ADB:Treitschke, Heinrich von
*): Heinrich Gotthard von T., der Geschichtschreiber der Deutschen zur Zeit Bismarck’s, geboren zu Dresden am 15. September 1834, † zu Berlin am 28. April 1896, war der Sproß einer böhmischen Familie, die bald nach der Schlacht am weißen Berge, weil sie sich in ihrem evangelischen Glauben bedrängt sah, die Heimath verließ und nach Kursachsen auswanderte. Der Name lautete früher Treschky und ist eines Stammes mit dem aus Schiller’s „Wallenstein“ bekannten Familiennamen Terzky. In den beiden bis zur Geburt Treitschke’s verflossenen Jahrhunderten war das Geschlecht längst gut deutsch und insbesondere gut sächsisch geworden, was nicht ausschließt, daß sich in seinem größten Sohne hin und wieder tschechische Züge zeigen. T. selbst nennt die Tschechen des öfteren den genialsten der slavischen Stämme, und man wird kaum fehl gehen, wenn man in dieser wohlwollenden Wendung die Stimme des Bluts erkennt. Im wesentlichen hat T. sich jedoch [264] als Sprößling des geistesmächtigen obersächsischen Stammes gefühlt und damit auch ohne Frage das Richtige getroffen. Ein Großoheim von ihm war Hofdichter am Wiener Burgtheater und ein Freund Beethoven’s, dem er den Text zum „Fidelio“ schrieb. Der Großvater Treitschke’s starb 1804 als Hof- und Justizrath in Dresden. Seine Söhne wurden am 25. Juli 1821 durch König Friedrich August von Sachsen in den Adelstand erhoben. Der eine dieser Söhne, Eduard Heinrich[WS 1], geboren 1796, der Vater Treitschke’s, war bei der Geburt dieses seines Sohnes Husarenlieutenant. Er war seit dem 23. Mai 1832 mit Marie v. Oppen (geboren 1810) verheirathet, der Tochter eines kgl. sächsischen Cavalleriemajors und entfernten Verwandten des aus den Befreiungskriegen rühmlichst bekannten preußischen Reiterführers dieses Namens, die zu ihren Ahnen auch Franz v. Sickingen zählte. Der Vater war eine sonnige Natur mit regen litterarischen Interessen, die Mutter trübe veranlagt, aber auch nicht ohne schöngeistige Neigungen. Sie schwärmte für den Dichter des Heimathslands ihrer Familie, der Mark, für Willibald Alexis, und flößte wohl ihrem Sohne die Zuneigung für diesen Poeten ein, die sich noch in seinem letzten Geschichtswerke stark äußerte. Sie lenkte den Knaben auch zuerst auf den Dichter, der einer seiner Lieblinge wurde, auf Heinrich v. Kleist, indem sie ihm vom „Käthchen von Heilbronn“ erzählte, mit dem sich für sie glückliche Erinnerungen verknüpften. Das Geburtshaus Treitschke’s steht in der Weißen Gasse. Er hatte noch eine ältere und eine jüngere Schwester, und im J. 1845 wurde ihm auch noch ein Bruder, Rainer, geboren.
TreitschkeT. genoß zuerst häuslichen Unterricht. Zu Ostern 1842 kam er auf die Kaden’sche Privatknabenschule in der Neustadt am Markt. Bald darauf befielen ihn die Spitzpocken, im November 1842 die Masern, zu denen sich eine Drüsenentzündung gesellte. Die Drüsenschwellung trat nicht mehr zurück und verengte ihm den eustachischen Gehörgang. Die sich daraus ergebende Schwerhörigkeit wurde dem überaus lebhaften Knaben anfangs als Zerstreutheit ausgelegt. Zu spät suchte man Abhülfe zu schaffen. Das Gehörübel wurde das große Leiden seines Lebens. Der Schmerz darüber klingt auch wohl aus einem Worte in seinem „Heinrich v. Kleist“ hervor: „Wie viele flattern dahin ihr Leben lang, wie mit gelähmter Schwinge, weil ein Körpergebrechen, ein alberner Zufall sie ausschließt von dem Wirkungskreise, in dem sie ihr Höchstes, ihr Eigenstes leisten konnten.“ Er träumte wohl in seiner Jugend ein großer Held zu werden. Nichts ging dem Kinde über die Erzählungen vom alten Blücher, unter dem sein Vater einst gestanden hatte. In einen alten Mantel gehüllt, seinen „Blüchermantel“, pflegte er seinen Geschwistern mit kräftigem Pathos von Kämpfen und Schlachten und von den Kugeln, die ihm den Mantel durchlöchert, zu erzählen. Seit 1844 lernte er Griechisch. Dies wurde seine Lieblingssprache. Nichts kam der Begeisterung gleich, mit der er sich später in den Homer versenkte. Da saß er, wie er oft erzählt hat, an schönen Sommernachmittagen am offenen Fenster und las unaufhörlich, bis die Sonne hinter der Kuppel der Frauenkirche verschwand, in den Heldendichtungen des hellenischen Sängers. Am 8. April 1846 kam er in die Untertertia der altberühmten Kreuzschule, eines fünfclassigen Gymnasiums, auf dem u. a. auch Theodor Körner und Richard Wagner ihre Schulbildung empfingen. Dort freundete er sich mit dem um drei Jahre älteren Alfred Gutschmid, dem späteren berühmten Orientalisten, an. Die Ereignisse des Jahres 1848 berührten den damals das 14. Lebensjahr vollendenden Knaben stark. Die Abwesenheit seines zu jener Zeit meist in Schleswig-Holstein weilenden Vaters, der inzwischen Oberstlieutenant geworden war, begünstigte eine selbständige Entwicklung in ihm. Er wandte sich zum Entsetzen seiner Familie [265] geradezu republikanischen Anschauungen zu. „Eigentlich ist es Unsinn, daß Könige sind“, schrieb er seinem Vater. Doch war dies eine vorübergehende Wallung. Schon am Jahresschluß gab er zu, daß er Unrecht gehabt habe. Aber die freiheitlichere Richtung verleugnete er doch seitdem nicht. Der Geist, der sich in ihm entwickelte, stand sehr im Gegensatz zu dem in seiner Familie herrschenden Geiste. Zu seinem damals die Leitung der Kreuzschule übernehmenden Rector, dem feinsinnigen Dr. Klee, einem Germanisten, der Goethes Werke für das Grimm’sche Wörterbuch ausgezogen, und den Jacob Grimm für seinen fleißigsten und einsichtigsten Mitarbeiter erklärt hat, fühlte T. sich zunächst wegen dessen liberaler Richtung hingezogen. In der Folge bildete sich zwischen Lehrer und Schüler ein überaus anziehendes näheres Verhältniß heraus. Man wird wohl nicht fehlgehen, wenn man annimmt, daß Klee dazu beigetragen hat, jenes tiefe Verständniß für Goethe, das aus allen Schriften Treitschke’s so auffällig hervorleuchtet, in seinem Schüler zu entwickeln. Sinn für Geschichte scheint in T. unter seinen Lehrern zuerst der Historiker Helbig geweckt zu haben.
Mit leidenschaftlichem Interesse verfolgte T. die Verhandlungen der Paulskirche. Er war ganz auf Seiten der erbkaiserlichen Partei und schwärmte für Dahlmann und Heinrich v. Gagern. Dabei bewies er, wie viele seiner Briefe aus jener Zeit zeigen, großes Verständniß für die politischen Begebenheiten. Unmuthig betrachtete er die Entwicklung des Radowitz’schen Unionswerkes. Das Verhalten seines Heimathlandes in dieser Sache geißelte er gelegentlich in einem Briefe an den Vater mit den Worten: „Kleinlich aber und erbärmlich ist es, daß Sachsen wartet und wartet, bis die Entscheidung kommt, um dann die Segel nach dem Winde zu hängen und demüthig sich an die siegende Partei anzuschließen.“ Zugleich war er ein überaus fleißiger Schüler, der mit schonungsloser Anstrengung arbeitete. Mit sechzehn Jahren war er fertig mit seiner Ausbildung auf dem Gymnasium. Seine Eltern und Klee beschlossen aber zu seinem Verdrusse, daß er zu seiner Erholung noch ein halbes Jahr länger auf der Schule bleiben solle. In dieser Zeit hielt er (im November 1850) einen Vortrag über die Politik Oesterreichs und Preußens am Ende des 18. Jahrhunderts, in dem er leidenschaftlich für die Einigung Deutschlands unter Preußens Führung eintrat. Das war, wie es scheint, der Vortrag Treitschke’s, dem der Minister v. Beust beiwohnte und der diesem die Person des Vortragenden für immer einprägte. Die Abgangsprüfung bestand T. glänzend. Am 14. April 1851 fand die Feier statt, die seinen Abschied von der Kreuzschule bedeutete. Bei jener Gelegenheit trug er als primus omnium ein selbstverfaßtes Gedicht vor, in dem er den Heldenkampf der untergehenden Dithmarschen feierte, mit dem ergreifenden Ausklang: „Wir bringen’s doch zum Ende, wir kommen doch zum Ziel“, aus dem man deutlich den Protest gegen die trübe Politik der Olmützer Jahre heraushört. Den tiefsten Eindruck hinterließ Treitschke’s feuriger Vortrag bei seinem um drei Jahre jüngeren Mitschüler Franz Overbeck[WS 2]. Klee schenkte ihm zum Abschied Niebuhr’s „Lebensnachrichten“ mit den Worten, daraus würde er besser als aus langen Ermahnungen lernen, wie der Gelehrte sein Leben einzurichten habe. Und in der That fühlte sich der junge Abiturient durch das Buch „mächtig in seinem Gewissen gepackt, emporgehoben aus der Welt der Gemeinheit in die reine Luft wissenschaftlicher Arbeit und patriotischer Selbstverleugnung“. Niebuhr wurde hinfort einer seiner Lieblingsschriftsteller.
T. ging zunächst nach Bonn. Am 30. April 1851 wurde er dort als stud hist. et cam. immatrikulirt. In Bonn traf er wieder mit seinem Freunde Gutschmid zusammen, der bereits drei Jahre studirte. Außerdem fand er dort [266] Anschluß an das Haus von Clemens Perthes, dem Freunde Roon’s. Wichtig wurde es für ihn, als er sich im zweiten Semester zum Eintritt in die Burschenschaft Frankonia entschloß. Gutschmid folgte ihm dahin nicht. Dafür fand er dort andere Freunde, die Gebrüder Rudolf[WS 3] und Wilhelm Nokk[WS 4] aus Baden, den späteren bekannten Chemiker Alphons Oppenheim und viele Andere, die ihm lebenslänglich verbunden blieben. Er war ein fröhlicher Bursch, der u. a. seine Sangesfreudigkeit in einigen, von seiner Burschenschaft aufbewahrten Studentenliedern bekundete. Auch sein drittes Semester verbrachte er in Bonn. Von seinen Lehrern fesselte ihn besonders Dahlmann, dem er trotz seiner zunehmenden Schwerhörigkeit meist folgen konnte. Er hörte bei ihm „skandinavische Geschichte“, „Politik“ und „Deutsche Geschichte von Karl V. bis auf die neueste Zeit“. Die charaktervolle Persönlichkeit Dahlmann’s grub sich tief in seine Seele ein. In seinen späteren Vorlesungen pflegte er seiner oft und immer mit einer gewissen Bewegung zu gedenken. Wissenschaftlich förderte er sich jedoch am meisten durch häusliche Arbeit. In Bonn bestärkte er sich außerdem sehr in seiner preußischen Gesinnung.
Das mochte sein Vater fühlen, der wünschte, daß sein Sohn seinem engeren Vaterlande erhalten bliebe, und darum verlangte, daß dieser seine Studien in Leipzig fortsetzte. T. hatte den Zauber des rheinischen Lebens tief empfunden. Er hat dem später des öfteren in schönen Worten Ausdruck verliehen, so gelegentlich der Schilderung der Persönlichkeit Dahlmann’s. Daher wurde ihm der Abschied von Bonn außerordentlich schwer. Aber er gehorchte. Am 23. October 1852 wurde er in Leipzig immatrikulirt, jetzt nur als Student der Cameralwissenschaften, während er in Bonn vorwiegend Geschichte studirt hatte. Er belegte bei Roscher „praktische Nationalökonomie“, bei Bülau „Polizeiwissenschaften“ und bei Biedermann „allgemeines Staatsrecht“ und „Staats- und Culturgeschichte im 19. Jahrhundert“. Doch stellte es sich heraus, daß er jetzt nicht mehr den Vorlesungen folgen konnte. Von Einfluß wurde der Jurist Albrecht auf ihn, obwohl er auch dessen Vortrag nicht verstand. Wenigstens konnte er noch Musik hören. Er erfreute sich an den Concerten im Gewandhause und begeisterte sich für Beethoven, mit dem ihn eine innere Verwandtschaft im höchsten Sinne verband. Hat man T. doch später einen Beethoven des Wortes nennen dürfen. Gleichzeitig beschäftigte er sich eingehender mit dichterischen Versuchen, von denen er bereits in Bonn einige Simrock zur Prüfung vorgelegt hatte. Simrock hatte viel „Vollblut“ darin gefunden und ihn ermuntert, die Versuche fortzusetzen. Jetzt machte sich T. an eine Verherrlichung des Sängerkönigthums der Grafen von Rappoltstein im Elsaß. Doch blieb die Dichtung schließlich liegen. Eine Erfrischung bedeutete für ihn ein Besuch in Berlin um Ostern 1853. „Da habe ich denn in acht Tagen mehr gedacht und gelebt, als im ganzen Semester vorher“, schrieb er darüber. Bewunderung weckte in ihm der betende Jüngling im Antikencabinet, „der mir zuerst klar gemacht, wie die Form so herrlich sein kann, daß man sie ganz vergißt und nur den Geist sieht“. Zu Pfingsten besuchte er mit Gutschmid Herrnhut, wo er sich mit den Empfindungen des Freigeistes herumbewegte. „Ich fühlte da eine stille Größe, zu der ich nicht hinaufreiche, nicht hinaufzudenken wage, und die ich doch als einen überwundenen Standpunkt betrachten kann.“ Während des Sommers beschäftigte ihn wieder ein dichterischer Vorwurf, ein Drama „Anno von Köln“, das aber ebenfalls unausgeführt blieb. Im Gedanken an diesen seinen Jugendplan las er noch kurz vor seinem Lebensende, im April 1896, Wildenbruch’s „Heinrich IV.“ mit innerer Erregung.
Als das zweite Semester in Leipzig um war; trieb ihn die Sehnsucht [267] wieder nach Bonn. Dort erlebte er voller Freude die Erwerbung des Jadebusens durch Preußen. „Endlich einmal“, so schrieb er, „ein kräftiger Schritt Preußens, endlich einmal ein Versuch, die alte Schmach auszulöschen, welche die erste seefahrende Nation der Welt dem Meere entfremdet hat“. In jener Zeit hat er auch die Schrift des Publicisten Rochau „Realpolitik“ kennen gelernt, die nach seinem Wort „wie ein Blitzstrahl in die besseren Köpfe der Jugend einschlug“. Es war wohl der geistreiche Diplomat Heinrich v. Arnim, durch den er darauf hingelenkt wurde. „Die scharfen, knappen, klaren Sätze dieses Buches“ lehrten ihn „mit unwiderstehlicher Beredsamkeit“, daß der Staat Macht sei. An dieser Auffassung hielt er fortan fest. In seinem rastlosen Streben nach wissenschaftlicher Vertiefung empfand er jetzt in Bonn unliebsam den Mangel einer guten Bibliothek. Er entschloss sich daher im Sommer 1854 nach Tübingen zu gehen, wo er alsbald in Arbeiten vergraben war. Er studirte damals besonders Roscher’s „Grundlagen der Nationalökonomie“, ein „herrliches Buch“, wie er sagte. Als die Bibliothek im September geschlossen wurde, ging er nach Freiburg i. Br., um dort seine inzwischen in Angriff genommene Doctordissertation abzuschließen. In Freiburg hielt er sich zwei Monate auf. Die Dissertation handelte von der „Productivität der Arbeit“. Lästig war es ihm, sie ins Lateinische übersetzen zu müssen. Sie führte schließlich den Titel: „Quibusnam operis vera conficiantur bona“. Er schickte das Manuscript an die philosophische Facultät in Leipzig und wandte sich nach Heidelberg, wo er sich wieder immatrikulieren ließ und wo ihm Kießelbach für seine nationalökonomischen Studien förderlich wurde. Allerdngs erfüllte er sich nicht mit besonderem Respect vor diesem Docenten. Daneben fand er dort angenehmen Freundesverkehr. Unter dem 20. November 1854 wurde ihm sein Doctordiplom ausgestellt. Seine Dissertation blieb ungedruckt.
Bald darauf wurde er in studentische Händel verwickelt. Sie führten im Januar 1855 zu einem Pistolenduell, das unblutig verlief, ihm aber acht Tage Carcer einbrachte. „Ich habe von vornherein mit dem Bewußtsein gehandelt, daß ich moralisch verpflichtet war, in diesem Falle die Gesetze zu übertreten“, schrieb T. darüber. Gleichzeitig fuhr er eifrig fort zu dichten und sandte Proben seiner Muse an Robert Prutz, der ihm nach einiger Zeit ebenfalls Muth machte, in seinen Versuchen fortzufahren. Seine Schwerhörigkeit war inzwischen so vorgeschritten, daß schon damals oft nur unter Zuhülfenahme von Bleistift und Papier eine Verständigung möglich wurde. Am 3. März 1855 in Heidelberg exmatrikuliert, ging er nunmehr ein halbes Jahr in seine Vaterstadt, noch im Unklaren mit sich, welchen Beruf er einschlagen sollte. Es verwundete ihn tief, als ein hochmüthiges Mitglied des sächsischen Adels ihn auf die Stallcarriere wies, die er noch ergreifen könnte, zumal da er ein so vortrefflicher Reiter wäre. Mit Leidenschaft versenkte er sich in die Lectüre aller möglichen Schriften. So las er Leo’s „herrliche Vorlesungen“ über die Geschichte des jüdischen Staates, Freytag’s „Soll und Haben“, Hebbel, Otto Ludwig. Die Dresdener Bibliothek genügte ihm wieder nicht, und so entschloß er sich, dem Rufe seines Heidelberger Bekannten Ludwig Aegidi[WS 5] zu folgen und nach Göttingen zu gehen.
Die anderthalb Jahre, die er in Göttingen in rastloser Arbeit verbrachte, wurden für seine Entwicklung bestimmend. Er begann ernstlich an die Abfassung einer Schrift zu gehen, mit der er sich zu habilitiren gedachte. Die Grundlage dafür wurde die Politik des Aristoteles, die er schon als Gymnasiast studirt hatte. Außerdem versenkte er sich in Machiavell, ebenso mit Erquickung in Stahl’s Christliche Staatslehre, von der er sagte: „Die Darstellung [268] ist so klar, der Scharfsinn so glänzend, daß ich nur bedauern kann, wie so viel Talent verschwendet wird für die unsinnigste aller Staatslehren, die Vermischung von Theologie und Politik.“ Mit Begeisterung machte er die Bekanntschaft von Mommsen’s Römischer Geschichte, „ein Buch, das ich unbedingt für das beste Geschichtswerk in deutscher Sprache halte“. Biographien wurden seine Lieblingslectüre. Daneben lieferte er Arbeiten für Bluntschli’s Staatswörterbuch über die Civilliste, Domänen und Gemeinheitstheilung. Zwischendurch hatte er mit seinem Vater eine Auseinandersetzung über seine religiöse Stellung. Der Vater, der mittlerweile zum General und Gouverneur von Dresden aufgerückt war, bemerkte zu seiner Betrübniß, daß sein Sohn skeptischen Anschauungen zuneigte. Noch bewahrten die beiden bei dieser Auseinandersetzung Zurückhaltung. Da der Vater nur wenig Vermögen besaß, so verfügte der junge Doctor in Göttingen auch nur über geringe Geldmittel. Er gewährte es sich infolge dessen nicht, seine Wohnung hinreichend zu heizen, und zog sich so eine Ohrenentzündung zu, die sein Gehörleiden erheblich verschlimmerte. Dies ließ oft niederdrückende Stimmungen in ihm aufkommen. Sie klingen in dem ergreifenden Gedicht „Krankenträume“ wieder, das die Entstehung seines Leidens und die Qualen, die ihm dadurch erwuchsen, schildert: „Zum Riesen wuchs der lang bekämpfte Gram, und frech und lästernd flucht’ ich meinem Gotte“. Der schleichende Schmerz, der sich langsam groß an seinem Blute saugt und Gift in jede Freude haucht, zermürbt ihm das Herz. „Wenn du dann hilflos stehst, ein armer Tauber?“ Er sieht sich als „Bettlerfremdling in dem Reich der Töne“. Tapfer aber überwindet er sich: „Nein, nein, ich will den harten Kampf bestehen.“ Eine innere Stimme sagt ihm: „Du nahst der Welt mit einer Welt von Liebe: – Dein Zauber ist das muthig freie Herz – Wär’s möglich, daß sie dir verschlossen bliebe? Nein, hören wirst du, was nicht Einer hört, im Menschenbusen die geheimsten Töne. Verstehen wirst du, was den Blick verstört, und was die Wangen färbt mit heller Schöne. Und schaffen sollst du, wie der Beste schafft. Des Muthes Flammentröstung sollst du singen, in kranke Herzen singen junge Kraft.“ Es war nur natürlich, daß er im Gefühl seiner Begabung sich entschloß, seine Gedichte dem Druck zu übergeben. So vereinbarte er im Februar 1856 mit Wigand in Göttingen einen Vertrag wegen des Verlages eines Bändchens „Vaterländischer Gedichte“, das dann bald erschien und guten Absatz fand. Das bewog ihn, im Jahre darauf ein zweites Bändchen, „Studien“, bei Hirzel in Leipzig erscheinen zu lassen, das weniger beachtet wurde. Es ist üblich geworden, über diese Gedichte abzusprechen, aber wohl doch mit Unrecht. Neuerdings hat ein Litterarhistoriker, Harry Maync[WS 6], Treitschke’s dichterische Begabung wiederholt gebührend gewürdigt. Maync urtheilt, daß T. als Dichter durchaus ernst zu nehmen sei. Am meisten Verwandtschaft zeigt er mit Uhland. Aber auch mit Liliencron berührt er sich, ebenso mit C. F. Meyer. Die glühend leidenschaftliche Empfindung für sein Vaterland gibt den „Vaterländischen Gedichten“ ihr Gepräge. In ihnen spricht sich vor allem die Sehnsucht nach der vergangenen deutschen Herrlichkeit aus, dem Glanz der Hansa, dem Unternehmergeist der Welser (Ambrosius Dalfinger), dem Freiheitssinn der Dithmarschen, der „Schweizer der Ebene“, wie er sie nannte, und ebenso der Stedinger. Man erkennt, wie er unter den Eindrücken der damaligen trüben Zeit seelisch litt. Später hat er von dem „verstimmten Doctrinarismus“ jener Jahre gesprochen, der ihm „das Dasein verdüstert“ hätte. Aber er ließ sich nicht von der dumpfen Stimmung bezwingen. Am Schluß der „Vaterländischen Gedichte“ rief er hoffnungsvoll seinem Freunde Wilhelm Nokk zu:
[269] Sie kommen noch, die goldnen Tage,
Die wir in Zorn und Gram ersehnt,
Wo nur wie eine finstre Sage
Die Mär der deutschen Schande tönt.
Auch in den „Studien“ erklingen vaterländische Töne. Einige Gedichte darin sind ganz im Tone des Volksliedes, so „Schön’ Kathrin“. Auch „Die Pest“ (in London), „Lucrezia“, „Die Strafe“, „Die Amme“, das schon genannte Gedicht „Krankenträume“ sind beachtenswerthe Proben dichterischer Begabung.
In dieser Zeit wandte er sich auch wieder dramatischen Entwürfen zu. Ein Drama „Sampiero“ wurde im Prosaentwurf fertig. Es sollte einen Stoff aus dem Mittelalter Corsicas behandeln. Die Geschichte des corsischen Helden Sampiero, der sein geliebtes Weib tödtete, weil sie, um ihre Kinder zu retten, Verrath am Vaterlande begangen hatte, übte auf T., wie er im J. 1866 gestand, stets einen dämonischen Reiz aus, „weil ich ähnliche Gemüthsbewegungen erlebt habe“. Man sieht, die Rücksicht auf das Vaterland läßt bei ihm früh jedes andere noch so berechtigte Gefühl zurücktreten. Aber auch dieses Drama blieb liegen. Bald fesselte ihn ein neuer mächtiger Vorwurf. Er gedachte das Schicksal des Hochmeisters Heinrich von Plauen in einem Trauerspiel zu behandeln und ging mit ganzer Kraft daran. „Die Stunden, die ich unter seinen werdenden Gestalten zubringe, sind glücklich und lassen mir nicht Raum zu irgend einem andern Wunsche“, schrieb er darüber. Ganze Acte erhielten ihre poetische Form. Im März 1857 hoffte er, das Manuscript im Herbst der Dresdener Bühne zuschicken zu können. Aber auch diese Dichtung blieb unvollendet. T. bekam die materiellen Sorgen steigend zu fühlen. In dieser Lage dachte er daran, Redacteur zu werden. Er schrieb Zeitungsartikel, einen der ersten für die „Vossische Zeitung“. Durch Vermittlung Aegidi’s war er schon 1856 in Unterhandlungen wegen Uebernahme der Redaction des „Nürnberger Correspondenten“ getreten, die sich aber zerschlugen. Im Frühjahr 1857 bot sich ihm neue Gelegenheit, mit einem Gehalt von 800 Thalern Redacteur der „Danziger Handelszeitung“ zu werden. Dies lehnte er zwar ab. Dafür war er geneigt, die Redaction des „Preußischen Wochenblatts“ zu übernehmen. Die ihm gestellten Bedingungen waren günstig. Er verhandelte, auf Einladung des Geheimraths v. Gruner, in Berlin mit dem damaligen Redacteur Dr. v. Jasmund und dem bekannten liberalen Politiker Geheimrath Mathis. Die Verhandlungen scheiterten aber an seiner Schwerhörigkeit. Sein Vater und Klee wollten überhaupt nichts davon wissen, daß er unter die Tagesschriftsteller ginge. Klee drängte ihn, sich zu habilitiren. Der Wunsch, sich als akademischer Lehrer zu bethätigen, regte sich denn auch wieder stark in ihm. Zuweilen erfaßte ihn die Sehnsucht nach dem Katheder, „wo endlich das lebendige Wort an die Stelle des ewigen Lesens tritt“, fast unwiderstehlich. Aber auch für die Docententhätigkeit galt sein körperliches Leiden als Hinderniß. Doch begann er sich wieder seiner Habilitationsschrift zuzuwenden. Noch schrieb er für die Burschenschaft der Hannoveraner, bei der er in Göttingen verkehrte, einen Schwank, der, ein erstes Zeichen des Treitschke’schen Humors, schilderte, wie sich zwei Philologen wegen des Problems verfeindeten, ob der Fisch, der den Ring des Polykrates verschluckte, ein Hecht oder ein Häring gewesen sei. Dann brach er endgültig mit dem Gedanken, ein Dichter zu werden, und ging, getrieben von innerer Unruhe, sich selbständig zu machen, noch im Frühjahr 1857 von Göttingen nach Leipzig.
In Leipzig gewann er Fühlung mit Roscher und arbeitete fleißig weiter [270] an seiner Habilitationsschrift. Während dessen knüpfte er eine folgenreiche Beziehung. Durch den Philologen Hermann Sauppe in Göttingen war Rudolf Haym, der damals die Gründung der „Preußischen Jahrbücher“ vorbereitete, auf T. hingelenkt worden. Sauppe meinte, T. sei vor allen Anderen berufen, als Mitarbeiter an dem neuen Organ zu wirken, er stehe für ihn ein. Haym suchte nun T. in seiner dürftigen Behausung in Leipzig auf. Ein ärmlich bestandenes Bücherbrett machte die „Bibliothek“ des angehenden Privatdocenten aus. Es verstand sich von selbst, daß T. mit Freuden die Bitte Haym’s zu erfüllen versprach. Im Frühjahr 1858 erschien denn auch, durch Gneist angeregt, in den „Jahrbüchern“ sein Aufsatz: „Ueber die Grundlagen der englischen Freiheit“, der Aufsehen erregte und zu Treitschke’s Stolz vielfach als eine Arbeit Mommsen’s galt. Inzwischen war er mit seiner Habilitationsschrift fertig geworden. Sie führte den Titel: „Die Gesellschaftswissenschaft“. Am 8. September 1858 überreichte er sie dem Decan der Leipziger philosophischen Facultät. Gewidmet war sie seinem Vater. Im November willigte das Ministerium in seine Habilitation. Auf Roscher’s Fürsprache wurde ihm das übliche Colloquium erlassen. Am 10. December 1858 hielt er seine Probevorlesung: „Ueber den Charakter der Hauptvölker Europas in Bezug auf ihr Verhältniß zum Staate“.
Das Thema beider Arbeiten weist in das Centrum der Treitschke’schen Gedankenwelt. Der Treitschke, dessen Lebensziel auf eine fundamentale Behandlung der Wissenschaft von der Politik ausging, zeigt sich hier in nuce. In enger Fühlung mit der Nationalökonomie stehend, geht er doch seinen eigenen Weg. „Die Gesellschaftswissenschaft“, die 1859 bei Hirzel erschien, war im Grunde eine Streitschrift. Der Verfasser wollte nachweisen, daß es eine selbständige Gesellschaftswissenschaft nicht geben könne, weil die Gesellschaft nicht vom Staate losgelöst zu denken sei, und griff deswegen Robert Mohl und W. H. Riehl, die Vertreter dieses Wissenszweiges, an. Mohl, dem er sein Buch schickte, nahm es ungemein liebenswürdig auf, pflichtete seinen Ausführungen bei und sagte ihm eine glänzende Zukunft voraus. Weniger günstig mag Riehl über die Schrift gedacht haben, der allerdings schärfer mitgenommen war. Wenn Roscher der Arbeit nachsagte, ihr ermangele es an logischem Aufbau, so trifft das zu. Immerhin offenbarte sich in ihr, daß T. ein Denker war, der tief zu graben verstand und der über eine umfassende Gelehrsamkeit verfügte. Neben dem Einflusse des Aristoteles, aus dem er einige Stellen citirte, die er immer wieder angeführt hat, und ebenso dem Einflusse von Stahl und Macchiavell verräth sich auch bereits der Einfluß Tocqueville’s.
In derselben Zeit, in der er seine wissenschaftliche Hauptneigung aufdeckte, enthüllte T. aber auch eine andere Ader seines Wesens. In seinem glänzenden Essay „Heinrich v. Kleist“ zeigte er seine hervorragende Begabung zum Litterarhistoriker. In dem Essay zittert der schwere Entschluß, den es ihn gekostet hat, auf die Dichterlaufbahn zu verzichten, noch nach. Spricht er doch darin von dem Gebot des Lebens: „Du sollst einen Theil deiner Gaben ruhen, verkümmern lassen“, und meint, daß der Gedankenlose die Härte dieses Gebots gar nicht fühle. An den Entschluß gemahnt auch eine andere, wieder muthiger klingende Wendung, die T. noch oft gebraucht hat, das Citat aus Schiller: „Den Schriftsteller überhüpfe die Nachwelt, der nicht größer war als seine Werke.“ In Kleist sieht T. „das gewaltigste der partiellen Genies in der deutschen Dichtung – die Begabung jener tief unglücklichen Geister, welche dann und wann in seligen Augenblicken mit der Kraft des Genius das Classische, das Ewige schaffen, um alsbald ermattet zurückzusinken und sich zu [271] verzehren in heißer Sehnsucht nach dem Ideale“. An dem unglücklichen Dichter fesselte ihn, wie naheliegt, das Preußenthum, die glühende Vaterlandsliebe und das „männische“ Wesen. Wenn er im Gedanken an Kleist ausrief: „Wer kennt nicht eine jener einsiedlerischen Naturen, die in tiefer Stille mit der ganzen Macht ihrer unzerstreuten Leidenschaft alle Zuckungen der vaterländischen Geschichte mit empfinden?“, dann fühlen wir, daß er selbst sich zu jenen einsiedlerischen Naturen rechnet. Mit besonderer Liebe verweilte er beim „Prinzen vom Homburg“, „diesem schönsten Werke deutscher Soldatendichtung“. Die Devise darin: „In Staub mit allen Feinden Brandenburgs!“, war auch seine Devise.
