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RE:Gans

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Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft
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wilde und zahme Arten, Preise, Nutzen, Medizin, Sakrales, Bilder, Götter
Band VII,1 (1910) S. 709735
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Gans. Die wilde G., d. h., da man von den hochnordischen Arten wohl absehen muß, vorwiegend oder ausschließlich die Grau-G., Anser cinereus, von welcher die Haus-G. abstammt, und die Saat-G., Anser segetum, war schon dem indogermanischen Urvolk bekannt. Dies beweisen die auf einen indogermanischen Stamm *ghan-s zurückzuführenden sprachverwandten Namen der G.: skrt. haṁsa, griech. χήν, lat. anser, ahd. gans, altsl. gạsĭ, lit. zạsis (woraus finn. hanhi), altpr. sansy, (altir. géis = Schwan), ir. goss (O. Schrader Reallex. d. idg. Altertumsk. 1901, 261; vgl. V. Hehn Kulturpflanzen usw.7 1902, 368). Von Plinius (X 53) werden die wilden G. der Germanen gantae und von Venantius Fortunatus (c. VII 4, 11) die wilden G. an der Mosel teils ganta (Anser segetum?), teils anser (Anser cinereus?) genannt. Ein derartiges Wort kennen die Romanen (prov. ganta, afrz. gante = wilde G.), die es dem Germanischen entlehnt haben (vgl. Schrader Reall. 262). Heute heißt die G. ital. und span. oca, franz. oie, ein Wort, welches im mittelalterlichen Latein auca, zusammengezogen aus avica = avis, lautete (Corp. gloss. lat. VII 1, wo anser auch mit angels. gós geglichen ist). Fälschlich behauptet Varro de l. l. V 75), daß anser von der Stimme benannt sei. Dagegen finden sich für das Schnattern der G. statt des allgemeineren clangere, und clangor (vgl. griech. κλάζω) verb. gingrire (Fest. ep. p. 95, 5. Corp. gloss. lat. II 33, 55), subst. gingritus (Arnob. VI 20) und gingrum (Corp. gloss. lat. ebd. 60); auch wird anser mit angels. gigren (Philarg. Verg. Ecl. 9, 36) und anser silvatica mit angels. gregos (Corp. gloss. lat. V 266, 54) geglichen. Diese Ausdrücke, sowie altir. giugrann = Gans sind mit griech. γίγγρας = kurze ägyptische Flöte zu vergleichen und onomatopoetisch (W. Prellwitz Etymol. Wörterb.; über giugrann vgl. jedoch Stokes Urkelt. Sprachsch. 1894. 109. Schrader bei Hehn7 368). Vereinzelt wurden, vielleicht auch in Nachahmung des Naturlautes, gesagt sclingere (Loewe Gloss. nom. 249), gliccire (Suet. frg. 161), graccitare (Carm. de philom. 19 in PLM V p. 364 Bährens) und trinnire (Carm. de av. voc. 11 ebd. 367). Das ebenfalls onomatopoetische παππάζειν wird zwar gewöhnlich vom Schreien der Kinder gebraucht, doch auch von dem der G. (Poll. V 90. Anecd. gr. ed. Studemund 102. 104) und erinnert an neugriech. πάπια = Hausente.

I. Die wilden Arten.

Die wilden Arten und die natürlichen Eigenschaften der Gänse, einschließlich der zahmen. Bei den Ausgrabungen auf dem Hügel von Hissarlik sind Knochen von Anser cinereus und Anser segetum gefunden worden (Virchow bei Schliemann Ilios 1881, 360). Diese beiden Arten unterscheidet auch Aristoteles (hist. an. VIII 49, vgl. 85), wenn er sagt, daß von den mit Schwimmhäuten versehenen Vögeln die schwerfälligeren um die Flüsse und Seen lebten, wie z. B. der χήν und der in Herden lebende kleine χήν, obwohl unter dem letzteren außer Anser segetum vielleicht auch Anser minutus verstanden werden könnte. Besonders an Anser segetum ist zu denken, wenn es heißt, daß den jungen Saaten die G. (Verg. Georg. I 119; vgl. Serv. ebd.) im Herbst (Priap. 61, 11) schade, weshalb sie von da durch Geschrei (Plaut. Truc. [710] 253) oder mit der Isisklapper im November (Philocali carm. de mens. II 43 bei Bährens; PLM I p. 209) verscheucht wird. Daher der Ausdruck improbus anser (Verg. ebd. Carm. de Philom. 19; de av. voc. 11). Mit der bunten (Varro r. r. III 10, 2. Pall. I 30, 1), d. h. nicht weißen, oder dunkelbraunen (Pall. ebd.), welche sich nicht gern mit der zahmen oder weißen paart und sich nicht ganz zähmen läßt (Varro ebd.) oder gezähmt nicht recht fruchtbar wird (Pall. ebd.; nach Plin. X 182 sollen wilde G., wenn gezähmt, überhaupt nicht empfangen), scheint unterschiedslos sowohl Anser cinereus als Anser segetum gemeint zu sein. Die Zehen sind durch Schwimmhäute verbunden (Aristot. hist. an. II 15. VIII 49. Nemesian. cyn. 316), weshalb der G. ungenau breite Füße zugeschrieben werden (Plin. X 29; vgl. Physiogn. II p. 140, 5 F.). Sie hat einen langen Hals, damit sie die auf der Erde befindliche Nahrung leichter erlangen kann (Cic. n. d. II 123). Die ganze Speiseröhre ist weit und geräumig (Aristot. ebd. II 88), aber nicht auffallend. Sie hat (sehr lange) Blinddärme (ebd. II 90). Das männliche Glied wird erst deutlicher sichtbar, wenn die Begattung beginnen soll (ebd. III 4). Die kreischende Stimme ist nicht mit der lauten und klangreichen des (Sing-) Schwans zu vergleichen (Verg. Ecl. 9, 36. Prop. II 34, 84. Symm. ep. I 1. Sidon. ep. IX 2, 2; carm. 22 pr. 3. Ven. Fort. praef. carm. 5; vgl. Dionys. de av. II 18; anders urteilt ein Anonymus bei Baehrens PLM IV p. 285). Gern weiden die G. an Flüssen (Hom. Il. XV 692. Aristoph. Byz. in Anecd. gr. II p. 20, 5 ed. Rose. Nemesian. cyn. 315) und Sümpfen (Aristoph. Byz. Nemesian. ebd.; vgl. Priap. 61, 11); an den Quellflüssen des Kaystros in Lydien lassen sie sich scharenweise unter Geschrei nieder (Hom. Il. II 460). Beim Fluge erheben sie sich nicht hoch (Lucian. Icaromen. 10), doch immerhin meist 30–60 m, bei der Wanderung wohl bis ca. 90 m Höhe. Richtig bemerkt Plinius (X 63), daß sie in keilförmiger Anordnung (oder in schräger Reihe) flögen, um die Luft leichter zu durchschneiden, und daß die Anführer (vgl. Dionys. de av. II 18), wenn sie ermüdet seien, sich nach hinten zurückzögen (anderen die Führung überlassend); aber irrtümlich, daß der sich nach hinten öffnende Keil dem Wind Gelegenheit gebe, die Schar vorwärts zu treiben, und daß jeder Vogel seinen Hals auf den Rücken des vor ihm fliegenden lege (übrigens ebenso falsch von den Kranichen Cic. n. d. II 125). Einige Schriftsteller (Plut. soll. an. 10 = garrul. 14. Dionys. de av. II 18. Aelian. hist. an. V 29) erzählen, daß die kilikischen G., wenn sie (nach Man. Phil. de an. propr. 15 vor Beginn des Winters, nach Ammian. Marc. XVIII 3, 9 bei Beginn des Sommers von Osten nach Westen) über den Tauros flögen, um sich nicht durch Schnattern den feindlichen Adlern zu verraten, einen Stein in den Schnabel nähmen. Dieser Aberglaube erklärt sich vielleicht durch die Gewohnheit der G., auch Sand und kleine Steine zu verschlucken, wodurch die Zerreibung der Speise im Magen befördert wird. Was den ἀετός, womit übrigens außer dem Adler auch der Geier bezeichnet wurde, betrifft, so wird derselbe auch sonst als Feind der G. erwähnt (Hom. Il. XV 692; Od. XV 161. XIX 539. [711] Aelian. VI 1. Long. past. III 16. Man. Phil. ebd. 1, 12). Unter Krankheit (Geflügeltyphoid?) haben sie vom Sommer bis zum Herbst zu leiden (Plin. XXIX 56). Über die Fortpflanzung ist unten (II) zu sprechen, da die hievon handelnden Schriftstellen sich nur auf die zahme G. beziehen und die wilden nur im Norden nisten. Muß man das erwähnte Verhalten der G. bei ihrem Fluge über den Tauros sehr klug nennen, so zeigen sie sich doch (wie Dionys. de av. II 18 fälschlich behauptet) auf der Weide töricht, sofern sie die Stellen sehr leicht vergessen, wo sie gute Nahrung gefunden haben, und daher immer umherschweifen. Da die G. eine sehr hitzige Natur hat, so liebt sie das Bad und erfreut sich am Schwimmen und an feuchten Nahrungsmitteln, Kräutern, besonders Lattich (Lactuca scariola L. und Lactuca sativa L.) und ähnlichen Dingen, welche Kühlung im Innern bewirken; wenn sie aber auch verhungern sollte, ein Blatt von Lorbeer frißt sie nicht, ebensowenig von Oleander, weder freiwillig noch unfreiwillig, da sie weiß, daß sie davon sterben wird (Aelian. hist. an. V 29; vgl. Man. Phil. de an. propr. 15). Die jährlich sich einstellende Appetitlosigkeit heilt sie durch die Pflanze sideritis (Plin. VIII 101), das Eisenkraut, Verbena officinalis L. Die G. sind scheu und vorsichtig (Aristot. hist. an. I 18 = Physiogn. II p. 258, 18 F.; vgl. Plin. X 44 und das hernach über die capitolinischen G. Gesagte), stellen beim Schlafen Wachen aus (Dionys. de av. II 18; schwerlich richtig), tun dem Haushuhn keinen Schaden (Sen. ep. 121, 19. Aelian. hist. an. V 50), sind aber gefräßig und unersättlich (Varro r. r. III 10, 5. Verg. Georg. I 119. Serv. ebd. Plin. X 163. Augustin. contra epist. Manichaei 32 bei Migne XLII 198. Carm. de philom. 19, PLM V 364; vgl. Eubulos bei Athen. IX 384 c und das vorher von Anser segetum Gesagte) und geschwätzig (Plut. soll. an. 10. Mart. III 58, 13. Dionys. de av. II 18. Physiogn. I p. 429, 6 F.; vgl. Eubulos bei Athen. XII 519 a), d. h. sie schreien, ohne zu schaden (Cic. S. Rosc. 57). Ein übermäßig ungünstiges Urteil über die G. finden wir bei einem Anonymus des 4. Jhdts. n. Chr. (Physiogn. II p. 140 F.; vgl. I p. 184). Dagegen wurde vielfach die Wachsamkeit der zahmen G. gepriesen (z. B. Ovid. met. VIII 684. XI 599. Antip. Sid. in AP VII 425, 7; sogar Physiogn. I p. 184, 30 F.), offenbar sofern sie leicht durch alles Ungewöhnliche erregt, bezw. während der Nacht im Schlaf gestört wird und dann schreit. Die Veranlassung dazu gab vor allem die Rettung der capitolinischen Burg im Stadtjahr 364 bei dem nächtlichen Überfall der Gallier durch G.-Geschrei (Lucr. IV 681. Prop. III 3, 12. Verg. Aen. VIII 655. Liv. V 47, 4. Ovid. met. II 538; fast. I 453. Dionys. Hal. XIII 7. Diod. XIV 116; mehr Stellen im Thes. lat. 1. II p. 124, 66ff.), sei es, weil kein anderes Tier einen so feinen Geruchsinn für die Witterung des Menschen habe (Lucr. ebd. Isid. XII 7, 52; vgl. Serv. Aen. VIII 652), sei es, daß jene G. ausgehungert einen sehr leisen und leicht gestörten Schlaf gehabt hätten (Plut. de fort. Rom. 12), sei es, daß sie, weil ihnen Futter vorgeworfen worden sei, geschrieen (Aelian. hist. an. XII 33). Wegen dieses Vorfalls wurden später G. auf dem Capitol unterhalten [712] und deren Fütterung von den Censoren verdungen (Plin. X 51; vgl. XXIX 57. Cic. S. Rosc. 56), ferner war das silberne Votivbild einer G. daselbst aufgestellt (Serv. ebd. 655), und noch zu Plutarchs Zeit wurde bei einer Prozession an dem Jahrestage jener Begebenheit eine G. auf einem prächtigen Teppich in einer Sänfte einhergetragen (Plut. Aelian. Serv. ebd. 652; vgl. Eustath. Il. 1257, 28). Über die capitolinischen G. s. auch unten VII. Hinsichtlich der Jagd, die nicht leicht sei (Dionys. de av. II 18), erfahren wir (ebd. III 23), daß Enten sowie die λινουργοί und κεγχρῖται (unbestimmte Arten von Enten oder G.) und andere Arten von G. mit Schlingen und Netzen gefangen würden, daß man aber auch eine besondere List zum Fangen der G. vermittelst einer aus Holz gefertigten G. erdacht habe (Näheres bei Lenz 406. Keller 301). Eine Jagd mit Schlingen auf Lesbos während des Herbstes, die nicht nur den Teilnehmern Vergnügen bereitet, sondern auch Nutzen für die Küche ergeben habe, ist kurz in einem Roman wohl des 4. Jhdts. n. Chr. (Long. II 12) geschildert. Meist wird es aber wohl bei den Jagden mehr auf die Daunen abgesehen gewesen sein (vgl. Plin. X 54), da nur das Fleisch der jungen Wild-G. wohlschmeckend, das der alten äußerst zäh und von tranigem Geschmack ist.

