unter den steilen und nackten Felsenmassen erblickt, welche unter dem Namen der Bäderley bekannt sind. Das jenseits der Lahn gelegene Viertel, der Spiess, in welchem sich auch der Bahnhof befindet, ist zum grössten Theil ganz neu. Indessen wird die eigentliche Physiognomie des weltberühmten Kurorts, welche durch die oben gelegenen herrschaftlichen Kurhäuser und den Kursaal, durch die langgestreckte, elegante, sich hinter Alleen dicht unter den steilen, rebenbeflanzten Bergen hinziehende Häuserreihe und durch den in das Thal vorspringenden ragenden Bau des Badehauses „zu den vier Thürmen“ charakterisirt wird, erst weiter unten sichtbar. Noch mehr abwärts, aber mit Badems durch eine doppelte Häuserreihe verbunden, da, wo das Thal der Emsbach in das wieder breiter gewordene Lahnthal
[188] einmündet, liegt der dritte Theil des Ortes, Dorfems. Der ganze Häusercomplex, welcher sich nahe an eine halbe Stunde längs der Lahn hinzieht, umfasst eine Stadtgemeinde, die gegen 4000 Einwohner zählt.
Der Ursprung von Ems knüpft sich wohl an seine berühmten Heilquellen, von denen sicher vermuthet werden darf, dass sie schon den Römern bekannt gewesen und von ihnen benutzt worden seien. Denn es wäre doch ein ganz besonderer Zufall, wenn das Volk, welchem warme Bäder ein Lebensbedürfniss gewesen sind und das überall, wo die Natur ihm entgegenkam, Mineralquellen sich nutzbar gemacht hat, wie in Wiesbaden und in dem nahen Marienfels, nicht auch die hiesigen Thermen bemerkt haben sollte, zumal der Pfalgraben, Limes, sich dicht an den zahlreichen, am Berge und selbst in der Lahn zu Tage tretenden Quellen hergezogen hat. Auch weisen die ganz in der Nähe an der Strasse nach Coblenz aufgefundenen Gräber mit ihrem Inhalt von Münzen, Töpfchen etc. eine bedeutende Niederlassung derselben an diesem Punkte nach, in welchem das Amasia des Ptolemäus zu erkennen, durchaus nicht so gewagt erscheint, als Manche behaupten. Die erste Kunde von Ems aus dem Mittelalter erhalten wir im zehnten Jahrhundert. Damals machte es unter dem Besitzer Omincus eine eigene Grundherrlichkeit aus. Später kommt es als „Omeze“ oder auch „Omize“ vor. In der zweiten Hälfte des zwölften Jahrhunderts hatten die Grafen von Nassau die Vogtei über den Ort und die Umgegend, und lagen wegen der hier befindlichen Silbergruben, womit Friedrich I. Kurtrier im Jahre 1158 belehnt hatte, mit diesem im Streite. In der nassauischen Erbtheilung zwischen den Söhnen Heinrichs des Reichen im Jahre 1255 kam die Vogtei von Ems an die ottonische Linie. Später sehen wir durch Erbschaft und Kauf Catzenellnbogen im Besitze derselben, das sie indessen seit 1443 mit Nassau-Dillenburg theilte. [189] Da der catzenellnbogen’sche Theil im Jahre 1479 an Hessen fiel, so blieben bis zum Jahre 1803 Nassau-Oranien und Hessen-Darmstadt im gemeinsamen Besitze von Ems. Der warmen Bäder wird zuerst im Jahre 1355 gedacht. Ein Thurm, der in einer Urkunde vom Jahre 1382 angeführt wird, scheint der erste Kurbau gewesen zu sein. Nach und nach wurden von hessischer und nassauischer Seite die Kurgebäude immer mehr erweitert, bis sie sich zu dem unregelmässigen Complex gestalteten, den wir jetzt als Kurhaus vor uns sehen. Ueber die früheren Einrichtungen der Bäder lässt sich eine Stimme aus dem vorigen Jahrhundert folgendermassen vernehmen: „Man trifft in Ems fünf Bäder an, davon die beiden, so gegen Abend liegen, hessen-darmstädtisch, die drei übrigen aber nassau-oranisch sind. Es ist immer eins wärmer als das andere, sonderlich das letzte. Diese heilsamen Wasser werden theils durch Canäle in die Bäder geleitet, zum Theil aber quellen sie allda aus dem Boden, zur grössten Verwunderung der Badenden, ohne Aufhören durch eigenen Trieb heraus, also dass man immer frisch und sauber Wasser hat, welches, wenn die Bäder voll sind, oben wieder abläuft. Alle Abende werden dieselben wie ein Fischweiher wieder abgelassen, mit Besen ausgekehret und sauber gemacht. Sie sind mehrentheils bedeckt, zugewölbt, viereckig, anbei mit aufgemauerten Staffeln oder Stiegen versehen, damit man sich je länger, je tiefer hineinsetzen kann.“