Am 13. Januar 1859 erhielt T. die venia legendi. Acht Tage darauf begann er seine Vorlesung, ein Publicum: „Deutsche Verfassungsgeschichte seit dem Westfälischen Frieden“. Zur selben Zeit empfing er einen Brief seines Vaters, der zeigt, daß die Beiden sich entfremdeten. Der General sprach die Erwartung aus, daß „der Herr Sohn“ nichts der Regierung Schädliches sage. Wo nicht, so würde er damit zeigen, daß „die Verfolgung seiner Pläne und Chimären ihm über den Beifall seines Vaters gehe, er würde sich von diesem losgesagt und daher auch nichts mehr von ihm zu erwarten haben“. T. antwortete mit Festigkeit, er habe als akademischer Lehrer die Pflicht, nichts anderes zu lehren als seine wissenschaftliche Ueberzeugung. Er fand zwanzig Zuhörer. Eine Vorlesung über Nationalökonomie an der landwirthschaftlichen Akademie zu Lützschena brachte ihm eine Einnahme von 300 Thlrn. Im Sommer 1859 las er ein zweistündiges Publicum: „Geschichte der politischen Theorien“, im Winter 1859/60 wieder ein Publicum: „Vergleichende Geschichte Englands und Frankreichs“, das stark besucht wurde. Im Sommer 1860 las er über die „Geschichte des preußischen Staates“ und fand dafür 80 Beleger und noch viel mehr Hörer. Es war ein Colleg, das auf sächsischem Boden unerhört war. Er kam bis zum Tode Friedrich’s des Großen. Im darauffolgenden Wintersemester las er „Geschichte Deutschlands seit den Wiener Verträgen“, nunmehr bereits unter ungeheurem Zudrange. Schon am 31. October schrieb er: „Ich habe bis jetzt einen gestopft vollen Hörsaal“, und am 23. Februar 1861 heißt es in einem seiner Briefe: „Ich lese jetzt vor 200 Leuten.“
Neben seiner Lehrthätigkeit ging er wieder seinen litterarischen Neigungen nach. So trieb er während der ganzen Leipziger Docentenzeit Calderonstudien. Sie blieben freilich ohne schriftstellerisches Ergebniß. Dafür erwuchs noch im J. 1859 der Aufsatz über Otto Ludwig. Diesen Dichter erschloß T. ebenso wie Kleist als einer der Ersten seinem Volke in seiner ganzen Bedeutung. Auch an Ludwig fesselte ihn wie bei Kleist der tragische Zug. „Vielleicht ist kein deutscher Dichter seit Heinrich Kleist durch eine solche übermächtige Naturgewalt des Vorstellungsvermögenes zugleich beglückt und gepeinigt worden“, sagt er von ihm und fährt fort: „Doch der erlösende Ruf, der den harmonischen glücklichen Genius früh auf ein bestimmtes Gebiet des Schaffens drängt, erklang diesem ringenden Geiste nicht“. Lebendig fühlte er immer mit dem Dichter bei seinem Schaffen. Er versetzt sich in die Seligkeit des Empfangens, die Ludwig durchmachte. Er findet, daß der bedeutende Künstler immer der beste Kritiker seiner Werke ist. Auch auf entlegenem Gebiet fühlt er sich innerlich berührt, wenn er z. B. bemerkt: „Selbst die pedantische Figur des Appollonius Nettenmair erweckt unsere Theilnahme; denn das tiefe Wahrheitsbedürfniß dieses Mannes, sein Widerwille gegen jede Selbsttäuschung gemahnt uns an selbsterlebte schwere Stunden.“ Auf die Erläuterung Ludwig’s folgte im J. 1860 ein trefflicher Aufsatz über Gottfried Keller, der uns zeigt, daß T. auch den [272] Dichter des „Grünen Heinrich“ als einer der Ersten zu würdigen gewußt hat. Die Analyse des „Grünen Heinrich“ ist ein kleines Cabinetsstück, ebenso die der Novelle „Romeo und Julia auf dem Dorfe“. Mit Freuden begrüßen wir im „Keller“ bereits eines der Lieblingscitate des kampfeslustigen Treitschke: „Der Stier von Uri hat scharpffi Horn, kein Herr ward ihm nie z hoch geborn.“ Einige Jahre darauf gefiel T. sein „Keller“ nicht mehr; in späterer Zeit blickte er aber doch wieder mit Stolz auf ihn zurück. An diesen schloß sich ein vierter litterarischer Essay, der „Milton“, eines der denkwürdigsten Erzeugnisse aus Treitsche’s Feder. Es ist erstaunlich, welche Vorarbeiten T. geleistet hat, um sich „Milton“ innerlich zu veranschaulichen. Er zeigt sich in den vierzig Bänden Milton’s, dieses „genialen Pedanten“, wie er ihn nennt, überall zu Hause. Aber es fiel ihm dabei, wie auch sonst niemals in seinen Essays, nicht ein, sein Wissen selbstgefällig auszupacken. Er arbeitete es vielmehr völlig in den Stoff hinein. Wußte er doch nur zu wohl, daß gerade diese Selbstbeschränkung die Schöpfung des Kunstwerkes, das er darbieten wollte, bedingte. Dabei empfindet man so recht die Wahrheit des Satzes, den T. in seinem „Kleist“ ausspricht: „Jedes echte Kunstwerk ist unerschöpflich, bietet einen Ausblick in das Unendliche“. Milton war ihm nach Dante der einzige große Dichter, der als politischer Schriftsteller sich einen Kranz errungen hatte, und seine volle historische Bedeutung lag ihm darin, daß Milton kühner, eindringlicher, denn irgend einer zuvor, die Freiheit als ein angeborenes Recht der Völker verkündete. Auch in diesem Essay klingt selbsterlebtes Leid durch und regt sich die Wahlverwandtschaft stark. Der Dichter der „Krankenträume“ schreibt dort: „Wenn die verzärtelte Prüderie der Gegenwart dem Dichter gern das Reden über höchstpersönliche Leiden untersagen möchte, so empfand Milton bei allem Stolze viel zu einfach und sicher, um sich die natürlichste der Klagen zu verbieten. Sein Sonett ‚His blindness‘ gehört zu den schönsten Klageliedern aller Zeiten.“ Und weiter: „Ein Theil seiner selbst geworden war das freudigste aller Bibelworte: ‚daß denen, die Gott lieben, alle Dinge zum Besten dienen‘. Auch er, wie alle edleren Naturen, ward durch das Körperleid geadelt, gehoben.“ Nicht oft kann man eine Parallele von der Tiefe lesen, wie jene, die T. zwischen Dante und Milton zieht. Auch dabei mischt er sein eigenes Selbst hinein. „Beide“, sagt er, „haben eine geniale Begabung nicht zu gut gehalten für das Handwerk eines Tagesschriftstellers“. Feurige Leidenschaft führte ihm bei dieser Darstellung die Feder und schuf ein Gemälde von prächtiger Farbenglut. Nach dem „Milton“ unternahm T. es, den Zeitgenossen Hebbel zu verdeutlichen, und abermals erwies er sich als ein litterarhistorischer Entdecker. Auch an Hebbel trat er mit congenialen Gefühlen heran. Mitfühlend äußerte er: „Sehr undankbar ist in solchen Tagen das Schaffen des pathetischen Dichters.“ Wir merken seinen großen verhaltenen Schmerz, wenn er Hebbel’s Ausspruch anführt: „Leben heißt tief einsam sein.“ Das ist gewiß, alle diese litterarischen Bildnisse sind von einer künstlerischen Anschauungskraft, die ihres Gleichen sucht.
Indem T. so ein litterarhistorisches Kunstwerk nach dem andern vollendet, gewinnt es fast den Anschein, als ob er in seiner historisch-nationalökonomischen Lehrthätigkeit nicht volles Genüge findet und den Drang in sich fühlt, zwar nicht wie früher ein Dichter, aber doch ein Historiker der Dichter zu werden. Jedoch in derselben Zeit entsteht in ihm ein Gedanke, durch den er von der vorwiegend litterarisch-historischen Schriftstellerei abgedrängt werden sollte. Im Sommer 1860 faßte er nämlich den Plan, eine Geschichte des Deutschen Bundes in der Zeit von 1815–1848 zu schreiben, durch die er seinem Volke den Beweis erbringen wollte, daß zu seiner Rettung die Vernichtung der Kleinstaaten [273] nöthig sei. Im December schloß er darüber mit dem Verleger der „Studien“ und der „Gesellschaftswissenschaft“, mit Salomon Hirzel, einen Vertrag, indem er es übernahm, für die von Hirzel herausgegebene „Europäische Staatengeschichte der neuesten Zeit“ eine „Geschichte der Deutschen Bundesstaaten“ zu schreiben. Das Werk sollte nicht mehr als vierzig Druckbogen umfassen. Fast befremdlich muthet es uns heute an, daß Preußen dabei ausgeschaltet bleiben sollte. Daß es sich aber so verhielt, zeigt die Wendung in einem Briefe Treitschke’s an Aegidi vom April 1861, die besagt, daß er eine Geschichte des Bundes „und der Kleinstaaten“ schreiben wolle, und ferner die spätere Aenderung des Planes und ausdrückliche Einbeziehung Preußens, die glaubhaft bezeugt wird. Auch deuten die zunächst in süddeutschen Staaten unternommenen Studien und die zuerst veröffentlichten Vorarbeiten Treitschke’s indirect darauf hin. Die Ausschaltung erklärt sich wohl daraus, daß schon vorher Max Duncker es übernommen hatte, die Geschichte Preußens für die Staatengeschichte zu schreiben, und von dieser Absicht noch nicht endgültig abgekommen war. T. gedachte, wie er an Aegidi schrieb, „selbstverständlich kein auf einem doch unmöglichen Quellenstudium beruhendes Werk“ zu geben, wohl aber „eine gewissenhafte und vor allem völlig rücksichtslose Darstellung des in zerstreuten Schilderungen bereits Bekannten in der Art etwa wie Rochau’s französische Geschichte, doch womöglich besser als diese“. Er meinte in zwei Jahren damit fertig zu werden. Um sich dieser Arbeit ausschließlich widmen zu können, wollte er ein Jahr Leipzig Verlassen und nach München gehen. Das Werk, das Treitschke’s bedeutendste wissenschaftliche Leistung werden sollte, war also zunächst großenteils als publicistische Veröffentlichung gedacht. Der Autor ahnte nicht, wie sehr sich ihm das Concept durch seine Versenkung in den gewaltigen Stoff, durch die Ereignisse und durch seine eigene Entwicklung verschieben sollte, daß das Werk statt der beiden in Aussicht genommenen volle sechsunddreißig Jahre seine Arbeitskraft in Anspruch nehmen und daß der geplante Umfang ebenfalls um ein Vielfaches überschritten werden würde.
Während dieser Zeit hatte T. einen neuen Herzensfreund gefunden. Da er sich anfangs in Leipzig einsam fühlte, war es für ihn erfrischend, als einmal Oppenheim zu ihm herüberkam, den er seinerzeit in Göttingen in schwerer Krankheit aufopfernd gepflegt hatte. Als dann im Frühjahr 1859 sein Mitschüler von der Kreuzschule her, Franz Overbeck, den er im J. 1849 kennen gelernt und öfter in den Ferien getroffen hatte, in Leipzig seine theologischen Studien abschloß, fand er sich mit diesem zusammen. Sie trafen sich viel im Hause des Professors Hermann Brockhaus, verkehrten bald täglich miteinander, machten häufig, besonders Sonntags, zusammen Spaziergänge, wobei Overbeck freilich viele Schwierigkeit hatte, um sich T. verständlich zu machen, da dieser immer bedenklicher in ihrer Schallkraft sich steigernde Metallrohre gebrauchen mußte, um ihn zu verstehen. Overbeck, ein weiches, für Eindrücke sehr empfängliches Gemüth, gerieth ganz unter den Bann der überlegenen Persönlichkeit Treitschke’s, und dieser fühlte sich gleichfalls zu dem klugen, überaus fleißigen, durchaus idealistisch angelegten Theologen, dessen „menschlich freiere Natur“ er im Gegensatz zu dem Leipziger Theologen Lipsius[WS 7] schon im J. 1861 rühmte, lebhaft hingezogen. Er sollte vor allem Treitschke’s Genosse auf dessen vielfältigen Wanderungen durch das deutsche Land werden, und zwar nicht nur in dieser Leipziger Zeit, sondern noch lange nachher.
Dieser freundschaftliche Verkehr wurde jetzt einstweilen durch Treitschke’s Fortgang nach München unterbrochen. Trotz seiner Lehrerfolge hatte T. in Leipzig auch keine Aussicht auf Beförderung. Es bereitete sich für ihn das [274] Loos so vieler streitbarer und bedeutender Obersachsen vor, daß sein engeres Vaterland ihn nicht mehr zu halten wußte. „Meine Zukunft ist mir nie dunkler gewesen als in diesem Augenblicke“, schrieb T. wehmüthig im Februar 1861. Eine durch eine Klatscherei wegen seiner preußischen Richtung zwischen ihm und seinem Vater entstandene unliebsame Auseinandersetzung bestärkte ihn in seiner Absicht, auf einige Zeit von Leipzig wegzugehen. Zwar suchten ihn seine schon mit Verehrung an ihm hängenden Zuhörer in einer Adresse an ihn von seinem Vorhaben abzubringen. Er aber machte sich im April, langsam über Bamberg, Nürnberg und Regensburg reisend, überall mit offenem Auge und Sinne beobachtend und besichtigend, nach München auf. Dort lernte er Sybel kennen, der ihm außerordentlich gefiel. Er verkehrte auch mit Bodenstedt, Hans Hopfen[WS 8], Hermann Lingg[WS 9] und dem Maler Teschendorff, mit dem er befreundet wurde und der ihn später öfter in der Heimath besuchte. Lingg begrüßte ihn mit den charakteristischen Worten: „Was? Sie sind? Gestern hab’ ich Sie auf der Brienner Straß’ begegnet, da hab’ ich mir gedacht: das ist halt g’wiß a Dichter.“ Die Baiern gefielen T. allmählich recht gut. „Es ist doch eine Freude“, schrieb er, „wenn man, wie ich, nach und nach erlebt, wie albern die Lügen sind von der unversöhnlichen Verschiedenheit der deutschen Stämme. Die Deutschen sind sich überall gleich; was sie trennt, sind Aeußerlichkeiten und anerzogene Vorurtheile.“ In der Hauptsache führte er in München ein arbeitsames Einsiedlerleben. Es kam vor, daß er acht Tage lang kein Wort zu sprechen hatte. Mitten in diese Zeit der Einsamkeit fiel der Tod seiner Mutter (15. Juli 1861). Seine Familie besaß die Härte, ihn erst am 17. von dem Ereigniß in Kenntniß zu setzen, so daß er nicht einmal an der Beerdigung theilnehmen konnte. Die schrecklichen Stunden, die diese plötzliche Nachricht ihm verursachte, hat er lange nicht verwunden. Er urtheilte über die Verstorbene: „Sie stand mir von dem gesammten Hause geistig am nächsten. Sie war die Einzige, die meine freie Stellung mit Theilnahme verfolgte.“
In München bot ihm das Studium der Sammlungen reiche Anregung. Vor allem gewann er die Glyptothek lieb. Dort kam ihm ein Gedanke, der ihn noch lange und oft bewegte, daß nämlich das Leben nach einem durchdachten Plane zu führen sei. „Es soll mit unserm Leben doch nicht anders sein als mit einem edlen Kunstwerke; jeder Stein mit Wärme und Leidenschaft bearbeitet, jeder Theil lebendig, und doch das Ganze ruhig und geordnet, alles einem großen Zwecke dienend.“ So mag es ihn getrieben haben, seine ganze Kraft in der Geschichte der deutschen Bundesstaaten zu sammeln. Von diesem Standpunkte erschien ihm alles, was an ihn von außen herantrat, als lästig. So sprach er, als ihm Haym bei seinem Fortgang von Leipzig einen Artikel über „Die Freiheit“ auftrug, schmollend von einer „Frohnarbeit“, die ihm auferlegt sei. In der Münchener Zeit der Sammlung erwuchs diese „Frohnarbeit“ und wurde eine seiner herrlichsten Schriften. Wenige zeigen uns so den ganzen Treitschke. Es tritt uns daraus der Freigeist und der begeisterte Anwalt des Liberalismus entgegen, in dem sich in der Folgezeit doch einige Wandlungen vollzogen. Aber die Schrift trägt zugleich hundert Gedanken vor, die T. immer wieder ausgesprochen und die er bis zu seinem Lebensende festgehalten hat, in einer Sprache, die nicht anders als dithyrambisch genannt werden kann. Wieder ging er in diesem rein politischen Essay von Aristoteles aus. Zugleich setzte er sich aber auch mit Wilhelm v. Humboldt auseinander. Daneben ist der Einfluß von Gentz[WS 10] zu spüren. Mit ihm ruft er: „Politische Freiheit ist politisch beschränkte Freiheit.“ Er sagt, ein frivoles Wort Heine’s richtig stellend: „Ein reifes Volk liebt die Freiheit wie sein [275] rechtmäßiges Weib: sie lebt und webt mit uns, sie entzückt uns Tag für Tag durch neue Reize.“ Begeistert preist er das deutsche Volk, „das gedankenreichste der Völker“, das von unausrottbarer Liebe für persönliche Freiheit erfüllt ist, dessen Wissenschaft „ohne jede Voraussetzung“ die Wahrheit sucht, „nichts als die Wahrheit“, und weissagt ihm die größeste Zukunft: „Ein Volk, das kaum auferstanden aus dem namenlosen Jammer der dreißiger Jahre, die frohe Botschaft der Humanität, der echten Freiheit des Geistes, an alle Welt verkündet hat – ein solches Volk ist nicht dazu angethan, gleich jenen verdammten Seelen der Fabel, in Ewigkeit in der Nacht zu wandeln, suchend nach seiner leiblichen Hülle, seinem Staat. Und wessen leidenschaftlicher Ungeduld der verschlungene Werdegang des Volkes gar zu langsam erscheinen will, der soll sich erinnern, daß wir das jugendlichste der europäischen Völker sind, der soll sich des Glaubens getrösten: Kommen wird die Stunde, da mit größerem Rechte als Virgil von seinen Römern ein deutscher Dichter von seinem Volke singen wird: Tantae molis erat Germanam condere gentem.“ Mit socialpolitischem Weitblick meint er: „In jedem hochgesitteten Volke entstehen große Privatmächte, welche thatsächlich den freien Wettbewerb ausschließen; der Staat muß ihre Selbstsucht bändigen, auch wenn sie nicht die Rechte Dritter verletzt.“ Hingerissen von der Fülle der Erscheinungen, die sich seinem geistigen Auge darbieten, ruft er in fast mystischem Seherton: „Wir wissen: durch seinen Kaufmann mindestens wird auch der Deutsche theilnehmen an der edlen Bestimmung unserer Rasse: daß sie die weite Erde befruchten soll. Und schon ist kein leerer Traum, daß aus diesem Weltverkehr dereinst eine Staatskunst entstehen wird, vor deren weltumspannendem Blicke alles Schaffen der heutigen Großmächte wie armselige Kleinstaaterei erscheinen wird.“ Und dann das Lob der starken Persönlichkeit, das sich niemand, selbst Carlyle[WS 11] nicht, so leidenschaftlich zur Aufgabe gemacht hat, wie T. Die starken, eigenthümlichen, ganz auf sich selbst stehenden Menschen sind ihm „das Salz der Erde“, und begeistert schreibt er: „Heil jenen starken einseitigen Naturen, welche willig an der Breite ihrer Bildung opfern, was sie an Kraft und Tiefe tausendfältig gewinnen!“ , Schöne Worte findet er über das Wesen der Frauen, bei denen man noch am häufigsten Verständniß für echte Größe finde, da sie sich meist die schöne Sicherheit des natürlichen Gefühls bewahrt hätten. Die Wendung, wo er davon spricht, daß jemand, der die Kraft in sich fühlt, emporzuragen über den Durchschnitt der Menschen, seine Seele frei halten müsse von dem unmännlichen Gefühle der Verbitterung, verräth erneute innere, siegreich überwundene Kämpfe. Alles in allem ist der Essay über „Die Freiheit“ das unwiderleglichste Beweisstück dafür, daß in diesem glühend heißen Herzen die sieghafte Zuversicht des Aufsteigens der deutschen Nation lebte, und auf wenige der Treitschke’schen Schriften kann man mit solchem Rechte Treitschke’s eigenes höchstpersönliches Wort, das wohl in diesem Aufsatz zuerst fällt, anwenden: „Der Hörer jubelt im Stillen auf: das war Er, so, gerade so konnte nur Er sprechen.“
Außer dem Essay über die Freiheit entstand in der Münchener Einsamkeit der erste größere historische Aufsatz Treitschke’s , „Hans v. Gagern“, gleichsam eine Vorarbeit zur „Deutschen Geschichte“. Offenbar sah er diesen Kleinstaatspolitiker mit milden Augen an, weil er es in ihm mit dem Vater von Friedrich und Heinrich v. Gagern zu thun hatte. Denn nicht immer hat er die Rheinbundspolitiker so nachsichtig beurtheilt. Wie einige Jahre später in seinem Artikel für das Bluntschli’sche Staatswörterbuch über den Freiherrn vom Stein bewies T. in seinem „Gagern“ eine wahre Virtuosität, die äußere Erscheinung seines Helden den Lesern anschaulich vorzuführen. Gerade in [276] diesen lebendigen Schilderungen spiegelt sich Treitschke’s ungewöhnliche Gabe, die Persönlichkeiten innerlich zu erfassen. Diese Männer der napoleonischen Zeit traten ihm bereits früh so leibhaftig vor die Seele, daß er in seinem späteren großen Geschichtswerke zum Theil wörtlich die Beschreibung ihrer Erscheinung aus seinen Essays herübernahm.
Bis zum 20. December 1861 blieb T. in München. Dann reiste er über Würzburg, wo er den Ohrenarzt Troeltsch[WS 12] zu Rathe zog, nach Leipzig, um dort vom 5. Januar ab wieder „Geschichte des Deutschen Bundes“ zu lesen. Der Zudrang zu dieser Vorlesung war noch stärker wie früher. Um in den überfüllten Saal hineinzugelangen, versuchten die Studenten z. Th. durch die Fenster einzusteigen. Sie mußten jedoch unverrichteter Sache umkehren, weil kein Platz zu gewinnen war. T. sah sich genöthigt, alle nicht studentischen Hörer auszuweisen. Doch das Gedränge und die Ueberhitzung blieben fast unerträglich. Unter den Zuhörern befand sich auch mehrmals der Cultusminister v. Falkenstein, der seine wachsende Abneigung gegen den so entschieden preußisch gesinnten und so mittelstaatsfeindlichen Privatdocenten unter sächsischer Höflichkeit verbarg. Es wurde T. bald zur Gewißheit, daß er von der sächsischen Regierung keine Beförderung zu erwarten hatte. Er deutete in Briefen an Freunde gelegentlich an, daß man ihm am liebsten die venia legendi entziehen würde, wenn ihn davor nicht einigermaßen die Anhänglichkeit der Studenten schützte. Seiner älteren Schwester ward ganz sonderbar zu Muthe bei den Erfolgen ihres Bruders. „Heinrich ist ja wie der weiland Dr. Luther!“ meinte sie. T. übernahm auch wieder Vorlesungen an der landwirthschaftlichen Akademie, jetzt in Plagwitz. Doch wurden sie ihm allmählich lästig. Er pflegte von dem „Plagwitzer Jammer“ zu sprechen. Ueberhaupt schwand sein Interesse für theoretische Nationalökonomie sichtlich. Mit mehr Liebe widmete er sich Vorlesungen im kaufmännischen Verein über Friedrich den Großen. Bedeutsam wurde es für ihn, daß er in dieser Zeit durch Gustav Freytag, den er damals kennen lernte, in die Tafelrunde bei dem Gastwirthe Kitzing eingeführt wurde, der Karl Mathy, Salomon Hirzel, Zarncke, Moritz Busch, auch Gutschmid u. a. angeregte Geister angehörten. Auch Overbeck gesellte sich dazu. T. gewann bald eine ganz besondere Stellung in diesem Kreise, und in Einzelnen, so in Busch, fast blinde Verehrer. Alle fesselte die Verbindung von Ethos und Pathos in seinem Wesen. In der Erkenntniß der „edlen Größe seines Vortrages“ veranlaßte es Freytag, daß T. zu einer Rede am 100. Geburtstage Fichte’s (19. Mai 1862) aufgefordert wurde. Der Eindruck dieser Rede war außerordentlich. Zum Danke verehrte ihm der Festausschuß eine Büste des Philosophen. Die Rede liegt in umgearbeiteter Fassung vor in dem Essay: „Fichte und die nationale Idee“, der wieder eines der Hauptdokumente für das Wesen Treitschke’s bildet. Bei aller Verschiedenheit sieht T. sein eigenes Bild auch in Fichte, jenem „mannhaften, fast männischen Charakter“, der sich bewußt ist, daß er bei seiner rücksichtslosen Denkart schlecht in die Welt paßt und sich allenthalben Verdruß macht, eine jener feurigen Naturen, denen Charakter und Bildung zusammenfallen, denen jede Erkenntniß als ein lebendiger Entschluß in der Seele glüht, und denen es Bedürfniß ist, auf den Willen der Menschen zu wirken, des Glaubens, daß daraus irgendwo und irgendwann die rechte That entstehen werde. Wenige Worte waren T. so aus der Seele gesprochen, als Fichte’s Wort: „Ein Volk kann den Hochmuth gar nicht lassen; außer dem bleibt die Einheit des Begriffs gar nicht in ihm rege.“ Begeistert versetzte er sich in jene Stunde, da Fichte seine Studenten in den Befreiungskampf entließ: „Nicht Siegen oder Sterben soll unsere Losung sein, sondern Siegen schlechthin:,“ Und ganz schloß [277] er sich Fichte’s Auffassung an, daß der König von Preußen ein Zwingherr zur Deutschheit sei.
Bald nach dieser Rede, zu Pfingsten 1862, reiste er nach Freiburg zum Besuche seines Freundes W. Nokk und nach Karlsruhe, wo er Roggenbach, Jolly und Baumgarten kennen lernte. Es bot sich ihm damals eine Aussicht auf einen Lehrstuhl in Kiel, die sich indeß zerschlug. Mittlerweile brachte er wieder eine umfassende Arbeit zu Stande, seinen glänzenden Aufsatz über „Das deutsche Ordensland Preußen“. In dem Ordenslande erkannte sein scharfer Blick die Wurzeln des Militär-, Verwaltungs- und Ordnungsstaates Preußen. Der Poet, der einst das Schicksal des Hochmeisters Heinrich von Plauen dramatisch behandeln wollte, erschien hier im historischen Gewande. Man erkennt ihn aber unschwer dahinter. Als Haym den Essay erhielt, meinte er voller Bewunderung, diese Arbeit würde ihm eine preußische Professur einbringen. Ein berufener Kritiker, Jakob Caro, hat nachmals geurtheilt, daß T. auf diesen vier Bogen eine richtigere, wahrere, auch im einzelnen zutreffendere Darstellung geliefert habe als Johannes Voigt in neun dicken Bänden über denselben Gegenstand. War es bisher, wie T. selbst bekannt hat, mehr Gefühlspolitik gewesen, wenn er sich auf die preußische Seite schlug, so gelangte er jetzt allmählich mehr und mehr verstandesmäßig zur weiteren Verfolgung dieses Weges.
In Preußen kam man allerdings noch nicht auf den Gedanken, T. zu berufen. Dieser las, nachdem er im September mit Busch das westliche Thüringen und die hohe Rhön durchwandert war, im Wintersemester 1862/63 zum ersten Mal ein Privatcolleg, „Geschichte von England“ (dreistündig). Gleich zu Beginn hatte er 74 zahlende Zuhörer. Damit war mit einem Schlage das Gerede beseitigt, daß der Zulauf, den er bisher gefunden hatte, durch den Stoff seiner Vorlesungen bedingt sei. Währenddem drängten sich ihm die schriftstellerischen Arbeiten. Im December verfaßte er den umfangreichen Aufsatz über den Triaspolitiker Wangenheim, „den begabtesten Diplomaten in der Eschenheimer Gasse vor der Revolution“, wieder eine wichtige Vorarbeit für seine „Deutsche Geschichte“. Aehnlich wie schon im Gagern beklagte er darin, „wie in dem Elend der Kleinstaaterei unsere Staatsmänner zuchtlos und ohne die Schule einer großen Erfahrung dahinleben und darum ihre Grillen sich endlich zu fixen Ideen verhärten. Wer die Summe dieses Lebens zieht, wird jene harte Klage nicht unterdrücken können, welche leider jedes Blatt der deutschen Bundesgeschichte uns entlockt: köstliche Kräfte fruchtlos vergeudet!“ Der Publicist in ihm schrieb den bedeutsamen Satz über Wangenheim nieder: „Mit der Ohnmacht der Mittelstaaten begann er jenen Kampf des deutschen Liberalismus wider Oesterreichs Herrschaft, welchen allein Preußen führen kann und soll und noch immer nicht begonnen hat.“ Der Aufsatz erregte gewaltiges Aufsehen und viel Verstimmung, namentlich auch in Sachsen. Jetzt durfte T. weniger wie je auf eine Professur in Leipzig rechnen. Er sah diese Wirkung voraus, meinte aber gleichmüthig: „Der Wangenheim ist schärfer geworden als ich dachte, so scharf, daß ängstliche Gemüther mir hier das Schrecklichste prophezeien.“ Er vermied es, seinem Vater den Aufsatz zu schicken, da, wie er dem bekümmerten General schrieb, seine Ansichten leider anders geworden wären, als der Vater es wünschte. Auf der anderen Seite wuchs sein Ruhm durch den Wangenheim. Er wurde mit Bitten um Vorträge und Reden geradezu bestürmt, so daß er zum Theil unwillig abwehrte. Der damals Achtundzwanzigjährige kam sich seltsam vor, als er von einer Deputation alter Graubärte „Verehrter deutscher Mann“ angeredet wurde. Dem „Wangenheim“ folgten wieder mehrere litterarhistorische [278] Porträts , „Uhland“, „Lessing“ und der großangelegte Essay „Lord Byron und der Radikalismus“. Ueber den „Uhland“ hatte er nachher eine Auseinandersetzung mit Mohl, der weniger günstig über den Dichter dachte als T. Im allgemeinen hat dieser aber an seiner freundlichen Beurtheilung des großen Schwaben festgehalten. Einige Stellen des Aufsatzes zeichnen sich durch classische Grazie der Sprache aus, so die Schilderung des Uhland’schen Stilllebens in Tübingen. Die Localfarbe hatte T. aus seinem Aufenthalte in Tübingen mitgebracht. Seine tiefgründliche Art offenbart sich auch wieder darin, daß er in den acht starken Bänden der Uhland’schen Prosaschriften gut Bescheid weiß. Im „Lessing“ behandelte er den zweiten großen Obersachsen, der seinem Heimathlande nicht erhalten blieb. Auch hierin klingt wieder selbsterlebtes Leid durch, so wenn T. schreibt: „Sie werden freilich immer wiederkehren, am heftigsten in fruchtbaren, aufstrebenden Zeiten, jene traurigen Zerwürfnisse von Vater und Sohn, herzzerreißend traurig, weil jeder Theil im Recht ist und das alte Geschlecht die junge Welt nicht mehr verstehen darf.“ In jener Stunde, in der er den Aufsatz schrieb, hatte er selbst die schwersten Kämpfe mit seinem Vaterhause noch nicht bestanden. Lessing reizte ihn noch besonders, weil er bei ihm eine ihm sehr zusagende Auffassung vom Wesen des Historikers fand. „Wie schön begreift er das der Kunst verwandte Wesen der Geschichtschreibung“, sagt er von ihm, „wenn er die Bildung ‚des Gelehrten und des schönen Geistes zugleich‘ von dem Historiker fordert.“ Er hebt hervor, daß Lessing das vielgescholtene Paradoxon ausgesprochen habe: im Grunde könne ein jeder nur ein Geschichtschreiber seiner eigenen Zeit sein, und meint, es sei der Vorzug des zeitgenössischen Geschichtschreibers, seinen Menschen in Herz und Nieren blicken, seine Leser durch die Erzählung von ihrer eigenen Schuld und Strafe im Innersten ergreifen und – vor allem – eine Macht unter den Lebenden werden zu können. Von demselben Gedanken geht T. auch bei seinem Byron-Aufsatz aus. Er hat ihn demnach in jener Zeit stark bewegt und offenbar lebhaft angespornt zu seiner Arbeit an der „Deutschen Geschichte“. Der „Byron“ verräth u. a. eine erstaunlich intime Bekanntschaft mit der englischen Litteratur. Man erkennt auch hierin bewundernd die außerordentliche Universalität der Bildung Treitschke’s. T. sah in Byron einen großen Dichter, der ein verführerisches Vorbild für ein ganzes Geschlecht geworden und der, wenn die Muse ihm nahte, ein reiner Mensch war, fand aber, daß Byron mit einer tragischen Schuld behaftet sei, weil ihm in seinem reichen Leben niemals der Gedanke der Pflicht gekommen wäre.
Im Sommer 1863 las T. „Geschichte Europas von 1848–50“. Der Zudrang, den er fand, war ohnegleichen. Ueber 260 Studenten belegten. Der Ordinarius für Geschichte, der Demokrat Wuttke, den T. später in seinem großen Werke einen kleinen giftigen Molch genannt hat, fand infolgedessen kaum noch Zuhörer. Begreiflich, daß er erbittert war und T. in seinem Organ, dem „Adler“, heftig anfeindete. Mittlerweile wurde T. leidenschaftlich erregt durch den Verlauf des Verfassungsconflictes in Preußen und die vom Ministerium Bismarck unternommenen Schritte. Die Maßregeln gegen die Presse im Juni 1863 führten einen Bruch zwischen ihm und den „Preußischen Jahrbüchern“ herbei, weil diese sich Bismarck fügten, eine Trennung, die bei T. viel heißen wollte. War er doch ihr bester Mitarbeiter gewesen, der das meiste für ihr Emporkommen gethan hatte, und dadurch mit ihnen innig verwachsen, so daß sich Haym bereits im August 1860 veranlaßt sah, ihm die Herausgeberschaft anzutragen. Jetzt ließ T. in den „Grenzboten“ einen flammenden Aufsatz erscheinen: „Das Schweigen der Presse in Preußen.“ [279] Darin hieß es: „Von dem sittlichen Rechte des Standpunktes der gegenwärtigen preußischen Regierung sprechen, das können wir nicht, und es ist uns eine traurige Pflicht, den Jahrbüchern zu sagen, daß an dieser Stelle unsere Wege sich scheiden.“ Schmerzlich enttäuscht, aber dennoch an Preußen festhaltend, verkündete er: „Wir werden unsre festeste Hoffnung auf dies Preußen auch dann noch stützen, wenn ein Bismarck X. in Preußen regierte.“ Inzwischen war ihm auf Betreiben von Mathy und Roggenbach, sowie von seinem Göttinger Freunde Mangoldt, der seit kurzem in Freiburg Ordinarius für Nationalökonomie geworden war, in Freiburg eine außerordentliche Professur für Staatswissenschaften angeboten worden, und da ihm gestattet werden sollte, in der Hauptsache über Geschichte zu lesen, so nahm T., nachdem er noch einmal beim sächsischen Cultusministerium angefragt hatte, ob er Aussicht auf eine Leipziger Professur besäße, aber ablehnend beschieden worden war, an. Als sein Vorhaben, Leipzig dauernd zu verlassen, bekannt wurde, bemächtigte sich der Studentenschaft eine große Unruhe. Eine Petition an den Minister, er möchte dem beliebten Lehrer das Bleiben ermöglichen, hatte natürlich keinen Erfolg.
Treitschke’s Volksthümlichkeit war mittlerweile so groß geworden, daß die Hinrichs’sche Buchhandlung eine billige Ausgabe seines Konterfeis veranstaltete und die Studenten ihm einen Fackelzug darbrachten. Als man ihn bat, beim deutschen Turnfest im August die Festrede auf der damit verbundenen Erinnerungsfeier der Leipziger Völkerschlacht zu halten, konnte er sich nicht versagen. Jenes Fest gestaltete sich durch Treitschke’s Auftreten zu einer der mächtigsten Kundgebungen des Einheitsdrängens der Deutschen. Unauslöschlich hat sich den 20 000 Hörern, die an jenem 5. August 1863 auf dem Leipziger Marktplatze versammelt waren, unter ihnen mancher, mit dem T. später die Klinge kreuzte, wie Rudolf Virchow, Albert Träger, Jakob Venedey, Ludolf Parisius[WS 13], die hinreißende, von einem nie erlebten Feuer getragene Rede eingeprägt, die der junge Privatdocent von der Höhe des Steigerhauses zu ihnen hielt. Das Herz ging T. über, als er dort die festlich bewegte Menge überschaute. Mit strahlenden Farben schilderte er das geistige und materielle Wachsthum Deutschlands in dem verflossenen halben Jahrhundert. „Alles hat sich verwandelt, nur Eins nicht, das staatliche Band, das uns zusammenhält.“ Wie in seinem Essay über die Freiheit und über Uhland pries er zuversichtlich die unwiderstehliche Macht der liberalen Idee. Ja er sprach von den Siegen „jener echten Demokratie, welcher die Zukunft Europas gehört“, und weissagte freudig: „Wir werden es abermals schauen, das deutsche Parlament.“ Einwände wehrte er gleichmüthig ab: „Man schilt uns Träumer, uns, die wir glauben an die politische Zukunft unseres Volkes; es sei.“ Die felsenfeste Zuversicht auf das Gelingen des deutschen Einigungswerkes, von der die Rede getragen war, hatte etwas Ueberwältigendes. Dem leitenden sächsischen Minister Beust, der sich an jenen Festestagen auch betheiligte, mochte schwindeln bei der stürmischen Begeisterung, die Treitschke’s Worte auslösten. Es war den Hörern, wie ein Zeuge damals schrieb, bald als ob Sonnenschein über ihnen leuchte, bald als wenn Frühlingswehen sich erhöbe und schließlich als wenn ein reißender Gewittersturm niederginge. Der Jubel theilte sich dem ganzen Lande mit. Als der Theologe Adolf Hausrath[WS 14] die Rede in der „Süddeutschen Zeitung“ Brater’s gelesen hatte, legte er sie mit dem Vorsatze aus der Hand: „Was der drucken läßt, wirst du alles lesen.“ Und ähnlich mögen Viele gedacht haben. Wenige Tage darauf, am 11. August, feierte T. im engen Freundeskreise, im „Kitzing“, oder, wie er wohl sagte, in der „Verschwörung“ ein Abschiedsfest von traulichstem Reize. Dort hielt ihm [280] der bedeutendste Freund, den er gefunden hatte, der um achtzehn Jahre ältere Gustav Freytag, die berühmt gewordene Abschiedsrede: „Sie waren unser Mann. In Ihnen scheidet aus unserem Kreise ein gutes Theil der Poesie, welche uns erwärmte und hob. Der arme Kitzing gleicht jetzt ohne sein Verschulden dem trotzigen Kriegsfürsten aus arger Zeit, dem einer seiner Generäle nach dem andern abfiel. Der aber jetzt von ihm geht, ist der Max Piccolomini[WS 15].“ Er weissagte ihm, ähnlich wie einst Hutten dem Ahn der Mutter Treitschke’s, Franz v. Sickingen, ein öffentliches, an Schicksalen reiches Leben.