Eine andere Wild-G., nämlich Chenalopex aegyptiacus, war der χηναλώπηξ (χηνάλωψ Hesych.), eigentlich = Fuchs-G., für deren Junges man den Namen χηναλωπεκιδεύς (Aelian. hist. an. VII 47) hatte. Der Name ist wahrscheinlich ursprünglich ägyptisch und im Griechischen durch falsche Etymologie entstellt (D’Arcy W. Thompson A glossary of greek birds 1895, 195). Der Vogel soll nämlich den Namen von seinen natürlichen Eigenschaften haben; denn er hat zwar die Gestalt der G., dürfte aber wegen seiner Tücke am richtigsten mit dem Fuchs verglichen werden; wenn er auch kleiner als die G. (selbst die wilde) ist, so ist er doch mutiger und kampfgeübt; wenigstens wehrt er sich gegen Adler, Katze (αἴλουρος) und andere Feinde (Aelian. hist. an. V 30). Wie die G., zu deren Geschlecht er gehört (Plin. X 56), zählt er zu den mit Schwimmhäuten versehenen und schwerfälligen Vögeln, welche an Seen und Flüssen leben (Aristot. hist. an. VIII 49), und legt mitunter unfruchtbare Eier (ebd. VI 8; vgl. Plin. X 166). Er ist größer als die zahme Ente (Alex. Mynd. bei Athen. IX 395 d). Er zeichnet sich durch seine Liebe zu den Jungen aus; denn, indem er sich vor diesen wälzt, gibt er dem Jäger Hoffnung, ihn zu fangen, die Jungen entlaufen aber inzwischen, und wenn sie weit genug entfernt sind, fliegt auch er davon (? Aelian. XI 38). Wegen seiner Liebe zu den Jungen wird er von den Ägyptiern geehrt (ebd. X 16). Nach Horapoll. hierogl. I 53 war deshalb sein Bild das hieroglyphische Symbol für ,Sohn‘. Er war unter den Vögeln derjenige, welcher dem Nilgott heilig war (Herod. II 72). Der Vogel, welcher heute πάππια τῆς Αἰγύπτου = Ente Ägyptens genannt wird, nur gelegentlich von Afrika, wo er wild lebt, nach Griechenland kommt und hier wegen seiner schweren Zähmbarkeit selten als Haustier gefunden wird, muß sich hier auch im Altertum gezeigt haben. Denn in den Vögeln des Aristophanes [713] (1295) erhält ein Athener den Namen χηναλώπηξ, und in einem Kochbuch (des Epainetos und Herakleides Syrak. bei Athen. II 58 b) rangierten die Eier hinter denen des Pfaus und vor denen des Haushuhns. Auch sollte der Kot dieses Vogels in Rosensalbe auf die weiblichen Geschlechtsteile zur Reinigung gestrichen werden (Ps.-Hippocr. VIII 215 Littré) und bei Lepra sein Fett mit Reisigasche auf Geschwülste im Gesicht (Aret. 344 K.).

Die chenerotes, G., welche etwas kleiner als die bekannten G. waren und den Briten für das wohlschmeckendste Gericht galten (Plin. X 56), können von der Art Anser albifrons gewesen sein.

II. Die zahme Gans.

Die G. wird in Europa der erste Vogel gewesen sein, der sich an den Menschen gewöhnte (Schrader Reall. 261; vgl. Hehn7 365). Über den Zeitabschnitt, wann die G. zuerst in Ägypten gezähmt sei, dürften wir nicht genügend unterrichtet sein. Nach einer Ansicht war dies schon im alten Reiche, ca. 3100–2500 v. Chr., geschehen (Keller 286. 454 nach Wiedemann Ägypt. Gesch. I 17), nach einer andern läßt sich dies mit Sicherheit erst für das neue Reich, 1530–1050, annehmen (Ad. Erman Ägypten 1885 II 587. 590). Von griechischen Schriftstellern wird die dortige Zucht erst durch Theopompos von Chios (bei Athen. IX 384 a) ausdrücklich bezeugt, da er erzählt, daß Agesilaos in Ägypten im J. 360/59 gemästete G. erhalten habe. Aber schon Herodot berichtet, daß die Priester jeden Tag G.-Fleisch in großer Menge geliefert erhielten (II 37) und G. geopfert wurden (ebd. 45; vgl. Erman ebd. II 375f.). Auch Diodoros (I 70 extr.) sagt, daß schon die ägyptischen Könige nur Kalbfleisch und G. aßen. Derselbe erzählt, daß dort die G.-Hirten es in der Zucht weit gebracht hätten (I 74) und selbst mehrere heilige Tiere unter anderem auch G.-Fleisch erhielten (ebd. 84; vgl. auch unten VII und VIII B 5). Im Alten Testament ist nirgends von der G. ausdrücklich die Rede, sondern nur von gemästeten Vögeln überhaupt (I reg. 5, 3). Bei den Persern speiste der jüngere Kyros gern (zahme?) G. (Xen. an. I 9, 26). Im südöstlichen Teil Arabiens gab es keine G. (Eratosthenes bei Strab. XVI 768). Den indischen Königen brachten die angeseheneren Untertanen G. zum Geschenk (Aelian. hist. an. XIII 25); jene verzehrten auch zum Nachtisch deren Eier (ebd. XIV 13). Von zahmen G. in Griechenland ist schon in der Odyssee die Rede, nämlich von einer solchen in Sparta (XV 161ff. und bei Athen. IX 384 b. c) und einer Schar der Penelope von zwanzig Stück auf Ithaka (XIX 536ff. und bei Athen. ebd. c). Freilich scheint es (so Hehn7 365. Schrader Reall. 261), als ob Penelope ihre G. mehr zur Augenweide als des Nutzens wegen hält (vgl. Od. XIX 537). Dafür spricht z. B. die Sentenz, daß, wenn man es dazu habe, es schöner sei, einen Menschen, d. h. eine Frau zu ernähren, als eine den Schnabel aufsperrende G. oder einen Sperling oder einen boshaften Affen (Eubulos bei Athen. XII 519 a), ferner die Bemerkung, daß G. dem, der sie füttere, schmeicheln und ihn durch ihren Anblick erfreuen (Quint. Smyrn. VI 125ff.), und der Bericht Caesars (bell. Gall. V 12, 6), daß es bei den Briten nicht Sitte sei, Hasen, [714] Hühner und G. zu essen, sondern sie diese Tiere nur wegen der Freude, die sie an ihnen fänden, fütterten (freilich schwer vereinbar mit Plin. X 56). Außer andern Vögeln waren es auch G., an denen die athenischen Knaben Freude fanden (Arist. Av. 707; vgl. auch u. VIII B 3–5), und ein römischer Dichter (Ps.-Verg. Cir. 489), sowie Artemidoros IV 83 sprechen von ihrer Schönheit. Alle römischen Matronen hatten an der G. ihren Gefallen (Petron. 137). In der nachhomerischen Zeit finden sich zunächst nur und zwar ohne Bedeutung für unsere Frage von Simonides Amorginos (bei Athen. II 57 d und Eustath. Od. 1686, 50) das Ei einer maiandrischen, d. h. karischen und wohl wilden G. und von Epicharmos (ebd.) G.-Eier überhaupt erwähnt. Doch seit Sophokles (bei Plut. soll. an. 2) begegnet uns die zahme G. öfters. Was die Zucht bei den Römern betrifft, so steht wohl nichts der Annahme im Weg, daß sie schon zur Zeit des vorher (I) erwähnten gallischen Einfalls im J. 364 d. St. oder noch früher üblich gewesen sei. So konnte z. B. auch schon Hannibal nachgesagt werden, daß er sich an römischen G. satt gegessen habe (Mart. XIII 73). Übrigens lassen es manche Stellen der Schriftsteller unklar, ob sie eine wilde oder zahme G. gemeint haben. Doch scheint z. B. das der G. oft beigelegte Attribut der weißen Farbe (Hom. Od. XV 161. Lucr. IV 681. Hor. sat. II 8, 88. Ovid. met. II 536ff. Petron. 93. Nemesian. cyn. 314. Inc. bei Bährens PLM IV p. 285) eigentlich immer die zahme G. zu kennzeichnen (Varro r. r. III 10, 2. Col. VIII 14, 3. Pall. I 30, 1. Geop. XIV 22, 1). Nur Plinius (X 54) nennt die germanischen Wild-G. candidi. Andrerseits können die grauen G., welche der Isis geopfert werden (Anth. Pal. VI 231, 4), wohl auch zahme gewesen sein.