Es kann nicht unsere Absicht sein, die gewaltige und vielseitige Wirkung der Bäder, sowie auch der berühmten Trinkquellen Kesselbrunnen, Kränchen und Fürstenbrunnen näher zu erörtern; dagegen möchte es doch nicht uninteressant sein zu hören, was all’ für Heilkräfte man denselben in früheren Zeiten schon zugeschrieben hat. Der Antiquarius des Lahnstroms, der auch dem Lahnwasser die wunderbarsten Wirkungen [190] angedichtet hat, rühmt abgesehen von ihrer Heilkraft bei Frauenkrankheiten dieselben folgendermassen: „Trinkt man das Wasser aus dem sogenannten Brünnchen, so reinigt es das Haupt von dem dicken zähen Schleim und andern Unreinigkeiten. Es öffnet die enge Brust, vertreibet den kurzen Athem, imgleichen das Grimmen im Leib. Das Wasser der Bäder stärkt die Gedanken, und das Geädere, ziehet auch Pfeile, Bleikugeln, Splitter und andere Dinge mehr, so lange in der Haut gestecket, wieder heraus. Es öffnet alle Geschwüre und alte Apostemate, damit sie recht geheilet und gereinigt werden, nachgehends fügt es dieselben wieder zusammen. Auch ist es sehr dienlich in Verstopfungen des Gehirns, bei fallender Sucht, Schlag, Flüssen, Kopfschmerzen, schwachem Gedächtniss, Dunkelheit des Gesichts, schwerem Gehör, Lähmung der Glieder und Nieren. Es treibet den Blasensand ab, curiret das Podagra und Chiragra, heilet die Grätze, den Aussatz, die Fisteln, den Krebs, und bei sechshundert andere sehr gefährliche Zufälle mehr.“
Natürlich, dass unter den vielen Tausenden, welche der schon seit Jahrhunderten berühmte Badeort aus ganz Europa beherbergt hat, auch sehr viele bedeutende und hervorragende Persönlichkeiten gewesen sind. Kaiser und Könige haben hier ihre leidende Gesundheit gekräftigt, ja eine Zeitlang ist Ems ein von hohen Herrschaften besonders bevorzugter Kurort gewesen. Jedoch auch durch anderer Männer Anwesenheit hat derselbe eine gewisse Weihe erhalten. Ulrich von Hutten besuchte Ems im Jahre 1516 als Kurgast und vernahm, wie erzählt wird, in dem nahen Dausenau zuerst die Kunde von dem an seinem Vetter Hans von Hutten begangenen verhängnissvollen Mord, der ihn zu seinen polemischen Schriften gegen Ulrich von Würtemberg veranlasste. Auch Göthe war, zwar nicht als Genesung Suchender, im Sommer 1774 zweimal in Gesellschaft [191] von Lavater und Basedow hier, und es ist interessant aus Wahrheit und Dichtung ein Bild des damaligen Badelebens zu erhalten, dessen familiärer Ton allerdings nicht wenig mit dem des jetzigen contrastirt. Er erzählt (Bd. 21. S. 210): „Die Gesellschaft nahm täglich zu. Es ward unmässig getanzt, und, weil man sich in den beiden grossen Badehäusern ziemlich nahe berührte, bei guter und genauer Bekanntschaft mancherlei Scherz getrieben. Einst verkleidete ich mich in einen Dorfgeistlichen, und ein namhafter Freund in dessen Gattin; wir fielen der vornehmen Gesellschaft durch allzu grosse Höflichkeit ziemlich zur Last, wodurch denn Jedermann in guten Humor versetzt wurde. An Abend-, Mitternacht- und Morgenständchen fehlte es auch nicht, und wir Jüngern genossen des Schlafs sehr wenig. – Wir machten dann zusammen auch manche Fahrt in die Nachbarschaft, besuchten die Schlösser, besonders adeliger Frauen, welche durchaus mehr als die Männer geneigt waren, etwas Geistiges und Geistliches aufzunehmen. Zu Nassau, bei Frau von Stein, einer höchst ehrwürdigen Dame, die der allgemeinsten Achtung genoss, fanden wir grosse Gesellschaft.“ Uebrigens mag von der berichteten Ausgelassenheit nicht wenig auf Rechnung des Dichters selbst zu setzen sein, der damals in der Blüthe seiner Kraftgenialität stand, welche kein Bedenken trug die herkömmlichen Schranken des Umgangtons keck zu überspringen. – Neben dem lebensfrohen, in voller Jugendkraft stehenden Dichter sei übrigens noch eines andern in stiller Wehmuth gedacht, des Vaterlands- und Freiheitssängers Max von Schenkendorf, welcher hier, als er den Keim des Todes schon im Busen, im Jahre 1817 die Heilquellen vom nahen Coblenz aus besuchte, sein letztes Lied gedichtet hat:
[192]
Den leichten Morgenträumen
Enteil’ ich froh und schnell,
Und nahe sonder Säumen
Dem wunderbaren Quell’.
Zur Tiefe steig’ ich nieder,
Da quillt es reich und warm,
Da senken sich die Glieder
In milden Liebesarm.
O Liebesfüll’, o Gnade,
Wie selig, wer euch schaut,
Wenn ihr auf unsre Pfade
Die süssen Wunder thaut.
Was bricht aus Felsenklüften?
Was blüht an manchem Strauch?
Was weht in milden Lüften?
Der ew’gen Liebe Hauch.
O Quell, ich muss dir danken,
Genesen will ich hier,
Die seligsten Gedanken
Erfüllen mich bei dir.
Und soll der Leib versinken
In dunkle Grabesnacht,
Vom Wasser will ich trinken,
Das ewig lebend macht.