So klang der erste große Abschnitt in Treitschke’s Leben in rauschenden und weichen Accorden zugleich aus. Das Milton’sche Wort, das er auf den großen Engländer selbst angewendet hatte: „Die Jugend zeigt den Mann, gleichwie der Morgen den Tag verkündet“, gilt auch von T. Kaum neunundzwanzigjährig, erfüllte er mit seinem Namen bereits ganz Deutschland. Gleich von seinem ersten Auftreten an ging ein Strahlenglanz von seiner Persönlichkeit aus, und dieser Glanz ist niemals von ihr gewichen.
Am 3. September verließ T. Leipzig. Noch einmal suchte er seinen Vater auf dem Königstein auf, dessen Gouverneur dieser seit einiger Zeit geworden war. Trotz allem, was vorgefallen war, standen die Beiden sich doch noch nahe. „Der Abschied wird mir diesmal nicht ganz leicht, denn meinem Vater ist das Herz sehr schwer“, schrieb T. an Overbeck. Er nahm den Weg über Wien, das ihm nicht sehr gefiel. In Freiburg fand er besonders Anschluß im Hause seines jetzt verheiratheten Freundes Nokk und in dem Hause von Nokk’s Schwiegervater, dem Oberstlieutenant Freiherrn v. Bodman, ferner bei Frau v. Woringen geb. Schleiden. Ihm machten sich sofort die kleinen Verhältnisse im Gegensatz zu den größeren in Leipzig unliebsam bemerkbar. An Overbeck schrieb er, ein vernünftiger Mann sollte nur in großen Städten oder auf dem flachen Lande wohnen. „Die Mittelstraße taugt niemals.“ Da er gleich von einer Ohrenentzündung gepackt wurde, mußte er seine Vorlesungen unterbrechen. Er las wieder „Deutsche Geschichte“ vor „einem nach hiesigen Begriffen ungeheuren Publicum, aber die Hälfte besteht aus Professoren und Philistern, und es ist lästig, vor Leuten zu lesen, die beständig kritisiren, obgleich den Meisten die Berechtigung dazu fehlt“. Weniger besucht war sein anderes Colleg, das er hier zum ersten Male las und das später sein berühmtestes wurde, „Politik“. Er meinte, es würde nur etwa von „einem Zehntel“ seiner Geschichtszuhörer besucht, nämlich 17, was für Freiburg auch eine ganz stattliche Zahl war. Das Material der Studenten gefiel ihm nicht sonderlich. Er sprach von der „märchenhaften Faulheit“ der Freiburger. Um diese Zeit machte er sich an die Abfassung eines größeren Aufsatzes, dem er, wie er im November 1863 schrieb, den Titel „Staatenbund, Bundesstaat und Einheitsstaat“ zu geben gedachte. Er studirte dazu die Geschichte von Amerika, der Schweiz, den Niederlanden und Italien und überzeugte sich, daß es eine „Narrheit“ sei, die Deutschen auf die Bahn der Schweizer weisen zu wollen. „Unser Weg wird jenem der Italiener nicht gleichen, aber sehr ähnlich sein; unsere Geschichte weist uns auf den Einheitsstaat.“ Seine Leipziger Erlebnisse und seine Auseinandersetzungen mit seinem Vater mochten ihn wohl veranlaßt haben, seine unitarischen Ansichten noch einmal auf ihre Richtigkeit hin nachzuprüfen. Später bekennt er einmal: „Nur langes Nachdenken und schmerzliche Erfahrungen haben mich zu der Einsicht gebracht, daß diese kleinen Staaten sich überlebt haben.“ Jetzt, im Herbst 1863, „bestärkte“ er sich, wie er schrieb, in jener Auffassung, deren beredtester und leidenschaftlichster Vorkämpfer er in Deutschland geworden ist: seit dieser Zeit wurde Heinrich v. T. unbedingter Unitarier. Ihm war die Einheit nicht so sehr politische als [281] sittliche Forderung. Ohne ihre Erfüllung schien ihm die Lösung der Culturaufgaben, zu denen Deutschland berufen sei, nicht durchführbar. Für die Erfüllung dieser Forderung zu wirken betrachtete er als ein ihm gewiesenes sittliches Apostelamt.
Im Zusammenhang mit jener Arbeit über Bundesstaat und Einheitsstaat stand seine feierliche Antrittsvorlesung, die er am 19. Januar 1864 in der Aula über die „Geschichte der Vereinigten Niederlande“ hielt. „Unsere Aula“, so schrieb er darüber, „ist das alte Refectorium der Jesuiten. Es war mir eine absonderliche Freude, in diesen Räumen von den niederländischen Helden des Protestantismus zu reden.“ In der Schleswig-Holsteinschen Sache begeisterte er sich für den Augustenburger und steuerte aus seinem schmalen Geldbeutel 100 Thlr. für diesen bei. Auch an einer Vortragsreihe zum Besten der Schleswig-Holsteiner nahm er Theil und wählte sich zum Thema „Washington“. Im Sommer las er „Reformationsgeschichte“. Kaum hatte er begonnen, da kam er abermals mit seinem Vater in eine Auseinandersetzung wegen der Religion. Der alte General vermuthete richtig, daß sein Sohn in freigeistigen Bahnen geblieben war und fühlte sich dadurch lebhaft beunruhigt. Der Sohn fand das Verhör, das mit ihm angestellt wurde, ungemein lästig. „Er meint es herzlich“, schrieb er an Overbeck über seinen Vater, „er würde sicherlich befriedigt sein, wenn er mir in der Seele lesen könnte.“ Aber in den conventionellen Geleisen könne er sich nicht bewegen. Doch gelang es ihm, in einem schönen Schreiben den General einigermaßen zu beschwichtigen. Unterdessen ging der schleswig-holsteinsche Krieg zu Ende. Noch kürzlich hatte T. seinem Overbeck im Zusammenhang mit der Katechisation seines Vaters geschrieben: „Verzweifeln kann ich nicht; die wundervolle Stetigkeit unserer Geschichte kann nicht in höhnischem Unsinn endigen. In solchen – wenn Du willst, fatalistischen – Ueberzeugungen liegt ein guter Theil meiner Religion.“ Inzwischen sah er Preußens Stern wieder rapid emporsteigen. Auf Düppel folgte Alsen: Dänemark lag gedemüthigt da, Schleswig-Holstein war ihm entrissen. „Die beiden Lande sind durch ehrlichen Kampf wieder deutsch geworden; das ist der größte Erfolg, den unsere auswärtige Politik seit fünfzig Jahren errungen hat“, so jubelte er in einem Briefe an seinen Vater. Jetzt begann er ins Bismarck’sche Lager einzuschwenken. Mitwirkend war dabei der Einfluß Mathy’s auf ihn. Er erklärte mit Entschiedenheit, die oberste nationale Pflicht sei, Preußen zu stärken. In dieser gehobenen Stimmung hat er die Schrift, die er im Herbst 1863 begonnen hatte, unter dem Titel „Bundesstaat und Einheitsstaat“ zu Ende gebracht, die bedeutendste publicistische Schrift, die wir ihm verdanken. An Sybel schrieb T. darüber: „Ich habe mich gewaltsam zusammengenommen und so unbefangen, als mir’s möglich war, die Geschichte der modernen Föderationen verglichen. Ich habe nicht gesucht, sondern gefunden – gefunden, daß Deutschland niemals ein rechter Bund war.“
Von Manchen wird diese Schrift für Treitschke’s bestes Werk gehalten; und in er That darf man sie wohl den epochemachenden publizistischen Schriften der Hippolithus a Lapide und Severinus a Monzambano[WS 16] an die Seite stellen. Ihr Erscheinen war ein Ereigniß. Niemals ist die staatsbildende Kraft Preußens der Welt wuchtiger vor Augen geführt worden. Mit wahren Keulenschlägen zog T. darin, ähnlich wie einst Pufendorf gegen die Reichsverfassung, zu Felde gegen die große Lüge des deutschen Bundesrechts, gegen den Trugschluß, daß der deutsche Bund den Frieden erhalten habe, während vielmehr der Friede ihn erhielt. „Niemand bezweifelt, seine Verfassung werde beim Ausbruche des ersten allgemeinen Krieges rettungslos zusammenbrechen.“ [282] „Wir wissen, daß dies unglückselige Wort ‚organisch‘ sich in der Politik immer da einstellt, wo die Gedanken aufhören.“ Eine Bundesverfassung bestände überhaupt nicht, ihre Grundzüge wären nur in sehr wenigen Punkten ausgeführt. „Seit 50 Jahren erträgt die Nation einen großen politischen Taschenspielerstreich.“ „Eine klare redliche Politik ist innerhalb eines so lügenhaften öffentlichen Rechts unmöglich.“ In Lapidarstrichen führt er den Nachweis, daß die deutsche Geschichte eine ununterbrochene Kette von Annexionen sei. Im Jahre 1792 hätte es noch 289, 1803 176, 1815 39, 1864 34 Staaten gegeben. „Ist es nach alledem wahrscheinlich, daß die Geschichte auf ihrem erhabenen Gange immerdar ehrfurchtsvoll stillstehen werde vor dem Fürstenthum Reuß ä. L. oder dem Königreiche Hannover?“ „Das heutige Herzogthum Nassau umfaßt auf 85 Geviertmeilen die Fetzen von 87 vormals selbständigen Territorien. In der That, es bedarf einer eisernen Stirn, um in einem solchen Staate die Lehre der Legitimität zu predigen.“ „Einer Reihe bureaukratisch regierter Kleinstaaten zurufen: fasset einen heroischen Entschluß! – das heißt, dem Wurm sagen ,fliege doch‘.“ Es sei eine „praktische Erfahrung, daß das Wesen des Staats zum Ersten Macht, zum Zweiten Macht und zum Dritten nochmals Macht ist“. Eingehend erörterte er die Unmöglichkeit, daß Oesterreich noch ferner zum Bunde gehörte. „Jede deutsche Bundesreform ist eine Phrase, solange Deutschlands unnatürliche Verbindung mit Oesterreich nicht gelöst ist.“ „Aber“, so weissagt er, „wenn Oesterreich seine herrschende Stellung in Deutschland verliert, werden beide ehrliche Bundesgenossen werden.“ Mit siegreicher Beredsamkeit weist er nach, „daß Preußen die Zukunft gehöre“. „Jede Scholle Landes, welche unserem Volke seit dem westfälischen Frieden zuwuchs, ist durch Preußen erobert;“ „Preußens Machterweiterung wird allmählich zu einer Forderung der Gerechtigkeit.“ „Im Falle eines Krieges mit Frankreich sieht sich Preußen gezwungen, Hannover und Kurhessen provisorisch als seine Provinzen zu behandeln.“ Er verlangt die Annexion der Elbherzogthümer im Gegensatz zum Nationalverein. Die Abrundung Preußens im Norden sei unzweifelhaft das wirksamste Mittel, die Zertheilung Deutschlands zu verhindern. Eine glänzende Parallele zieht er zwischen Deutschland und Italien. Jede Zeile hat er da mit seinem Herzblut geschrieben. Wer fühlt nicht, daß dem Schreiber das Herz fast springt bei den Worten: „Von jener nachhaltigen, fast nervösen Leidenschaft, die im Wachen und im Träumen nur das Eine zu denken vermag ,mein Land, mein Land‘ und immer nur ‘mein Vaterland‘ – von alledem ist bei der großen Mehrzahl unserer Patrioten sehr wenig zu spüren.“ Der Zuruf der Franzosen: „Wir grüßen Italien an seinem Geburtstage. Eine Nation wird geboren an dem Tage, da sie ihre Einheit erlangt“, müsse, so meint der Wecker der deutschen Gewissen, seinen hadernden Volksgenossen „wie das Schmettern himmlischer Posaunen“ ins Ohr klingen. Und gleichsam als blicke er auf den führenden preußischen Staatsmann, spielt er auf Cavour’s[WS 17] Beispiel an: „‚Mag mein Ruf untergehen, mag mein Name untergehen, wenn nur Italien eine Nation wird!‘ – in diesem einen Worte Camillo Cavour’s liegt mehr reine Mannestugend als in ganzen Bibliotheken unserer Theologen.“
In der That, wenn von irgend einer Schrift gesagt werden kann, sie habe Bismarck den Weg zur Begründung des Reiches geebnet, so war es diese. An sie dachte später Theodor Mommsen wohl vornehmlich, als er in heißem Kampfe gegen T. doch rühmend hervorhob, Treitschke’s Feder sei eines der besten Schwerter gewesen, die für die deutsche Einheit gefochten hätten. Der Aufsatz erschien im Buchhandel mit einer Reihe seiner bereits in den „Preußischen Jahrbüchern“ erschienenen Essays unter dem Titel „Historisch-politische Aufsätze“ zu [283] einem stattlichen Bande vereinigt, dessen Herausgabe T. mit Hirzel einstweilen an Stelle der „Geschichte der deutschen Bundesstaaten“ vereinbart hatte. Bevor der Band herauskam – er konnte ihn im November 1864 verschicken – unternahm er noch eine Reise nach der Schweiz und nach Paris, wo er seinen Freund Oppenheim besuchte und von wo er einen Abstecher nach Rouen, Havre und Honfleur unternahm. In Paris fand er auch Gelegenheit, einen Vortrag über Washington zu halten. Ueber dies Thema, außerdem noch über Liselotte von der Pfalz, sprach er nachher auch vor dem Großherzog Friedrich von Baden[WS 18], dem er auch seinen Aufsatz „Bundesstaat und Einheitsstaat“ zuschickte. Der hohe Herr las das Buch und war großdenkend genug, dem Verfasser trotz der darin an den Kleinstaaten geübten Kritik nicht gram zu werden. Von einem „komischen“ Schrecken, der die Karlsruher officielle Welt befiel, wußte T. aber doch zu berichten. Am freudigsten begrüßte in der Oeffentlichkeit G. Freytag die Schrift. Weniger günstig wurde sie vom Nationalverein aufgenommen. Vor allem suchte Ludwig Häusser in einer Sylvesterbetrachtung der „Preußischen Jahrbücher“ T. auf seiner früheren augustenburgischen Parteirichtung festzunageln. T. antwortete darauf in einem Aufsatz „Lösung der Schleswig-Holsteinschen Frage“, den er am 15. Januar 1865 an die „Preußischen Jahrbücher“, die Verstimmung gegen dieses Organ bei Seite schiebend, einschickte. Darin warf er mit grimmigem Hohne die Frage auf: „Soll das Blut auf Alsen und den Düppeler Schanzen darum geflossen sein, damit dieser Krieg mit einem particularistischen Possenspiel endige?“ Zugleich lenkte er jetzt noch mehr zu Bismarck herüber. „In der Politik ist nichts abgeschmackter als der Groll. Man kann dem preußischen Minister das Verdienst nicht bestreiten, daß er durch rasches Handeln jene rathlose Zagheit verscheucht hat, die wie ein Alp auf Preußen lastete.“ Dieses abermalige Eintreten für die Einverleibung der Herzogthümer erregte das größte Ansehen. Die „Preußischen Jahrbücher“ mußten zweimal Sonderabdrücke erscheinen lassen. „Meine jüngste litterarische Schandthat hat mich rasch zu einem der bestverleumdeten Menschen in Deutschland gemacht“, schrieb T. „Ich aber habe das frohe Bewußtsein erfüllter Pflicht und die Freude, viele brave Leute, auch Busch; bekehrt zu haben.“ Er versprach weiter seine Schuldigkeit zu thun, „auf die Gefahr hin, für einen Söldling Bismarcks zu gelten“, wie er an Overbeck schrieb. Der neue Aufsatz brachte ihm auch eine Fehde ein, mit Biedermann, der ihn in der „Allgem. Deutschen Zeitung“ angriff. T. fertigte ihn in den „Grenzboten“ ab.
Eine Sorge erfüllte T. bei der Veröffentlichung dieser publicistischen Kundgebungen: die vor dem Bruche mit seiner Familie. Er sandte die „Historischen und politischen Aufsätze“ auch seinem Vater und schrieb darüber an Overbeck: „Alles kommt darauf an, ob mein Vater seinem eigenen edlen und tapferen Gefühle überlassen bleibt. Dann wird er betrübt sein, aber Alles wird zwischen uns beim Alten bleiben … Wenn ihm jedoch die Schranzen in Dresden das Herz schwer machen, dann stehe ich für Nichts. Es wäre zu traurig.“ Seine Befürchtung traf ein. Die Schranzen entfremdeten ihm das Herz seines Vaters. Im Juni 1865 schrieb er an einen Freund: „Seit den Festen in Pillnitz hat sich die Haltung meines Vaters gegen mich gänzlich verändert, und ich weiß manchmal kaum, was ich als guter Sohn thun soll.“ Freilich war er selbst weniger denn je von liebenswürdigen Empfindungen für seinen sächsischen Heimathsstaat erfüllt. Schrieb er doch damals an Gutschmid: „In meinem Zimmer hängt jetzt das Bild Camphausen’s, die Schlacht von Hohenfriedberg, gleich im Vordergrunde ein gefangener sächsischer Grenadieroberst und ein Paar silberne Pauken mit unserem vaterländischen Wappen. [284] O Alfred, wann werden diese gesegneten Tage wiederkehren?“ Er fühlte sich währenddem in Freiburg tief einsam. Seine besten Bekannten kamen fort, T. seufzte: „Die ganze Stadt spricht von mir; jeder dritte Mensch grüßt mich, die Aula faßt die Zuhörer in meinem Publicum nicht. Und doch lebe ich wie ein Einsiedler.“ „Ein kurzes Gespräch mit Dir (gemeint ist Overbeck) oder Freytag oder Gutschmid hat mich oft auf lange Tage reicher gemacht als dicke Bücher. Und nun dies Nest, wo niemand mir etwas Gescheites sagt.“ Er stürzte sich um so leidenschaftlicher in die Arbeit. Vornehmlich machte er sich daran, seine Antrittsvorlesung über die Republik der Niederlande zu einem Essay auszuarbeiten. Seine Nachtarbeit zog ihm eine Augenentzündung zu. Die geistige Sammlung, die er in Freiburg fand, söhnte ihn immerhin etwas mit dem dortigen Aufenthalt aus. Im Herbst besuchte er aufs Neue die Schweiz und Frankreich bis Lyon. „Wenn das Exil in dem Pfaffenneste bald ein Ende nimmt“, schrieb er, „so muß ich immerhin zufrieden sein, daß ich den Ultramontanismus in seiner ganzen viehischen Unsittlichkeit aus der Nähe betrachtet habe.“ Im Sommer und Herbst 1865 ging er auch daran, für seine „Geschichte der deutschen Bundesstaaten“ in Karlsruhe archivalische Studien zu unternehmen. Währenddessen wurden die „Historisch-politischen Aufsätze“ stark gekauft. Innerhalb Jahresfrist mußte die dritte Auflage gedruckt werden. T. dachte der ersten Sammlung nun noch einen „zweiten und letzten“ Band Essays folgen zu lassen, obwohl dadurch das Erscheinen der „Deutschen Geschichte“, wie er das geplante große Werk zu nennen pflegte, wieder hinausgeschoben wurde. Ihn trieb der Gedanke an den Zustand der deutschen Nation, den er niederschlagend, wie seit langem nicht, fand. „Darum“, so meint er, „soll, wer heute noch ein wenig Verstand und Hoffnung in sich fühlt, unmittelbar und bald auf die öffentliche Meinung einzuwirken suchen.“ Er sagte sich zwar, daß die Essays seiner Carriere garnichts nützten. „Aber der Patriot in mir ist tausendmal stärker als der Professor.“ Mitten in solche Erwägungen fiel eine Kundgebung des Ministers v. Beust gegen Treitschke’s sachsenfeindliche Schriftstellerei, die schmerzliche Folgen für T. nach sich ziehen sollte. Freilich suchte er mit der ganzen Wucht seiner Dialektik den sächsischen Staatsmann in einem Aufsatz der „Preußischen Jahrbücher“ zu widerlegen. Seine Worte waren aber nur geeignet, Oel ins Feuer zu gießen. Die Depesche Beust’s gab den Anlaß, daß der Vater Treitschke’s seinem Sohne herbe Worte schrieb. Der alte General schloß seinen Brief mit der wiederholten Bitte, von der Publicistik abzulassen und ein reiner Geschichtsschreiber zu werden. Unter den obwaltenden Verhältnissen mußte T. die Absicht aufgeben, an der Hochzeit seiner jüngeren Schwester mit einem Mitgliede eines der angesehensten sächsischen Adelsgeschlechter theilzunehmen.
Während sich so die Fäden, die ihn noch immer mit der Heimath verbanden, mehr und mehr lösten, knüpften sich fast gleichzeitig wichtige und neue Verbindungen für ihn an. Er hatte sich im Verlauf seiner Karlsruher Archivstudien auch an das preußische Auswärtige Ministerium mit der Bitte gewandt, ihm Zutritt zu den dort bewahrten Acten zu gewähren. Er war doch einigermaßen erstaunt, als Bismarck, mit dem er sich innerlich noch keineswegs auch nur einigermaßen ausgesöhnt hatte, weil er dessen innere Politik verurtheilen zu müssen glaubte, ihm unter dem 15. December 1865 einen eigenhändigen Brief schrieb und ihm die alten Acten seines Departements unbedingt zur Einsicht eröffnete. Er fand, daß der preußische Staatsmann ihm „mit unerhörter Liberalität“ begegnete, liberaler selbst als Roggenbach. Dies war ein Ereigniß für ihn und durfte ihm über manchen Kummer hinweghelfen. Während er die Erlaubniß aus Berlin erhielt, schrieb er gerade an einem neuen großen Essay, [285] über Cavour, „damit das Publikum doch einmal lernt, was ein Staatsmann ist“. „Cavours Reden“, schrieb er, „erschließen mir eine Welt neuer Ideen. Es ist doch etwas Wunderbares um einen großen Mann. Noch merkwürdigen ist der tiefreligiöse Zug in diesem scharfen Geiste“.
Auf dem Wege nach Berlin besuchte er im Frühjahr seinen Vater auf dem Königstein. Es war noch einmal ein harmonisches Zusammensein der Beiden. In Berlin lernte T. Bismarck kennen. Noch im Februar hatte er an Overbeck geschrieben: „Mir liegt aus vielen Gründen daran, in Berlin mit einem Male zu Ende zu kommen, namentlich weil ich mit Bismarck nicht in dauernde Verbindung treten will.“ Wie anders sollte es kommen! Das geistige Leben Berlins packte ihn mächtig. Er kam dort in regen Verkehr mit Männern wie Max Duncker, Theodor Bernhardi, Gustav Schmoller, Hermann Baumgarten u. A. Das Nahen der Auseinandersetzung zwischen Preußen und Oesterreich war das große Thema, von dem alle erfüllt waren. Namentlich die Aussprache mit Duncker war T. von Werth. „Nie“, so hat er 1886 geschrieben, „werde ich vergessen, wie sein klares Urtheil, seine genaue Kenntniß der preußischen Zustände mich befestigte in den politischen Gedanken, die ich aus dem entlegenen Freiburger Winkel heraus, mehr ahnend als wissend, ausgesprochen hatte.“ Nur schwer wird er sich von Berlin losgemacht haben, um seine Vorlesungen wieder aufzunehmen. Es war ihm natürlich bald klar geworden, daß er noch oft in die preußische Hauptstadt zurück müsse. Inzwischen kamen die Ereignisse in Fluß. Für T. stand es fest, daß er nicht in Freiburg bleiben könnte, wenn Baden sich gegen Preußen erklärte. Schon ehe der Krieg begann, knüpfte Bismarck mit ihm Verhandlungen an, die den Zweck hatten, seine gewaltige Feder für die preußische Publicistik voll auszunutzen. Er sollte das Kriegsmanifest schreiben u. s. w. Als Ersatz für seine Freiburger Stellung wollte man ihm eine ordentliche Professur in Preußen geben. Der preußische Staatsmann richtete wiederum eigenhändig ein ausführliches Schreiben an den jungen Professor und teilte ihm seinen Bundesreformplan mit. T. sah sich in einer delicaten Lage. Selbst Roggenbach wagte nicht, ihm abzurathen. „Eine Berliner Professur“, so schrieb T. an Freytag, „das alte Ziel meiner Wünsche, war mir sicher.“ Er lehnte aber doch das Anerbieten ab. Er wollte sich sein köstlichstes Gut, seine Unabhängigkeit bewahren. Er sah voraus, daß er in eine schiefe Stellung gerathen würde, wenn er in solche nahen Beziehungen zu dem Staatsmann trat, dessen innere Politik er nicht billigte, und setzte das Bismarck mit großer Offenheit auseinander. Noch in Freiburg schrieb er den Aufsatz „Der Krieg und die Bundesreform“ nieder, der lebhaft für die Entscheidung durch die Waffen und gegen das Geschrei vom „Bruderkrieg“ eintrat. Freilich hob er darin zugleich hervor, daß Bismarck bei aller Kühnheit und Beweglichkeit seines Geistes ein sehr geringes Verständniß für die sittlichen Kräfte des Völkerlebens besäße. Die badische Regierung hielt ihn bei seiner preußischen Gesinnung für persönlich gefährdet und ließ seine Wohnung durch Gendarmen bewachen. Er aber lachte: „Hinter der schreienden Zuchtlosigkeit des süddeutschen Pöbels steckt nicht einmal soviel Muth als zum Einwerfen einer Fensterscheibe gehört.“ Als dann die Entscheidung fiel und Baden thatsächlich gegen Preußen Partei nahm, kam er sofort um seinen Abschied ein: „Ich kann nicht Staatsdiener bleiben in einem Rheinbundsstaate, den ich als Patriot nach Kräften zu schädigen suchen muß“, schrieb er an Freytag. Am 28. Juni wurde sein Gesuch genehmigt.
Kurz vorher, am 18. Juni, hatte er sich in dem Stahlbade Griesbach im südlichen Baden mit Emma v. Bodman, der Schwägerin seines Freundes W. Nokk, verlobt. Er hatte schon kurz vor seinem Weggange nach Freiburg [286] einen Herzensroman erlebt. Damals hatte er geschwankt, ob er ein junges Mädchen freien sollte, das ihn leidenschaftlich liebte, oder ob er sich einer anderen jungen Dame erklären sollte, für die er selbst eine starke Neigung empfand. Er war damals nicht ins Reine mit sich selbst gekommen und empfand das tief schmerzlich. „Ich werde vermuthlich allein im Leben bleiben“, schrieb er an Overbeck, als er erkannte, daß er nicht diplomatisch genug in dieser Sache gehandelt habe. „Noch nie habe ich mich so einsam gefühlt. Die wenigen Stunden, die ich mit O. verbracht, haben mich ahnen lassen, wie überschwänglich reich das Leben sein kann.“ Mittlerweile hatte er die Neigung Emma v. Bodman’s gewonnen. Auch hier war Overbeck wieder der Vertraute seines Herzens. Von der Verlobung selbst machte er freilich zuerst G. Freytag Mittheilung. Er bekannte diesem: „Ich liebe sie schon lange mit Allem, was gut und tüchtig in mir ist. Ich habe mir nicht zugetraut, daß eine persönliche Leidenschaft so stark in mir werden könnte.“ An Overbeck schrieb er einige Tage später: „Sie hatte den Muth, tapfer Ja zu sagen. Die Sache ist noch Geheimniß, erst muß ich wissen, wie ich zu meinem Vater stehe.“
Er that freilich auch in dieser Stunde nichts, um sich die Gunst des Vaters zu sichern. Im Gegentheil. Gerade jetzt erhob er, getrieben von seiner Vaterlandsliebe, rücksichtsloser denn je seine Stimme gegen die Kleinstaaterei und insbesondere gegen das sächsische Königshaus. Er war aus Baden in weitem Umwege durch Lothringen über Metz, Münster am Stein, Bonn, die Grafschaft Mark, Kassel und Hannover nach Berlin geeilt und hatte dort am 4. Juli für ein Vierteljahr die Redaktion der „Preußischen Jahrbücher“ übernommen. Die Siegesnachrichten erfüllten ihn mit jubelnder Begeisterung. Ihn hatten die ersten Meldungen von preußischen Niederlagen in Baden und Frankreich in seinen Hoffnungen auf Preußen nicht irre zu machen vermocht. Nun sah er sie erfüllt. Ihn schmerzte es, daß er nicht persönlich am Kampfe theilnehmen konnte. „Für den Augenblick reden die Kanonen und wie herrlich reden sie.“ Jeder Husar, der einen Kroaten in die Pfanne haue, nütze jetzt mehr als der beste Schriftsteller. Später hat er gestanden, daß er „nie im Leben eine so demüthige, so andächtige Dankbarkeit empfunden habe für das Glück ein Deutscher zu sein, als in jenem Sommer, da endlich, endlich die Welt lernen mußte, was dieses Preußen ist.“ Er wollte nun wenigstens alles thun, was in seinen Kräften stand, um die Lösung der deutschen Frage so vollständig wie möglich zu machen, obwohl er sich sagte, daß das Verhältniß zu seinem Vater dadurch nur getrübt werden konnte. „Ich will jetzt eine Flugschrift über die Annexion der norddeutschen Mittelstaaten schreiben“, meldete er Overbeck am 16. Juli. „Dies elende Zaunkönigthum darf nicht wieder zurück. Diese Schrift wird meine Stellung zum Vater sehr verschlimmern.“ So entstand Treitschke’s heftigste und auch ungerechteste Schrift: „Die Zukunft der norddeutschen Mittelstaaten.“ Am 30. Juli erschien sie. Sie war von gewaltiger Wirkung. Blutig war der Hohn, mit dem T. namentlich sein sächsisches Königshaus überschüttete. Die Auseinandersetzung mit dem Vater war nun unausbleiblich. T. erklärte ihm: „Ich konnte nicht anders reden.“ Es war ihm schmerzhaft, was der tief betroffene Vater ihm brieflich vorhielt. Noch schmerzlicher empfand er es, daß der General in Dresdener Blättern eine öffentliche Erklärung gegen seinen Sohn erließ. Zwar erfolgte nach jener Erklärung noch ein Briefwechsel zwischen den Beiden, der einen versöhnlichen Charakter trug. Aber im ganzen betrachtete T. die Sachlage so, daß er den Bruch mit seiner Familie als vollzogen ansah. Er bedauerte besonders seine Braut deswegen. Diese, die selbst katholisch war, zog sich durch ihre Verlobung [287] mit T. auch den confessionellen Haß ihrer eigenen Verwandtschaft zu und wurde nun in den Herzenskummer ihres Verlobten hineingezogen.
T. hatte erst darauf gerechnet, Docent in Berlin zu werden. Statt dessen suchte ihm Droysen eine ordentliche Professur in Königsberg an des von dort wegberufenen K. W. Nitzsch’s Stelle zu besorgen. Schon am 15. Juli galt Treitschke’s Berufung dorthin als abgemacht. Die Aussicht, in Königsberg zu wirken, schien T. sehr verlockend. Er wollte im Herbst hingehen, „wenn nicht die Annexion des Rautenlandes und damit wahrscheinlich auch meine Versetzung nach Leipzig erfolgen sollte.“ Schließlich zog es Nitzsch vor, in Königsberg zu bleiben. Darauf wurde Treitschke’s Berufung nach Kiel in Anregung gebracht. Die dortige philosophische Facultät schlug ihn für eine Professur der „Geschichte und Politik“ vor, freilich gegen starken Widerspruch in ihrem eigenen Schoße. Steigend offenbarte sich, daß Treitschke’s kühne Kampfnatur überall den Kampf gegen ihn selbst weckte. Der eine meinte, es ginge nicht an, daß man einem Mann, der durch und durch Politiker sei, „auch“ die Geschichte übertragen wolle, ein anderer vermißte bei T. gar das Streben „nach objectiver Wahrheit“. Am 5. October 1866 erfolgte jedoch die Ernennung für Kiel. Diese konnte natürlich nur als ein Ausweg betrachtet werden, um T. eine Unterkunft zu schaffen. Denn in Kiel fand er einen noch geringeren Wirkungskreis als vordem in Freiburg. Gab es dort doch nur dreißig Studenten in der philosophischen Facultät, und waren die dortigen Verhältnisse, das Widerstreben der Holsteiner, sich in die preußische Zucht zu schicken, und die Eigenartigkeit ihres Wesens doch für T. möglichst ungeeignet. Treitschke’s rücksichtslose Offenheit konnte hier nur schaden. Zum Ueberfluß wurde ihm auch noch ein möglichst unfreundlicher Empfang bereitet. Sein dortiger Amtsgenosse Forchhammer griff ihn in einer Schrift „Bundesstaat und Einheitsstaat“ an. Der Schriftsteller Gustav Rasch veröffentlichte einen offenen Brief gegen seine Ernennung. Auch Venedey griff ihn an. Er las zwei Privatcollegien, „Geschichte des Reformationszeitalters und „Politik“, sowie ein Publicum, „Geschichte Europas in den Jahren 1848–1850“. Es wiederholte sich das alte Bild. Die Räume faßten seine Zuhörer nicht. In dem Publicum sprach er vor 2–300 Personen aller Stände. Der Oberpräsident, hohe Officiere, die ganze Regierung waren darunter. Ihm gefiel es garnicht unter den Holsten, die sich immer als die „Normalmenschen“ betrachteten. „Schamloser ist nie gelogen worden“, schrieb er im Februar 1867 aus Kiel, „als über dies deutsche oder undeutsche China. Das Land ist einfach ein zweites Mecklenburg: Zünfte, Privilegien, Sonderrechte überall, dazu ein Volk von kolossaler Faulheit und Gefräßigkeit, von einem stupiden Dünkel, dessen Gleichen ich nie bei einem Volke gesehen habe. Das Beste sind die Studenten, fleißige, wenn auch altkluge Leute. Da man hier von „Deutschland“ – so spricht der Holste wie von einem fremden Volke! – nie etwas gehört hat, so hab’ ich einen guten Wirkungskreis.“ Nur mit einer Holstin, mit Charlotte Hegewisch[WS 19], der Nichte Dahlmann’s, hat er Freundschaft geschlossen. Eine Wohlthat war es für ihn, daß er wenigstens in Gutschmid und Otto Ribbeck verständnißvollen Umgang unter den Collegen fand.
Seine Popularität im Reiche war inzwischen außerordentlich geworden. Ihm wurden für den Norddeutschen Reichstag nicht weniger als sechs Candidaturen angeboten, darunter Elberfeld und Kolberg, hier auf Moltke’s ausdrückliche Empfehlung. Er mußte ablehnen, weil er drei Jahre Aufenthalt im Norden nachweisen mußte. Wie gern wäre er in den Reichstag gezogen!