Über die Zucht finden wir namentlich bei den Agrarschriftstellern (Cato agric. 89. Varro r. r. III 10. Col. VIII 13f. Plin. X 162. Pall. I 30. Geop. XIV 22) die detailliertesten Vorschriften. Von diesen kann nur das Wichtigste hier berücksichtigt werden, zumal sie zum großen Teil schon von Lenz (401ff.; vgl. auch Keller 298ff.) in deutscher Übersetzung wiedergegeben sind. Gehalten werden G. da, wo Flüsse oder Teiche sind und Gras im Überfluß, doch darf kein besätes Land in der Nähe sein (Col. VIII 13, 3. Pall. I 30, 1), da sie die Saat abfressen (Pall. ebd.; vgl. Varro r. r. III 10, 5) und durch ihren Mist schaden (Col. II 14, 1. VIII 9, 4 und bei Plin. XVII 51. Pall. ebd. und I 23), weil dieser eine ätzende Wirkung hat. Zum gewöhnlichen Aufenthalt dienen Verschläge auf dem Hof (Col. VIII 13, 3). Einen größeren Hof, χηνοβοσκεῖον (Varro ebd. 1. Col. ebd. 14. 1. Geop. XIV 22, 1), der mit einer 9 Fuß hohen Mauer umgeben ist und an dieser steinerne Verschläge von 3 Fuß ins Geviert enthält, legen Besitzer größerer Herden an (Col.; vgl. Varro ebd. 3). Man wählt zur Zucht große und weiße G. (Varro. Geop. Col. ebd. 3; vgl. Pall. I 30, 1). Am besten kommen nur drei G. auf einen Gänserich (Col. ebd. 13, 3. Pall. ebd.). Die Begattung erfolgt meist im Wasser (Varro ebd. 3. Col. ebd. 14, 4. Pall. Geop. ebd.), und zwar am besten gleich nach dem kürzesten Tage (Varro. Col. ebd. Plin. X 162). [715] Nach der Begattung tauchen die Weibchen unter (Aristot. hist. an. VI 14). Die Eier ähneln denen des Krokodils (Ammian. Marc. XXII 15, 15). Nur die Weibchen brüten, nicht auch die Männchen (Aristot. ebd. 45). Die Brütezeit dauert 30 Tage (ebd. 38) oder etwas mehr als 27 (Col. ebd. 5, 10), bei warmem Wetter nur 25 (Varro ebd. 3. Col. ebd. 14, 7. Plin. ebd. 163), meist 29 (Geop. ebd. 10), kann sich aber je nach der Zeit des Legens vom 1. Februar oder 1. März bis zur Sommerwende hinziehen (Varro. Col. ebd. 4; vgl. Pall. ebd. 2; falsch Plin. ebd.). Heute dehnt sich die Brütezeit in Deutschland nicht über Anfang April aus, weil große Hitze die Aufzucht der jungen G. erschwert; im heutigen Italien, Griechenland und Ägypten wird aber die G.-Zucht so wenig betrieben, daß darüber wohl schwerlich etwas Genaues bekannt sein dürfte. Daher sind auch folgende Angaben der Alten über die Zahl der gelegten Eier und ihre Ausbrütung schwer kontrollierbar: die G. legt dreimal im Jahr (Varro. Geop. ebd. 3), im ganzen 12 Eier und wohl auch mehr (Geop. ebd.); sie legt zweimal im Jahr, im ganzen 40 (?), wenn das erste Gelege durch Hühner ausgebrütet wird, sonst höchstens 16 und wenigstens 7 Eier, und wenn man ihnen die Eier (alle?) wegnimmt, legen sie, bis sie bersten (! Plin. ebd. 162). Der sachkundige Columella (VIII 14, 4) sagt: ,Die G. legt dreimal (also wohl mit zwei mehrwöchentlichen Ruhepausen) im Jahr, wenn man sie verhindert, ihre Eier selbst auszubrüten und sie durch Hühner ausbrüten läßt (vgl. ebd. 5, 10), da diese die jungen G. besser aufziehen und man eine größere Herde bekommt (d. h. die Gänse mehr Eier legen nach Pall. ebd. 2); sie legt aber in der ersten Legezeit 5, in der zweiten 4, in der letzten 3 Eier; die letzten lassen einige durch die Mütter selbst ausbrüten, weil diese in der übrigen Zeit des Jahres nicht mehr legen (vgl. Pall. und Geop. ebd.); man darf nicht dulden, daß die G. außerhalb des Geheges ein Ei legt, sondern, wenn die Legezeit naht, wird sie täglich befühlt und so lange eingesperrt, bis sie gelegt hat; hat man dies einmal getan, so kehrt die G. bei wiederholter Legung an dieselbe Stelle zurück (vgl. Pall. ebd.); will man die zuletzt gelegten Eier durch die G. selbst ausbrüten lassen, so müssen die Eier gekennzeichnet und ihr diese unterlegt werden, da sie fremde, wenn nicht ihre eigenen mit darunter sind, nicht brütet (vgl. Varro. Plin. ebd. 163. Geop. ebd. 9); dem Haushuhn werden 3–5, der G. selbst 7–15 untergelegt (vgl. Varro. Plin. Pall. Geop. ebd. 10)‘. Da die G., wenn sie gebrütet hat, überhaupt in demselben Jahr gewöhnlich keine Eier mehr legt, oder höchstens wenn sie ihre Jungen schon eine Weile geführt hat, kann man die Zahl der zu legenden Eier durch Wegnahme der Gelege während oder vor der Brut vermehren; die G. aber, welche selbst brütet, legt in Deutschland gewöhnlich während des Februar und März im ganzen 10–16, in Algier dagegen in zwei Perioden jedesmal ca. 20 Eier. Von Aristoteles erfahren wir ferner, daß G.-Eier (wie dies von Haushühnern bekannt ist) oft genug ohne Begattung entstanden seien (gener. III 17); diese seien zwar kleiner, wässeriger und weniger schmackhaft als die befruchteten, ließen sich auch nicht zu Jungen ausbrüten, [716] würden aber in größerer Zahl gelegt (hist. an. VI 8; vgl. V 4). Er nennt diese ὑπηνέμια scil. ᾠά (ebd.), eigentlich Windeier, eine Bezeichnung, die wir für Hühnereier mit sehr dünner Schale gebrauchen. Ein gutes Futter sowohl für junge, 5–10 Tage alte, als auch ausgewachsene G. sind zerschnittene Cichorienblätter (Varro ebd. 5. Col. ebd. 2. 8. Pall. ebd.) und Gartensalat, Lactuca sativa L. (Col. Geop. ebd. 2; vgl. o. I), doch auch besonders für letztere Weizen- (Hom. Od. XIX 552. Varro. Col. ebd. 8. Geop. ebd. 6) oder Gerstenkörner (Varro ebd. 5f. Col. ebd. 8. 10. Geop. ebd. 10) usw. Den eben ausgekrochenen Jungen ist die angenehmste Nahrung grüne kleingeschnittene Kresse, Lepidium sativum L., in Wasser (Varro ebd. 6. Col. ebd. 10. Geop. ebd.). Sobald sie auf die Weide gehen, müssen sie sich hüten, von Brennnesseln gestochen zu werden (Col. ebd. 8. Plin. X 163. Pall. ebd. 3. Geop. ebd. 4). Von dem herbilis anser, d. h. einer nur mit Kraut genährten G., wird hervorgehoben, daß diese G. magerer sei als eine mit Getreide genährte (Fest. ep. p. 100, 13), und sogar von ihrem virus gesprochen (Lucilius bei Serv. Georg. I 129), d. h. ihrem Gestank (Serv. ebd.). Gemästet, d. h. gestopft, werden junge G. wie die Haushühner, nur daß man ihnen täglich nicht einmal, sondern zweimal zu trinken gibt (Cato agric. 8; ausführlicher und etwas anders Varro ebd. 7. Col. ebd. 10f. Pall. ebd. 3f. Geop. ebd. 7; s. Lenz 402. Keller 298f.). Um die Leber zart und groß zu machen, fütterte man die G. mit Feigenklößen (s. Feige X) oder anderem (Geop. ebd. 12ff.); doch die Angabe, daß sie verfeinert werde, wenn man das Futter in Molke verabreiche (Gal. VI 704 = Orib. coll. med. II 44, 2. III 17, 3; syn. IV 16). scheint auf einem Irrtum zu beruhen (so Bussemaker-Daremberg Oeuvres d’Oribase 1851 I p. 588. unter Berufung auf Plin. X 140 und Col. VIII 7. 4). Die Federn kann man den lebenden G. zweimal im Jahr ausrupfen, im Frühjahr und Herbst (Col. ebd. 13, 3. Plin. X 53), was bei uns freilich meist dreimal, nämlich auch im Sommer geschieht. Einige Gegenden werden ausdrücklich als solche genannt, in welchen die G.-Zucht betrieben wurde. Nach Athen kamen G. aus Boiotien (Ar. Ach. 878; Pax 1004). Durch die Zucht bekannt war Thessalien (Plat. polit. 264 c; hierher gehört vielleicht auch die Stelle aus Kratinos bei Athen. IX 384 b). In Phokis konnten die ärmeren Leute der Isis G. opfern (Paus. X 32, 16). Die Thasier schenkten dem König Agesilaos, als er durch ihr Land zog, außer vegetabilischen Speisen auch besonders G. (Plut. apophth. Lac. 24), doch vielleicht nur, weil dieser sie gerne aß (vgl. Athen. IX 384 a). Als der makedonische König Archelaos den jungen Sohn des Perdikkas in einem Brunnen ertränkt hatte, gab er vor, daß der Knabe bei der Verfolgung einer G. in den Brunnen gefallen sei (Plat. Gorg. 471 c). Aus dem Gebiet der Moriner, dem nördlichsten Teil des heutigen Frankreichs, wurden ganze Herden bis nach Rom getrieben (Plin. X 53). Wie zahm die G. werden konnte, geht aus mancherlei Anekdoten hervor, denen zufolge Menschen von G. geliebt worden sein sollen (Klearchos und Theophrastos bei Athen. XIII 606 c. Plin. ebd. 51. Plut. soll. an. 18. Aelian. hist. an. [717] I 6. V 29. VII 41; vgl. u. VIII B 4 und 5) und die nicht gerade unglaubwürdig sind (Lenz Anm. 1235 b. Keller 296).

Da die zahme G. sich wesentlich von der wilden unterscheidet, so haftet derjenige, welcher eine zufällig weggeflogene Haus-G. ergreift, wegen Diebstahls (Gaius in Dig. XLI 1, 5, 6. Inst. II 1, 16).

III. Preise.

Um 180 v. Chr. verkauften die delphischen Priester vier in einem Teich ertrunkene G. für 8 Drachmen und 2 Obolen (Bull. hell. VI 1882 p. 20 lin. 158), so daß nach äginetischer Währung jede G. ca. 3 Mark eingebracht haben mag. Im Edikt des Diocletian vom J. 301 n. Chr. (4, 21ff.) ist der Maximalpreis für eine gemästete G. auf 200, für eine nicht gemästete auf 100 und ein Paar junger G. auf 60 Denare (3,65; 1,83 und 1,1 Mark) angesetzt, nach unsern Verhältnissen sehr billige Preise. Die besten Daunen, nämlich die aus Germanien gekommenen, wo ihretwegen ganze Cohorten der römischen Auxiliartruppen von ihren Befehlshabern unbefugterweise auf die Jagd der gantae ausgesandt zu werden pflegten, kosteten zur Zeit des Plinius (X 54) pro römisches Pfund 5 Denare, also pro 1 kg ca. 14 Mark. In dem erwähnten Edikt Diocletians (18, 1 a) beträgt der Maximalpreis für die Daunen pro römisches Pfund 100 Kupferdenare, also pro 1 kg nur 5,58 Mark, während man heute bei uns für die besten weißen ca. 9–11 Mark zahlt.

IV. Nutzen.

Schon Atreus sollte nach einer Sage bei einem Gastmahl dem Thyestes G.- (oder Lamm-?)fleisch vorgesetzt haben (Euripides bei Athen. XIV 640 b). Dieses war in Athen eine beliebte Speise (Ar. Ach. 878; Pax 1004, vgl. Av. 1303. Antiphanes bei Athen. II 65 d). Die gemästete G. diente dem Komiker Epigenes (bei Athen. IX 384 a) zum Vergleich mit einem wohlgenährten Menschen; von einer zu verspeisenden (gefüllten?) Brat-G. spricht in etwas unklarer Weise Diphilos (ebd. 383f.). Nicht nur die Attiker, sondern auch die Lakonier und übrigen Hellenen aßen gern zum Nachtisch beim Wein ein Gericht, das zum Teil aus G.-Fleisch bereitet war (Athen. XIV 664 e; vgl. Menippos bei Athen. ebd.). Für die Tafel empfahl Archestratos aus Gela (bei Athen. IX 384 b) das Junge einer gemästeten G. zu braten. Aß man eine gesalzene fette G., so mußte dazu getrunken werden (Palladas in Anth. Pal. IX 377, 8). Wie verbreitet bei den Römern der Genuß des Fleisches gewesen sein muß, geht schon aus dem über die Aufzucht Gesagten (II) hervor (vgl. auch Ovid. met. VIII 685. Athen. IX 368 d). Die gewöhnliche G. wird für eine ordinäre Speise erklärt (Petron. 93). Offenbar nur weil die G. ein Schwimmvogel ist, lag eine solche bei dem Gastmahl des Trimalchio auf einem mit den zwölf Tierzeichen geschmückten Speisebrett über dem Wassermann (ebd. 35). Doch eine gemästete konnte wohl selbst ein Schlemmer zum Nachtisch auftragen lassen (ebd. 69). Auf den Tisch des Kaisers Alexander Severus kam eine G. nur an Festtagen (Hist. aug. Alex. Sev. 37, 5). Von einer gebratenen und mit allerlei Delikatessen gefüllten G. handelt ein spätes Gedicht (bei Baehrens PLM IV p. 312), und Rezepte zu Saucen für eine gesottene G. gibt Apicius (231. 237), worüber Näheres bei Keller (300). Eine [718] besondere Delikatesse war, wie schon erwähnt, die Leber einer gemästeten G. (o. II; vgl. auch Pers. 6, 71. Stat. silv. IV 6, 9. Mart. III 82, 19. XIII 58. Iuven. 5, 114. Athen. IX 384 c). Die wichtige Erfindung, eine durch die Mästung der G. vergrößerte Leber dadurch noch größer zu machen, daß man sie in eine Mischung von Milch und Honig legte, schrieb man teils dem. (Q. Caecilius) Metellus Scipio, Consul des J. 52 v. Chr., teils dessen Zeitgenossen M. Seius zu (Plin. X 52), welche beide große G.-Herden besaßen (Varro r. r. III 10, 1). Der Kaiser Heliogabalus fütterte seine Leibhunde mit G.-Lebern (Hist. aug. Heliog. 21, 1). Dem Messalinus Cotta, einem Freunde Ovids (vgl. o. Bd. II S. 2490, 13ff.), war es gelungen, die Platten der G.-Füße zu rösten und mit Hahnenkämmen in Schüsseln anzurichten (Plin. X 52). Die Daunen wurden zur Zeit des Plinius (ebd. 54) schon vielfach zu Kopfkissen benützt. Auf Kissen, die mit G.-Federn gefüllt waren, durften Nierenkranke nicht schlafen, weil dies die Nieren erhitze (Ruf. Ephes. p. 401, 1 Dar. = Alex. Trall. II p. 473 Puschm.). Solche weiche Kissen entnerven weibische Männer (τὰ μαλακὰ χηνοπλουμάτια, Ioann. Chrysost. in saltationem Herodiadis). Auf diesen Gebrauch der Daunen sind auch der Ausdruck lana anserina (Ulp. Dig. XXXII 70, 9) und die Bemerkung (Hesych.) zu beziehen, daß man mit μνοῦς = Flaum besonders den der G. bezeichne (vgl. auch H. Blümner Technologie usw. I 206f.). Die Federn, in ein Seil geflochten, dienten wie andere Federn als Blendzeug bei der Jagd, um das Wild in einem bestimmten Distrikt festzuhalten (Nemesian. cyn. 314). Der Gebrauch der (Schwung-)Federn beim Schreiben ist zuerst für die Zeit des Kaisers Theoderich bezeugt, der sich dazu einer penna bediente (Anon. Vales. 79). Sowohl penna als calamus kennt Isidorus (VI 14, 3) als Schreibmittel. Auch Paulus Aegineta (VI 91) nennt καλαμῖδες ἀπὸ πτερῶν χηνείων, d. h. Schreibgänsefedern, als Werkzeug bei einer Nasenoperation. Mehr hierüber für die spätere Zeit bei Joh. Beckmann Beiträge zur Gesch. d. Erfindungen 1782–1804 III 54ff. IV 289ff. Lenz 407ff.