Der immer wachsenden Zahl der Kurgäste, die sich jetzt durchschnittlich auf 7000 beläuft, entsprechend hat sich Ems im Laufe der Jahre beträchlich ausgedehnt; vornehmlich hat sich in den letzten Jahrzehnten seine Einwohnerzahl so sehr vermehrt, dass kein Ort an der Lahn sich nur entfernt in Beziehung auf Wachstum der Bevölkerung mit ihm vergleichen kann. Und obwohl früher sein Comfort dem Rufe, den es als vornehmes Bad von jeher genoss, vollkommen entsprochen hat, so ist doch in neuerer Zeit durch die Nassauische Regierung und Domanialverwaltung, sowie durch Private Alles geschehen, um nicht nur die hier sprudelnden reichen Heilkräfte einer grösseren Anzahl von Kurgästen zugänglich zu machen, sondern auch Ort und Umgebung mit aller Eleganz und Anmuth auszustatten. So sind [193] der prachtvolle Kursaal und die Colonnade erbaut, die jenseits der Lahn gelegenen reichen Quellen gefasst und nutzbar gemacht, die Anlagen durch die kunstgeübte Hand des Directors Dr. Thelemann aus Biebrich bedeutend erweitert und verschönert worden. Den Verkehr zwischen beiden Ufern des Flusses erleichtern vier zum Theil elegante Brücken, während vor nicht gar langer Zeit nur eine Schiffbrücke vorhanden war; und selbst der Schleussenbau bei Dorfems hat zu der landschaftlichen Verschönerung nicht unwesentlich beigetragen, da durch, ihn die Lahn jetzt als breiter und ruhiger Wasserspiegel , an den Anlagen vorüberfliesst.
Unter den bemerkenswerthen Gebäuden ist zuerst das schlossähnliche herrschaftliche Kurhaus zu nennen, in dessen Erdgeschosse die Trinkquellen Kesselbrunnen, Kränchen und Fürstenbrunnen hervorsprudeln und ausserdem sich eine Reihe von Bädern befindet. Mit demselben verbindet wenigstens äusserlich die neue Colonnade den Kursaal, dessen Hauptsaal, wenn auch nicht durch Grösse, so doch durch seine geschmackvolle und glänzende Ausstattung sich auszeichnet. Auch im oberen Stocke des Gebäudes sind noch einige, besonders für Damen mit allem Comfort ausgestattete Gesellschaftssäle. In dem von den genannten Gebäuden eingeschlossenen Kurgarten befindet sich die Broncebüste eines um Ems sehr verdienten Mannes, des Geh. Rathes Diel, welcher als Brunnenarzt sowie auch als bedeutender Obstzüchter seiner Zeit berühmt gewesen ist. Im Schatten der unteren Allee, dann durch reizende Parkanlagen gelangt man von hier zum Badehaus „zu den vier Thürmen“, dessen Bau laut der Inschrift über der Hauptthüre von „Carl, Freiherrn von Thüngen, Feldmarschall“ schon im Jahre 1696 begonnen worden ist. Doch ist es erst zu Anfang dieses Jahrhunderts vollständig ausgebaut worden. Die in demselben befindlichen 30 Bäder erhalten ihren Bedarf durch eine Dampfmaschine [194] und Röhrenverbindung aus der 2600 Fuss entfernten neuen Quelle auf der linken Seite der Lahn, welche im Jahre 1827 zu erst gefasst worden ist. Ebenso werden die 44 Bäder des im Jahre 1852 neuerbauten Badehauses auf derselben Seite der Lahn von ihr gespeisst. „Der Reichthum aller in den Schacht dieser Gesammtquelle aufsteigenden und sich ergiessenden Quellen ist so bedeutend, dass drei Saugpumpen in sechs Stunden das Wasser für 400 Bäder zu liefern vermögen.“ Wenn man zu dieser enormen Reichhaltigkeit die Quellen auf der anderen Seite der Lahn, welche ausser den Bädern des Kurhauses die des steinernen Hauses, des Armenbades und des neuen, zu „den vier Jahreszeiten“ und dem „europäischen Hof“ gehörigen Badehauses versorgen, noch hinzudenkt, so wird man nicht leicht besorgen, dass auch bei bedeutend gesteigerter Frequenz in Ems einmal Mangel an Badewasser eintreten werde.
Auch in Dorfems begegnen wir einem in architektonischer Beziehung beachtenswerthen Bauwerk; es ist die evangelische Kirche, welche wie die von Lorsch, Hirzenach, Vallendar, Johannisberg, Mittelheim u. a. zu den im Anfang des zwölften Jahrhunderts erbauten rheinischen Kirchen gehört, deren flache Decke von starken Pfeilern getragen wird, und die einen gemeinschaftlichen Typus nicht verläugnen. Ein Brand im Anfang des vorigen Jahrhunderts hat ihr Holzwerk zerstört, daher sie, aus der Ferne gesehen, wegen der Restauration des oberen Thurmtheiles kaum ein so hohes Alter vermuthen lässt. Die katholische Kirche auf dem Spiess entspricht nicht mehr dem Bedürfnisse der Gemeinde, wesshalb in der Nähe des Rath- und Schulhauses schon ein Bauplatz für eine neue in Aussicht genommen ist. Eine dritte, die kleine englische Kirche, steht in den Anlagen. Auch sehenswerthe Sammlungen trifft man in Ems an; eine Mineraliensammlung befindet [195] sich auf der nahen Silberschmelze, ausserdem aber sind die in der Nähe von Ems gefundenen römischen Antiquitäten, welche der Besitzer der „Wilhelmsburg“, Herr Vogelsberger, an sich gebracht hat, und mehr noch dessen reiche, mit vielem Geschmack aufgestellte naturhistorische Sammlung zu erwähnen. Sein Verdienst wird noch erhöht durch die anerkennenswerthe Liberalität, mit welcher er Fremden den Zutritt zu denselben gestattet.