Am 18. März wollte er heirathen. Noch unmittelbar vor diesem Tage, am 10. März, starb sein Vater, der noch vor Ausbruch des Krieges seinen [288] Abschied genommen hatte und von Königstein nach Dresden verzogen war. Der lebensmüde General hatte noch kurz vorher abgelehnt zur Hochzeit zu kommen. Feierlich sprach er seinem Sohne noch seinen Segen aus. T. eilte sofort zur Beerdigung. „Es waren schreckliche Tage“, schrieb er später an Overbeck, „damals in Dresden: ohne unseren deutschen General, der jetzt Gottlob die alte Rheinbundsfeste [den Königstein, auf dem der Vater bestattet wurde] commandirt, hätte ich nicht einmal dem Sarge meines Vaters folgen können; indes weiß ich, daß mein Vater versöhnt mit mir gestorben ist.“ Die Hochzeit fand am festgesetzten Tage im Woringen’schen Hause, in dem T. die Braut kennen gelernt hatte, statt. Im Anschluß daran unternahm das junge Paar eine Reise durch Südfrankreich und Norditalien. T. wäre auch gern nach Rom gekommen, mußte aber in Florenz umkehren, da keine Zeit mehr war.
Zurückgekehrt, richtete er sich in Kiel auf einige Jahre Bleibens „in diesem weiland bekanntesten und heute langweiligsten Winkel deutscher Erde“ ein. Etwas resignirt schrieb er: „Das ist einmal der gewöhnliche Lauf, daß man seine besten Jahre im Winkel versitzt und erst als alter Knabe auf den Markt hinaustritt.“ Er las fünfstündig „preußische Geschichte“ und ein zweistündiges Publicum über „italienische Geschichte von 1740–1861“. „Was die Ehe ist“, so schrieb er, „das muß man selbst erleben: ein stilles, sicheres Glück und zugleich eine fortwährende Schule der Selbsterkenntniß. Nur Eines finde ich recht schwer, und ich hab’ es noch nicht gelernt: man muß sehr klug mit seiner Zeit hauszuhalten wissen, wenn man zugleich tüchtig arbeiten und einer geliebten Frau etwas sein will.“ Sein Stern wollte es aber nicht, daß er dauernd in Kiel blieb. Schon bei Lebzeiten Ludwig Häusser’s kam seine Berufung nach Heidelberg in Frage. Niemals hatte Mathy seinen Gedanken aufgegeben, seinen Max Piccolomini wieder nach Baden zu bringen. T. weigerte sich aus naheliegenden Gründen, sich neben den kranken Häusser setzen zu lassen, nicht ohne dadurch den Großherzog Friedrich zu verstimmen. „Es ist doch seltsam“, meinte T. dazu, „wie schwer hohe Herren selbst die einfachsten menschlichen Motive verstehen.“ Inzwischen war Häusser, gerade als T. seine Hochzeitsreise antrat, gestorben, und sofort kam T. als sein Nachfolger in Betracht. Die philosophische Facultät nannte ihn neben Sybel, von dem man wußte, daß er in Bonn bleiben würde, an erster Stelle. Einer der Hauptförderer seiner Berufung war der Nationalökonom Knies[WS 20], der auch schon 1863 Treitschke’s Berufung nach Freiburg mitbetrieben hatte. Der Senat stieß freilich – wie T. wissen wollte, auf Betreiben der Theologen – die Reihenfolge wieder um und setzte Treitschke’s Namen an die letzte Stelle. Man nannte T. einen Feuilletonisten und fand seine Taubheit hinderlich. Einige nahmen auch noch an seiner Schrift über die Zukunft der norddeutschen Mittelstaaten Anstoß. Wieder gab es heftige Kämpfe. Schon rechnete T. ernstlich damit, daß Duncker, der außer ihm neben Pauli vorgeschlagen war, die Stelle erhalten würde. Er wußte nicht recht, ob er das wünschen sollte. „Aus Preußen fortzugehen, würde mir ungeheuer schwer fallen“, schrieb er. Am 10. Juli berief der Minister jedoch, unbekümmert um die Reihenfolge, T. Dieser machte sein Kommen von der Zustimmung der preußischen Regierung abhängig. Nachdem König Wilhelm ihm seine preußische Staatsangehörigkeit vorbehalten hatte, nahm er an und verließ am 2. October 1867 Kiel. Nach einjähriger Pause war er wieder badischer Professor geworden.
Nun begannen die sieben Jahre seines Heidelberger Wirkens, wohl die schönsten seines Lebens. Er wurde von seinen neuen Collegen ganz anders aufgenommen als in Kiel. Außer Knies fand er dort einen alten Freund [289] aus dem „Kitzing“ den Botaniker Hofmeister. Andere Freunde wurden die Theologen Gaß, Hitzig, Hausrath und vor allem Emil Herrmann, der spätere Präsident des preußischen Oberkirchenraths, mit dem T. schon von Göttingen her bekannt war, der Jurist Levin Goldschmidt, der Historiker Weber, der Physiker Helmholtz. Auch mit dem Historiker W. Wattenbach fand er ein gutes Verhältniß, obwohl es politisch nicht mit ihm harmonirte. Am wenigsten gefielen ihm einige freisinnige Theologen wie Schenkel und Nippold[WS 21]. Ebenso fand er wenig Geschmack an Bluntschli und Bunsen. Herrmann lernte ihm zuliebe, was sonst wohl nur noch die eigene Gattin that, die Fingersprache, da eine neuere verfehlte Ohrencur ihm auch noch den letzten Rest seines Gehörs raubte. Mit anderen Menschen mußte sich T. seit jener Zeit unter Zuhülfenahme von Zettelnotizen verständigen. Trotz seines Leidens war es ihm Bedürfniß, möglichst viel unter Menschen zu sein, und bald sammelte er die ihm zusagenden Elemente um sich, die natürlich nicht die Mehrheit bildeten. Durch seine Offenheiten bereitete er den Freunden nicht selten Verlegenheiten. Als sich einmal die Najurwissenschaftler in eine historische Berufungsfrage einmengten, sagte er seinem Nachbarn mit Donnerstimme ins Ohr: „Was geht das diese Apotheker und Mistfahrer an?“ Als er in den „Preußischen Jahrbüchern“, deren Herausgeber er seit 1866 geworden war, drucken ließ, Hoftheater und Universitätssenate würden stets der classische Boden eifersüchtiger Intriguen und knabenhafter Katzbalgereien sein, ein Wort, das sich ähnlich auch in den Briefen Wilhelm’s v. Humboldt vorfindet, brach die sog. „Mehrheit“ der Professoren mit der „Minderheit“ die Beziehungen ab. Nun taufte T. die Freunde glückselig: „Die Verfemten“.
Unter den Studenten gewann T. eine unvergleichliche Stellung. Er stand damals in der Vollkraft frischer Männlichkeit. Wenn die hochgewachsene, breitschulterige und damals auch straffe Gestalt, an der alle Muskeln federten, mit dem dichten dunklen Haar und den schweren glänzenden braunen Augen, aus denen die Treuherzigkeit leuchtete, auf dem Katheder erschien, das mächtige Haupt trotzig stolz zurückwarf und mit lebhaftem freudigem Mienenspiel unter raschen Bewegungen seine Vorlesung begann, zu der er sich nur einen Zettel mit Stichworten mitzubringen pflegte, dann fühlten sich die jungen Leute sofort ganz unter seinem Banne. Das Tapfere und Siegesgewisse dieses Mannes elektrisirte. Und nun strömten dem Redner aus der Tiefe seines Innern die Worte mit einer Leichtigkeit zu, die geradezu wie ein Wunder erschien. Jedermann fühlte, daß da einer sprach, der die Geschicke seines Vaterlandes wie selbsterlebtes Leid und Glück empfand. Niemand hatte bisher so die Herzen im Innersten zu treffen gewußt. Er war, wie schön gesagt worden ist, „ein Lehrer, der die Seelen entsiegelte“. Humor und Pathos wechselten in seiner Rede wie Blitz und Donner. Wenn die satirischen Peitschenhiebe, die er dann und wann austheilte, einmal zu große Heiterkeit auslösten, dann machte ein unwilliger Blick dem Lärm gewöhnlich bald ein Ende. Der Zulauf zu seinen Vorlesungen war wieder ganz ungeheuer. Er las in Heidelberg ähnlich wie früher mit besonderer Liebe über preußische Geschichte, desgleichen über neuere deutsche und über Reformationsgeschichte, zuletzt auch wieder einmal über Politik. Jetzt erlebte er auch wieder, wie in Leipzig, an den Studenten selbst besondere Freude. Das Bewußtsein, endlich einen glücklichen Wirkungskreis gefunden zu haben, hob ihn sichtlich. Im Umgang mit den Collegen ließ der bescheidene Mann von seinen gewaltigen Erfolgen im Hörsaal kaum etwas merken. Als im J. 1870 bei Ausbruch des Krieges ein allgemeiner Commers veranstaltet wurde, da ward T. empfangen, als ob [290] er der wahre Heerführer sei, „und für diesen Abend war er es auch“, berichtet Hausrath. Eine nie dagewesene Huldigung für ihn fand statt. Herman Grimm hat später von T. geschrieben: Er würde ein Volk durch Meer und Wüste geleitet haben. Solch ein Augenblick war es zweifellos, als T. die Heidelberger akademische Jugend mit dem Worte Fichte’s entließ, zu siegen um jeden Preis. Auf Treitschke’s Antlitz strahlte die helle Freude über diese Jugend. An sich dachte er nicht. Den Hörern seiner Worte aber prägten sich diese damals ebenso ein, wie den Theilnehmern an der Feier zum Gedächtniß der Leipziger Schlacht. Mit Schauern der Begeisterung sprachen sie noch nach Jahrzehnten davon.
Dieser erfrischende Contact mit seiner verständnißvollen Jugend, noch mehr aber der Gang der Ereignisse blieb nicht ohne Rückwirkung auf sein schriftstellerisches Schaffen. Treitschke’s Schriften dieser Zeit bis zum Jahre 1871 athmen, wie Erich Marcks treffend gesagt hat, den ganzen frühlinghaften Zauber der Werdejahre des Reiches. In diesen Jahren wurden drei der bedeutendsten seiner Schriften streng historischen Charakters zum Abschluß gegebracht: „Frankreichs Staatsleben und der Bonapartismus“, „Cavour“ und die „Republik der Vereinigten Niederlande“, jede ein Meisterstück der Geschichtschreibung, jede heute, nach vier Jahrzehnten, in ihrem Wesentlichen noch durchaus für die Forschung maßgebend. In seinem Essay über den Bonapartismus fand allerdings Napoleon I.[WS 22] wenig Gnade vor seinen Augen. Er war fraglos nicht immer gerecht gegen ihn und fühlte das wohl selbst. Wahrhaft empört weist er das Lob Napoleon’s III.[WS 23] zurück, der erste Kaiser der Franzosen habe die Keime der nationalen Bewegung in Deutschland und Italien gelegt: „Ja wohl, das roh gepeitschte Roß, das aufbäumend das Weite sucht, dankt sicherlich dem Unverstande des Treibers seine Freiheit.“ Der Essay besteht aus einer ganzen Reihe von Aufsätzen und ist seinem Umfange nach ein stattliches Buch zu nennen. Sein Hauptertrag ist der Nachweis, zu dem Jahrzehnte nach T. auch Taine gelangte, daß im centralistischen Frankreich trotz aller Wandlungen die cäsaristischen Formen in der Hauptsache erhalten geblieben waren, die trotz aller constitutionellen Einrichtungen von Freiheit wenig spüren ließen, und daß dadurch das Haus Bonaparte abermals zur Herrschaft gelangen konnte. Wieder begegnet uns in dieser Schrift der große Einfluß Tocqueville’s auf T. Noch höher in der lebendigen Darstellungskraft als der „Bonapartismus“ steht der Essay über „Cavour“, auch eine Schrift von zehn Bogen Stärke. Es ist schwerlich zu viel gesagt, wenn behauptet wird, daß selten ein großer Staatsmann tiefgründiger analysirt worden ist, als der Einiger Italiens durch T. Treitschke’s Colleg über das Verhältniß der Politik zur Moral wurde hier bereits an einem praktischen Beispiel erläutert. Man sieht Cavour auf jedem Blatt leibhaftig vor sich stehen, handeln, reden und lachen, man schaut hinein in die tiefsten Beweggründe, die ihn trieben, man begreift das Risorgimento in allen seinen Phasen und fühlt mit den Helfern des wackeren Staatsmanns, man wird in den italienischen Nationalcharakter hineingeführt und lernt die italienische Landschaft sehen, sieht vor sich die italienischen Städtebilder in glänzender Farbenpracht auftauchen. Und wie hinreißend weiß der Verfasser Garibaldi’s[WS 24] poetische Gestalt mit einigen Pinselstrichen zu veranschaulichen! Mit derselben unvergleichlichen Meisterschaft ist der dritte große historische Essay dieser Jahre geschrieben, „Die Republik der Vereinigten Niederlande“. Da schildert T. ergreifend die Schuld der Deutschen, durch die das köstliche Tiefland des Rheins, die starken Arme, die unser Strom dem Weltmeer offen entgegenbreitet, vom Leibe unseres Reiches abgeschnitten sei. Wuchtiger vermag kaum die [291] Willenskraft der starren Calvinisten, die die niederländische Republik groß machte, versinnlicht zu werden, als durch jenen Satz Treitschke’s: „Schaut sie an, die Bilder der Helden des Calvinismus in der Genfer Bibliothek, der Ruhmeshalle der reformirten Kirche. Männer aus allerlei Volk, und doch den Söhnen Eines Stammes gleichend: ein fürchterlicher Ernst spricht aus den markigen Zügen, alle Kräfte der Seele erscheinen beherrscht, aufgezehrt von der einen köstlichsten, dem Willen.“ Die Oranier vergleicht er mit dem Strategengeschlecht der Barkiden. Die Schilderung der einzelnen Vertreter dieses Heldengeschlechts, ebenso wie die Zeichnung Oldenbarnevelt’s und Johann de Witt’s verrathen wieder den größten Porträtkünstler, den die Deutschen je unter den Historikern gehabt haben. Wenn er der Schlacht auf der Mooker Heide gedenkt oder die Wunderwelt der Sundainseln beschreibt, dann ist der Poet unverkennbar. Dankbar spricht er aus: „Daß dies romanisch-katholische Wesen der Conquistadoren nicht für immer die Herrschaft behauptete in den Pflanzungstaaten der weißen Rasse, daß das Weltmeer heute den Germanen gehört, den Protestanten – dies ganz unsagbare Glück danken wir der glorreichen Flagge der Ketzer von Holland.“ Die Veranschaulichung des Gegensatzes von Holland und Spanien, von dem Segen freier Arbeit und dem Fluche der Knechtschaft gehört zu dem Glänzendsten, was jemals geschrieben worden ist. “
Für den „Cavour“ benutzte T. auch intime Quellen, Mittheilungen der Gräfin San Germano, Cerrutti’s, Nigra’s und Anderer. Da er diese Namen nicht nennen durfte, so mußte er eine gewisse Zurückhaltung üben. Um den rechten Ton für seine „Niederlande“ zu finden, reiste er noch im Sommer 1868, als er mit diesem Essay ebenso wie mit dem „Cavour“ schon Jahre lang beschäftigt war, dorthin. „Ich will mir das Sumpfland einmal anschauen“, schrieb er. Er sagte von dieser Arbeit: „Sie ist, gerade wie der Bonapartismus, dreimal länger geworden, als ich dachte: – in solchen Vorausberechnungen bin ich leider ein Stümper … In den paar Seiten [über die Niederlande] steckt unbillig viel Mühe.“ Er lebte gleichsam fortdauernd in einem „Arbeitstaumel“. Diese Mühe hat sich aber gelohnt. Die Essays dieser Jahre sind classische Werke ersten Ranges geworden. Sie allein sichern T. einen Platz nicht nur in der historischen Wissenschaft, sondern in der deutschen Litteratur überhaupt. So viel sie gelesen sind, sie sind heute noch lange nicht genügend bekannt geworden. Jakob Caro hat die kleinen Schriften Treitschke’s einmal mit den Handzeichnungen großer Maler verglichen, die die unmittelbarste Effusion des Genius wiedergeben. Von den Essays dieser Jahre gilt dies in besonderem Maße.
Im Anschluß an diese drei historischen Essays entstand (1869–1871) ein vierter, der im wesentlichen politischer Natur ist, „Das constitutionelle Königthum in Deutschland.“ Auch über ihm liegt ein heller Glanz gebreitet. Wenige Schriften enthalten so viele tief innerliche Bekenntnisse Treitschke’s. Er zeigte noch den unverwüstlichen Unitarier. Sprach er doch darin von „unserem handfesten Jahrhundert, das schon einige hundert deutscher Fürsten- und Herrenkronen zerschlagen hat und in dieser löblichen Absicht ohne Zweifel fortfahren wird.“ Andererseits näherte er sich darin jetzt mehr den Conservativen. Begeistert und gedankenreich, mit jenem Gefühl der Souveränität, das für ihn so charakteristisch ist, entwickelte er die Nothwendigkeit des Krieges, einen Satz, den er von Anfang bis zu Ende in seinem Leben gegen alle und jeden, wenn er die abweichende Meinung antraf, so z. B. auch gegen Overbeck, voller Siegesgewißheit vertheidigt hat. Unter Umständen erwies er sich aber auch dem Gedanken der Abrüstung zugänglich.
[292] Zu Pfingsten des Jahres 1870 unternahm T. mit Overbeck einen Ausflug ins Elsaß, von dem er schon im J. 1865 Stücke kennen gelernt hatte. Weil er für seine „Deutsche Geschichte“ ganz Deutschland kennen müsse, trieb es ihn, wie er dem Freunde schrieb, wieder dorthin. Sie trafen sich in Weißenburg und wanderten von dort durch die Berge der Pfalz, nicht ahnend, daß in wenigen Monaten die deutschen Heere siegreich durch diese Gegend ziehen würden, Ueber die Entstehung des Krieges war er durch seine Beziehungen zu Bismarck und Berliner politischen Kreisen äußerst gut unterrichtet. Bei Ausbruch des Kampfes schrieb er an Overbeck, was er damals ähnlich in den „Preußischen Jahrbüchern“ ausgedrückt hat: „Ich habe das Gefühl, als ob alle Menschen besser würden, und schäme mich jedes Augenblickes, wo ich nicht ganz frei und hoch um mich schaue.“ Am 25. Juli sang er sein ergreifendes Lied „vom schwarzen Adler“, dessen Schwingen sein geistiges Ohr gewaltig rauschen hörte, und rief bewegt aus: „Gott der Herr in Einer Stunden heilte unsres Haders Wunden.“ Diesem Gedichte folgte am 30. August der Aufsatz: „Was fordern wir von Frankreich?“ Wochenlang ließ er sich nicht bei den Freunden blicken. Es hieß, er schreibe. Dann kam er endlich mit diesem Werk seiner Feder heraus, das wieder zu seinen schönsten gerechnet werden muß. „Heraus mit dem Raube, heraus mit Elsaß-Lothringen!“ hieß es da. Er erinnerte daran, daß der Geist eines Volkes nicht nur die nebeneinander sondern auch die nacheinander lebenden Geschlechter umfasse. Darum gehöre das Land der Erwin von Steinbach und Sebastian Brant zu Deutschland; „die Stunde drängt, eine wunderbare Gnade des Geschicks reicht uns schon in der Morgendämmerung der deutschen Einheit einen Kranz hernieder, den wir kaum im hellen Morgenglanze des deutschen Reiches zu erobern dachten. Fassen wir ihn mit tapferen Händen, auf daß das Blut der theueren Erschlagenen nicht wider unsere Zagheit schreie!“ Mit lockenden Farben schilderte er die jüngst von ihm durchwanderte Landschaft. Geradezu bestrickend ist das Bild, das er vom Sundgau entwirft. Darin taucht der Sängerkönig, der Graf von Rappoltsweiler auf, den er einst zum Gegenstand einer Dichtung machen wollte, „der alljährlich die meisterlose Schelmenzunft zu einem ausgelassenen Pfeiferlandtage berief“. Und dann die Frage: „Dies reiche Jahrtausend deutscher Geschichte sollte ganz zerstört sein durch zwei Jahrhunderte französischer Herrschaft?“ Stürmisch verlangte er, daß das Elsaß preußisch würde. Wieder einmal hatte er seinen Deutschen ans Herz gerührt. Dieser Stil hatte in der That, wie gesagt worden ist, etwas von brausendem Gesang, unterwerfend wie Herrscherton.
Kaum hatte er jene Zeilen niedergeschrieben, da fiel die Fackel auch dieses Krieges in sein eigenes Haus. Sein jüngerer Bruder Rainer war schon bei Königgrätz schwer am Oberschenkel verwundet in preußische Gefangenschaft gerathen. T. hatte damals Bismarck’s Verwendung für die Pflege des Verwundeten erbeten und erhalten. Jetzt empfing dieser tapfere Officier als Premierlieutenant im 2. (königlich sächsischen) Jägerbataillon Nr. 13 bei Sedan die Wunde, die seinen Tod zur Folge hatte, weil der Typhus dazu trat. Noch eben hatte T. in Frankfurt einen Vortrag gehalten – „Ich habe noch nie vor andächtigeren Zuhörern gesprochen“, schrieb er darüber an Overbeck – da erhielt er die Nachricht von dem Hinscheiden Rainer’s. Sie erschütterte ihn auf das Tiefste. „Es war eine traurige Reise“, schrieb er, „und ein schwerer Tag, als wir den tapferen Jungen auf dem Königstein neben meinen Eltern begruben … Besonders gerührt hat mich die feste anspruchslose Frömmigkeit, die ihn nie verließ. Ich habe erst im Verlaufe der letzten Jahre, und nun gar in diesem Kriege, die Bedeutung des religiösen Lebens recht verstehen [293] gelernt. Doch wer darf denn klagen in dieser Zeit? Ich am wenigsten; hatte ich doch in Dresden die Freude, daß meine Schwestern den alten Groll überwunden haben.“ So kündete sich leise ein Umschwung in seinem religiösen Leben an. Die großen Geschicke des Vaterlandes und die Erlebnisse in der eigenen Familie wirkten dabei zusammen. Noch kürzlich – unmittelbar vor dem Kriege – hatte er in einer Polemik mit der Weserzeitung sich zu einer Vertheidigung der Orthodoxen gezwungen gesehen und dabei eingeschaltet: „ein Unternehmen, das meinen persönlichen Freunden sehr ergötzlich sein wird.“ Klang diese Vertheidigung schon etwas nach einer versöhnlichen Haltung den Strenggläubigen gegenüber, so wurde die religiöse Sinnesänderung seit den Ereignissen von 1870 in T. unverkennbar. Wenn er seinem Freunde Hausrath zum Troste über einen schweren Verlust, den diesem der Krieg brachte, sagte, noch mehr als die großen gemeinsamen Erfolge einige das vordem entzweite deutsche Volk der gemeinsame Schmerz, so sprach daraus das Erlebniß in seiner eigenen Familie.
Inzwischen wirkte er weiter für sein Vaterland. Mitte September hatte er seinen jüngsten Aufsatz mit einem Begleitschreiben an Bismarck eingesandt und war darin wieder lebhaft dafür eingetreten, daß das Elsaß preußisch würde: „daß allein Preußen die Kraft besitzt, die deutschen Provinzen Frankreichs wieder zu germanisiren, liegt ja auf flacher Hand.“ Bismarck hatte in Moritz Busch, dem Freunde Treitschke’s vom „Kitzing“ her, die geeignete Persönlichkeit, um mit T. zu verhandeln. Durch Busch ließ er ihm mittheilen, daß es nicht anginge, Baiern die Zumuthungen zu machen, die er verlange. Auf diese Anregung hin schrieb T. unter dem 7. December in den „Preußischen Jahrbüchern“ den Aufsatz: „Die Verträge mit den Südstaaten.“ An Busch aber schrieb er mißmuthig: „Ich begreife sehr gut, daß Graf Bismarck nicht anders handeln konnte, aber eine traurige Geschichte bleibt es doch. Baiern hat uns wieder, wie 1813 durch den Vertrag von Ried, einen Knüppel zwischen die Beine geworfen. Solange wir unsern leitenden Staatsmann haben, werden wir laufen können. Ob auch später? Das unbedingte Vertrauen, das ich der Lebenskraft des Norddeutschen Bundes entgegengebracht, kann ich zu dem neuen Reich nicht hegen. Ich hoffe nur, die gesunde Kraft der Nation werde trotz der höchst mangelhaften Staatsform gedeihen.“ Immerhin verfehlte Bismarck nicht, den Anfang des Treitschke’schen Aufsatzes durch Busch für den König zurechtmachen zu lassen. Wie Freytag und Simson hatte T. gegen den Kaisertitel einige Abneigung, weil er ihm nach Bonapartismus schmeckte. Schweren Herzens fand er sich schließlich darein, daß Elsaß-Lothringen nicht preußisch wurde, freute sich aber, daß wenigstens kein Kleinstaat gegründet wurde. Scharfe Worte fand er gegen die „Spielerei“ mit einem fürstlichen Statthalter.
Neben der Lehrthätigkeit und der wissenschaftlichen Arbeit, sowie der Wirksamkeit als Publicist widmete sich T. in Heidelberg auch dem parteipolitischen Leben. Freilich dachte er von dem badischen Liberalismus, mit dem er parteipolitisch zu gehen gezwungen war, nicht besonders hoch. „Der großherzoglich badische concessionirte Liberallsmus ist nichts als eine wohlfeile Schreierei ohne Muth“, meinte er; und ein ander Mal erklärte er: „Der particularistische Liberalismus ist die verächtlichste aller Parteien.“ Schon in Freiburg hatte er gelegentlich in Volksversammlungen gesprochen. So gab er am 29. November 1863 „seine Lunge auf einer solchen preis“. „Aber Du weißt, was ich von dem souveränen Unverstand halte“, bemerkte er dazu unbefriedigt. Für sein parteipolitisches Wirken wurde besonders eine zu Gunsten des Ministeriums Jolly am 23. Mai 1869 in Offenburg veranstaltete liberale Versammlung von Bedeutung, auf der seine Rede unter den vielen dort gehaltenen [294] den Höhepunkt bildete. Seine Collegen hatten ihn beschworen, nicht zu sprechen, weil sie von seiner Heißspornigkeit alles befürchteten. Treitschke’s Erfolg war aber so durchschlagend, daß er alle entwaffnete. Und dabei hatte T. vor einem Zuhörerkreis von Bürgern und Bauern gesprochen, denen er bis dahin ganz unbekannt gewesen war und die anfangs unmuthig der eigenthümlichen Aussprache des Redners gefolgt waren. Als nun das Reich gegründet wurde, da schien sich die Erfüllung seines alten Wunsches darzubieten, in den Reichstag zu treten. Von allen Seiten drängten ihn die Bekannten dazu. Er ließ durch Busch im Januar 1871 bei Bismarck anfragen, ob ihm seine Wahl in den Reichstag erwünscht wäre, und als dieser dies nachdrücklich bejahte, ist er auf die Suche nach einem Wahlkreise gegangen. Zu seinem tiefen Kummer gelang es ihm indeß anfangs nicht, einen solchen zu finden. Er schrieb darüber an Overbeck: „Die letzten Wochen – Dir, meinem alten Freunde darf ich’s schon gestehen – waren mir unsäglich hart, haben mir recht gründlich gezeigt, daß ich mit meiner Taubheit doch auf der Welt zu nichts zu brauchen bin. Schließlich ergab sich doch, daß kein Wahlkreis mich brauchen kann, sei es, weil die Wähler sich an meiner Taubheit stoßen, sei es, weil alle Fractionen mich wegen allzu offenherziger Ketzereien hassen.“ Zuletzt wurde er doch, ohne sein Zuthun, vom Wahlkreise Kreuznach-Simmern als der einzige Protestant auf dem linken preußischen Rheinufer gewählt. „Etwas lernen werde ich jedenfalls; wenn ich nur auch etwas nützen kann“, schrieb er. Er hat den Wahlkreis fortan bis zum J. 1884 (nicht 1888) vertreten. Seit dem Herbst 1884 candidirte er nicht mehr. Natürlich war es für den tauben Mann meistens eine Qual, den Verhandlungen beizuwohnen. „Ich bin von diesem unendlichen beschäftigten Müßiggang körperlich und geistig ermüdet“, klagte er bald. Er schloß sich der nationalliberalen Partei an, bis er am 11. Juli 1879 aus dieser austrat, weil er im Gegensatz zu der Partei im Sinne Bismarck’s für die Franckenstein’sche Klausel einzutreten sich veranlaßt sah; seitdem gehörte er keiner Fraction an. Er fand sich mit der Zeit besser in die Verhandlungen hinein, als man erwartet hatte, setzte sich neben die Stenographen, unterrichtete sich einigermaßen über deren System, las die Reden mit und wußte so oft besser Bescheid als die, die über seine Taubbeit spotteten. Vielfach hielt ihn auch sein Freund Wehrenpfennig auf dem Laufenden, besonders in den Fractionssitzungen. Er hat ziemlich häufig das Wort ergriffen und meistens eine große Wirkung erzielt. Er sprach über constitutionelle wie über wirthschaftliche Fragen, über deutsche Rechtschreibung, das Tabakmonopol, für das er sehr entschieden eintrat, Heeresverfassung, das Socialistengesetz, Münzwesen, Elsaß-Lothringen u. s. w. Namentlich im ersten Jahre trat er hervor, ebenso in den Jahren 1880 und 1882. Seine letzte Rede hielt er am 9. Mai 1884 zum Socialistengesetz. Bei seiner rhetorischen Veranlagung überraschte Viele der schwere sachliche Gehalt aller dieser Reden. T. war eben wie wenige befähigt, den rechten Ton zu treffen, und vermied daher an dieser Stelle großentheils das Pathos. Wodurch er hier wirkte, das war die Stärke seiner Ueberzeugung. Er hat selbst einmal bemerkt: „Was der große Hause sagt, ‚ihm ist es Ernst‘, das bezeichnet mit plumpem Wort und feinem Sinn den geheimsten Zauber menschlicher Rede“. Gleich die erste Rede wandte sich mit ungeheuerer Wucht gegen den Ultramontanismus. Damals ging vielen erst eine Ahnung davon auf, über welche Fülle tiefen staatsrechtlichen Wissens dieser angebliche Schönredner und Feuilletonist verfügte. Auch als Wahlredner hat er Erfolge gehabt, indem er den biederen evangelischen Bewohnern des Hunsrücks und des Nahethals, die ihm sein Mandat verliehen hatten, regelmäßig durch seine begeisternden Reden [295] die deutsche Gesinnung stärkte. Er kehrte jedesmal erfrischt aus solcher Wahlcampagne zurück. Seine Schätzung des Reichstages nahm freilich von Session zu Session ab. Er sprach wohl von der tödtlichen Langeweile, die die vielen Reden der Tausende von Abgeordneten in den deutschen Staaten hervorrufen müßten. „3000 Reichs- und Landtagsabgeordnete, je ein Volksvertreter auf 3000 erwachsene Männer! … Immer häufiger hört man die Frage: ob denn durch solche sündliche Vergeudung von Geld und Zeit etwas anderes bewirkt werde als ein Geräusch, so zwecklos wie das Klappern eines Rades mit zerbrochener Nabe?“ Nur zu oft kehrte er mit einer Mischung von Kopfweh und Müdigkeit, die er „Reichstagsjammer“ nannte, aus den Sitzungen zurück und meinte, dieser Zustand hemme ihn mehr als Katzenjammer in seiner Arbeit. Es ist daher verständlich, daß er sich seit 1884 nicht mehr wählen ließ.
Immerhin war T. auch im Reichstage an seiner Stelle. Ganz falsch wäre es aber gewesen, wenn ein Gedanke des damals in der Preßabtheilung des auswärtigen Amtes thätigen Aegidi, der T. ja schon in der Göttinger Zeit unter die Journalisten hatte bringen wollen, zur Ausführung gelangt wäre. Zu Anfang des Jahres 1872 wollte Aegidi nämlich die Spener’sche Zeitung[WS 25], die Kaiser Wilhelm I. las, in ein Blatt größesten Stiles verwandeln und T., wie Busch sich ausdrückte, als Redacteur „vorspannen“; Arthur Levysohn sollte Frankreich, Alexander Meyer Nationalökonomie übernehmen. Busch wandte ein, T. eigne sich nicht zum täglichen Leitartikelschreiben, er würde dabei zu Grunde gehen. Aegidi meinte jedoch, für das hohe Gehalt (6–8000 Thaler) würde T. sich dazu wohl bereit finden lassen. Er suchte diesem die Sache noch besonders dadurch mundgerecht zu machen, daß er behauptete, der Kaiser wünsche Treitschke’s Eintritt in die Redaction. T. hat in richtiger Kenntniß seiner selbst keinen Augenblick geschwankt, obwohl Aegidi dies behauptete, sondern sofort entschieden abgelehnt, auch wenn er die Berliner Honorarprofessur, „die in der Luft schwebte“, erhielte. Auch das Zureden einiger seiner Collegen, die meinten, seine Taubheit werde mit der Zeit ein Hinderniß für seine Lehrthätigkeit werden, und anderer, die es für Pflicht hielten, daß der vermögenslose T. seine Familie sicher stellte, konnte ihn nicht beirren. Er erklärte: „Ich bin kein Journalist. Ich lasse die Dinge sich gern entwickeln, bis man sich etwas dabei denken kann. Fix über das neueste Telegramm einen Leitartikel zu schreiben, um in acht Tagen dann das Gegentheil sagen zu müssen, das ist ein Geschäft für andere Leute.“ So fiel dieser unglückliche Gedanke Aegidi’s ins Wasser.
In der Angelegenheit der Spener’schen Zeitung spukte gewissermaßen schon die Berufung Treitschke’s nach Berlin voraus. Am 3. Januar 1873 brachte ihn nun die philosophische Facultät der Berliner Universität für eine Geschichtprofessur in Vorschlag, indem sie ihm u. a. eine „in schwierigen Lebenslagen bewiesene Festigkeit des Charakters und Lauterkeit der Gesinnung nachrühmte“. Sein Freund Helmholtz hatte dabei vornehmlich seine Hand im Spiele. T. schrieb darüber an Freytag: „Wenn man mir’s materiell möglich macht, zu kommen, und wenn ich die Sicherheit habe, daß für mich neben Droysen Platz ist, so kann ich nicht ablehnen.“ Und an Jolly: „Ich mag nicht als Droysen’s lachender Erbe wider seinen Willen auftreten.“ Aehnlich äußerte er sich zu Overbeck. In Heidelberg bestürmte man ihn zu bleiben. Ihm wurde es nicht leicht, vom Neckarstrande zu scheiden. Er meinte, in zehn Jahren wolle er gern gehen. Andererseits mußte er erwägen, daß er wohl die Hälfte des Jahres im Berliner Archiv sitzen müsse, um die ungeheuren Actenmassen zu bewältigen, die er für seine „Deutsche Geschichte“ zu studiren hatte. Schon jetzt wurde er alljährlich Monate lang durch die [296] Archivstudien dort gefesselt. Im Anschluß an die dortigen Arbeiten fand er sich häufig mit Freunden wie Duncker, Schmoller und Baumgarten im hinteren Stübchen bei Lutter und Wegener zusammen. Vor allem aber zog ihn ein Anderes. Die geistige und sittliche Entwicklung der Reichshauptstadt bereitete ihm Sorge. Er fühlte den inneren Beruf in sich, in diesen Schlund hinein zu springen. Daher schrieb er an Jolly, anlehnend an eine Wendung, die er schon am 5. Februar 1872 in einem Aufsatze über die Aufgaben des preußischen Cultusministers gebraucht hatte: „Unsere Hauptstadt soll nicht zu einem andern New-York werden; wer etwas beitragen kann, dies Unglück von uns abzuwenden, darf sich nicht ohne dringenden Grund versagen. Wer so fest, wie ich, an Preußen hängt, darf nicht ohne triftige Gründe nein sagen, wenn man mich zu brauchen glaubt.“ Ebenso äußerte er sich gegen Ranke. Dieser würdigte trotz seiner völligen Verschiedenheit von T. dessen Bedeutung durchaus und schickte ihm zum Beweise noch vor seiner Berufung seine „Genesis des preußischen Staates“, worauf T. nicht wenig stolz war. Am meisten bedrückte T. die Rücksicht auf seine Familie, die es in Berlin nicht so gut haben würde. Ihm waren in den Heidelberger Jahren drei Kinder, zwei Töchter und ein Sohn geboren. Der Sohn (geboren 11. Mai 1870) empfing nach Bismarck den Namen Otto. Seine Gattin, deren geistvolles, vornehmes Wesen jedermann gefiel, hatte nur eine zarte Gesundheit.