V. Medizinisches.

Das Fleisch ist eine sehr kräftige Nahrung (Cels. II 18 p. 64, 20 Dar.), doch sehr wässerig (Ps.-Hipp. I 680 K.) und, weil mit unreinen Stoffen durchsetzt, schwer verdaulich (Gal. VI 703f. 788. Orib. coll. med. II 43, 1. Aët. II 131. Paul. Aeg. I 82. Sim. Seth περὶ χηνῶν; vgl. Gal. de vict. atten. 57. Orib. syn. IV 10. 17. Anthim. 22). Sein Genuß reizt zum Beischlaf (Ruf. Ephes. p. 321, 14 Dar.). Die davon gewonnene Brühe hilft bei Vergiftung infolge des Verschluckens einer spanischen Fliege (? Nic. al. 136. Diosc. eup. II 152; vgl. Scrib. Larg. 189); der von einer Giftschlange Gebissene muß sie trinken und sich dann erbrechen (Cels. V 27, 3 p. 202, 17 Dar.); darin abgekocht ist die Mannstreu (eine Eryngiumart) sehr wirksam gegen Pfeil- und andere Gifte (Herakleides bei Plin. XXII 18); besonders wenn sie von einer jungen G. gewonnen ist, hilft sie wider getrunkenes Pfeilgift (Nic. al. 228; Schol. 224 und Eutekn.). Besser aber als die übrigen Teile sind die Flügel, τὰ πτερά (Gal. Orib. Aët. Paul. Aeg. Sim. Seth ebd. Orib. coll. med. III 17, 3; syn. IV 16), so daß sie, τὰ ἄκρα, [719] eventuell auch von Epileptikern und Kranken, welche Blut speien oder deren Lungen eitern, genossen werden können (Alex. Trall. I 543. II 193. 215; vgl. 251), wobei es sich nur um das Muskelfleisch derselben handeln kann. Nicht schlecht sind auch der Magen (Gal. VI 703. 788. Orib. coll. med. II 44, 1. Aët. II 133), so daß er bei gewissen Krankheiten genossen werden kann (Alex. Trall. II 193. 281. 329. 403. 407), und die Brust, weil sie helles Fleisch hat (Anthim. 22; vgl. Alex. Trall. II 251). Die Eier sind schlechter als die der Haushühner und Fasanen (Gal. VI 706. Orib. coll. med. II 45, 1. Aët. II 134. Paul. Aeg. I 83; vgl. Sim. Seth περὶ ᾠῶν) und sollten nur von Gesunden gegessen werden und von diesen auch nur in schlürfbarem Zustand, weil hartes Eiweiß schädlich ist (Anthim. 37); doch können sie Kranke, die Blut speien, ohne das Weiße sehr wohl essen, da sie vortrefflich nähren und stopfen und sie nur irrtümlich von manchen für schwer verdaulich gehalten werden (Alex. Trall. II 193). Gegen die bösen Folgen des Genusses von Koriandersamen werden die Eier mit Salz geschlürft (Scrib. Larg. 185). Andere Teile dienten lediglich nur Heilzwecken. Gebratene Zungen werden bei Harnfluß und Bettnässen gegessen (Anaxilos bei Plin. XXX 74. Gal. XIV 474. Plin. Iun. p. 62, 12 Rose. Marc. Emp. 26, 123. Aët. XI 25; bei Harnzwang nach Sim. Seth περὶ χηνῶν), die der wilden G. bei Steinleiden (Marc. Emp. ebd. 87). Der Genuß der Zunge macht die Weiber geil (Plin. XXX 143), der Hoden stärkt die Zeugungskraft (Sim. Seth ebd.). Die Asche der Häute wird bei Durchfall im Getränk genommen (Theod. Prisc. II 102). Das Blut hilft getrunken bei (vermeintlicher) Vergiftung durch den Genuß eines Meerhasen, Aplysia depilans (Diosc. eup. II 156; alex. 30. Plin. XXIX 104 = Plin. Iun. p. 108, 16) und in Verbindung mit anderen Mitteln gegen allerlei Vergiftungen (Marcianus bei Scrib. Larg. 177. Plin. ebd. Servilius Damokr. bei Gal. XIV 124. Paul. Aeg. VII 3 s. αἷμα), äußerlich samt dem Fett in Rosenöl bei Blutausfluß aus dem Gehirn (Plin. ebd. 114). Selten wurden Mark (Ps.-Hipp. II 708 K.) und Galle (Plin. XXIX 125. Sext. Plac. 32, 3), und zwar äußerlich mit andern Mitteln gebraucht. Dagegen ist sehr oft von dem Fett die Rede. Wir hören von einem ziemlich umständlichen Verfahren, es durch Zusatz verschiedener Aromata wohlriechend zu machen (Diosc. II 91; vgl. Scrib. Larg. 271), durch welches sich Kommagene auszeichnete (Plin. X 55. XXIX 55f. XXXVII 204). Man konservierte das Fett dadurch, daß man es in Honig legte oder zuerst alles Häutige aus ihm entfernte, es dann schmolz, durch ein Linnen trieb und an einen kühlen Ort brachte (Diosc. ebd. 86. 93. Plin. XXIX 134). Selten wurde es innerlich mit andern Mitteln angewandt (Ps.-Hipp. I 38 K. Plin. XXX 105, vgl. 140. Alex. Trall. II 303), wie besonders bei Bettnässen (Diosc. eup. II 101. Plin. XXVIII 215. Orib. eup. IV 110, 2. Aët. XI 25), sehr oft dagegen äußerlich. Es zeichnet sich durch seine Feinheit aus, weshalb es tiefer in das Innere des Körpers eindringt und die hier vorhandenen Schmerzen lindert, sowie durch seine erwärmende Kraft (Gal. XII 325f.; vgl. XI 635. Orib. coll. med. XV 2, 44. Aët. II 152, vgl. I. [720] Paul. Aeg. VII 3 s. στέαρ). Da es eine verteilende (Gal. XI 733) und besonders erweichende (ebd. XIII 949) Wirkung hat, wird damit alles behandelt, was erweicht werden muß (Plin. XXX 107. Plin. Iun. p. 34, 19; vgl. Plin. ebd. 130. Ser. Samm. 283. Sext. Plac. 32, 2. Theod. Prisc. I 41), z. B. auch eine Geschwulst an der Hirnhaut durch zerriebene Linsen und Weinblätter in frischem Gänsefett (Cels. VIII 4 p. 337, 4). Ferner hilft es bei allen Frauenleiden (Diosc. II 94), speziell bei Gebärmutterkrankheiten (ebd. 86), reinigt die Gebärmutter (Ps.-Hipp. II 547; zusammen mit andern Mitteln, ebd. 538 und Soran. II 13), wird auf zersprungene Lippen gestrichen (Diosc. ebd. 94. Plin. XXX 27. Plin. Iun. p. 25, 14. Marc. Emp. 11, 2. Sim. Seth περὶ χηνῶν; vgl. Plin. XXVIII 185. 188. Plin. Iun. p. 26, 9. Cass. Fel. 14), verschönt die Gesichtshaut (Diosc. ebd. Plin. XXX 29; mit anderem, ebd. XXVIII 169 und Theod. Prisc. I 56), und hilft gegen Antoniusfeuer (Plin. XXX 106. Plin. Iun. p. 98, 15). In die Ohren geträufelt zur Reinigung derselben (Plin. XXIX 133) und gegen Schmerzen in ihnen (Diosc. ebd. Sim. Seth περὶ χηνῶν; mit Knoblauchsaft, Plin. XX 53 und Gargil. Mart. p. 151, 9 Rose; vgl. Alex. Trall. II 85f.), bei Schmerzen infolge eines Schlages mit Frauenmilch (Plin. XXVIII 73. Alex. Trall. II 86) oder ohne diese (Marc. Emp. 9, 96). Bei Ohrenleiden werden in dem Fett gekochte Regenwürmer in die Ohren gebracht (Diosc. II 72. Plin. XXIX 135. Seren. Samm. 172. Plin. Iun. p. 18, 14. Marc. Emp. 9, 64), bei Geschwülsten das Fett mit Mandelöl eingeträufelt (Cass. Fel. 28 p. 45, 7 Rose), bei Ohrensausen mit Eichelöl (Diosc. I 40) oder Krokus- und Knoblauchsaft (Marc. Emp. 9, 22; vgl. Theod. Prisc. I 20). Gegen Sausen und Schwerhörigkeit wird auch empfohlen, den Saft der Küchenzwiebel (Plin. XX 40) oder des Basilienkrauts, Ocimum basilicum L., nebst Rindertalg (ebd. XXVIII 174f. Plin. Iun. p. 19, 10. Marc. Emp. 9, 12) und G.-Fett einzuträufeln, doch scheint das letztere dabei, wie wohl auch sonst öfters, kein notwendiges Requisit gewesen zu sein (vgl. Diosc. II 180. Gargil. Mart. p. 161, 20 Rose. Geop. XII 31, 9). Speziell bei Ohrenleiden der Kinder wird der Saft des Basilienkrauts mit dem Fett empfohlen (Plin. XXX 139. Marc. Emp. 9, 96), weil jener allein nicht so wirksam sei (Plin. XX 123). Ist Wasser in die Ohren gekommen, so träufelt man den Saft der Küchenzwiebel (Plin. XXIX 134. Seren. Samm. 177. Plin. Iun. p. 18, 6. Sext. Plac. 32, 1. Theod. Prisc. I 19) oder des Krokus (Marc. Emp. 9, 96) mit dem Fett ein. Bei Schmerzen im männlichen Glied wird das Fett eingespritzt (Cass. Fel. 46 p. 119, 3 Rose).

Wenn Federn dazu benützt wurden, Brechreiz zu bewirken (Ps.-Hipp. III 565. Archigenes bei Orib. coll. med. VIII 1, 18. Alex. Trall. I 341), so handelt es sich dabei besonders um die der G. (Antyllos bei Orib. coll. med. ebd. 6, 15. Alex. Trall. I 417). Bei Nasenbluten führte man eine mit Medikamenten umwickelte G.-Feder in die Nase, damit der Kranke nicht am Atmen behindert war (Scrib. L. 47), obwohl die Atmung durch den Mund erfolgen kann (Paul. Aeg. VI 91). In der Tierheilkunde bildete das Fett den Bestandteil eines Wundpflasters (Pelagon. 336. [721] Veget. mulom. VI 28, 24). Wenn der Komiker Eubulos (bei Athen. XII 553 b) das Gesäß des Hundes der Prokris scherzweise mit der Milch der G. bestrichen werden läßt, so ist diese, wie auch öfters sonst Vogelmilch überhaupt, nur ein Symbol für etwas sehr Kostbares.

VI. Varia.

Wenn die G. unter heftigem Geschrei um die Nahrung streiten (Ps.-Theophr. de sign. 39. Arat. 1021. Geop. I 3, 9; vgl. Plin. XVIII 363) oder mit besonderer Gier die halbabgefressenen Gräser rupfen (Ruf. Fest. Avien. Arat. 1758), droht ein Unwetter. Nur einer Satire (Petron. 137) gehört der Vorgang an, daß eine Priesterin einem Abenteurer, welcher eine dem Priapos heilige G. getötet hat, aus der großen Leber derselben die Zukunft weissagt. Der Traum einer Frau, daß sie eine G. gebäre, konnte verschiedene Bedeutung haben (Artemid. IV 83). Wenn sie die Frau eines Priesters sei, so werde sie ein Kind gebären, welches am Leben bleibe, da die in den Tempeln gehaltenen G. heilig seien. Andernfalls werde das Kind, wenn es ein Mädchen sei, wegen der großen Schönheit der G. das Leben einer Hetäre führen; wenn es aber ein Knabe sei, werde es nicht leben bleiben, weil die Zehen der G. durch Häute verbunden seien, die des Menschen aber nicht, also beider Naturen einander entgegengesetzt. Gelegentlich verglichen wird die Eßlust eines Menschen mit der der G. (Eubulos bei Athen. IX 384 c), starke Ernährung mit der Mast einer G. (Epigenes ebd. a) und ein verweichlichter Liebhaber mit dem Knochenmark eines Gänsleins (Catull. 25, 2). Öfters dient auch die der des Schwans gegenüber mangelhafte Stimme der G., von der oben (I) gesprochen ist, zum Vergleich mit der des Menschen in intellektuellem Sinn. Ein Dichter aus dem Ende der Republik, welcher das Cognomen Anser vielleicht wegen der Beliebtheit dieses Vogels führte (vgl. F. Marx o. Bd. I S. 2336, 34ff.), wird wohl nicht ohne Anspielung auf die G. procax, d. h. wohl zunächst ,sehr begehrlich‘ und daher auch ,frech‘ (vgl. I) genannt (Ovid. trist. II 435). In Athen schworen manche, wie der Wahrsager Lampon, wenn er betrog, bei der G. (Arist. Av. 521. Suid. s. Λάμπων) und besonders Sokrates und die Sokratiker, angeblich nach einer Satzung des Rhadamanthys, oder um nicht bei den Göttern zu schwören, bei der G. oder anderen Tieren und Dingen (s. v. Leutsch-Schneidewin zu Zenob. V 81 und app. II 91. Meineke zu Cratin. Cheiron frg. 11). Die Fabel, daß bei einer Verfolgung die Kraniche entkommen, die G. aber wegen ihrer Schwerfälligkeit gefangen werden, lehrt, daß bei der Einnahme einer Stadt die Besitzlosen leicht entfliehen, die Reichen aber gefangen und zu Sklaven gemacht werden (Aesop. 421). Als einem Verehrer des Hermes von diesem eine G., welche goldene Eier legte, geschenkt wurde, tötete jener zu seinem Schaden die G., wähnend, daß ihr ganzes Innere golden sein müsse; so geben oft Habsüchtige um eines größeren Gewinnes willen das, was sie in Händen haben, preis (ebd. 343 b). Der Sage nach soll die boiotische Flußnymphe Herkyna, während sie mit der Kore spielte, aus Unachtsamkeit eine G., welche sie in der Hand hielt, losgelassen, Kore aber die G., welche in eine Höhle entflohen war, herausgeholt haben (Paus. [722] IX 39, 2; vgl. u. VIII A). In der Ledasage wird wiederholt die G. anstatt des Schwans genannt (Ps.-Verg. Cir. 489. Clem. Rom. hom. V 13; vgl. Eriphos com. bei Athen. II 58 a und Eustath. Od. 1686, 41; mehr u. III B 5; vgl. auch Höfer und Bloch in Roschers Lex. II 1923, 47ff.) oder wenigstens Nemesis als Mutter der Helena zur G. gemacht (Apollod. III 10, 7. Tzetz. zu Lycophr. 58). Daß in dieser Sage wie überhaupt in der Entwicklung der Kulturvölker die G. als uraltes heiliges Tier dem Schwan vorangegangen sei und dieser erst später, als sie zu gewöhnlich geworden sei, sie in ihrer religiösen Bedeutung abgelöst habe, nimmt Ed. Hahn (Demeter und Baubo 1896, 42) an.