In das bunte Wogen des Kurlebens, welches in der Saisonzeit den vielbesuchten Badeort und dessen nahe Umgebung erfüllt, mischt sich in dieser geognostisch höchst merkwürdigen Gegend auch das lärmende Geräusch grossartiger industrieller Etablissements, welche der an der Emsbach sich herabziehende und durch das Lahnthal setzende reichhaltige Gang von Blei- und Silbererz veranlasst hat. Die schon erwähnten frühe bebauten Bergwerke an der „Pfingstwiese“ im Emsbach-, sowie die „Lindenbach“ im Lahnthal sind in neuerer Zeit durch die Gesellschaft Remy, Hoffmann und Comp. in sehr schwunghaften Betrieb gesetzt, und ihm entsprechend die Vorrichtungen zur Aufbereitung und Verhüttung der Erze zeitgemäss erweitert worden. Eine eigens zu diesem Zweck erbaute Brücke setzt die Bergwerke und Etablissements diesseits und jenseits der Lahn in Verbindung. Sehr sehenswerth ist die in grossartigem Massstabe durch Dampfkraft betriebene Aufbereitung der Erze in den dicht an der Lahn dazu errichteten Gebäuden. Die im Emsbachthal gelegene, eine Viertelstunde von Dorfems entfernte Silberschmelze beschäftigt gegen 1000 Arbeiter. Wöchentlich zweimal hat man Gelegenheit, hier das freilich sehr flüchtig vorübergehende, aber nichtdestoweniger interessante Schauspiel des Silberblicks, der chemischen Scheidung des Blei- und Silbererzes, zu geniessen.
Die Lage von Ems in dem engen, von hohen und [196] steilen Bergen hüben und drüben eingeschlossenen Thale ist höchst romantisch, dabei nicht ohne wohlthuende Abwechselung, den oberen Theil des Ortes begrenzen schroffe Felswände. Die fast beunruhigend über den an ihrem Fusse erbauten Häusern hängen und sich bergaufwärts zu immer höher steigenden Kuppen aufthürmen. Weiter abwärts hat die Kultur den steilen Abhängen Raum für Weinberge abgerungen, welche sich hoch hinaufziehen und mit ihrem frischen Grün freundlich in das Thal herabwinken; jenseits der Lahn sind die etwas vom Flusse zurücktretenden, zum Theil weniger steilen, aber nicht minder hohen Berge meist fast von der Sohle bis zum Gipfel mit frischem Walde bewachsen. Inmitten dieser schützenden Höhen zieht sich das tiefe, schmale Thal hin, vom Silberstreifen der Lahn durchzogen, und mit freundlichen Anlagen so reichlich ausgestattet, dass der ganze langgedehnte Ort in einem Parke zu liegen scheint. Auch die Berge hinauf ziehen sich schattige Spazierwege, die zu anmuthigen, oft idyllisch gelegenen Restaurationslocalen oder zu schönen Aussichtspunkten hinführen. Eine nähere Schilderung der Richtung aller dieser Promenaden müssen wir indessen den Specialführern für Ems überlassen; unserem Zwecke genügt es, die bedeutendsten mit Namen anzuführen und auf landschaftlich besonders schöne Punkte aufmerksam zu machen. Unter den auf der linken Seite der Lahn gelegenen Anlagen ist zuerst der Marienweg zu bemerken, die oberste der Promenaden, von der Bogenbrücke lahnaufwärts am Fusse des Winterbergs hergehend. Etwa auf der halben Höhe des Waldberges, der dem Bade gegenüberliegt, dem Malberg oder Molbertskopf, zieht sich der Henriettenweg her, auf dem sich die Henriettensäule erhebt; unfern derselben liegt das freundliche sog. Schweizerhäuschen. Auf dem Rücken des etwa 600 Fuss hohen Berges befindet sich ein Pavillon und [197] ein von trocknem Mauerwerke aufgerichteter Thurm, von dem man eine reizende Aussicht auf den drunten im Thale im Halbkreise sieh hinziehenden Kurort geniesst. Auf der rechten Seite der Lahn steigt die Bäderley empor. Wenn man den Berg besteigt, so kommt man auf dem Wege nach der Mooshütte und den sieben Köpfen, einzelnen Vorsprüngen des Gebirgkammes, die sich einer hinter dem andern immer höher erheben, an den geognostisch interessanten Heinzelmannshöhlen vorüber, wie Säulenhallen sich an einander reihenden Oeffnungen von einem halben Fuss Höhe, welche sich auf der Streichungslinie des Schiefers in den Berg hineinziehen und durch Verwitterung und Auswaschung in dem mit versteinerten Schalthieren reichlich gefüllten Gestein entstanden sind. Von jedem der sieben Felsenvorsprünge aus hat man einen schönen Blick auf das in der Tiefe liegende Ems. Auf der höchsten Spitze des Bergs erhebt sich der Concordienthurm mit prachtvoller Aussicht das Lahnthal