Die Entscheidung über die Frage der Berufung zog sich außerordentlich in die Länge. Der Decernent im Cultusministerium, Geheimrath Olshausen, ein Vetter Droysens, arbeitete in der Stille gegen T. Dieser meinte selbst im Mai in einem Briefe an Overbeck: „In der Tat sind sechs Historiker im Grunde zu viel für eine Universität, deren Frequenz fühlbar abnimmt. Ich hoffte schon ganz sicher, auf gute Art in Heidelberg bleiben zu können; da geht Holtzendorff nach München, und nun ist auch das Fach der Politik frei. Vielleicht muß ich doch noch kommen; es wäre sehr hart, zumal da ich Droysen, trotz seiner großen Freundlichkeit, doch angefühlt habe, wie wenig er mein Kommen wünscht.“ Einige Tage darauf ließ er sich wieder vernehmen: „Das Herz ist mir sehr schwer; nach all dem Preßgeschrei u. s. w. wird sich der Berliner Ruf, der nächstens wieder kommt, kaum ausschlagen lassen. Wenn ich mich versage, wer soll dann noch hingehen?“ Im Herbst 1873 nahm er schließlich an. Das Sommersemester 1874 sollte sein erstes Berliner Semester werden. Zur Vorbereitung darauf las er nach langer Pause in dem letzten Heidelberger Winter wieder über „Politik“. Am 12. Februar veranstalteten die Studenten ihrem geliebten Lehrer einen feierlichen Abschiedscommers. „Es war erhebend und wehmüthig zugleich“, schrieb Otto Ribbeck darüber, „zu hören und zu sehen, welche Liebe und Verehrung T. bei den Studenten und anderen Zuhörern genießt. In langen Processionen wallfahrteten sie an seinen Platz, um mit ihm anzustoßen. Er sprach zwei Mal hinreißend, sodaß das Gefühl seiner Unersetzlichkeit uns nur zu lebendig wurde.“
Es kann keinem Zweifel unterliegen, daß Berlin für T. der gegebene Ort war. Das fühlte jedermann, der ihn kannte. Schon im December 1863 hatte Freytag ihm geschrieben: „Sie müssen einmal nach Berlin, in besserer Zeit dort das neue Geschlecht ziehen helfen“. Und ein Jahr darauf hatte derselbe Freund ihm wiederum zugerufen: „Auf Wiedersehen überall, aber endlich in Berlin. Daß Sie dorthin gehören, ist mir nie zweifelhaft gewesen.“ T. selbst hatte, wie wir uns erinnern, schon im Juli 1866 geglaubt, am „Ziele seiner Wünsche“, eben in Berlin zu sein. Nur die Hauptstadt des Reiches bot ihm die weithin sichtbare Kanzel, die ihm gebührte, und das genügende Forum. Es ist Sentimentalität, wenn man seinen Fortgang von [297] Heidelberg beklagt hat, und einigermaßen kühn, wenn man behauptet, daß er seine „Deutsche Geschichte“ vollendet haben würde, wenn er am Neckar geblieben wäre. Wenn T. in Berlin auch nicht die nahe Fühlung mit der Studentenschaft behielt, wie in Heidelberg, so wirkte er doch in der Hauptstadt in einer viel umfassenderen Weise auf die akademische Jugend und auch ganz anders auf die gebildeten Kreise Deutschlands überhaupt, als er es in Heidelberg jemals gekonnt hätte. T. hat einmal bei einer Würdigung Schillers gesagt, daß nur der brausende Zuruf einer großstädtischen Hörerschaft dem Dramatiker zeigt, wenn er das allen Gemeine, das wahrhaft Volksthümliche gefunden hat. Das gilt bis zu einem gewissen Grade auch von dem nationalen Ethiker, der T. war. Er selbst hat in bewegter Stunde zu den Berliner Studenten geäußert: „Sobald ich fühle, daß ich zu alt geworden bin, um die Jugend zu verstehen, würde ich es für meine Pflicht halten, den Lehrstuhl zu verlassen.“ Die Resonanz, die er in der akademischen Jugend der Hauptstadt fand, konnte ihn mehr stärken als der Zuruf der Studenten einer kleinen Universität, wie es Heidelberg doch immerhin war. Seine Berufung nach Berlin bedeutete eine der wichtigsten Erwerbungen, wenn nicht die wichtigste, die der Lehrkörper dieser Universität in jenen Jahrzehnten machte. Seine Persönlichkeit übte eine gewaltige Anziehungskraft aus und trug wesentlich dazu bei, die sinkende Universität wieder zu heben. Und es darf auch nicht vergessen werden, daß es werthvoll für Treitschke war, in enger Fühlung mit dem großen Leben seines Volkes zu bleiben. Ihm war es einst schmerzlich gewesen, in Freiburg so fern ab von diesem Leben zu stehen. Auch Heidelberg vermochte ihm diese Fühlung nicht ganz zu verschaffen. In Berlin blieb er mit dem großen zeitgenössischen Staatsmann und den treibenden Kräften des deutschen Lebens dauernd in geistigem Contact. Freilich hat er Berlin und das Berlinerthum nie gern gemocht. Ihn zog es persönlich immer nach dem deutschen Südwesten. „Ich bin nur politisch ein Preuße“, hat er gesagt; „menschlich fühle ich mich in Süd- und Mitteldeutschland heimischer als im Norden“. Dafür bot ihm das gesellige Leben großen Stiles, das er in der Hauptstadt[WS 26] fand, eine Fülle der Anregung.
Seine Taubheit bedingte es, daß er nicht Examinator wurde. Er hatte infolgedessen nicht gleich einen festen Stamm von studentischen Hörern und mußte sich erst seinen Wirkungskreis erobern. Wie ist ihm das aber gelungen! Wie auf allen Universitäten, an denen er bisher gewirkt hatte, erwiesen sich auch hier die Hörsäle bald als zu klein, um seine Zuhörer zu fassen, obwohl ihm Riesensäle eingeräumt werden konnten. Er las seine alten Collegien über deutsche und preußische Geschichte, über Geschichte des Zeitalters der Reformation, über englische und italienische Geschichte, und nun auch wieder, jetzt regelmäßig, und zwar im Winter, über „Politik“. Dieses wurde sein besuchtestes Colleg, zu dem vornehmlich sich die Studenten aller Facultäten drängten. Wie die Mauern standen sie vielfach um ihn herum, weil die Sitzplätze bei weitem nicht ausreichten. Es merkte und wußte jedermann unter den Tausenden von Studierenden der Universität, wenn T. las. Eine völlig neue Gedankenwelt ging den jungen Leuten auf, wenn ihnen der von Jahr zu Jahr mehr gefeierte und geliebte Lehrer in seiner umfassenden und tiefdringenden Weise das Wesen des Culturstaates erläuterte und im Anschluß daran seine Anschauungen über die unendlich mannichfaltigen Staatsformen, über das Wesen der Staatsverwaltung und über den Staat im Verkehr der Völker entwickelte. T. stand hier im wesentlichen ganz auf eigenen Füßen, und jedermann fühlte, daß er gerade in der „Politik“ sein Eigenstes gab. Viel mochte er noch von Dahlmann haben, aber von diesem wich er in grundlegenden [298] Fragen, so im Verhältniß zum Macchiavellismus ab. Auch Trendelenburg, so bekannte T., verdankte er manches, ebenso Dilthey, von Früheren Niebuhr. Ferner hat ihm Gneist einiges gegeben, und Hegel’sche und Fichte’sche Gedanken befruchteten ihn ebenfalls. Die Wurzeln seiner Anschauung hatte er in Aristoteles gefunden. Jedoch das Meiste schöpfte er aus sich selbst. Er wurde geradezu ein Schöpfer neuer sittlicher Maßstäbe. Dies wird besonders klar, wenn man seine Ausführungen über das Verhältniß des Staates zum Sittengesetz liest. Seinem Freunde Overbeck schrieb er (im September 1874), daß die Politik das schwerste Colleg sei, das ein Historiker lesen könne. Einige Jahre später (November 1877) äußerte er in einem Briefe an denselben Freund: „Wie wenig über das Verhältniß von Politik und Moral, über das Wesen der Freiheit, den Begriff des Eigenthums u. s. w. noch ernstlich nachgedacht worden ist, das glaubt man nur, wenn man die massenhafte und doch so unfruchtbare Litteratur bewältigt hat“. Aehnlich hat er gelegentlich die „Geschichte der politischen Theorien“ als das Gebiet der Staatswissenschaften bezeichnet, das noch immer am ärgsten verwahrlost sei. Er selbst hat unablässig an sich und seinem Urtheil gearbeitet. Davon gibt beredte Kunde eine Aeußerung zu Overbeck aus dieser Zeit, als er ihm davon erzählte, daß er wieder sein Publicum über „Geschichte der politischen Theorien“ läse, das Overbeck einst auch in Leipzig gehört hätte: „Du würdest freilich kaum mehr einen Stein an dem alten Bau erkennen.“
Hier in der „Politik“ wurden der akademischen Jugend die beiden Richtpunkte, um die sich Treitschke’s ganze Gedankenwelt sammelte, die Ausbildung der sittlichen und intellektuellen Eigenart und die bewußte Einordnung der sittlichen Persönlichkeit in das Leben des Staates, dessen Wesen Macht sein soll und ist, gewiesen und gezeigt, daß sie sehr wohl zugleich verfolgt werden könnten, ja daß sie das müßten. Oft ist gesagt worden, daß die Vorlesungen Treitschke’s ein Stahlbad für den inneren Menschen waren. Man kann dies wohl namentlich von der „Politik“ behaupten. Dabei that sein Vortrag außerordentlich viel; denn hier gilt sein eigenes Wort: „Jeder echte Redner wirkt sein Größtes durch einen höchst persönlichen Zauber, den die Nachwelt nicht mehr begreift.“ Einen Hauptreiz bildete die Zwanglosigkeit, mit der T. das vom Moment des Tages Angeregte unter das dauernd Gültige mischte. Es ging ihm wie Fichte, dem sich alles, was er fühlte und dachte, zur erregten Mittheilung gestaltete, um damit auf den Willen zu wirken. Hin und wieder zeigte er sich dabei wohl ungeschlacht im Grimm oder Spaß. Besonders solch Heraustreten aus den üblichen Geleisen brachte ihn in vielfache Conflicte mit der hauptstädtischen Presse, die von Anfang an seine Thätigkeit mit Aufmerksamkeit verfolgte. Er betrachtete er mit Recht als einen Vertrauensbruch, wenn solche im Colleg gefallenen Bemerkungen ihren Weg in die Oeffentlichkeit fanden, und verbat sich schließlich dergleichen wiederholt und energisch. Der studirenden Jugend zeigte er sich gern mit voller Rückhaltlosigkeit und meinte: „In dieser Freiheit liegt der eigentliche Reiz des akademischen Lehramts.“ Seine durch die Taubheit bedingte Aussprache hatte wohl mit den Jahren immer mehr Eigenthümliches an sich. Man mußte sich erst an sie gewöhnen. Das lange Athemholen mitten im Satz, zuweilen im Wort störte. Dann überstürzte sich wieder gelegentlich der Fluß seiner Rede. Es lag etwas von Donnergrollen in dem Organ, aber auch etwas Schluchzendes. Am mächtigsten wirkte er dann, wenn er sich zu einem größeren Ereigniß äußerte. Dann lauschte alles mit verhaltenem Athem und oft tief ergriffen seinen Worten, die durch seine kaum bemeisterte Erregung noch schwerer verständlich wurden. Die hohe, mit den Jahren eine starke Fülle gewinnende Gestalt auf dem Katheder, [299] aus deren groß geschnittenen Zügen es so seltsam wetterleuchtete, hatte besonders in solchen Stunden etwas Majestätisches an sich. T. selbst war sich dann am meisten des Fluidums bewußt, das von ihm auf seine Hörer überging. In den Tagen nach dem Hödel’schen Attentat[WS 27] äußerte er: nichts läutere und kräftige die Seelen junger ideal angelegter Menschen mehr als die Feuerprobe eines tiefen patriotischen Schmerzes. Bei dem Franzosen Denis, der erklärt hat, daß er in der ganzen historischen Litteratur keinen Schriftsteller anzuführen wüßte, der so die Herzen bezwänge wie Treitschke, spiegelt sich der gewaltige Eindruck jener Vorlesungen anschaulich wieder in dem Urtheil: man hätte sich dort in ein geheimnißvolles Sanctuarium versetzt gefühlt, wo die hypnotisirten Jünger Orakel von einer wilden und unversöhnlichen Gottheit empfingen.
Es ist unverkennbar, daß die gesamte schriftstellerische Bethätigung Treitschke’s darauf drängte, auch seine Gedanken über Politik in einem fundamentalen Werke wie die „Deutsche Geschichte“ zusammenzufassen. Und in der That hat T. schon früh diesen Gedanken gehegt, wie ein Brief an Gutschmid vom 23. August 1866 verräth: „Sobald der zweite Band meiner historisch-politischen Aufsätze fertig ist, gehe ich an die Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert … und nach diesem Buche habe ich noch einen schwierigen Plan: Ein Werk über Politik, wozu im Grunde alle meine Studien nur Vorarbeiten sind.“ Die Vorlesungen über „Politik“ bestärkten ihn jedenfalls in diesem Vorhaben. Ihn erfüllte das Bewußtsein, daß in diesem Fache seine Hauptstärke läge. Er gedachte die Gedanken des Aristoteles nicht nur zu vertiefen, sondern umzugestalten und an der Hand der Erfahrungen zweier Jahrtausende zu einer neuen Wissenschaft umzubilden.
Es fügte sich eigenartig, daß die Berliner Thätigkeit Treitschke’s gleichsam eingeleitet wurde durch eine große litterarische Fehde, bei der es sich um grundlegende politische Auffassungen handelte: seine Auseinandersetzung mit den Kathedersocialisten, insbesondere mit seinem Freunde Schmoller; eine Auszeinandersetzung, die klärend wie wenige gewirkt hat und bei der die glänzende Rüstung, mit der der Angreifer, eben T., auf das Blachfeld[WS 28] hinaustrabte, allezeit die höchste Bewunderung wecken wird. Es ist im allgemeinen üblich geworden, T. sachlich Unrecht bei diesem Streite zu geben, ihm nicht genügend entwickeltes Verständniß für die sociale Frage vorzuwerfen und die Ursache dazu in seinem einsiedlerischen, weltfremden Leben, zu dem er vielfach durch seine Taubheit verurtheilt war, zu finden. Großentheils trifft das auch wohl zu. Es war ein Jammer, daß sein körperliches Gebrechen ihn verhinderte, in lebendiger Rede und Gegenrede seine Urtheile abzuschleifen. Es muß dabei aber beachtet werden, daß in Wirklichkeit die Meinungsverschiedenheit zwischen Männern wie T. und Schmoller garnicht so groß gewesen ist. Der immer tief blickende T. hatte doch selbst schon im Jahre 1872 ein sociales Reformprogramm entworfen, in dem u. a. die Einführung des Zehnstundentages und von Fabrikinspectoren „und vieles andere, was der Manchesterlehre widerspricht“, verlangt wurde. Als damals der Verein für Socialpolitik gegründet wurde, gab T. Schmoller seine begeisterte Zustimmung zu diesem Unternehmen zu erkennen. Er bezeichnete es schon zu jener Zeit als eine unbegreifliche Kurzsichtigkeit der Freihändler, daß sie sich dem Glauben hingäben, die socialistische Bewegung wäre bereits im Abflauen. „Ich halte die Gefahr für sehr groß; die Noth der arbeitenden Classen ist garnicht abzuleugnen, auch nicht die Pflicht des Staates, da einzugreifen, wo die Selbstsucht der Besitzenden keine Lehre annimmt.“ Ja, bereits in seinem Aufsatze über die Freiheit hatte er, wie wir sahen, in diesem Sinne gesprochen. Und in derselben Zeit, in der T. die [300] Kathedersocialisten bekriegte, hielt er seinem Freund Overbeck vor: „Du hast keine vollständige Vorstellung von dem ungeheuren Umschwung unseres socialen Lebens und urtheilst darum zu hart über das Häßliche und Gemeine, das dieser große Uebergang hervorruft.“ Es ist also verfehlt, wenn man annimmt, das T. durchaus rückständig in seinen socialpolitischen Anschauungen war, und noch unrichtiger ist es, wenn man ihm vorwirft, daß er ein Vertreter der Classeninteressen gewesen sei. Und wenn die Gegenseite es anzweifelte, ob gerade ein Geschichtsprofessor, wie T. es war, berufen sei, die Nationalökonomen zur Rede zu stellen, so konnte der Verfasser der „Gesellschaftswissenschaft“ gelassen darauf hinweisen, daß er schon vor Jahrzehnten Nationalökonomie gelehrt habe. Verriethen doch überhaupt die meisten seiner Schriften ein gründliches nationalökonomisches Wissen. Einige seiner Ausführungen in jenen Streitschriften beruhten denn auch garnicht so sehr auf wirklichen sachlichen Meinungsverschiedenheiten, sondern auf gewissen Uebertreibungen, zu denen T. im Eifer des Kampfes verführt wurde. Dann aber spielte bei der ganzen „Kanonade“ für T. ein realpolitischets Moment hinein, das berechtigt war und das doch wohl mehr Beachtung verdient, als gemeinhin geschehen ist. T. war der kraftvollere nationalpolitische Denker den Schmoller und Brentano[WS 29] gegenüber, der die Machtbedürfnisse des Staates mehr berücksichtigt wissen wollte, als die Doctrin jener Kathedersocialisten es zu gewährleisten schien, und er sah scharfblickend, daß diese Schule vielfach impressionistischer, weicheren Metalles war, als es vom Standpunkte der Realpolitik wünschenswerth sein konnte. Mit seinem feinen Gefühl erkannte er ganz richtig die Gefahren nationalsocialer, weichmüthiger Phantastereien. Will man T. an der Hand seiner Schriften gegen die Kathedersocialisten einen Platz in der Geschichte der Nationalökonomie geben, so wird man der Ansicht beipflichten können, daß er sich mit der „eugenistischen Schule“ der Ammon, Lapouge usw. berührt.
Der Feldzug bereitete sich schon in Heidelberg vor. Dort führte T. in der letzten Zeit heftige Wortgefechte mit seinem Freunde Knies auf, in denen er behauptete, der Socialismus sei nicht durch Gründe zu überzeugen, er müsse einfach mit Gewaltgesetzen niedergehalten werden. Unter dem 20. Juli 1874 erschien dann seine große Kampfschrift „Der Socialismus und seine Gönner“ in den „Preußischen Jahrbüchern“. In ihr spiegeln sich noch die Umzugsfreuden, die er zu bestehen hatte, indem er zwischen sich und seinen Packern, mit denen er gewetteifert hatte, humoristische Vergleiche zog. Er machte entschieden Front gegen das Modegeschrei von der „socialen Frage“; und seine Abneigung gegen dieses Wort hat er sich bis zuletzt bewahrt. Ihm schien es am Platze, einem Umsichgreifen des Pessimismus entgegenzutreten: „Nein, wahrhaftig, nicht mit dieser Seelenangst strümpfestrickender Betschwestern darf ein Volk, das soeben in drei Kriegen seine sittliche Kraft bewährt hat, in seine große Zukunft schauen.“ Einige seiner historischen Grundgedanken formulirte er mit einer Kühnheit und Sprachgewalt, daß sie auf die Urtheilslosen und die doctrinären Gegner geradezu wie Herausforderungen wirken mußten: „Die Millionen müssen ackern und schmieden und hobeln, damit einige Tausende forschen, malen und regieren können.“ „Gewiß, es liegt eine unzerstörbare Wahrheit in den horazischen Versen, die frecher Junkerhochmuth so oft mißbraucht hat: „Fortes creantur fortibus et bonis.“ „‚Jedem das Seine‘ ist Menschenrecht, ‚jedem dasselbe‘ gilt im Haushalt der Thiere.“ „Wer zum Meister ward in einem bescheidenen Berufe, steht sittlich höher als wer ein Stümper blieb in der edelsten der Künste.“ Auch schneidende Rücksichtslosigkeiten gegen einen Freund wie Schmoller fehlten nicht. T. hielt es eben für seine Pflicht, mit völliger Deutlichkeit zu reden. Sein A und O [301] blieb der Satz: „Das wahre Glück des Lebens darf nur gesucht werden in dem, was allen Menschen erreichbar und gemeinsam ist: nicht im Besitze wirthschaftlicher Güter oder in der politischen Macht, auch nicht in Kunst und Wissenschaft, sondern in der Welt des Gemüths, in dem reinen Gewissen, in der Kraft der Liebe und vor allem in der Macht des Glaubens.“ „Wer den frommen Glauben, das Eigenste und Beste des kleinen Mannes zerstört, handelt als ein Verbrecher wider die Gesellschaft; darum ist gegen den Socialismus nicht halbe und bedingte, sondern ganze und rücksichtslose Feindschaft geboten.“
Der Hauptmangel seiner Ausführungen bestand doch wohl darin, daß er sich der Erkenntniß verschloß, wie dringend nothwendig es war, die materielle Lage der ärmeren Classen zu heben, wie sehr diese des Schutzes gegen die Härten der gesellschaftlichen Entwicklung bedurften und wie illusorisch vielfach die von ihm gewünschte Verinnerlichung des Lebens der kleinen Leute, insbesondere der Arbeiterwelt, durch die Gestaltung der Dinge geworden war. Der Jungbrunnen der Gesellschaft, wie er die unteren Classen mit Recht nannte, lief Gefahr beeinträchtigt zu werden, wenn die Existenzbedingungen für sie nicht erleichtert wurden.
Nie war T. siegesgewisser in den Kampf geritten. Nie klangen seine Worte so wie fröhliches Trompetengeschmetter. Man begreift es, daß er das Gefühl hatte, ein befreiendes Wort gesprochen zu haben. Auf Schmoller’s Gegenschrift „Ueber einige Grundfragen des Rechts und der Volkswirthschaft“ antwortete T. in einem zweiten Essay: „Die gerechte Vertheilung der Güter“, datirt vom 10. April 1875, in dem er mit Genugthuung feststellen durfte, daß Schmoller einige seiner von T. angegriffenen Sätze zurückgenommen hätte, und im übrigen seinen Standpunkt aufrecht erhielt. Und als dann noch Brentano sich gegen ihn vernehmen ließ, griff T. zum dritten Mal in dieser Sache zur Feder und schrieb den Aufsatz: „Noch ein Wort zur Arbeiterfrage“, datirt vom 30. Mai 1877, in dem er hauptsächlich gegen das allgemeine Wahlrecht zu Felde zog. Die Ausführungen über das Wahlrecht bildeten überhaupt einen wichtigen Theil in allen drei Essays. Keine gesetzgeberische That schien ihm verhängnißvoller für die Entwicklung der freien Persönlichkeit, die ihm doch das Wichtigste neben der Festigung der Staatsmacht war, als gerade das allgemeine Wahlrecht. Er sah darin eine schwere Beeinträchtigung der Gebildeten zu Gunsten der Ungebildeten, etwas Freiheitsmörderisches und Culturfeindliches, eine Verkehrung der natürlichen Ordnung. Er hat über diese Frage nicht immer gleichmäßig geurtheilt. In seinem „Bundesstaat und Einheitsstaat“ drückt er sich mit einiger Zurückhaltung aus: der Glaube an die Vernunft der allgemeinen Abstimmung sei bereits ein Gemeingut von Hunderttausenden. Dann aber, schon im J. 1865, redete er von der „großen Lüge“ des allgemeinen Stimmrechts. Im „Constitutionellen Königthum in Deutschland“ meinte er wieder, er sei kein Bewunderer dieses Wahlsystems, bezweifle aber nicht, daß ihm in Deutschland die Zukunft gehöre. Inzwischen war er dazu gelangt, es zu verurtheilen. Später fand er sich mit der Thatsache ab und meinte, sein Vorzug bestände darin, daß es geeignet sei, den äußersten radicalen politischen Wahnsinn gleichsam homöopathisch zu heilen, und da es einmal gegeben sei, könne es kaum wieder rückgängig gemacht werden. Als bald nach dem Streit mit den Kathedersocialisten die Mordversuche von Hödel und Nobiling[WS 30] die Krankheit der Volksseele blitzschnell in die Erscheinung treten ließen, da war für T., entsprechend seinen Debatten mit Knies in Heidelberg, die Stunde gekommen, in der mit Gewaltmaßregeln eingegriffen werden mußte. Daher stimmte er als der einzige von allen [302] Liberalen bereits für den ersten Entwurf des Socialistengesetzes. In den „Preußischen Jahrbüchern“ aber nahm er Stellung zu den Ereignissen in einem am 10. Juni 1878 geschriebenen Aufsatz „Der Socialismus und der Meuchelmord“, der, obwohl nicht als Glied der Streitschriften gegen die Kathedersocialisten erschienen, doch in diesen Zusammenhang gehört. Das tiefste Entsetzen über die Zustände im deutschen Volke sprach daraus. „Wohin ist es mit uns gekommen! Der Mord, der feige Mord schleicht um unser Herrscherhaus.“ Er verlangte fünfjährige Wahlperioden und eine höhere Altersgrenze.
Das Bemerkenswertheste zur Beurtheilung des Menschen T. in dieser ganzen Aufsatzreihe war die unleugbar innerlichere Stellung Treitschke’s zum Christenthum, die daraus hervortrat. Seine Worte klingen an an das, was er nach dem Tode seines Bruders an Overbeck schrieb; nur ist der gläubige Accord jetzt voller geworden. Er sagt, er sei noch immer der Freidenker wie vor vierzehn Jahren, aber er gesteht zu, daß das religiöse Gefühl lebendiger in ihm geworden sei: „Ich habe das Walten der Vorsehung in den großen Geschicken meines Volkes wie in den kleinen Erlebnissen des Hauses dankbar empfunden und fühle stärker als sonst das Bedürfniß, mich demüthig vor Gott zu beugen.“
Ungefähr gleichzeitig mit dieser öffentlichen Auseinandersetzung mit den Kathedersocialisten erlebte T. eine Auseinandersetzung intimeren Charakters, die aber nicht minder lehrreich für seine Denkweise ist. Er hatte sie mit seinem in Basel als Professor der Theologie wirkenden Freunde Overbeck. Dieser war mittlerweile durch täglichen Verkehr unter den Bann Nietzsche’s gerathen und hatte nun das Bestreben, T., dem er bisher das Meiste, so insbesondere die Einführung ins Leben verdankte, auch für seinen Abgott zu interessiren. T. hatte die erste sich noch für Wagner begeisternde Schrift Nietzsche’s von der Geburt der Tragödie gefallen. Das Wahlverwandte darin zog ihn an. Um dieselbe Zeit – wohl im August 1872 – ist er durch Overbeck mit Nietzsche auch persönlich bekannt geworden. Bald nachher hat ihm Nietzsche die erste „Unzeitgemäße Betrachtung“ zugeschickt. Das Werk mißfiel ihm. Er antwortete Nietzsche gar nicht. Nur gegen Overbeck ließ er sich darüber in einem Briefe vernehmen. Darin lehnte er das Buch ab. Er sähe in Nietzsche zwar einen edlen grunddeutschen Geist auftreten, aber immer wieder reite ihn der „Schopenhauer’sche Teufel“, der T. zuwider war, und verwandele seine geistvollsten Sätze in Paradoxen, seine Liebe in Hohn. „Es ist ja Alles erschreckend wahr, was Nietzsche über die Halbbildung der Gegenwart sagt; aber seiner Schrift mangelt die erste Tugend des Stilisten, die unendlich wichtiger ist, als die Composition, die äußere Correctheit u. s. w.: er hat den Ton verfehlt, er ruft die Stimmung nicht hervor, die er erzeugen will. Gerade über diesen Punkt glaube ich mitreden zu dürfen.“ Im weiteren griff er Nietzsche heftig an, weil er behaupte, daß Deutschland im Verfall wäre. Diese Ausführungen und die weiteren, die sich später daran knüpften, führten eine Entfremdung zwischen ihm und seinem engsten Freunde herbei. Sie verstanden sich nicht mehr. T. wollte sich nicht die Freude an seinem Volke und den Glauben an dessen Zukunft durch den Nietzsche’schen krankhaften Trübsinn rauben lassen. Schließlich sagte er Overbeck im Unmuth über dessen ablehnende Haltung gegen alles, was er neuerdings geschrieben und gethan hatte, ins Gesicht (11. November 1881): „Dein Unglück ist dieser verschrobene Nietzsche, der sich so viel mit seiner unzeitgemäßen Gesinnung weiß und doch bis ins Mark angefressen ist von dem zeitgemäßesten aller Laster, dem Größenwahn. Deiner liebevollen und bescheidenen Natur, die ich, nebenbei bemerkt, [303] für zehn Mal productiver halte, als Nietzsche ist, steht es gar nicht zu Gesicht, wenn Du über alles in Deinem Volke geringschätzig absprichst.“ Bei diesem Streite tritt ein Hauptzug an Treitschke’s Wesen leuchtend hervor, der unbesiegbare Optimismus, ohne den sein ganzes Schaffen gar nicht zu denken gewesen wäre. Darum jenes schneidende Urtheil über Schopenhauer in einem der Briefe an Overbeck: „Die ganze Welt der Liebe war jenem bösen, neidischen, durchaus kleinen Menschen verschlossen. So lange die Welt besteht, hat noch nie ein Mensch unserem Geschlecht die Richtung zum Guten gegeben, wenn er nicht glaubte an das Göttliche im Menschen; und eben diesen Glauben zu ertödten, ist Schopenhauer’s letztes Ziel.“ Zuweilen packte freilich auch ihn der Pessimismus. Dann raffte er sich aber bald wieder auf und sagte sich: „Ohne den Glauben an die Macht der Vernunft verliert man den Boden unter den Füßen.“
Bald nach der Uebersiedlung nach Berlin erschien auch der dritte Essay, den er einem von der Heimath nicht gehaltenen Obersachsen gewidmet hat, sein Essay über Pufendorf, in dem es ähnlich wie bei seinem „Milton“ eine ungemein weitschichtige, spröde und fremdartige Materie zu durchdringen galt. Dies ist T. wieder in einer Weise gelungen, die billig Staunen und Bewunderung erregen muß. Der große Publicist des 17. Jahrhunderts und Historiker des großen Kurfürsten ist mit einer Lebendigkeit geschildert, die kaum ahnen läßt, welche mühselige Forscherarbeit dazu erforderlich war. Die Ursache, warum T. sich so in Pufendorf hineinzuleben wußte, ist leicht zu erkennen. Mit keiner anderen geschichtlichen Persönlichkeit hat er sich innerlich so wahlverwandt gefühlt. Auf Schritt und Tritt fand er Berührungspunkte in Schicksalen und Wesensart mit ihm. Oft fühlt man heraus, daß der Verfasser sich selbst in seinem Helden zeichnet, so wenn er von der mächtigen Gestalt des alten Streiters spricht, wie er so trotzig in seine schlaffe Zeit hereinbricht, keines Mannes Schüler, ganz auf sich selber ruhend, stürmisch aufbrausend, derb und rücksichtslos, schnellfertig im Urtheil, ungewillt die rasche Zunge zu bändigen, wie er den Warnungen weltkluger Behutsamkeit mit seinem Luther antwortet: „ich kann nicht wider die Wahrheit“, ein geborener Kämpfer, der den Widerspruch magnetisch anzuziehen scheint. Noch deutlicher zeichnet er sich selbst mit den Worten: „Ich kann nicht finden, was man oft behauptet hat, daß der Geheime Rath Pufendorf ein anderer gewesen sei, als der Heidelberger Professor. Nur die großen Gegensätze der Politik und seine Stellung in der Welt hatten sich geändert.“
Unterdessen reiften die ersten Theile der „Deutschen Geschichte“ ihrer Vollendung entgegen. Als T. den Plan dazu faßte, gedachte er dadurch seine Deutschen zum Kampfe gegen die Kleinstaaten aufzurütteln. Mittlerweile hatten sich die Dinge schneller, als er selbst zu hoffen gewagt hatte, entwickelt. Durch die Gründung des Deutschen Reiches fiel der publicistische Zweck des Werkes fort. Nun sollte es nur noch als Geschichtswerk wirken. Allerdings wollte T. damit nicht nur belehren, sondern auch die Freude am Vaterlande beleben. Im Laufe der Jahre war er sich bewußt geworden, daß ihm hier eine Aufgabe gewiesen war, in deren Lösung er die ganze Kraft seines mächtigen Könnens zu entfalten vermochte. Ihm schwebte dabei unleugbar der Gedanke vor, seinem Volke ein Tacitus oder ein Thukydides zu werden. Er dachte offenbar an die großen alten Historiker, als er in seinem Essay über Lessing von den Vorzügen des zeitgenössischen Geschichtsschreibers sprach. Um den richtigen Ton für seine Erzählung zu gewinnen, las er, wie er im J. 1864 an Freytag schrieb, im Tacitus. In derselben Zeit schrieb er an Sybel: „Ich hoffe mit der Zeit noch ein Historiker zu werden.“ Er fühlte [304] also schon damals, daß ihm noch ein Etwas zum richtigen Historiker fehlte. Später, als die beiden ersten Bände der „Deutschen Geschichte“ bereits erschienen waren, gestand er wiederum Sybel: „Mein Blut ist leider etwas zu heiß für einen Historiker, aber wie die Darstellung im zweiten Bande schon ruhiger ist, als im ersten, so denke ich auch fernerhin an mir selbst zu arbeiten, fleißig im Thukydides zu lesen und allmählich mehr in den historischen Stil hineinzukommen.“ Und in der Vorrede zu seinem fünften Bande beruft er sich bei der Vertheidigung seiner Art, die Geschichte zu erzählen, geradezu auf das Beispiel der großen Historiker des Alterthums.