VII. Sakrales.

Die G. gehörte neben dem Haushuhn und vielleicht auch der Ente (s. G. Wolff Philol. XXVIII 188ff.) zu dem Geflügel, das in Athen von den Ärmeren den Göttern geopfert wurde (Zenobios bei M. E. Miller Mélanges de littérature grecque 1868, 357, vgl. 377. Diogenian. paroem. III 50. Macar. II 89. Apostol. V 8. Suid. s. βοῦς ἕβδομος und θῦσον). Die heidnischen Götter verspottend, fragt Arnobius (VII 8), ob durch das Blut einer G., eines Bockes oder Pfaues der Zorn einer Gottheit besänftigt werden könne. Heilige G. wurden in den Tempeln gehalten (Artemid. IV 83). Nach überstandener Meerfahrt opfert jemand der Isis ein Paar G. (Philippos in Anth. Pal. VI 231, 4). Diese Göttin befahl dem Rhetor Aristeides in Smyrna, ihr zwei G. zu opfern (Aristid. I p. 500, 10 Dind.). In Phokis opferten die Wohlhabenderen der Isis Rinder und Hirsche, die Ärmeren G. und Perlhühner (Paus. X 32, 6). Zu Daphne in Syrien wurde Apollon von einem Priester durch das Opfer einer heiligen G. geehrt (Iulian. misop. p. 467f. Hertlein). Der Aphrodite, die aus dem Meer emporgestiegen war, opferte man außer Rebhühnern die sich des Wassers erfreuenden G. (Lyd. de mens. IV 44; vgl. jedoch u. VIII B 5). Der Ansicht der Neueren, daß die G. der Iuno heilig gewesen sei, tritt mit triftigen Gründen J. Netušil (vgl. Wochenschr. f. klass. Philol. 1897, 1073) entgegen. Zwar sollten die capitolinischen G., welche im J. 364 d. St. die Burg retteten, der Iuno geweiht gewesen sein (Liv. V 47, 4) und deshalb bei ihrem auf der Burg gelegenen Tempel gehalten worden sein (Dionys. XIII 7. Diod. XIV 117. Plut. de fort. Roman. 12, vgl. quaest. rom. 98; anders Serv. Aen. VIII 652). Zunächst aber kann anseres sacri Iunonis (Liv. ebd.) so verstanden werden wie sacrum deae pecus (ebd. XXIV 3, 4), wie das der Iuno Lacinia von Kroton gehörige Vieh genannt wird. Alsdann wurde der Tempel der Iuno Moneta auf der Burg erst im J. 410 d. St. geweiht (G. Wissowa Rel. u. Kultus d. R. 116). Auch hat sich bis jetzt kein Kunstwerk gefunden, wo Iuno das Attribut der G. besitzt (Stephani Comptes-rendus 1863, 92. Keller 291). Andererseits befand sich auf der Burg ein auguraculum (Hülsen o. II 2312, 64ff. Wissowa a. O. 105. 452). Da nun Cicero (div. II 73) sagt, daß nach einem alten Dekret der Augurn das Tripudium von allen Vögeln ausgehen könne (vgl. Wissowa ebd. 459), so steht nach Netušil der Annahme nichts im Wege, daß man früher (also noch im J. 364 d. St.) zu den [723] auspicia ex tripudiis statt der Hühner G. gebraucht habe. Freilich dürfte dabei seine Annahme, daß die Römer die Haushühner erst in der ersten Hälfte des 4. Jhdts. v. Chr. kennen gelernt hätten, nicht ganz sicher sein. Dem Mars wurde unter Domitian eine G. geopfert, die mit Silbermünzen gefüllt war, weil ein blutiges Opfer nach beendetem Krieg überflüssig war (Mart. IX 31). Dazu bemerkt Keller (456, 42), daß in den nördlich von den Alpen gelegenen Provinzen des römischen Reichs offenbar ganz allgemein dem Mars G. geopfert seien, ohne Zweifel, weil die Wachsamkeit zu den Haupttugenden des römischen Soldaten, zumal in den Grenzländern, gezählt habe (vgl. u. VIII B 5 a. E.). Die G. war ferner dem Priapos heilig (Petron. 136f.). Die Anhänger der Isis in Rom erhielten Sündenerlaß, wenn dem Osiris eine große G. dargebracht wurde (Iuven. VI 540); es genügte auch, nur die Leber auf dem Altar der Isis zu verbrennen (Ovid. fast. I 454). Laut einer Inschrift aus Cemenelum (CIL V 7906)[1] sollten bei einem Totenmahl eine G. und ein Kuchen als Opfergaben verspeist werden. Ohne sakrale Bedeutung ist es, daß Philemon und Baucis den Iuppiter und Mercurius, weil sie nichts Besseres hatten, mit einer G. bewirten wollten (Ovid. met. VIII 684), und ein Lügenprophet aus dem Ei einer G. scheinbar den Gott Asklepios hervorgehen läßt (Lucian. Alex. 13f.).

VIII. Bildnerei.

A. Schriftstellen.

In dem Tempel des Asklepios zu Kos befand sich eine Marmorgruppe, einen eine χηναλώπηξ würgenden Knaben darstellend (Herond. mim. IV 31f.), ein Motiv, durch dessen ähnliche Darstellung etwas später der Toreut Boethos sich Ruhm erwarb (Boethi infans eximi⟨um⟩ anserem strangulat, Plin. XXXIV 84 Mayhoff), und welches oft in der Kunst wiederkehrt (s. C. Robert o. Bd. III S. 604, 38ff.; unten VIII B 3). In dem Tempel der Flußnymphe Herkyna stand das Bild einer Jungfrau, welche eine G. in Händen hatte (Paus. IX 39, 3; vgl. o. VI und u. VIII B 5). Von Philostratos (imag. I 9, 2) wird ein Landschaftsgemälde mit G., welche auf dem Wasser schwimmen, besprochen. Das Hinterteil der Schiffe pflegte man mit einem χηνίσκος, Gänsehals, zu verzieren (Artemid. II 33 p. 116, 25 H. Apul. met. XI 16. Lucian. ver. hist. II 41; vgl. Suid. und u. VIII B 2), der von Gold (Lucian. navig. 5) oder Blei (ebd. Iup. trag. 47) sein konnte. Unter den Illustrationen zu seinem Kalender bringt Philocalus auch die G. an. So ist der Februar durch das Bild einer weiblichen Gestalt, vielleicht der Vesta, welche eine G. trägt, illustriert (Jos. Strzygowski Die Calenderbilder des Chronographen v. J. 354, Ergänzungsh. I des Archäol. Jahrb. 1888, 60 m. Taf 19), der November durch einen Isispriester, zu dessen Füßen sich eine G. befindet (ebd. 78 m. Taf. 30), der Dezember durch einen jugendlichen Mann, vielleicht Haussklaven, und ein Bund von Vögeln (ebd. 80 m. Taf. 32), vielleicht auch zum Teil von G.

B. Monumente.

1. Vorbemerkung.

Über die Darstellungen der G. und ihre Bedeutung hat besonders Stephani (Comptes-rendus) eingehende Untersuchungen angestellt, nach ihm auch Keller (a. a. O.). Bei ihnen ist es oft schwer zu entscheiden, ob es sich um G. oder [724] Enten, zumal da die letzteren wesentlich dieselben symbolischen Vorstellungen repräsentieren, oder Schwäne handelt (Stephani Comptes-rendus 1863, 17. 1877, 29. Keller 301; vgl. o. Art. Ente VI). Sehr häufig ist die G. im Verhältnis zu den beigegebenen menschlichen Gestalten zu groß oder zu klein dargestellt, zu groß z. B. in einer Terracottagruppe römischer Zeit aus Kertsch (Stephani 1880, 120f. m. Taf. 6, 1, vgl. 1876, 174. Keller 301f.), zu klein wahrscheinlich in einer andern solchen Gruppe (Stephani 1880, 118. 120 m. Taf. 5, 8). Ebenso kann ein Schwan so klein wie eine G. gebildet sein (ebd. 1863, 80, 1. 1877, 29). Immerhin sind namentlich Vasen, wenn auch nicht so häufig wie mit dem Bild des Schwans, doch ziemlich oft mit dem der G. verziert, nämlich 33 oder 36 von den 4221 Vasen, welche Ad. Furtwängler Beschreibung der Vasensamml. zu Berlin 1885 aufführt und deren Alter zum Teil bis in die Zeit, da der geometrische Stil durch den orientalisierenden verdrängt zu werden begann, also wohl bis ins 7. Jhdt. v. Chr. zurückgeht.

2. Rein Ornamentales.

Mit einer Reihe hintereinander schreitender G. geschmückt sind fünf italisch-geometrische Vasen (Furtwängler a. a. O. nr. 202. 203. 227. 231. 244), zwei protokorinthische (nr. 319. 334), zwei italisch-korinthische (nr. 1166. 1225), ein Bucchero-Kelch aus Chiusi (mit einem Hochrelief von 15 schwimmend gedachten G., nr. 1586), ein schwarzfiguriger Napf aus Vulci (nr. 1677). An der Schulter einer sog. altrhodischen Amphora ist ein Fries von G. im Gänsemarsch angebracht (Furtwängler Arch. Jahrb. I 1886, 141 m. Abb.). Einen Streifen mit weidenden G. zeigt der Fuß einer Scherbe aus Menidi (P. Wolters ebd. XIV 1899, 107), und der Rand eines frühattischen Räuchergeräts unter anderem 12 hintereinander schreitende gansartige Vögel (Pernice ebd. 62 m. Fig. 1). An einem silbernen Krater von Praeneste mit vergoldeter Außenseite, der an Rumpf und Boden mit Reliefdarstellungen in ägyptisierendem Stil bedeckt ist, läuft oben ein Streifen von G. (W. Helbig Führer durch d. Samml. klass. Altert. in Rom 1891 II S. 401). Ein Zickzackstreif mit einzelnen G. dazwischen findet sich an dem Deckel einer protokorinthischen Pyxis (Furtwängler Antiq. nr. 333), in den Feldern einer italisch-geometrischen Schüssel je eine G. oder ein Schwan (ebd. 241), in einem Felde einer altrhodischen Schüssel eine G. (ebd. 293), unter einem Henkel eines altkorinthischen Napfes eine kleine G. (ebd. 960), eine schön dargestellte G. mit geschlossenen Flügeln an einem attisch rotfigurigen Aryballos (ebd. 2491), eine G. in der Vertiefung eines rotfigurigen Tellers aus Ruvo (3671). Eine G. zusammen mit Sphingen an einer altrhodischen Kanne (296), an einem Aryballos aus Corneto des sog. etruskischen Stils (1232), einer italisch-korinthischen Kanne (nebst einem Schwan, 1247); eine G. zwischen zwei Greifen an einem altkorinthischen Alabastron (1023). An einer rhodischen Oinochoe sieht man einen Greif zwischen einer G. und einem weidenden Hirsch (Dumont et Chaplain Les céramiques de la Grèce propre I 1888 p. 170; Abb. bei S. Reinach Répertoire des vases peints 1899 I 180, 4), an einem protokorinthischen Napf eine G. zwischen zwei Sphingen, andererseits drei [725] Vierfüßler und noch eine G. (Furtwängler Antiq. nr. 321), in dem vierten Streifen eines schon erwähnten italisch-korinthischen Gefäßes zwei Hähne und eine G., am untersten eine G. und einen Panther (ebd. 1225), an einer italisch-korinthischen Flasche je zwei oder drei kleine G. zwischen den Beinen verschiedener Vierfüßler und eine G. auf dem Rücken des Panthers (ebd. 1277), an einer altkorinthischen Vase Panther, Eber, zwei Hähne, eine G. und einen Schwan (R. Richardson American Journal of Archaeology II 1898, 195 m. Abb.) und an einer korinthischen kugelförmigen Lekythos zwei Damhirsche und eine G. (P. Wolters Arch. Jahrb. XIV 1899, 109 m. Fig. 14). An einem korinthischen Krater aus Capua sind außer einer Jagdszene und drei Reitern auch G. und Schwäne zu sehen (Dumont et Chaplain a. a. O. p. 251). Als gutes Bild hebt Keller (305. 461, 146) die G. auf einer archaischen Oinochoe des Britischen Museums aus Troas hervor. In den Metopen rhodischer Vasen sind oft G.-Köpfe angebracht (Dumont et Chaplain a. a. O. p. 165). Unter den attischen rotfigurigen Vasen, welche in Cypern ausgegraben und nach Nicosia gekommen sind, befinden sich solche, an denen G. (J. L. Myres and Ohnefalsch-Richter A Catalogue of the Cyprus Museum 1899 nr. 1713–1716. 1782), eine Katze und eine G. (1723–1729), ein Hund und eine G. (1738) abgebildet sind.