hinab und auf die benachbarten Höhen hin; wendet man das Auge rückwärts, so erblickt man Dausenau in der Tiefe und auf ihrem waldigen Bergkegel die Burg Nassau. Wenn diese Punkte dem Auge eine zwar sehr reizende, aber doch immerhin beschränkte Aussicht bieten, so thut sich auf der eine Stunde von Ems entfernten Kemmenauer Aussicht vor demselben ein ebenso weites, wie anziehendes Panorama auf. Hier begrüssen wir auch zum erstenmale den Rhein, dem wir auf unserer Wanderung uns allmählig genähert haben. Vor uns erblicken wir in der Tiefe das Emsbachthal und in ihm die idyllisch gelegene Kirche von Arzbach, die aus den Wäldern düster hervorschauende Sporkenburg und die Silberschmelze. Weiter links tritt das Lahnthal hervor; aus grösserer Ferne blinken die hellen Mauern der Carthause und des Petersberges bei Coblenz uns entgegen; mehr abwärts [198] zieht der Rhein majestätisch durch das weite Thalbecken Andernach zu; diese Stadt, so wie Neuwied und auf der Anhöhe Schloss Monrepos werden sichtbar; dahinter aber erhebt das Siebengebirge seine kühn aufsteigenden Bergspitzen; wie die erstarrten Wogen eines wilderregten Meeres schaut der gezackte Höhenzug der vulkanischen Eifel herüber; links schliesst der breit gelagerte Hunnsrück sich an; über dem Hügelland nach Süden zu zieht sich in duftiger Ferne die lange Linie des majestätischen Taunus hin, während nach Nordost der blaue Bergrücken des Westerwaldes den weiten Rundblick abschliesst – Den Rückweg von diesem prachtvollen Punkte, dem sich nur wenige am Rhein gelegene vergleichen dürfen, kann man auch über die sog. Versteinerungen antreten, eine Stelle, wo ein bedeutendes Lager von Petrefacten zu Tage steht.
Auch das Emsbachthal, welches wir von der Kemmenauer Höhe überblickt haben, ist eines näheren Besuches werth, zumal die malerisch auf einem waldigen Vorsprung in demselben gelegene Sporkenburg. Von ihrer Geschichte ist übrigens wenig bekannt. Früher den Freiherrn von Helfenstein gehörig, kam sie im Jahre 1500 an Nassau. Zu Anfang des siebenzehnten Jahrhunderts ging sie an die Grafen von Metternich-Winnenberg über, wurde indessen schon im Jahre 1635 von Lameth, dem Commandanten der französischen Truppen in Kurtrier, zerstört. Das weiter oberhalb im Thal gelegene Dorf Arzbach liefert die Krüge, in welchem das Emser Wasser versendet wird.
Auch auf die Höhen zur linken Seite der Lahn lohnt es sich von Ems aus einen Ausflug zu machen. Durch das anmuthige Braunebachthal führt der Weg nach Braubach, auf welchem man, wenn man nach einer Stunde den Rücken des Bergs erreicht hat, zu dem in schönem Hochwalde gelegenen Oberlahnsteiner Forsthaus gelangt. Eine Viertelstunde seitwärts [199] findet man eine Anzahl germanischer Grabhügel. Nicht weiter entfernt ist das frei auf der Höhe gelegene Dorf Frücht, das kein deutscher Reisender, welcher diese Gegend berührt, zu besuchen versäumen sollte. Denn hier befindet sich in einer 1835 in gothischem Style zierlich erbauten Kapelle nahe bei der Kirche die Familiengruft derer von Stein, in welcher auch der grosse Patriot und Staatsmann Heinrich Friedrich Karl von und zum Stein neben Eltern und Gattin bestattet ist. Die Grabschrift auf einer Marmorplatte mit seinem Reliefbilde von Schwanthaler schildert in epigrammatischer Kürze den Charakter des grossen Mannes: „Heinrich Friedrich Karl, Reichsfreiherr von und zum Stein, geboren 27. October 1757, gest. 29. Juli 1831, ruhet hier; der Letzte seines über sieben Jahrhunderte an der Lahn blühenden Rittergeschlechtes; demüthig vor Gott, hochherzig gegen Menschen, der Lüge und des Unrechts Feind, hochbegabt in Pflicht und Treue; unerschütterlich in Acht und Bann, des gebeugten Vaterlandes ungebeugter Sohn, in Kampf und Sieg Deutschlands Mitbefreier.“ „Jch habe Lust abzuscheiden und bei Christo zu sein.“ Auch seine Töchter, die Gräfinnen von Giech und von Kielmannsegge, welche des Vaters edlen, bei ihnen in der umfassendsten Mildthätigkeit sich offenbarenden Sinn geerbt hatten, sind ihm dorthin gefolgt, – Den Rückweg von Frücht kann man durch das sog. Schweizerthal machen, in welchem schöne Felspartien und kleine Wasserfälle uns erfreuen, sowie man auch dorthin über die Promenaden des Malbergs gelangen kann.