Schon im Frühjahr 1866 war er, veranlaßt durch seine Berliner Archivstudien, zu der Ansicht gelangt, daß sein ursprünglicher Plan, eine Geschichte des Deutschen Bundes unter Ausschaltung Preußens, sich nicht aufrecht erhalten, daß sich die Geschichte Deutschlands nicht von der Preußens trennen lasse, daß Preußen vielmehr, wie er zu Th. v. Bernhardi sagte, „in die Mitte gestellt werden müsse“, und verständigte sich in diesem Sinne mit seinem Freunde Hirzel. Allmählich war ihm nun die „Deutsche Geschichte“, wie das Werk stets kurz genannt wurde, immer mehr unter den Händen gewachsen, so daß er am 9. Mai 1877 den 1860 mit Hirzel geschlossenen Vertrag umänderte. Danach sollte das Werk einen Umfang von fünf Bänden erhalten. Der erste Band sollte in zwei Büchern eine umfassende Einleitung bringen und, wie T. noch am 5. Januar 1877 an Hirzel schrieb, bis zum J. 1830 gehen, der zweite sollte das Jahrzehnt der Julirevolution und die Anfänge Friedrich Wilhelm’s IV. behandeln, der dritte in einem Buch die Revolution, der vierte in zwei Büchern die Zeit von 1851–1863 „und endlich die glorreiche Entscheidung“. In einem Schlußband wollte er quellenkritisches Material liefern.
Die Erzählung der Jahre 1815–1819 hatte T. bereits im wesentlichen im Jahre 1875 fertiggestellt. In diesem Jahre machte er sich dann an die Niederschrift der großen Einleitung, die ihm unentbehrlich schien. Er hatte, wie er im Juli 1877 an Overbeck schrieb, eine wahre Herzensfreude daran. „Aber“, so meinte er, „die Arbeit ist unendlich schwer. Ich schildere in einer Einleitung von etwa 300 Druckseiten die Entwicklung vom Westfälischen Frieden bis 1815. Du kannst Dir denken, daß ich da für eine halbe Seite mehrere Tage brauche. Je mehr man lernt und die unzähligen Fäden des historischen Gewebes überschaut, um so weniger genügt man sich selber bei dem Versuche, dies ungeheure Gewirr in einige kurze Sätze zusammenzudrängen. Und doch muß der Versuch gewagt werden; uns Deutschen fehlt jede nationale Geschichtsüberlieferung; man kann von 1815 nicht reden, ohne den Lesern vorher zu sagen, wie das neue Deutschland durch den preußischen Staat und die classische Litteratur gebaut wurde. Der Himmel gebe mir Kraft, die Arbeit durchzuführen. Der Druck hat kürzlich begonnen und soll ein volles Jahr dauern.“
Zu Anfang des Jahres 1879 endlich war das „Buchungeheuer“, wie er sagte, fertig. Damit löste der historische Erzähler T. den Essayisten T. ab. Damit vollzog sich mit seiner Entwicklung eine ähnliche Wandlung, wie sie sich mit dem Leben Macaulay’s[WS 31] vollzogen hatte; zeigt doch T. überhaupt mit dem großen englischen Historiker viel Verwandtes, und gehört doch Macaulay unleugbar zu denen, an denen sich T. gebildet hat. Bisher hatte T. die Form des Essays für seine historischen Arbeiten gewählt, weil es ihm Bedürfniß gewesen war, in dieser freien Form seine Persönlichkeit „kecker“, wie er sagte, hervortreten zu lassen, sowie besondere „Aperçus und Winke“ zu geben, „welche die keusche Einfachheit der ausführlichen Geschichtserzählung nicht zuläßt“. Allein er hatte sich gesagt, daß der Historiker die höchsten Kränze auf diesem [305] Gebiete nie erringen würde. Jetzt endlich kam er dazu, um diesen höchsten Siegespreis zu kämpfen.
Im wesentlichen umfaßte der Band Einleitung. Der Umfang, den er für diese noch vor zwei Jahren in Aussicht genommen hatte, war weit überschritten. Am 10. Februar 1879 widmete er das Buch seinem Freunde Max Duncker in einer berühmt gewordenen Vorrede. Es hieß darin: „In der Geschichte Preußens ist nichts zu bemänteln noch zu verschweigen. Was dieser Staat geirrt und gesündigt hat, weiß alle Welt schon längst, Dank der Mißgunst aller unserer Nachbarn, Dank der Tadelsucht unseres eigenen Volkes; ehrliche Forschung führt in den meisten Fällen zu der Erkenntniß, daß seine Staatskunst selbst in ihren schwachen Zeiten besser war als ihr Ruf.“ Und daneben: „Kein Volk, leider, erinnert sich so selten, durch wieviel Blut und Thränen, durch wieviel Schweiß des Hirns und der Hände ihm der Segen seiner Einheit geschaffen wurde.“ Auf diesen Ton war denn auch das Werk gestimmt. Es war ein ergreifender Heldengesang, insbesondere zum Ruhme Preußens. Noch lag der ganze sonnige Glanz der Treitschke’schen Essays darüber gebreitet. Nie hatten die Deutschen so packend Geschichte erzählen hören. Das Werk wurde jubelnd begrüßt, von vielen Tausenden gekauft, von unzähligen verschlungen. Es wurde fortan ein Lieblingsbuch der Patrioten. Sein Erscheinen war geradezu ein Ereigniß in dem Leben der deutschen Nation.
Der Verfasser gab damit, wie er an Overbeck schrieb und wie jede Seite lehrt, ein Stück von seinem Herzen. Er hatte die Freude, daß die große Auflage binnen wenigen Tagen vergriffen war. Der ganze mächtige Band von etwa 800 großen enggedruckten Seiten erlebte bis zum J. 1908 sieben Auflagen (die letzte 1904), die insgesammt 24 000 Exemplare stark waren. Die Größe dieses buchhändlerischen Erfolges fällt um so mehr ins Gewicht, als die Darstellung, so glänzend und abgerundet sie genannt werden muß, für ungeschultere Leser nicht ganz leicht zu lesen war. Mit wahrem Entzücken vertieften sich die Deutschen immer von neuem in die Lectüre der Stücke, in denen T. mit unvergleichlicher Meisterschaft die „Männer, die die deutsche Geschichte machten“, schilderte, hier den großen Kurfürsten, dort Friedrich Wilhelm I., hier Friedrich den Großen. Kein Historiker hatte, das fühlte man, so tief in der Heldenseele Friedrich’s gelesen als T. Mit gewaltigem Griffel zeichnete er die Männer der Erhebung, vor allem Stein und Blücher. In dessen Charakteristik tritt die Schwärmerei seiner Kindheit abgeklärt vor uns. Mit ungewöhnlicher Liebe verweilte er auch stets bei der Schilderung Wilhelm’s v. Humboldt, dem er in jede Herzensfalte geblickt zu haben scheint. Im Verlaufe der weiteren Bände des großen Werkes tritt das immer aufs neue hervor. Persönlichkeiten, wie den ihm geistig, wenn auch nicht sittlich verwandten F. v. Gentz, hat T. der gebildeten deutschen Welt überhaupt zuerst erschlossen. Und neben die Staatssmänner treten die Heroen der classischen Litteratur. So in den Zusammenhang der Zeitgeschichte gestellt war Goethe noch nie. Ueberall merkte man bei den litterarischen Abschnitten, daß T. aus der vollkommensten Kenntniß der einzelnen Dichterpersönlichkeiten heraus sprach. Dann kam gelegentlich ein Vorwurf, der den Satiriker in T. reizte, ein Meisterstück zu liefern, ohne unwahr zu werden, wie jene classische Schilderung von Talleyrand. Zuweilen ließ der Verfasser aber auch die Zügel seiner Laune ungebührlich schießen. Das boshafte Bild, das er von Kaiser Franz entwarf, ließ doch die historische Gerechtigkeit vermissen, zumal wenn man daneben die milde Charakteristik Friedrich Wilhelm’s III. hielt. Hier setzte später die Kritik ein, und mit Recht. Nicht so das litterarische Porträt [306] des Gemahls der Königin Luise war verzeichnet – dieses ließ sich vertheidigen –; in der ganzen Darstellung erkannte man doch allmählich, daß T. die Politik des Königs, trotz des Freimuths, den er sich gegenüber dem preußischen Königshause überhaupt, so auch ihm gegenüber bewahrte, zu günstig beurtheilte. Der Vorwurf ließ sich nicht entkräften, daß der Standpunkt des Verfassers zu sehr der preußische war. Das war die Einseitigkeit Treitschke’s, über die er nicht hinaus konnte. Immerhin war eine ganz gewaltige Arbeit geleistet worden, nicht so sehr in der Aufdeckung neuer Quellen, als vielmehr in der genialen Zusammenschmelzung eines unübersehbaren Materials.
Erholung von der rastlosen Arbeit suchte T. im Herbst in einer Reise nach Rom, das er damals zum ersten Male sah. Als er zurückkehrte, fand er den Brand der antijüdischen Bewegung entfacht. Mächtig packte ihn der Eindruck. „Es ist als ob die Nation sich auf sich selber besänne, unbarmherzig mit sich ins Gericht ginge“, schrieb er in den Preußischen Jahrbüchern. Auch in ihm steckte von jeher ein scharfer Gegner des Judenthums. Das war schon des öfteren in seinen Recensionen zu Tage getreten, die er in den sechziger Jahren für Zarncke’s litterarisches Centralblatt geliefert hatte. Das hatten auch die Preußischen Jahrbücher gelegentlich gezeigt, so als er im J. 1871 Auswüchse des deutschen Judenthums geißelte. Damals schon sprach er von der gewaltigen Machtstellung des Judenthums, „angesichts der die noch immer modischen Wehklagen über die Unterdrückung der Juden als ein starker Anachronismus erscheinen.“ Noch mehr tritt dieser judengegnerische Standpunkt bei ihm in seinen Briefen hervor. Besonders seit den Gründerjahren fand er, daß der Einfluß der Juden unheilvoll sei. Am 17. März 1879 schrieb er an Overbeck: „Manchmal fällt es mir schwer auf die Seele, wie sehr der Charakter unseres Volkes durch seine Judenpresse verderbt worden ist. Wo ist, außer Moltke, auch nur ein einziger Name bei uns, den diese semitische Schamlosigkeit nicht bespieen und besudelt hätte?“ Dabei hatte er doch selbst eine innige Freundschaft mit einem Juden gehabt, mit Alphons Oppenheim, der inzwischen gestorben war. Noch 1877 hatte er über diesen geschrieben: „Selten ist mir ein Mann begegnet, der so ganz frei von Selbstsucht, so ganz Hingebung an andere war.“ Andere Männer jüdischer Abkunft, wie Levin Goldschmidt, waren ebenfalls seine guten Freunde geworden; zu geschweigen von Eduard Simson, in dem T. nur den treuen und edlen deutschen Mann sah, dessen Name vom lautersten Klange war. Er wußte also sehr wohl Unterschiede zwischen Juden und Juden zu machen. Um so mehr fühlte er sich berufen, auch seinerseits in der stürmischen Erregung des Volkes das Wort zu ergreifen. Seine Kämpfernatur riß ihn fort. Der Jurist Windscheid hatte einst gesagt, T. gleiche einem edlen Schlachtrosse, das nicht zu halten sei, wenn es die Fanfare blasen höre. Der Vergleich paßt so recht auf T. im Judenstreite. Sein Flammenwort wirkte mehr wie alles, was bis dahin in dem Kampfe gegen die Juden gesagt worden war. Es mußte Oel ins Feuer gießen. Seine zuweilen malitiöse Zunge und seine lodernde Leidenschaft verwundete außerdem des öfteren unnöthig. So trug das höhnische Wort von den hosenverkaufenden Jünglingen eine Schärfe in den Kampf hinein, die er hätte vermeiden können. So war der Ruf des Unmuths: „Die Juden sind unser Unglück!“ gerade in dieser fieberschwangeren Zeit von unheilvoller Wirkung. Denn dadurch wurde die Leidenschaft auf beiden Seiten aufs höchste aufgestachelt. Wohl hat T. auch in dieser Frage das Gewissen Vieler geweckt und großen Kreisen die Augen geöffnet. Aber er hat sich selbst auch Blößen gegeben, noch dazu sachliche. So war das Ergebniß für ihn tief schmerzlich. Es kam das öffentliche Zerwürfniß mit Theodor Mommsen, es kam ein solches [307] mit dem Historiker Harry Breßlau, es kamen andere Streitschriften, es kam ein Zerwürfniß mit Levin Goldschmidt, der ihm am 4. Mai 1881 in einem langen Briefe vorhielt, daß er im Unrecht sei; auch Franz Overbeck tadelte seine Parteinahme gegen die Juden. Zu den Unterzeichnern jener berufenen Notabelnerklärung vom 12. November 1880, in der T. mit tönenden Worten ungerechter Weise beschuldigt wurde, er mißbrauche seine Lehrthätigkeit zu antisemitischen Kundgebungen, gehörten viele seiner Collegen, insbesondere auch sein engerer Fachgenosse Droysen. Es liegt nahe, anzunehmen, daß T. auch mit diesen auseinander kam, zumal er selbst die Erklärung mit den schärfsten Worten angriff und meinte, ihre „hohlen Schlagwörter“ erinnerten an die schlimmsten Tage des Jahres 1848. Die Zahl der persönlichen Zerwürfnisse, in die er gerieth, läßt sich noch gar nicht übersehen. Er konnte es noch als ein Glück betrachten, daß ein Mann wie Duncker, selbst halb jüdischen Blutes, auch in diesen Tagen zu ihm hielt. Die auf Seiten des Judenthums stehende Presse bewarf ihn großentheils mit Koth. Als er mit Schmoller und Brentano die Klingen kreuzte, da konnte er mit gelassenem Humor zuschauen, wie der Chor der socialdemokratischen Blätter ihn beschimpfte. Damals führte der „Hamburger Socialdemokrat“ aus: „Dieser Herr v. T. ist selber ein lebendiger Beweis für die Ungerechtigkeit der heutigen Gesellschaft; er ist der Sohn eines Generals, darum konnte er studiren und heute ein Gelehrter heißen; lebten wir in einem gerechten Staate, der die Güter nach den Leistungen vertheilte, so hätte ein solcher Schwachkopf niemals studiren dürfen.“ Wie anders sich die jüdische Rachsucht und Empfindlichkeit bemerkbar machte, das lernte T. jetzt kennen. Die ganze Judensache hat ihm Alles in Allem schweres Herzeleid eingebracht. So wenig sein Kampfesmuth gebrochen wurde und so frei er sich in seinem Gewissen fühlte, so bekümmert war er doch. Ueber den Frohsinn seines Wesens senkte sich ein Schatten. Dazu kam, daß er in den Tagen dieses Kampfes seinen zu schönen Hoffnungen berechtigenden zehnjährigen Sohn an der Diphtheritis verlor. Das war am 14. Januar 1881. „Ach, es war der größte Schmerz meines Lebens“, klagte er noch acht Monate später in einem Brief, „die Welt sieht mich seitdem mit ganz anderen Augen an, und ich finde nur Trost in den einfältigen Wahrheiten des Christenthums, zu denen mich jede ernste Lebenserfahrung der letzten fünfzehn Jahre immer wieder zurückgeführt hat.“ In dem Kummer über diesen Schicksalsschlag wurde seine Gattin, die ihm einst in der Zeit des Bruches mit seiner Familie und des Todes seines Vaters eine besondere Stütze gewesen war, gemüthskrank und erholte sich nicht wieder. Fürwahr, das Schicksal stürmte mit Faustschlägen auf ihn ein.
Unter diesen Eindrücken vollendete er den zweiten Band seiner „Deutschen Geschichte“, der die Anfänge des Deutschen Bundes bis zu den Karlsbader Beschlüssen behandelte. Die Vorrede schrieb er am 20. October 1882 in Rom. Der Band war nicht so stark wie der erste, umfaßte aber immerhin an 650 Seiten. Der Umfang der Darstellung der darin behandelten Periode war wieder wesentlich stärker geworden, als es noch 1877 im Plane Treitschke’s gelegen hatte. In der Hauptsache wurde darin historisches Neuland erschlossen. Noch Niemand hatte diese Zeit näher erforscht. Die Darstellung beruhte auf tiefgründigstem Actenstudium und eindringender kritischer Forschung. Zaghaft meinte T. im Vorwort: „Ungelehrte Leser werden leider einiger Selbstüberwindung bedürfen, um sich in den spröden Stoff zu finden.“ Aber er hoffte doch auch: „Habe ich den Ton nicht ganz verfehlt, so wird den Lesern der Eindruck bleiben, daß sie die Geschichte eines aufsteigenden Volkes vor sich sehen.“ Schon weil der erste Band die Bewunderung der großen Mehrzahl der Gebildeten [308] erweckt hatte, so griff man auch eifrig zu der Fortsetzung. Vor allem in den litterarischen Partien entzückte das Buch wieder. In der Analysirung des Goethischen Schaffens dieser Jahre gab T. ein vollendetes Kunstwerk. Aber auch die Schilderung der Burschenschaft fesselte von Anfang an. Freilich empfand man dauernd, das dem alten Jahn Unrecht gethan war. Prächtig war die Zeichnung der Persönlichkeit Karl August’s von Weimar. Dann erfreuten liebevolle Culturbilder, wie die Schilderung des Berliner Lebens, die sich fortan in jedem Bande wiederholen sollten. Das waren Kleinmalereien, die ihre Wirkung nicht verfehlen konnten. Ein Cabinetsstück war auch das lebensfrische Bild des Oberpräsidenten v. Vincke. Der eigentliche Ertrag für die politische Geschichte drang erst allmählich in weitere Kreise. Die Bundestagsverhandlungen, die Verwaltungsgeschichte und die Darstellung des Aachener Congresses übten geringeren Reiz aus, so lichtvoll und schön das alles erzählt war. Doch gewann nicht nur die Forschung sehr bald den Eindruck, daß Treitschke’s Meinung richtig war: die Einberufung eines allgemeinen Landtages wäre unter den obwaltenden Verhältnissen für Preußen zu früh gewesen. Bei der Schilderung der süddeutschen Verfassungskämpfe konnte sich T. zum Theil auf seine eigenen Vorarbeiten stützen. Sein innerer, für religiöse Stimmungen empfänglicher Zustand, der in der Unruhe der Zeit im geistigen Schaffen Ablenkung fand, spiegelt sich in zahlreichen Wendungen wieder. So wenn er es als verhängnißvoll beklagte, daß Goethe eine freie geistvolle Form des positiven christlichen Glaubens eigentlich niemals kennen lernte, so wenn er von dem „wunderbaren“ Liede Goethe’s sprach, das „immer leise in der Seele wiederklingt, so oft ein Strahl himmlischer Glückseligkeit in unser armes Leben fällt“, so wenn er wiederholt die Seligkeit des Schaffens pries. Der Zorn über die Erlebnisse dieser Jahre bricht durch in Wendungen wie diese: „Wer in einem Zeitalter anonymer Publicistik den Muth hat, mit offenem Visir seine politische Meinung zu vertheidigen, kann auf die Dauer einem ungeheuren Hasse nicht entgehen“, oder, wenn er von Friedrich List sagt: „Er zählte zu jenen geborenen Kämpfern, denen das Schicksal immer neuen Hader sendet, auch wenn sie den Streit nicht suchen.“
Auch T. hatte den Streit jetzt nicht gesucht; und gerade jetzt brach er über ihn heftiger denn je herein. Seine eigene Wissenschaftlichkeit wurde in der fanatischsten Weise angefochten; und gerade von Freundesseite, von Hermann Baumgarten, kam der Hauptangriff. Baumgarten schrieb ein eigenes Pamphlet gegen Treitschke’s „Deutsche Geschichte“, datirt Straßburg 1. Febr. 1883. Er stellte T. schlankweg dem Ultramontanen Janssen an die Seite und meinte: „Was dem einen Rom, ist dem andern Preußen.“ Im Grunde war der Schritt, den der Straßburger Gelehrte unternahm, die Frucht von Aufhetzungen. In ihr entlud sich der leidenschaftliche Haß, der sich gegen T. bei vielen Liberalen infolge seiner vermeintlich veränderten politischen Haltung angesammelt hatte, und Baumgarten redete sich selbst in einen Eifer hinein, der unbefangen Urtheilenden wie Sybel geradezu krankhaft vorkam. Gewiß, T. hatte in manchen Punkten geirrt. Bei dem Maß von Forscherarbeit, das der ungeduldige Mann mit „wahrhaft ehrwürdiger“ Geduld geleistet hatte, wogen diese Fehler aber nicht allzu schwer. Solche Fehler waren auf einem so neuen Gebiete kaum zu vermeiden. Von wissentlich falscher Darstellung konnte natürlich nicht die Rede sein. Daß T. die Dinge vielfach in einem für Preußen zu günstigen Lichte ansah, war allerdings seine Eigenart, erklärte sich zum Theil aber auch dadurch, daß ihm in Wien und München, Dresden und Stuttgart, trotz seines Gesuches, die Archive nicht erschlossen [309] waren. Andere Gelehrte wie der Bremer Constantin Bulle[WS 32] secundirten Baumgarten in seinen Angriffen. Schadenfroh sah der größte Theil der Presse dem Schauspiel zu, wie Treitschke’s Wissenschaftlichkeit von anerkannten Gelehrten geschmäht wurde, und beutete die Angriffe nach Kräften gegen T. aus. Es ist unleugbar: jene Angriffe haben dem wissenschaftlichen Rufe Treitschke’s bis auf den heutigen Tag auf das schwerste geschadet, obwohl ihm auch viele unbefangene Vertheidiger erstanden, wie Erdmannsdörffer in den „Grenzboten“ und Egelhaaf im „Schwäbischen Merkur“, vornehmlich aber Sybel. Sybel prüfte anläßlich der Verleihung des Verdunpreises die hauptsächlich gegen T. erhobenen Vorwürfe eingehend und war in dem von ihm darüber erstatteten umfangreichen Gutachten ganz voll von der Umsicht und Vorsicht, der Zuverlässigkeit und Genauigkeit der Treitschke’schen Forschung. Auf Grund dieses Gutachtens wurde T. unter dem 21. Januar 1884 für den ersten und zweiten Band seiner „Deutschen Geschichte“ jener Preis zuerkannt. Der Commission, die ihn in Vorschlag brachte, gehörten an Beseler, M. Duncker, Müllenhoff, Sybel, A. Schaefer, Roepell, Haym, Schmoller, Weizsäcker. In den gegen ihn erhobenen Angriffen fand T. wenig, was er für sein Werk benutzen konnte. Gerade in den meisten der angefeindeten Partien war seine Auffassung durchaus richtig. Weil sie aber neu war und mit Legenden aufräumte, so weckte sie Widerspruch. Er mochte wohl etwas in sich gehen und seine eigene Leidenschaftlichkeit beklagen, die ihn öfter übers Ziel hinausschießen ließ und für den Historiker wenig angebracht war. Der Haupteindruck bei ihm aber war der der Trauer über den Undank seiner Volksgenossen. Er kam zum Ausdruck in einem Brief an den Württemberger Egelhaaf: „Als ich das Buch begann“, so schrieb T., „hegte ich noch die harmlose Meinung, es müsse doch möglich sein, den Deutschen einmal eine Freude zu machen. Von dieser Täuschung bin ich jetzt geheilt. Uns fehlt noch eine nationale Geschichtsüberlieferung; wer unsere neue Geschichte darstellt wie sie war, hat Schritt für Schritt mit Parteilegenden zu kämpfen und muß sich’s gefallen lassen, von allen Seiten gescholten zu werden. Ich hoffe aber, das Buch wird sich behaupten, und wenn ich einst noch von den preußischen Sünden unter Friedrich Wilhelm IV. zu erzählen habe, dann wird sich vielleicht auch die Presse anders dazu stellen.“ An den Baier Heigel schrieb er: „Die Frage mag Ihnen sonderbar erscheinen, aber Sie werden sie dem schmerzlich bewegten älteren Collegen zu gut halten. Glauben auch Sie, daß ich mich in der Darstellung der baierischen Verhältnisse in meinem zweiten Bande einer ungerechten Beurtheilung schuld gemacht habe? Ja oder Nein! In meinen Augen war gerade Baumgarten immer die Verkörperung des häßlichsten Fehlers der Norddeutschen, der galligen Krittelei, und es muthet mich fast spaßhaft an, daß er sich zum Anwalt der Süddeutschen aufwirft, während ich aus dem Süden beharrlich zustimmende Berichte erhalte.“
Im Laufe der Jahre fand indeß auch der zweite Band immer mehr Eingang und Verständniß beim deutschen Volke. Er wurde insbesondere von dem ersten getragen und erlebte bis zum Jahre 1906 sechs Auflagen. Im ganzen wurden von ihm 21 000 Exemplare gedruckt. Das ist allerdings ein beispielloser Erfolg bei einem Werke, das kaum ein größeres Ereigniß schildert, im wesentlichen nur vier Jahre deutschen Stilllebens behandelt.
Schon nach drei und einem halben Jahre erschien der dritte Band, der die Jahre 1819–1830 umfaßt. Es zeigte sich, daß das Werk immer gewaltiger anschwoll gegen alle ursprünglichen Absichten Treitschke’s. Sein Freund Hirzel war aber verständnißvoll genug, ihn gewähren zu lassen. Die Fertigstellung des Bandes war ihm zuletzt noch erschwert worden durch die [310] Verschlimmerung des Zustandes seiner Gattin. Tief bedrückt schrieb T. darüber nach jahrelangem Schweigen an Overbeck: „Es gibt Erfahrungen, die schlimmer sind als die Schrecken des Todes, und oft kann ich es selbst kaum begreifen, daß ich unter solchen Aufregungen doch noch die Kraft gefunden habe, den dritten Band zu schreiben.“ Die Vorrede des Bandes war vom 5. December 1885 datirt. Zu Anfang Januar 1886 verschickte T. ihn. Er überschrieb diesen Abschnitt des Werkes: „Oesterreichs Herrschaft und Preußens Erstarken.“ Wie er in der Vorrede sagte, hatte er bei der Bearbeitung fort und fort mit der erdrückenden Masse der handschriftlichen Quellen ringen müssen. Besonders werthvoll waren ihm die Berichte des badischen Bundestagsgesandten Blittersdorff gewesen, einer Persönlichkeit, mit der er sich während seiner ganzen wissenschaftlichen Thätigkeit zu beschäftigen gehabt hat. Wir besäßen wohl gern einen Essay über ihn von T. wie die über Wangenheim und Gagern, ebenso auch über Washington und den amerikanischen Publicisten Alexander Hamilton, mit denen sich T. gleichfalls immer wieder beschäftigt hat. Zu seiner Freude hatte auch die Nation begonnen, ihn bei seiner Arbeit zu unterstützen. Bekannte und Unbekannte hatten ihm Material geliefert. Er gestand, daß ihn dies Vertrauen „oft tief ergriffen und beschämt habe“.
In der Zeit, die er in diesem Theile zu schildern hatte, pulsirte mehr Leben, als in der vorangegangenen. So näherte sich das Interesse, das er bot, wieder mehr dem, welches der erste Band gewährt hatte. Mit einer gewissen Wehmuth nahm T. Abschied von den Trägern der preußischen Erhebung. Welch ein köstlicher Abendfriede lagert über den Bildern, die er vom Ausgang Stein’s und Wilhelm’s v. Humboldt entwirft! Zu den höchsten Höhen seiner Schilderungskunst erhob er sich bei der Charakteristik des Kronprinzen Friedrich Wilhelm. Nur wenige Porträtskizzen wird es geben, die an den Adel dieser Sprache heranreichen. Man erkennt außerdem, daß das Bild Friedrich Wilhelm’s IV. schon ganz fest vor seinem geistigen Auge stand. Er hatte es im Grunde schon 1873 vor sich stehen, wie ein Schreiben an den Schweizer Vuillemin zeigt, mit dem er einen Briefwechsel über Deutschland führte. Der glänzendste größere Abschnitt war der, der das altständische Stillleben in Norddeutschland malte. Namentlich die historischen Rückblicke, die T. dort brachte, waren Bilder von berückender Farbenpracht und gaben wieder Kunde von der tiefen und umfassenden Art, mit der T. die historischen Dinge anfaßte. Die Suggestion, die Metternich in seiner Revolutionsfurcht mit seinen fünf Metaphern auszuüben wußte, wird überzeugend dargelegt, ebenso die segensreiche Verwaltung Preußens, insbesondere die Wirksamkeit von Motz, dessen große Bedeutung T. recht eigentlich entdeckt hat. Auch ein Baier, Ludwig I., erfährt eine schöne Würdigung. Aus einer intimen Kenntniß erwuchs das eingehende Charakterbild Bunsen’s. Bei der Erzählung der Entstehung und Entwicklung des Zollvereins wies T. darauf hin, daß ein Reichstag dabei sicherlich nur im höchsten Grade lähmend gewirkt haben würde. Indem er den Rückschlag nach Hardenberg’s Tode dem Umschwunge im Deutschen Reiche nach 1878 zur Seite stellte und die beiden rückläufigen Bewegungen damit begründete, daß die Gesetzgebung der politischen Bildung vorausgeeilt war, erläuterte er auch seine eigene politische Stellung. Und wenn er schrieb: „Es hieße verzweifeln an der göttlichen Führung der Menschengeschicke, wenn einer wähnen wollte, sie rufe den Mann des Schicksals vor der Zeit von hinnen“, so hatte er sicherlich Bismarck dabei im Auge.
Das Erscheinen des neuen Bandes war abermals ein litterarisches Ereigniß. Er weckte nicht mehr so viel Widerspruch als der zweite. Vieles darin mochte versöhnlicher stimmen und allmählich konnten doch auch die [311] Gegner sich nicht dem Eindruck verschließen, daß dem deutschen Volke in dem großangelegten Werke ein schönes Besitzthum erwuchs. Der Historiker Bruno Gebhardt[WS 33] gab seiner Empfindung Ausdruck durch die Bemerkung: T. schreibe so schön, so herrlich, daß man auch seine Ausfälle nicht mit Widerwillen, sondern mit Humor lese. So konnte T. mit frischer Kraft an seinen vierten Band gehen.
Während dessen bereitete sich aber nach und nach seine Trennung von dem Organ deutschen geistigen und ins besondere politischen Lebens vor, das ihm vor allem seinen großen Namen verdankte, von den „Preußischen Jahrbüchern“.
Er hatte auch noch seit dem Erscheinen der „Deutschen Geschichte“ manchen beachtenswerten Essay, so namentlich politischen Charakters, dazu beigesteuert. Die früher in den Jahrbüchern veröffentlichten tagespolitischen Aufsätze hatte er Ende 1874 großentheils in einer stattlichen Sammlung unter dem Titel „Zehn Jahre deutscher Kämpfe“ (Berlin, G. Reimer) vereinigt, die er seinem Freunde und Mitherausgeber der Jahrbücher, W. Wehrenpfennig, mit den gemüthvollen Begleitworten widmete: „Sie werden viele Stellen wiederfinden, wo wir selbander sorgsam jedes Wort erwogen, viele andere, wo Sie mit der Weisheit des erfahrenen Greises, doch selten mit Erfolg, versuchten mir Wasser in den Wein zu schütten“. Ende 1879 erschien die Sammlung, fortgeführt bis zum Jahre 1879, in neuer Auflage. Von den „Historischen und politischen Aufsätzen“ konnte im Jahre 1886 eine fünfte vermehrte Auflage veranstaltet werden. Aus dem einen Bande, der 1864 herauskam, waren inzwischen drei geworden. Der erste führte den Titel: „Charaktere, vornehmlich aus der deutschen Geschichte“ und enthielt unter diesen auch die schönen Denkmäler, die T. inzwischen seinem Lehrer Dahlmann (1864) und seinem Gönner Mathy (1868) gesetzt hatte, der zweite: „Die Einheitsbestrebungen getheilter Völker“ und der dritte: „Freiheit und Königthum“. Er widmete sie G. Freytag zu dessen 70. Geburtstage. An den Schluß des zweiten und dritten Bandes stellte er zwei neue Abhandlungen: „Unser Reich“ und „Parlamentarische Erfahrungen der jüngsten Jahre“, in denen er seine durch die Erlebnisse der letzten Jahrzehnte veränderte politische Stellung darlegte. Der rücksichtslose Unitarier machte darin vor allem seinen Frieden mit den bestehenden Zuständen. Er bezeichnete es als Gebot der patriotischen Pflicht, an dem Bestande der landesfürstlichen Gebiete nicht zu rütteln, fand aber, daß das Reich kein Bundesstaat sei, sondern eine Monarchie mit bündischen Institutionen. Sehr wenig befriedigt war er von den parlamentarischen Zuständen. Die Möglichkeit, sie zu ändern, hielt er aber einstweilen für ausgeschlossen. Eine große Reihe seiner Beiträge für die „Jahrbücher“ fand keine Aufnahme in diese dreibändige Aufsatzsammlung. So das gewaltige Charakterbild, das er anläßlich der Lutherfeier im Jahre 1883 von dem großen Wittenberger Reformator schuf, und das zarte Gemälde einer edlen Frauengestalt, das er 1876 in einer im Berliner Rathhaus gehaltenen Rede bei der Hundertjahrfeier für die Königin Luise von dieser entwarf (im Sonderabdruck zusammen erschienen mit einer Rede Mommsen’s über die Königin), auch nicht das bereits 1873 dem Publicisten A. L. v. Rochau gewidmete Wort dankbarer Erinnerung. Nach der fünften Auflage der Essays erschien noch (1886) das liebevolle, aus tiefster Kenntniß der Persönlichkeit geschöpfte Gedenkwort, das er seinem Freunde Max Duncker nachrief, ferner die am 22. März 1887 über „Das politische Königthum des Anti-Macchiavell“ gehaltene Rede, die ihm Gelegenheit gab, den von ihm von Jugend auf bewunderten florentinischen Historiker, den Kronprinz Friedrich bekämpfen zu müssen geglaubt hatte, und ebenso auch mit einigen Pinselstrichen die Persönlichkeit Friedrich’s des Großen zu würdigen. [312] Wie schon früher, so erschienen auch in dieser Zeit viele seiner Aufsätze in Sonderausgaben, die oft mehrere Auflagen erlebten.