Ein Fußboden in Boscoreale zeigt in schwarzweißem Mosaik einen Seekrebs und vier G. (A. Mau Arch. Ztg. 1877 S. 176). In einer Reliefdarstellung ist der eine von einer Guirlande gebildete Halbbogen mit einem Hund und einem Hasen, der andere mit einem Hunde und einer G. ausgefüllt (Stephani Comptes-rendus 1863, 44). Von vortrefflicher Arbeit ist ein mit einer fliegenden Wildgans und einem Fisch verzierter Goldring (ebd. 1859, 125 m. Abb. in Antiq. du Bosph. Cimm. rééditées par S. Reinach 1892 Taf. 18, 1). Auch fehlt es nicht an Lampen, welche mit einer G. verziert sind (Stephani 1863, 45, 2). Unter den Münzen sind es vier makedonische, welche mit dem Bild der G. versehen sind (Imhoof-Blumer und O. Keller Tier- u. Pflanzenbilder auf ant. Münzen u. Gemmen 1889 Taf. VI 21. 22. 23. 33), unter den Gemmen besonders ein Bandachat des Britischen Museums mit einer wundervoll gearbeiteten fliegenden G. (ebd. Taf. XXII 30), ferner ein Kopenhagener Karneol, dessen Bild wohl zwei G. neben der von einem Esel getragenen Amphora zeigt (ebd. XVII 6) und vielleicht auch eine Berliner Paste von roher archaischer Arbeit (ebd. XXII 19). Eine wundervoll in Lebensgröße gebildete bronzene G. vom Hippodrom in Konstantinopel, welche sich jetzt im Britischen Museum befindet, ist zum Wasserspenden eingerichtet (Keller 302). Eine Verzierung, ähnlich dem Kopf und Hals einer G., der oben VIII A erwähnte χηνίσκος, ist in den verschiedensten auf uns gekommenen Abbildungen von Schiffen, auch schon in schwarzfigurigen Vasenbildern (600–450 v. Chr.), bald an dem Vorder-, bald Hinterteil derselben angebracht (Stephani Comptes-rendus 1863, 47f. 1869, 136; Abb. z. B. bei Rich Illustr. Wörterb. d. röm. Altert., übersetzt von C. Müller 1862 S. 140. Guhl und Koner Leben d. Gr. u. R.6, herausg. von R. Engelmann 1893 Fig. 591. 592). [726] Nach Stephani soll man geglaubt haben, durch den Cheniskos den Schiffen einen wirksamen Schutz zu verleihen. Da sich dieser Schmuck aber auch an Geräten fast jeder Art findet, so zweifelt er doch nicht, daß auch hier ähnliche, wenn auch nicht nachweisbare Rücksichten mitgewirkt hätten, da wir es bei der Ornamentik des Altertums fast nirgends mit einem bedeutungslosen Spiel der Phantasie zu tun hätten (ebd. 1863, 48ff.; über metallene Weinsiebe auch 1866, 48. 1876, 130. 157 m. Taf. 4, 11. 1877, 228; Antiq. du Bosph. Cimm. Taf. 31. 5; über bronzene Kyathoi 1876, 123. 1877, 228 m. Abb. und 239). Dagegen glaubt Keller (457, 57), daß der Cheniskos aus Ägypten stamme, wo er an Leiern angebracht sei und sich noch allerlei Analogien dazu fänden. Ja unter Berücksichtigung einiger Funde in nördlicheren Gegenden sieht Ed. Hahn (Demeter und Baubo 1896, 42f.) in dem Cheniskos ein Symbol, das schon zur Zeit des ältesten Ackerbaus bei den Ackerbau treibenden Völkern der diesem vorstehenden Göttin gegolten habe und erst später zu einer bloßen Verzierung herabgesunken sei, weshalb z. B. auch bei den Griechen die Enden des Pferdejochs (gleichviel von welcher Gestalt) noch die Bezeichnung ἀκροχηνίσκοι (Poll. I 146) behalten hätten. Jedenfalls gehörte die Sitte, die Rücklehnen der Sessel und Throne, namentlich der Götter, in dieser Weise zu verzieren, schon der ältesten griechischen Kunst an (Stephani 1863, 48; vgl. 1868, 161. Furtwängler Antiq. nr. 2129), wie dies in schwarzfigurigen Vasenbildern bei dem Thron des Zeus (z. B. Abb. bei Reinach Vases I 156, 4), der Hera (an der Françoisvase, Baumeister Denkm. d. klass. Altert. 1885/8 S. 1800 rm m. Taf. 74; Abb. auch bei Reinach ebd. 135, 2) usw. geschehen ist. Der letzten Zeit der Vasenmalerei gehören die zahllosen unteritalischen Volutenvasen an, deren Henkel ganz gewöhnlich an ihren untern Teilen in Cheniskoi endigen (Stephani ebd. 49; vgl. v. Rohden bei Baumeister a. a. O. 2009 ro m. Fig. 2157. 2160), was sich zuweilen auch an marmornen (z. B. der des Sosibius bei Baumeister Fig. 1769 und einer herculanensischen bei E. Pistolesi Real Mus. Borb. V 1, 240 m. Taf. 24) und bronzenen Vasen findet (Stephani ebd.). Sehr gewöhnlich war es auch zu allen Zeiten, dem oberen Ende der metallenen Schöpflöffel diese Form zu gehen (ebd. und Antiq. du Bosph. Cimm. Taf. 30, 1. 2, zwei andere Abb. bei Overbeck-Mau Pompeji4 1884 Fig. 241 u und 9 = Guhl und Koner a. a. O. Fig. 907 a. b). Eigentümlich ist ein bronzener Herd mit drei Vogelgestalten (Cheniskoi nach Stephani 1863. 50), welche dazu dienen, einen Kessel zu tragen (Overbeck-Mau a. a. O. 442 m. Fig. 239 = Guhl und Koner a. a. O. Fig. 916). Endlich erwähnt Stephani (ebd. und 1870, 37, 2), daß die spätere Kunst den Haken am Kopfe von Bronzefiguren, mit denen diese Figuren wohl als Gewichte an den Wagebalken gehängt wurden, zuweilen die Form des Cheniskos gab (Beispiel bei S. Reinach Répertoire de la statuaire gr. et r. 1897 II 459, 7). Über keltische Bronzegefäße Oberitaliens aus den 3 letzten vorchristlichen Jahrhunderten, deren Stiele oder Henkel in Enten- (oder G.-?) Kröpfe endigen, s. Jos. Déchelette in Rev. arch. XL 1902, 273f. m. Fig. 4. 22. [727]

3. Landschafts- und Genrebilder.

Der äußere (schmälere) Streifen einer ägyptischen Bronzeschale mykenischer Zeit (15. Jhdt.) in Gizeh, an welcher das Tierleben am Nil dargestellt ist, zeigt unter anderem eine junge G., die von einem Kahn aufgeschreckt zur Mutter fliegt, welche sie ängstlich flatternd beschützt, während der Gänserich dem herannahenden Menschen ruhig zuschaut (v. Bissing Arch. Jahrb. XIII 1898, 33 m. Fig. 1 auf S. 29 und Taf. 2). Besonders häufig sind Mosaiken, welche dem Ufer des Nils entlehnte Elemente einmischen (Stephani 1863, 46; vgl. o. Ente Bd. V S. 2646). Ein solches Bild, in dem sich auch Schwimmvögel befinden, bringt z. B. das Mosaik von Palestrina (Abb. in Arch. Anz. 1874 Taf. 12; vgl. Guhl und Koner a. a. O. Fig. 941). Bei dem Mosaik aus Vilbel im Darmstädter Museum handelt es sich um einen Schwan und Enten (O. Jahn Arch. Ztg. 1860, 117 m. Taf. 143). In einem der pompeianischen Wandgemälde sitzt eine G. vor Wasserpflanzen (W. Helbig Wandgemälde usw. 1868, 1647); auch zwei andere Tierstücke finden sich hier (ebd. 1610. 1646) und ein Küchenstück (ebd. 1692) mit G. Ins Genrehafte spielt auch die Verzierung einer wohl dem 7. Jhdt. v. Chr. angehörenden melischen Vase, in deren Feldern viermal je zwei gegenüberstehende G. dargestellt sind, da der einen eine fadenartige Speise vom Schnabel hängt, nach der die andere zu schnappen scheint (Furtwängler Antiq. nr. 52). In späteren Vasengemälden sind G. in freundlichem oder feindlichem Verkehr mit Tieren dargestellt, in feindlichem z. B. in dem einer apulischen Vase: eine G. und ein Hahn miteinander im Kampf begriffen mit der Überschrift αι τον χηνα-ω τον ελετρυγονα (Stephani 1863, 43; Abb. bei Reinach Vases I 503, 2). Eine Bronzeschale des Britischen Museums von römischer Arbeit hat eine zweifache Verzierung mit G., Schwänen, Enten (?) und verschiedenen Seetieren, namentlich auch Fischen (Stephani ebd. 46; vgl. o. Ente Bd. V S. 2646). In der Mitte eines Marmorreliefs römischer Zeit liegt der Kopf eines Raubvogels auf einer altarförmigen Erhöhung, welche ein Storch, eine Eule, eine G. und ein anderer Vogel, wohl über den Tod ihres gemeinsamen Feindes triumphierend, umstehen (ebd. 44). Wohl nur zur Staffage dient eine G. oder Ente in der Theaterszene eines Mosaikbildes (s. Stephani 1863. 58, 4).

Von dem oben (VIII A) erwähnten, im Altertum berühmten (bronzenen) Werke des Boethos, dem eine G. würgenden Knaben, sind ausgezeichnete Kopien in Marmor erhalten, von denen sich je eine in München (Friederichs-Wolters Bausteine 1885 nr. 1586; Abb. bei Keller Fig. 52. Reinach Stat. I 535, 5), im Vatikan (Abb. bei Baumeister Fig. 372. Reinach a. O. 535, 9), im capitolinischen Museum (Helbig Führer nr. 514; Abb. bei Reinach a. O. 534, 1) und im Louvre (Abb. bei Reinach ebd. 148, 3) befindet. Ungeschickter komponiert ist eine Marmorgruppe des Museums zu Neapel, da der ebenfalls nackte, aber sich schon dem Jünglingsalter nähernde Knabe einen Schwan oder eine G. von hinten her zu bewältigen sucht (Stephani 1863, 56; Abb. bei Reinach ebd. 536, 1). Wesentlich dieselbe Komposition findet sich an einer gemalten Vase [728] (Stephani ebd.). Den vier ersten Statuen ähnlicher sind jedoch außer andern Marmorgruppen auch fünf bei Kertsch ausgegrabene Terracottagruppen (Stephani 1876, 208 m. Taf. 6, 9 und Antiq. du Bosph. Cimm. Taf. 73, 1). Während man allgemein das Werk des Boethos als ein bezeichnendes Beispiel der Genrebildnerei ansieht (s. bes. Stephani 1863, 56f.), erblickt Keller (292ff.) darin die Ausgestaltung eines orientalischen religiös-symbolischen Motivs, das der gänsewürgenden Göttin. Doch handelt es sich bei dieser mißbräuchlich persische Artemis genannten Göttin um Artemis als Herrin der Tierwelt (Wernicke o. Bd. II S. 1413, 52ff.), nicht bloß der G. Außerdem führt Stephani (ebd. 54. 105 m. Taf. I 5. 6; Antiq. du Bosph. Cimm. Taf. 72, 3; vgl. auch über den von einer G. oder einem Schwan verfolgten Knaben Stephani ebd. 96. Furtwängler Antiq. nr. 3297) mehrere Kunstwerke (9 Marmorgruppen, 7 Terracotten und 1 Vasenbild) an, welche einen Knaben in mehr oder weniger feindseligem Verkehr mit einer G. oder Ente zeigen. In der einen Terracottagruppe (Stephani ebd. 54. 106 m. Taf. 1, 6) machen z. B. ein Spitzhund und eine G. einem Knaben eine Weintraube streitig. In den Terracottagruppen und in acht der genannten Marmorgruppen sitzt der Knabe, welcher eine G. (oder Ente) neben sich hat und sie mit der einen auf ihren Rücken gelegten Hand niederdrückt, auf dem Erdboden (Stephani ebd. 55. 1873, 24; vgl. die Abb. bei Reinach Stat. I 534, 6. 536, 7. 537, 2. 536, 6 = Visconti Mus. Pio Clement. III Taf. 46). Auf einem Chalcedon der Münchener Sammlung ist ein nackter Knabe dargestellt, welcher eine G. am Halse hält und mit einem Stecken ausholt, sie zu schlagen (Imhoof-Blumer und Keller a. a. O. Taf. XXII 32). Andererseits sind nach Stephani (1863, 53) zahlreiche Marmorstatuen auf uns gekommen, welche darstellen, wie ein stehender Knabe eine G. oder Ente zärtlich an die Brust drückt (Abb. z. B. bei Reinach Stat. I 535, 8. 538, 1), indem er sie dabei füttert (z. B. ebd. 536, 3. 537, 5) oder mit der einen Hand einen Krug erfaßt hat (z. B. ebd. 538, 10, wo jedoch nach Stephani vom Restaurator fälschlich ein Adlerkopf ergänzt ist). Über diese Statuen vgl. auch o. Ente Bd. V S. 2647. Sonst sehen wir auch die Knaben auf G. oder Schwänen reiten (über zwei Terracotten Stephani 1863, 54; über eine solche aus Theben P. Herrmann Arch. Anz. 1898, 60) oder irgendwie mit dem geliebten Tiere spielen, Stephani ebd.; über ein Vasenbild 1868, 77 m. Taf. 4, 7 = Reinach Vases I 27, 5; Terracottafigur 1873, 23 m. Taf. 2, 2; Terracottafigur aus einem Kindergrabe 1880, 112 m. Taf. 5, 3). Daher trägt in dem Bild einer Lekythos sogar das Mädchen, welches mit einem kleinen Knaben am Ufer des Acheron die Ankunft des Totenschiffes erwartet, eine G. oder Ente, das Spielzeug des Knaben, in der Hand (F. v. Duhn Arch. Jahrb. II 1887, 242 zu Ant. Denkm. I 23, 3).