Noch einmal zieht das Bild des schönen Kurorts an uns vorüber, wenn wir auf der Eisenbahn durch die reinlichen Anlagen abwärts fahren. Darauf erscheint jenseits der Lahn in anmuthiger Lage Fachbach, dessen Rebenberge einen in neuerer Zeit zu einiger Berühmtheit gelangten Wein hervorbringen. Dann fliegt der Zug [200] dicht an den Häusern und der alten Kirche von Nievern vorüber, unter welchem Orte ein grossartiges Hüttenwerk unsere Aufmerksamkeit auf sich zieht. Es ist die auf einer Lahninsel gelegene Nieverner Hütte, die von ihren jetzigen Besitzern, den Gebrüdern Grysar zu Antwerpen, vor einigen Jahren den Anforderungen der Gegenwart gemäss umgebaut und beträchtlich erweitert worden ist. Das Dörfchen, an welchem wir, immer steile, waldbewachsene Bergwände zur Rechten, sodann vorübereilen, heisst Miellen; dann erscheint an einer starken Bahnkrümmung und an der Ausmündung eines Seitenthälchens, zwischen Baumgruppen halb verborgen, das der Gesellschaft Remy, Hoffmann und Comp. gehörende Ahler Hüttenwerk, und nachdem wir in einer mächtigen Curve unter steilem Schiefergebirg hergefahren sind, erblicken wir jenseits des Flusses das romantisch am Fusse hoher Felsenberge gelegene Hüttenwerk Hohenrhein. Ueber demselben auf einer schroff in das Thal abfallenden Steinwand erhebt sich kühn die Allerheiligenkapelle, ein in der Umgegend berühmter Wallfahrtsort, dessen Lage und Bedeutung uns noch einmal in die wunderselige Zeit der Romantik versetzt. Eine Windung des Thals, und wir erblicken stolz auf einem bebuschten Felsenvorsprung thronend Burg Lahneck, ein Bild, welches im Juli 1774 dem jugendlichen Dichter Göthe auf seiner in Begleitung Lavaters und Basedows ünternommenen „Herz und Sinn erfreuenden Nachenfahrt“ Anlass zu dem Liede gab:
Hoch auf dem alten Thurme steht
Des Helden edler Geist,
Der, wie das Schiff vorübergeht,
Es wohl zu fahren heisst.
„Sieh, diese Senne war so stark,
Dies Herz so fest und wild,
Die Knochen voll von Rittermark,
Der Becher angefüllt;
Mein halbes Leben stürmt’ ich fort,
Verdehnt’ die Hälft’ in Ruh’,
Und du, du Menschenschifflein dort,
Fahr’ immer, immer zu!“
Wohl fahren die ruhig hingleitenden Menschenschifflein noch immer zu, und es eilen dazu die Wagenzüge mit den Hunderten von Menschenkindern sausend vorüber, aber der Geist des Helden erscheint nicht mehr auf seiner Burg, um zu dem Wanderer zu reden; denn Schloss Lahneck ist nun den Lebenden wiedergegeben. Der Engländer Maliorty lässt die weiten und grossartigen Räume der Burg, welche bereits vor dem Jahre 1200 von den Erzbischöfen von Mainz zum Schutze für ihre Besitzungen in Oberlahnstein erbaut worden ist und sich bald durch eine zahlreiche und mächtige Burgmannschaft ritterlichen und gräflichen Geschlechtes auszeichnete, in altem Style wiederherstellen, ein nicht unwürdiges Nachbarschloss des königlichen Stolzenfels, mit welchem es wenigstens hinsichtlich seiner entzückenden Aussicht den Vergleich aushalten kann. Während wir uns aber rasch der Burg genähert haben, unter welcher die Bahn zwischen Fels und Fluss hinführt, haben sich auf dem jenseitigen Ufer die Berge sanft abgeflacht. Nun erscheint das schiffreiche Städtchen Niederlahnstein auf der rechten Seite des Flusses, vor uns zieht noch ziemlich ferne sich eine bewaldete Höhe hin, eine fruchtbare Thalfläche nimmt uns in ihre mit Nussbäumen bepflanzten Fluren auf, von dem grünen Bergrücken herüber grüsst uns ein hellschimmerndes mächtiges Schloss, dann geht der Weg an einer Reihe stattlicher, neuerbauter Häuser hin, und indem wir in den Bahnhof von Oberlahnstein einlaufen, blinkt uns ein breiter, grüner Wasserspiegel entgegen. Reges Leben und Bewegung überall; Dampfschiffe gehen stromauf- und abwärts oder harren zischend der Abfahrt; dicht neben uns in dem trefflichen, geräumigen Hafen [202] liegen Schiff bereit; um die Güter, besonders die reichen Eisen- und Braunsteinschätze, welche die Bahnzüge mit sich bringen, aufzunehmen. Wir sind an der grossen Pulsader deutschen Verkehrs, an dem gepriesenen vaterländischen Rheinstrome angelangt. Etwas abwärts, dort wo die Ruine der Johanniskirche mitten in dieser paradiesischen, reich belebten Gegend einsam trauert, nimmt derselbe die Gewässer der Lahn, die hier vor ihrer Mündung noch einmal eine Brücke trägt, in sein weites Bette auf. Und dort hat auch unsere Wanderung durch wildes Gebirgsland und lachende Thalflächen, durch schroffe Felsenthäler und freundliche Hügelketten, an Städten und Dörfern, Domen und Klöstern, Burgen und Schlössern vorüber, auf welcher der allmählig zunehmende Lahnfluss unser Führer war, ihr Ziel erreicht.