Die anregendste Wirkung übte von seinen neueren Essays wohl ein unter dem 20. April 1884 geschriebener umfangreicher Aufsatz über „Die Königliche Bibliothek in Berlin“ aus, zu dem eine Persönlichkeit, die stark von Treitschke’schen Gedanken berührt worden ist, der spätere Ministerialdirector Althoff die Anregung gab. T. bekämpfte darin u. a. den Gedanken der Präsenzbibliothek als eine gedankenlose Nachahmung fremder Vorbilder und meinte, damit würde das Einzige aufgegeben, was die deutschen Büchereien vor dem Auslande voraus hätten. Er warf ferner den Gedanken einer deutschen Akademie der Wissenschaften hin, die auf die Dauer unentbehrlich würde, verlangte dringend einen Neubau der Bibliothek und bezeichnete es als schlechthin selbstverständlich, daß das Akademieviertel dazu gewählt würde, was denn auch zwei Jahrzehnte später nach längerem Umhertasten geschah. Er hatte außerdem den Gedanken der Aufstellung eines Gesammtkataloges, der von der fruchtbringendsten Wirkung war, indem seitdem die Kreise der Bibliothekare nicht aufhörten, über das Problem nachzudenken, bis schließlich die Regierung an die praktische Verwirklichung des Gedankens trat. Mit freudigen Hoffnungen begrüßte er die ersten Versuche deutscher Colonialpolitik; „Nachdem uns das Schicksal so viele Jahrhunderte hindurch mißhandelt hat, dürfen wir wohl einmal auf die Gunst des Glückes zählen“. Schon vor einem Vierteljahrhundert hatte er seine Nation in dem Essay über die „Freiheit“, „über die Meere hinweg“ gewiesen und in der Schrift „Bundesstaat und Einheitsstaat“ von neuem auf Colonialpolitik hingedrängt. In einem Artikel zum 25jährigen Regierungsjubiläum Wilhelm’s I. klang wieder die Erinnerung an den Tod seines Bruders Rainer und die Schicksale des Vaterlandes durch, durch die man sich im Gewissen gepackt, sich gemahnt fühlen müsse an die göttliche Führung der Menschengeschicke. „Wie wirr auch noch der Kampf der Meinungen in unserem religiösen Leben durcheinander wogt, die Zeit ist doch vorüber, da es für geistreich galt, des Heiligen zu spotten.“ Freilich blieb er in dogmatischen Fragen immer noch der Freidenker von früher. Der liberale Theologe Hausrath katechisirte ihn zuweilen, wie einst Treitschke’s Vater, allerdings von dem entgegengesetzten Standpunkte, und war durchaus zufrieden gestellt. Ueberhaupt war T. insbesondere durch seine Stellung zur Judenfrage bei vielen – Bekannten und Unbekannten – in ein ganz unrichtiges Licht gekommen. Die Harmlosigkeit des Ministers v. Puttkamer, die darin lag, daß er glaubte, zwei gute Freunde neben einander zu bringen, indem er T. bei Tisch neben den Hofprediger Stoecker setzte, grenzte an Geschmacklosigkeit. T. mußte Puttkamer darüber aufklären, daß er Stoecker garnicht kenne. Einen kleinen Stoß versetzte T. allerdings seinem Ansehen bei den Hausrath und Gefährten, als er Stoecker wegen des angeblichen Meineides vertheidigte und meinte, jene Zeugengeschichte hätte jedem passiren können. Später nahm er den Hofprediger auch wegen des „Scheiterhaufenbriefes“ in Schutz und äußerte, ohne sich Stoecker’s sachlichen Standpunkt zu eigen zu machen: wenn man die Redactionstische liberaler Blätter bestehle, werde man auch Scheiterhaufenbriefe genug finden.
Eine solche durch nichts beirrte und furchtlose Haltung auch in der Vertheidigung der reactionärsten Kreise, sowie seine sichtliche Annäherung an die conservative Partei, in der er manchen Freund fand, erschütterte im Laufe der Jahre seine Stellung zu dem Verlage der „Preußischen Jahrbücher“, G. Reimer in Berlin. Es wird anzunehmen sein, daß sie unhaltbar wurde nach jenem ergreifenden Nachruf auf die beiden dahingeschiedenen Kaiser vom 15. Juni 1888, [313] der in einer Sonderausgabe zehn Auflagen erlebte. Der Aufsatz trug T. zwar eine Dankesdepesche Kaiser Wilhelm’s II. ein, rief aber durch die scharfe an Kaiser Friedrich geübte Kritik und die erbitterte Verurtheilung der deutschen freisinnigen Partei eine ungeheure Verstimmung auch in vielen maßvollen Kreisen des Liberalismus wach. So fühlte sich das freiconservative „Deutsche Wochenblatt“ Otto Arendt’s[WS 34] noch am 27. September 1888 bewogen, jene Kritik zurückzuweisen. Wie es scheint, bestanden außerdem noch Verstimmungen Treitschke’s wegen der Mitarbeit Constantin Rößler’s an den Jahrbüchern, jenes Rößler’s, über dessen „von der Straße des einfachen Menschenverstandes abschweifende Irrfahrten“ sich T. schon im December 1880 in den Jahrbüchern spöttisch ausgelassen hatte. So kam es zu Auseinandersetzungen zwischen dem Redacteur der Zeitschrift, Hans Delbrück[WS 35], von dessen Publicistik T. überhaupt wenig eingenommen war, und T. selbst über die innezuhaltenden Richtlinien und schließlich erfolgte der Rücktritt Treitschke’s von der Zeitschrift. Am 25. Juni 1889 nahm er von ihr Abschied. Es wurde einsam um ihn und sein Wirkungskreis verengte sich.
Auf der anderen Seite empfand er es wohlthuend, daß ihm die akademische Jugend in stetig steigendem Maße ihre Liebe und Verehrung entgegentrug. Nie besaß ein akademischer Lehrer so das Ohr der Studenten aller Facultäten. Er freute sich des positiven monarchischen Geistes, den er überall unter den jungen Leuten wahrnahm, und hat dieser Freude des öfteren in seinen Schriften Ausdruck verliehen. Zu der Berliner studentischen Vereinigung, in der am lebendigsten von Bismarck’schem und gerade auch Treitschke’schem Geiste getränkter nationalpolitischer Sinn pulsirte, zum Verein deutscher Studenten, ist er in nähere Beziehungen getreten und hat oft auf dessen Festen gesprochen. So hat er dort am 27. Februar 1885 die berühmte Rede zur Vorfeier von Bismarck’s 70. Geburtstage gehalten und am 23. October 1890 die nicht minder berühmte Rede zur Feier von Moltke’s 90. Geburtstage. An diesem Tage geleitete ihn die lange Schar der Chargirten in feierlichem Zuge auf das Podium des Festsaales und verlieh dadurch der ungewöhnlichen Stellung, die er in der Studentenschaft einnahm, einen markanten Ausdruck. In den Trinksprüchen bei solchen Anlässen trat die elementare Beredsamkeit Treitschke’s in ihrer ganzen Stärke zu Tage. Er pflegte sie stets ohne jede Vorbereitung, wie sie der Augenblick eingab, zu halten.
Von der regelmäßigen publicistischen Arbeit abgedrängt, sammelte T. seine Kraft um so mehr zur Fortführung seiner „Deutschen Geschichte“ und spürte auch hier während der Arbeit, daß ihm auf der anderen Seite wieder zuwuchs, was er auf der einen an Einfluß verlor. Wieder erleichterte ihm eine Fülle vertraulicher Mittheilungen von Landsleuten aus Nord und Süd die Arbeit. Wenige Monate nach seinem Abschied von den Preußischen Jahrbüchern, am 30. November 1889, schloß er den vierten Band ab. Darin erzählte er die Geschichte des vierten Jahrzehntes des Jahrhunderts, der er die Ueberschrift gab: „Das Eindringen des französischen Liberalismus“. Immer mehr begann die deutsche Leserwelt an der Hand seiner Darstellung zu begreifen, wie, um mit T. zu reden, die hohe Schönheit der neuen deutschen Geschichte darin liegt, daß alle die kleinen Bäche der Stammesgeschichten nach und nach, wie durch geheimnißvolle Naturgewalt getrieben, zu einem Strom zusammenfließen, bis schließlich jeder Theil an der Größe des Vaterlandes seinen Antheil gewinnt. Im Mittelpunkt der Begebenheiten dieses Jahrzehnts steht, mehr noch wie in dem vorausgegangenen Jahrzehnt, der Zollverein. Die Neujahrsnacht 1834, des wird man inne, war eine Stunde von ähnlicher Wichtigkeit wie der Tag von Tauroggen und die Neujahrsnacht 1814. Noch nie hatte [314] in Treitschke’s Erzählung die Schilderung der Geistesgeschichte so gepackt wie in diesem Bande. Mit noch größerer Liebe wie sonst wohl verweilte der Darsteller bei dem Bilde Niebuhr’s. Von dessen römischer Geschichte hatte er im zweiten Bande das Wort niedergeschrieben, das durchaus auf seine „Deutsche Geschichte“ angewandt werden kann: sie wäre schon von den Zeitgenossen zu jenen classischen Büchern gezählt worden, welche niemals überwunden werden, auch wenn sie in jedem einzelnen Satze widerlegt sind. Jetzt schrieb er wieder einen Satz, der auch von seinem eigenen Werke gilt, indem er von Niebuhr’s Vorlesungen über neueste Geschichte sagte: „Allen Glanz und allen Schmerz seines großen Herzens legte er in diesen Vorträgen nieder.“ Mit heller Freude entwickelte er die Bedeutung Paul Pfizer’s, in dem er wie in Fichte einen seiner Vorläufer sehen durfte. Wenn er über ihn bemerkte: „solche weitsichtige Prophetennaturen werden im wimmelnden Gewühl der kleinen Tagespolitik leicht in falsche Stellungen gedrängt“, so hat man die Empfindung, daß Treitschke’s Erfahrungen der jüngsten Zeit aus diesen Worten reden. An die weihevoll stimmende Schilderung des alten Goethe, „des Herzenskündigers seines Volkes“, reihte sich die stark subjective der litterarischen Vorherrscher in dieser Epoche, Heinrich Heine’s und Börne’s. Schon frühere Stellen der „Deutschen Geschichte“ hatten darauf vorbereitet, daß T. mit diesen Heroen des „souveränen Feuilletons“ nicht glimpflich verfahren würde. Die Secirung, die er nun mit ihnen vornahm, kam aber doch Vielen überraschend. Immerhin wird man sagen müssen, daß T. sich Mühe gab, Heine gerecht zu behandeln und daß er vermöge seiner eigenen geistigen Anlage es wie Wenige Verstand, in das Wesen dieses dichterischen Genius einzudringen. Wer T. aus seinen früheren Schriften, insbesondere seinen Recensionen kannte, wußte, daß er sich schon früh sein Urtheil über das radicale Litteratenthum gebildet hatte. Neben diesen Gestalten nahmen sich um so lichtvoller die Rückert’s, Chamisso’s und Mörike’s aus, die T. zum Theil schon früher mit seinem Silberstift gezeichnet hatte, die er aber jetzt so lebendig veranschaulichte, wie es bisher noch nie ein Litterarhistoriker gethan hatte. Eine Fülle anregender Gedanken geben die Ausführungen über das wissenschaftliche Leben, so über Ranke und Dahlmann, am meisten aber wohl die Charakteristik von J. D. Strauß[1], die erkennen ließ, daß T. sich innerlich vielfach mit diesem Denker auseinandergesetzt hatte.
Der Band weckte wieder in manchen Kreisen den stärksten Widerspruch. T. hatte damit gerechnet, daß seine conservativen Freunde verstimmt werden würden, gleichmüthig aber an Freytag deswegen geschrieben: „Nun man schlägt sich durch, sage ich mit Ihrem Fink.“ Er irrte sich jedoch. Bei den Conservativen erregte das Buch durchaus keinen nennenswerthen Anstoß. Dafür aber fühlte sich das Judenthum und das mit ihm verwachsene Litteratenthum durch die Darstellung des souveränen Feuilletons aufs tiefste getroffen. Ihren Hauptausdruck fand die Verstimmung in der Schrift des Litterarhistorikers Paul Nerrlich: „Herr v. Treitschke und das junge Deutschland“, in der der Verfasser T. alles Ernstes für einen confusen Kopf und eine Thersitesnatur erklärte. Ein anderer übelwollender Kritiker erstand T. in Ludwig Bamberger, der schon einmal, im Jahre 1866, aus Anlaß der ersten Aufsätze über den Bonapartismus gegen T. zu Felde gezogen war. Jetzt schrieb Bamberger in der „Nation“ unter der Maske der Objectivität einen T. bitter verurtheilenden Essay. Mochte man T. Ungenauigkeiten und Irrthümer nachweisen, im wesentlichen war man doch nicht im Stande, seine Darstellung zu erschüttern. Diese wirkte vielmehr auf die weitesten Kreise aufklärend und gewissenschärfend. T. hatte sogar die Genugthuung, daß sein Hauptangreifer, Hermann Baumgarten, jetzt in der „Allgemeinen Zeitung“ [315] durchaus anerkennend über den Band urtheilte. Der Philologe Ribbeck nahm ihn nachdrücklich gegen „das allgemeine Wuthgeschrei“ in Schutz: „Die geschichtliche Betrachtung hat das Recht, Kindereien und Gemeinheiten beim rechten Namen zu nennen.“ Mit den Jahren wurden die Gebildeten sich immer mehr bewußt, wie tief T. in das Wesen der deutschen Dichter und ihrer Werke eingedrungen war. Als beispielsweise lange nachher Maync’s Ausgabe von Immermann erschien, fühlte sich K. Varrentrapp[WS 36] bewogen darauf hinzuweisen, wie sehr T. im allgemeinen die litterarischen Persönlichkeiten und Immermann im besonderen zu würdigen gewußt hatte.
Das große Ergebniß der vier ersten Bände von Treitschke’s „Deutscher Geschichte“ blieb schließlich doch das, daß die Zeit von 1815–1840 nicht mehr als eine trübe, nichtige Epoche angesehen werden konnte, sondern daß sich in jenen Jahren eine Sammlung der deutschen Kräfte vollzog, daß in ihr ferner durch die preußische Krone große Organisationen geschaffen wurden, die die Vorbedingungen der deutschen Einigung gaben, und das schließlich das geistige Leben der Nation in ihrer Gesammtheit sich außerordentlich hob. Auch der Nachweis wurde geführt, daß an den schweren Mißgriffen reactionärer Natur, die jene Zeiten in Verruf gebracht hatten, nicht nur Oesterreich und Preußen schuldig waren, sondern daß ein gut Theil der Schuld daran auch gerade auf das constitutionelle Deutschland entfiel. Diese Ergebnisse konnten andere Arbeiten, wie die Alfred Stern’s und Zwiedineck-Südenhorst’s nur bestätigen. Wenn man erwog, welche riesige Forscherarbeit von dem ungeduldigen, auf das künstlerische Gestalten drängenden Manne in diesen Bänden überwunden worden war, dann konnte man wohl an die Selbstbeherrschung denken, die Michel Angelo’s[WS 37] leidenschaftlicher Künstlergeist übte, als er in langen Jahren die Decke der sixtinischen Capelle mit seinen Wunderwerken schmückte. Mitfühlend hat T. selbst diesen Heroismus des großen Italieners hervorgehoben.
Als der vierte Band erschien, regierte bereits Kaiser Wilhelm II. Wie T. stets das Wohlwollen Wilhelm’s I. genoß, der ihm im J. 1885 den Titel eines Geheimen Regierungeraths und nach Ranke’s Tode im J. 1886 den Titel eines Historiographen des preußischen Staates, am 21. Januar 1887 nach verschiedenen anderen Ordensauszeichnungen auch den Orden pour le mérite für Wissenschaften und Künste verliehen hatte, so schien auch der neue Herr dem Historiker, der wie kein zweiter der Herold Preußens und seiner Herrscher war, anfangs eine günstige Gesinnung entgegenzutragen. T. selbst begrüßte zwar die ersten Schritte Wilhelm’s II. freudig, bald aber empfand er Unbehagen der neuen Regierung gegenüber. Als dann Bismarck gestürzt wurde, bemächtigte sich seiner vielfach Verbitterung. Das Ereigniß selbst traf ihn wie der persönlichste Schlag. Sein Herz war bald vornehmlich in der Bismarck’schen Zeit. Was er seinem Freunde Duncker einige Zeit vorher ins Grab nachgerufen hatte, seine stolzeste Freude sei es gewesen, in diesem deutschen Jahrhundert ein Deutscher zu sein, das konnte er auch von sich sagen; es beschränkte sich aber auf die Bismarck’sche Periode. Es war eine eigenartige Erscheinung, wie dieser beredteste und überzeugteste Anwalt der Krone sichtlich eine andere Stellung zu ihr einnahm. Seine Verstimmung machte sich in zahlreichen Epigrammen gegen die Umgebung und die Gehülfen Kaiser Wilhelm’s II. Luft, so gegen den Reichskanzler Caprivi, den General v. Hahnke[WS 38], den Erzieher des Kaisers, Hintzpeter, und den Afrikaforscher Paul Güßfeldt[WS 39]. Von Caprivi sprach er selbst im Hörsaal nur ironisch. Diese Epigramme und satirischen Aeußerungen pflegten von Mund zu Mund zu gehen. Bald kannte sie ganz Berlin, und auch anderswo, wo Freunde von T. saßen, war man bald unterrichtet. Die Zielscheiben seines Spottes werden sicherlich auch davon erfahren haben. [316] Freilich war er auch gar nicht damit einverstanden, daß Bismarck seinen Organen gestattete, sich zum Anwalt von Richtungen zu machen, die sich der Socialreform entgegen stellten. Gelegentlich griff er rednerisch in den Tagesstreit ein. Wie er bei den Vorbereitungen zur Reichstagswahl im J. 1890 in einer Berliner conservativen Wahlversammlung sprach, so hat er auch bei seiner studentischen Kundgebung zu Ehren der vom Freiherrn v. Stumm-Halberg[WS 40] angegriffenen Professoren Adolf Wagner[WS 41] und Schmoller leidenschaftlich seine Stimme zur Vertheidigung der akademischen Freiheit erhoben. Auf jene Rede gegen Stumm kann wieder so recht Treitschke’s Wort angewandt werden: „Wenn ich etwas thue, daß alle Freunde sagen: das war Er, nur Er konnte und mußte so handeln! dann habe ich etwas gethan, was zugleich die freieste und innerlich nothwendigste That war.“ Im allgemeinen war es vielleicht ganz gut, daß er nicht mehr ein Organ wie die „Preußischen Jahrbücher“ besaß, in dem er sich publicistisch vernehmen ließ. Sein heißblütiges Temperament und sein rücksichtsloser Wahrheitsdrang und Wahrheitsmuth hätte ihm sonst hin und wieder einen Streich spielen können.
Das Regiment Kaiser Wilhelm’s II. empfand er auf das drückendste. Auch persönlich wurde er mehrmals davon berührt. Er gehörte zu jenem Preisrichtereollegium, das den Schmitz’schen Entwurf zum Nationaldenkmal für Kaiser Wilhelm I. krönte und dessen Spruch von dem regierenden Herrn umgestoßen wurde. Seit 1880 war er Mitglied der Commission zur Berathung über die Vertheilung des Schillerpreises. Als solches erlebte er es, daß Kaiser Wilhelm II. das Gutachten zu Gunsten des Fulda’schen Stückes „Der Talisman“ nicht berücksichtigte. Ebenso hatte er im J. 1893 über die Vertheilung des Verdunpreises mit zu befinden und erfuhr es dabei, daß Sybel’s Werk über die Begründung des deutschen Reiches, für das sich die Commission ausgesprochen hatte, vom Kaiser nicht für würdig befunden wurde. Alles dieses verstimmte ihn. Er meinte, der Grund, der Sybel um den Preis und danach auch um die Erlaubniß zur Benutzung der Staatsacten brachte, die Beurtheilung des Augustenburgers, sei nicht stichhaltig; Sybel hätte den Augustenburger noch viel zu günstig beurtheilt. Zuweilen protestirte er im Colleg offen gegen Handlungen des Herrschers. Bei seinen Ausführungen über den militärischen Gehorsam im Colleg über „Politik“ äußerte er: „Absolute Hingebung an einen sterblichen Menschen kann es nicht geben. Man soll nicht zu unseren Soldaten sprechen, als ob sie auch Vater und Mutter auf Befehl ihrer Vorgesetzten todtschlagen müßten. Sind denn die Soldaten eines stehenden Volksheeres gleichzustellen den kindermordenden Söldnern des Königs Herodes? Sein Gewissen kann kein denkendes Wesen opfern.“ Man fühlt die innere Erregung des freimüthigen Gelehrten, die in diesen Worten liegt. Es kam ihm sicher schwer an, dergleichen zu sagen. Aber ihm schien es Gewissenspflicht. Daß der Fahneneid Schranken habe, führte er bereits 1871 in seiner Schrift über das constitutionelle Königthum aus. Es gehörte überhaupt zu seinen Grundanschauungen, daß der Staat nicht das Gewissen seiner Bürger verletzen, nicht in das Heiligthum der Persönlichkeit eingreifen dürfe. Mit Kummer verfolgte er die Vertraulichkeit, mit der viele Engländer sich dem Träger der deutschen Kaiserkrone zu nähern wagen durften. Einer solchen Ehre hielt er gerade diese am wenigsten für würdig.
Publicistisch nahm er zwei Mal gegen Maßnahmen des neuen Curses das Wort. Das erste Mal erhob er zum Schutze des bedrohten humanistischen Gymnasiums seine warnende Stimme. Es geschah in einer besonderen Schrift: „Die Zukunft des deutschen Gymnasiums“, Leipzig 1890, in der er einen bereits im J. 1883 in den „Preußischen Jahrbüchern“ veröffentlichten Aufsatz [317] „Einige Bemerkungen über unser Gymnasialwesen“ abdruckte und daran weitere Ausführungen zur Vertheidigung des Unterrichts in den alten Sprachen knüpfte. Sarkastisch fingen diese an: „Dieselbe entrüstete öffentliche Meinung, die noch vor kurzem den preußischen Lehrer als den Sieger von Königgrätz feierte, behandelt jetzt unser gesammtes Unterrichtswesen wie rostiges Eisen.“ Das classische Alterthum galt ihm als ein Jungbrunnen für alles geistige Leben. Sein Studium wollte er um keinen Preis missen. Zum zweiten Male trat er aus der ihm durch seinen Rücktritt von den „Preußischen Jahrbüchern“ auferlegten publicistischen Zurückhaltung heraus, um gegen den Volksschulgesetzentwurf des Grafen Zedlitz[WS 42], in dem er eine Demüthigung des Staates unter ultramontane Herrschsucht erblickte, Einsprache zu erheben. Zu diesem Zwecke benutzte er (im März 1892) die Spalten der früher von ihm wegen ihrer Langweiligkeit oft arg verspotteten „Allgemeinen Zeitung“ in München. Noch einmal zeigte der liberale Tory, zu dem er sich entwickelt hatte, vor dem Lande seine alte freiheitliche Grundrichtung. Mit wahrer Bitterkeit lief er gegen die für ihn offen zu Tage liegende staatsmännische Unfähigkeit Caprivi’s Sturm, der gegenüber er von der hohen Schule Bismarck’scher Politik sprach. Freimüthig brach er aber zugleich auch eine Lanze für den einige Zeit vorher in Ungnade gefallenen Hofprediger Stoecker, der, wie er meinte, allein vielleicht noch im Stande gewesen wäre, der Socialdemokratie mit Erfolg entgegenzutreten. Daneben warf er den Gedanken hin, die Akademie zu Münster zu einer vollständigen Universität auszugestalten, einen seiner vielen Gedanken, die nachher in die That umgesetzt worden sind. Grimmig spottete er über den Centrumscurs anläßlich der Ehren, die dem todten Windhorst von Reichswegen erwiesen wurden. „Jch konnte mich bei diesem wundersamen Schauspiel der Frage nicht erwehren: ist denn kein Kaulbach da, um mit schelmischem Griffel zu schildern, wie Reineke begraben ward und Braun, Hinze, Grimbart, alle, mit denen er bei Lebzeiten sein Spiel getrieben, wehklagend seine Bahre umstanden?“ Diese beiden publicistischen Kundgebungen erregten gewaltiges Aufsehen im Lande. Was den Kundigen niemals zweifelhaft gewesen war, offenbarte sich hier deutlich: Obwohl des Sprachrohrs seiner Zeitschrift beraubt, besaß T. doch noch ungeschwächt das Ohr der Nation. Seine Stimme war eine öffentliche Macht.
In dieser Zeit wurde der taube Mann von einem Augenleiden befallen, das er sich durch eine Nikotinvergiftung zugezogen hatte. Von jungen Jahren an war er ein leidenschaftlicher Raucher gewesen. Während er, wie es gewöhnlich geschah, bis tief in die Morgenstunden arbeitete, konnte er sich nicht diesen Genuß versagen. Es bestand die Gefahr, daß er sein Augenlicht verlieren würde. Die Aussicht war erschütternd. „Taub und blind läßt sich nicht leben“, sagte er ruhig. Er unterwarf sich in Heidelberg ärztlicher Behandlung. „Warum mir das alles?“ fragte er bitter. Im April 1893 nahm er traurig Abschied von den Freunden in Heidelberg. Im Herbst jenes Jahres trat Besserung seines Zustandes ein. Er durfte wieder aufathmen. Aber die Fortsetzung seiner „Deutschen Geschichte“ verzögerte sich natürlich sehr durch die Krankheit. Er stöhnte schwer unter dem Druck, unter dem seine Arbeit in solcher Lage stand. Einigen Trost konnte es ihm gewähren, daß ihm noch weit reichlicher als früher Beiträge von allen Seiten zuflossen. Das zeigte ihm doch den wachsenden Antheil der Nation an dem Werke. Erst zu Beginn des Jahres 1894 war der leidende Zustand ganz überwunden. „Ich erwache wieder zum Leben“, schrieb er an Freytag, „und denke in einigen Monaten mit dem neuen Bande fertig zu sein. Er bringt Vieles, was für den heutigen Tag geschrieben scheint; nur war damals bei aller Thorheit mehr [318] Geist, mehr Hoffnung und mehr guter Wille. Natürlich gehöre ich nicht zu den Thoren, die an Preußen verzweifeln, aber Völker leben langsam, und so lange ich lebe, kommen schwerlich erträgliche Tage.“
Er ging nun mit verdoppelter Kraft an die Fortsetzung seines Werkes. Seine Freunde staunten, wie er sich in der Gluth des Schaffens verjüngte. Ihn mag gerade damals das Erscheinen der Sybel’schen Geschichte der Begründung des Reiches angespornt haben, um sein Werk dem gegenüber zu stellen. Von Erich Marcks wissen wir, daß ihn an Sybel’s Darstellung des Kampfes um die Vorherrschaft in Deutschland empörte, wie der tiefe Seelenjammer der Katastrophe und damit die volle seelische Größe des Hergangs gar nicht in ihr mitschwinge. Am 10. August 1894 hatte er endlich den fünften Band fertig. In dem Vorwort, das er ihm mitgab, fand er sich zu einem letzten tapferen und schönen Bekenntniß über die Aufgabe des Historikers bewogen: „Welchen Mißbrauch treibt man doch heute mit dem Ausspruch: sine ira et studio – einem Worte, das niemand weniger befolgt hat als sein Urheber. Gerecht soll der Historiker reden, freimüthig, unbekümmert um die Empfindlichkeit der Höfe, ungeschreckt durch den heute viel mächtigeren Haß des Pöbels. Aber so gewiß der Mensch nur versteht, was er liebt, ebenso gewiß kann nur ein stolzes Herz, das die Geschichte des Vaterlandes wie selbst erlebtes Leid und Glück empfindet, der historischen Erzählung die innere Wahrheit geben.“ So war denn auch dieser Band, der die Regierung König Friedrich Wilhelm’s IV. bis zum Ausbruch der Revolution erzählt, ein ergreifend schönes Werk rücksichtslosen Wahrheitssinnes und glühender Vaterlandsliebe. Durch das Ganze zieht sich der tiefe Schmerz hindurch, den dieser leidenschaftliche Patriot unter dem persönlichen Regimente Kaiser Wilhelm’s II. erduldete.
Ganz ohne Frage war der fünfte Band die Krone der geschichtlichen Werke Treitschke’s. In stetem Ringen war es ihm jetzt doch endlich wohl gelungen, den Ton der großen Alten, den echten historischen Stil zu treffen. Man hat wohl mit einigem Rechte behauptet, daß es T. ewig gegen die streitbare Heldennatur gegangen wäre, geistige Feindesliebe zu üben, die jede geschichtliche Erscheinung gleich tief von innen heraus zu begreifen vermöge. Vielleicht trifft das gerade noch für den Helden seines fünften Bandes, die Hamletnatur Friedrich Wilhelm’s IV., einigermaßen zu, obwohl T. diesem seinem Helden unleugbar Liebe und Mitgefühl entgegenbringt. Das grandiose Bild vom Wesen und Wirken des unglücklichen Monarchen ist aus einer ungewöhnlichen Congenialität des Denkens und Empfindens, die den Künstler und edlen Menschen T. für die Künstlerseele und das reiche Gemüth des Königs erfüllte, heraus geboren und verräth zugleich das eifrigste Bestreben nach Gerechtigkeit. Trotzdem ist darin nicht die tiefe innere Abneigung gegen das unmännliche Wesen Friedrich Wilhelm’s und den Mangel eines festen Willens bei ihm und ebenso nicht der bittere Nachklang der trüben Reactionszeit zu verkennen. Vielleicht ist daher das ganze Bild, das man von Friedrich Wilhelm IV. empfängt, um einige Schattierungen zu düster ausgefallen. Der patriotische Schmerz und die Enttäuschung der vorausgegangenen Generation schwingt allzu lebendig mit. Immerhin hat T. doch in beneidenswerther Weise auch seine wirklichen Feinde zu begreifen und versöhnlich zu beurtheilen gelernt. Dafür ist gerade dieser Band das Beispiel, so bei den letzten Worten, die T. Heine und Droste-Vischering widmet. Während im ersten Bande noch eher die Sprache eines Demosthenes zu vernehmen war, darf man vom fünften Bande wohl sagen, daß dort eine Art deutscher Thukydides zu uns spricht. Natürlich blieb T. auch diesmal nicht das Geschick erspart, daß die Specialisten [319] ihn vors Messer nahmen und ihm zahlreiche Irrthümer nachwiesen, und andere noch klügere Leute saßen über seine ganze Art der Geschichtschreibung zum so und so vielten Male zu Gericht. Da konnten Treitschke’s Freunde mit gutem Rechte ein Wort des geistreichen Karl Hillebrand ins Gefecht führen: „Wenn heute Thukydides vor das Publicum träte, so würde ohne Zweifel alsbald ein Waitz’scher Seminarist im ,Litterarischen Centralblatt’ ihm seinen Mangel an Methode gründlich auseinandersetzen.“
T. selbst sah seinerseits auf das eingefleischte Specialistenthum seiner Wissenschaft mit Ironie herab. Wiederholt citirt er das Wort Heinrich’s v. Kleist mit Behagen: „Diese Menschen sitzen sämmtlich wie die Raupe auf einem Blatte, jeder glaubt, seines sei das beste, und um den Baum kümmern sie sich nicht.“ Ein ander Mal spricht er von den schrecklichen Excerpten-Bandwürmern, welche dem geschwollenen Leibe der Schmoller’schen Schule von Zeit zu Zeit abgingen. Oft äußerte er sich mit Bedauern über die geistlose Handwerkerei, in die sich die jungen Historiker zu verlieren pflegten, indem sie sich ausschließlich der Quellenforschung widmeten. Auf manche seiner Fachgenossen hat die Treitschke’sche Art, Geschichte zu schreiben, schließlich eine anspornende Wirkung ausgeübt. So gestand Jakob Caro: „Von dem Köhlerglauben, daß der Historiker ein weißes Blatt, ein eigenschaftsloses Schemen sein müsse – sein könne, auf das sich die erforschten Eindrücke mit ihren Naturfarben abdrücken, hat uns kaum einer so befreit wie der Treitschke.“
Das Erscheinen des neuen Bandes war wieder wie das des ersten nicht nur ein litterarisches, sondern ein politisches Ereigniß. Die Lectüre desselben gestaltete sich für jeden feiner empfindenden Patrioten zu einem Erlebniß. Obwohl T. schon nach anderthalb Jahren seine Augen schloß, wurde der Band immer weiter stark gekauft. Vierzehn Jahre darnach erlebte er seine fünfte Auflage. 18 000 Exemplare wurden von ihm gedruckt. So erreichte er annähernd dieselbe Verbreitung wie die beiden ersten. Auch vom dritten Bande waren (bis 1908) in sechs Auflagen 20 000, vom vierten Bande (bis 1907) in fünf Auflagen 18 000 Exemplare gedruckt. So läßt sich zahlenmäßig die gewaltige Bedeutung von Treitschke’s „Deutscher Geschichte“ feststellen. Niemals hat ein deutsches Geschichtswerk wissenschaftlichen Charakters und solchen Umfanges einen derartigen buchhändlerischen Erfolg gehabt. Und dabei wurde darin, abgesehen von dem ersten Bande, doch nur eine Zeit geschildert, die arm an Ereignissen war. Dieser Erfolg erklärt sich nur daraus, daß T. die Vergangenheit zu beleben und zu beseelen wußte, wie nie ein deutscher Historiker vor ihm. Noch niemals war den Deutschen ihre Eigenart so eingehend geschildert, noch niemals die reiche Fülle des deutschen Geisteslebens so einleuchtend gezeigt worden. Seine Lehre, daß das neue Deutschland aus der Verschmelzung des alten fridericianischen Preußenthums mit dem Reichthum deutscher Bildung hervorgegangen sei, ist uns heute allen in Fleisch und Blut übergegangen, und Allen drängte sich auf, daß T. selbst diese Verschmelzung aufs herrlichste verkörperte. Nur der Kraft des Genius konnte eine so glückliche Vereinigung gelingen. Das große Werk hat zweifellos unermeßliche Verdienste um die Stärkung des Nationalbewußtseins in Deutschland. Bald kam das Urtheil der Zeitgenossen und der Fachmänner darin überein, daß die „Deutsche Geschichte“ das schönste Geschichtswerk darstellt, das das deutsche Volk besitzt. Mit den Jahren ließ der Widerspruch dagegen merklich nach. Zu greifbar waren doch die Vorzüge.
Nach dem Erscheinen des fünften Bandes wurden T. auch zwei wissenschaftliche Ehrungen zu Theil. Die eine war ihm ganz ungerechterweise bisher vorenthalten worden: die Ernennung zum Mitgliede der preußischen Akademie [320] der Wissenschaften. Unter dem Einfluß von Theodor Mommsen war ihm die schmerzliche Kränkung zugefügt worden, daß man ihn nicht für würdig der Aufnahme in diese gelehrte Gesellschaft hielt, weil, wie angegeben wurde, T. kein Gelehrter sondern nur ein „geistreicher Publicist“ sei. schon 1868, also zu einer Zeit, wo er selbst noch nicht in Frage für die Berliner Akademie kam, hatte T. in seinem Essay über Dahlmann die hierbei treibenden Motive spöttisch aufgedeckt: Professorendünkel und Zagheit. Daß T. die meisten Mitglieder der Akademie um Haupteslänge durch Tiefe des Geistes und umfassendes Wissen überragte, wurde nicht beachtet, und es steht sogar zu vermuthen, daß in diesen Kreisen Treitschke’s Schriften gar nicht einmal hinreichend bekannt waren, sonst hätte sich die große wissenschaftliche Arbeit, die darin geleistet war, zu sehr aufdrängen müssen. Natürlich gab es auch Gelehrte in jener Körperschaft, die hoch von Treitschke’s wissenschaftlicher Bedeutung dachten. Ein Mann, wie der Historiker des Hellenenthums Ernst Curtius bekannte seinem Sohne[WS 43]: „Ich habe in meinen alten Tagen viel nachzulernen, und wenn ich auf Männer wie T. blicke, so schlage ich beschämt die Augen nieder.“ Und der Historiker der französischen Revolution, Heinrich v. Sybel, pflegte halb launig, halb bewundernd von T. zu sagen: „Er weiß zu viel. Er weiß zu viel.“ Inzwischen hielten vergnügt einzelne Gelehrte, auch Jünger Treitschke’s, in die Akademie ihren Einzug, die Pygmäen im Vergleiche mit ihm waren. Der Eindruck wurde allmählich tief beschämend nicht nur für die Patrioten, sondern auch für die Mitglieder der Akademie, so daß der greise Heinrich v. Sybel, der doch sehr anders geartet war als T., schließlich – noch kurz vor seinem Tode – sich bewogen sah, seinen ganzen Einfluß aufzubieten, um den Mommsen’schen Widerstand zu brechen. So wurde T. im Sommer 1895 zum Mitgliede der Akademie gewählt. Am 13. August – zwölf Tage nach Sybel’s Tode – erfolgte seine Aufnahme. Im Juli 1896 sollte er bei der Leibniz-Sitzung der Akademie von dieser feierlich begrüßt werden.