4. Symbolisches.

In dem Reliefbilde eines Kasseler Sarkophags hält ein Jüngling, die Personifikation des Winters, mit der Rechten zwei wilde G. (Baumeister a. a. O. I 702f. m. Fig. 760), offenbar weil die G. in dieser Jahreszeit gejagt [729] wurde (vgl. Ente Bd. V S. 2648). Um die aphrodisische Natur der G. handelt es sich in einem Wandgemälde, welches einem ithyphallisch gebildeten Hahn eine G., eine Ente und einen Schwan gegenüberstellt (Stephani 1863, 44; vgl. Helbig Wandgem. 1554), ebenso wenn an einer gemalten Vase unterhalb einer Szene des Liebesverkehrs zwischen Mädchen und Jünglingen zwei G. mit einem Reh und einem Panther zusammengestellt sind (ebd. 43) und an einer andern über der Gruppe der von ihrem Sohn zärtlich umarmten Aphrodite ein Knabe zu sehen ist, der mit zwei G. spielt (ebd. 64). Die Bedeutung eines mit dem Familienleben eng verknüpften Tieres hat die G., wo sie sonst in Verbindung zu Männern und Jünglingen tritt (ebd. 58). So auf einem Karneol-Scarabäus, wo sie außer einer Schlange einem Manne beigegeben ist, und in einem Vasengemälde, welches zweien Jünglingen und einem Mädchen einen Hund und eine G., die beiden Haustiere κατ' ἐξοχήν, beigibt, wozu noch eine vielleicht den Philosophen Lakydes (vgl. Plin. X 51. Athen. XIII 606 c. Aelian. hist. an. VII 41) mit einer G. neben sich darstellende Marmorstatuette (ebd. und 276; Abb. der Statuette bei Reinach Stat. I 509, 8) und wohl ein etruskischer Spiegel, wo in dem Bilde, welches den Abschied des Bellerophon darstellt, eine auf dem Erdboden sitzende G. angebracht zu sein scheint (Stephani ebd. 97), kommen. Weiblichen Gestalten beigesellt ist die G. nach Stephani (ebd. 104. 156 usw.) das Symbol der fruchtbaren (?) und sorgsamen Hausfrau. Wir sehen da Frauen oder Mädchen, wie sie ihre geliebten G. (oder Schwäne oder Enten) füttern (ebd. 51, 1877, 260 m. Terracottabild Taf. 5, 8 und ebenso 1880, 121 m. Taf. 6, 1; ein attisches rotfiguriges Vasenbild strengen Stils bei Furtwängler Antiq. nr. 2306, wovon Abb. bei Daremberg-Saglio Dict. des antiq. gr. et r. I 1877 Fig. 845), wie sie dieselben liebkosend auf den Schoß nehmen (Stephani 1863, 51), auf den Händen tragen (ebd.; Vasenbild bei Reinach Vases I 264, 1; Terracottafigur bei Reinach Stat. I 197, 2; vgl. 3), ihnen die Hand entgegenstrecken (rotfigurige apulische Hydria, Stephani ebd. 96, doch Schwan nach Furtwängler ebd. nr. 3291), wie sie von ihnen begleitet sind, während sie sich mit dem Ballspiel (Stephani 1863, 51; Bild einer nolanischen Amphora bei Reinach Vases I 263, 3), mit ihrer Toilette (Stephani ebd.; 1860 Taf. 1 mit polychromem Vasenbild = Reinach Vases I 2, 4) oder in anderer Weise (Stephani 1863, 51. 1868, 78 mit polychromem Vasenb. Taf. 4, 8 = Reinach Vases I 27, 2; vgl. auch 1863, 96 = Furtwängler Antiq. nr. 3291 über eine apulische Vase; über eine ältere lucanische Vase Furtwängler ebd. nr. 4120; Vasenbild bei Reinach Vases II 149, 5) beschäftigen. Besonders häufig finden wir die Frauen von Schwänen oder G. umgeben, wenn sie sich im Bad befinden (Stephani 1863, 52f. Daremberg-Saglio a. a. O. I 702 Anm. 288; Abb. einer Silberplatte in Arch. Ztg. 1858 Taf. 118, 2; zwei Gemmen ebd. Taf. 118, 4. 5; über ein Marmorfragment Overbeck Ber. d. Sächs. Ges. d. Wiss. 1871, 108f. m. Taf. 2 a); oder der Vogel schwimmt auf dem Wasser des Waschbeckens (Stephani ebd. 53, 1; Vasenbild bei Reinach Vases II 314, 4). In einem Grab [730] bei Nikopol aus dem 4. vorchristlichen Jhdt. ist der goldene Ring einer Königin mit dem Bild einer fliegenden Ente oder G. gefunden (Stephani 1864, 182 m. Taf. 5, 10). Auch das Wandgemälde bei Helbig nr. 152 m. Taf. 5, in dem ein Vogel an dem Kleid einer Frau pickt, wird nach Stephani (1868, 78) nicht auf Leda mit dem Schwan, sondern eher auf den Traum der Penelope von der Ermordung ihrer G. durch einen Adler (Hom. Od. XIX 535ff.) zu beziehen sein. Bei den nicht seltenen Darstellungen in Form vollständiger Schwäne, G. und Enten in Terracotta und Bronze, bei letzteren auch in Form von Lampen, dürfte es schwer sein, eine besondere Absicht der Künstler nachzuweisen (Stephani ebd. 44f.; über eine kyprische Terracotta M. Ohnefalsch-Richter Athen. Mitt. VI 1881, 245). Die ägyptische Industrie liebte es, Büchsen in Form von gebratenen oder lebenden G. zu verfertigen (Keller 302 nach Wilkinson The manners and customs of the ancient Egyptians2 II 16). Aus den Gräbern der Krim stammen verschiedene goldene Schmucksachen der Frauen, an welchen die G. oder Ente angebracht ist (vgl. o. Ente Bd. V S. 2647). Ebenso wird es sich wohl mit einer kleinen goldenen G. aus einem Grab zu Cervetri verhalten (A. Mau Arch. Ztg. 1877, 178). Die geschnittenen Steine, welche G. oder Enten darstellen, sind größtenteils modern (Stephani 1863, 45).