[203]
Seite | Seite | |||
A. | Auel | 131 | ||
Adolphseck | 144 | Aumenau | 103 | |
Ahausen | 86 | |||
Ahler Hüttenwerk | 200 | B. | ||
Albshausen | 73 | |||
Aldersberg | 5 | Badenburg | 47 | |
Allerheiligenkapelle | 200 | Bäderley | 197 | |
Altenberg | 74 | Bäselicher Hof | 110 | |
Altenburg | 11 | Balduinstein | 147 | |
Altenburg | 39 | Banfe | 9 | |
Altendietz | 147 | Beilstein | 72 | |
Altweilnau | 100 | Bellinghausen | 15 | |
Amalienhütte | 13 | Bellnhausen | 37 | |
Amöneburg | 20 | Bergnassau | 178 | |
Ardeck | 140 | Bermershausen | 7 | |
Arfurt | 104 | Bieber | 50 | |
Argenstein | 37 | Biebricher Kopf | 164 | |
Arnstein | 170 | Biedenkopf | 15 | |
Arzbach | 198 | Biskirchen | 85 | |
Atzbach | 53 | Blasiusberg | 130 | |
Audenschmiede | 100 | Braunfels | 78 |
[204]
Seite | Seite | |||
Breitenstein | 14 | Dörsbachthal | 166 | |
Bremberg | 164 | Dorlar | 54 | |
Brunenburg | 164 | Dornburg | 130 | |
Brungershausen | 18 | Dudenhofen | 53 | |
Buchenau | 17 | Dünsberg | 50 | |
Burgschwalbach | 143 | |||
Burgsolms | 77 | E. | ||
C. | Eckelshausen | 17 | ||
Ederkopf | 1 | |||
Caldern | 18 | Ederquelle | 1 | |
Calenbach | 85 | Elmshausen | 18 | |
Catzenellnbogen | 142 | Elz | 128 | |
Charlottenberg | 159 | Emmershauser Hütte | 100 | |
Christianshütte | 109 | Ems (Flüsschen) | 113 | |
Cleebach | 58 | Ems | 187 | |
Clesberg | 130 | Endenberg | 14 | |
Concordienthurm | 197 | Ennericher Tunnel | 111 | |
Eschenau | 109 | |||
D. | Eschhofen | 113 | ||
Eynar | 100 | |||
Dalheimer Kapelle | 73 | |||
Dausenau | 186 | F. | ||
Dautphe | 17 | |||
Dern | 110 | Fachbach | 199 | |
Dernbach | 7 | Fachingen | 146 | |
Dianenburg | 84 | Falkenbach | 102 | |
Dies | 160 | Feldberg | 100 | |
Dietkirchen | 111 | Feudingen | 6 | |
Dietz | 131 | Flacht | 141 | |
Diezhölzquelle | 2 | Frauenberg | 36 | |
Dill | 55 | Freiendietz | 131 | |
Dillquelle | 2 | Freienfels | 99 | |
Dobraplatz | 160 | Friedelhausen | 37 | |
Dörnberg | 160 | Friedensdorf | 17 |
[205]
Seite | Seite | |||
Friedrichshütte | 9 | Hausen (Hof) | 169 | |
Fronhausen | 37 | Hermannstein | 70 | |
Frücht | 199 | Herold | 167 | |
Fürfurter Hof | 102 | Herzberg | 130 | |
Heuchelheim | 53 | |||
G. | Hofen | 109 | ||
Hoheley (bei Nassau) | 184 | |||
Garbenheim | 69 | Hoheley (Steinsberger) | 162 | |
Geilnau | 154 | Hohenrhein | 200 | |
Geilnauer Mineralbrunnen | 153 | Hohensolms | 51 | |
Geisberg | 139 | Hohenstein | 144 | |
Gelbach | 160 | Holenfels | 141 | |
Giessen | 40 | Holerich | 178 | |
Giessener Warte | 68 | Holinde | 12 | |
Gillerskopf | 3 | Holzappel | 156 | |
Gisselberg | 37 | Holzheim | 140 | |
Gladbach | 37 | Hübingen | 160 | |
Glashütte | 6 | Hurbach | 154 | |
Gleiberg | 48 | |||
Götheplatz | 174 | J. | ||
Göttingen | 19 | |||
Gossfelden | 21 | Jammerthal | 167 | |
Gräveneck | 101 | Johanniskirche | 202 | |
Greifenberg | 127 | |||
Greifenstein | 70 | K. | ||
Gretenstein | 105 | |||
Grubenley | 160 | Kalkofen | 169 | |
Grund | 3 | Kalsmunt | 64 | |
Gutenacker | 163 | Kalte Eiche | 1 | |
Kamberger Grund | 113 | |||
H. | Kappel | 36 | ||
Karlshütte | 17 | |||
Hadamar | 128 | Kemmenauer Aussicht | 197 | |
Hahnstätten | 141 | Kerkerbach | 109 | |
Hausen | 152 | Kesselberg | 85 |
[206]
Seite | Seite | |||
Kindelsberg | 3 | M. | ||
Kirberg | 133 | |||
Kirchberger Hof | 38 | Main-Weser-Hütte | 38 | |
Kirchhain | 20 | Malberg | 196 | |
Kirschhofen | 101 | Marbach | 35 | |
Kleingirmes | 54 | Marburg | 23 | |
Kleinlinden | 53 | Margarethenkirche | 171 | |
Kölbe | 20 | Marienhöhe | 161 | |
Königsberg | 51 | Martinshard | 3 | |