Die andere wissenschaftliche Ehrung, die ihm widerfuhr, bestand darin, daß ihm unmittelbar nach Sybel’s Tode die Herausgeberschaft des führenden geschichtlichen Fachorgans in Deutschland, der von Sybel begründeten „Historischen Zeitschrift“ angetragen wurde. Es war doch ein Großes: sechs Jahre vorher hatten den preußischen Publicisten entgegenstehende Einflüsse aus seinen Jahrbüchern verdrängt; jetzt sollte sozusagen die deutsche Geschichtswissenschaft unter seiner Flagge segeln. Friedrich Meinecke[WS 44] wollte, indem er jenes Ersuchen an T. richtete, wie er gesagt hat, „unter der Aegide eines wahrhaft schöpferischen Geistes die großen Traditionen der deutschen Historie wahren.“ Nicht ohne Bedenken nahm T. an. Er meinte wohl: „Wer lange in den Kämpfen des öffentlichen Lebens gestanden hat, kann weder dem Hasse noch dem Mißtrauen entgehen; deshalb fürchtete ich anfangs durch meinen Namen manche Mitarbeiter abzuschrecken.“ Er führte sich durch eine vom 10. October 1895 datirte Vorbemerkung ein, in der er mit einigen kraftvollen Worten über den damals unter den Geschichtschreibern ausgebrochenen methodologischen Streit absprach, einen wuchtigen Hieb gegen das Hineinreden der Nichtfachgenossen in die historische Wissenschaft führte, ferner die Berechtigung der Culturgeschichte anerkannte, aber auch um so nachdrücklicher für die größere Bedeutung der politischen Geschichte und die entscheidende Rolle der führenden Männer eintrat. Die Kundgebung zeigte wieder den ganzen T. Er hat dann noch in der „Historischen Zeitschrift“ einen längeren Aufsatz über das Gefecht von Eckernförde 1849 veröffentlicht, der eine Vorarbeit zum sechsten Band der „Deutschen Geschichte“ darstellt. Es sollte das seine letzte Arbeit sein. Seinem [321] liebevollen Herzen war es eine innige Wohlthat, daß er darin noch seinem Vater ein Denkmal setzen konnte.
Einige Monate vorher, am 19. Juli 1895, dem Tage, da vor einem Vierteljahrhundert Frankreich an Preußen den Krieg erklärte, hatte er noch in der Aula der Universität die Rede „Zum Gedächtniß des großen Krieges“ gehalten, in der sich noch einmal aller Glanz seiner fascinirenden Persönlichkeit zusammenfaßte. Sie feierte in tief ergreifenden Worten die gewaltigen Errungenschaften der Jahre 1870 und 1871, sie berührte mit versöhnender Wärme auch den Antheil der Sachsen am großen Werke, sie betonte sehr ernst die Frömmigkeit jenes Geschlechts – man erkennt in den Worten wieder die Erinnerung an den gefallenen Bruder –, sie blickte aber auch sehr ernst in die Zukunft, mahnte indeß, ähnlich wie einst Carlyle bei seiner Edinburger Rectoratsrede, zu hoffen.
Wenige Wochen nach dieser Rede unternahm T. es noch, das, wie er schrieb, „bisher nur aus der Ferne geliebte England mit seiner zärtlichen Gegenwart zu beglücken“. Er hatte dorthin schon im Jahr 1876 zusammen mit Oppenheim reisen wollen. Der Tod dieses Freundes hatte ihn bisher nicht dazu gelangen lassen, sein Vorhaben auszuführen. Durch ganz Europa war er im Laufe der Jahre gereist, außer mit Overbeck, mit Wehrenpfennig, Rudolf Grimm, dem Bruder Herman’s, vielfach auch „mutterseelenallein“. Zwar sträubte der Taube sich begreiflicher Weise gegen dieses Alleinreisen. Da es sich aber herausstellte, daß es für seine Gefährten zu anstrengend wurde, ihn zu begleiten, so blieb ihm oft nichts anderes übrig. Außer seinem geliebten Vaterlande, von dem er mit einer gewissen Virtuosität bei jeder Gelegenheit ein neues Stück aussuchte, bereiste er oft die Schweiz und Tirol, wiederholt Italien, Frankreich, aber auch Schweden, Spanien u. s. w. Er sah die fremden Länder so recht mit innerlichem Auge. Jeder Brief von ihm lehrt das, so wenn er aus Stockholm schreibt: „Nahe beim Ritterhaus liegt die Riddarholmkirche, Schwedens Westminster. Da hab’ ich recht gefühlt, welches Glück für ein Volk die Staatseinheit ist; die Menschen besitzen dann so Vieles, was sie gemeinsam lieben und bewundern können. Von Birger Jarl bis auf die Bernadotte’s ruhen da fast alle die Männer, welche das kleine Volk geziert haben.“ Ein Hochgenuß war es, ihn im Colleg die Wunder der Alhambra schildern zu hören. Nun sah er das „perfide Albion“, gegen das er so oft in seinen Vorlesungen und Schriften gewettert hatte, daß viele, namentlich kaufmännische Kreise, ihn darum schon ablehnten, von Angesicht zu Angesicht. Er hatte einst als ein Bewunderer Englands und der englischen Einrichtungen begonnen. Er war einer der genauesten Kenner des englischen Staatslebens und der classischen englischen Litteratur. Sein Urtheil aber über Alt-England war bitter geworden, seitdem er dessen Haltung im dänischen Kriege beobachtet und seine tiefe Mißgunst gegen Deutschland während des französischen Krieges kennen gelernt hatte. Der Groll gegen die Briten trat ihm seitdem „recht eigentlich ins Blut“. „Die erhabenen Schatten Wilhelm’s III. und der beiden Pitt verhüllen schamvoll ihr Haupt“, schrieb er schon am 3. August 1870. Mit Sorgen und doch auch voller Bewunderung nahm er in der Folge wahr, wie die Briten jenseits des Canals unablässig weiter stolze Colonialpolitik trieben, während Deutschland unthätig beiseite stand. Als das Deutsche Reich dann aber auch in die Reihe der Colonialmächte zu treten sich anschickte, da prophezeite er (am 25. November 1884), daß es unvermeidlich in einen Interessenkampf mit England gerathen würde. „Mit Oesterreich, Frankreich, Rußland haben wir bereits abgerechnet, [322] die letzte Abrechnung mit England wird voraussichtlich die langwierigste und schwierigste sein.“ Er verlangte für Deutschland „einen Platz an der Sonne“, ähnlich wie der Staatssekretär v. Bülow, der nachherige Reichskanzler, sich später ausdrückte, und erinnerte wirkungsvoll an Schiller’s Wort über Englands gierige Polypenarme. Er dachte nicht daran, zum Kriege zu treiben. Schon die Bezugnahme auf Rußland schließt diese Annahme aus. Er war sich nur zu wohl bewußt, welche fürchterlichen Folgen eine kriegerische Auseinandersetzung mit England haben würde. In seinen Vorlesungen über Politik heißt es einmal: „Wenn es je dazu käme, daß ein Eroberer in London einzöge, so würde die Wirkung entsetzlich sein. Dort laufen die Fäden des Credites von Millionen zusammen.“ Seiner männlichen Natur entsprach es aber auch, mit der Möglichkeit eines solchen Krieges zu rechnen und ihr muthig ins Antlitz zu blicken. Als er im Herbst 1895 aus England heimkehrte und sich auf dem Donnerstagabend einfand, an dem sich seine engeren Freunde um ihn zu versammeln pflegten, da offenbarte es sich, daß sein Zorn und seine Abneigung gegen die Briten nur noch neue Nahrung gefunden hatte. Er war unerschöpflich in grimmiger Satire über das drüben Geschaute und Erlebte. Die ihn damals hörten, freuten sich der unverwüstlichen Jugendlichkeit seines Wesens.
Und er dachte noch lange zu wirken. Als ihm im Jahre vorher von studentischer Seite ein Commers zur Feier seines 60. Geburtstages angeboten wurde, da lehnte er das ab. Er käme sich dann vor, als sollte er lebendig begraben werden. Etwas anderes wäre die Feier des 70. Geburtstages. Seine Tage waren aber inzwischen gezählt. Als er die „Historische Zeitschrift“ übernahm, da mögen bereits die Keime der tückischen Krankheit in ihm gelegen haben, die sich seiner im Februar 1896 ernstlich bemächtigte. Die Aerzte wußten sofort, daß es zum schnellen Tode ging. Die gebildete deutsche Welt „harrte währenddeß mit Spannung des sechsten Bandes seines großen Hauptwerkes, der in der Darstellung der deutschen Revolution sicher die Krone aller seiner Schöpfungen bringen mußte, und er selbst war nur mit dem Gedanken daran beschäftigt. Da erfuhren die Freunde, daß es mit ihm zu Ende ginge, und sagten es bekümmert weiter. Er ahnte sein Schicksal nur, konnte und wollte den Gedanken ans Ende nicht aufkommen lassen. Zu gewaltig fühlte er den Drang und den Beruf in sich, weiter zu schaffen an seinem Geschichtsdenkmal, und zugleich schwebte ihm auch noch der Gedanke an sein Werk über „Politik“ vor. „Wer soll denn meinen sechsten Band schreiben?“ fragte er zuletzt verzweifelt. Die alten Stimmungen des Skepticismus überkamen ihn wieder. Sie rangen in ihm mit den Kräften des Glaubens. Die zu dem Nierenleiden hinzugetretene Wassersucht beengte das Herz und verursachte ihm furchtbare Beängstigungen. Um dem sterbenden Manne noch eine letzte Freude zu bereiten, beschloß die Berliner juristische Facultät noch am 21. April ihn zum Ehrendoctor der Rechte zu ernennen, mit der Begründung, daß er durch sein Wirken der Kenntniß des öffentlichen Rechts in Deutschland gewissermaßen neue Grundlagen gegeben habe. Als der Beschluß am Schwarzen Brett der Universität bekannt gemacht wurde, war T. bereits drei Tage nicht mehr unter den Lebenden. Er war gestorben, wie er es sich einst in der Jugend gewünscht hatte, in der Fülle der Kraft:
So möcht’ ich sterben, so aufgezehrt
Von heißen Gluthen, so unversehrt
Im Busen tragend die junge Kraft,
Im raschen Taumel dahingerafft!
[323] Nur Eins nicht, Eins nicht: Gleich wie den Sand
Das Meer abspület vom öden Strand,
So fühlen, wie mir die frische Kraft
Langsam im alternden Leibe erschlafft.
An der offenen Gruft seines geliebten Pufendorf’s – so hat uns T. selbst erzählt – war einst Alles versammelt, was Berlin an Glanz und Macht besaß. Nicht so am Grabe Treitschke’s . Die officielle preußische Welt war, namentlich im Vergleich zu sonstigen Todtenfeiern jener Jahre, nur spärlich erschienen. Zwei deutsche Fürsten ließen sich vertreten, der Großherzog von Baden, Treitschke’s Gönner von 1863 her, und der Erbprinz von Meiningen[WS 45]. Franz Mehring höhnte in der „Neuen Zeit“, daß der Kranz des Kaisers, der Windthorst nicht gefehlt hätte, dem Hohenzollernhistoriker nicht gespendet worden sei. Kaiser Wilhelm II. sandte den Hinterbliebenen eine Beileidsdepesche. Die Berliner Studentenschaft veranstaltete für den geliebten Lehrer am 17. Mai seine große Trauerfeier, bei der der Historiker Max Lenz die Gedächtnißrede hielt. Auch an anderen Universitäten wurden Gedenkfeiern für ihn abgehalten.
Die den herrlichen Mann gekannt, gehört und gelesen, empfanden um seinen frühen Tod einen brennenden Schmerz. Zu sehr erschreckte das Ereigniß. Ein Greis, der selbst nur noch kurze Zeit unter den Lebenden weilte, Ernst Curtius, schrieb damals nieder: „Wer kann sich in den Gedanken finden, daß dieser gewaltige Mann so dahingerafft werden soll in der Blüthe seiner Kraft!“ Immer wieder äußerte sich der Kummer um den unersetzlichen Verlust, den Deutschland erlitt, aufs neue und in unverminderter Stärke. Angesichts der lauteren Größe dieser durch und durch wahren Persönlichkeit verstummte auch der Tadel der Widersacher. Es war – das fühlte jeder – ein Mann mit ihm dahingerafft, dessen geistiges Schaffen ein unaufhörliches Wachsen darstellt und von dem man sich noch eine Fülle köstlicher Früchte versprechen durfte, eine jener wahrhaft schöpferischen Naturen, die ewig jung zu bleiben scheinen, in der das Geniale und Ueberlegene, das Mannhafte, Tapfere ja Sieghafte, die durch den Verlust des Gehörs noch gesteigerte Innerlichkeit des Wesens, der souveräne Freiheitssinn und auch eine tiefe Bescheidenheit des Herzens, verbunden mit edler Neidlosigkeit, die Gemüther geradezu überwältigt hatte. Ohne Frage erfüllte er die Forderung, die er an den großen Schriftsteller stellt, ein Mikrokosmus seines Volkes zu sein. Er hat einmal geschrieben: „Nur den Helden des Glaubens und den Helden des Schwertes, nicht dem Staatsmann, nicht dem Dichter und Denker, ist jene höchste Volksgunst beschieden, welche die Millionen begeistert und der Sage die Lippen löst“. Es klingt daraus etwas wie leise Klage darüber, daß sein eigenes Wort nur zu Hunderttausenden drang. Vergegenwärtigt man sich aber die unvergleichlich begeisternde Wirkung, die er auf seine Zeitgenossen ausgeübt hat, so wird man sagen müssen, daß auch ihm etwas von jener höchsten Volksgunst zu Theil geworden ist. Die Ursache dafür wird man in seinem nationalen Glaubensmuthe und in dem Heldischen seines Wesens zu suchen haben.
Schon wenige Wochen nach seinem Ableben erging ein Aufruf zu einem Denkmal für ihn. An der Spitze der Unterschriften stand der Name des Fürsten Bismarck. Schnell und reich flossen die Gaben. Auch sonst regten sich die Freunde überall, um das Gedächtniß des Verstorbenen zu ehren und zugleich die Kenntniß seines Wesens zu erweitern. Friedrich Meinecke und Erich Marcks schrieben ergreifende Nekrologe und Gustav Schmoller hielt am 2. Juli in der Leibniz-Sitzung der Akademie der Wissenschaften, in der ursprünglich T. als Mitglied begrüßt werden sollte, eine tiefdringende und aufschlußreiche Gedächtnißrede. Schon im Mai veranstaltete Otto Mittelstädt[WS 46] [324] eine Ausgabe von Treitschke’s Reichstagsreden, und im August ließ Theodor Schiemann eine auf reichlichem Briefmaterial fußende, bis zum Jahre 1866 gehende Biographie Treitschke’s erscheinen. Paul Bailleu veröffentlichte neben einem Lebensabriß in der „Deutschen Rundschau“ köstliche Briefe des Verewigten. Erich Liesegang gab im September eine neue Sammlung der Schriften zur Tagespolitik (Deutsche Kämpfe, neue Folge) und im März des folgenden Jahres einen reichhaltigen vierten Band historischer und politischer Aufsätze heraus. Er enthielt u. a. den Essay über Pufendorf und den über Gottfried Keller, sowie den 1895 gesondert erschienenen Vortrag „Gustav Adolf’ und Deutschlands Freiheit“, ferner die lange Reihe von Recensionen, die T. in früheren Jahren im „Litterarischen Centralblatt“ veröffentlicht hatte und die eine Hauptquelle für die Kenntniß seiner Entwicklung bilden. Der Band wurde von den Hinterbliebenen Treitschke’s der Juristenfacultät zum Danke für die Verleihung der juristischen Doctorwürde an T. gewidmet. Ein besonders werthvolles Denkmal aber wurde dem großen historisch-politischen Denker von Freundesseite durch eine Herausgabe seiner Vorlesungen über Politik gesetzt. Dieser mühevollen Arbeit unterzog sich, unterstützt von vielen Seiten, Max Cornicelius. Schon im November 1897 konnte der erste Band veröffentlicht werden. Der zweite erschien 1898. Ein neues Zeichen der Pietät für den Dahingegangenen war die Herausgabe seines Briefwechsels mit G. Freytag durch Alfred Dove (1899). Einen der schönsten Kränze legte noch im J. 1901 Adolf Hauckrath am Grabe seines Freundes nieder.
Der Hirzel’sche Verlag konnte, abgesehen von den neuen Auflagen der „Deutschen Geschichte“, auch von der „Politik“ mehrere starke Auflagen veranstalten. Gerade diese Ausgabe seiner Vorlesungen hat noch große Wirkungen ausgeübt (gedruckt sind von Band I 6000, von Band II 5000 Exemplare). Auch von einer Ausgabe „Ausgewählter Schriften“, die einige Jahre nach dem Tode Treitschke’s in zwei Bänden veranstaltet wurde, erschienen bald vier Auflagen (8000 Exemplare). Es ist dies ein sicheres Zeichen dafür, daß T. noch ein kräftiges Leben nach seinem Tode führt, wenn auch in der akademischen Jugend, wie bei der Zehnjahrfeier 1906 verschiedentlich hervorgehoben wurde, sein Gedächtniß minder erhalten blieb. Im J. 1908 veranstaltete der Verleger in zwei kleinen Bänden eine Ausgabe von „Bildern aus der deutschen Geschichte“. Es steht zu hoffen, daß der öfter angeregte Gedanke einer Gesammtausgabe der Treitschke’schen Schriften bald verwirklicht wird. Eine Ausgabe seiner Briefe ist geplant und ihr Herausgeber bereits bestimmt. Geradezu nöthig wird eine Biographie umfassenden Charakters.
Rudolf Siemering hat ein Marmorstandbild Treitschke’s geschaffen, das ihn im Professorentalar am Katheder stehend, darstellt. Diese Auffassung entspricht seiner dithyrambischen Natur. Man dachte das Standbild vor der Berliner Universität aufzustellen. Jahrelang harrten die Verehrer Treitschke’s auf die Enthüllung. Der Schöpfer des Denkmals starb darüber. Wann diese Angelegenheit erledigt sein wird, ist ungewiß. In seiner Vaterstadt schmückt heute das Geburtshaus Treitschke’s seine Büste. Die Leipziger Stadtbibliothek erwarb seine Bücherei.
- Die angegebenen Werke Treitschke’s . – Briefe Treitschke’s an Franz Overbeck. – Mittheilungen des Herrn Georg Hirzel. – Theodor Schiemann, Heinrich v. Treitschke’s Lehr- und Wanderjahre, 2. Aufl. (1834–1867). München u. Leipzig 1898. – Paul Bailleu, Heinrich v. Treitschke, Deutsche Rundschau, Bd. 89, S. 41–76 und 237–241. – Derselbe, Treitschke, Biographisches Jahrbuch, 1897, S. 377–389. – Hans Eckerlin, Heinrich v. Treitschke. Leipzig 1898. – Friedrich Meinecke, Heinrich v. Treitschke †, [325] Historische Zeitschrift 77, S. 86 ff. – Max Lenz, Heinrich v. Treitschke, Ansprache an die Berliner Studentenschaft 17. Mai 1896 (S.-A. aus den Preuß. Jahrbüchern). – Erich Marcks, Heinrich v. Treitschke, Deutsche Zeitschrift für Geschichtswiss., N. F. I. 1896/97 Monatsblätter, Nr. 3 (Mai 1896), S. 65 ff. (Auch in der Deutschen Bücherei, Bd. 29, S. 60 ff.) – – Derselbe, Heinrich v. Treitschke. Ein Gedenkblatt zu seinem zehnjährigen Todestage, Deutsche Monatsschrift, Jahrg. V, Mai 1906, S. 157–189. – Derselbe, L. Häusser und die politische Geschichtschreibung. Heidelberg 1903, besonders S. 317 f., 349, 352 f. – Gustav Schmoller, Gedächtnißrede auf Heinrich v. Sybel und H. v. Treitschke, Beilage zur Allgem. Zeitung vom 2.–4. Juli 1896 und Forschungen zur brandenburgischen und preußischen Geschichte IX, 357–394. – Herman Grimm[WS 47], Ernst Curtius und H. von Treitschke, Cosmopolis VIII, August 1897, S. 246 ff. – K. Th. Heigel, Zur Erinnerung an H. v. Treitschke, Beilage zur Allgem. Zeitung vom 25. Juni 1898. – A. Dove, Gustav Freytag und H. v. Treitschke im Briefwechsel. Leipzig 1900. – Derselbe, Der Prophet unseres Reichs, Im neuen Reich, Jahrg. 1871 (Ausgew. Schriftchen Dove’s S. 383 ff.). – A. Hausrath, Zur Erinnerung an Heinrich v. Treitschke. Leipzig 1901. – G. Stamper, Heinrich v. Treitschke, Westermann’s Monatshefte, Band 81 (1896), S. 271–283. – Reinhold Brode, H. v. Treitschke, Akademische Blätter, 11. Jahrg. (1896/97), S. 73 ff. – Grenzboten, H. v. Treitschke, 55. Jahrg. (1896), 2. Vierteljahr. – Richard Sternfeld[WS 48], Zu Treitschke’s Gedächtniß, im „Tag“, 28. April 1906. – Richard Bahr, Treitschke und wir, Gegenwart, 5. Mai 1906. – Erich Zechlin[WS 49], Heinrich v. Treitschke, Akadem. Blätter, Jahrg. 21, Nr. 2. 3. 4. – v. Weech, Treitschke, Badische Biographien, V. Theil, 1891–1901, Bd. II, Heidelberg 1906, S. 895–904. – C. A. Bernoulli[WS 50], Franz Overbeck und Friedrich Nietzsche, Bd. I. Jena 1908. – Derselbe, Franz Overbeck, Basler Jahrbuch 1906, S. 136–192. – Harry Maync, Der Dichter Heinrich v. Treitschke, Türmer, 2. Jahrg., Bd. I, S. 50 ff. – Derselbe, Treitschke als Litterarhistoriker, Gegenwart, Bd. 55, S. 168 ff. – Adolf Philippi, Die Kunst der Rede. Leipzig 1896, S. 169. 200. – Jakob Caro, Treitschke, Kleine Schriften, in: Caro, Vorträge und Essays, hsg. von F. Rachfahl. Gotha 1906. – H. Spiero[WS 51], Ueber Heinrich v. Treitschke, Deutsche Monatsschrift, Bd. XIII (Dec. 1904), S. 421 ff. – Petersdorff[WS 52], Bismarck und Treitschke, Bismarckjahrbuch VI, 271–308. – Felix Krueger, Treitschke als akademischer Lehrer, Beilage zur Allgem. Zeitung vom 10. Juni 1896. – Martin Spahn[WS 53], Akademische Monatsblätter 1899, Litteratur der Geschichtswissenschaft. – Ernest Denis[WS 54], La Fondation de l’Empire Allemand. Paris 1906, S. 431 ff. – Vgl. auch Franz Mehring, Heinrich v. Treitschke, Neue Zeit, Mai 1896.
- Aus H. v. Treitschke’s Schülerzeit. Von St., Mittheilungen der Gesellschaft für deutsche Erziehungs- und Schulgeschichte, hsg. von K. Kehrbach, Jahrg. VII, Berlin 1897, S. 259 ff. – O. R., Treitschke und die Kreuzschule, Dresdener Geschichtsblätter, 1904, S. 247. – Beust, Aus dreiviertel Jahrhunderten I, 152. – Rudolf Haym, Aus meinem Leben. Berlin 1902. – Dietrich Kerler, H. v. Treitschke und Robert v. Mohl, 1859–1865, Preuß. Jahrbücher 112 (1903). – M. J. London, Namensverzeichniß der 20 000 Turner sowie Festbeschreibung des 3. deutschen Turnfestes zu Leipzig. Leipzig 1863. – Grenzboten, 24. Jahrg. (1865) I, S. 1–8. – A. Dove, Großherzog Friedrich von Baden. Heidelberg 1902, S. 133 ff. – Th. v. Bernhardi, Tagebücher VI und VII. – Ludwig Bamberger, Ueber Rom und Paris nach Gotha oder die Wege des Herrn v. Treitschke. Stuttgart [326] 1866. – J. Venedey, An Professor H. v. Treitschke. Mannheim 1866. – Arnold Ruge’s Briefwechsel II. Berlin 1886. – Allgem. Zeitung v. 7. Juli 1896. – Baumgarten-Jolly, Staatsminister Jolly. Tübingen 1897, S. 145 f. – Vier unveröffentlichte Briefe H. v. Treitschke’s , Dtsch. Monatsschrift, Jahrg. V, Heft 8, S. 190–197. – Wolfg. Michael, Drei Briefe Treitschke’s an Louis Vuillemin, Histor. Zeitschrift 95, 265–271. – Richard Graf Du Moulin Eckart, Treitschke und das Elsaß, Neue Heidelberger Jahrbücher VII, 17 ff. – M. Busch, Tagebuchblätter. – Robert Mohl, Lebenserinnerungen II. – G. Schmoller, Ueber einige Grundfragen des Rechts u. der Volkswirthschaft, ein offenes Sendschreiben an Hrn. Prof. Dr. Heinrich v. Treitschke. Jena 1875. – B. v. Simson, Ed. v. Simson. – Otto Ribbeck, ein Bild seines Lebens. Stuttgart 1901. – (Adele Goldschmidt) Levin Goldschmidt, ein Lebensbild in Briefen. Berlin 1898. – Alfred Dove, Treitschke’s Deutsche Geschichte (Bd. I), in Dove’s ausgewählten Schriftchen S. 388 f. – Hermann Baumgarten, Treitschke’s Deutsche Geschichte. Straßburg 1883. – Egelhaaf, Brief Treitschke’s, Beilage zur Allgem. Zeitung vom 8. Mai 1896. – Paul Nerrlich, Herr v. Treitschke und das junge Deutschland, 2. Aufl. Berlin 1890. – Ludwig Bamberger, Heinrich v. Treitschke, Charakteristiken. Berlin 1894, S. 171–212 S.-A. aus der Nation, Jahrg. VII, Nr. 25, 26 und 27 (Gesammelte Schriften Bamberger’s, Bd. II). – K. Varrentrapp, Histor. Zeitschr. 100, 173 f. – Erich Marcks, Heinrich v. Treitschke und sein neuestes Buch, Deutsches Wochenblatt v. 10. Jan. 1895. – Herman Grimm, Heinrich v. Treitschke’s Deutsche Geschichte, Deutsche Rundschau, Jan. 1896. – Petersdorff, Die Vereine Deutscher Studenten, 3. Aufl. Leipzig 1900. – Centralblatt für Bibliothekswesen, Bd. 22 (1905), 6. Bibliothekarversammlung S. 408 f. – Fritz Milkau, Centralkataloge und Titeldrucke, 20. Beiheft zum Centralblatt für Bibliothekswesen. Leipzig 1898, S. 40 f. – Harnack, Geschichte der Akademie der Wissenschaften zu Berlin. – Ernst Curtius, ein Lebensbild in Briefen, S. 705, 711 f. – Beilage zur Allgem. Zeitung, 2. Mai 1896. – Fr. Curtius, Treitschke’s Politik, Deutsche Rundschau, Bd. 105, S. 178 ff. – Christian Rogge, Treitschke’s Politik, Aus der Arbeit der freien kirchl.-socialen Conferenz 1899. – Petersdorff, Heinrich v. Treitschke und seine Vorlesungen über Politik, Neue Jahrbücher, Leipzig 1898, S. 459–469. – Berthold Daun. Siemering. Bielefeld u. Leipzig 1906 (Künstlermonographien 80). – Vgl. auch H. Triepel, Unitarismus und Föderalismus im Deutschen Reiche. Tübingen 1907. – Fr. Meinecke, Weltbürgerthum und Nationalstaat.
[263] *) Zu Bd. LIV, S. 709.
[Zusätze und Berichtigungen]
- ↑ S. 314, Z. 21 v. u. lies: D. F. Strauß. [Bd. 55, S. 904]
Anmerkungen (Wikisource)
- ↑ Eduard Heinrich von Treitschke (1796–1867), königlich-sächsischer Generalleutnant
- ↑ Franz Camille Overbeck (1837–1905), Kirchenhistoriker und Professor für Evangelische Theologie
- ↑ Rudolf Nokk (1830–1929), deutscher Reichsgerichtsrat
- ↑ Wilhelm Nokk (1832–1903), badischer Jurist und Politiker
- ↑ Ludwig Aegidi (1825–1901), deutscher Dichterjurist, Hochschullehrer und Politiker. Er war einer der führenden Burschenschafter.
- ↑ Harry Maync (1874–1947), seit 1907 Professor an der Universität Bern und von 1929 bis 1939 Professor der Neueren Deutschen Literatur an der Universität Marburg
- ↑ Richard Adelbert Lipsius (1830–1892), deutscher evangelischer Theologe
- ↑ Hans Demetrius Ritter von Hopfen (1835–1904), bayerischer Schriftsteller
- ↑ Hermann Lingg (1820–1905), deutscher Dichter
- ↑ Friedrich von Gentz (1764–1832), deutsch-österreichischer Schriftsteller, Staatsdenker und Politiker sowie Berater von Fürst Metternich
- ↑ Thomas Carlyle (1795–1881), schottischer Essayist und Historiker
- ↑ Anton Friedrich Freiherr von Tröltsch (1829–1890), Arzt und Professor für Ohrenheilkunde an der Universität Würzburg
- ↑ Ludolf Parisius (1827–1900), deutscher Jurist, Publizist, liberaler Politiker und Heimatforscher
- ↑ Adolf Hausrath (1837–1909), protestantischer Theologe und Schriftsteller
- ↑ Max Piccolomini, Max Piccolomini ist eine literarische Figur aus Schillers "Wallenstein", ein fiktiver Oberst und Sohn von Octavio Piccolomini
- ↑ Severinus de Monzambano (1632–1694), hat unter dem Pseudonym (Severinus de Monzambano) seine Reichsverfassungsschrift veröffentlicht
- ↑ Camillo Benso Graf von Cavour (1810–1861), er war der Staatsmann, der die italienische Einheit vorantrieb, der Architekt der italienischen Verfassung und der erste Ministerpräsident des neuen Königreiches Italien
- ↑ Großherzog Friedrich von Baden (1826–1907), war zwischen 1852 und 1856 Regent und von 1856 bis zu seinem Tod 1907 Großherzog von Baden
- ↑ Charlotte Friederike Dorothea Hegewisch (kurz: Lotte Hegewisch) (1822–1903), deutsche Mäzenin in ihrer Heimatregion und in ihrer Heimatstadt Kiel sowie Gastgeberin eines einflussreichen Salons
- ↑ Karl Gustav Adolf Knies (1821–1898), deutscher Ökonom
- ↑ Friedrich Wilhelm Franz Nippold (1838–1918), deutscher evangelischer Theologe
- ↑ Kaiser Napoleon I. (1769–1821), französischer General, Staatsmann und Kaiser
- ↑ Napoleon III. (1808–1873), war unter seinem ursprünglichen Namen Charles Louis Napoléon Bonaparte während der Zweiten Republik von 1848 bis 1852 französischer Staatspräsident und von 1852 bis 1870 als Napoleon III. Kaiser der Franzosen
- ↑ Giuseppe Garibaldi (1807–1882), italienischer Guerillakämpfer und einer der populärsten Protagonisten des Risorgimento, der italienischen Einigungsbewegung zwischen 1820 und 1870
- ↑ Spenersche Zeitung, eine Berliner Zeitung, die von 1740 bis 1874 erschien
- ↑ Vorlage: Haupstadt
- ↑ Max Hödel verübte 1878 ein missglücktes Attentat auf Kaiser Wilhelm I. und wurde dafür hingerichtet.
- ↑ Lt. Meyers Großes Konversations-Lexikon 1905: Blachfeld, erhöht liegendes weites Feld
- ↑ Lorenz Brentano (1813–1881), deutscher Politiker, 1850 in Abwesenheit zum Tode verurteilt und nach USA emigriert
- ↑ Karl Eduard Nobiling (1848–1878), Attentäter auf Kaiser Wilhelm I.
- ↑ Thomas Babington Macaulay (1800–1859), englischer Historiker
- ↑ Constantin Bulle (1844–1905) Pädagoge, Historiker und Mitglied des Deutschen Reichstags.
- ↑ Bruno Gebhardt (1858–1905), deutscher Historiker
- ↑ Otto Arendt (1854–1936), deutscher Publizist und freikonservativer Politiker
- ↑ Hans Delbrück (1848–1929), deutscher Historiker und Politiker; ab 1883 war Delbrück zusammen mit Heinrich von Treitschke Herausgeber der Preußischen Jahrbücher.
- ↑ Conrad Varrentrapp (1844–1911), deutscher Historiker
- ↑ Michelangelo (1475–1564), italienischer Maler, Bildhauer, Architekt und Dichter. Er gilt als einer der bedeutendsten Künstler der italienischen Hochrenaissance und weit darüber hinaus.
- ↑ Wilhelm Gustav Karl Bernhard von Hahnke (1833–1912), ein preußischer Generalfeldmarschall
- ↑ Richard Paul Wilhelm Güßfeldt (1840–1920), deutscher Geograph, Forschungsreisender und Alpinist
- ↑ Carl Ferdinand von Stumm-Halberg (1836–1901), preußischer Montanindustrieller und freikonservativer Politiker
- ↑ Adolph Wagner (Ökonom) (1835–1917), deutscher Wirtschafts- und Finanzwissenschaftler. Er gilt als Vertreter des Staatssozialismus. Adolph Wagner gehört neben Gustav Schmoller zu den bedeutendsten Ökonomen der Bismarck-Ära.
- ↑ Karl Eduard Robert Graf von Zedlitz und Trützschler (1873–1914), preußischer Beamter und 1891/1892 Kultusminister
- ↑ Friedrich Curtius (1851–1933), Beamter, Kreisdirektor, Autor und Landtagsabgeordneter
- ↑ Friedrich Meinecke (1862–1954), deutscher Historiker und Universitätsprofessor in Straßburg, Freiburg und Berlin
- ↑ Herzog Georg II. von Sachsen-Meiningen (1826–1914), regierender Herzog von Sachsen-Meiningen, Reformator und Förderer der Theaterkunst, Theaterleiter, Regisseur, Bühnenbildner, Kulturpolitiker und ein Förderer der Musik, auch bekannt als „Theaterherzog“. Georg II. war aber auch ein großer Reformator der Politik in seinem Herzogtum.
- ↑ Otto Samuel Ludwig Mittelstaedt, auch Mittelstädt (1834–1899), deutscher Reichsgerichtsrat und Journalist
- ↑ Herman Friedrich Grimm (1828–1901), deutscher Kunsthistoriker und Publizist. Der Sohn von Wilhelm Grimm gehörte zu den bekanntesten Schriftstellern des 19. Jahrhunderts
- ↑ Richard Sternfeld (Historiker) (1858–1926), deutscher Historiker und Musikologe
- ↑ Erich Wilhelm Zechlin (1883–1954), deutscher Diplomat und Archivar
- ↑ Carl Albrecht Bernoulli (1868–1937), evangelischer Theologe und Schriftsteller aus der Schweiz
- ↑ Heinrich Spiero (1876–1947), deutscher Germanist und Literaturhistoriker
- ↑ Herman von Petersdorff (1864–1929), deutscher Historiker und Archivar
- ↑ Martin Spahn (1875–1945), deutscher Historiker, Politiker (Zentrum, DNVP, NSDAP) und Publizist
- ↑ Ernest Denis (1849–1921), französischer Historiker