5. Verhältnis zu Göttern und Personen des Mythos.

In das gleiche Verhältnis wie die nicht idealisierten Knaben tritt Eros zur G. Eine G. begleitet ihn im Fluge (Stephani 1863, 76; Abb. eines Vasenbildes bei Reinach Vases II 209, 3) oder ist ihm in irgend einer andern ruhigeren Haltung beigesellt (Stephani ebd.; Abb. eines Vasenbildes Arch. Ztg. 1851 Taf. 32 = Reinach ebd. I 374, 7; Abb. eines Agatonyx Arch. Ztg. 1858 Taf. 118, 7); er hält sie freundschaftlich in Händen (Stephani ebd.; rotfiguriges Bild einer apulischen Schüssel bei Furtwängler Antiq. nr. 3344) oder spielt mit ihr (Keller 455, 33); lockt sie an sich (rotfigurige lucanische Hydria bei Furtwängler ebd. nr. 3174); reitet auf ihr (blauglasierte Vase in Form einer G., auf welcher Eros reitet, aus Tanagra im Britischen Museum nach Arch. Ztg. 1876, 40; ähnliche Figuren im Britischen Museum nach Keller 455, 35. 461, 145; nach diesem auch zweimal ein Pygmäe auf einer G. reitend); er füttert das Tier (Stephani 1863, 76. 105 über zwei Vasenbilder; über eine Terracottagruppe ebd. m. Taf. 1, 4; eine andere Antiq. du Bosph. Cimm. Taf. 73, 3; eine dritte aus römischer Zeit 1878, 35 m. Taf. 2, 7; über eine Lampe 1863, 76). Dann aber sucht er auch den Vogel zu fangen (Stephani 1863, 13, 75. 77 m. Taf. 1, 3 = Reinach Vases I 15, 3), streitet mit ihm um eine Traube (Stephani 1874, 23 mit Abb. einer Terracottagruppe auf Taf. 1, 5), ja sucht ihn nach Art der Knaben der Wirklichkeit zu erwürgen (ebd. 1863, 75; über eine spätrömische Tonfigur Panofka Arch. Ztg. 1857, 69; Abb. eines bronzenen Lampendeckels bei Overbeck-Mau Fig. 231 p = Reinach Stat. II 466, 5). Eine ordinär gearbeitete Terracottagruppe römischer Zeit stellt einen neben Aphrodite stehenden und mit beiden Händen einen [731] Schwan oder eher eine G. drückenden Eros dar (Stephani 1880, 117 m. Taf. 5, 8). Doch geht umgekehrt der Vogel auch angriffsweise gegen Eros vor (Stephani 1863, 75). In einem Vasenbild im vollendeten Stil des 4. Jhdts. v. Chr. (Stephani 1870, 198) lassen einige Reste weißer Farbe zwischen einer Frauengestalt und dem schwebenden Eros vermuten, daß der Maler da eine G. angebracht hatte (ebd. 201 m. Taf. 6, 4 = Reinach Vases I 36, 8), zum teil mit Rücksicht auf die aphrodisische Natur des Tieres (vgl. Stephani 1864, 182). Ähnlich zeigt das Bild eines unteritalischen Aryballos mit Goldschmuck einen auf einen Frauenkopf zueilenden Eros und zwischen beiden eine G. (G. Körte Arch. Ztg. 1879, 93). Ein drittes hierher gehöriges Vasenbild des Britischen Museums erwähnt Keller (455, 33). Den Halbbruder des Eros, Hermaphroditos, stellt eine Marmorherme des Britischen Museums dar, wie er einen jungen Schwan oder eine G. zärtlich an sich drückt und mit Weinbeeren füttert (Stephani 1863, 77. Keller 289. 455, 35; Abb. bei Reinach Stat. I 367, 5). Auch vor Hermes, der einer Frau einen Zweig hinhält, finden wir eine G. in dem rotfigurigen Bild einer nolanischen Kanne (Furtwängler Antiq. nr. 3058). Der Aphrodite beigesellt symbolisiert die G. oder Ente nach Stephani das Familienleben und das Erzeugen von Nachkommenschaft (?), z. B. neben der zum Bade niederkauernten Göttin in einer Marmorstatue (Stephani 1863, 62, vgl. 22; Abb. bei Reinach Stat. I 339, 6), und ähnlich an einem Grabcippus des Britischen Museums (Stephani ebd.). Ungewiß ist, ob die Frauengestalt eines etruskischen Spiegels, welcher ein Schwan oder eine G. beigegeben ist (Stephani ebd. 64; vgl. Keller 454, 24) und die einer Marmorstatue des Louvre (Stephani ebd. 51, 6; Abb. bei Reinach Stat. I 175, 3) auf Aphrodite zu beziehen seien. Nach Keller (288) wurde die G. als Sinnbild der Liebe dieser Göttin auf Kypros und sonst geopfert. Die G.-Reiterin in dem Bild einer Kylix aus Kameiros, welche er (288 m. Fig. 47) für Aphrodite-Astarte hält, möchte Dümmler (o. Bd. I S. 2750, 62ff.) für die auf einem Schwane aus dem Meer aufsteigende Aphroditeheroine Kapheira von Kameiros ansehen. Über eine in Kypros ausgegrabene Terracottagruppe, welche Aphrodite auf einer G. oder richtiger (asiatischen?) Schwanengans sitzend darstellt, handelt M. Ohnefalsch-Richter (Athen. Mitt. VI 1881, 245). In dem Bild einer Jenenser Vase aus dem Beginn des 3. Jhdts. v. Chr. ist die Geburt der Aphrodite, wie sie aus einer Muschel hervorgeht, während sich ein Schwan oder eine Gans zu der Göttin drängt, dargestellt (Stephani 1870, 63). An einer Prager Paste ist eine nackte Frau, vielleicht Aphrodite, zu sehen, welche einer G. zu fressen gibt oder schmeichelt (Imhoof-Blumer und Keller a. a. O. Taf. XXII 31). Am Grund eines lucanischen Vasenbildes, in welchem Aphrodite, Persephone, Peitho und andere Personen vereinigt sind, sieht man zwei G., eine Hindin und einen Panther (Abb. bei Reinach Vases I 124 b). Ein überaus interessantes Ruveser Vasenbild stellt (nach Paus. IX 39) das Spiel der Kore oder Herkyna mit einer G. in Gegenwart des in Lebadeia verehrten Zeus dar (Stephani [732] 1863, 94; Abb. bei Reinach Vases I 483, 3. 4) und drei einander ganz gleiche Terracotten ein Weib, welches mit der einen Hand eine G., mit der andern eine Weintraube hält (Stephani 1863, 51, 1), nach Reinach (Antiq. du Bosph. Cimm. 115, 2 m. Taf. 69, 1) vielleicht Kore. Hinsichtlich der Herkyna, die Keller für eine Art Persephone ansieht, nimmt er (291) an, daß die G. ihr, sofern sie auch eine segenspendende Flußnymphe gewesen, aus demselben Grund wie in einem Münzbild dem segenspendendsten Flußgott Siziliens, Symaithos, zuerteilt sei (Abb. dieses Tetradrachmon von Katana bei Imhoof-Blumer und Keller a. a. O. Taf. VI 19). In einem marmornen Reliefbilde aus guter griechischer Zeit wird Aphrodite, Helena zur Entführung durch Paris überredend, von Peitho unterstützt, welche eine G. oder Ente (Stephani 1863, 72) oder Taube (Baumeister a. a. O. I 636f. m. Fig. 708) neben sich hat. Auch betreffs einiger unteritalischer Terracottastattueten glaubt Stephani (ebd.), daß es Peitho sei, welche den Schwan oder die G. neben sich habe. Der Helena hat ein Vasenmaler zwei G. wohl als gewöhnliches Symbol des häuslichen Frauenlebens beigegeben (ebd. 102, 2; Abb. in Arch. Ztg. 1851 Taf. 36 = Reinach Vases I 375, 2), und in andern Kunstwerken sind Schwäne oder G. den Dioskuren zugesellt, wie z. B. in dem Gemälde eines Holzsarkophags, wo die beiden G. freilich zugleich als Spielgefährtinnen der von den Dioskuren geraubten Töchter des Leukippos gedacht sind (Stephani ebd. 102, 1; Abb. in Antiq. du Bosph. Cimm. Taf. 83). Aus diesem Grund und weil die Schilderung einiger Schriftsteller, wonach Zeus in Gestalt eines Schwans vor einem Adler geflohen sei und im Schoß der Mutter der Helena Schutz gesucht habe, nicht auf den kampflustigen Schwan passe, nehmen Stephani (1863, 23f.) und Keller (288) an, daß in der Ledasage (vgl. o. VI) es sich ursprünglich nicht um einen Schwan, ein Tier der Wollust, sondern einen Gänserich gehandelt habe, freilich ohne dafür ein Beispiel unter den Denkmälern ausdrücklich namhaft zu machen. Den Hesperiden, die als ein Muster süßen und seligen Mädchenlebens galten, gesellt sich die G. als Symbol des häuslichen Frauenlebens zu, z. B. in einem Vasenbild des Assteas, wo sie vor einer derselben steht (vgl. o. Bd. II S. 1779, 49), und einem andern, wo sie von Eros herbeigebracht wird (Stephani ebd. 95). Aus demselben Grunde wie der Aphrodite war die G. auch der Isis und dem Osiris geweiht, bezw. ward ihnen geopfert (Stephani ebd. 22), obschon der Isis wie allen mütterlichen Gottheiten der Ägypter eigentlich die Kuh geweiht war (A. Wiedemann D. Religion d. alten Ägypter 1890, 116). Eine bei Kertsch gefundene Terracottastatuette römischer Zeit stellt eine Frau dar, welche eine G. mit der Rechten an sich drückt und wegen ihres Kopfputzes Isis zu sein scheint (Stephani 1863, 93. 1881, 72 m. Taf. 4, 8). Eine Gemme zeigt einen ägyptischen Opferdiener, welcher 6 G. und 2 Fische trägt (G. Wolff Philol. XXVIII 189f.), und auch um ein Isisopfer handelt es sich wohl bei einer andern Gemme, wo eine Frau eine G. in die Flamme, welche auf einem Stein vor einer bekränzten Säule angezündet ist, steckt [733] (ebd.; vgl. Stephani 1863, 79, 8). Der stierköpfige Mann eines herculanensischen Wandgemäldes, vor dem eine G. steht, dürfte für Osiris zu halten sein (Stephani ebd. 93. Helbig Wandgem. 1106), und das Brustbild einer Münze von Cumae wird man besser Osiris als Serapis nennen (Stephani ebd. Keller 454, 6). Eine kleine, in Italien gefundene Silberfigur stellt Harpokration mit einem schwer kenntlichen Vogel, nach Helbig (Arch. Ztg. 1868, 71) einer G., dar. In demselben Sinn wie im Kreise der Aphrodite tritt die G. auch in dem des Dionysos auf (Stephani 1863, 77). So sucht Eros unter Anwesenheit des Dionysos in zwei Vasenbildern einen Schwan oder eine G. zu fangen (ebd. 13. 77 m. Taf. 1, 3 = Reinach Vases I 15, 3), in einem dritten ist dem Eros unter Anwesenheit Pans ein solcher Vogel beigesellt, und in einem vierten steht eine Mänade, den Vogel haltend, einem Eros gegenüber (ebd. 77). Anderwärts ist dem Eros, indem er sich mit G. oder Schwänen abgibt, in anderer Weise ein bakchischer Charakter verliehen (ebd. 77, 6). In dem Bild einer Vase aus Ruvo hält Dionysos ein Tier dieser Art in der Hand (ebd. 78. Wieseler Nachr. d. Ges. d. Wiss. Götting. 1892, 520; Abb. bei Reinach Vases I 263, 2); auf dem einer andern im Stil des spätesten Verfalls zu Petersburg befindet sich zwischen Dionysos und Ariadne am Boden eine G., die Körner frißt (Wieseler ebd.). Das Innere einer Kylix zeigt das Bild des von einer Frau im Schoße gehaltenen kleinen Dionysos mit Stierkopf nebst G. oder Schwan (Stephani ebd. 78, 4. 120), doch ist der Vogel zunächst auf die Frau, zu deren Füßen er sich befindet, als Pflegerin des Kindes zu beziehen (Wieseler ebd. 520f.). Bei vier Reliefbildern (Abb. in der Gall. Giust. II 122; bei Visconti Mus. Pio Clem. V 8, Mus. Chiaram. I 35 und bei Gerhard Ant. Bildw. Taf. 110), welche eine Frau, die dem bärtigen Dionysos einen großen Vogel opfert, darstellen, nahm Stephani (1863, 79, 8) an, daß sehr wohl mit diesem Vogel eine G. gemeint sein könne. Dem widersprach G. Wolff (a. a. O. 190; fast ebenso Wieseler a. a. O. 523), indem er annahm, daß es sich um einen Hahn oder allenfalls um eine Henne handele. Doch glaubt Stephani (1868, 146, 7; vgl. Keller 456, 43), daß Wolff die Flüchtigkeit der Zeichnung, die Ungenauigkeit der Abbildungen und die modernen Restaurationen nicht ausreichend berücksichtigt habe. Dem Priapos, welcher ursprünglich dem Dionysos gleichstand, wird ebenfalls die G. geopfert, nämlich vor einer Priapherme in einem schwarzfigurigen Vasenbild und wohl auch auf einem Achat (Stephani 1863, 79, 8; vgl. 1868, 146. Wieseler a. a. O. 524). Ein Priaposrelief mit G.-Opfer des Britischen Museums erwähnt Keller (455, 25). Eine auf der Krim gefundene Terracottastatue stellt einen fratzenhaften Alten dar, der auf den Armen sorgfältig eine G. trägt, wobei zwar kaum an Priapos selbst, aber doch an die deliciae Priapi (Petron. 137) zu denken sein wird (Stephani 1868, 68). Auf einem Scarabäus erblickt man neben einem leierspielenden Seilenos einen Schwan oder eine G. (Stephani 1863, 79. Wieseler ebd.), und dieses Tier fehlt auch nicht in einem Ruveser Vasenbild, in welchem [734] Olympos und Marsyas zusammen mit Satyrn, Mänaden und Musen die συναυλία aufführen (Stephani ebd.; Abb. bei Reinach Vases I 103). Da eine G. auch die Zithersängerin Glauke geliebt haben soll (Plin. X 51. Plut. de soll. anim. 18 p. 967. Aelian. hist. an. I 6. V 29), hält Keller (456, 41) es für möglich, daß die G. da und dort für musikalisch gegolten habe. Das rotfigurige Bild einer etruskischen Amphora zeigt links von einem Satyrn, der nach einer Nymphe hascht, eine G., rechts einen Seilenos, der die Arme nach einer G. ausstreckt (Furtwängler Antiq. nr. 2958); ein ähnliches unter anderem zweimal einen Satyrn, der mit einer G. spielt, und zweimal einen Seilenos, der sich zu einer G. niederbeugt (ebd. nr. 2959). In der Darstellung eines bakchischen Gelages an einem etruskischen Spiegel, bei dem ein Seilenos, ein Satyr und eine Flötenspielerin anwesend sind, nascht ein größerer Vogel, wahrscheinlich eine G., von dem Tisch (Wieseler a. a. O. 525). In einem Vasenbild streckt ein Satyr die Rechte nach einer G. oder Ente spielend aus (ebd. 526). Da auch die Phlyaken dem Dionysischen Kreise angehören, steht in einem Vasenbild eine G. bei dem vermutlich von einem Symposion heimkehrenden Phlyaken (H. Heydemann Arch. Jahrb. I 1886, 295 m. Abb. Wieseler a. a. O. 528). Ein Ruveser Vasenbild zeigt die Bakchantin Erato mit einem Schwan oder einer G. auf der linken Hand (Stephani 1863, 78. Wieseler ebd.), und auch einzelnen Mänaden sind G. beigegeben (Stephani ebd. 77, 7. Wieseler ebd.). Der ephesischen Artemis sind in einem Mosaik drei G. als Symbol häuslichen Frauenlebens und namentlich der Kinderzucht und außerdem drei Enten, ein Hahn und eine Eule, also Tiere von ganz ähnlicher Bedeutung, beigegeben (Stephani ebd. 94). Bei den Münzbildern der Stadt Leukas, in denen der Artemis G. beigegeben sind, kommt allerdings auch die Eigenschaft dieser Göttin als Aufseherin der Häfen und der Schiffahrt in Betracht (ebd.). Ein Reliefbild der sog. persischen Artemis als der Herrin der Tierwelt (vgl. oben Wernicke Bd. II S. 1369, 62ff. 1413, 39ff.) in rein asiatischem Stil, die Göttin mit jeder Hand je einen großen Vogel, anscheinend G., haltend, befindet sich in der Mitte einer mykenischen Tonplatte (Fr. Lenormant Arch. Ztg. 1866, 257 m. Taf. A 1). Das Fragment einer altrhodischen Vase, deren Hals mit dem Bild der einen Löwen packenden persischen Artemis geschmückt ist, zeigt an der Schulter der Vase ein Gefährt, auf dessen Deichselende eine G. sitzt (Furtwängler Antiq. nr. 301; Abb. in Arch. Ztg. 1854 Taf. 62, 3 = Reinach Vases I 380, 6). An der Langseite eines tönernen altboiotischen Kastens ist dieselbe Göttin, in jeder Hand eine G. oder ähnlichen Vogel am Halse festhaltend, aufgemalt (Furtwängler ebd. 306); in einer Ecke eines altkorinthischen Pinax ist sie, in der gesenkten Linken eine G. am Halse haltend, dargestellt (ebd. 907). Ein rhodisches und ein etruskisches Ölfläschchen mit dem Bild dieser zwei G. haltenden Göttin in korinthischem Stil erwähnen Dumont und Chaplain (a. a. O. 180, 1. 182, 2). Wenn in einigen Kunstwerken Nike vor einem Brunnenbecken sitzt, auf dessen Wasser eine G. [735] oder ein Schwan schwimmt, so ist die nach Stephani (1863, 103) ganz lokale (?) Veranlassung dieses Motivs schwer zu erklären.

Von römischen Gottheiten ist es Mars, dem als dem Wächter des römischen Volks die G. zum Attribut gegeben wird (Keller 456, 42; vgl. o. VII). Erhalten sind sieben Denkmäler aus den römischen Nordprovinzen, wo er die G. neben sich hat (ebd. nach F. Möller Westd. Ztschr. V 1886, 321ff. m. Taf. 13, 1–7). An den beiden dazugehörigen Bronzeplatten von Szamos Ujvár in Siebenbürgen wollte allerdings Wieseler Arch. Ztg. 1858, 153 m. Taf. 112 einen Schwan erkennen (vgl. auch Stephani 1863, 101, 3). Auch in einem Wandgemälde des Palastes Barberini befinden sich auf den Pfosten des Stuhls, auf dem die Weltherrscherin Roma sitzt, zwei schwerverständliche Gruppen rechts und links von der Göttin, zu denen je ein Schwan (G. Körte Arch. Zrg. 1885, 27ff. m. Taf. 4) gehört, nicht wie Stephani (1863, 93) meint, je ein Schwan oder eine G., wie wenn es sich dabei um den kriegerischen Mut des Schwans oder die Wachsamkeit der G. handelte.

Wichtigste Literatur.

H. O. Lenz Zoologie der alten Gr. u. R. 1856. L. Stephani Comptes-rendus de la commission arch. de l’acad. imp. pour les années 1859–1881. O. Keller Tiere d. klass. Altert. in kulturgeschichtl. Beziehung 1887.

[Olck. ]

Anmerkungen (Wikisource)

[Bearbeiten]
  1. Corpus Inscriptionum Latinarum V, 7906.