Königsstuhl | 54 | Mensfelder Kopf | 127 | |
Kördorf | 166 | Merenberg | 99 | |
Kombach | 17 | Michelbacher Hütte | 144 | |
Kramberg | 164 | Miellen | 200 | |
Kramberger Tunnel | 153 | Möttbachthal | 78 | |
Kreuzkapelle | 127 | Molsberg | 130 | |
Krofdorf | 50 | Mühlbachthal | 184 | |
Mühlen | 113 | |||
Müsener Stahlberg | 3 | |||
L. | ||||
N. | ||||
Laasphe | 10 | |||
Lahneck | 200 | Naunheim | 54 | |
Lahnhof | 2 | Nassau (Stadt) | 177 | |
Langenau | 175 | Nassau (Burg) | 181 | |
Langhecke | 103 | Neuelkernhausen | 101 | |
Launsbach | 39 | Neuschönstätt | 7 | |
Laurenburg | 154 | Neuweilnau | 100 | |
Leun | 84 | Niederhadamar | 128 | |
Limburg | 115 | Niederlahnstein | 201 | |
Löhnberg | 85 | Niedernbiel | 78 | |
Löhnberger Hütte | 85 | Niederneisen | 141 | |
Lollar | 38 | Niederselters | 113 | |
Ludwigshütte | 15 | Niederwalgern | 37 | |
Lumda | 38 | Niederweimar | 37 |
[207]
Seite | Seite | |||
Nievern | 200 | Sassmannshausen | 7 | |
Nieverner Hütte | 200 | Schadeck | 108 | |
Schafsberg | 127 | |||
O. | Schaumburg | 149 | ||
Scheuern | 179 | |||
Oberlahnstein | 201 | Schiffenberg | 46 | |
Oberlahnsteiner Forsthaus | 198 | Schmitten | 100 | |
Obermühle | 50 | Schuppach | 109 | |
Obernbiel | 77 | Selters | 85 | |
Oberneisen | 141 | Siechertshausen | 37 | |
Obernhof | 170 | Siegquelle | 1 | |
Ockershausen | 37 | Silberschmelze | 195 | |
Odenhausen | 37 | Sporkenburg | 198 | |
Odersbach | 101 | Staffel | 130 | |
Ohm | 19 | Steeten | 109 | |
Oranienstein | 137 | Stein (Burg) | 183 | |
Steindorf | 73 | |||
P. | Stephanshügel | 127 | ||
Perfbach | 14 | Sterzhausen | 19 | |
Puderburg | 5 | Stiegelburg | 3 | |
Stockhausen | 85 | |||
R. | Stoppelberg | 69 | ||
Rabenau | 37 | |||
Reifenberg | 100 | T. | ||
Rödchen | 3 | |||
Ronhausen | 37 | Thiergarten (bei Weilburg) | 98 | |
Roth | 37 | |||
Runkel | 106 | U. | ||
Ruppachthal | 162 | |||
Ruttershausen | 38 | Ulmbach | 85 | |
S. | V. | |||
Salzböde | 37 | Vetzberg | 50 | |
Sarnau | 19 | Vilmar | 104 |
[208]
Seite | Seite | |||
Volkholz | 6 | Wettschaft | 19 | |
Volpertshausen | 69 | Wetzbach | 55 | |
Wetzlar | 55 | |||
W. | Wieseck | 46 | ||
Wiesmar | 39 | |||
Waldgirmes | 54 | Wilhelmshütte | 17 | |
Wallau | 15 | Winden | 160 | |
Wehrda | 22 | Windhof | 98 | |
Weidenhausen | 23 | Wittgenstein | 10 | |
Weil | 99 | Wolfgruben | 17 | |
Weilburg | 87 | Wolfshausen | 37 | |
Weilmünster | 100 | Wolfsley | 161 | |
Weinähr | 174 | |||
Weissenstein | 21 | Z. | ||
Welsches Gehäu | 6 | |||
Wenkbach | 37 | Zwei Linden | 113 | |
Westerburg | 130 | Zwester Ohm | 37 | |
Wetter | 19 | Zwölf Säulen | 139 |
- ↑ Gasthöfe: die Krone, der Wittgensteiner Hof.
- ↑ Gasthöfe: der Hirsch (Post), die Krone, Felsenkeller mit schöner Aussicht.
- ↑ Gasthäuser: Ritter, Hôtel Pfeiffer, Bahnhofsrestauration.
- ↑ Gasthöfe: zum Einhorn; zum Rappen; Prinz Karl.
- ↑ Gasthöfe: Herzogliches Haus, Solmser Hof.
- ↑ Gasthäuser: P. Harzheim; Solmser Hof.
- ↑ Gasthäuser: Zur Traube; Deutsches Haus.
- ↑ Gasthäuser: Zum Weinberg; Zum Lahnthal; C. Neuber.
- ↑ Gasthäuser: Preußischer Hof; Hôtel Zimmermann; Deutsches Haus; Alte Krone.
- ↑ Gasthäuser: Hof von Holland; Hôtel Lorenz.
- ↑ Gasthaus: Löwe.
- ↑ Gasthäuser: Krone; Hôtel de Nassau; Anker; Grünewald.
- ↑ Gasthöfe: Englischer Hof; Kurhaus; Vier Jahreszeiten; Europäischer Hof; Russischer Hof; Darmstädter Hof; Hôtel de Gutenberg; Hôtel de Flandre; Goldene Traube; Bairischer Hof; Hôtel Reuter; Hôtel de France; Weilburger Hof; Stadt Strassburg; Hôtel Sporkenburg; Krone; Stadt Altenburg.